Available languages

Taxonomy tags

Info

References in this case

References to this case

Share

Highlight in text

Go

Wichtiger rechtlicher Hinweis

|

62001C0234

Schlussanträge des Generalanwalts Léger vom 13. März 2003. - Arnoud Gerritse gegen Finanzamt Neukölln-Nord. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Finanzgericht Berlin - Deutschland. - Einkommensteuer - Gebietsfremde - Artikel 59 EGVertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) und Artikel 60 EGVertrag (jetzt Artikel 50 EG) - Grundfreibetrag - Abzug der Betriebsausgaben. - Rechtssache C-234/01.

Sammlung der Rechtsprechung 2003 Seite I-05933


Schlußanträge des Generalanwalts


1 Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen des Finanzgerichts Berlin (Deutschland) betrifft die einkommensteuerrechtliche Situation eines Gebietsfremden niederländischer Staatsangehörigkeit, der in Deutschland Dienstleistungen erbringt. Derartige grenzüberschreitende Sachverhalte sind in dem Abkommen vom 16. Juni 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung geregelt(1).

I - Nationale Rechtsvorschriften

2 Das deutsche Einkommensteuerrecht, d. h. das Einkommensteuergesetz in der Fassung von 1996 (nachstehend: EStG 1996), unterscheidet bei der Besteuerung zwischen Gebietsansässigen, die unbeschränkt steuerpflichtig sind, und Gebietsfremden, die beschränkt steuerpflichtig sind. Bei unbeschränkt Steuerpflichtigen sieht das EStG 1996 eine Besteuerung der Nettoeinkünfte vor unter Anwendung eines progressiven Steuertarifs, der einen Grundfreibetrag umfasst.

3 § 50a Absatz 4 EStG 1996 regelt die Besteuerung von beschränkt Steuerpflichtigen, d. h. Personen, die in Deutschland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben und die dort mit den im Inland erzielten Einkünften der Besteuerung unterliegen. § 50a Absatz 4 lautet:

"Die Einkommensteuer wird bei beschränkt Steuerpflichtigen im Wege des Steuerabzugs erhoben

1. bei Einkünften, die durch künstlerische, sportliche, artistische oder ähnliche Darbietungen im Inland oder durch deren Verwertung im Inland erzielt werden, einschließlich der Einkünfte aus anderen mit diesen Leistungen zusammenhängenden Leistungen, unabhängig davon, wem die Einnahmen zufließen ...

...

Der Steuerabzug beträgt 25 vom Hundert der Einnahmen ..."

4 Einnahmen im Sinne von § 50a Absatz 4 EStG 1996 sind alle Güter, die in Geld oder Geldeswert bestehen und dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind, ohne Abzug von Betriebsausgaben, Werbungskosten, Sonderausgaben und Steuern.

5 Mit dem Steuerabzug gilt die Einkommensteuer grundsätzlich als abgegolten. Das Gesetz sieht kein Erstattungsverfahren vor(2). Eine einzige Ausnahme ist für den Fall zugelassen, dass die Betriebsausgaben oder Werbungskosten höher sind als die Hälfte der Einnahmen(3).

6 Nach § 1 Absatz 3 EStG 1996 können bestimmte Personen, die in den Anwendungsbereich von § 50a fallen, eine Behandlung als unbeschränkt Einkommensteuerpflichtige beantragen. Ihre Besteuerung wird in diesem Fall (nachträglich) derjenigen eines unbeschränkt Steuerpflichtigen angeglichen. Beschränkt Steuerpflichtige haben diese Möglichkeit jedoch nur unter einer der folgenden Voraussetzungen: entweder wenn ihre Einkünfte im Kalenderjahr mindestens zu 90 % der deutschen Einkommensteuer unterliegen oder wenn die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte höchstens 12 000 DM betragen.

