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Wichtiger rechtlicher Hinweis

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62001C0384

Schlussanträge des Generalanwalts Alber vom 10. Oktober 2002. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Französische Republik. - Vertragsverletzung - Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie - Artikel 12 Absatz 3 Buchstaben a und b - Lieferung von Gas und Elektrizität über die öffentlichen Netze - Grundgebühr für den Anschluss an die Versorgungsnetze (Abonnement) - Ermäßigter Satz. - Rechtssache C-384/01.

Sammlung der Rechtsprechung 2003 Seite I-04395


Schlußanträge des Generalanwalts


I - Einleitung

I. Die Französische Republik hat 1998 die Regelung über die Mehrwertsteuer für Elektrizitäts- und Erdgaslieferungen geändert. Sie hat das Abonnement, also den für einen bestimmten Zeitraum zu entrichtenden Festbetrag für den Anschluss an die entsprechenden Versorgungsnetze und andere Fixkosten, dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz unterworfen. Auf das darüber hinausgehende, vom Verbrauch abhängige variable Entgelt blieb der Normalsatz anwendbar. Die Kommission wirft Frankreich im vorliegenden Vertragsverletzungsverfahren zum einen vor, sie vor der Änderung nicht - wie nach der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie erforderlich - ordnungsgemäß bzw. vollständig unterrichtet zu haben. Zum anderen hält sie die Anwendung unterschiedlicher Mehrwertsteuersätze für die beiden Teile der Leistung für unvereinbar mit der Richtlinie.

II - Rechtlicher Rahmen

II. Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie bestimmt:

Der Normalsatz der Mehrwertsteuer wird von jedem Mitgliedstaat als ein Prozentsatz der Besteuerungsgrundlage festgelegt, der für Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen gleich ist. ¼

Die Mitgliedstaaten können außerdem einen oder zwei ermäßigte Sätze anwenden. Diese ermäßigten Sätze werden als ein Prozentsatz der Besteuerungsgrundlage festgelegt, der nicht niedriger als 5 % sein darf, und sind nur auf Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen der in Anhang H genannten Kategorien anwendbar."

III. Artikel 12 Absatz 3 Buchtstabe b der Sechsten Richtlinie sieht weiter vor:

Die Mitgliedstaaten können auf Lieferungen von Erdgas und Elektrizität einen ermäßigten Satz anwenden, sofern nicht die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung besteht. Ein Mitgliedstaat, der einen derartigen Satz anwenden will, muss zuvor die Kommission davon unterrichten. Die Kommission entscheidet darüber, ob die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung besteht. Hat die Kommission binnen drei Monaten nach ihrer Unterrichtung keinen Beschluss gefasst, so wird davon ausgegangen, dass die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung nicht besteht."

IV. Artikel 29 der französischen Loi de finance (Steuergesetz) 98-1266 für 1999 legt u. a. fest, dass auf Abonnements für die Lieferung von Elektrizität und Erdgas, die über öffentliche Netze verteilt werden, ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz von 5,5 % Anwendung findet. Das darüber hinausgehende, vom Verbrauch abhängige variable Entgelt unterliegt dagegen dem normalen Satz nach Artikel 278 des code général des impôts von 19,60 %.

III - Sachverhalt und Verfahren

V. Mit Schreiben vom 8. Juli 1998 informierte der französische Minister für Wirtschaft, Finanzen und Industrie die Kommission über das Vorhaben, gemäß Artikel 12 Absatz 3 Buchtstabe a der Sechsten Richtlinie den ermäßigten Steuersatz auf die Grundgebühr für den Anschluss an das Gas- und Elektrizitätsversorgungsnetz (l'abonnement aux réseaux de distribution de gaz et d'électricité) anzuwenden, um den Konsum anzuregen und die Kaufkraft insbesondere der sozial schwächeren Haushalte zu steigern.

VI. Die Kommission verstand dies als Anmeldung nach Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie und ersuchte die französischen Behörden mit Schreiben vom 31. Juli 1998 um nähere Auskünfte über die Durchführungsbedingungen der Maßnahme.

VII. Das Ministerium antwortete darauf mit Schreiben vom 7. September 1998, dass die Grundgebühr für das Abonnement Teil der Gegenleistung für die Lieferung von Gas und Elektrizität sei. Da die Ermäßigung auf alle Versorgungsunternehmen in gleicher Weise Anwendung finde, sei eine Wettbewerbsverzerrung ausgeschlossen.

