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Wichtiger rechtlicher Hinweis

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62000C0141

Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano vom 27/09/2001. - Ambulanter Pflegedienst Kügler GmbH gegen Finanzamt für Körperschaften I in Berlin. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesfinanzhof - Deutschland. - Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstaben c und g der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG - Befreiung von Pflegeleistungen, die von Kapitalgesellschaften erbracht werden - Mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen, die von anderen Einrichtungen als Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt wurden, erbracht werden - Unmittelbare Wirkung. - Rechtssache C-141/00.

Sammlung der Rechtsprechung 2002 Seite I-06833


Schlußanträge des Generalanwalts


I - Vorbemerkung

1. Mit Beschluss vom 3. Februar 2000, bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen am 14. April 2000, hat der deutsche Bundesfinanzhof gemäß Artikel 234 EG drei Fragen nach der Auslegung des Artikels 13 Teil A Absatz 1 Buchstaben c und g der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie im Rahmen eines Rechtsstreits zur Vorabentscheidung vorgelegt, in dem sich eine Gesellschaft, die Dienstleistungen der häuslichen Pflege erbringt (Ambulanter Pflegedienst Kügler GmbH, im Folgenden: Klägerin) und das Finanzamt für Körperschaften I in Berlin (im Folgenden: Finanzamt) gegenüberstehen. Die Antworten des Gerichtshofes werden das vorlegende Gericht bei der Entscheidung darüber unterstützen, ob die medizinischen Leistungen und die häusliche Pflege, die die Klägerin in den Jahren 1988 bis 1990 erbrachte, der Mehrwertsteuer zu unterwerfen sind, wie das Finanzamt annimmt, oder aber, so die Klägerin, gemäß den genannten Vorschriften steuerlich zu befreien sind.

II - Rechtlicher Rahmen

A - Die gemeinschaftsrechtliche Regelung

2. Artikel 13 (mit der Überschrift Steuerbefreiungen im Inland") Teil A (mit der Überschrift Befreiungen bestimmter dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten") Absätze 1 Buchstaben b, c und g und 2 Buchstaben a und b der Sechsten Richtlinie bestimmt:

(1) Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:

...

b) die Krankenhausbehandlung und die ärztliche Heilbehandlung sowie die mit ihnen eng verbundenen Umsätze, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder unter Bedingungen, welche mit den Bedingungen für diese Einrichtungen in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik und anderen ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen gleicher Art durchgeführt beziehungsweise bewirkt werden;

c) die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht werden;

...

g) die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen der Altenheime, durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen;

...

(2) a) Die Mitgliedstaaten können die Gewährung der unter Absatz 1 Buchstaben ... g ... vorgesehenen Befreiungen für Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, von Fall zu Fall von der Erfuellung einer oder mehrerer der folgenden Bedingungen abhängig machen:

- Die betreffenden Einrichtungen dürfen keine systematische Gewinnerzielung anstreben; etwaige Gewinne, die trotzdem anfallen, dürfen nicht verteilt, sondern müssen zur Erhaltung oder Verbesserung der erbrachten Leistungen verwendet werden.

- Leitung und Verwaltung müssen im Wesentlichen ehrenamtlich durch Personen erfolgen, die weder selbst noch über zwischengeschaltete Personen ein unmittelbares oder mittelbares Interesse an den Ergebnissen der betreffenden Tätigkeit haben.

- Es müssen Preise angewendet werden, die von den zuständigen Behörden genehmigt sind oder solche, die die genehmigten Preise nicht übersteigen; bei Tätigkeiten, für die eine Preisgenehmigung nicht vorgesehen ist, müssen Preise angewendet werden, die unter den Preisen liegen, die von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen für entsprechende Tätigkeiten gefordert werden.

- Die Befreiungen dürfen nicht zu Wettbewerbsverzerrungen zuungunsten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen führen.

b) Von der in Absatz 1 Buchstaben ... g ... vorgesehenen Steuerbefreiung sind Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen ausgeschlossen, wenn

- sie zur Ausübung der Tätigkeiten, für die Steuerbefreiung gewährt wird, nicht unerlässlich sind;

- sie im Wesentlichen dazu bestimmt sind, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen durchgeführt werden."

B - Die nationale Regelung

3. Nach § 4 Nummer 14 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes von 1980 (im Folgenden: UStG) sind von der Steuer befreit:

die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Krankengymnast, Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit im Sinne des § 18 Absatz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes ...".

4. § 4 Nr. 16 UStG enthielt in der während des für das Ausgangsverfahren maßgebenden Zeitraums, d. h. in den Jahren 1988-1990, geltenden Fassung eine Steuerbefreiung für

die mit dem Betrieb der Krankenhäuser, Diagnosekliniken, und anderen Einrichtungen ärztlicher Heilbehandlung, Diagnostik oder Befunderhebung sowie der Altenheime, Altenwohnheime und Pflegeheime eng verbundenen Umsätze, wenn

a) diese Einrichtungen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts betrieben werden oder

b) bei Krankenhäusern ...

c) bei Diagnosekliniken und anderen Einrichtungen ärztlicher Heilbehandlung, Diagnostik oder Befunderhebung die Leistungen unter ärztlicher Aufsicht erbracht werden ...

d) bei Altenheimen, Altenwohnheimen und Pflegeheimen im vorangegangenen Kalenderjahr mindestens zwei Drittel der Leistungen den in § 68 Absatz 1 des Bundessozialhilfegesetzes ... genannten Personen zugute gekommen sind."

5. 1992 wurde die Einleitung des § 4 Nr. 16 UStG dahin geändert, dass die Steuerbefreiung nunmehr den folgenden Gegenstand hat:

die mit dem Betrieb der Krankenhäuser, Diagnosekliniken und anderen Einrichtungen ärztlicher Heilbehandlung, Diagnostik oder Befunderhebung sowie der Altenheime, Altenwohnheime, Pflegeheime, Einrichtungen zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen und der Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen eng verbundenen Umsätze, wenn ...".

6. Bei demselben Anlass wurde § 4 Nr. 16 ein Buchstabe e hinzugefügt, der wie folgt lautet:

e) bei Einrichtungen zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen und bei Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen im vorangegangenen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens zwei Drittel der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind".

7. Ergänzend ist zu den genannten Bestimmungen zu bemerken, dass in § 4 Nr. 14 UStG für die Definition der Einkünfte aus freiberuflichen Tätigkeiten" auf § 18 Absatz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (im Folgenden: EStG) verwiesen wird. Aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs geht jedoch hervor, dass sich diese Verweisung nur auf die Beurteilung der Art der Tätigkeiten und nicht auf die ertragsrechtliche Qualifizierung der Einkünfte für die Zwecke der Umsatzsteuer bezieht. Die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG ist daher nicht auf die Person des jeweiligen Berufsausübenden beschränkt, sondern kann auch von einer Personen- oder Kapitalgesellschaft in Anspruch genommen werden.

8. Hinsichtlich der Befreiungsmöglichkeit für häusliche Pflegedienste weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass Leistungen der Behandlungspflege, d. h. Pflegemaßnahmen, die durch eine Erkrankung veranlasst sind und im Rahmen der häuslichen Krankenpflege durch Pflegepersonal durchgeführt werden, nach verschiedenen neueren Urteilen des Bundesfinanzhofs als ähnliche" heilberufliche Tätigkeiten im Sinne von § 4 Nummer 14 UStG anzusehen sind und somit unter die in dieser Bestimmung vorgesehene Steuerbefreiung fallen. Dies gilt jedoch weder für Leistungen der Grundpflege, die beispielsweise die Körperpflege, die Zubereitung und Aufnahme der Nahrung und die den Kranken beim An- und Auskleiden sowie beim Aufstehen und Zu-Bett-Gehen geleistete Hilfe umfasst, noch für die hauswirtschaftliche Versorgung, zu der die Hilfe beim Einkaufen, bei der Reinigung der Wohnung und bei der Wäsche zählt. Für die letzteren beiden Arten der häuslichen Pflege kommt nach der Darstellung des vorlegenden Gerichts eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 UStG in der durch das StÄndG geänderten Fassung in Betracht; dies jedoch erst ab dem Inkrafttreten des StÄndG, d. h. ab dem 1. Januar 1992, da eine rückwirkende Anwendung der Änderungsvorschrift aus sachlichen Billigkeitsgründen abgelehnt worden sei.

III - Sachverhalt und Vorlagefragen

9. Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung deutschen Rechts, die in den Jahren 1988 bis 1990 einen ambulanten Pflegedienst betrieb. Sie verfolgte nach ihrer Satzung ausschließlich und unmittelbar mildtätige Zwecke durch Unterstützung von Personen, die wegen ihres körperlichen Zustands oder ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse auf die Hilfe anderer angewiesen waren. Diese Ziele, deren Verfolgung durch einen bis zum 31. Dezember 1989 befristeten Bescheid des Finanzamts vom 23. August 1988 bescheinigt worden war, sollten insbesondere durch häusliche Krankenpflege, Haushaltshilfe sowie durch Haus- und Familienpflege verwirklicht werden.

