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Wichtiger rechtlicher Hinweis

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62000C0287

Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 13. Dezember 2001. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland. - Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie - Artikel 2 Nummer 1 und Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe i - Entgeltliche Forschungstätigkeit der staatlichen Hochschulen - Befreiung. - Rechtssache C-287/00.

Sammlung der Rechtsprechung 2002 Seite I-05811


Schlußanträge des Generalanwalts


1. Mit dieser Klage nach Artikel 226 EG möchte die Kommission feststellen lassen, dass Deutschland dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 2 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie verstoßen hat, dass es die Forschungstätigkeit staatlicher Hochschulen von der Mehrwertsteuer befreit.

Die Sechste Richtlinie

2. Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie bestimmt, dass Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt", der Mehrwertsteuer unterliegen.

3. Artikel 4 bestimmt, soweit er einschlägig ist:

(1) Als Steuerpflichtiger gilt, wer eine der in Absatz 2 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten selbständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis.

(2) Die in Absatz 1 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten sind alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt auch eine Leistung, die die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen umfasst.

...

(5) Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten nicht als Steuerpflichtige, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Leistungen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben.

Falls sie jedoch solche Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, gelten sie für diese Tätigkeiten oder Leistungen als Steuerpflichtige, sofern eine Behandlung als Nicht-Steuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.

..."

4. Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe i der Sechsten Richtlinie bestimmt:

Steuerbefreiungen im Inland

A. Befreiungen bestimmter dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten

(1) Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:

...

i) die Erziehung von Kindern und Jugendlichen, den Schul- oder Hochschulunterricht, die Ausbildung, die Fortbildung oder die berufliche Umschulung sowie die damit eng verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung."

Die nationalen Rechtsvorschriften

5. § 4 Absatz 1 Nummer 21a des deutschen Umsatzsteuergesetzes (nachstehend: UStG) befreit Umsätze der staatlichen Hochschulen aus Forschungstätigkeit von der Mehrwertsteuer.

6. § 58 Hochschulrahmengesetz bestimmt, dass Hochschulen in der Regel Körperschaften des öffentlichen Rechts sind.

7. Ich werde solche Hochschulen als staatliche Hochschulen bezeichnen.

Verfahren

8. Am 6. November 1998 übersandte die Kommission der Bundesregierung ein Aufforderungsschreiben gemäß Artikel 169 EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 EG) mit dem sie darauf hinwies, dass ihrer Auffassung nach die Befreiung der Forschungstätigkeit staatlicher Hochschulen gegen Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie verstoße. Darauf erhielt sie keine Antwort.

9. Am 26. August 1999 übersandte die Kommission Deutschland eine mit Gründen versehene Stellungnahme, in der sie ihren Standpunkt wiederholte und Deutschland aufforderte, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Vertragsverletzung binnen zwei Monaten zu beenden.

10. In ihrer Antwort vom 4. April 2000 berief sich die Bundesregierung auf zwei Bestimmungen der Sechsten Richtlinie, die ihrer Meinung nach die Befreiung rechtfertigten. Erstens könne die Befreiung auf Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe i gestützt werden, da die Tätigkeiten im Zusammenhang mit Forschungsverträgen eng mit der Ausbildung an staatlichen Hochschulen verbunden seien. Da die Befreiung nicht zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führe, könne sie zweitens auf Artikel 13 Teil A Absatz 2 gestützt werden, wonach die Mitgliedstaaten bestimmte Befreiungen, darunter die nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe i, für Einrichtungen vorsehen könnten, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts seien, sofern eine oder mehrere spezifische Bedingungen erfuellt seien, wozu auch gehöre, dass die Befreiung der betroffenen Dienstleistungen nicht zu Wettbewerbsverzerrungen zu Ungunsten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen führen dürften.

