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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
L. A. GEELHOED
vom 18. September 2003(1)


Rechtssache C-308/01



Gil Insurance Ltd
UK Costumer Electronics Ltd
Consumer Electronics Insurance Co. Ltd
Direct Vision Rentals Ltd
Homecare Insurance Ltd
Pinnacle Insurance plc
gegen
Commissioners of Customs & Excise


(Vorabentscheidungsersuchen des VAT and Duties Tribunal, London)

„Ersuchen um Vorabentscheidung – VAT and Duties Tribunal, London – Auslegung der Artikel 27 und 33 der Richtlinie 77/388/EWG – Auslegung des Artikels 87 EG – Einführung einer Abgabe auf Versicherungsverträge – Verpflichtung zur vorherigen Einholung der Zustimmung des Rates“






I – Einleitung

1.        In dieser Rechtssache hat das VAT and Duties Tribunal fünf Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Die ersten beiden Fragen beziehen sich auf die Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in ihrer geänderten Fassung (nachstehend: Sechste Richtlinie) (2) . Sie betreffen insbesondere die Auslegung der Artikel 27 und 33 dieser Richtlinie.

2.        Die übrigen drei Fragen stützen sich auf die Annahme, dass eine selektiv höhere Abgabe, die ausschließlich einige genau abgegrenzte Wirtschaftstätigkeiten belastet, zu Verzerrungen der Wettbewerbsverhältnisse führen kann, für die die Artikel 87 und 88 EG gelten. Diese Fragen betreffen insbesondere den Inhalt des in Artikel 87 Absatz 1 EG umschriebenen Kriteriums der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handelsverkehrs (Fragen 3 und 4) und die Folgen der Nichtanmeldung der entsprechenden Besteuerungsmaßnahme (Frage 5).

3.        Der Kontext, in dem sich die letzten drei Fragen erheben, ist Anlass für eine weitere Analyse der Tragweite der Artikel 87 und 88 EG als Leges speciales, die sich auf das Auftreten und die Beseitigung von Verzerrungen der Wettbewerbsverhältnisse im Gemeinsamen Markt bezieht, soweit sich diese aus staatlichen Beihilfemaßnahmen ergeben. Wenn nämlich die selektiven Besteuerungsmaßnahmen, die dem Ausgangsverfahren zugrunde liegen, nicht als staatliche Beihilfemaßnahmen angesehen werden können, dürften die sich daraus ergebenden Verzerrungen nur durch Anwendung der – selten herangezogenen – Artikel 96 und 97 EG beseitigt werden können, die im Hinblick auf die Artikel 87 und 88 EG die Lex generalis darstellen.

4.        Diese Problematik, die auch von der Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen anerkannt wurde, verleihen dieser Rechtssache eine größere rechtliche Bedeutung, als die vorgelegten Fragen auf den ersten Blick vermuten lassen.

II – Rechtlicher Rahmen

A – Das nationale Recht

5.        Section 31 und Group 2 des Anhangs 9 des Value Added Tax Act 1994 sehen vor, dass die Erbringung von Versicherungs- und damit zusammenhängende Dienstleistungen im Vereinigten Königreich gemäß Artikel 13 der Sechsten Richtlinie von der Mehrwertsteuer befreit ist.

6.        Durch den Finance Act 1994 wurde die Versicherungsprämiensteuer als Abgabe auf die Einnahme von Versicherungsprämien durch den Versicherer eingeführt. Die Abgabe wurde ursprünglich mit einem Normalsatz von 2,5 % erhoben. Mit dem Finance Act 1997 wurde der Normalsatz von 2,5 % auf 4 % erhöht und ein neuer erhöhter Satz von 17,5 % eingeführt.

7.        Der Normalsatz ist der allgemein geltende Abgabensatz. Der erhöhte Satz, der bei seiner Einführung mit dem allgemeinen Mehrwertsteuersatz im Vereinigten Königreich übereinstimmte, gilt jetzt allein für Versicherungsprämien, die sich auf Haushaltsgeräte, Kraftfahrzeuge und Reisen beziehen.

8.        Was Reisen betrifft, so galt der erhöhte Tarif ausschließlich für Reiseversicherungen, die über ein Reisebüro abgeschlossen wurden, während für Reiseversicherungen, die unmittelbar durch den Versicherer abgeschlossen wurden, der Normaltarif galt. In der Sache R gegen Commissioners of Customs and Excise, ex parte Lunn Poly Limited and another, [1999] STC 350, hat der Court of Appeal of England and Wales entschieden, dass unterschiedliche Abgabensätze bei Reiseversicherungen eine staatliche Beihilfe im Sinne des Artikels 87 Absatz 1 EG darstellten.

9.        Angesichts dieses Urteils, mit dem das erste Urteil des Divisional Court in diesem Sinne bestätigt wurde, haben die Commissioners of Customs and Excise in einem am 24. April 1998 veröffentlichten Business Brief mitgeteilt, dass sie auf eine Nachforderung mit Hilfe der rückwirkenden Anwendung des erhöhten Abgabentarifs auf Reiseversicherungen, die zum Normaltarif verkauft worden waren, verzichten wollten.

10.      Was Haushaltsgeräte betrifft, so gilt der erhöhte Satz ausschließlich dann, wenn der Versicherer mit dem Lieferanten des Gerätes verbunden ist, die Versicherung über den Lieferanten zustande kommt oder zwar vom Versicherer abgeschlossen wird, der Lieferant aber eine Provision erhält. Für vergleichbare Versicherungen, die über einen Versicherungsmakler oder direkt durch eine Versicherungsgesellschaft verkauft werden, gilt der Normalsatz.

11.      Als Grund für die Einführung des erhöhten Satzes wird die Verhinderung eines „value-shifting“ (Wertverlagerung) angegeben. Die Behörden des Vereinigten Königreichs waren der Auffassung, dass Lieferanten von Haushaltsgeräten durch die Manipulation der Preise dieser Geräte und der dazu gehörenden Versicherung Vorteile aus der für Versicherungsleistungen geltenden Mehrwertsteuerbefreiung ziehen könnten.

B – Das Gemeinschaftsrecht

12.      Artikel 13 Teil B der Sechsten Richtlinie bestimmt:

„Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:

a)die Versicherungs- und Rückversicherungsumsätze einschließlich der dazugehörigen Dienstleistungen, die von Versicherungsmaklern und -vertretern erbracht werden;

...

13.      Nach Artikel 27 der Sechsten Richtlinie kann der Rat auf Vorschlag der Kommission einstimmig jeden Mitgliedstaat ermächtigen, von dieser Richtlinie abweichende Sondermaßnahmen einzuführen, um die Steuererhebung zu vereinfachen oder Steuerhinterziehungen und -umgehungen zu verhüten. Die Maßnahmen zur Vereinfachung der Steuererhebung dürfen den Betrag der im Stadium des Endverbrauchs fälligen Steuer nur in unerheblichem Maße beeinflussen.

14.      Schließlich bestimmt Artikel 33 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie, dass unbeschadet anderer Gemeinschaftsbestimmungen, insbesondere über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle von verbrauchsteuerpflichtigen Waren, die Bestimmungen dieser Richtlinie einen Mitgliedstaat nicht daran hindern, Abgaben auf Versicherungsverträge und auf Spiele und Wetten, Verbrauchsteuern, Grunderwerbsteuern sowie ganz allgemein alle Steuern, Abgaben und Gebühren, die nicht den Charakter von Umsatzsteuern haben, beizubehalten oder einzuführen, sofern diese Steuern, Abgaben und Gebühren im Verkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht mit Formalitäten beim Grenzübergang verbunden sind.

