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Wichtiger rechtlicher Hinweis

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62000C0169

Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 20/09/2001. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Republik Finnland. - Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats- Artikel 2 und 28 Absatz 3 Buchstabe b sowie Anhang F Nummer 2 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie - Akte über den Beitritt der Republik Finnland - Befreiung der Dienstleistungen der Autoren, Künstler und Interpreten von Kunstwerken - Übergangsbestimmungen. - Rechtssache C-169/00.

Sammlung der Rechtsprechung 2002 Seite I-02433


Schlußanträge des Generalanwalts


I - Einleitung

1. In dieser Sache beantragt die Kommission gemäß Artikel 226 EG festzustellen, dass die Republik Finnland gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 2 der Sechsten Richtlinie des Rates (77/388/EWG) vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (im Folgenden: Sechste Richtlinie) verstoßen hat, indem sie eine Regelung beibehalten hat, nach der sowohl der Verkauf von Kunstwerken durch den Künstler selbst oder durch einen Vermittler als auch die Einfuhr unmittelbar vom Künstler erworbener Kunstwerke von der Mehrwertsteuer befreit sind. Konkret meint die Kommission, dass die Richtlinie während einer Übergangszeit lediglich die Mehrwertsteuerbefreiung für Dienstleistungen von Künstlern, nicht aber, wie in der finnischen Regelung vorgesehen, für die Lieferung von Gegenständen durch Künstler zulasse.

II - Rechtlicher Rahmen

2. Artikel 2 der Richtlinie bildet die Grundlage für die Erhebung der Mehrwertsteuer:

Der Mehrwertsteuer unterliegen:

1. Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt;

2. die Einfuhr von Gegenständen."

3. Artikel 12 bildet die Grundlage für die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes. Absatz 3 Buchstabe c lautet:

Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass der ermäßigte oder ein ermäßigter Steuersatz, den sie gemäß Buchstabe a) Unterabsatz 3 anwenden, auch auf die Einfuhr von Kunstgegenständen, Sammlungsstücken oder Antiquitäten im Sinne von Artikel 26a Teil A Buchstaben a), b) und c) anwendbar ist.

Wenn die Mitgliedstaaten von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, können sie diesen ermäßigten Steuersatz auch auf Lieferungen von Kunstgegenständen im Sinne von Artikel 26a Teil A Buchstabe a) anwenden,

- die von ihrem Urheber oder dessen Rechtsnachfolgern bewirkt werden;

- die von einem Steuerpflichtigen, der kein steuerpflichtiger Wiederverkäufer ist, als Gelegenheitslieferungen bewirkt werden, wenn die Kunstgegenstände von diesem Steuerpflichtigen selbst eingeführt wurden oder ihm von ihrem Urheber oder dessen Rechtsnachfolgern geliefert wurden oder ihm das Recht auf vollen Mehrwertsteuerabzug eröffnet haben."

4. Artikel 13 bildet die Grundlage für die Befreiung von der Mehrwertsteuer. Teil A Absatz 1 Buchstabe n erlaubt Steuerbefreiungen für bestimmte kulturelle Dienstleistungen und eng damit verbundene Lieferungen von Gegenständen, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannten Einrichtungen erbracht werden".

5. Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b bestimmt:

Während der in Absatz 4 genannten Übergangszeit können die Mitgliedstaaten

...

b) die in Anhang F aufgeführten Umsätze unter den in den Mitgliedstaaten bestehenden Bedingungen weiterhin befreien."

6. Anhang F enthält eine Liste von Umsätzen, die gemäß Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b von der Steuer befreit werden können. In Ziffer 2 des Anhangs werden aufgezählt: Dienstleistungen der Autoren, Künstler und Interpreten von Kunstwerken sowie Dienstleistungen von Rechtsanwälten und Angehörigen anderer freier Berufe, mit Ausnahme der ärztlichen oder arztähnlichen Heilberufe ..."