VIII. In einem weiteren Schreiben vom 7. Dezember 1998 äußerte die Kommission Zweifel an der Argumentation Frankreichs, da mit der Grundgebühr tatsächlich kein Verbrauch von Energie vergolten werde, und forderte die französischen Behörden auf, diesen Punkt näher zu erläutern, was diese jedoch nicht taten.

IX. Das französische Parlament nahm das einschlägige Gesetz am 30. Dezember 1998 an. Es wurde am 31. Dezember 1998 bekannt gemacht und trat am 2. Januar 1999 in Kraft.

X. Am 22. Oktober 1999 wandte sich die Kommission darauf mit einem Mahnschreiben gemäß Artikel 226 EG an Frankreich. Nachdem sie darauf keine Antwort erhalten hatte, richtete sie am 13. Juni 2000 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Französische Republik. Da die Stellungnahme der französischen Behörden vom 7. August 2000 die Kommission nicht überzeugte, erhob sie am 5. Oktober 2001 Klage gemäß Artikel 226 EG.

XI. Sie beantragt,

- festzustellen, dass die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 12 Absatz 3 Buchstaben a und b der Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage verstoßen hat, dass sie auf den unveränderlichen Teil der Preise für die Lieferung von Gas und Elektrizität über öffentliche Leitungsnetze einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anwendet;

- der Französischen Republik die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen

XII. Die Französische Republik beantragt,

- die Klage abzuweisen;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

XIII. Eine mündliche Verhandlung hat nicht stattgefunden.

IV - Vorbringen der Parteien

A - Die Kommission

XIV. Wie sich aus der Begründung der Klageschrift ergibt, wirft die Kommission der Französischen Republik zwei Verstöße gegen die Sechste Richtlinie vor. Zum einen meint sie, dass Frankreich den ermäßigten Mehrwertsteuersatz eingeführt hat, ohne dass das Anmeldungsverfahren des Artikels 12 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie ordnungsgemäß durchgeführt worden ist. Zum anderen hält die Kommission die Ausgestaltung der Mehrwertsteuerregelung in materieller Hinsicht für nicht vereinbar mit Artikel 12 Absatz 3 Buchstaben a und b der Sechsten Richtlinie.

XV. Nach Auffassung der Kommission wurde die Frist des Artikels 12 Absatz 3 Buchstabe b Satz 4 der Sechsten Richtlinie durch ihr zweites Auskunftsersuchen vom 7. Dezember 1998 erneut vor ihrem Ablauf unterbrochen. Frankreich hätte daher nicht von einer stillschweigenden Billigung der Maßnahme durch die Kommission ausgehen und diese nicht durchführen dürfen.

XVI. Das zweite Ersuchen sei nicht missbräuchlich und auf eine Verzögerung des Verfahrens ausgerichtet gewesen. Vielmehr habe die Kommission weitere Informationen benötigt, um den Einfluss der Maßnahme auf den innergemeinschaftlichen Wettbewerb beurteilen und eine entsprechend den Anforderungen des Artikels 253 EG begründete Entscheidung erlassen zu können.

XVII. Die Rüge des materiellen Verstoßes stützt die Kommission auf eine Alternativbegründung.

XVIII. Handele es sich bei der Grundgebühr um das Entgelt für eine andere Dienstleistung als die Energielieferung, sei Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie, der die Möglichkeit eines ermäßigten Steuersatzes für die Energielieferung vorsehe, nicht anwendbar. Es liege auch kein anderer in Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe a in Verbindung mit Anhang H der Sechsten Richtlinie vorgesehener Fall der Anwendung des ermäßigten Satzes vor.

XIX. Betrachte man die Grundgebühr dagegen als Teil der Gegenleistung für die Energielieferung, verstoße die Maßnahme gegen den in Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie verankerten Grundsatz, dass auf gleichartige Leistungen ein einheitlicher Steuersatz anzuwenden ist. Dies sei letztlich eine Ausprägung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität.