10. Mit mehreren Steuerbescheiden, die sich auf den streitigen Zeitraum bezogen, setzte das Finanzamt die von der Klägerin geschuldete Umsatzsteuer für die Zeit von 1988 bis 1990 anhand von geschätzten Besteuerungsgrundlagen mit dem ermäßigten Steuersatz fest. Die Klägerin vertrat die Ansicht, sie komme in den Genuss der Steuerbefreiungen nach § 4 Nummern 14 und 16 des UStG von 1980; sie legte zunächst beim Finanzamt Einspruch ein und erhob schließlich eine Klage. Beide Rechtsbehelfe wurden zurückgewiesen.

11. Nach Ansicht des Finanzgerichts übte die Klägerin keinen der in § 4 Nummer 14 UStG bezeichneten Berufe aus, da sie als juristische Person nicht die Merkmale für eine freiberufliche Tätigkeit erfuellen könne. Ihre Umsätze seien auch nicht nach § 4 Nummer 16 UStG steuerfrei, da sie keine Einrichtungen ärztlicher Heilbehandlung unterhalten habe (vgl. § 4 Nummer 16 Buchstabe c UStG) und die Steuerbefreiung für Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen erst 1992 eingeführt worden sei (vgl. § 4 Nummer 16 Buchstabe e UStG in der geänderten Fassung).

12. Eine andere Beurteilung sei auch dann nicht möglich, wenn man die Sechste Richtlinie und insbesondere deren Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstaben c und g berücksichtige. Die Voraussetzungen des Buchstaben c erfuellten nämlich ebenfalls nur natürliche Personen mit den Qualifikationsmerkmalen der ärztlichen oder arztähnlichen Berufe; die Klägerin könne auch nicht die in Buchstabe g vorgesehene Steuerbefreiung für als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen in Anspruch nehmen, weil die entsprechende Anerkennung der Einrichtungen zur ambulanten Pflege erst ab 1992 aufgrund der Änderung des § 4 Nummer 16 UStG durch das StÄndG erfolgt sei.

13. Die Klägerin legte hiergegen Revision beim Bundesfinanzhof ein, mit der sie Verstöße gegen § 4 Nummern 14 und 16 des UStG 1980 und gegen Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstaben c und g der Sechsten Richtlinie rügte.

14. In seinem Vorlagebeschluss setzt sich der Bundesfinanzhof in erster Linie mit der Frage der Anwendbarkeit der Steuerbefreiung nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie auf Leistungen juristischer Personen auseinander. Er sieht sich in seinen Zweifeln durch das Urteil Gregg bestärkt, in dem der Gerichtshof festgestellt hat, dass die meisten Bestimmungen [des Artikels 13 Teil A Absatz 1 der Sechsten Richtlinie festlegen], welche Wirtschaftsteilnehmer die von der Steuer befreiten Leistungen erbringen können" (Randnr. 13), und dass in einigen der in Artikel 13 Teil A Absatz 1 der Sechsten Richtlinie enthaltenen Tatbestände der Begriff der ,Einrichtung verwendet wird, während in anderen die betreffende Tätigkeit durch Berufsbezeichnungen umschrieben wird, die sich auf eine Einzelperson beziehen, wie etwa die ärztlichen und arztähnlichen Berufe (Buchstabe c)" (Randnr. 14). Der Gerichtshof hat trotzdem in dem Urteil entschieden, dass [d]er Grundsatz der steuerlichen Neutralität [es] verbietet ..., [dass] die Steuerbefreiung [nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstaben b und g] von der Rechtsform [abhängt], in der der Steuerpflichtige seine Tätigkeit ausübt" (Randnr. 20).

15. Im Hinblick auf die verschiedenartigen Leistungen, die von der Klägerin erbracht werden, stellt sich das vorlegende Gericht außerdem die Frage, ob neben der Behandlungspflege auch die Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung - zumindest als Nebenleistungen im Rahmen der Behandlungspflege - unter die Steuerbefreiung nach Buchstabe c fallen können. Der Bundesfinanzhof bezieht sich dabei auf ein Urteil des Gerichtshofes, das nach seiner Auffassung einer Steuerbefreiung für sämtliche Leistungen, die nicht zur Behandlungspflege gehören, entgegenstehen könnte. Im Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich hat der Gerichtshof festgestellt, dass es sich bei den Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der ... ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht werden" um Leistungen handelt, die außerhalb von Krankenanstalten im Rahmen einer auf Vertrauen gegründeten Beziehung zwischen Patient und Behandelndem erbracht werden, wobei diese Beziehung normalerweise in dessen Praxisräumen zum Tragen kommt" (Randnr. 33).

16. Für den Fall, dass nicht alle von der Klägerin erbrachten Leistungen unter die Steuerbefreiung nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie fallen, stellt sich der Bundesfinanzhof schließlich die Frage, ob im vorliegenden Fall nicht möglicherweise Buchstabe g anwendbar ist. Dazu müsse jedoch geprüft werden, ob sich die Klägerin auf diese Bestimmung berufen könne, die erst nach dem Zeitraum, auf den sich die Steuerbescheide des Finanzamts bezögen, in innerstaatliches Recht umgesetzt worden sei. Da sich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ein Einzelner auf Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, gegenüber allen innerstaatlichen, nicht richtlinienkonformen Vorschriften berufen [kann]", fragt sich der Bundesfinanzhof, ob diese Voraussetzungen vorliegend erfuellt sind.

17. Aufgrund dieser Erwägungen hat der Bundesfinanzhof dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Gilt die Steuerbefreiung nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie 77/388/EWG nur, wenn die Heilbehandlung von einer Einzelperson" ausgeführt wird, oder ist die Befreiung von der Rechtsform des behandelnden Unternehmers unabhängig?

2. Falls die Befreiung auch bei Kapitalgesellschaften anwendbar ist: Erfasst die Befreiung insgesamt oder teilweise die Umsätze einer Kapitalgesellschaft durch ambulante Krankenpflege (Behandlungspflege, Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung), die von geprüften Krankenschwestern und Krankenpflegern erbracht wird?

3. Fallen die bezeichneten Leistungen unter Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe g der Richtlinie 77/388/EWG, und kann sich ein Steuerpflichtiger auf diese Bestimmung berufen?

IV - Rechtliche Würdigung

A - Zur ersten Vorlagefrage

1. Vorbringen der Beteiligten

18. Mit Ausnahme des Finanzamts haben alle am vorliegenden Verfahren Beteiligten vorgeschlagen, die erste Frage dahin zu beantworten, dass die Steuerbefreiung nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie nicht von der Rechtsform des Steuerpflichtigen abhängt, der die Leistungen erbringt, und dass es folglich keine Rolle spielt, ob es sich bei diesem um eine natürliche oder um eine juristische Person handelt.

19. Für eine solche Antwort sprächen vor allem die Artikel 2 und 4 der Sechsten Richtlinie: Artikel 2, weil er klarstelle, dass Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen - und nicht die Personen, die die entsprechende Tätigkeit ausübten - der Mehrwertsteuer unterlägen; Artikel 4, weil er bestimme, dass für die Zwecke der Richtlinie als Steuerpflichtiger gelte, wer eine ... [wirtschaftliche Tätigkeit] selbständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis", und damit bestätige, dass die Besteuerung nicht von der Rechtsform des Steuerpflichtigen abhänge.

20. Außerdem wird darauf verwiesen, dass Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c auf die Art oder den Charakter der betreffenden Leistungen - Heilbehandlungen" - und nicht auf die Rechtsform der Person abstelle, die sie erbringe; die Angabe der Berufsgruppen, die zur Erbringung dieser Leistungen berechtigt seien, diene nur der Definition der Leistungen. Zudem könnten nur natürliche Personen für eine juristische Person Leistungen erbringen; soweit die natürlichen Personen die erforderlichen Qualifikationen besäßen und in Ausübung ihres Berufes handelten, könnten folglich auch juristische Personen über sie eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, die der Steuerbefreiung nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie unterliege.

21. Allgemeiner betrachtet gehe es um den der Sechsten Richtlinie zugrunde liegenden Grundsatz der steuerlichen Neutralität, der es verbiete, dass Wirtschaftsteilnehmer, die die gleichen Umsätze bewirkten, bei der Erhebung der Mehrwertsteuer unterschiedlich behandelt würden. Dieser Grundsatz wäre verletzt, wenn die in Rede stehende Steuerbefreiung von der Rechtsform abhinge, in der der Steuerpflichtige die entsprechende Tätigkeit ausübte. Der Gerichtshof habe sich in dem bereits erwähnten Urteil Gregg, bei dem es um die Anwendung einer Regelung für Einrichtungen" auf natürliche Personen gegangen sei, auf den Grundsatz der steuerlichen Neutralität gestützt (vgl. Randnr. 20). Er habe dabei anerkannt, dass der Wortlaut von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstaben b und g der Sechsten Richtlinie für eine andere Auslegung sprechen könnte und dass die Begriffe, mit denen die Steuerbefreiungen nach Artikel 13 der Sechsten Richtlinie umschrieben sind, ... eng auszulegen sind, da sie Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Umsatzsteuer unterliegt" (Randnr. 12). Dennoch könne nach Auffassung des Gerichtshofes aus dem Umstand, dass in Artikel 13 Teil A Absatz 1 der Sechsten Richtlinie unterschiedliche Bezeichnungen für die dort erwähnten Wirtschaftsteilnehmer benutzt werden, nicht geschlossen werden, dass die in dieser Bestimmung vorgesehenen Steuerbefreiungen - soweit ausdrücklich von Umsätzen einer ,Einrichtung die Rede ist [vgl. Buchstaben b und g] - juristischen Personen vorbehalten wären, während sie in den anderen Fällen auch von natürlichen Personen in Anspruch genommen werden könnten" (Randnr. 15). Vielmehr sei der Begriff der Einrichtung grundsätzlich weit genug, um auch natürliche Personen zu erfassen"; der Gemeinschaftsgesetzgeber habe mit der Verwendung [dieses Begriffes] nicht [beabsichtigt], die in dieser Bestimmung vorgesehenen Steuerbefreiungen auf Umsätze juristischer Personen zu beschränken, sondern [wollte] den Anwendungsbereich dieser Steuerbefreiungen auch auf Umsätze natürlicher Personen erstrecken" (Randnr. 17).