7. Anhang XV Titel IX der Akte über die Bedingungen des Beitritts des Königreichs Norwegen, der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (im Folgenden: Beitrittsakte) betrifft die Steuern. Absatz 2 Buchstabe n dieses Titels lautet:

n) Die Republik Finnland kann bei der Anwendung von Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b Folgendes von der Mehrwertsteuer befreien, solange dieselben Befreiungen für einen der derzeitigen Mitgliedstaaten gelten:

- Dienstleistungen von Autoren, Künstlern und Interpreten gemäß Anhang F Nummer 2;

..."

8. Die finnischen Steuervorschriften sehen vor, dass der Verkauf von Kunstwerken, die im Eigentum des Urhebers stehen, mehrwertsteuerfrei ist. Dies gilt sowohl für den Verkauf durch den Urheber selbst als auch für den Verkauf durch einen Vermittler. Ebenfalls mehrwertsteuerfrei ist die Einfuhr eines Kunstwerks, das unmittelbar vom Urheber erworben wird.

III - Sachverhalt und Verfahren

9. Mit Schreiben vom 16. Februar 1998 warf die Kommission der Republik Finnland eine Vertragsverletzung vor, weil sie unter Verstoß gegen die Richtlinie eine Regelung beibehalten habe, nach der in bestimmten Fällen der Verkauf und die Einfuhr von Kunstwerken von der Mehrwertsteuer befreit seien.

10. Die finnische Regierung antwortete mit Schreiben vom 6. April 1998, dass die Beitrittsakte und Artikel 28 Absatz 3 in Verbindung mit Anhang F der Richtlinie unter Berücksichtigung ihres Sinns und Zwecks ihr erlaubten, die Mehrwertsteuerbefreiung beizubehalten.

11. Am 4. November 1998 gab die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab. Da die finnische Regierung in ihrer Antwort hierauf an ihrer Auffassung festhielt, hat die Kommission mit Klageschrift vom 8. Mai 2000 die vorliegende Klageschrift eingereicht.

IV - Argumente der Parteien

12. Die Kommission weist in ihrer Klageschrift zunächst auf Artikel 2 der Sechsten Richtlinie hin, wonach die Lieferung und die Einfuhr von Gegenständen grundsätzlich der Mehrwertsteuer unterlägen. Die Richtlinie sehe keine Mehrwertsteuerbefreiung für die Lieferung und Einfuhr von Kunstwerken vor. Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe c räume den Mitgliedstaaten lediglich die Möglichkeit einer Ermäßigung der Mehrwertsteuer ein. Anhang F der Richtlinie, der eine Liste der Tätigkeiten enthalte, die die Mitgliedstaaten aufgrund von Artikel 28 Absatz 3 von der Mehrwertsteuer befreien könnten, betreffe zwar die Dienstleistungen von Autoren, Künstlern und Interpreten, nicht aber den Verkauf oder die Einfuhr von Kunstwerken. Im letzteren Fall gehe es nämlich um Gegenstände und nicht um Dienstleistungen. Kurzum, die Republik Finnland habe gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 2 der Sechsten Richtlinie verstoßen.

13. Die finnische Regierung macht geltend, dass ihr bei ihrem Beitritt zur Europäischen Union eine Ausnahmeregelung gestattet worden sei, nach der sie für Kunstwerke, die noch im Eigentum des Urhebers ständen, eine Mehrwertsteuerbefreiung habe beibehalten dürfen. Sie beruft sich diesbezüglich auf die Verweisung in der Beitrittsakte auf Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b in Verbindung mit Anhang F der Sechsten Richtlinie.

14. Die finnische Regierung widerspricht der Ansicht der Kommission zum erstmaligen Verkauf und zur Einfuhr von Kunstwerken. Selbst wenn die Begriffe Gegenstand und Dienstleistung in der Richtlinie streng zu unterscheiden und Kunstwerke an sich grundsätzlich als Gegenstände anzusehen seien, dürfe die Auslegung der Ausnahmeregelung für Künstler nicht in erster Linie auf den Wortlaut der Regelung abstellen. Eine streng wörtliche Auslegung reduziere den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuerbefreiung praktisch auf Null. Würde nämlich die Ausnahmeregelung, wie die Kommission meine, nur die bildende Kunst betreffen, soweit diese keine bewegliche Sache sei, würde sie nur für den besonderen Fall gelten, dass das Kunstwerk durch den Künstler unmittelbar auf einer unbeweglichen Sache, die im Eigentum des Käufers stehe, erstellt werde. Nach der Auffassung der Kommission würde auch die Übergabe eines Auftragswerks, etwa eines Porträts, als Lieferung eines Gegenstandes anzusehen sein und damit für eine Mehrwertsteuerbefreiung nicht in Betracht kommen.