7 Auf Steuerpflichtige, die von diesem Recht Gebrauch machen, finden die Regeln des EStG 1996 in der gleichen Weise Anwendung wie auf unbeschränkt Steuerpflichtige. Bei diesen dient nach deutschem Recht für Einkünfte aus einer selbständigen Tätigkeit als Besteuerungsgrundlage der Nettogewinn (Einnahmen abzüglich tatsächliche Ausgaben). Zudem wird auf ihre Einkünfte ein progressiver Steuertarif angewandt, der einen Grundfreibetrag umfasst(4).

II - Sachverhalt und Ausgangsverfahren

8 Herr Gerritse (nachstehend: Kläger) ist niederländischer Staatsangehöriger und übte 1996 in Deutschland eine selbständige Tätigkeit aus. Er hatte am 25. April 1996 einen Auftritt als Schlagzeuger bei einem Radiosender in Berlin. Sein Honorar betrug 6 007,55 DM. Der Radiosender behielt einen Anteil von 25 %(5), d. h. 1 501,89 DM, als pauschale Einkommensteuer (Verfahren des Steuerabzugs) sowie 112,64 DM Solidaritätszuschlag ein.

9 Im selben Jahr erzielte der Kläger außerdem Bruttoeinkünfte in Höhe von rund 55 000 DM in seinem Wohnsitzstaat Niederlande und in Belgien.

10 Nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung werden die in Deutschland erzielten Einkünfte des Klägers dort der Einkommensteuer unterworfen. Nach deutschem Recht wird diese Steuer durch Anwendung eines Pauschalsatzes von 25 % auf die Bruttoeinkünfte errechnet und im Wege des Steuerabzugs erhoben.

11 Am 4. September 1998 beantragte der Kläger gemäß § 1 Absatz 3 EStG 1996 beim Finanzamt Neukölln-Nord (Deutschland), ihn als unbeschränkt Steuerpflichtigen zu behandeln.

12 Das Finanzamt lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 3. Dezember 1998 ab.

13 Der Kläger erhob gegen diesen Bescheid Klage beim Finanzgericht Berlin. Er macht geltend, nach dem Urteil Biehl(6) und gemäß dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Nichtdiskriminierung habe er einen Anspruch auf Durchführung einer Einkommenssteuerveranlagung wie ein unbeschränkt Steuerpflichtiger, weil ein Inländer in vergleichbarer Situation wegen des Grundfreibetrags in Höhe von 12 095,00 DM(7) keine Steuer entrichten müsse.

III - Vorlagefrage

14 Das Finanzgericht Berlin hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Verstößt es gegen Artikel 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG), dass nach § 50a Absatz 4 Satz 1 Nr. 1 sowie Satz 2 EStG 1996 ein niederländischer Staatsangehöriger, der in der Bundesrepublik Deutschland steuerpflichtige Nettoeinkünfte aus selbständiger Tätigkeit im Kalenderjahr in Höhe von rund 5 000 DM erzielt, einem Steuerabzug in Höhe von 25 v. H. der (Brutto-)Einnahmen von rund 6 000 DM zuzüglich Solidaritätszuschlag durch den Schuldner der Honorarvergütung unterliegt und er keine Möglichkeit hat, die gezahlten Abgaben im Wege eines Erstattungsantrags oder eines Antrags auf Steuerveranlagung ganz oder teilweise zurückzuerlangen?

IV - Analyse

15 Wie der Kläger und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften meine ich, dass die Frage des Finanzgerichts Berlin so zu verstehen ist, dass sie Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) und nicht Artikel 52 EG-Vertrag betrifft(8). Ein Sachverhalt wie der des Ausgangsrechtsstreits fällt nämlich wegen des vorübergehenden Charakters der selbständigen Tätigkeit des Klägers unter die Vertragsvorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr(9).

