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Wichtiger rechtlicher Hinweis

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62000C0078

Schlussanträge des Generalanwalts Mischo vom 7. Juni 2001. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik. - Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Artikel 17 und 18 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie - Erstattung des Mehrwertsteuerüberschusses durch die Zuteilung von Staatsanleihen - Steuerpflichtige mit Steuerguthaben. - Rechtssache C-78/00.

Sammlung der Rechtsprechung 2001 Seite I-08195


Schlußanträge des Generalanwalts


1. Jeder Verwalter von Geldmitteln kann zu einem bestimmten Zeitpunkt, obwohl sich die Einrichtung, der er angehört, in einer vollkommen gesunden Lage befindet, mit heiklen Problemen konfrontiert sein, wenn die täglichen Zahlungseingänge nicht den zu tätigenden Ausgaben entsprechen. Es ist die Art und Weise, in der die Italienische Republik ein derartiges Missverhältnis vermeiden wollte, die dazu führt, dass sie sich heute vor dem Gerichtshof zu einer Vertragsverletzung erklären muss, die ihr von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vorgeworfen wird.

2. Wie die Regierung dieses Mitgliedstaats erklärt, hatte der italienische Staat im Jahr 1993 Anlass zur Sorge wegen des Einnahmeverlustes, der unmittelbar aus dem Wegfall der Einfuhrumsatzsteuer folgte.

Es wurde daher für zweckmäßig erachtet, für eine begrenzte Gruppe von Steuerpflichtigen (nämlich diejenigen, die im Vorjahr innergemeinschaftliche Einfuhren mit einem Umfang von mehr als 10 % des Gesamtumfangs der Einfuhren getätigt hatten) vorzusehen, dass ihre Steuerguthaben durch Staatsanleihen erstattet und nicht in den folgenden Jahren in Abzug gebracht wurden.

Dadurch, dass gegenüber dieser Gruppe von Steuerpflichtigen, die vor der Öffnung der Zollgrenzen unmittelbare Steuereinnahmen garantierten, die Erstattung vom 1. Januar 1994 an durch Staatsanleihen erfolgte, konnte die Finanzverwaltung auch im Rechnungsjahr 1993 die Stabilität der innerstaatlichen Einnahmen sicherstellen."

3. Die von der Italienischen Republik erlassenen Maßnahmen finden sich in zwei nacheinander verabschiedeten Texten. Zunächst handelt es sich um das Decreto-legge Nr. 16 vom 23. Januar 1993 (GURI Nr. 18 vom 23. Januar 1993), umgewandelt in das Gesetz Nr. 75 vom 24. März 1993 (GURI Nr. 69 vom 24. März 1993).

4. Artikel 11 Absätze 1 und 2 des Decreto-legge sieht vor:

Steuerpflichtige, die im Jahr 1992 Einfuhren aus Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit einem Umfang von mehr als 10 % des Gesamtumfangs ihrer im selben Jahr bewirkten Umsätze getätigt haben und in ihrer Mehrwertsteuererklärung ein Steuerguthaben von mindestens 100 Mio. ITL angeben, können diesen Betrag nicht in den folgenden Jahren in Abzug bringen ...

Artikel 10 Absätze 1 und 2 finden auf die Tilgung der Guthaben im Sinne von Absatz 1 dieses Artikels Anwendung [die betreffenden Vorschriften regeln die Tilgung der aus der Abwicklung der jährlichen Einkommen- und Mehrwertsteuererklärung resultierenden Guthaben durch die Zuteilung von Staatsanleihen an die betroffenen Steuerpflichtigen]. In diesem Fall ist der Antrag [auf Erstattung der Mehrwertsteuer durch Zuteilung von Staatsanleihen] bis spätestens 31. März 1993 zu stellen; die Überprüfungsmaßnahmen sind spätestens am 30. Juni abzuschließen; die Zinsen für die einzelnen Guthaben sind am 31. Dezember 1993 zu berechnen; die Berechtigung aus den Staatsanleihen läuft ab 1. Januar 1994; der Hoechstbetrag der begebenen Anleihen darf 7 500 Mrd. ITL nicht überschreiten, wobei diese Ausgabe unter dem entsprechenden Posten des Haushaltsplans des Schatzministeriums für das Rechnungsjahr 1993 ausgewiesen wird; das Dekret des Schatzministers über die Ausgestaltung, die Modalitäten und das Verfahren der Zuteilung der betreffenden Anleihen ist bis zum 30. November 1993 in der Gazzetta Ufficiale zu veröffentlichen."