III – Sachverhalt und Verfahren

Der Rechtsstreit vor dem nationalen Gericht

15.      Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens sind allesamt Unternehmen, die im Vereinigten Königreich niedergelassen und auf dem Gebiet der Versicherungs- und der damit zusammenhängenden Dienstleistungen, die sich auf Haushaltsgeräte beziehen, tätig sind. Einige Klägerinnen sind Versicherungsgesellschaften (Consumer Electronic Company Ltd, die zur Thorn-Gruppe gehört, Homecare Ltd und Pinnacle Insurance Plc), andere Vermieter und Einzelhändler für Haushaltsgeräte, die als steuerpflichtige Versicherungsmakler auftreten (Gil Insurance Ltd, UK Consumer Electronics Ltd und Direct Vision Rentals Ltd, die alle zur Granada-Gruppe gehören).

16.      Beklagte des Ausgangsverfahrens sind die Commissioners of Customs and Excise, die für die Verwaltung, die Einziehung und die Rückzahlung der Versicherungsprämiensteuer (nachstehend: VPS) und der Mehrwertsteuer im Vereinigten Königreich zuständig sind.

17.      Die Klägerinnen haben den erhöhten Satz der VPS für Versicherungen gezahlt, die im Zusammenhang mit dem Verkauf oder der Vermietung von Haushaltsgeräten abgeschlossen worden waren. Nach dem oben in Nummer 8 genannten Urteil des Court of Appeal in der Sache Lunn Poly forderten die Klägerinnen von den Commissioners of Customs and Excise die von ihnen gezahlten Beträge zurück. Diese Forderungen wurden zurückgewiesen, und die Klägerinnen erhoben Klage beim VAT and Duties Tribunal.

18.      Vor diesem Gericht haben die Klägerinnen die Auffassung vertreten, dass sie Anspruch auf Rückzahlung der von ihnen als VPS zum erhöhten Satz gezahlten Beträge hätten, weil

–der erhöhte Satz eine besondere, von den Bestimmungen der Sechsten Richtlinie abweichende Maßnahme darstelle, für die nach Artikel 27 eine vorherige Ermächtigung erforderlich sei, die aber weder beantragt noch erteilt worden sei;

–der erhöhte Satz als Umsatzsteuer einer Art betrachtet werden könne, die nach Artikel 33 der Sechsten Richtlinie nicht zulässig sei;

–der Unterschied zwischen dem erhöhten Satz und dem Normalsatz eine Beihilfemaßnahme im Sinne von Artikel 87 EG darstelle, über die die Kommission nicht, wie nach Artikel 88 Absatz 3 EG erforderlich, unterrichtet worden sei.

19.      Die Commissioners of Customs and Excise sind im Ausgangsverfahren dieser Auffassung entgegengetreten. Sie haben eingeräumt, dass eine Ermächtigung für eine Abweichung gemäß Artikel 27 der Sechsten Richtlinie nicht beantragt oder erteilt worden sei und dass die Europäische Kommission nicht gemäß Artikel 88 Absatz 3 EG über das Vorhaben, den erhöhten Satz der VPS einzuführen, unterrichtet worden sei. Sie räumten ein, dass, falls es sich um einen Verstoß gegen die Sechste Richtlinie handele, die Klägerinnen die Rückzahlung aller von ihnen gezahlten Abgaben beanspruchen könnten, vertraten aber die Auffassung, dass, sollte der Unterschied zwischen dem Normalsatz und dem erhöhten Satz der VPS eine unrechtmäßige Beihilfe darstellen, die Rückzahlung des Unterschieds nicht das richtige Mittel sei.

20.      Aus diesem Anlass hat das VAT and Duties Tribunal dem Gerichtshof fünf Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Vorabentscheidungsfragen

1.Ist Artikel 27 der Sechsten Richtlinie so auszulegen, dass die vorherige Ermächtigung durch den Rat vor Einführung eines erhöhten Satzes der Versicherungsprämiensteuer erforderlich war, mit der die Befreiung für Versicherungsleistungen nach Artikel 13 der Richtlinie aufgehoben werden sollte, deren Satz gleich hoch war wie der Normalsatz der Mehrwertsteuer, die in derselben Weise gehandhabt wurde wie die Mehrwertsteuer und die gemeinsam mit der Mehrwertsteuer Teil eines unteilbaren Ganzen sein sollte, wenn weder eine Steuerhinterziehung noch eine Steuerumgehung vorlag?

2.Ist Artikel 33 der Sechsten Richtlinie des Rates so auszulegen, dass ein Mitgliedstaat daran gehindert ist, eine Steuer auf Versicherungsprämien einzuführen, die anhand der erbrachten Leistungen berechnet wird, die sich proportional zu dem Preis der erbrachten Leistungen verhält, die auf der letzten Stufe des Verkaufs an den Verbraucher in Rechnung gestellt wird, die in einer für die Mehrwertsteuer charakteristischen Weise auf den Endverbraucher abgewälzt wird, so dass dieser die Steuerlast zu tragen hat, und die im gesamten Hoheitsgebiet des Vereinigten Königreichs angewandt wird, aber nicht allgemein für alle Umsätze mit Waren und Dienstleistungen gilt?

3.Ist Artikel 87 Absatz 1 EG so auszulegen, dass eine Beihilfe nur dann den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt, wenn sie eine nennenswerte Auswirkung auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten hat oder haben kann? Bejahendenfalls, welches sind die Kriterien für die Feststellung, ob eine Maßnahme eine derartige Auswirkung hat?

4.Ist Artikel 87 Absatz 1 EG so auszulegen, dass eine Beihilfe den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt, wenn als Folge dieser Beihilfe a) Händler in einem Mitgliedstaat den Umfang der von ihnen aus anderen Mitgliedstaaten eingeführten Waren reduzieren oder b) bei einem Händler, der in einem Mitgliedstaat Haushaltsgeräte an Kunden vermietet, eine Reihe von Mietverträgen beendet werden und er diese Geräte in einem anderen Mitgliedstaat veräußert oder c) Versicherungsgesellschaften in einem Mitgliedstaat, die Versicherungen in Verbindung mit dem Verkauf von Haushaltsgeräten anbieten, Wettbewerbsnachteile gegenüber Gesellschaften haben, die Versicherungen direkt verkaufen und von denen einige Tochtergesellschaften von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Gesellschaften sind?

5.Wenn nach den Antworten auf die Fragen 3 und 4 der erhöhte Satz der Versicherungsprämiensteuer eine staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 EG darstellt, ist dann Artikel 88 EG zu auszulegen, dass, wenn die Kommission nicht über das Vorhaben der Gewährung dieser Beihilfe unterrichtet wird, die gesetzlichen Bestimmungen zur Einführung der Beihilfe unangewandt zu bleiben haben und die nach diesen Bestimmungen gezahlte Steuer zu erstatten ist?

Verfahren vor dem Gerichtshof

21.      Diese Fragen sind mit Beschluss vom 24. Juli 2001 vorgelegt worden und bei der Kanzlei des Gerichtshofes am 6. August 2001 eingegangen. Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. In der Sitzung vom 19. Juni 2002 haben sie ihre Auffassungen vorgetragen. In dieser Sitzung hat auch die niederländische Regierung ihren Standpunkt deutlich gemacht.

IV – Die erste und die zweite Vorabentscheidungsfrage

22.      Die ersten beiden Fragen sind in Verbindung mit der Einführung der VPS entstanden. Diese Steuer wurde 1994 eingeführt und wies anfangs einen Satz von 2,5 % auf. 1997 wurde dieser Satz auf 4 % erhöht. 1999 wurde er nochmals auf 5 % erhöht. 1997 wurde ferner ein erhöhter Satz für die VPS eingeführt. Dieser Satz ist danach unverändert geblieben. Dieser erhöhte Satz wurde eingeführt, um „value shifting“, eine Form der Steuerumgehung, zu bekämpfen.