11. Im Juli 2000 hat die Kommission das vorliegende Verfahren eingeleitet. In ihrer Klageschrift hat sie die Feststellung beantragt, dass Deutschland dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 2 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie verstoßen hat, dass es die Forschungstätigkeit staatlicher Hochschulen von der Mehrwertsteuer befreit. In der Klageschrift ist dargelegt, aus welchen Gründen die Kommission der Ansicht ist, dass die Befreiung gegen Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie verstoße. Weiter ist ausgeführt, warum die Kommission nicht der Auffassung ist, dass die Befreiung gemäß Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe i oder Absatz 2 der Richtlinie gerechtfertigt sei.

Zulässigkeit

12. Deutschland macht geltend, die Klage der Kommission sei aus zwei Gründen unzulässig.

13. Erstens habe die Kommission nicht das nach Artikel 226 EG vorgeschriebene Vorverfahren beachtet: Ihre mit Gründen versehene Stellungnahme, die nur aus sieben Sätzen bestehe, enthalte nicht, wie dies in der Rechtsprechung des Gerichtshofes verlangt werde, eine umfassende Darstellung des Streitgegenstands, sondern wiederhole nur den Inhalt des Aufforderungsschreibens.

14. Zweitens habe die Kommission den Streitgegenstand entgegen dem Grundsatz der Kontinuität zwischen Vorverfahren und Klageverfahren, der spezifischer Ausdruck des Grundsatzes vom rechtlichen Gehör sei, unzulässig erweitert: Während die mit Gründen versehene Stellungnahme nur auf einen Verstoß gegen Artikel 2 der Sechsten Richtlinie gestützt werde, führe die Klageschrift zusätzlich Artikel 13 Teil A der Sechsten Richtlinie an. Die Argumentation der Kommission zu Artikel 13 Teil A stelle einen wesentlichen Aspekt ihres Vorbringens dar. In Artikel 2 werde nur der Steuergegenstand definiert, indem die verschiedenen Umsatzarten festgelegt würden, die grundsätzlich der Mehrwertsteuer unterlägen. Aus Artikel 2 folge jedoch nicht unmittelbar, dass die dort beschriebenen Tätigkeiten automatisch steuerpflichtig seien: Das ergebe sich vielmehr aus den besonderen Steuerbefreiungstatbeständen nach den Artikeln 13 ff. Ob eine Tätigkeit mehrwertsteuerpflichtig sei, könne dementsprechend nur durch eine Würdigung dieser Tatbestände bestimmt werden.

15. Es gibt eine reiche Rechtsprechung zu dem Verfahren, das von der Kommission einzuhalten ist, bevor sie ein Verfahren nach Artikel 226 EG einleiten kann. Dieses Verfahren soll dem betroffenen Mitgliedstaat Gelegenheit geben, sowohl seinen gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen als auch seine Verteidigungsmittel gegenüber den Rügen der Kommission geltend zu machen.

16. Zunächst muss die Kommission dem betroffenen Mitgliedstaat ein Aufforderungsschreiben übermitteln. Dieses Schreiben hat das Ziel, den Gegenstand des Rechtsstreits einzugrenzen und dem Mitgliedstaat, der zur Äußerung aufgefordert wird, die notwendigen Angaben zur Vorbereitung seiner Verteidigung an die Hand zu geben.

17. Im vorliegenden Fall enthält das Aufforderungsschreiben der Kommission vom 6. November 1998 drei Absätze mit Ausführungen zur Sache. Die Kommission stellt erstens fest, dass die deutschen Rechtsvorschriften bestimmte Dienstleistungen von der Mehrwertsteuer befreiten, und führt sodann konkret aus, dass nach § 4 Nummer 21a UStG Umsätze der staatlichen Hochschulen aus Forschungstätigkeit von der Mehrwertsteuer befreit seien. Zweitens führt sie aus, dass zum einen eine Einrichtung des öffentlichen Rechts wie eine staatliche Hochschule zweifellos mehrwertsteuerpflichtig sei, sofern sie nicht im Rahmen der öffentlichen Gewalt tätig sei, sondern entgeltliche Tätigkeiten ausübe, und zum anderen Forschungstätigkeiten eines Steuerpflichtigen gemäß der Sechsten Richtlinie steuerbare und nicht steuerbefreite Umsätze darstellten. Drittens stellt sie fest, Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie sehe vor, dass Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt", mehrwertsteuerpflichtig seien; da die Forschungstätigkeit nicht insbesondere nicht nach Artikel 13 der Sechsten Richtlinie von der Mehrwertsteuer befreit sei, schließt die Kommission daraus, dass Deutschland dadurch gegen Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie verstoßen habe, dass es Forschungstätigkeiten staatlicher Hochschulen von der Mehrwertsteuer befreie.