5. Die Geltungsdauer dieser speziellen Erstattungsmodalitäten wurde durch das Decreto-legge Nr. 250 vom 28. Juni 1995 (GURI Nr. 150 vom 29 Juni 1995), umgewandelt in das Gesetz Nr. 349 vom 8. August 1995 (GURI Nr. 196 vom 23. August 1995), verlängert, dessen Artikel 3a Absatz 1 bestimmt:

Zum Zweck der Tilgung der Mehrwertsteuerguthaben und der darauf angefallenen Zinsen, die aus den von den Steuerpflichtigen im Sinne des Artikels 11 Absatz 1 des Decreto-legge Nr. 16 vom 23. Januar 1993, nach Änderung umgewandelt in das Gesetz Nr. 75 vom 24. März 1993, abgegebenen Steuererklärungen für das Jahr 1992 resultieren und zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Dekrets noch nicht erstattet worden sind, wird der Schatzminister ermächtigt, mit Wirkung vom 1. Januar 1996 weitere frei umlauffähige Staatsanleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren zu einem Hoechstbetrag von 400 Mrd. ITL zu begeben".

6. Der Mehrwertsteuermechanismus der Gemeinschaft baut bekanntlich ganz auf dem Grundsatz auf, dass jeder Steuerpflichtige berechtigt ist, von der Steuer, die er für die von ihm bewirkten Umsätze schuldet, die Steuer abzuziehen, die er selbst seinen Lieferern beim Erwerb der für die Ausübung seiner Tätigkeit notwendigen Gegenstände oder Dienstleistungen gezahlt hat. Aufgrund dieses Umstands unterscheidet sich die Mehrwertsteuer deutlich von den Mehrphasensteuersystemen, bei denen sich die in den verschiedenen Abschnitten des Handelskreislaufs gezahlten Steuern summieren.

7. Dieser Grundsatz findet Ausdruck in den Artikeln 17 und 18 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (im Folgenden: Sechste Richtlinie).

8. Artikel 17 Absätze 1 und 2 der Sechsten Richtlinie lautet:

(1) Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.

(2) Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a) die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden,

b) die Mehrwertsteuer, die für eingeführte Gegenstände geschuldet wird oder entrichtet worden ist;

c) die Mehrwertsteuer, die nach Artikel 5 Absatz 7 Buchstabe a) und Artikel 6 Absatz 3 geschuldet wird."

9. Artikel 18 Absatz 4 der Sechsten Richtlinie bestimmt:

Übersteigt der Betrag der zulässigen Abzüge den Betrag der für einen Erklärungszeitraum geschuldeten Steuer, können die Mitgliedstaaten den Überschuss entweder auf den folgenden Zeitraum vortragen lassen, oder ihn nach den von ihnen festgelegten Einzelheiten erstatten.

Die Mitgliedstaaten können jedoch regeln, dass geringfügige Überschüsse weder vorgetragen noch erstattet werden."

10. Da die Kommission der Auffassung ist, dass die genannten italienischen Rechtsvorschriften gegen diese Artikel der Sechsten Richtlinie verstoßen, hat sie gegen die Italienische Republik die von uns zu prüfende Vertragsverletzungsklage erhoben, die bei der Kanzlei des Gerichtshofes am 2. März 2000 unter dem Aktenzeichen C-78/00 eingetragen worden ist.

11. In ihrer Klageschrift beantragt die Kommission, festzustellen, dass die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 17 und 18 der Sechsten Richtlinie verstoßen hat, dass sie vorgesehen hat, dass für eine Gruppe von Steuerpflichtigen, die für das Jahr 1992 ein Steuerguthaben aufweisen, die Erstattung der Mehrwertsteuer durch die - im Übrigen verspätete - Zuteilung von Staatsanleihen ersetzt wird, und die Italienische Republik zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Die Italienische Republik beantragt Klageabweisung.