23.      Bevor ich auf die Fragen eingehe, folgt nachstehend eine kurze Skizze des Hintergrunds, vor dem sie stehen.

24.      Die Verbraucher haben, wenn sie verhältnismäßig wertvolle Haushaltsgeräte wie Audio-Video-Geräte, Waschmaschinen und Ähnliches zur Verfügung haben wollen, die Wahl zwischen Miete und Kauf. Im Vereinigten Königreich gaben viele Verbraucher anfänglich der Mietgestaltung den Vorzug. Im Laufe der Zeit ist diese Bevorzugung umgeschlagen in eine Vorliebe für den Kauf dieser Geräte (3) . Dieser Wechsel in der Bevorzugung hängt mit der Wohlstandsentwicklung und der Qualitätsverbesserung der Produkte zusammen. Die Entwicklungen auf dem Markt für Fernsehgeräte sind hierfür ein Beleg. Als diese zu Beginn der sechziger Jahre im Vereinigten Königreich massenhaft auf dem Markt erschienen, waren sie im Verhältnis zum verfügbaren Einkommen teuer, sie waren außerdem technisch anfällig und erforderten regelmäßige Reparaturen. Deshalb gaben die Verbraucher eindeutig der Miete den Vorzug. Später wurden diese Geräte verhältnismäßig preiswert, und auch ihre technische Zuverlässigkeit verbesserte sich drastisch. Deswegen und wegen der Entwicklung des so genannten Verbraucherkredits als verkaufsfördernden Instruments gaben die Verbraucher dem Kauf dieser Geräte allmählich den Vorzug. Bei anderen Haushaltsgeräten ist die gleiche Entwicklung des Verbraucherverhaltens zutage getreten.

25.      Der anfänglich von der Vermietung beherrschte Markt weist einige besondere Merkmale auf. Mit dem Mietvertrag waren gewöhnlich eine Reparaturpflicht des Mieters und eine dementsprechende Wartungspflicht des Lieferanten/Vermieters verbunden. Beides war im Mietpreis eingerechnet. Diese Konstruktion hat für den Lieferanten den Vorteil, dass die Geräte während der Mietzeit in gutem Zustand blieben, was die spätere Vermietung nach Ablauf der Mietzeit erleichterte. Vorteilhaft für den Verbraucher war, dass seine Benutzung des Gerätes sichergestellt war.

26.      Später haben die Lieferanten beim Verkauf von Haushaltsgeräten eine vergleichbare Konstruktion eingesetzt, indem sie daneben Wartungsverträge anboten. Damit gaben sie den Verbrauchern eine bestimmte Nutzungssicherheit. In solchen an den Kaufvertrag geknüpften Zusatzverträgen verpflichteten sich die Lieferanten, etwaige Mängel der verkauften Geräte gegen Zahlung eines festen oder jährlichen Betrages durch den Käufer zu beseitigen.

27.      Die Erbringung von Dienstleistungen aufgrund solcher Wartungsverträge wurde als mehrwertsteuerpflichtig betrachtet, auf die der Normalsatz von 17,5 % Anwendung fand. Der Umstand, dass gemäß Artikel 13 Teil B Buchstabe a der Sechsten Richtlinie Versicherungen von der Mehrwertsteuer befreit sind, war für eine Reihe großer Lieferanten, da die Einführung der viel niedrigeren VPS im Jahr 1994 diese Entwicklung nicht hatte ändern können, Anlass, diesen Wartungsverträgen die Ausgestaltung eines Versicherungsvertrags zu geben. Sie errichteten hierfür eine eigene Versicherungsgesellschaft oder traten als Mittler für eine Versicherungsgesellschaft auf und erhielten für jeden geschlossenen Versicherungsvertrag eine Vermittlungsgebühr.

28.      Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens gingen ebenfalls dazu über, als Versicherungsverträge ausgestaltete Wartungsverträge anzubieten. So errichtete Granada – einer der größeren Lieferanten von Haushaltsgeräten im Vereinigten Königreich – das Unternehmen GLP, um durch dessen Vermittlung ihren Mietern und Käufern Versicherungsverträge anbieten zu können. Im Fall der Miete wird der Abschluss eines solchen Vertrages sogar zur Pflicht gemacht. Wenn sich an den Geräten der so Versicherten Mängel zeigten, konnte GIL für die nötigen Reparaturen über die Wartungsdienste von Granada verfügen. Diese lieferten die erforderliche Arbeit und die Ersatzteile.

29.      1994 wurde der überwiegende Anteil der Versicherungen gegen mechanische Mängel von Haushaltsgeräten, nämlich 85 % bis 90 %, durch Vermittlung des Lieferanten der Geräte abgeschlossen (so genannte gebundene Versicherungen). Nur ein kleiner Teil der Versicherungen wurde durch Versicherer unmittelbar an den Verbraucher verkauft.

30.      Aus einem vom selben Jahr stammenden Bericht ergibt sich, dass mit dem Verkauf dieser verlängerten Garantien (Wartungs- und Versicherungsverträge) ein Betrag von jährlich 400 Mio. £ umgesetzt wurde, wovon der übergroße Teil Versicherungsverträge waren.

31.      Die Commissioners of Customs and Excise erkannten, dass ihnen bei dieser Form der Steuerumgehung Mehrwertsteuereinnahmen entgingen. Das war für den britischen Steuergesetzgeber Anlass, für die VPS einen erhöhten Satz von 17,5 % einzuführen, der ausschließlich für so genannte gebundene Versicherungsverträge gilt, d. h., wenn auf die eine oder andere Weise zwischen dem Versicherer und dem Lieferanten des betreffenden Gerätes eine feste Verbindung besteht.

32.      Die Einführung dieses erhöhten Satzes hatte signifikante Folgen für das Marktverhalten der betroffenen Parteien. Die meisten Lieferanten gingen wieder dazu über, die üblichen Wartungsverträge für die von ihnen gelieferten Geräte anzubieten. Soweit noch keine Versicherungsverträge geschlossen waren, erhielten die so genannten direkten Verträge einen beträchtlich höheren Marktanteil. Die mit den Lieferanten verbundenen Versicherer beendeten ihre festen Verbindungen. Auch die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens sahen sich gezwungen, ihr Marktverhalten in diesem Sinne anzupassen.

Auffassungen der Verfahrensbeteiligten

33.      Das Vorbringen der Parteien des Ausgangsverfahrens sowie der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission zu den ersten beiden Fragen konzentrieren sich auf zwei Aspekte, nämlich erstens auf die Natur der (erhöhten) VPS als indirekte Steuer und zweitens auf die damit zusammmenhängenden Folgen für die Auslegung und Anwendung der Artikel 27 und 33 der Sechsten Richtlinie.

34.      Der Standpunkt der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens lässt sich wie folgt zusammenfassen:

–Die ersten beiden Fragen hätten nur Bedeutung für den erhöhten Satz der VPS und nicht für den Normalsatz. Die VPS zum erhöhten Satz sei für Versicherungen eingeführt worden, die unmittelbar mit der mehrwertsteuerpflichtigen Lieferung von Waren zusammenhingen. Zweck dieses Satzes sei es gewesen, die Mehrwertsteuerumgehung zu bekämpfen. Da diese Zielsetzung bei der Einführung des Normalsatzes keine Rolle gespielt habe, bezögen sich diese Fragen nicht darauf;

–da der erhöhte VPS-Satz zusammen mit der Mehrwertsteuer auf mit der Lieferung von Haushaltsgeräten zusammenhängende Wartungsverträge ein unteilbares Ganzes bilde und beide Steuern untereinander austauschbar seien, müsse die erhöhte VPS tatsächlich als ein durch Artikel 33 der Sechsten Richtlinie verbotene Umsatzsteuer betrachtet werden;

–die erhöhte VPS habe in dem besonderen Kontext, in dem sie angewandt werde, fast alle wesentlichen Merkmale der Mehrwertsteuer: Die Steuer sei proportional zum Preis der Waren und Dienstleistungen und werde letztlich vom Verbraucher getragen. Das Merkmal, dass die Mehrwertsteuer auf jeder Stufe des Produktions- und Vertriebsprozesses erhoben werde und unter Abzug der Vorsteuer berechnet werde, sei hier weniger von Bedeutung, weil die Kette, von der Rückversicherung abgesehen, aus nur einem Glied bestehe, nämlich aus dem Geschäftsvorgang zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer. Zwar gelte die Mehrwertsteuer allgemein für Umsätze mit Waren und Dienstleistungen und die erhöhte VPS nur für bestimmte wirtschaftliche Vorgänge, aber die Ergänzungsfunktion von Mehrwertsteuer und erhöhter VPS laufe auf eine allgemeine Steuer hinaus, die für alle Geschäfte mit Haushaltsgeräten gelte, auf die die Mehrwertsteuer Anwendung finde;