15. Diese Argumente beruhen darauf, dass nach Ansicht der finnischen Regierung unter dem Begriff des Künstlers in Anhang F Nummer 2 der Sechsten Richtlinie der bildende Künstler zu verstehen ist, da für andere Künstler die Begriffe Interpreten" und Autoren" verwendet worden seien. Ich verstehe dies so, dass z. B. in der Musik der ausführende Künstler ein Interpret von Kunstwerken und der Komponist ein Autor wäre.

16. Die finnische Regierung meint, dass dem Zweck der Vorschrift, den anderen Bestimmungen der Sechsten Richtlinie über kulturelle Tätigkeiten sowie dem Grundsatz der Steuerneutralität Rechnung getragen werden müsse.

17. Darüber hinaus sei der Besonderheit des erstmaligen Verkaufs eines Kunstwerks Rechnung zu tragen. Diese Handlung dürfe der Herstellung und dem Verkauf von Konsumgütern nicht gleichgesetzt werden. Die finnische Regierung bezieht sich im Übrigen auf drei - ältere - Kommissionsvorschläge, nach denen die Veräußerung von Kunstwerken durch den Künstler selbst auf Dauer von der Mehrwertsteuer habe befreit werden sollen.

18. Ferner bezieht sich die finnische Regierung auf einen Bericht der Kommission vom 2. Juli 1992, der zeige, dass die Einordnung der Veräußerung eines Kunstwerks als Gegenstand oder als Dienstleistung zweifelhaft sei. Die Kommission ihrerseits hat in ihrer Klageschrift die Relevanz dieses Berichts für die vorliegende Sache verneint.

19. Nach Ansicht der finnischen Regierung führt eine zu enge Auslegung der Richtlinie darüber hinaus zu einer Ungleichbehandlung der verschiedenen künstlerischen Berufe und verletze somit den Grundsatz der Steuerneutralität. Die Verwirklichung dieses Grundsatzes sei ein wichtiges Ziel des Mehrwertsteuersystems. In diesem Zusammenhang seien die Urteile in den Rechtssachen Ufficio distrettuale delle imposte dirette di Fiorenzuola d'Arda u. a. und Gregg zu beachten.

20. Die finnische Regierung verweist auch noch auf Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe n der Sechsten Richtlinie, der bestimmte kulturelle Dienstleistungen auf Dauer von der Steuer befreie.

21. Aufgrund dessen gelangt die finnische Regierung zu dem Ergebnis, dass sowohl nach der Beitrittsakte als auch nach Artikel 28 in Verbindung mit Anhang F der Sechsten Richtlinie die erste Veräußerung eines Kunstwerks durch den Urheber von der Mehrwertsteuer freigestellt werden dürfe. Gemäß Artikel 14 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie gelte dies auch für die Einfuhr von Kunstwerken. Zum Schluss möchte ich noch anmerken, dass die finnische Regierung die Begründetheit der Klage insoweit einräumt, als sie sich auf die Vermittlungsgebühr für im Eigentum des Künstlers stehende Kunstwerke bezieht.

22. In Erwiderung hierauf räumt die Kommission ein, dass die Republik Finnland aufgrund der Beitrittsakte bestimmte Ausnahmeregelungen beibehalten dürfe. Dies gelte aber nicht für die streitige Regelung, die nicht unter Nummer 2 des Anhangs F der Sechsten Richtlinie falle, auf den die Beitrittsakte verweise.