12. Prüfen wir zunächst, welchen Verstoß gegen die Sechste Richtlinie die Kommission der Italienischen Republik genau vorwirft, da bei der Lektüre des Schriftwechsels zwischen den beiden Parteien im Vorverfahren der Eindruck entsteht, dass insoweit möglicherweise eine gewisse Unklarheit bestand.

13. Zunächst hat die Kommission nämlich vorgebracht, dass die Zuteilung von Anleihepapieren an Steuerpflichtige, die für das Jahr 1992 ein Mehrwertsteuerguthaben geltend machen konnten, angesichts der Bedingungen, unter denen sie erfolge, gegen den Grundsatz verstoße, dass der Vortrag auf den Erklärungszeitraum vorgenommen werde, der auf den Zeitraum folge, für den sich ein abziehbarer Betrag ergeben habe, der höher sei als der Betrag der an die Staatskasse zu zahlenden Steuer.

14. Nicht nur habe diese Zuteilung nach den italienischen Rechtsvorschriften selbst erst 1994 und nicht 1993 erfolgen sollen; auch und vielleicht vor allem seien die Titel in Wirklichkeit mit erheblicher Verspätung zugeteilt worden.

15. Dagegen hat die Kommission nicht mit klaren Worten beanstandet, dass die Erstattung durch die Zuteilung von Anleihen erfolgte. Erst später hat sie ausdrücklich geltend gemacht, dass die Zuteilung von Staatsanleihen nicht als Erstattung im Sinne von Artikel 18 Absatz 4 der Sechsten Richtlinie angesehen werden könne, und die verspätete Zuteilung dieser Titel nur als einen den Verstoß erschwerenden Umstand betrachtet.

16. Diese Klarstellung ist jedoch so früh erfolgt, dass der Klage nicht eine fehlende Übereinstimmung zwischen dem Mahnschreiben, der mit Gründen versehenen Stellungnahme und der Klageschrift entgegengehalten werden kann.

17. Die italienische Regierung versäumt zwar nicht, sich in der Sache selbst auf Punkte zu berufen, die als Änderungen im Standpunkt der Kommission wahrgenommen werden könnten, bestreitet aber nicht die Zulässigkeit der Klage, und die Argumente, die sie zu ihrer Verteidigung anführt, betreffen genau die Frage, ob sie, nachdem sie sich dafür entschieden hatte, von der ihr durch Artikel 18 Absatz 4 der Sechsten Richtlinie eröffneten Möglichkeit Gebrauch zu machen, anstelle des Vortrags auf das nächste Rechnungsjahr für die Erstattung der Mehrwertsteuerguthaben zu optieren, diese Erstattung durch die Zuteilung von Staatsanleihen leisten durfte.

18. Welche Argumente werden vorgetragen?

19. Nach Auffassung der Kommission, die sich auf das Urteil Molenheide u. a. vom 18. Dezember 1997 stützt, muss, wenn ein Mitgliedstaat für die Erstattung eines Mehrwertsteuerguthabens optiert, diese Erstattung sofort erfolgen und in der Zahlung fluessiger Mittel an den Steuerpflichtigen bestehen.

20. Zwar können die Mitgliedstaaten die Einzelheiten der Erstattung festlegen, jedoch nur soweit nicht in Frage gestellt wird, dass die Erstattung sofort und durch fluessige Mittel erfolgt.

21. Eine solche Erstattung wird einem Steuerpflichtigen, dem eine Staatsanleihe mit einer Laufzeit von fünf oder zehn Jahren zugeteilt wird, aber nicht gewährleistet.

22. Dieser Steuerpflichtige muss, wenn er für den Bedarf seines Unternehmens tatsächlich über den ihm vom italienischen Staat geschuldeten Betrag verfügen möchte, einen Käufer für das ihm zugeteilte Anleihepapier finden. Dabei kann er sich nicht sicher sein, dass dieser ihm das Papier zu seinem Nominalwert abkauft, muss aber darüber hinaus mit Sicherheit die Provisionen zahlen, die von dem in das Geschäft eingeschalteten Finanzmakler verlangt werden.