–Ziel des Artikels 33 sei es, die Einführung von Gebühren und Steuern zu verhindern, die, weil sie den freien Güter- und Dienstleistungsverkehr in vergleichbarer Weise wie eine Umsatzsteuer belasteten, die Wirksamkeit des gemeinschaftlichen Mehrwertsteuersystems in Gefahr brächten. Dass die Wirkung der Regelung – Artikel 13 Teil B Buchstabe a – der Sechsten Richtlinie, die Versicherungen von der Mehrwertsteuer befreie, zunichte gemacht werde, reiche aus, um die Beeinträchtigung der vollen Wirksamkeit des gemeinschaftlichen Mehrwertsteuersystems deutlich zu machen;

–für die Einführung des erhöhten VPS-Satzes, eine Maßnahme, die eine Umgehung der Mehrwertsteuer bekämpfen solle, sehe die Sechste Richtlinie das Ermächtigungsverfahren des Artikels 27 vor. Da die Regierung des Vereinigten Königreichs eine solche Ermächtigung nicht beantragt habe und diese daher nicht besitzen könne, stehe die Einführung des erhöhten VPS-Satzes im Widerspruch zu Artikel 27 der Sechsten Richtlinie.

35.      Die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission vertreten bis auf einige Nuancen den gleichen Standpunkt:

–Die VPS sei weder mit ihrem Normal- noch mit ihrem erhöhten Satz als Umsatzsteuer zu betrachten, die im Widerspruch zu Artikel 33 der Sechsten Richtlinie stehen könnte;

–jedenfalls weise die VPS einige wesentliche Merkmale nicht auf, wie sie in der Rechtsprechung des Gerichtshofes verdeutlicht worden seien. Diese Steuer werde nicht allgemein auf Umsätze an Waren und Dienstleistungen angewandt und auch nicht auf jeder Stufe des Produktions- und Vertriebsprozesses erhoben. Sie gelte nur für Versicherungsverträge und werde nur einmal erhoben;

–Artikel 33 der Sechsten Richtlinie gestehe den Mitgliedstaaten ausdrücklich die Befugnis zu, Steuern auf Versicherungsverträge einzuführen oder beizubehalten, falls diese nicht den Charakter von Umsatzsteuern hätten. Davon könne hier nicht die Rede sein;

–da die VPS keine Umsatzsteuer sei, stehe ihre Erhebung nicht im Widerspruch zur Befreiung von Versicherungen von der Mehrwertsteuer gemäß Artikel 13 Teil B der Sechsten Richtlinie. Deshalb sei auch keine vorherige Ermächtigung nach Artikel 27 Absatz 1 der Richtlinie erforderlich. Diese Bestimmung sei nämlich ausschließlich auf die Erhebung von Mehrwertsteuer anzuwenden;

–die Auffassung der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens, dass sich die erste Frage nur auf die VPS zum erhöhten Satz beziehe, sei unhaltbar. Man könne nicht behaupten, dass bei ein und derselben Steuer der eine Satz, nicht aber der andere der Richtlinie widerspreche.

Beurteilung

36.      Ebenso wie die Regierung des Vereinigte Königreichs und die Kommission ziehe ich es vor, zuerst die zweite Frage zu beantworten. Ihre Beantwortung hat Folgen für die Antwort auf die erste Frage.

Artikel 33 der Sechsten Richtlinie: Der Rechtscharakter der VPS

37.      Zunächst weise ich darauf hin, dass ich die Meinung der Klägerinnen, die Frage habe allein Bedeutung für den erhöhten Satz der VPS, nicht teilen kann.

38.      Obwohl es an sich zutrifft, dass die Fragen im Ausgangsverfahren vor allem im Zusammenhang mit dem erhöhten Satz entstanden sind, und obwohl sich die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Klägerinnen darin einig sind, dass dieser erhöhte Satz den besonderen Zweck verfolgt, Steuerumgehungen bei der Mehrwertsteuer in Zusammenhang mit Wartungsverträgen zu bekämpfen, die Miet- und Kaufverträgen von Haushaltsgeräten zusätzlich als Versicherungsverträge beigefügt wurden, geht es hier um eine Steuerart, die zwei Sätze aufweist. Hieraus ergibt sich, dass bei einer Prüfung der VPS nach Maßgabe des Artikels 33 der Sechsten Richtlinie diese Steuer insgesamt in all ihren charakteristischen Eigenschaften untersucht werden muss. Dabei sind nur zwei Ergebnisse denkbar: Entweder ist die VPS eine verkappte Mehrwertsteuerregelung und widerspricht daher der Sechsten Richtlinie, oder sie weist nicht die Merkmale der Mehrwertsteuer auf und ist daher zulässig. Beide Ergebnisse gelten für den Normal- wie auch für den erhöhten Steuersatz.

39.      Die Frage nun, ob die VPS als Umsatzsteuer zu betrachten ist, muss im Licht des Zieles des Artikels 33 der Sechsten Richtlinie beantwortet werden.

40.      Insoweit hat der Gerichtshof mehrmals festgestellt, dass dieser Artikel verhindern solle, dass Steuern, Abgaben und Gebühren eingeführt werden, die die Wirksamkeit des gemeinschaftlichen Mehrwertsteuersystems dadurch in Gefahr bringen, dass sie den Waren- und Dienstleistungsverkehr in gleicher Weise belasten wie die Mehrwertsteuer (4) . Dies trifft auf jeden Fall dann zu, wenn solche steuerlichen Maßnahmen die wesentlichen Merkmale der Mehrwertsteuer aufweisen (5) . Artikel 33 stellt es daher den Mitgliedstaaten ausdrücklich frei, bestimmte Steuermaßnahmen einzuführen – darunter Abgaben auf Versicherungsverträge, die in diesem Artikel explizit angeführt werden –, solange diese Abgaben nicht die maßgebenden Merkmale der Mehrwertsteuer aufweisen (6) .

41.      Die typischen Merkmale der Mehrwertsteuer sind wie folgt zusammenzufassen: Es handelt sich um eine Besteuerung, die allgemein Anwendung auf Umsätze von Waren und Dienstleistungen findet, die auf jeder Stufe des Produktions- und Vertriebsprozesses erhoben wird, die streng proportional zum Preis der betreffenden Waren und Dienstleistungen ist und die unter Abzug der Vorsteuer, die auf früheren Stufen angefallen ist, auf den Mehrwert berechnet wird.

42.      Bei der VPS steht fest, dass sie zum Preis der entsprechenden Dienste proportional ist und letztlich vom Verbraucher getragen wird. Sie ist aber nicht allgemein auf Umsätze von Waren und Dienstleistungen anwendbar, sondern nur auf eine spezifische Dienstleistung, nämlich die Lieferung von Versicherungen. Argumente, die darauf verweisen, dass diese Abgabe im gesamten Hoheitsgebiet des Vereinigten Königreichs anwendbar sei, oder die wirtschaftlichen Belange der Versicherungswirtschaft ändern nichts an der Feststellung, dass die VPS keine allgemeine Verbrauchsteuer ist. Allein deswegen kann bereits festgestellt werden, dass diese Steuer keine Umsatzsteuer im Sinne von Artikel 33 der Sechsten Richtlinie ist.

43.      Die VPS lässt auch noch einige andere Merkmale vermissen, die für das Mehrwertsteuersystem kennzeichnend sind. So wird die VPS nicht, wie dies bei der Erhebung von Mehrwertsteuer der Fall ist, auf jeder Stufe des Produktions- und Vertriebsprozesses und nicht auf den Mehrwert erhoben. Sie wird nur einmal beim Abschluss des Versicherungsvertrags auf die Versicherungsprämie erhoben. Logischerweise kann somit auch kein Recht auf Vorsteuerabzug bestehen.