XX. Die Regelung führe zu einer Ungleichbehandlung verschiedener Gruppen von Verbrauchern. Habe ein Verbraucher ein Tarifmodell mit höherer Grundgebühr, aber niedrigerem Verbrauchspreis gewählt, finde ein niedrigerer durchschnittlicher Steuersatz Anwendung als bei einem Tarifmodell mit niedriger Grundgebühr und hohem Verbrauchspreis.

B - Die französische Regierung

XXI. Die französische Regierung meint, der Kommission bereits auf ihr erstes Ersuchen hin alle erforderlichen Informationen geliefert zu haben. Für die von der Kommission entwickelte Alternativbegründung des Verstoßes gegen die Richtlinie hätte es keiner weiteren Auskünfte mehr bedurft. Es sei nicht verständlich, dass die Informationen für die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens ausgereicht hätten, nicht aber für eine Entscheidung gemäß Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie.

XXII. Dass die französischen Behörden auf das zweite - aus ihrer Sicht überfluessige - Auskunftsersuchen der Kommission vom 7. Dezember 1998 nicht mehr geantwortet hätten, verletze Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie nicht. Dieses Ersuchen habe die Frist, binnen deren die Kommission die Einführung des ermäßigten Steuersatzes habe beanstanden können, nicht unterbrochen. Folglich sei die Frist am 7. Dezember 1998 drei Monate nach Eingang des Schreibens der französischen Regierung abgelaufen, und die Maßnahme damit als stillschweigend genehmigt anzusehen.

XXIII. Nur hilfsweise weist die französische Regierung die Rüge des materiellen Verstoßes gegen die Richtlinie zurück. Sie habe immer betont, dass es sich bei der Grundgebühr um die Gegenleistung für die Erdgas- und Elektrizitätslieferung handele und nicht um eine andere Dienstleistung.

XXIV. Auch der Grundsatz der Einheitlichkeit des Steuersatzes für gleichartige Leistungen sei nicht verletzt. Die Energielieferung über öffentliche Versorgungsnetze setze sich nämlich aus verschiedenen Leistungen zusammen, auf die unterschiedliche Steuersätze angewendet werden könnten. Zum einen werde dem Kunden ein Anschluss bereitgestellt und damit die Möglichkeit gegeben, Gas bzw. Elektrizität zu beziehen. Zum anderen werde eine bestimmte Energiemenge geliefert und nach Verbrauch abgerechnet.

XXV. Die Rüge der Diskriminierung zwischen verschiedenen Verbrauchergruppen weist die französische Regierung als unzulässig zurück, da sie nicht in der mit Gründen versehenen Stellungnahme vorgebracht worden sei. Die Unternehmen Gaz de France (GdF) und Électricité de France (EdF) differenzierten die Grundgebühr je nach Leistungsabnahme bzw. Spannung und nach Kundengruppe (Privatkunden, gewerbliche Kunden, kleinindustrielle und industrielle Kunden) sowie innerhalb einer Kundengruppe nach den vom Kunden gewählten Tarifoptionen. Das von der Kommission gebildete Beispiel könne deshalb keine Diskriminierung belegen.

V - Rechtliche Würdigung

A - Verstoß gegen das Anmeldeverfahren

XXVI. Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie gibt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, auf die Lieferung von Erdgas und Elektrizität einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anzuwenden, wenn nicht die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung besteht.

XXVII. Vor der Einführung der Ermäßigung muss der Mitgliedstaat die Kommission unterrichten. Die Kommission trifft entweder eine ausdrückliche Entscheidung oder lässt eine Frist von drei Monaten verstreichen, ohne einen Beschluss zu fassen. Im zweiten Fall wird davon ausgegangen, dass keine Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung besteht.

XXVIII. Weitere Verfahrensregeln enthält Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie nicht. Die Vorschrift verbietet nicht ausdrücklich - anders als die entsprechende Regelung für staatliche Beihilfen in Artikel 88 Absatz 3 Satz 3 EG -, die Ermäßigung vor einer Entscheidung der Kommission oder vor Ablauf der dreimonatigen Frist in Kraft zu setzen.