23. Nach Ansicht der Kommission weist das von der Italienischen Republik getätigte Geschäft sämtliche Merkmale einer Zwangsanleihe auf.

24. Ganz anders natürlich der Standpunkt der italienischen Regierung. Diese führt zunächst aus, dass sie die Steuerguthaben, die die Steuerpflichtigen geltend machen könnten, in keiner Weise gekürzt habe. Ihr Anspruch sei in vollem Umfang anerkannt worden. Außerdem habe sie, als sie anstelle des Vortrags für die Erstattung optiert habe, nur von ihrer Möglichkeit nach Artikel 18 Absatz 4 der Richtlinie Gebrauch gemacht, die Einzelheiten der Erstattung festzulegen.

25. Insoweit trägt die italienische Regierung vor, dass unter Wahl der Einzelheiten etwas anderes zu verstehen sei als die Wahl zwischen einem Bankscheck, einer Bank- oder Postschecküberweisung oder einer Barzahlung.

26. Eine ganze Reihe weiterer Modalitäten sei vorstellbar, soweit sie nicht dazu führten, dass einem Steuerpflichtigen, der über ein Mehrwertsteuerguthaben verfüge, seine Ansprüche genommen würden.

27. Insoweit könnten die von der Italienischen Republik souverän festgelegten Einzelheiten nicht beanstandet werden.

28. Zwar seien die Anleihen erst ab dem 1. Januar 1994 begeben worden, doch hätten die Steuerpflichtigen bis zu diesem Zeitpunkt die Zinsen erhalten, die in den italienischen Rechtsvorschriften über die Steuererstattung vorgesehen seien. Die Anleihen selbst trügen hohe Zinsen, die erheblich von der Inflationsrate abwichen, im Jahr 1998 z. B. um 7,8 %.

29. Bis zum Jahr 1999 hätten diese Zinssätze stets über dem für die Erstattung von Steuern vorgesehenen Zinssatz gelegen. Jedenfalls seien diese Papiere ohne weiteres handelsfähig, da sie zur amtlichen Notierung zugelassen seien, und könnten grundsätzlich aufgrund ihres Zinssatzes sogar über ihrem Nominalwert gehandelt werden, so dass ein Steuerpflichtiger, der dies wolle, für seine Anleihen jederzeit einen fluessigen Geldbetrag mindestens in Höhe des Wertes seines früheren Mehrwertsteuerguthabens erlangen könne.

30. Schließlich habe die Kommission, indem sie ihre Kritik darauf konzentriert habe, dass die Anleihen verspätet begeben worden seien, faktisch anerkannt, dass die Tilgung eines Mehrwertsteuerguthabens durch die zum Zweck der Erstattung erfolgende Zuteilung von Staatsanleihen im Hinblick auf Artikel 18 Absatz 4 der Sechsten Richtlinie vollkommen zulässig sei, sofern nicht die Titel verspätet zugeteilt würden und dem Steuerpflichtigen dadurch ein wirtschaftlicher Schaden zugefügt werde.

31. Im vorliegenden Fall habe es einige Verspätungen gegeben, doch beruhten diese auf bestimmten Schwierigkeiten und sachlichen Fehlern der betreffenden Stellen, und dies könne das Vorgehen der italienischen Regierung nicht grundsätzlich in Frage stellen.

32. Welchen Wert haben diese Argumente?

33. Lassen Sie mich gleich sagen, dass eine Grundsatzfrage nur grundsätzlich beantwortet werden kann und dass ich daher keinen Nutzen darin sehe, die Gewinne oder Verluste zu erörtern, die die italienischen Steuerpflichtigen, denen zur Erstattung ihrer Mehrwertsteuerguthaben Staatsanleihen zugeteilt wurden, konkret gemacht haben.

34. Die einzige Frage, die wir beantworten müssen, ist die, ob diese Zuteilung als solche im Hinblick auf die in der Sechsten Richtlinie aufgestellten Vorschriften zulässig ist.