44.      Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens haben darzulegen versucht, dass die VPS doch als eine der Mehrwertsteuer verwandte Umsatzsteuer betrachtet werden müsse; denn soweit diese Steuer auf Versicherungen anwendbar sei, könne sie auch nur bei einem Glied der Kette, nämlich dem Abschluss des Versicherungsvertrags, erhoben werden. Dieses Vorbringen geht fehl, weil es die rechtlichen Merkmale der Mehrwertsteuer – die eine Besteuerung des Mehrwerts bei jedem Glied der Produktionskette vorsieht – mit den Merkmalen einer bestimmten Kette verwechselt, die hier nur ein Glied aufweist. Meines Erachtens weist die Kommission zu Recht darauf hin, dass der Standpunkt der Klägerinnen darauf hinauslaufe, dass alle Steuern auf Versicherungen, die nur auf einer Stufe erhoben würden, als Umsatzsteuern anzusehen seien.

45.      Weil die VPS als System nicht die Merkmale einer Umsatzsteuer aufweist, steht diese Steuer auf Versicherungen – die als solche in Artikel 33 der Sechsten Richtlinie ausdrücklich für zulässig erklärt wird – im Allgemeinen nicht der Anwendung des Mehrwertsteuersystems entgegen. Artikel 33 stellt daher kein Hindernis für die VPS dar.

Die Anwendbarkeit des Artikels 27 der Sechsten Richtlinie

46.      Mit der ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob vor Einführung des erhöhten Satzes der VPS das Verfahren des Artikels 27 hätte durchgeführt werden müssen.

47.      Artikel 27 sieht für die Mitgliedstaaten die Möglichkeit vor, nach Ermächtigung durch den Rat von den Bestimmungen der Richtlinie abweichende Maßnahmen einzuführen, wenn diese die Steuererhebung vereinfachen oder Steuerhinterziehungen und -umgehungen verhüten sollen. Die Klägerinnen machen geltend, dass der erhöhte Satz der VPS eine solche von der Sechsten Richtlinie und insbesondere von Artikel 13 Teil B abweichende Maßnahme sei, da sie bewirke, dass die in diesem Artikel festgelegte Mehrwertsteuerbefreiung von Versicherungsverträgen bei einigen Lieferungen von Versicherungsumsätzen, vor allem denen, für die der erhöhte Satz gelte, beseitigt werde.

48.      Der Beantwortung der zweiten Frage ist zu entnehmen, dass ich mit dieser Betrachtungsweise nicht einverstanden bin. Da die VPS (oder ihr erhöhter Satz) keine Umsatzsteuer darstellt, steht ihre Erhebung nicht im Widerspruch zur Mehrwertsteuerbefreiung von Versicherungsumsätzen. Sie ist also nicht als abweichende Maßnahme zu betrachten.

49.      Ergänzend weise ich darauf hin, dass zwar Versicherungsumsätze von der Mehrwertsteuer befreit sind, dass sie aber nicht gegen andere indirekte Steuern gefeit sind. Es steht den Mitgliedstaaten frei, für Versicherungsverträge ihre eigenen indirekten Steuern einzuführen. Dies wird, wie bereits bei der vorhergehenden Frage klargestellt wurde, in Artikel 33 der Richtlinie ausdrücklich gesagt. Nur wenn es sich um eine Umsatzsteuer handelt, ist ihnen dies nicht gestattet. Da sie befugt sind, Versicherungsverträge zu besteuern, sind sie auch bei der Differenzierung (oder Nichtdifferenzierung) des Satzes einer solchen Steuer frei, natürlich nur insofern, als dies nicht gegen die Bestimmungen des EG-Vertrags über den freien Verkehr verstößt oder eine verbotene Beihilfemaßnahme darstellt. Dass vorliegend der erhöhte VPS-Satz dem Mehrwertsteuersatz entspricht, ändert nichts daran. Ich sehe anders gesagt keinen Grund, warum es dem Vereinigten Königreich versagt sein sollte, eine Differenzierung vorzunehmen, um eine Verzerrung, die sich auf seinem Binnenmarkt gezeigt hat, zu beseitigen.

50.      Die Klägerinnen haben weiter auf die Urteile Belgien I (7) und II (8) hingewiesen. Der Sachverhalt, der diesen Rechtssachen zugrunde lag, unterscheidet sich indessen von dem der vorliegenden Rechtssache. In der erstgenannten Rechtssache ging Belgien bei der Mehrwertsteuererhebung vom Katalogpreis für neue Kraftfahrzeuge statt vom wirklich vereinbarten Preis aus. Der Gerichtshof hat entschieden, dass dies gegen die Sechste Richtlinie verstoße. Daraufhin passte der belgische Gesetzgeber seine Gesetzgebung an, legte allerdings dabei eine Ergänzungsregelung mit dem Ziel fest, das Steuersystem so anzupassen, dass tatsächlich alles beim Alten geblieben wäre. Beides wurde durch Heranziehung eines bestimmten Verrechnungsmechanismus bewerkstelligt. In der Gesetzesbegründung wurde auch eingehend erklärt, dass es um eine Korrektur infolge des Urteils des Gerichtshofes gehe und dass zwischen der Erhebung der Mehrwertsteuer und der der Zulassungssteuer ein enger Zusammenhang bestehe. Der Gerichtshof hat dann im Urteil Belgien II entschieden, dass die Zulassungssteuer und die Mehrwertsteuererhebung eng miteinander zusammenhingen. In der vorliegenden Rechtssache steht die VPS als Steuersystem völlig getrennt von der Mehrwertsteuer da. Dass der erhöhte Satz eingeführt wurde, um einer bestimmten Form der Steuerumgehung zu begegnen, ändert daran nichts.

V – Die Fragen in Bezug auf staatliche Beihilfen

Vorbemerkungen

51.      In ihren schriftlichen Erklärungen haben sowohl die Regierung des Vereinigten Königreichs als auch die Kommission vorgetragen, dass sie Zweifel hegten, ob der Sachverhalt, der dem Ausgangsverfahren zugrunde liege, einen Fall staatlicher Beihilfen im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 EG darstelle.

52.      Eine nähere Betrachtung des Vorlagebeschlusses, insbesondere der Argumente, die das vorlegende Gericht dem Urteil des Court of Appeal in der Sache R gegen Commissioners of Customs and Excise, ex parte Lunn Poly Limited (zitiert in Nr. 8 dieser Schlussanträge), entnimmt, bringt mich zu der Überzeugung, dass diese Ungewissheit eine weitere Untersuchung verdient.

53.      Wenn sich ergeben sollte, dass die entsprechenden Tatsachen den Schluss rechtfertigen, dass es sich nicht um eine staatliche Beihilfe handelt, erhalten die in dieser Rechtssache gestellten Fragen einen etwas hypothetischen Charakter. Im Zusammenhang damit stellt sich wieder die Frage, ob sie gleichwohl zulässig sind.

54.      Nachstehend werde ich mich zunächst abstrakt mit dem gegenseitigen Verhältnis zwischen den Artikeln 96 und 97 EG einerseits und den Artikeln 87 und 88 EG andererseits befassen, denen insgesamt gemeinsam ist, dass sie der Beseitigung von Verzerrungen dienen sollen, die sich auf dem Gemeinsamen Markt ergeben können. Ich werde hierzu veranlasst durch eine Stellungnahme der Kommission, die sie ihren Ausführungen zur fünften Frage vorausgeschickt hat.