22. Schließlich sei die Steuerbefreiung für Heilbehandlungen unabhängig von der Rechtsform des Steuerpflichtigen, der sie ausführe, durch ihren Zweck gerechtfertigt, der darin bestehe, die Krankheitskosten niedrig zu halten und den Gesundheitsschutz zu fördern.

23. Demgegenüber macht das Finanzamt geltend, die Auslegung, nach der die Steuerbefreiung nur für natürliche Personen gelte, lasse sich am besten mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes und dem Wortlaut der zu prüfenden Vorschriften vereinbaren. Es verweist vor allem darauf, dass die in Artikel 13 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befreiungen [nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes] eigenständige Begriffe des Gemeinschaftsrechts [darstellen] ... Dies muss auch für spezielle Bedingungen gelten, von denen die Gewährung dieser Befreiungen abhängig gemacht wird, und insbesondere für diejenigen, die die Eigenschaft oder Identität des Wirtschaftsteilnehmers betreffen, der die von der Befreiung erfassten Leistungen erbringt." Ferner [sind] die Begriffe, mit denen die Steuerbefreiungen nach Artikel 13 ... umschrieben sind, eng auszulegen".

24. Außerdem könne sich der eindeutige Wortlaut der zu prüfenden Vorschrift nur auf Tätigkeiten natürlicher Personen beziehen. Der Gerichtshof habe bei der Auslegung der Steuerbefreiungen nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 festgestellt, dass in einigen dieser Tatbestände der Begriff der Einrichtung" verwendet werde, während in anderen die von der Steuer befreite Tätigkeit durch Berufsbezeichnungen - wie die ärztlichen und arztähnlichen Berufe in Buchstabe c - umschrieben werde, die sich offensichtlich auf natürliche Personen bezögen. Daraus werde ersichtlich, dass eine Kapitalgesellschaft nur solche Befreiungstatbestände für sich in Anspruch nehmen könne, in denen auf den Begriff der Einrichtung" Bezug genommen werde. Dass der Gerichtshof im Urteil Gregg die Steuerbefreiungen für Einrichtungen" in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstaben b und g auf natürliche Personen angewandt habe, berechtige nicht dazu, denselben Ansatz im Umkehrschluss auf den vorliegenden Fall anzuwenden und den Befreiungstatbestand in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c auf Kapitalgesellschaften zu erstrecken.

25. Falls der Gerichtshof dennoch zu der Auffassung gelangen sollte, dass die Bestimmung auf juristischer Personen anwendbar sei, macht das Finanzamt schließlich geltend, dass sowohl die Gesellschafter als auch die Geschäftsführer der Kapitalgesellschaft die erforderlichen ärztlichen und arztähnlichen Qualifikationen aufweisen müssten (was vorliegend bei der Geschäftsführerin der Klägerin nicht der Fall sei). Nur eine solche Auslegung, die im Übrigen durch den Wortlaut der Vorschrift bestätigt werde, erlaube es, bestimmte Tätigkeiten unabhängig von der Rechtsform des Wirtschaftsteilnehmers von der Steuer zu befreien.

2. Würdigung

26. Ich bin der Auffassung, dass die erste der beiden vorgeschlagenen Auslegungen bei weitem den Vorzug verdient und eigentlich keine oder fast keine weiteren Ausführungen zu ihrer Begründung erforderlich sind, es sei denn, um eine Reihe von Einwänden des Finanzamts zu widerlegen.

27. Grundsätzlich möchte auch ich zunächst darauf hinweisen, dass die Befreiungen autonome Begriffe des Gemeinschaftsrechts darstellen, die im Gesamtzusammenhang des durch die Richtlinie eingeführten gemeinsamen Mehrwertsteuersystems zu sehen sind". Ich tue dies jedoch aus Gründen, die denen des Finanzamts entgegengesetzt sind, nämlich um darzulegen, dass die Artikel 2 bis 4 der Sechsten Richtlinie, in denen der persönliche und sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie festgelegt wird, nicht auf die Rechtsform des Steuerpflichtigen Bezug nehmen, der die besteuerte wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. Die Erstreckung der Steuerbefreiung auf Heilbehandlungen, die von juristischen Personen erbracht werden, verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der engen Auslegung von Artikel 13 der Sechsten Richtlinie, da die Befreiung nach wie vor nur auf Heilbehandlungen anwendbar ist, die von hierfür qualifizierten Personen erbracht werden und die Ausdehnung also nicht dazu führt, dass die Bestimmung auf Fälle angewandt wird, die in ihr nicht vorgesehen sind. Die Gegenmeinung setzt vielmehr gerade die Schlussfolgerung voraus, die sie zu begründen hätte.

28. Die hier vorgeschlagene Lösung scheint mir außerdem - abgesehen davon, dass sie dem Ziel der Senkung der Krankheitskosten entspricht - besser mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität vereinbar zu sein. Sie erlaubt es nämlich, alle Wirtschaftsteilnehmer, die die gleiche Tätigkeit ausüben, gleich zu behandeln, und vermeidet damit Beeinflussungen der Wahl der rechtlichen Gestaltung für die Ausübung der Tätigkeit und Eingriffe in die Wettbewerbsbedingungen, die sich aus dieser Wahl ergeben können.

29. Die Auslegung des Finanzamts wird auch nicht durch den Wortlaut der streitigen Bestimmung gestützt. Wie nämlich die Vertreter der Gegenmeinung zu Recht einwenden, setzt Buchstabe c nach seinem Wortlaut nicht voraus, dass die Heilbehandlung von einem Steuerpflichtigen erbracht wird, der eine bestimmte Rechtsform aufweist. Für die Steuerbefreiung der Leistungen müssen zwei Voraussetzungen erfuellt sein, die beide unabhängig von der Rechtsform des Steuerpflichtigen sind: Es muss sich um Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" handeln, die von Personen erbracht werden, die die hierfür erforderlichen beruflichen Qualifikationen besitzen. Aufgrund ähnlicher Erwägungen hat sich der Gerichtshof im Urteil Gregg dafür ausgesprochen, Steuerbefreiungen für Einrichtungen" auf Tätigkeiten natürlicher Personen anzuwenden, da das Tatbestandsmerkmal der abgegrenzten Einheit, die eine bestimmte Funktion erfuellt ... nicht nur auf juristische Personen [zutrifft], sondern auch auf eine oder mehrere natürliche Personen, die ein Unternehmen betreiben" (Randnr. 18).

30. Außerdem möchte ich darauf hinweisen, dass die vom Finanzamt angeführte Rechtsprechung nicht zu den Schlussfolgerungen berechtigt, zu denen die Behörde gelangt. Der Gerichtshof hat in Randnummer 20 des Urteils Bulthuis-Griffioen nicht - wie das Finanzamt annimmt - festgestellt, dass die Steuerbefreiungen in Artikel 13, die nicht auf den Begriff der Einrichtung" Bezug nehmen, sondern lediglich Berufsbezeichnungen enthalten, ausschließlich auf natürliche Personen anwendbar seien. In Wirklichkeit hat sich der Gerichtshof für das genaue Gegenteil ausgesprochen; er hat nämlich entschieden, dass in diesen Fällen auch natürliche Personen" (Hervorhebung von mir) die Befreiung in Anspruch nehmen können. Das bedeutet, dass die Steuerbefreiung auch dann, wenn sie durch Berufsbezeichnungen umschrieben wird, die sich auf eine Einzelperson beziehen", für Leistungen von Wirtschaftsteilnehmern beansprucht werden kann, die als juristische Personen tätig werden.

31. Was schließlich das Vorbringen des Finanzamts angeht, wonach die Befreiung, falls sich der Gerichtshof für die von mir vertretene Auffassung entscheiden sollte, nur unter der Voraussetzung gewährt werden könne, dass sowohl die Gesellschafter als auch die Geschäftsführer des Unternehmens die erforderliche berufliche Qualifikation aufwiesen, so scheint mir, dass sich eine solche Voraussetzung weder nach den Bestimmungen der Richtlinie noch nach dem Zweck der Befreiung rechtfertigen lässt. Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c verlangt nämlich nur, dass die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin im Rahmen der Ausübung der ärztlichen und arztähnlichen Berufe und damit von entsprechend qualifizierten Personen erbracht werden.

32. Im Ergebnis ist auf die erste Vorlagefrage meines Erachtens zu antworten, dass die Steuerbefreiung nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie von der Rechtsform des Steuerpflichtigen, der die Heilbehandlungen erbringt, unabhängig ist.