35. Meine Antwort auf diese einfache Frage lautet eindeutig Nein". Betrachtet man den Wortlaut des Artikels 18 Absatz 4 der Sechsten Richtlinie, so ist festzustellen, dass, wenn der Steuerpflichtige am Ende eines Erklärungszeitraums ein Guthaben aufweist, das Recht auf Vorsteuerabzug dazu führen muss, dass sich der betreffende Mitgliedstaat entweder für einen Vortrag des Überschusses auf den nächsten Erklärungszeitraum oder für eine Erstattung entscheidet.

36. Es ist ausgeschlossen, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber zwei Möglichkeiten eröffnen wollte, die zu sehr verschiedenen Ergebnissen für die Steuerpflichtigen führen. Das wäre offensichtlich der Fall, wenn der Steuerpflichtige, falls ein Mitgliedstaat für die Erstattung optiert, jahrelang warten müsste, bevor er über den ihm geschuldeten Betrag in Form fluessiger Mittel verfügt, während der Anspruch des Steuerpflichtigen, der einen Vortrag auf den nächsten Erklärungszeitraum vornehmen darf, sehr rasch durch Verrechnung erlöschen würde.

37. Zu klären bleibt, zu welchem Zeitpunkt die Erstattung spätestens erfolgen muss. Die Kommission zitiert insoweit das Urteil BP Soupergaz vom 6. Juli 1995, in dem der Gerichtshof festgestellt hat: Das in den Artikeln 17 ff. der Sechsten Richtlinie geregelte Recht auf Vorsteuerabzug ist ... integrierender Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer und kann grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ... kann dieses Recht für die gesamte Steuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausgeübt werden."

38. Das Recht auf Vorsteuerabzug" wird somit sofort" ausgeübt, doch kann man daraus Rückschlüsse auf den Zeitpunkt ziehen, zu dem die Erstattung" eines Mehrwertsteuerüberschusses durch den Mitgliedstaat erfolgen muss?

39. In Randnummer 45 des Urteils Molenheide u. a. hat der Gerichtshof festgestellt, es bestehe eine Verpflichtung der nationalen Behörden ..., eine sofortige Erstattung nach Artikel 18 Absatz 4 der Sechsten Richtlinie vorzunehmen".

40. Insoweit ist jedoch daran zu erinnern, dass sich nach Artikel 18 Absatz 4 der Sechsten Richtlinie die Frage des Vortrags des Überschusses oder der Erstattung nur stellt, wenn der Betrag der zulässigen Abzüge den Betrag der für einen Erklärungszeitraum geschuldeten Steuer [übersteigt]".

41. Zwar entsteht ein Recht auf Vorsteuerabzug also sofort" und viele Male im Laufe eines bestimmten Erklärungszeitraums, doch das Recht auf Vortrag oder auf Erstattung des Überschusses kann erst am Ende des betreffenden Zeitraums ausgeübt werden. Die beiden Rechte dürfen nicht verwechselt werden.

42. Nichtsdestoweniger müssen die Mitgliedstaaten ab dem Ende eines bestimmten Erklärungszeitraums" entweder den Vortrag des Überschusses auf den folgenden Zeitraum erlauben oder die Erstattung vornehmen. Da die Verrechnung des vorgetragenen Guthabens mit den neuen Mehrwertsteuerschulden im Laufe des neuen Erklärungszeitraums schrittweise erfolgt, könnte man sich vorstellen, dass auch die Erstattung im Laufe desselben Erklärungszeitraums in mehreren Schritten erfolgen kann. Sie müsste jedoch spätestens zum Ende dieses Zeitraums abgeschlossen sein.

43. Daher kann nicht zugelassen werden, dass die Steuerguthaben für das Jahr 1992 erstattet" werden, indem ab dem 1. Januar 1994 Staatsanleihen mit einer Laufzeit von fünf oder zehn Jahren zugeteilt werden.

44. Die einzige mit einer solchen Anleihe verbundene Sicherheit (natürlich nur, wenn man den Fall des Staatsbankrotts ausschließt, der jedoch, wie uns die Geschichte gelehrt hat, nicht rein theoretisch ist) ist die, dass zu einem festen Termin eine Erstattung erfolgt, der eine periodische Zahlung von Zinsen zu einem festen Zinssatz vorangeht. Diese Sicherheit steht im genauen Gegensatz zur Liquidität, die mit einer Zahlung verbunden ist, die mit dem gesetzlichen Zahlungsmittel des Staates, in dem sie erfolgt, spätestens zum Ende des nächsten Erklärungszeitraums geleistet wird.