18. Der Zweck des Erfordernisses, dass die Kommission nach Artikel 226 EG eine mit Gründen versehene Stellungnahme abgibt, besteht, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, darin, dem Mitgliedstaat Gelegenheit [zu] geben, seinen Standpunkt zu rechtfertigen, und es der Kommission gegebenenfalls [zu] ermöglichen, den Mitgliedstaat zu veranlassen, freiwillig den Erfordernissen des Vertrages nachzukommen. Für den Fall, dass dieses Bemühen um eine Beilegung erfolglos bleibt, dient die mit Gründen versehene Stellungnahme der Bestimmung des Streitgegenstands."

19. Die mit Gründen versehene Stellungnahme stellt das Vorbringen der Kommission in vier Absätzen dar. Sie stellt erstens fest, dass die deutschen Rechtsvorschriften bestimmte Dienstleistungen von der Mehrwertsteuer befreiten, und führt sodann konkret aus, dass nach § 4 Nummer 21a UStG Umsätze der staatlichen Hochschulen aus Forschungstätigkeit von der Mehrwertsteuer befreit seien. Zweitens führt sie aus, Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie sehe vor, dass Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt", mehrwertsteuerpflichtig seien. Drittens stellt sie fest, dass zum einen eine Einrichtung des öffentlichen Rechts wie eine staatliche Hochschule zweifellos mehrwertsteuerpflichtig sei, sofern sie nicht im Rahmen der öffentlichen Gewalt tätig sei, sondern entgeltliche Tätigkeiten ausübe, und zum anderen Forschungstätigkeiten eines Steuerpflichtigen gemäß der Sechsten Richtlinie steuerbare und nicht steuerbefreite Umsätze darstellten und sich daraus nach Auffassung der Kommission ergebe, dass Deutschland dadurch gegen Artikel 2 der Sechsten Richtlinie verstoßen habe, dass es die Forschungsleistungen staatlicher Hochschulen von der Mehrwertsteuer befreie. Viertens wird in der mit Gründen versehenen Stellungnahme ausgeführt, dass die Kommission Deutschland im November 1998 gemäß Artikel 226 EG von diesem Verstoß unterrichte habe und dass sie darauf keine Antwort erhalten habe, obwohl Deutschland eine Fristverlängerung für seine Antwort eingeräumt worden sei.

20. Hätte Deutschland auf das Aufforderungsschreiben geantwortet, wäre die Kommission berechtigt gewesen, auf in der Antwort geltend gemachte Verteidigungsmittel und Argumente zu erwidern. Mangels einer Antwort von Deutschland wiederholte die mit Gründen versehene Stellungnahme mit im Wesentlichen denselben Worten den Inhalt des Aufforderungsschreibens. Erst als Deutschland auf die mit Gründen versehene Stellungnahme antwortete, versuchte sie ihre Auffassung damit zu rechtfertigen, dass sie sich zur Verteidigung auf Artikel 13 Teil A berief.

21. Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass sich die Kommission bei einem Vertragsverletzungsverfahren gegen einen Mitgliedstaat in der Klageschrift zum ersten Mal auf Rechtsvorschriften der Gemeinschaft berufen kann, wenn sie dabei nur auf das von dem betroffenen Mitgliedstaat vorgebrachte Verteidigungsvorbringen erwidert und damit weder die Umschreibung noch die Begründung der angeblichen Pflichtverletzung ändert. Meines Erachtens hat die Kommission, als sie in ihrer Klageschrift vorgetrug, Artikel 13 Teil A sei nicht anwendbar, lediglich auf das Verteidigungsvorbringen Deutschlands erwidert und nicht die Umschreibung oder die Begründung der angeblichen Pflichtverletzung geändert: Der Hauptvorwurf besteht weiterhin darin, dass Deutschland gegen Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie verstoßen habe.