B - Zur zweiten Vorlagefrage

33. Falls die erste Frage - wie ich das vorgeschlagen habe - dahin beantwortet wird, dass die Befreiung auch auf Kapitalgesellschaften anwendbar ist, will der Bundesfinanzhof mit der zweiten Frage wissen, ob die Befreiung insgesamt oder teilweise die Umsätze einer Kapitalgesellschaft durch ambulante Krankenpflege (Behandlungspflege, Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung) erfasst, die durch geprüftes Krankenpflegepersonal erbracht wird. Im Wesentlichen geht es dem vorlegenden Gericht um die Bedeutung des Begriffes der Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c in Bezug auf den vorliegenden Fall.

1. Vorbringen der Beteiligten

34. Mit Ausnahme der Klägerin haben alle Beteiligten, die sich zu dieser Frage geäußert haben (das Finanzamt, die deutsche Regierung und die Kommission) die Auffassung vertreten, die Befreiung nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c erfasse nur Leistungen der Behandlungspflege, die im Zusammenhang mit der Vorbeugung, Diagnose oder Behandlung einer Erkrankung stuenden, und nicht die sonstigen von der Klägerin ausgeübten Tätigkeiten (Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung), die als solche nicht zur Genesung des Erkrankten beitrügen, da sie nicht direkt einen therapeutischen Zweck verfolgten.

35. Unter Berufung auf den Grundsatz, dass die Steuerbefreiungen nach Artikel 13 der Sechsten Richtlinie eng auszulegen seien, machen die Vertreter dieser Auffassung geltend, nur die Leistungen der Heilbehandlung im eigentlichen Sinne stuenden in engem Zusammenhang mit dem Erhalt der Gesundheit und der Genesung des Erkrankten. Die Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung als solche hätten dagegen keinen therapeutischen Zweck und würden im Allgemeinen von Personen erbracht, die nicht den ärztlichen oder arztähnlichen (Krankenpfleger) Berufen angehörten, was die Richtlinie jedoch voraussetze. Selbst wenn sie von entsprechend qualifizierten Personen erbracht würden, hätten sie jedenfalls keinen direkten medizinischen Bezug; sie könnten daher auch dann nicht unter die Steuerbefreiung fallen, wenn dadurch eine Gesamtheit verschiedener Leistungen (d. h. medizinische und nichtmedizinische Leistungen) eine einheitliche steuerliche Behandlung erfahren würde.

36. Im Zusammenhang mit der Steuerbefreiung nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c sei ferner zu berücksichtigen, dass die dort vorgesehenen Heilbehandlungen außerhalb von Krankenanstalten erbracht werden müssten, da Krankenhausleistungen bereits von Buchstabe b der Bestimmung erfasst würden. Es sei jedoch nicht erforderlich, dass die Leistungen in den Praxisräumen des Behandelnden erbracht würden; der Gerichtshof habe nämlich im Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich mit der Feststellung, dass die von Buchstabe c erfassten Leistungen im Rahmen einer auf Vertrauen gegründeten Beziehung zwischen Patient und Behandelndem erbracht werden, wobei diese Beziehung normalerweise in dessen Praxisräumen zum Tragen kommt" (Randnr. 33, Hervorhebung von mir) offensichtlich nicht beabsichtigt, die Steuerbefreiung auf Heilbehandlungen zu beschränken, die unter den dort beschriebenen Umständen erfolgten.

37. Die Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung könnten auch nicht als akzessorisch zu den Leistungen der Behandlungspflege von der Steuer befreit werden. Anders als Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b sehe Buchstabe c dieser Bestimmung nicht vor, dass neben den Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht würden, auch die mit ihnen eng verbundenen Umsätze" steuerfrei seien. Selbst wenn im Rahmen des Buchstaben c auch akzessorische Leistungen grundsätzlich befreit wären, käme dies für die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung wegen ihres Charakters und des mit ihnen verbundenen Aufwands nicht in Betracht.

38. Eine andere Entscheidung wäre nach Auffassung der Kommission nur dann angebracht, wenn die Leistungen untrennbare Bestandteile der medizinischen Hauptleistung wären. Der Gerichtshof habe nämlich im Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich hinsichtlich der Steuerbefreiung nach Buchstabe c für die Lieferung bestimmter Gegenstände, die im Zusammenhang mit der Ausübung der ärztlichen und arztähnlichen Berufe gestanden hätten, folgende Feststellung getroffen: Buchstabe c bezieht sich ... lediglich auf die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin ... und schließt, abgesehen von mit der Leistung untrennbar verbundenen kleineren Lieferungen von Gegenständen, Lieferungen von Gegenständen im Sinne des Artikels 5 der Richtlinie aus" (Randnr. 35). Die Kommission folgert aus dieser Rechtsprechung und aus dem Begriff der einheitlichen Leistung", wie er vom Gerichtshof an anderer Stelle definiert worden sei, dass die Steuerbefreiung möglicherweise auf Leistungen erstreckt werden könne, die, auch wenn sie keine Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" darstellten, untrennbare Teile einer spezifischen medizinischen Behandlung bildeten.

39. Die Klägerin stellt sich auf den entgegengesetzten Standpunkt. Wenn ich ihre nicht durchweg klare Argumentation richtig verstanden habe, beanstandet sie die Ausführungen des vorlegenden Gerichts zu diesem Punkt (vgl. Nr. 8 der vorliegenden Schlussanträge) und macht unter Hinweis auf die geschichtliche Entwicklung der einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften anhand verschiedener praktischer Beispiele geltend, dass im deutschen Recht nicht klar feststehe, ob die Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung von der Steuerbefreiung nach Buchstabe c ausgeschlossen seien, und dass die Abgrenzung zwischen der medizinischen Heilbehandlung und anderen Arten allgemeiner häuslicher Pflege, die von geprüftem Pflegepersonal geleistet werde, nicht einfach sei. Auch die hier zu prüfenden Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts enthielten dafür keine sicheren Anhaltspunkte. Im Übrigen stellten die Befreiungstatbestände der Buchstaben c und g ein zusammenhängendes System dar, dessen Bestandteile nebeneinander zur Anwendung kämen und sich wechselseitig ergänzten. Soweit das System der Steuerbefreiungen nach der Sechsten Richtlinie im Hinblick auf die dem Verfahren zugrunde liegenden Leistungen Lücken aufweise, seien diese zu schließen, wobei dem Schutz des öffentlichen Interesses an den Systemen der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit Rechnung zu tragen sei. Nach Ansicht der Klägerin erfasst die Steuerbefreiung nach Buchstabe c daher auch die Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung, soweit sie von geprüftem Pflegepersonal erbracht werden, während die Befreiung nach Buchstabe g für sämtliche Leistungen der häuslichen Krankenpflege einschließlich der Behandlungspflege gelte, und zwar unabhängig davon, ob die Leistungen durch ausgebildetes Personal erbracht würden.

2. Würdigung

40. Ich möchte zunächst darauf hinweisen, dass Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin nur dann nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c von der Steuer befreit sind, wenn sie im Rahmen der Ausübung der ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht werden. Während der Begriff der Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" eine gemeinschaftsrechtliche Bedeutung hat, bleibt die Definition der in der Bestimmung erwähnten Berufe dem nationalen Recht überlassen, da Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie insoweit ausdrücklich die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten vorsieht.

41. Der Begriff Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" bedarf einer Klärung, und zwar sowohl was den Ort angeht, an dem die Behandlung erbracht werden muss, damit sie in den Genuss der Steuerbefreiung kommt, als auch hinsichtlich der Leistungsarten, die in den Anwendungsbereich der in Rede stehenden Bestimmung fallen.

42. Bezüglich der ersten Frage lassen sich dem Wortlaut von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c - wie auch die Beteiligten vortragen - keine Anhaltspunkte entnehmen. Wie ich bereits erwähnt habe, sind nach Buchstabe b dieser Bestimmung Leistungen von der Steuer befreit, die in Krankenhäusern sowie in Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik und anderen ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen gleicher Art erbracht werden. Geht man davon aus, dass mit diesen beiden Buchstaben in Artikel 13 Teil A Absatz 1 der Richtlinie die Steuerbefreiungen für Leistungen der Heilbehandlung im engeren Sinne abschließend geregelt werden sollten und dass nach Buchstabe b alle Leistungen befreit werden, die in Krankenhäusern im weiteren Sinne erbracht werden, so folgt daraus, dass in Buchstabe c diejenigen Heilbehandlungen befreit werden sollen, die außerhalb von Krankenhäusern erbracht werden, sei es in den Praxisräumen des Behandelnden, in der Wohnung des Patienten oder an einem anderen Ort.

43. Für die Beantwortung der Frage, welche Arten von Leistungen unter den Begriff der Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin nach Buchstabe c fallen können, scheint mir dagegen das Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache D. besonders bedeutsam zu sein. Der Gerichtshof führt darin aus, eine Prüfung aller Sprachfassungen des Artikels 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie ergebe, dass in allen Fassungen außer der italienischen der Begriff der Heilbehandlungen in Bezug auf medizinische Leistungen gebraucht werde, die die Gesundheit des Menschen beträfen. Die deutsche, die französische, die finnische und die schwedische Sprachfassung verwendeten den Begriff der therapeutischen Behandlungen oder der Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin. Der Gerichtshof folgert daraus, dass der Begriff der ,Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin nicht so ausgelegt werden [kann], dass er medizinische Eingriffe umfasst, die zu einem anderen Zweck als dem der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen durchgeführt werden" (Randnr. 18).