45. Zwar erhalten, wie uns die italienische Regierung vorträgt, derartige Titel in der Praxis eine gewisse Form von Liquidität dadurch, dass sie zum amtlichen Börsenkurs zugelassen sind. Diese Liquidität ist jedoch weit davon entfernt, stets vollkommen zu sein. Die Börse ist ein Markt, auf dem nur derjenige verkaufen kann, der einen Käufer findet, und die Zulassung zum amtlichen Börsenkurs ist nicht an sich eine Garantie dafür, dass jeder Verkäufer unabhängig von der Zahl der Anleihen, von denen er sich trennen möchte, stets einen kaufbereiten Abnehmer findet. Noch weniger ist sie eine Garantie dafür, dass dieser etwaige Käufer bereit ist, einen Preis zu zahlen, der dem Nominalwert der Anleihe entspricht.

46. Jeder, der auch nur etwas vom Funktionieren des Börsenmarktes versteht, weiß, dass der Kurs von Schuldverschreibungen, d. h. von Anleihepapieren, von der Entwicklung des Zinssatzes abhängt. Ein Anleihepapier zu 3 % wird keinen Käufer zu seinem Nominalwert finden, wenn der Zinssatz der neuen Emissionen 5 % beträgt. Der Käufer einer alten Anleihe zu 3 % wird nur einen Preis zahlen wollen, der ihm einen effektiven Ertrag von 5 % bringt, mithin einen Preis, der weit unter dem Nominalwert liegt. Dagegen wird ein Titel, der 10 % Zinsen trägt, zu einem über seinem Nominalwert liegenden Preis verkauft werden, wenn die neuen Emissionen nur einen Zinssatz von 5 % bieten.

47. Beschließt der Besitzer eines Anleihepapiers, sich von diesem vor dem Ende seiner Laufzeit zu trennen, so ist er einem Risiko ausgesetzt, das ihn an einem Tag begünstigen, am nächsten Tag ebenso gut aber benachteiligen kann.

48. Wenn in Artikel 18 Absatz 4 der Sechsten Richtlinie von Erstattung die Rede ist, soll damit aber in die Erstattungsarten sicherlich nicht eine Modalität einbezogen werden, durch die der Gläubiger einem Risiko gleich welcher Art ausgesetzt wird.

49. Hinzu kommt, dass der Handel einer Anleihe an der Börse unweigerlich Kosten verursacht, da er die Einschaltung eines Maklers voraussetzt, der zwangsläufig zu bezahlen ist. Nur wenn der Käufer einen über dem Nominalwert liegenden Preis zahlt, kann der Verkäufer einer Anleihe daher darauf hoffen, tatsächlich einen dem Nominalwert entsprechenden Betrag zu erhalten.

50. Der Behauptung der italienischen Regierung, dass die Zuteilung von Staatsanleihen an den Steuerpflichtigen keine Probleme hinsichtlich der Liquidität aufwerfe, könnten die Betroffenen eine hinterhältige, jedoch vollkommen berechtigte Frage entgegenhalten, ob sie nämlich zur Entrichtung der verschiedenen Abgaben, die sie in Bezug auf ihre Tätigkeit schulden, die ihnen zugeteilten Anleihen als Zahlung anbieten können statt mit Scheck oder durch Überweisung zu zahlen.

51. Meines Erachtens besteht kaum Zweifel daran, welche Antwort sie von der italienischen Staatskasse erhalten würden. Erst recht kann man sich nur schwer vorstellen, dass sie - da die italienischen Behörden noch nicht den Weg der französischen Revolutionäre beschritten haben, die den Zwangskurs der Assignate dekretiert hatten - auf diese Weise vorgehen könnten, um ihren Lieferern oder ihren Beschäftigten zu zahlen, obwohl sie aufgrund der Sechsten Richtlinie mit Recht auf ihr Mehrwertsteuerguthaben zählen könnten, um die Stabilität ihrer Geldmittel sicherzustellen.