23. Anhang F enthalte eine Liste einzelner Ausnahmen. Außerdem handele es sich um eine zeitlich begrenzte Befugnis der Mitgliedstaaten, Ausnahmeregelungen beizubehalten. Diese seien eng und wörtlich auszulegen. Hierzu verweist die Kommission auf die Urteile in den Rechtssachen Bulthuis-Griffioen und Skripalle. Gleiches gelte für die Akte über den Beitritt Österreichs, Finnlands und Schwedens und umso mehr im vorliegenden Fall, als von der Befreiung nur für bestehende Praktiken in den Mitgliedstaaten Gebrauch gemacht werden dürfe. Die Auslegung der finnischen Regierung widerspreche dem Wortlaut des Anhangs und würde dazu führen, dass sogar Bücher von der Erhebung der Mehrwertsteuer ausgenommen wären, was im Widerspruch zu Anhang H Nummer 6 der Richtlinie stehe.

24. Die Kommission widerspricht der Auffassung der finnischen Regierung, wonach ihre Auslegung des Anwendungsbereichs von Anhang F Nummer 2 der Sechsten Richtlinie diesen praktisch auf Null reduziere. Die Befreiung betreffe nicht nur Künstler und Interpreten von Kunstwerken (wie Zirkusartisten, Sänger und Schauspieler), sondern auch Rechtsanwälte und Angehörige anderer freier Berufe.

25. Die Kommission macht darüber hinaus einen wirtschaftlichen Grund geltend. Während eine Dienstleistung nach ihrer Erbringung abgeschlossen sei, könne ein Gegenstand mehrmals verkauft werden. Bei der Lieferung eines Kunstwerks, z. B. an eine Galerie, würde die Mehrwertsteuerbefreiung dazu führen, dass auch der Künstler selbst die Mehrwertsteuer, die er für die Grundstoffe wie die für ein Bild notwendige Farbe und Leinwand bezahlt habe, nicht in Abzug bringen könnte. Diese Mehrwertsteuer würde damit an den Steuerpflichtigen, der das Kunstwerk erwerbe, z. B. die Galerie, weitergegeben. Dies laufe dem Ziel, die steuerliche Belastung von Kunstwerken zu verringern, zuwider. Dieser wirtschaftliche Grund sei im Übrigen ein Argument dafür gewesen, die Vorschläge zur Änderung der Richtlinie, auf die die finnische Regierung verwiesen habe, nicht anzunehmen.

26. Für die Kommission führt ihre Auffassung nicht zu einer künstlichen Unterscheidung bei den Lieferungen von Kunstwerken. Vielmehr ergebe sich der Unterschied aus der Art des Vertrages, den der Künstler abschließe. Die Lieferung eines Gegenstands, z. B. die Veräußerung eines Bildes oder einer Plastik, liege vor, wenn der Künstler ein von ihm geschaffenes Werk verkaufe. Eine Dienstleistung liege vor, wenn der Auftraggeber schon bei Entstehung des Kunstwerks dessen Eigentümer sei, wie etwa bei einem Porträtauftrag.

27. Jede unterschiedliche Behandlung verschiedener Umsätze enthalte subjektive Elemente. Der Grundsatz der Steuerneutralität lasse sich im vorliegenden Fall nicht als Argument gegen eine enge Auslegung der Regelung anführen.

28. Die Kommission geht auch auf Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe n der Sechsten Richtlinie ein. Diese Bestimmung stelle eine Ausnahme vom Grundsatz der Mehrwertsteuerpflicht dar und sei daher eng auszulegen. Sie beziehe sich im Übrigen auf Dienstleistungen. Ihre Anwendung auf eine Lieferung von Gegenständen könne nur in Betracht kommen, wenn diese eng mit einer Dienstleistung verknüpft und dieser eindeutig untergeordnet sei.

29. In ihrer Gegenerwiderung betont die finnische Regierung nochmals, dass die Auffassung der Kommission die Ausnahme des Anhangs F Nummer 2 für Künstler nahezu bedeutungslos mache. Hieran ändere auch die Tatsache nichts, dass die Vorschrift auch auf andere Berufsgruppen als Künstler Anwendung finde. Zweitens sei die Unterscheidung zwischen Kunstwerken und Gebrauchsgegenständen keineswegs subjektiv. Die Sechste Richtlinie enthalte nämlich eine eindeutige Definition von Kunstwerken. Drittens sei die Auffassung der Kommission, dass ein Gegenstand mehrmals übertragen werden könne, eine Dienstleistung hingegen nicht, unhaltbar. Als Beispiel nennt die finnische Regierung die Wiedergabe eines musikalischen Werkes durch den Interpreten. Viertens habe der Wiederverkäufer eines Kunstwerks Mehrwertsteuer nur hinsichtlich seiner eigenen Verkaufsmarge zu entrichten, auch wenn er das Kunstwerk mehrwertsteuerfrei erworben habe. Es könne daher keine Rede von einer doppelten Besteuerung sein, wie die Kommission offensichtlich meine. Außerdem verkauften Künstler ihre Werke häufig unmittelbar an den Verbraucher.