16 Zunächst ist daran zu erinnern, dass nach deutschem Recht zum einen ein unterschiedlicher Steuersatz gilt, je nachdem ob es sich um Einkünfte von unbeschränkt Steuerpflichtigen - Gebietsansässigen - oder von beschränkt Steuerpflichtigen - Gebietsfremden - handelt. Konkret heißt dies, dass das deutsche Recht Gebietsansässige einem progressiven Steuertarif mit einem Grundfreibetrag und Gebietsfremde einem Pauschalsatz von 25 % unterwirft.

17 Zum anderen werden nach deutschem Recht die Betriebsausgaben unterschiedlich berücksichtigt, je nachdem ob es um Einkünfte eines Gebietsansässigen oder eines Gebietsfremden geht. Bei Gebietsansässigen können sie nämlich von den steuerbaren Einnahmen abgezogen werden, bei Gebietsfremden dagegen nicht.

18 Unter diesen Umständen ist die Vorlagefrage so zu verstehen, dass gefragt wird, ob Artikel 59 EG-Vertrag einer nationalen einkommensteuerrechtlichen Regelung entgegensteht, nach der wie im vorliegenden Fall Gebietsansässige und Gebietsfremde unterschiedlich behandelt werden. Zum einen werden Einkünfte von Gebietsansässigen einem progressiven Steuertarif mit einem Grundfreibetrag unterworfen, während für Einkünfte Gebietsfremder ein Pauschalsatz gilt, und zum anderen werden bei Gebietsansässigen nach Abzug ihrer Betriebsausgaben die Nettoeinkünfte besteuert, während bei Gebietsfremden die Bruttoeinkünfte ohne solchen Abzug besteuert werden.

19 Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, "dass zwar der Bereich der direkten Steuern als solcher beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts nicht in die Zuständigkeit der Gemeinschaft fällt, die Mitgliedstaaten die ihnen verbliebenen Befugnisse jedoch unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben müssen"(10). Folglich dürfen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung der ihnen verbliebenen Befugnisse nicht den vom EG-Vertrag verbürgten Grundfreiheiten wie dem freien Dienstleistungsverkehr zuwiderhandeln(11).

20 Ferner hat der Gerichtshof entschieden, dass "[u]nter dem Gesichtspunkt eines einheitlichen Marktes und im Hinblick auf die Verwirklichung seiner Ziele ... Artikel 59 EG-Vertrag die Anwendung einer nationalen Regelung aus[schließt], die die Erbringung von Dienstleistungen zwischen Mitgliedstaaten gegenüber der Erbringung von Dienstleistungen allein innerhalb eines Mitgliedstaats erschwert"(12).

A - Zum pauschalen Steuersatz von 25 %

21 Der erste Teil der Vorlagefrage geht dahin, ob Artikel 59 EG-Vertrag einer Vorschrift des nationalen Einkommensteuerrechts wie der vorliegenden entgegensteht, nach der die Einkünfte einen Gebietsansässigen und die Einkünfte eines Gebietsfremden insofern unterschiedlich besteuert werden, als der Gebietsansässige einem progressiven Steuertarif mit einem Grundfreibetrag unterworfen wird, während für den Gebietsfremden ein Pauschalsatz gilt.

22 Meines Erachtens verstößt die Anwendung eines Pauschalsatzes von 25 % auf die vom Kläger in Deutschland erzielten Einkünfte anstelle eines progressiven Steuertarifs mit einem Grundfreibetrag nicht gegen die Vorschriften des EG-Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr.

23 Nach ständiger Rechtsprechung(13) verbieten die Vorschriften über die Gleichbehandlung nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zum gleichen Ergebnis führen.

24 So besteht die Gefahr, dass nationale Rechtsvorschriften, die zwar unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Steuerpflichtigen gelten, aber eine Unterscheidung aufgrund des Kriteriums des Wohnsitzes treffen, indem sie Gebietsfremden bestimmte Steuervergünstigungen verweigern, die sie Gebietsansässigen gewähren, sich hauptsächlich zum Nachteil der Angehörigen anderer Mitgliedstaaten auswirken, da Gebietsfremde meist Ausländer sind(14).