52. Ferner sei festgestellt, dass die italienische Regierung, wenn sie betont, dass die Steuerpflichtigen, denen die ab 1994 emittierten Anleihen zugeteilt wurden, aufgrund der Entwicklung der Zinssätze in Italien ein gutes Geschäft" gemacht hätten, ersichtlich versucht, soweit wie möglich einer Grundsatzdebatte auszuweichen, da ihre Position insoweit unhaltbar ist.

53. Bezeichnend scheint mir auch der Umstand zu sein, dass die italienische Regierung, um zu erklären, dass das gemäß den genannten Decreti-leggi von 1993 und 1995 getätigte Geschäft keineswegs als Verschiebung der Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug über den nächsten Erklärungszeitraum hinaus verstanden werden könne, und im Gegenteil zur Erfuellung der gesamten Mehrwertsteuererstattungspflicht der italienischen Staatskasse gegenüber den betroffenen Steuerpflichtigen geführt habe, in einem zu den Akten gereichten Vermerk des Kabinetts des Ministers für das Staatsvermögen, den Haushalt und die Wirtschaftsplanung vom 19. Februar 1999 behauptet, es handele sich um eine Erstattungsmodalität, die darin bestanden hat, dass die durch das Steuerguthaben des Steuerpflichtigen begründete Schuld durch eine andere durch die Staatsanleihe verkörperte Schuld ersetzt worden ist".

54. Ich für meinen Teil kann nicht akzeptieren, dass sich das Mehrwertsteuersystem der Gemeinschaft mit etwas abfindet, das einem Taschenspielertrick ähnelt, da der italienische Staat seinen Gläubigern Erstattung geleistet hätte, indem er ihnen gegenüber eine langfristige Schuld begründet hätte.

55. Diese Art Geschäft fällt vielleicht unter die Hoheitsgewalt" des italienischen Gesetzgebers, um einen Ausdruck aufzunehmen, den die italienische Regierung in einer ihrer Noten an die Kommission verwendet hat, jedoch nur soweit es um Abgaben geht, die in keiner Weise vom Gemeinschaftsrecht erfasst werden.

56. Als Ergebnis dieser Prüfung der Zulässigkeit des von der italienischen Regierung getätigten Geschäftes im Hinblick auf die Sechste Richtlinie kann ich mich nur der Auffassung der Kommission anschließen, dass es sich in Wirklichkeit um eine Zwangsanleihe handelt.

57. Dem Inhaber einer Forderung, die ihm einen Anspruch auf sofortige Geldzahlung verleiht, wird anstelle dieser Zahlung ein anderer Forderungstitel geleistet, der aufgrund einer Entscheidung des Gesetzgebers zur Erfuellung der Mehrwertsteuererstattungspflicht der Staatskasse führt.

58. Nach Auffassung der Kommission wäre eine solche Ersetzung in den Beziehungen zwischen zwei Privatpersonen als Schuldumwandlung anzusehen.

59. Meines Erachtens ließe sich das von der Italienischen Republik getätigte Geschäft eher als Leistung an Zahlungs statt ansehen.

60. Unabhängig von seiner Natur setzt ein derartiges Geschäft in privatrechtlichen Beziehungen aber die Zustimmung des Gläubigers voraus.

61. Selbst wenn dies im italienischen öffentlichen Recht nicht der Fall sein sollte, kann dieses Recht keinen Vorrang vor dem Gemeinschaftsrecht haben, das, wie ich meine, gezeigt zu haben, eine derartige Art der Erstattung der Mehrwertsteuerguthaben untersagt.

62. Nachdem ich gleich zu Beginn jede Diskussion über die konkreten Auswirkungen der genannten Decreti-leggi von 1993 und 1995 auf die Steuerpflichtigen abgelehnt habe, da meines Erachtens das Vorliegen einer Vertragsverletzung völlig unabhängig von diesen Auswirkungen ist, möchte ich mich nicht mit den von der Kommission angestellten Überlegungen aufhalten, dass die Vertragsverletzung besonders schwer sei, da die Anleihen erst verspätet zugeteilt worden seien. Da das Vertragsverletzungsverfahren ein objektives Verfahren ist und es keinesfalls Aufgabe des Gerichtshofes ist, eine wie auch immer geartete Strafe zu verhängen, für die die Schwere des Verstoßes von Bedeutung sein könnte, meine ich, dass der Gerichtshof diesen von der Kommission vorgetragenen Umstand, selbst wenn er tatsächlich geeignet ist, die Vertragsverletzung durch die Italienische Republik noch offenkundiger zu machen, nicht im Tenor seines Urteils zu erwähnen hat.