V - Stellungnahme

30. Der Streit konzentriert sich im Wesentlichen auf die Frage der Auslegung von Artikel 28 in Verbindung mit Anhang F Nummer 2 der Sechsten Richtlinie. Fällt unter den Begriff Dienstleistungen von [...] Künstlern" auch die Erstlieferung eines Kunstwerks durch den Urheber? Die Kommission verneint diese Frage. Ausgangspunkt ist für sie dabei die Überlegung, dass die Vorschrift als Ausnahmeregelung eng und wörtlich auszulegen sei. Die finnische Regierung bejaht die Frage und beruft sich hierfür auf den Kontext und den Zweck der Vorschrift.

31. Ich teile den Ausgangspunkt der Kommission. Es steht fest, dass es sich vorliegend um eine Ausnahmeregelung handelt, die der Harmonisierung der Mehrwertsteuersysteme, die Gegenstand der Sechsten Richtlinie ist, zuwiderläuft. Die Bestimmung räumt Mitgliedstaaten übergangsweise die Möglichkeit ein, vom Grundsatz der Mehrwertsteuerpflicht abzuweichen. Eine derartige Bestimmung wirkt sich auf die Höhe der steuerlichen Belastung aus. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes sind derartige Ausnahmen nur in den in der Richtlinie ausdrücklich vorgesehenen Fällen zulässig. Darüber hinaus sind Bestimmungen, die eine Ausnahmeregelung enthalten, eng auszulegen. Wie Generalanwalt Fennelly in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Victoria Film bereits ausgeführt hat, gibt es keinen Grund, warum der Grundsatz der engen Auslegung von Ausnahmen nicht für den Anhang F gelten sollte".

32. Ich gebe daher einer engen und wörtlichen Auslegung der Ausnahmebestimmung in der Beitrittsakte in Verbindung mit Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b und Anhang F Nummer 2 der Richtlinie den Vorzug. Dabei messe ich der Unterscheidung in Artikel 2 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie zwischen Gegenständen und Dienstleistungen entscheidende Bedeutung bei. Diese Unterscheidung ergibt sich unmittelbar aus dem EG-Vertrag. Die Mitgliedstaaten müssen nach der Richtlinie Mehrwertsteuer sowohl für Gegenstände als auch für Dienstleistungen erheben. Die Ausnahme in Anhang F Nummer 2 der Richtlinie gilt jedoch nur für Dienstleistungen. Die Lieferung von Gegenständen unterliegt somit also der Mehrwertsteuer.

33. Darüber hinaus ist festzustellen, dass der Gesetzgeber die Lieferung von Gegenständen bewusst von der Mehrwertsteuerbefreiung ausgeklammert haben muss. In anderen Abschnitten des Anhangs F werden nämlich Gegenstände durchaus ausdrücklich genannt, bisweilen neben Dienstleistungen. Ich verweise diesbezüglich insbesondere auf die Formulierung in Anhang F Nummer 5, wo es heißt: Dienstleistungen und dazugehörige Lieferungen von Gegenständen" auf dem Gebiet des Fernmeldwesens, die von öffentlichen Post- und Fernmeldeeinrichtungen erbracht werden. Artikel 13 der Sechsten Richtlinie verwendet eine entsprechende Formulierung für die Freistellung bestimmte[r] kulturelle[r] Dienstleistungen und eng damit verbundene[r] Lieferungen von Gegenständen".