44. Ich kann auch nicht die Auffassung der Klägerin teilen, nach der sämtliche von ihr erbrachten Leistungen dem Gemeinwohl dienen und daher von der Steuer zu befreien sind, weil die mit ihnen verbundenen Kosten zumindest in der Bundesrepublik Deutschland großenteils von der Sozialhilfe oder den Krankenkassen getragen würden. Hierzu genügt der Hinweis auf das bereits erwähnte Urteil D., in dem der Gerichtshof entschieden hat, dass es für die Steuerbefreiung einer bestimmten wirtschaftlichen Tätigkeit wie der Erbringung medizinischer Sachverständigenleistungen unbeachtlich sei, ob diese Tätigkeit dem Gemeinwohl dienen könne (Randnr. 20). Der Gerichtshof verweist in dem Urteil auf seine Rechtsprechung, in der er festgestellt hat, dass durch Artikel 13 Teil A der Sechsten Richtlinie nicht alle dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten [von der Mehrwertsteuer] befreit [werden], sondern nur diejenigen, die einzeln aufgeführt und sehr genau beschrieben sind".

45. Meines Erachtens lässt sich daraus der Schluss ziehen, dass von den verschiedenen Leistungsarten, die in der zweiten Vorlagefrage aufgeführt werden, nur die Leistungen der Behandlungspflege von der Steuer befreit sind, d. h. Leistungen, die im Zusammenhang mit der Vorbeugung, Diagnose oder Behandlung stehen, und die außerhalb von Krankenhäusern im Rahmen der Ausübung der ärztlichen oder arztähnlichen Berufe erbracht werden.

46. Auch die Möglichkeit, die streitigen Leistungen als Nebenleistungen zu den Heilbehandlungen im eigentlichen Sinne von der Steuer zu befreien, scheint mir nicht in Betracht zu kommen. Die Befreiungstatbestände des Artikels 13 Teil A Absatz 1 erstrecken gewöhnlich - nicht allerdings im Fall des Buchstaben c - die Steuerbefreiung ausdrücklich auf die eng mit der Hauptleistung verbundenen Umsätze (vgl. z. B. Buchstaben a, b, i und n); selbst in diesen Fällen verfolgt der Gerichtshof jedoch offensichtlich einen restriktiven Ansatz. Vor allem scheint mir jedoch, dass sich aus dem Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich eine Bestätigung der ablehnenden Auffassung ergibt; der Gerichtshof hat darin gerade in Bezug auf den hier einschlägigen Befreiungstatbestand die Möglichkeit einer Erstreckung der Steuerbefreiung auf Nebenleistungen zu der Behandlung ausgeschlossen, wobei er lediglich einen Vorbehalt für den besonderen Ausnahmefall gemacht hat, dass es sich um Leistungen handelt, die bei der Heilbehandlung unbedingt notwendig" sind (in der betreffenden Rechtssache ging es um Lieferungen kleineren Umfangs", die in tatsächlicher und wirtschaftlicher Hinsicht" mit der befreiten Dienstleistung untrennbar verbunden waren).

47. Damit die Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c von der Steuer befreit werden können, müsste der Nachweis erbracht werden, dass die Voraussetzungen der soeben erwähnten Rechtsprechung erfuellt sind. Abgesehen davon, dass es im vorliegenden Fall schwierig sein dürfte, das Bestehen einer derartigen Verbindung zu beweisen, ist zu berücksichtigen, dass eine solche tatsächliche Prüfung nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht auf Gemeinschaftsebene durchgeführt werden kann, sondern Sache des vorlegenden Gerichts ist.

48. Ich schlage daher vor, auf die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass die Steuerbefreiung nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie nur auf Umsätze durch Leistungen der Heilbehandlung, die - auch ambulant - von geprüftem Krankenpflegepersonal erbracht werden, sowie durch unbedingt notwendige Nebenleistungen anwendbar ist, die in tatsächlicher und wirtschaftlicher Hinsicht mit den Behandlungsleistungen untrennbar verbunden sind.

C - Zur dritten Vorlagefrage

49. Mit der letzten Frage, die für den Fall gestellt wurde, dass nach Auffassung des Gerichtshofes nicht sämtliche von der Klägerin erbrachten Leistungen unter die Steuerbefreiung nach Buchstabe c fallen, will der Bundesfinanzhof wissen, ob die Leistungen, die nicht zur Behandlungspflege gehören, d. h. die Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung, in den Anwendungsbereich von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe g der Sechsten Richtlinie fallen und ob diese Bestimmung unmittelbare Wirkung hat, so dass sich ein Steuerpflichtiger vor den nationalen Gerichten auf sie berufen kann.

1. Erster Teil der Frage

50. Der erste Teil der Frage scheint mir keine besonderen Schwierigkeiten zu bereiten. Im Ergebnis sind sich alle Beteiligten und der Bundesfinanzhof selbst darin einig, dass die Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung in den Anwendungsbereich des Buchstaben g fallen, da sie eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden sind. Insbesondere machen die Kommission und die deutsche Regierung geltend, aus dem Wortlaut des Artikels 13 Teil A Absatz 1 der Sechsten Richtlinie folge ohne weiteres, dass die Leistungen der Behandlungspflege nach Buchstabe c von der Steuer befreit seien, während die Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung regelmäßig mit der Sozialfürsorge zusammenhingen und daher grundsätzlich unter den Begriff der eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen nach Buchstabe g fielen. Diese Lösung habe zudem den Vorteil, dass es zu keiner Überschneidung zwischen den verschiedenen Steuerbefreiungstatbeständen des Artikels 13 Teil A Absatz 1 komme; dadurch könne der Grundsatz der engen Auslegung gewahrt werden, der, wie bereits dargelegt, wegen des allgemeinen Grundsatzes, nach dem jede Leistung der Mehrwertsteuer unterliege, auf diese Ausnahmetatbestände anzuwenden sei.

51. Das Vorbringen der Klägerin, die ebenfalls auf die enge Verbindung der fraglichen Leistungen mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit abstellt, weicht hiervon nur teilweise ab. Nach Auffassung der Klägerin ergibt sich diese Verbindung nicht nur aus der Art ihrer Tätigkeit, sondern auch aus der Finanzierungsweise, da die mit ihren Leistungen verbundenen Kosten großenteils von den Krankenkassen und den Sozialhilfeträgern übernommen würden. Das Vorbringen der Klägerin unterscheidet sich insofern von dem der anderen Beteiligten, als nach Ansicht der Klägerin sämtliche Leistungen der häuslichen Krankenpflege im Sinne der in der zweiten Vorlagefrage enthaltenen Definition, d. h. die Behandlungspflege, die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung von der Steuer befreit sind, und zwar nicht nur, wie bereits dargelegt, auf der Grundlage von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c, sondern auch nach dem hier zu untersuchenden Buchstaben g. Soweit ich nämlich die Antworten der Klägerin auf die Vorlagefragen verstehe, soll der Unterschied zwischen den beiden Tatbeständen nicht in der Art der befreiten Leistungen, sondern in der beruflichen Qualifikation der Steuerpflichtigen liegen, die diese Leistungen erbringen.

52. Ich kann mich nach alledem nur der Auffassung der Mehrheit der Beteiligten anschließen, wobei ich dieselben Gründe anführe, die auch von den Vertretern dieser Ansicht geltend gemacht werden. Ich möchte lediglich hinzufügen, dass auch der Umstand, dass die Beschäftigten der im Steuerbefreiungstatbestand genannten Einrichtungen - wie im vorliegenden Fall - in der Wohnung der Patienten und nicht in Altenheimen tätig ist, nicht zu einer anderen Beurteilung führen kann. Wie bei der entsprechenden Auslegung des Buchstaben c ist auch die Bezugnahme auf Altenheime" in Buchstabe g meines Erachtens nicht als Beschränkung der von der Steuerbefreiung erfassten Tätigkeiten bestimmt, sondern als Bestandteil der Definition der Art dieser Tätigkeit und damit des sachlichen Anwendungsbereichs der Vorschrift.

53. Auf den ersten Teil der dritten Frage ist daher zu antworten, dass die Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung in den Anwendungsbereich von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe g der Sechsten Richtlinie fallen.

2. Zweiter Teil der Frage

54. Die Beantwortung des zweiten Teils der Frage ist schwieriger, geht es doch darum, ob Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe g der Sechsten Richtlinie unmittelbare Wirkung hat, so dass sich ein Steuerpflichtiger vor den nationalen Gerichten auf diese Vorschrift berufen kann. In dieser Frage läuft auch das Vorbringen der am vorliegenden Verfahren Beteiligten zumindest ab einem bestimmten Punkt auseinander. Es ist zwar unstreitig, dass sich die Frage nur für den Zeitraum vor 1992, dem Jahr des Inkrafttretens des StÄndG, stellt, und dass Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich klar, unbedingt und hinreichend genau sind, unmittelbare Wirkung haben können, so dass sich die Einzelnen vor den nationalen Gerichten auf sie berufen können. Im Übrigen bestehen jedoch, wie die nachstehende Zusammenfassung zeigt, tiefgreifende Unterschiede zwischen den Auffassungen der Beteiligten.

a) Vorbringen der Beteiligten

55. Die deutsche Regierung und das Finanzamt sprechen sich strikt gegen eine unmittelbare Anwendbarkeit von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe g aus, wobei sie vor allem darauf verweisen, dass die dort geregelte Steuerbefreiung auch anderen Einrichtungen als solchen des öffentlichen Rechts gewährt werden könne, dies jedoch nur unter der Voraussetzung, dass sie von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter" anerkannt seien. Solange diese förmliche Anerkennung" nicht gewährt worden sei, könne die Vorschrift nicht auf die betreffende Einrichtung angewandt werden; sie sei daher nicht unbedingt", so dass es an einer wesentlichen Voraussetzung für die unmittelbare Geltung fehle.