63. Die Schwere der Vertragsverletzung wäre sicherlich ein Umstand, der zu berücksichtigen wäre, wenn der Gerichtshof seine Befugnisse aus Artikel 171 Absatz 2 EG-Vertrag (jetzt Artikel 228 Absatz 2 EG) ausüben müsste, dies ist jedoch im vorliegenden Verfahren nicht der Fall.

64. Ein letzter Punkt bleibt uns zu prüfen, und zwar die von der Italienischen Republik vorgetragenen Überlegungen bezüglich der Schwierigkeiten, auf die sie stoßen würde, wenn der Gerichtshof der Klage der Kommission stattgeben sollte.

65. Ich erlaube mir, diesen Punkt äußerst kurz zu behandeln, da vollkommen klar ist, dass derartige Überlegungen nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen einer Klage nach Artikel 169 EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 EG) keinesfalls berücksichtigt werden können. Entweder liegt eine Vertragsverletzung vor, dann kann der Gerichtshof sie nur feststellen, oder sie liegt nicht vor, dann ist die Klage abzuweisen. Wird eine Vertragsverletzung durch Urteil des Gerichtshofes festgestellt, dann obliegt es dem Mitgliedstaat, zu prüfen, welche Maßnahme er zu ergreifen beabsichtigt, um sie abzustellen. Ist er der Auffassung, dass ihm dies unmöglich sei, so hat er die Kommission darüber zu unterrichten. Diese hat zu prüfen, ob eine neue Klage nach Artikel 171 Absatz 2 des Vertrages zu erheben ist, und letztlich entscheidet, wenn eine solche Klage erhoben worden ist, der Gerichtshof, ob der Mitgliedstaat dadurch, dass er nicht für eine zufrieden stellende Durchführung des Vertragsverletzungsurteils gesorgt hat, gegen seine Verpflichtungen verstoßen hat, und ob die Zahlung eines Pauschalbetrags oder Zwangsgeldes zu verhängen ist.

66. Wie die Schwere der Vertragsverletzung sind dies jedoch Überlegungen, die im vorliegenden Verfahren keinen Platz haben.

67. Bevor ich schließe, möchte ich noch anmerken - auch wenn dies in den Unterlagen des schriftlichen Verfahrens an keiner Stelle erwähnt wird -, dass das von der Italienischen Regierung beschlossene Geschäft nicht nur einen Verstoß gegen die Sechste Richtlinie darstellt.

68. Da die Zuteilung von Staatsanleihen anstelle der in der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Erstattung nämlich nur bestimmte Steuerpflichtige betroffen hat, die im Zusammenhang mit Einfuhren aus anderen Mitgliedstaaten über ein Mehrwertsteuerguthaben verfügen, liegt meines Erachtens nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes offenkundig ein Verstoß gegen Artikel 95 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 90 EG) vor. Die Mehrwertsteuer ist nämlich eine inländische Abgabe, die in den Anwendungsbereich dieser Vorschrift fällt, gegen die die bei den Modalitäten der Erstattung zu viel erhobener Steuern getroffene Unterscheidung zwischen Importeuren und anderen Wirtschaftsteilnehmern sehr unmittelbar verstößt.

Ergebnis

69. Im Ergebnis schlage ich vor, dass der Gerichtshof

- feststellt, dass die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 17 und 18 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage verstoßen hat, dass sie vorgesehen hat, dass für eine Gruppe von Steuerpflichtigen, die für das Jahr 1992 ein Steuerguthaben aufweisen, die Erstattung der Mehrwertsteuer durch die Zuteilung von Staatsanleihen ersetzt wird;

- der Italienischen Republik die Kosten des Verfahrens auferlegt.