22. Diese Vorschrift bestimmt, dass Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher gegen Entgelt ausführt, der Mehrwertsteuer unterliegen. Artikel 13 Teil A enthält eine Aufzählung von zwingenden und fakultativen Befreiungen. Nach der Systematik der Rechtsvorschriften ist klar, dass sich die grundsätzliche Mehrwertsteuerpflicht aus Artikel 2 ergibt. Die Kommission trägt vor, Forschungstätigkeiten staatlicher Hochschulen seien Dienstleistungen, die im Sinne von Artikel 2 Nummer 1 geliefert würden und folglich mehrwertsteuerpflichtig sein müssten; da jedoch die deutschen Rechtsvorschriften solche Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer befreiten, habe Deutschland gegen Artikel 2 Nummer 1 verstoßen. Dieses Vorbringen ist meiner Ansicht nach sowohl im Aufforderungsschreiben als auch in der mit Gründen versehenen Stellungnahme hinreichend dargelegt.

23. Überdies ergibt sich aus dem Umstand, dass Deutschland auf die mit Gründen versehene Stellungnahme mit einer detaillierten Rechtfertigung für die streitigen nationalen Rechtsvorschriften geantwortet hat, dass diese Stellungnahme und damit auch das Aufforderungsschreiben, das, wie Deutschland feststellt, im Wesentlichen denselben Wortlaut hat den betroffenen Mitgliedstaat in die Lage versetzt hat, eine Verteidigung vorzubereiten.

24. Die Klage der Kommission ist folglich zulässig.

Begründetheit

25. Die Kommission führt aus, dass gemäß Artikel 4 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie eine Einrichtung des öffentlichen Rechts wie eine staatliche Hochschule Steuerpflichtiger sei, soweit sie wirtschaftliche Tätigkeiten, wie z. B. die Erbringung von Dienstleistungen, ausübe. Staatliche Hochschulen erbrächten im Rahmen der Auftragsforschung, der eine Vereinbarung über Leistung und Gegenleistung zugrunde liege, somit Dienstleistungen und seien daher Steuerpflichtige im Sinne von Artikel 4 der Sechsten Richtlinie. Da nach Artikel 2 Nummer 1 die Lieferung von Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt ausführe, der Mehrwertsteuer unterlägen, verstießen die streitigen nationalen Rechtsvorschriften gegen Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie.

26. Deutschland verteidigt sich im Wesentlichen mit zwei Argumenten.

27. Erstens sei der Antrag der Kommission unbegründet, da Artikel 2 der Sechsten Richtlinie weder eine Gebots- noch eine Verbotsnorm darstelle, sondern eine reine Definition des Steuergegenstands sei, gegen die als solche kein Vertragsverstoß möglich sei.

28. Zweitens sei die Befreiung der Forschungstätigkeiten staatlicher Hochschulen nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe i der Sechsten Richtlinie gerechtfertigt.

Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie

29. Ich akzeptiere das Argument Deutschlands nicht, wonach sich aus Artikel 2 keine Pflicht zur Erhebung von Mehrwertsteuer ergibt. Dieses Argument kann sich nicht auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes stützen. Der Gerichtshof hat entschieden, dass durch nationale Rechtsvorschriften, die bestimmte Umsätze von der Mehrwertsteuer befreien, oder durch Mitgliedstaaten, die bestimmte Umsätze nicht der Mehrwertsteuer unterworfen haben, gegen Artikel 2 verstoßen wird, und ausdrücklich festgestellt, dass nach dem dem System der Mehrwertsteuer innewohnenden Grundprinzip, das sich in der Ersten und in der Sechsten Richtlinie jeweils aus Artikel 2 ergibt, ... die Mehrwertsteuer auf jeden Produktions- oder Vertriebsvorgang erhoben wird]" und eine Dienstleistung ... im Sinne von Artikel 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie ,gegen Entgelt erbracht wird und somit steuerpflichtig ist ...".

Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe i der Sechsten Richtlinie

30. Deutschland trägt vor, dass die Forschungstätigkeiten staatlicher Hochschulen den Steuerbefreiungstatbestand des Artikels 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe i der Sechsten Richtlinie erfuellten. Auf Forschung bezogene Dienstleistungen stuenden mit dem Hochschulunterricht in einem engen Zusammenhang. Forschung und Lehre an einer Hochschule seien nicht voneinander zu trennen.

31. Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe i verlangt von den Mitgliedstaaten, Hochschulunterricht, ... sowie die damit eng verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts ..." von der Mehrwertsteuer zu befreien.

32. Diese Vorschrift erwähnt nicht Forschungstätigkeiten staatlicher Hochschulen, worauf die Kommission hinweist. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass die Begriffe, mit denen die Steuerbefreiungen nach Artikel 13 der Richtlinie umschrieben sind, eng auszulegen sind, da sie Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, wonach jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Umsatzsteuer unterliegt, dass durch Artikel 13 Teil A bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten, von der Mehrwertsteuer befreit werden sollen, und dass durch diese Vorschrift nicht alle dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten befreit werden, sondern nur diejenigen, die einzeln aufgeführt und sehr genau beschrieben sind. Da Forschungstätigkeiten staatlicher Hochschulen in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe i nicht gesondert erwähnt sind, sind sie nach dieser Vorschrift von der Mehrwertsteuer nur befreit, wenn sie mit dem Hochschulunterricht eng verbunden" sind.

33. Der Gerichtshof hat sich kürzlich mit dem Anwendungsbereich von Tätigkeiten befasst, die eng verbunden" sind mit der Krankenhausbehandlung und der ärztlichen Heilbehandlung im Sinne von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie wonach die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die Krankenhausbehandlung und die ärztliche Heilbehandlung sowie die mit ihnen eng verbundenen Umsätze, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts ... durchgeführt ... werden", von der Mehrwertsteuer zu befreien. Die Kommission hatte vorgetragen, es verstoße gegen diese Bestimmung, wenn Frankreich Mehrwertsteuer auf Pauschalvergütungen für die Entnahme von Proben zum Zweck der medizinischen Analyse erhebe. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass die Definition des Begriffes der mit der Krankenhausbehandlung oder ärztlichen Heilbehandlung eng verbundenen" Umsätze keine besonders enge Auslegung [verlangt], da durch die Befreiung der eng mit der Krankenhausbehandlung oder ärztlichen Heilbehandlung verbundenen Umsätze gewährleistet werden soll, dass der Zugang zu solchen Behandlungen nicht durch die höheren Kosten versperrt wird, die entstuenden, wenn die Behandlungen selbst oder die eng mit ihnen verbundenen Umsätze der Mehrwertsteuer unterworfen wären". Damit ist er ganz dem Vorschlag von Generalanwalt Fennelly gefolgt, der der Auffassung war, dass sämtliche Umsätze, die unmittelbar oder eng mit der ,Krankenhausbehandlung und [der] ärztliche[n] Heilbehandlung verbunden sind, unabhängig von ihrer Form als von der Befreiung erfasst anzusehen sind".

34. Der Gerichtshof hat folglich dem Zweck der Umsätze, die angeblich mit den befreiten Umsätzen eng verbunden sind, Bedeutung beigemessen. Insbesondere muss festgestellt werden, ob die fraglichen Dienstleistungen für die Kundschaft einen eigenen Zweck oder das Mittel darstellen, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen.

35. Die Anwendung dieser Grundsätze auf die vorliegende Rechtssache führt meines Erachtens zu der Schlussfolgerung, dass entgeltliche Auftragsforschungstätigkeiten staatlicher Hochschulen nicht unter die Befreiung des Hochschulunterrichts nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe i der Sechsten Richtlinie fallen.