25 Ferner kann nach ständiger Rechtsprechung eine Diskriminierung nur darin bestehen, dass unterschiedliche Vorschriften auf vergleichbare Situationen angewandt werden oder dass dieselbe Vorschrift auf unterschiedliche Situationen angewandt wird(15).

26 Gebietsansässige und Gebietsfremde befinden sich jedoch im Hinblick auf die direkten Steuern in der Regel nicht in einer vergleichbaren Situation(16). Daher kann ein Mitgliedstaat in diesem Bereich für Gebietsansässige und Gebietsfremde unterschiedliche Regelungen treffen.

27 Im vorliegenden Fall erzielt der Kläger seine Einkünfte hauptsächlich in seinem Wohnsitzstaat und nur zu einem geringen Teil aus seiner Tätigkeit in Deutschland. Die Situation des Klägers ist nicht mit der eines Gebietsansässigen in Deutschland vergleichbar, da zwischen ihnen sowohl hinsichtlich der Einkunftsquelle als auch hinsichtlich der persönlichen Steuerkraft oder der Berücksichtigung der persönlichen Lage und des Familienstands objektive Unterschiede bestehen(17).

28 Der objektive Unterschied kann in einem Fall wie dem vorliegenden eine Ungleichbehandlung durch Anwendung unterschiedlicher Vorschriften rechtfertigen(18). Diese Ungleichbehandlung darf aber den freien Dienstleistungsverkehr nicht beeinträchtigen und den Kläger nicht benachteiligen.

29 Daher ist zu untersuchen, ob die Anwendung des Pauschalsatzes anstelle des progressiven Steuertarifs mit Grundfreibetrag wie im vorliegenden Fall für die Tätigkeit des Klägers in Deutschland nachteilig sein und damit die Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit beeinträchtigen kann.

30 Hierzu werde ich erstens prüfen, ob der Kläger tatsächlich für seine Einkünfte die Anwendung des Grundfreibetrags verlangen kann. Zweitens werde ich prüfen, ob der Kläger durch die Anwendung des Pauschalsatzes von 25 % anstelle des progressiven Tarifs tatsächlich benachteiligt wird.

31 Das Finanzamt Berlin(19), die finnische Regierung(20) und die Kommission(21) sind der Auffassung, der in der deutschen Rechtsvorschrift vorgesehene Grundfreibetrag sei auf den Kläger nicht anzuwenden, weil diese Rechtsvorschrift einer sozialen Zielsetzung diene. Dem Steuerpflichtigen solle ein Existenzminimum belassen werden, das von jeder Einkommensbesteuerung frei bleibe.

32 Ich teile diese Auffassung. Erzielt eine Person den größten Teil ihres Einkommens in ihrem Wohnsitzstaat, so ist es nach ständiger Rechtsprechung Sache dieses Staates und nicht anderer Mitgliedstaaten, in denen diese Person ebenfalls Einkünfte erzielt hat, ihr das Existenzminimum zu erhalten(22). Im vorliegenden Fall ist die Erhaltung des Existenzminimums des Klägers also nicht Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland, denn er erzielt dort nur einen geringen Teil seiner Einkünfte.

33 Zur Höhe des Pauschalsatzes, der hier 25 % beträgt, ist auf das Urteil Asscher zu verweisen, in dem der Gerichtshof festgestellt hat, dass einem Gebietsfremden jedenfalls dann kein höherer Steuersatz abverlangt werden könne als einem Gebietsansässigen, wenn sein im Tätigkeitsstaat erzieltes Einkommen in seinem Wohnsitzstaat in die Steuerprogression falle(23).