56. Der vorliegende Fall unterscheide sich von dem, über den der Gerichtshof in der Rechtssache Becker zu entscheiden gehabt habe. In dieser Rechtssache sei es darum gegangen, wie sich der Einleitungssatz zu Teil B in Artikel 13 (der mit dem Einleitungssatz zu Teil A Absatz 1 übereinstimmt, vgl. Nr. 2 der vorliegenden Schlussanträge), in dem mögliche Bedingungen der Mitgliedstaaten für die Durchführung der Richtlinie angedeutet würden, auf die unmittelbare Geltung einer Bestimmung der Richtlinie auswirke; im vorliegenden Fall nehme die Bestimmung dagegen ausdrücklich auf eine Maßnahme des Mitgliedstaats Bezug, der bestimme, wann, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang die Anerkennung gewährt werde.

57. Damit sei offensichtlich, dass diese Anerkennung" eine konstitutive" Bedeutung für den sozialen Charakter der Einrichtung habe; sie setze eine förmliche Maßnahme des Gesetzgebers des betreffenden Mitgliedstaats voraus. Die Anerkennung könne weder durch einen Verwaltungsakt ausgesprochen werden noch lasse sie sich im Einzelfall aus einer stillschweigenden Verwaltungspraxis herleiten; dies gelte nicht nur, weil als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen" im deutschen Recht vor 1992 nicht vorgesehen gewesen seien, sondern auch, weil jede andere Lösung eine erweiternde Auslegung der Befreiungstatbestände des Artikels 13 voraussetzen würde, die jedoch, wie bereits mehrfach erwähnt, eng auszulegen seien. Außerdem würde die Zulassung einer stillschweigend oder durch Verwaltungsakt im Einzelfall erteilten Anerkennung unweigerlich zu einer Verletzung des Grundsatzes der Rechtssicherheit führen.

58. Die Anerkennung könne auch nicht durch Dritte, wie durch Krankenkassen, im Rahmen des Abschlusses von Verträgen über die Erbringung von Leistungen der ambulanten Pflege durch die betreffenden Einrichtungen erteilt werden. Nur der Mitgliedstaat als Begünstigter der Steuervorschriften könne auf die Steuerschuld verzichten und eine Steuerbefreiung gewähren; dies könne nach der deutschen Verfassung nur durch ein Gesetz geschehen. Eine Anerkennung, die nur zwecks Erstattung der Kosten für die erbrachten Leistungen an die Krankenversicherten erfolge, könne keine Auswirkungen im steuerlichen Bereich haben, der sich vom Versicherungsbereich unterscheide.

59. Jedenfalls werde in Artikel 249 EG ausdrücklich anerkannt, dass die Mitgliedstaaten, die die Gemeinschaftsrichtlinie umzusetzen hätten, zwar das vorgegebene Ziel verfolgen müssten, aber in der Wahl der Form und der hierfür erforderlichen Mittel frei seien. Das gelte umso mehr, wenn den Mitgliedstaaten, wie im vorliegenden Fall, hinsichtlich des Inhalts der Umsetzungsmaßnahmen ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt worden sei. Die Bundesrepublik Deutschland habe es ursprünglich nicht für erforderlich gehalten, die in Rede stehenden Einrichtungen anzuerkennen"; diese rechtspolitische Entscheidung sei später aufgrund der wachsenden Bedeutung der privaten ambulanten Pflegedienste im Laufe der 80er Jahre geändert worden; außerdem habe sich die Bundesrepublik zu speziellen gesetzgeberischen Eingriffen entschlossen. Es bestehe daher kein Grund, die den Mitgliedstaaten zuerkannten Freiräume durch die Verpflichtung zu beschränken, Anerkennungen nachträglich und in einer Weise oder unter Voraussetzungen zu gewähren, die sich von denen unterschieden, die der deutsche Gesetzgeber festgelegt habe.

60. Die deutsche Regierung und das Finanzamt machen im Ergebnis geltend, die Klägerin könne für die Zeit vor 1992 die Steuerbefreiung nicht in Anspruch nehmen, da die Anerkennung" erst im Jahr 1992 durch das StÄndG gewährt worden sei.

61. Die Kommission und die Klägerin vertreten einen völlig anderen Standpunkt. Die Kommission räumt zunächst ein, dass die Anwendung von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe g die vorherige Anerkennung der Einrichtung als Einrichtung mit sozialem Charakter" durch den betreffenden Mitgliedstaat voraussetze und die Bestimmung daher grundsätzlich nicht als unbedingt angesehen werden könne. Dadurch werde jedoch die Möglichkeit einer unmittelbare Geltung der Vorschrift nicht generell ausgeschlossen, wenn nachgewiesen werden könne, dass der betreffende Mitgliedstaat die Einrichtung im Einzelfall in irgendeiner Weise anerkannt habe; dies gelte umso mehr, als sich aus dem übrigen Inhalt der Bestimmung hinreichend genau und unbedingt ergebe, welche Tätigkeiten von der Steuerbefreiung erfasst würden. Eine andere Beurteilung würde gegen den Zweck der unmittelbaren Geltung von Richtlinien verstoßen, der darin bestehe, die praktische Wirksamkeit der Richtlinienbestimmungen sicherzustellen, indem es den Betroffenen ermöglicht werde, sich gegenüber allen innerstaatlichen, nicht richtlinienkonformen Vorschriften auf die Richtlinie zu berufen.

62. Wenn also im Einzelfall genügend Anhaltspunkte vorlägen, um den genauen Inhalt der in der Richtlinie vorgesehenen Bedingungen zu bestimmen, gebe es keinen Grund, die unmittelbare Geltung der Richtlinie abzulehnen. In diesem Sinne habe sich auch der Gerichtshof im Urteil Carbonari geäußert, in dem es ebenfalls um das Fehlen einer vorherigen Anerkennung" des betreffenden Mitgliedstaats gegangen sei, die in einer Gemeinschaftsrichtlinie für verschiedene Modalitäten der Weiterbildung einer bestimmten Berufsgruppe (im entschiedenen Fall der in der Weiterbildung zum Facharzt befindlichen Ärzte) vorgesehen gewesen sei. Der Gerichtshof habe in dieser Rechtssache entschieden, dass die betreffenden Richtlinienbestimmungen trotz des Versäumnisses des Mitgliedstaats unmittelbar anwendbar sein könnten, da die darin aufgeführten Bedingungen hinreichend genau seien, um zu festzustellen, ob die erforderlichen Weiterbildungsvoraussetzungen in einem bestimmten Fall gegeben seien.

63. Lägen daher hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass eine Einrichtung in einem Mitgliedstaat in irgendeiner Weise als Einrichtung mit sozialem Charakter angesehen werde, so hätten die zuständigen Stellen des betreffenden Mitgliedstaats zu prüfen, ob dies zur Erfuellung der Voraussetzungen des Artikels 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe g ausreiche. Dabei sei nicht erforderlich, dass die Anerkennung durch ein Gesetz erfolge, da eine derartige Schlussfolgerung keine Stütze in der genannten Richtlinienbestimmung finde und die Möglichkeit, sich auf die unmittelbare Wirkung der Bestimmung zu berufen, übermäßig erschweren würde; die Anerkennung könne vielmehr von einer Verwaltungsbehörde erteilt werden und durchaus auch auf anderen Gründen als den im Befreiungstatbestand angeführten beruhen.

64. Die Kommission schließt sodann die Möglichkeit aus, dass Artikel 13 Teil A Absatz 2 Buchstaben a und b der Sechsten Richtlinie der unmittelbaren Geltung von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe g entgegenstehen könnte. Artikel 13 Teil A Absatz 2 Buchstabe a ermächtige - wie wir gesehen haben (vgl. Nr. 2 der vorliegenden Schlussanträge) - die Mitgliedstaaten, die in Artikel 13 Teil A Absatz 1 vorgesehenen Steuerbefreiungen von der Erfuellung bestimmter Bedingungen abhängig zu machen; wenn ein Staat hiervon keinen Gebrauch mache, dann könne er wegen der Unbedingtheit und der hinreichenden Genauigkeit von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe g [e]inem Steuerpflichtigen, der in der Lage ist zu beweisen, dass er steuerrechtlich unter einen Befreiungstatbestand der Richtlinie fällt, ... nicht entgegenhalten, dass er die Vorschriften, die die Anwendung eben dieser Steuerbefreiung erleichtern sollen, nicht erlassen hat" (Urteil Becker, Randnr. 33). Artikel 13 Teil A Absatz 2 Buchstabe b enthalte Voraussetzungen, bei deren Vorliegen eine Steuerbefreiung zwingend ausgeschlossen sei. Auch in Bezug auf diese Vorschrift macht die Kommission geltend, dass derartige nur möglicherweise vorliegende Einschränkungen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Unbedingtheit und hinreichenden Genauigkeit der hier zu prüfenden Bestimmung nicht entgegenstuenden.