34. Die Argumentation der finnischen Regierung läuft hauptsächlich darauf hinaus, dass eine Unterscheidung von Dienstleistungen und Gegenständen bei Umsätzen von Künstlern schwer durchzuführen sei oder aber zumindest zu unerwünschten Ergebnissen führe.

35. Es ist mir unverständlich, wie die finnische Regierung zu der Auffassung hat gelangen können, dass eine Unterscheidung zwischen Gegenständen und Dienstleistungen bei Umsätzen bildender Künstler schwer durchzuführen sei. Was dies anbelangt, unterscheiden sich bildende Künstler nicht von irgendwelchen anderen Berufsgruppen, wie z. B. Schriftstellern. Während das Schreiben selbst als Dienstleistung anzusehen ist, stellt das Buch als Ergebnis des Schreibens einen Gegenstand dar. In diesem Zusammenhang macht die finnische Regierung geltend, ein Kunstwerk sei nicht mit einem beliebigen Konsumgegenstand zu vergleichen. Zweifellos werden dem viele Kunstliebhaber zustimmen, rechtlich ist dies jedoch eindeutig irrelevant.

36. Sodann ist auf das Argument der finnischen Regierung einzugehen, wonach die strikte Unterscheidung zwischen Gegenständen und Dienstleistungen dazu führe, dass die Mehrwertsteuerbefreiung zumindest für Künstler keine praktische Bedeutung mehr hätte. Meines Erachtens ist dies in der Tat möglich. Dennoch kann eine solche Wirkung, auch wenn sie ein Mitgliedstaat möglicherweise für politisch unerwünscht hält, nicht dazu führen, dass der Gerichtshof einem Befreiungstatbestand der Sechsten Richtlinie eine Tragweite zuerkennt, die gegen den Wortlaut der Richtlinie verstößt. Nur der Gesetzgeber kann im Wege einer Änderung der Richtlinie diese Wirkung beseitigen.

37. Im Übrigen behält der Befreiungstatbestand aber auch in der Auslegung der Kommission eine gewisse praktische Bedeutung. Die Kommission verweist namentlich darauf, dass Auftragskunstwerke unter die Steuerbefreiung fallen. Und Auftragskunst kommt meines Erachtens wesentlich häufiger vor als das von der finnischen Regierung genannte Beispiel der Anfertigung eines Freskos in der Wohnung oder im Betrieb des Käufers.

38. Auch aus dem Zweck der Befreiungsvorschrift bzw. anderen Bestimmungen der Sechsten Richtlinie über kulturelle Tätigkeiten ergibt sich meines Erachtens nicht, dass die Beitrittsakte in Verbindung mit Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b sowie Anhang F Nummer 2 der Richtlinie auf die Lieferung von Gegenständen angewandt werden könnte. Es lag offenkundig nicht in der Absicht des Gemeinschaftsgesetzgebers, alle Umsätze von Künstlern von der Mehrwertsteuer zu befreien. Zunächst ist die von der finnischen Regierung angeführte Ausnahmeregelung fakultativ. Auch gilt sie nur für eine Übergangszeit. Darüber hinaus ist in die Sechste Richtlinie eine Vorschrift aufgenommen worden, die es den Mitgliedstaaten ermöglicht, die steuerliche Belastung von Kunst zu begrenzen. So können sie aufgrund von Artikel 12 Absatz 3 einen ermäßigten Steuersatz anwenden. Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe n geht für bestimmte Dienstleistungen und Lieferungen noch darüber hinaus, indem er für bestimmte Dienstleistungen und Lieferungen eine Mehrwertsteuerbefreiung vorsieht, wenn diese Dienstleistungen und Lieferungen von öffentlich-rechtlichen kulturellen Einrichtungen oder anderen kulturellen Einrichtungen, die von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannt sind, erbracht werden.

39. Meines Erachtens hat der Gemeinschaftsgesetzgeber hiermit ein ausgewogenes System für die Mehrwertbesteuerung von Kunst gewählt. Die vorübergehende Befreiungsmöglichkeit gemäß Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe b in Verbindung mit Anhang F Nummer 2 der Richtlinie spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Infolgedessen kann auch keine Rede davon sein, dass eine enge Auslegung dieser Vorschrift in Widerspruch zum Zweck der Richtlinie steht, wenn denn eine andere Auslegung überhaupt möglich wäre.