34 Diese beiden Voraussetzungen sind hier erfuellt.

35 Zum einen berücksichtigt der Wohnsitzstaat, also die Niederlande, gemäß dem Abkommen zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung die in Deutschland erzielten Einkünfte des Klägers bei der Progression der Besteuerung seines Welteinkommens. Die niederländische Regierung hebt in ihrer Antwort an den Gerichtshof hervor, sie berücksichtige die in den verschiedenen Tätigkeitsstaaten entrichtete Steuer und ziehe sie von der auf das Welteinkommen geschuldeten Steuer ab(24). Dem Kläger wird aufgrund der Dienstleistungsfreiheit für die in Deutschland erzielten Einkünfte eine Steuerbefreiung gewährt. Diese Steuerbefreiung wird von dem Betrag der auf das Welteinkommen geschuldeten Steuer abgezogen.

36 Zum anderen hat die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen(25) einleuchtend dargelegt, dass eine Anwendung des im deutschen Recht vorgesehenen progressiven Tarifs auf die vom Kläger in Deutschland erzielten Einkünfte zu einem ähnlichen Steuersatz wie dem angewandten Pauschalsatz von 25 % führen würde.

37 Konkret würde die Berechnung im Fall des Klägers ausgehend von seinen Nettoeinkünften und der Steuertabelle des EStG 1996 einen durchschnittlichen Steuersatz von 26,5 % ergeben. Die Kommission folgert zu Recht, dass bis zur Höhe diese Satzes keine Diskriminierung vorliege. Der Kläger wird durch den auf ihn gemäß dem EStG 1996 angewandten Satz von 25 % gegenüber einem Gebietsansässigen, auf den der progressive Tarif angewandt wird, nicht benachteiligt.

38 Daher verstößt die deutsche Rechtsvorschrift, die im vorliegenden Fall einen Pauschalsatz von 25 % vorsieht, nicht gegen die Vorschriften des EG-Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr.

B - Zur Abziehbarkeit der Betriebsausgaben

39 Zunächst ist daran zu erinnern, dass nach dem EStG 1996 bei Gebietsansässigen nach Abzug ihrer Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten die Nettoeinkünfte und bei Gebietsfremden die Bruttoeinkünfte ohne solchen Abzug besteuert werden(26).

40 Der zweite Teil der Vorlagefrage geht dahin, ob Artikel 59 EG-Vertrag einer nationalen Regelung wie der vorliegenden entgegensteht, nach der die Einkünfte eines Gebietsansässigen und die Einkünfte eines Gebietsfremden insofern unterschiedlich besteuert werden, als beim Gebietsansässigen nach Abzug seiner Betriebsausgaben die Nettoeinkünfte und beim Gebietsfremden die Bruttoeinkünfte ohne solchen Abzug besteuert werden.

41 Meines Erachtens führt die deutsche Rechtsvorschrift im Fall des Klägers zu einem tatsächlichen Nachteil.

42 Wie ich bereits hervorgehoben habe, kann ein Mitgliedstaat im Bereich der direkten Steuern auf Gebietsansässige und Gebietsfremde unterschiedliche Vorschriften anwenden. Gebietsfremde dürfen aber durch die für sie geltenden Vorschriften bei der Ausübung ihrer Tätigkeit im Hinblick auf die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften nicht benachteiligt werden.

43 Der dem Kläger nach seiner Behauptung durch die Ungleichbehandlung nach der deutschen Regelung entstandene Nachteil ist jedoch offensichtlich(27). Da er von seinen Einnahmen nicht die ihm tatsächlich im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit entstandenen Betriebsausgaben abziehen kann, wird bei ihm ein höherer Betrag als bei Gebietsansässigen besteuert, da diese bei gleichen Einkünften ihre Betriebsausgaben abziehen können.

44 Im Übrigen hat der Kläger keine Möglichkeit, diese Abzüge später in seinem Wohnsitzstaat vorzunehmen.

45 Meines Erachtens muss unter diesen Umständen das deutsche Recht, das für die Besteuerung der vom Kläger in Deutschland erzielten Einkünfte gemäß dem Abkommen zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung gilt, den Abzug der zur Erzielung dieser Einkünfte aufgewandten Betriebsausgaben zulassen. Indem es dies nicht tut, benachteiligt das deutsche Recht den Kläger gegenüber den Gebietsansässigen, die der gleichen Tätigkeit nachgehen, aber in Höhe ihrer Nettoeinkünfte besteuert werden.