65. Die Kommission weist schließlich darauf hin, dass die Bundesrepublik Deutschland, selbst wenn der Gerichtshof Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe g nicht für unmittelbar anwendbar halten sollte, nach Artikel 10 EG verpflichtet sei, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die vollständige Einhaltung des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten; die nationalen Gerichte müssten daher § 4 Nr. 16 UStG unter Berücksichtigung des Wortlauts und des Zweckes der Sechsten Richtlinie auslegen, um die Richtlinienkonformität sicherzustellen.

66. Die Klägerin argumentiert ebenso wie die Kommission, allerdings in detaillierterer Form; sie macht geltend, dass sich die Anerkennung nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes auch aus anderweitigen Bestimmungen oder aus den Grundsätzen der maßgeblichen Rechtsordnung ergeben könne.

67. Die Klägerin trägt insbesondere vor, die von ihr erbrachten Leistungen seien eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden und ihre Tätigkeit werde - wie auch der Bundesfinanzhof hervorhebt - von den Krankenkassen und den Sozialhilfeträgern finanziert. Außerdem seien private Leistungsanbieter schon vor 1992 in nationalen Rechtsvorschriften unterschiedlichen Rangs und Charakters, die jedoch alle dem Recht der Sozialversicherung und der Sozialhilfe angehörten, ausdrücklich erwähnt worden. Dazu gehörten insbesondere die Regelungen, die seit Anfang der 80er Jahre in den besonderen Beziehungen zwischen den Erbringern häuslicher Pflegeleistungen auch medizinischer Art und den Sozialversicherungsträgern getroffen worden seien, die den mit diesen Leistungen verbundenen Aufwand größtenteils übernommen hätten. Die Klägerin verweist auch auf Rechtsvorschriften verschiedener Bundesländer, die Verwaltungspraxis sowie Verwaltungsvorschriften, aufgrund deren im Ergebnis eine Steuerbefreiung für die in Rede stehenden Tätigkeiten gewährt worden sei, die unter der Voraussetzung gestanden hätte, dass sie von Verbänden oder Einrichtungen erbracht worden seien, die hierfür durch die Krankenkassen anerkannt worden seien.

68. Die Klägerin macht schließlich geltend, die von ihr vertretene Auffassung entspreche auch deshalb dem Gesetzeszweck, weil sie es erlaube, die Krankheits- und Sozialversicherungskosten und damit die Beiträge der Mitglieder der Krankenkassen und Sozialversicherungseinrichtungen zu begrenzen; die deutsche Regierung erwidert hierauf, diese Kostensenkung könne auch durch andere Mittel erreicht werden.

b) Würdigung

69. Durch die ausführliche Wiedergabe des Vorbringens der Beteiligten sollte der Gegenstand der Auseinandersetzung und die Art der zwischen ihnen bestehenden Differenzen verdeutlicht werden. Dabei hat sich ergeben, dass sich die Auffassungen der Kommission und der Bundesrepublik Deutschland vor allem in einer grundlegenden Frage unterscheiden, nämlich der, ob es möglich sei, einer Bestimmung wie Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe g unmittelbare Geltung beizumessen. Demgegenüber befassen sich das Finanzamt und die Klägerin vornehmlich mit Anhaltspunkten, die im vorliegenden Fall für oder gegen die Qualifizierung der Klägerin als Einrichtung mit sozialem Charakter" sprechen sollen. Es bedarf fast keiner Erwähnung, dass die letztere Frage nicht nur von der Beantwortung der ersteren abhängig ist, sondern auch eher der Beurteilung durch die nationalen Gerichte unterliegt, während die erstere direkt in die Zuständigkeit des Gerichtshofes fällt. Sie soll daher im Vordergrund der Erwägungen stehen.

70. Wie wir gesehen haben, geht das Vorbringen der deutschen Regierung im Kern dahin, dass es wegen der Freiheit und des Ermessensspielraums, die den Mitgliedstaaten in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe g eingeräumt würden, völlig undenkbar sei, eine unmittelbare Geltung dieser Bestimmung anzunehmen. Die Kommission stimmt zwar mit dieser Argumentation im Grundsatz überein, sie lehnt es jedoch ab, ihr Allgemeingültigkeit beizumessen und die Schlussfolgerung zu ziehen, auch wenn stichhaltige Anhaltspunkte dafür sprächen, sei es gänzlich unmöglich, eine bestimmte Einrichtung als Einrichtung mit sozialem Charakter zu betrachten.

71. Nachdem der Gegenstand der dieser Vorlagefrage zugrunde liegenden Hauptproblematik geklärt ist, komme ich zu der näheren Untersuchung der von den Beteiligten vorgebrachten Argumente, wobei ich mit denen der deutschen Regierung beginne.

72. Sicherlich lässt sich nicht bestreiten, dass die streitige Bestimmung den Mitgliedstaaten, wie die deutsche Regierung immer wieder betont, einen weiten Ermessensspielraum bei der Anerkennung der fraglichen Einrichtungen gewährt, doch halte ich dieses Argument nicht zwangsläufig für entscheidend. Wie die Kommission bemerkt, hat der Gerichtshof im Urteil Becker im Hinblick auf die Sechste Richtlinie die folgenden Ausführungen gemacht, die auf einer ständigen und grundlegenden Rechtsprechung beruhen: [W]eder der allgemeine Charakter der fraglichen Richtlinie noch der Spielraum, den sie den Mitgliedstaaten ... einräumt, [lassen sich] dafür anführen, denjenigen Bestimmungen jegliche Wirkung zu versagen, auf die sich angesichts ihres Gegenstands die Einzelnen sinnvollerweise vor Gericht berufen können, auch wenn die Richtlinie in ihrer Gesamtheit nicht durchgeführt worden ist." Es geht also gerade darum, im Einzelfall festzustellen, ob die Richtlinie trotz des den Mitgliedstaaten eingeräumten Ermessensspielraums unmittelbare Geltung haben kann.

73. Die deutsche Regierung hält dem entgegen, die Anwendbarkeit der hier zu untersuchenden Bestimmung sei nicht von der Ausübung eines allgemeinen Ermessens des betreffenden Mitgliedstaats abhängig, sondern vom Erlass einer bestimmten Rechtsvorschrift durch diesen Staat. Hier scheint mir jedoch der Einwand der Kommission nicht ungerechtfertigt, wonach die in Rede stehende Bestimmung keine Anhaltspunkte dafür enthält, dass die darin erwähnte Anerkennung" eine bestimmte Form haben oder gar als Gesetz ergehen müsse. Die Ansicht der deutschen Regierung scheint mir lediglich eine Vermutung zu sein, die wahrscheinlich darauf zurückzuführen ist, dass in Deutschland wie in anderen Mitgliedstaaten Leistungspflichten nur durch Gesetz begründet werden können. Im vorliegenden Fall geht es jedoch nicht um die Begründung neuer Leistungspflichten, sondern um die Anerkennung von Steuerbefreiungen aufgrund von Tatbeständen, die durch eine gemeinschaftsrechtliche Bestimmung für alle Mitgliedstaaten geregelt sind; außerdem können die Richtlinien nicht im Hinblick auf die jeweiligen staatlichen Rechtsordnungen ausgelegt oder angewandt werden, da sie in allen Mitgliedstaaten einheitlich durchzuführen sind. Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe g ist lediglich zu entnehmen, dass es einer Anerkennung des sozialen Charakters der fraglichen Einrichtung bedarf; die Art und Weise und das Verfahren dieser Anerkennung sind grundsätzlich Sache des betreffenden Mitgliedstaats, der insoweit keinen zusätzlichen Auflagen oder Beschränkungen unterliegt.

74. Demnach kann das Fehlen einer ausdrücklichen gesetzlichen Anerkennung der fraglichen Einrichtungen nicht zwangsläufig als Grund angesehen werden, um die unmittelbare Geltung der Vorschrift auszuschließen; vielmehr ist zu prüfen, ob die Rechtsordnung des betreffenden Mitgliedstaats es erlaubt, auf anderem Weg eine Anerkennung des sozialen Charakters der Einrichtung in irgendeiner Form, sei sie auch nur faktischer Art, zu bejahen. Diese Prüfung ist erforderlich, weil es um einen Rechtsanspruch in Form einer Steuerbefreiung geht, der den Steuerpflichtigen nach der Richtlinie zusteht, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfuellen. Es obliegt zwar in erster Linie den Mitgliedstaaten, diese Voraussetzungen zu definieren, doch hat der Gerichtshof im Urteil Becker (und nicht nur dort) klargestellt, dass ein Mitgliedstaat, der es versäumt hat, in der Richtlinie vorgesehene Durchführungsmaßnahmen zu erlassen, sich nicht auf seine eigene Untätigkeit berufen [darf], um einem Steuerpflichtigen die Vergünstigung einer Steuerbefreiung zu verweigern, die dieser aufgrund der Richtlinie zu Recht beanspruchen kann" (Randnr. 34). Wenn es daher - um es nochmals zu sagen - möglich ist, die Voraussetzungen für die Anerkennung auf anderem Weg zu bejahen, dann verlangen die Grundsätze der Gemeinschaftsrechtsordnung und insbesondere der Grundsatz der praktischen Wirksamkeit der Richtlinie, dass den Betroffenen die Ausübung eines Rechtsanspruchs, der ihnen nach der Richtlinie zusteht, nicht versagt wird.