55.      Nach Auffassung der Kommission gibt es zwei Arten von Beihilfen:

–die „klassische“ Beihilfe, die einen besonderen Vorteil oder eine bestimmte steuerliche Sonderbehandlung mit sich bringe. Der klassische Rechtsbehelf in Form der „Beseitigung des Vorteils“ sei die Rückforderung des gezahlten Beihilfebetrags einschließlich Zinsen vom Begünstigten durch den betreffenden Mitgliedstaat. Eine Alternative, auch wenn sie aus Haushaltsgründen nicht auf der Hand liege, sei die Verallgemeinerung der Beihilfe;

–die „zweite“ Art von Beihilfe, bei der einem Teil des Sektors eine besondere Abgabenlast auferlegt werde. Die Beseitigung erfolge hier durch Abschaffung der besonderen Abgabenlast. In dieser Beziehung könne entschieden werden, dass die gezahlte Sonderlast an das betroffene Unternehmen zurückzuzahlen sei, um so den Wettbewerb mit Unternehmen, die ihr nicht unterworfen gewesen seien, wieder herzustellen. Diese Auffassung werde von den Klägerinnen vertreten. Man könne sich aber auch dafür entscheiden, die Sonderlast zu verallgemeinern und dann die Beihilfe von allen Begünstigten zurückzuverlangen.

56.      Die Kommission fügt hinzu, dass es bezüglich der zweiten Art von „Beihilfe“ zwei Möglichkeiten gebe. Entweder könne der Gerichtshof in allen Fällen grundsätzlich die Möglichkeit der letztgenannten Lösung verneinen. Diese Vorgehensweise soll im Urteil Banks (9) zu finden sein. Es sei auch möglich, eine solche Lösung offen zu lassen, eine Vorgehensweise, die sich logischerweise aus dem ersten Teil des Urteils Ferring (10) ergebe.

57.      Wie ich später darlegen werde, geht die Kommission hier meines Erachtens allzu selbstverständlich davon aus, dass die Fälle, die sie als „zweite Art von Beihilfe“ einstuft, immer staatliche Beihilfen im Sinne von Artikel 87 EG sind. Bei diesem Verständnis erhält Artikel 87 EG eine größere materielle Reichweite, als vertragssystematisch vertretbar ist.

Zu den Verzerrungen

58.      In den Verhandlungen, die dem Zustandekommen des EG-Vertrags vorausgingen, hat der wirtschaftliche Begriff „Verzerrung“ eine oft erwähnte Rolle gespielt. Die Rückwirkung davon findet sich in dem so genannten Spaak-Bericht, den die Kommission ihren schriftlichen Erklärungen auszugsweise beigefügt hat.

59.      Inhaltlich haben sich die Diskussionen um den Verzerrungsbegriff auf die potenziellen Folgen zugespitzt, die die Bildung eines Gemeinsamen Marktes für die nationalen Volkswirtschaften und die nationale Wirtschaftspolitik haben würde.

60.      Mit dem Wegfall der wirtschaftlichen Binnengrenzen würden die Mitgliedstaaten auch einen Teil ihres Instrumentariums verlieren, mit dem sie Ungleichgewichte in grenzüberschreitenden Wirtschaftsverhältnissen bis dahin berichtigen konnten.

61.      Solche Ungleichgewichte konnten sich zwischen den verschiedenen Volkswirtschaften auf verschiedenen Ebenen zeigen. Auf der Makroebene zeigen sich so genannte globale Verzerrungen beispielsweise in einem zu hohen Arbeitskosten- und Preisniveau, das in einem strukturellen Defizit der laufenden Rechnung der Zahlungsbilanz und einer steigenden Arbeitslosigkeit sichtbar wird. Tritt das Gegenteil ein, entsteht ein ansehnlicher Überschuss der laufenden Rechnung mit einem überspannten Arbeitsmarkt und einer drohenden Preisinflation.

62.      Bei der Berichtigung solcher globalen Verzerrungen müssen die Mitgliedstaaten in einem Gemeinsamen Markt zunächst auf ihr volkswirtschaftliches und, bis zum Zustandekommen der EWU, ihr geldpolitisches Instrumentarium zurückgreifen. Die entsprechenden Gemeinschaftsbefugnisse waren vor allem – leicht – koordinierender Art. Sie waren in den Artikeln 103 bis 109 EG-Vertrag enthalten. Sie sind nunmehr größtenteils ersetzt worden, und zwar für die (finanzielle) Wirtschaftspolitik durch die Artikel 99 und 104 EG und für die innerhalb der EWU vereinheitlichte Währungspolitik durch die Artikel 105 bis 111 EG.

63.      Der Wegfall der wirtschaftlichen Binnengrenzen hatte auch zur Folge, dass auf mesoökonomischer, vor allem sektorialer Ebene Ungleichgewichte auftreten konnten. Sie sind zumeist auf Unterschiede in (Systemen) der Gesetzgebung zurückzuführen. So wird ein Steuersystem, das im Land A relativ schwer auf dem Faktor Arbeit lastet und im Land B den Faktor Kapital verhältnismäßig schwer belastet, im Gemeinsamen Markt das Wettbewerbsverhalten tiefgreifend beeinflussen können. Solche generischen Verzerrungen – sie können grundsätzlich die Folge aller öffentlichen Interventionen sein, die das Marktverhalten von Unternehmen berühren – können auf Dauer die Allokationsprozesse im Gemeinsamen Markt (die „Wirkung des Gemeinsamen Marktes“) ernsthaft stören. Auch aus diesem Grund ist in Artikel 100 des ursprünglichen EWG-Vertrags die Möglichkeit einer Harmonisierung der Gesetzgebung vorgesehen. Nicht nur der Einsatz des Harmonisierungsinstruments hat im Kontext des Gemeinsamen Marktes zu einer unverkennbaren Konvergenz der sozialwirtschaftlichen, wirtschaftlichen und Steuergesetzgebung geführt. Auch selbständige Initiativen nationaler Gesetzgeber liegen dem zugrunde. Diese „spontane“ Konvergenz hat sich vor allem auf dem Gebiet der direkten Abgaben gezeigt, auf dem die Gemeinschaft ihre Zuständigkeit nur mühsam aktivieren konnte.

64.      Schließlich können sich zwischen und in den nationalen Volkswirtschaften Ungleichgewichte noch auf der Subsektorebene einstellen: die so genannten spezifischen Verzerrungen. Sie ergeben sich aus spezifischen Behördeneingriffen, die bestimmte Produktionen oder Unternehmen mit besonderen Lasten belegen oder auch besondere Vorteile für sie vorsehen. Was die besonderen Lasten betrifft, so geht es häufig um behördliche Eingriffe, die in der modernen Verwaltungswissenschaft als so genannte spezifische verhaltensbestimmende Abgaben bekannt sind. Sie kommen in der Umweltpolitik und in der Raumordnungspolitik immer häufiger vor. Sie bilden in gewissem Sinne das Spiegelbild spezifischer Vorteile oder Beihilfemaßnahmen, die durch Anreize statt durch Abschreckung das Verhalten von Marktteilnehmern beeinflussen wollen.

65.      Für spezifische Verzerrungen sah der ursprüngliche EWG-Vertrag zwei Instrumente vor. Soweit es um spezifische Verzerrungen infolge von „belastenden“ öffentlichen Maßnahmen geht (dabei muss der Begriff „belastend“ weiter verstanden werden als finanzielle Belastung; auch spezifische Umweltanforderungen können „belastend“ sein), war der Mechanismus der Artikel 101 und 102 EWG-Vertrag (jetzt Artikel 96 und 97 EG) heranzuziehen. Bei Verzerrungen infolge von „staatlichen Beihilfen“, d. h. bei Verzerrungen, die auf das besondere politische Instrument der „staatlichen Beihilfe“ zurückzuführen waren, sahen die Artikel 92, 93 und 94 EWG-Vertrag (jetzt Artikel 87, 88 und 89 EG) eine besondere Zuständigkeit der Gemeinschaft vor. Diese besondere Zuständigkeit ist durch eine schärfere Normierung, einen viel strengeren Überwachungsmechanismus und weit gefasste Durchführungs- und Kontrollbefugnisse der Kommission gekennzeichnet.