46 Der Nachteil des Klägers ist eine Folge der Ungleichbehandlung durch das deutsche Recht, das auf das Kriterium des Wohnsitzes abstellt. Eine solche Ungleichbehandlung stellt eine mittelbare Diskriminierung dar.

47 Es ist zu prüfen, ob diese Diskriminierung gerechtfertigt werden kann. Bisher hat sich die deutsche Regierung nicht am Verfahren beteiligt, und das Finanzamt Berlin hat für diese aus dem nationalen Recht folgende Ungleichbehandlung keine Rechtfertigung vorgetragen.

48 Wie das vorlegende Gericht zu Recht hervorhebt, kann die Nichtabziehbarkeit der Betriebsausgaben nicht durch den so genannten Grundsatz der "Kohärenz des Steuersystems" gerechtfertigt werden. Das Erfordernis, die Kohärenz des Steuersystems zu wahren, ist in den Urteilen Bachmann und Kommission/Belgien als möglicher Rechtfertigungsgrund für Regelungen anerkannt worden, die dazu angetan sind, die vom Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten einzuschränken(28).

49 In der vorliegenden Rechtssache bedeutet die deutsche Regelung, die Einkünfte eines Gebietsfremden mit dem Pauschalsatz von 25 % zu besteuern, keineswegs, auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Kohärenz des Steuersystems, dass die Steuer auf die Bruttoeinkünfte dieses Gebietsfremden zu erheben ist.

50 Daher steht das Gemeinschaftsrecht den Vorschriften des deutschen Einkommensteuerrechts entgegen, nach denen die Einkünfte eines Gebietsansässigen und die Einkünfte eines Gebietsfremden insofern unterschiedlich besteuert werden, als beim Gebietsansässigen die Nettoeinkünfte und beim Gebietsfremden die Bruttoeinkünfte besteuert werden.

V - Ergebnis

51 Ich schlage daher vor, für Recht zu erkennen:

1. Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) steht einer nationalen einkommensteuerrechtlichen Regelung wie der vorliegenden nicht entgegen, nach der die Einkünfte eines Gebietsansässigen und die Einkünfte eines Gebietsfremden insofern unterschiedlich besteuert werden, als der Gebietsansässige einem progressiven Steuertarif mit einem Grundfreibetrag unterworfen wird, während für den Gebietsfremden ein Pauschalsatz gilt.

2. Dieser Artikel steht allerdings einer nationalen Regelung wie der vorliegenden entgegen, nach der die Einkünfte eines Gebietsansässigen und die Einkünfte eines Gebietsfremden insofern unterschiedlich besteuert werden, als beim Gebietsansässigen nach Abzug seiner Betriebsausgaben die Nettoeinkünfte und beim Gebietsfremden die Bruttoeinkünfte ohne solchen Abzug besteuert werden.

(1) - BGBl. 1960 II, S. 1782.

(2) - § 50 Absatz 5 EStG 1996.

(3) - § 50 Absatz 5 Nr. 3 Satz 2 EStG 1997, der auf nach dem 31. Dezember 1995 zugeflossene Vergütungen rückwirkend anwendbar ist.

(4) - Für 1996 betrug der Grundfreibetrag 12 095 DM (§ 32a EStG 1996).

(5) - Gemäß § 50a Absatz 4 EStG 1996.

(6) - Urteil des Gerichtshofes vom 8. Mai 1990 in der Rechtssache C-175/88 (Slg. 1990, I-1779).

(7) - § 32a Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 EStG 1996.

(8) - Vgl. Urteil vom 20. März 1986 in der Rechtssache 35/85 (Tissier, Slg. 1986, 1207, Randnr. 9).

(9) - Vgl. Urteil vom 30. November 1995 in der Rechtssache C-55/94 (Gebhard, Slg. 1995, I-4165, Randnr. 39).