75. Die deutsche Regierung bringt hiergegen noch weitere Einwände vor. Sie verweist zunächst darauf, dass in der Rechtssache Comune di Carpaneto Piacentino u. a. keine besondere staatliche Regelung zur Qualifizierung der entsprechenden Einrichtungen vorgesehen gewesen sei, da diese Frage durch eine Verweisung auf das nationale Recht geregelt gewesen sei; das Gericht habe daher die Qualifizierung unmittelbar anhand des nationalen Rechts vornehmen können, während im vorliegenden Fall eine besondere staatliche Maßnahme erforderlich sei. Dieser Einwand scheint mir auf demselben Zirkelschluss zu beruhen, den ich bereits zuvor aufgezeigt und kritisiert habe, setzt er doch gerade das voraus, was unter Beweis zu stellen wäre, nämlich, dass eine staatliche Maßnahme in unserem Fall tatsächlich unerlässlich ist.

76. Ein weiterer Einwand der deutschen Regierung geht dahin, dass wiederum im Urteil Comune di Carpaneto Piacentino u. a., aber auch in dem bereits erwähnten früheren Urteil Carbonari die Voraussetzungen und die Anforderungen für die Anerkennung der in den jeweils maßgeblichen Bestimmungen vorgesehenen besonderen Eigenschaften in Ermangelung besonderer staatlicher Maßnahmen der Richtlinie selbst zu entnehmen gewesen seien; Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe g enthalte dagegen keine geeigneten Anhaltspunkte, anhand deren man eine fehlende staatliche Regelung zur Qualifizierung der Einrichtungen mit sozialem Charakter ersetzen könne.

77. Ich gebe gerne zu, dass die Bestimmung der betreffenden Einrichtungen gerade aus den eben angeführten Gründen ohne eine besondere gesetzliche Regelung tatsächlich wesentlich schwieriger ist; allerdings bin ich nicht der Auffassung - und hierin liegt auch der Grund für die abweichende Beurteilung der Kommission -, dass dies gänzlich unmöglich ist, wie die deutsche Regierung behauptet. Ich möchte zunächst darauf hinweisen, dass es sich bei dem Begriff Einrichtung mit sozialem Charakter" nicht um einen rechtstechnischen Begriff handelt, wie etwa, um ein Beispiel aus derselben Bestimmung zu wählen, bei dem Begriff Einrichtung des öffentlichen Rechts". Er erfordert daher keine besondere gesetzliche Definition, in der formale Tatbestandsmerkmale festgesetzt sind, sondern kann anhand der allgemeinen Begriffe der Rechtsordnung bestimmt werden. Außerdem lässt sich nicht behaupten, dass die Richtlinie keinerlei Anhaltspunkte für die Begriffsbestimmung liefert. Abgesehen von den allgemeinen Erkenntnissen, die sich aus einer systematischen Analyse ergeben, lassen sich meines Erachtens auch aus den besonderen Tatbeständen einige, wenn auch indirekte Anhaltspunkte gewinnen. Ich beziehe mich dabei insbesondere auf Artikel 13 Teil A Absatz 2 Buchstabe a, der - wie wir gesehen haben (Nr. 2 der vorliegenden Schlussanträge) - eine Reihe von Bedingungen aufzählt, von denen die Mitgliedstaaten von Fall zu Fall die Gewährung der unter Absatz 1 vorgesehenen Befreiungen, und damit auch der Befreiung nach Absatz 1 Buchstabe g, abhängig machen können. Es handelt sich dabei um Maximalbedingungen" in dem Sinne, dass die Mitgliedstaaten zwar ganz auf sie verzichten oder weniger weitgehende Regelungen, nicht aber zusätzliche oder weiter gehende Bedingungen vorsehen dürfen. Wenn also eine Einrichtung diese Bedingungen erfuellt, dann ist das bereits ein Anhaltspunkt dafür, dass die Anforderungen des Tatbestands gegeben sind, oder - anders ausgedrückt - dass keine Hindernisse für die Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter vorliegen.

78. Es versteht sich von selbst, dass die Möglichkeit einer solchen Anerkennung in erster Linie anhand des nationalen Rechts des betreffenden Mitgliedstaats zu prüfen sind. Es obliegt daher dem nationalen Gericht, im jeweiligen Einzelfall eine Bewertung anhand der Grundsätze seiner Rechtsordnung vorzunehmen, wobei insbesondere die hierfür relevanten besonderen Anhaltspunkte zu berücksichtigen sind wie beispielsweise diejenigen Gesichtspunkte, die im vorliegenden Fall von den Parteien selbst angeführt worden sind: einschlägige Regelungen, unabhängig davon, ob sie auf Bundes- oder Landesebene erlassen worden sind, ob es sich um gesetzliche Bestimmungen oder Verwaltungsvorschriften handelt und ob sie steuer- oder sozialversicherungsrechtlichen Charakter haben; der Umstand, dass Verbände, die dieselbe Tätigkeit wie die Klägerin ausüben, wegen ihrer Gemeinnützigkeit bereits eine ähnliche Steuerbefreiung erhalten; die Tatsache, dass die Aufwendungen für die Leistungen großenteils von gesetzlichen Krankenkassen und Sozialhilfeträgern übernommen werden, mit denen private Anbieter wie die Klägerin in Vertragsbeziehungen stehen, und ähnliches mehr (vgl. Nummer 67 der vorliegenden Schlussanträge). Ich sage nochmals, dass es sicherlich nicht einfach sein wird, auf diese Weise das Hindernis zu bewältigen, dass sich aus dem Fehlen einer klaren und ausdrücklichen Regelung des Mitgliedstaats ergibt; angesichts der grundsätzlichen und einzelfallbezogenen Erwägungen, die ich dargestellt habe, bin ich jedoch der Auffassung, dass ein solches Ergebnis nicht schlechterdings ausgeschlossen werden kann.

79. Schließlich möchte ich bemerken, dass der hier vorgeschlagenen Lösung nicht entgegengehalten werden kann, sie beruhe auf einer erweiternden Auslegung der Sechsten Richtlinie, die mit dem gegenteiligen Auslegungsgrundsatz unvereinbar sei, der, wie bereits mehrfach erwähnt, vorliegend angewandt werden müsse. Diese Lösung führt nämlich nicht zu einer Erweiterung des Anwendungsbereichs der Steuerbefreiung auf in der Richtlinie nicht vorgesehene Fälle, sondern beschränkt sich darauf, den Steuerpflichtigen diejenigen Vergünstigungen zu ermöglichen, auf die sie nach der Richtlinie Anspruch haben. Probleme hinsichtlich der Vereinbarkeit mit den anerkannten Auslegungsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts ergeben sich allenfalls bei der Gegenmeinung, da die Regelung in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe g eine Ausnahme von dem Grundsatz bildet, wonach die in Artikel 13 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befreiungen eigenständige Begriffe des Gemeinschaftsrechts [darstellen] ... Dies muss auch für spezielle Bedingungen gelten, von denen die Gewährung dieser Befreiungen abhängig gemacht wird, und insbesondere für diejenigen, die die Eigenschaft oder Identität des Wirtschaftsteilnehmers betreffen, der die von der Befreiung erfassten Leistungen erbringt" (Urteil Bulthuis-Griffioen, Randnr. 18). Im Zweifel ist daher eine Auslegung zu wählen, die der Eigenständigkeit" der zu in Rede stehenden Begriffe so weit wie möglich Rechnung trägt und sie sogar betont, da durch eine solche Methode bei der Auslegung der Richtlinie Übertreibungen in der einen oder anderen Richtung vermieden und eine einheitliche Rechtsanwendung begünstigt werden.

80. Im Ergebnis bin ich der Auffassung, dass grundsätzlich die Möglichkeit einer unmittelbaren Geltung der hier zu prüfenden Bestimmung besteht und der zweite Teil der dritten Vorlagefrage folglich dahin zu beantworten ist, dass die unmittelbare Geltung von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe g der Sechsten Richtlinie auch beim Fehlen einer besonderen gesetzlichen Regelung des betreffenden Mitgliedstaats nicht ausgeschlossen werden kann, wenn das nationale Gericht anhand aller einschlägigen Anhaltspunkte die Feststellung treffen kann, dass es sich bei dem Steuerpflichtigen um eine als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtung" handelt.

V - Ergebnis

81. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die folgenden Feststellungen zu treffen:

1. Die Steuerbefreiung nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist von der Rechtsform des Steuerpflichtigen, der die Heilbehandlungen erbringt, unabhängig.

2. Die Steuerbefreiung nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie ist nur auf Umsätze durch Leistungen der Heilbehandlung, die - auch ambulant - von ausgebildetem Krankenpflegepersonal erbracht werden, sowie durch unbedingt notwendige Nebenleistungen anwendbar, die in tatsächlicher und wirtschaftlicher Hinsicht mit den Behandlungsleistungen untrennbar verbunden sind.

3. a) Die Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung fallen in den Anwendungsbereich von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe g der Sechsten Richtlinie.

b) Die unmittelbare Geltung von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe g der Sechsten Richtlinie kann auch beim Fehlen einer besonderen gesetzlichen Regelung des betreffenden Mitgliedstaats nicht ausgeschlossen werden, wenn das nationale Gericht anhand aller einschlägigen Anhaltspunkte die Feststellung treffen kann, dass es sich bei dem Steuerpflichtigen um eine als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtung" handelt.