40. Im vorliegenden Rechtsstreit ist auch die Wirkung des Grundsatzes der Steuerneutralität geltend gemacht worden, der eine der Grundlagen des Gemeinsamen Mehrwertsteuersystems darstellt, zu dem die Sechste Richtlinie gehört. Er verbietet, dass Unternehmer, die gleiche Umsätze bewirken, bei der Besteuerung unterschiedlich behandelt werden. Diesbezüglich hat der Gerichtshof kürzlich nochmals speziell bekräftigt, dass eine doppelte Besteuerung dem Grundsatz der Steuerneutralität widerspricht.

41. Meines Erachtens verlangt dieser Grundsatz nicht, die Lieferung eines Kunstwerks durch den Künstler von der Mehrwertsteuer zu befreien. Die Lieferung eines Kunstwerks und die Erbringung einer Dienstleistung durch einen Künstler, wie beispielsweise ein Porträtauftrag, können nicht als gleiche Umsätze angesehen werden. Wie die Kommission zu Recht bemerkt, handelt es sich vielmehr um verschiedene Umsätze, wobei entscheidend ist, welche Art von Vertrag der Künstler geschlossen hat.

42. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch bemerken, dass die Sechste Richtlinie an verschiedenen Stellen sehr genau zwischen Umsätzen, für die stets der normale Mehrwertsteuersatz gilt, Umsätzen, bei denen dieser Satz ermäßigt ist, und Umsätzen, die sogar vollständig von der Mehrwertsteuer befreit werden können, unterscheidet. In einem derart differenzierten System ist es unvermeidbar, dass in einigen Fällen Umsätze mit mehr oder weniger ähnlichem, aber nicht identischem Inhalt unterschiedlich behandelt werden.

43. Die Sechste Richtlinie hat auf diese Weise zahlreiche Grenzfälle geschaffen, weil die festgelegten Grenzen nicht immer naturgegeben sind, sondern durch die Art und Weise bedingt sind, in der der Gemeinschaftsgesetzgeber von seinem Ermessen Gebrauch gemacht hat. Die Grenze, die noch am klarsten naturgegeben ist, ist die zwischen Gegenständen und Dienstleistungen. Ich verstehe daher nicht, warum dieser Grenze der Grundsatz der Steuerneutralität entgegenstehen sollte.

44. In dem Rechtsstreit ist auch noch die Frage aufgeworfen worden, ob die Mehrwertsteuerbefreiung für Kunstwerke zu einer doppelten Besteuerung führen kann. Da sich aus dem Vorstehenden bereits ergibt, dass eine solche Befreiung nicht in das System der Sechsten Richtlinie passt, werde ich auf diese Gefahr einer doppelten Besteuerung nicht näher eingehen.

45. Der Vollständigkeit halber möchte ich noch auf Folgendes hinweisen. In der Klagebeantwortung hat die finnische Regierung vorgetragen, sie habe im Rahmen der Beitrittsverhandlungen das Ziel verfolgt, auch die Erstlieferung von Kunstwerken von der Mehrwertsteuer zu befreien. Diese Absicht kann bei der Beurteilung der vorliegenden Angelegenheit keine Berücksichtigung finden. Denn es geht hier nicht darum, welches Ziel eine der Parteien im Rahmen von Verhandlungen verfolgt hat; entscheidend ist das Ergebnis der Verhandlungen, wie es im Text des Rechtsakts seinen Niederschlag gefunden hat.

VI - Ergebnis

46. Daher möchte ich dem Gerichtshof vorschlagen,

a) festzustellen, dass die Republik Finnland gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 2 der Sechsten Richtlinie des Rates (77/388/EWG) vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage verstoßen hat, indem sie eine Regelung beibehalten hat, nach der sowohl der Verkauf von Kunstwerken durch den Künstler selbst oder durch einen Vermittler als auch die Einfuhr unmittelbar vom Künstler erworbener Kunstwerke von der Mehrwertsteuer befreit sind;

b) der Republik Finnland gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung die Kosten aufzuerlegen.