(10) - Vgl. Urteile vom 14. Februar 1995 in der Rechtssache C-279/93 (Schumacker, Slg. 1995, I-225, Randnr. 21), vom 11. August 1995 in der Rechtssache C-80/94 (Wielockx, Slg. 1995, I-2493, Randnr. 16), vom 27. Juni 1996 in der Rechtssache C-107/94 (Asscher, Slg. 1996, I-3089, Randnr. 36), vom 14. September 1999 in der Rechtssache C-391/97 (Gschwind, Slg. 1999, I-5451, Randnr. 20) und vom 15. Januar 2002 in der Rechtssache C-55/00 (Gottardo, Slg. 2002, I-413, Randnr. 32).

(11) - Vgl. Urteile vom 28. Januar 1992 in der Rechtssache C-204/90 (Bachmann, Slg. 1992, I-249, Randnr. 31) und in der Rechtssache (Kommission/Belgien, C-300/90, Slg. 1992, I-305, Randnr. 22).

(12) - Vgl. Urteil vom 3. Oktober 2002 in der Rechtssache C-136/00 (Danner, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 29). Vgl. außerdem Urteil vom 5. Oktober 1994 in der Rechtssache C-381/93 (Kommission/Frankreich, Slg. 1994, I-5145, Randnr. 17).

(13) - Vgl. Urteile vom 12. Februar 1974 in der Rechtssache 152/73 (Sotgiu, Slg. 1974, 153, Randnr. 11) und vom 13. Juli 1993 in der Rechtssache (C-330/91, Commerzbank, Slg. 1993, I-4017, Randnr. 14).

(14) - Vgl. Urteil Schumacker, (Randnr. 28).

(15) - Ebd. (Randnr. 30).

(16) - Ebd. (Randnrn. 31, 33 und 34).

(17) - Vgl. Urteile Wielockx (Randnr. 18), Schumacker (Randnrn. 31 f.), Asscher (Randnr. 41), Gschwind (Randnr. 22) und vom 16. Mai 2000 in der Rechtssache (C-87/99, Zurstrassen, Slg. 2000, I-3337, Randnr. 21).

(18) - Vgl. in diesem Sinne Urteile Schumacker (Randnrn. 36 bis 38) und Asscher (Randnr. 42).

(19) - Schriftliche Erklärungen, S. 3.

(20) - Schriftliche Erklärungen, Nr. 10.

(21) - Schriftliche Erklärungen, Nrn. 31 und 32.

(22) - Vgl. Urteile Schumacker (Randnr. 32) und Gschwind (Randnr. 22).

(23) - Randnrn. 45 f.

(24) - Vgl. Antwort der niederländischen Regierung auf die Fragen des Gerichtshofes, S. 2.

(25) - Nrn. 27 ff.

(26) - § 50 Absatz 5 Nr. 3 Satz 2 EStG 1997, der auf nach dem 31. Dezember 1995 zugeflossene Vergütungen rückwirkend anwendbar ist.

(27) - Vgl. insoweit auch Molenaar, D., "Obstacles for International Performing Artists", European Taxation, Band 42, Nr. 4, April 2002, S. 149, insbesondere S. 150 und 151. Der Autor bezieht sich auf die offizielle Kommentierung zu Artikel 17 des Musters der OECD für Doppelbesteuerungsabkommen sowie auf den Hinweis auf den Abzug von Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten im Tätigkeitsland. Die OECD gebe aber, so der Autor, keinen Hinweis, wie dieser Abzug erfolgen solle. Er zitiert Professor Sandler, der im Rahmen eines IFA-Kongresses 1995 in Cannes die Nichtabziehbarkeit der Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten als erhebliches Hindernis bezeichnet habe.

(28) - Vgl. Urteile Bachmann (Randnrn. 21 bis 23) und Kommission/Belgien (Randnrn. 14 bis 16).