66.      Die großen Unterschiede zwischen den Mechanismen der Artikel 96 und 97 EG einerseits und der Artikel 87 bis 89 EG andererseits bilden die Grundlage für eine diametral verschiedene Anwendungspraxis. Die erstgenannten Artikel werden nicht oder nur selten angewandt, während die zuletzt genannten Bestimmungen Grundlage für eine umfangreiche Politikpraxis und eine in Umfang und Verfeinerung stets noch wachsende Rechtsprechung des Gerichtshofes sind.

67.      Die letzte Feststellung ändert aber nichts daran, dass vertragshistorisch und -systematisch die Artikel 87 bis 89 EG wegen der besonderen Art des Interventionsinstruments – nämlich der Beihilfemaßnahmen – gegenüber den Leges generales der Artikel 96 und 97 EG besonders geartete Leges speciales sind. Das zwingt zu großer Vorsicht, wenn man eine unterschiedliche Belastung, die dadurch entsteht, dass einer bestimmten Wirtschaftstätigkeit auf der Subsektorebene eine spezifische Steuer auferlegt wird, ohne weiteres als Beihilfe qualifiziert.

Spezifische Steuer oder Beihilfemaßnahme?

68.      Spezifische Verzerrungen sind in der Regel auf eine sachlich oder persönlich begrenzte Ausnahme von einer allgemeinen Regelung zurückzuführen. Diese Ausnahme hat entweder den Charakter einer besonderen Steuer oder aber eines in Geld ausdrückbaren Vorteils, der unmittelbar oder mittelbar zu Lasten des Staates geht.

69.      Gewöhnlich haben diese besonderen Maßnahmen den Zweck, das Verhalten der Marktteilnehmer gezielt zu beeinflussen. Daraus folgt, dass die sich hieraus ergebenden Verzerrungen nicht per se als negativ zu beurteilen sind.

70.      Eine selektive Abgabe auf Kraftfahrzeuge ohne Katalysator führt zu einer Verzerrung bei den Wettbewerbsbedingungen auf dem entsprechenden Markt, die den Zweck hat, die Erzeugung und den Absatz der betreffenden Kraftfahrzeuge negativ zu beeinflussen. Eine solche Verzerrung kann ihre Rechtfertigung in umweltpolitischen Zielsetzungen finden. Umgekehrt schafft auch eine allgemeine Beihilfemaßnahme z. B. zugunsten bestimmter Investitionen in schwächeren Regionen eine Verzerrung zum Nachteil der wohlhabenderen Regionen. Diese spezifische Verzerrung wird durch ziemlich allgemein akzeptierte Ziele der regionalen Wirtschaftspolitik gerechtfertigt.

71.      Dem Wortlaut der Artikel 87 und 96 EG ist zu entnehmen, dass spezifische Verzerrungen auf dem Gemeinsamen Markt nicht per se unannehmbar sind. Artikel 96 EG sieht stillschweigend einen Beurteilungsspielraum für die Kommission bei ihrer Entscheidung vor, ob sie gegen Unterschiede in den Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten einschreitet, die „eine Verzerrung hervorrufen, die zu beseitigen ist“. Die Absätze 2 und 3 des Artikels 87 EG sehen unmittelbar geltende oder auf Ermessensentscheidung beruhende Ausnahmen vom allgemeinen Verbot des Absatzes 1 dieses Artikels vor.

72.      Der große Unterschied bei den Rechtsfolgen, die nach dem EG-Vertrag für Verzerrungen gelten, die sich aus spezifischen Steuern oder aus Beihilfemaßnahmen ergeben, zwingt zu einer genauen Abgrenzung beider Typen.

73.      Daher muss stets ein Anknüpfungspunkt bei der spezifischen „Quelle“ der Verzerrung gesucht werden: Ist dies eine Steuer oder eine Beihilfemaßnahme? Die Vorstellung, dass eine durch eine spezifische Steuer herbeigeführte Verzerrung als Beihilfemaßnahme zugunsten der Wirtschaftsteilnehmer verstanden werden kann, die weiterhin unter die allgemeine Regelung fällt, ist sowohl rechtlich und wirtschaftlich als auch aus politischen Gründen prinzipiell unzutreffend.

74.      Aus rechtlichen Gründen, weil eine allgemeine Regelung, die keine Beihilfemaßnahme war, trotzdem eine Beihilfemaßnahme würde, die den Marktbeteiligten, die weiterhin unter die allgemeine Regelung fallen, zugute kommt, allein weil eine sachlich oder persönlich begrenzte selektive Erhöhung vorgenommen wurde. Damit wird einerseits die materielle Tragweite des Verbotes der Beihilfegewährung weit über die Grenzen dessen ausgedehnt, was den Autoren des Vertrages vor Augen stand, und andererseits der Anwendungsbereich der Artikel 96 und 97 EG eingeschränkt.

75.      Auch in wirtschaftlicher Hinsicht hat die Neuqualifizierung als Beihilfemaßnahme bei einer nationalen Maßnahme, die ihrer Art und Zielsetzung nach allgemein ist, unerwünschte Folgen. Das könnte dazu führen, dass das Belastungsniveau für die unter die allgemeine Regelung fallenden Marktbeteiligten ex tunc auf das Niveau angehoben werden müsste, das auf den durch die spezifische Regelung belasteten Marktbeteiligten ruht. Eine solche allgemeine Veränderung der Belastungsniveaus für eine große Gruppe von Marktbeteiligten oder allgemein umschriebene Gruppen von Marktbeteiligten kann wirtschaftlich gesehen unerwünscht sein. Außerdem könnte eine solche Anpassung bei einer zu Unrecht als Beihilfemaßnahme qualifizierten allgemeinen Maßnahme nahezu unvermeidlich zu neuen allgemeinen Verzerrungen auf dem Gemeinsamen Markt führen. So wird der Teufel durch Beelzebub ausgetrieben.

76.      In politischer Hinsicht kann ein solcher Etikettenwechsel dazu führen, dass für die Mitgliedstaaten die Möglichkeiten, selektive Abgaben als politisches Instrument einzusetzen, begrenzt werden, auch wenn deren Einsatz völlig gerechtfertigt wäre und nie Anlass für eine Anwendung der Artikel 96 und 97 EG gegeben hätte. Um auf das in Nummer 70 gegebene Beispiel zurückzukommen: Wenn die dort genannte selektive Abgabe auf umweltbelastende Kraftfahrzeuge als Beihilfegewährung für Produktion und Absatz umweltfreundlicherer Kraftfahrzeuge bewertet werden sollte, mit der Folge, dass die auf den letztgenannten Kraftfahrzeugen ruhende – leichtere – Abgabenlast auf die Ebene der schwer umweltschädlichen Kraftfahrzeuge gebracht werden müsste, würde dem betroffenen Mitgliedstaat ein politisches Instrument aus den Händen genommen, das er für ein allgemein anerkanntes politisches Ziel benötigt. Die Folgen dieses verkehrten Ergebnisses sind umso ernster, als mit der Qualifizierung dieses allgemeinen niedrigeren Satzes als Beihilfemaßnahme in diesem Beispiel der betreffende Mitgliedstaat Zuständigkeiten verlieren würde, die ihm nach dem Vertrag zukommen.

77.      Diese Argumentation führt zu dem Schluss, dass eine sich aus einer besonderen Steuer ergebende spezifische Verzerrung nicht als Beihilfe zugunsten der unter die allgemeine Regelung fallenden Wirtschaftsteilnehmer verstanden werden darf. Daran müssen noch zwei weitere Folgerungen geknüpft werden: Wenn die betreffende Verzerrung im Interesse des Gemeinsamen Marktes beseitigt werden muss, wird die Gemeinschaft die Quelle dieser Verzerrung – die besondere Steuer – beseitigen müssen; dazu muss sie ihre Befugnisse aus den Artikeln 96 und 97 EG und darf sie ihre Befugnisse aus den Artikeln 87 und 88 EG nicht ausüben.

Der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens

78.      Die Anwendung der vorstehenden Ausführungen auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens, wie er in den Nummern 24 bis 32 dieser Schlussanträge wiedergegeben wird, führt zu Folgendem.