36. Deutschland macht in seiner Klagebeantwortung geltend, dass Forschung und Lehre nicht voneinander zu trennen seien. Hochschulen seien im Gegensatz zu anderen Lehreinrichtungen, die rein praktisch orientiert seien, für die Lehre auf die Forschung angewiesen, weil sie aus beiden Tätigkeiten neue Erkenntnisse entwickeln und vermitteln könnten. Der enge Zusammenhang zwischen Forschung und Lehre an Hochschulen spiegele sich im Grundgesetz wider, das bestimme, dass Forschung und Lehre frei seien, und im Hochschulrahmengesetz, wonach die Forschung in den Hochschulen der Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnis sowie der Weiterentwicklung von Lehre und Studium diene. Deutschland ist der Ansicht, dass es ineffizient und bürokratisch wäre, steuerpflichtige und steuerfreie Tätigkeiten voneinander zu trennen, wenn Forschung und Lehre für die Mehrwertsteuer getrennt werden müssten.

37. Ich räume ein, dass im Hochschulalltag Forschung und Lehre in einem engen Zusammenhang stehen. Es muss jedoch bedacht werden, dass dies, wenn dem Antrag der Kommission stattgegeben wird, nicht bedeutet, dass alle Forschungstätigkeiten für alle Zwecke von Lehrtätigkeiten getrennt werden müssen. Mehrwertsteuer muss auf Dienstleistungen erhoben werden, die gegen Entgelt erbracht werden. Folglich sind, wenn eine Hochschule Forschungen gegen Entgelt durchführt, diese Forschungsleistungen mehrwertsteuerpflichtig. Umgekehrt stellt sich die Frage der Mehrwertsteuer nicht, wenn Forschungen ohne Gegenleistung durchgeführt werden. Ich vermag nicht zu erkennen, warum es besonders schwer sein soll, Dienstleistungen gegen Entgelt, die zwangsläufig Gegenstand von Verträgen sind, von allgemeinen Lehrtätigkeiten zu unterscheiden, wozu auch Forschungen gehören, die ohne Gegenleistung im Wege weiterer Studien vorgenommen werden.

38. Die Kommission führt weiter aus, dass nach ihrer Kenntnis alle Mitgliedstaaten außer Deutschland und Irland bei den Hochschulen zwischen Lehrtätigkeiten, die gemäß Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe i der Sechsten Richtlinie von der Mehrwertsteuer befreit seien, und Forschungstätigkeiten, die der Mehrwertsteuer unterlägen, unterschieden. Ich kann daher Deutschland nicht in seinem Vorbringen folgen, dass die Trennung von steuerbefreiten und steuerpflichtigen Umsätzen so problematisch sei. Jedenfalls können praktische Schwierigkeiten bei der Umsetzung eine Nichtumsetzung nicht rechtfertigen.

39. Ich möchte hinzufügen, dass es nicht auf die Definition von Forschungstätigkeiten nach nationalem Recht ankommt: Es ist klar, dass die Unterwerfung eines bestimmten Umsatzes unter die Mehrwertsteuer oder seine Befreiung nicht davon abhängen kann, wie er nach nationalem Recht qualifiziert wird.

40. Da aus den vorstehend genannten Gründen entgeltliche Forschungstätigkeiten staatlicher Hochschulen nicht in den Anwendungsbereich der Befreiung des Hochschulunterrichts von der Mehrwertsteuer nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe i der Sechsten Richtlinie fallen, verstößt Deutschland gegen Artikel 2 der Richtlinie. Es ist daher nicht erforderlich, auf das Argument Deutschlands einzugehen, wonach die Befreiung solcher Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer zu einer Steuervereinfachung führe und Verwaltungsaufwand vermeide: Deutschland räumt ein, dass dieses Argument nur relevant wäre, wenn die Befreiung nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe i anzuwenden wäre.

Ergebnis

41. Demgemäß schlage ich dem Gerichtshof vor,

1. festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 2 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie verstoßen hat, dass sie die Forschungstätigkeit der staatlichen Hochschulen von der Mehrwertsteuer befreit;

2. der Bundesrepublik Deutschland die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.