79.      Der Einführung der VPS im Jahr 1994 zu einem allgemein geltenden Satz von 2,5 %, der später auf 4 % und 5 % erhöht wurde, ist als allgemeine (Steuer-)Maßnahme zu betrachten, die grundsätzlich alle Versicherungsverträge betrifft.

80.      Auf der Lieferung von Waren und Dienstleistungen lastet die allgemeine Mehrwertsteuer mit einem Satz von 17,5 %. Der Unterschied in der Besteuerungshöhe zwischen VPS und Mehrwertsteuer ließ es attraktiv erscheinen, die Lieferung bestimmter Dienste als durch einen Versicherungsvertrag abgesicherte Leistungen darzustellen.

81.      Auf dem Markt für Haushaltsgeräte hatte dies zur Folge, dass die Lieferanten dort die an die Miet- und Kaufverträge angelehnten Wartungsverträge als Versicherungsverträge ausgestalteten, die mit einer mit ihnen verbundenen Versicherungsgesellschaft geschlossen wurden.

82.      Das hatte zweierlei Folgen. Erstens verschwanden die gewohnten Wartungsverträge großenteils mit der weiteren Konsequenz, dass dem britischen Schatzamt die darauf ruhende Mehrwertsteuer entging. Zweitens wurden auf diesem Teilmarkt des Versicherungsmarktes die so genannten direkten Versicherungsverträge – bei denen der versicherte Verbraucher unmittelbar einen Vertrag mit einem Versicherer schließt – großenteils durch die gebundenen Verträge verdrängt, bei denen der Lieferant der Haushaltsgeräte als Vermittler auftritt.

83.      Die Verschiebung im Wettbewerbsverhalten ist unmittelbar auf den Unterschied zwischen der Höhe der VPS und der der Mehrwertsteuer zurückzuführen. Diesen Unterschied konnten Lieferanten nutzen, die an ihre Hauptleistung gebundene Zusatzdienste lieferten, indem sie diese als Versicherungsverträge ausgestalteten.

84.      Der erhöhte VPS-Satz ist als eine spezifische Steuermaßnahme anzusehen, die ratione materiae strikt auf bestimmte Arten von Versicherungsverträgen begrenzt ist. Nach Zweck und Wirkung ist sie als eine regulierende Abgabe einzustufen, die eine besondere Abschreckung gegen den Abschluss dieser Verträge enthält. Auf das Marktverhalten hatte sie die damit beabsichtigte Wirkung: Die klassischen mehrwertsteuerpflichtigen Wartungsverträge kamen wieder zurück, und auf dem – kleiner gewordenen – Markt für Zusatzversicherungsverträge nahm der Anteil der so genannten direkten Versicherungen wieder zu.

85.      Dieser Eingriff stand, wie sich aus der vorgeschlagenen Antwort auf die ersten beiden Fragen ergibt, nicht im Widerspruch zur Sechsten Richtlinie. Solange nicht vom Rat auf Vorschlag der Kommission eine Maßnahme nach den Artikeln 96 und 97 EG beschlossen worden ist, muss er als rechtmäßig betrachtet werden. Das Stillhalten der Kommission weist darauf hin, dass die sich aus dieser spezifischen Besteuerungsmaßnahme möglicherweise ergebende Verzerrung des zwischenstaatlichen Handelsverkehrs als nicht schwerwiegend genug betrachtet wurde, um Schritte dagegen zu rechtfertigen.

86.      Den vorstehenden Ausführungen ist zu entnehmen, dass diese spezifische Besteuerungsmaßnahme auf keinen Fall eine Beihilfemaßnahme darstellen kann, mit den möglicherweise daran geknüpften Folgen, dass die Regierung des Vereinigten Königreichs diese rechtmäßig beschlossene und ihrer Zielsetzung nach gerechtfertigte spezifische Besteuerungsmaßnahme ex tunc beseitigen müsste.

87.      Zugleich ergibt sich aus dem Vorstehenden, dass die etwaige Abhilfe aufgrund der Artikel 96 und 97 EG bei der Ursache der spezifischen Verzerrung ansetzen muss, d. h. bei der spezifischen Besteuerungsmaßnahme selbst und nicht bei dem allgemeinen Normalsatz der VPS, da der erhöhte Satz lediglich eine spezifische Ausnahme hiervon darstellt.

88.      Ich gelange damit zu der Schlussfolgerung, dass im Kontext des Sachverhalts, der dem Ausgangsverfahren zugrunde liegt, die Anwendbarkeit der Artikel 87 und 88 EG auszuschließen ist. Somit beruhen die Fragen 3, 4 und 5 des VAT and Duties Tribunal auf einem offensichtlich falschen Verständnis des Gemeinschaftsrechts.

89.      Bei dieser Betrachtung brauchen die Fragen 3, 4 und 5 nicht beantwortet zu werden.

VI – Ergebnis

90.      Im Licht des Vorstehenden schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom VAT and Duties Tribunal vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

–Frage 2: Artikel 33 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in ihrer geänderten Fassung steht der Einführung einer Steuer auf Versicherungsprämien nicht entgegen, die anhand der erbrachten Dienste berechnet wird, proportional zum Preis der erbrachten Dienste ist, auf der letzten Stufe des Umsatzes an den Kunden erhoben wird, an den Endverbraucher so weitergegeben wird, wie das bei der Mehrwertsteuer der Fall ist, so dass die Steuer letztlich vom Endverbraucher aufgebracht wird, und die im gesamten Hoheitsgebiet des Vereinigten Königreichs Anwendung findet, aber nicht allgemein für alle Umsätze an Waren und Dienstleistungen gilt.

–Frage 1: Für die Einführung eines erhöhten Satzes für eine solche mit Artikel 33 der Sechsten Richtlinie zu vereinbarende Steuer auf Versicherungsprämien ist keine vorherige Ermächtigung durch den Rat erforderlich, wie sie in Artikel 27 dieser Richtlinie festgelegt ist.

–Fragen 3, 4 und 5: Diese Fragen brauchen nicht beantwortet zu werden, weil nicht davon auszugehen ist, dass eine spezifische Besteuerungsmaßnahme, mit der ein ratione materiae begrenzter höherer Steuersatz eingeführt wird, eine Beihilfemaßnahme im Sinne der Artikel 87 und 88 EG darstellt.


1 – Originalsprache: Niederländisch.


2 – ABl. L 145, S. 1.


3 – Dem Vorlagebeschluss ist zu entnehmen, dass 1968 67,5 % der Fernsehgeräte im Vereinigten Königreich gemietet wurden, während sich diese Zahl 1998 nur noch auf 8,1 % belief. Bei Videogeräten belief sie sich 1979 auf 69,6 %, 1998 auf nur noch 4,4 %.


4 – Vgl. Urteil vom 27. November 1985 in der Rechtssache 295/84 (Rousseau Wilmot, Slg. 1985, 3759).


5 – Vgl. Urteil vom 31. März 1992 in der Rechtssache C-200/90 (Dansk Denkavit und Poulsen Trading, Slg. 1992, I-2217).


6 – Vgl. u. a. Urteil vom 17. September 1997 in der Rechtssache C-130/96 (Solisnor-Estaleiros Navais, Slg. 1997, I-5053). Vgl. auch Urteil vom 9. März 2000 in der Rechtssache C-437/97 (EWK und Wein & Co., Slg. 2000, I-1157).


7 – Urteil vom 10. April 1984 in der Rechtssache 324/82 (Kommission/Belgien, Slg. 1984, 1861).


8 – Urteil vom 4. Februar 1988 in der Rechtssache 391/85 (Kommission/Belgien, Slg. 1988, 579).


9 – Urteil vom 20. September 2001 in der Rechtssache C-390/98 (Banks, Slg. 2001, I-6117).


10 – Urteil vom 22. November 2001 in der Rechtssache C-53/00 (Ferring, Slg. 2001, I-9067).