XXIX. Eine am effet utile der Vorschrift ausgerichtete Auslegung gebietet jedoch, ein solches Durchführungsverbot anzunehmen. Dürfte der Mitgliedstaat den ermäßigten Satz schon vor der Entscheidung der Kommission anwenden, wären von der Kommission später möglicherweise festgestellte Wettbewerbsverzerrungen bereits eingetreten. Außerdem müsste der nationale Gesetzgeber im Falle einer Beanstandung durch die Kommission die gerade erst erlassene Bestimmung sogleich wieder aufheben. Diese kurzfristigen Änderungen wären mit unnötigem Aufwand für die Steuerpflichtigen und die Steuerverwaltungen verbunden und würden erhebliche Rechtsunsicherheit auslösen.

XXX. Für diese Auslegung spricht auch, dass die Maßnahme drei Monate nach der Anmeldung als wettbewerbskonform angesehen wird, wenn die Kommission sich nicht geäußert hat. Diese Fiktion bzw. stillschweigende Billigung der Kommission stellt sicher, dass die Kommission den Mitgliedstaat nicht während eines überlangen Zeitraums im Unklaren über ihre Beurteilung lassen kann. Es ist dem Mitgliedstaat zuzumuten, mit der Einführung des ermäßigten Satzes diese drei Monate abzuwarten, die das Prüfungsverfahren unter normalen Umständen höchstens dauern kann.

XXXI. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Änderung des Mehrwertsteuersatzes für Energielieferungen wegen der Vielzahl der betroffenen Steuerpflichtigen und der erheblichen Auswirkungen auf den Staatshaushalt eine politische Entscheidung von großer Tragweite ist.

XXXII. Folglich hätte die Französische Republik den ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf die Lieferungen von Erdgas und Elektrizität gemäß Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie erst einführen dürfen, nachdem die Kommission festgestellt hätte, dass dadurch keine Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung entsteht, oder wenn seit der Unterrichtung der Kommission drei Monate vergangen wären, ohne dass diese einen Beschluss gefasst hat. Da die Kommission keine positive Entscheidung erlassen hat, könnte die Änderung des Mehrwertsteuersatzes nur frei von Verfahrensfehlern eingeführt worden sein, wenn der zweite Fall vorliegt.

XXXIII. Daher ist zu untersuchen, wann die dreimonatige Frist begann und wann sie endete.

XXXIV. Die Kommission scheint davon auszugehen, dass die Frist zwar durch die erste Unterrichtung in Gang gesetzt wurde, dass der Lauf der Frist jedoch durch ihre beiden Auskunftsersuchen vom 31. Juli 1998 und vom 7. Dezember 1998 jeweils unterbrochen wurde und von neuem zu laufen begann. Demnach wäre die Frist noch nicht abgelaufen gewesen, als das Steuergesetz in Kraft trat.

XXXV. Die Sechste Richtlinie enthält keine genauen Regeln darüber, welche Angaben der Mitgliedstaat bei der Anmeldung machen muss und welche Auswirkung es auf den Lauf der Prüfungsfrist hat, wenn die Angaben unvollständig sind, so dass die Kommission weitere Auskünfte einholen muss. Folglich muss - unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Vorschrift - entwickelt werden, welche Leitlinien im Anmeldungsverfahren nach Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe b zu beachten sind.

XXXVI. Diese Leitlinien müssen dem Grundsatz Rechnung tragen, dass den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen gegenseitige Pflichten zur loyalen Zusammenarbeit obliegen, wie er namentlich dem Artikel 10 EG zugrunde liegt. Ferner können Parallelen zu dem Verfahren der Anmeldung staatlicher Beihilfen gezogen werden. Die Interessenlage des Mitgliedstaats und der Kommission ist in beiden Verfahren ähnlich. Für das Beihilferecht hat zunächst die Rechtsprechung und dann auch der Gesetzgeber konkretisiert, welche Folgen unvollständige Angaben in der Anmeldung auf den Lauf der Prüfungsfrist haben.

XXXVII. So war bereits vor Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 des EG-Vertrags (jetzt Artikel 88 EG) (im Folgenden Verordnung Nr. 659/1999) anerkannt, dass erst eine vollständige Anmeldung die im Urteil Lorenz entwickelte Frist für die Eröffnung des förmlichen Verfahrens auslöst. Durch Artikel 4 Absatz 5 Satz 2 der Verordnung Nr. 659/1999 hat diese Bedingung inzwischen ihre positiv-rechtliche Ausformung gefunden.

XXXVIII. Zudem sieht Artikel 4 Absatz 5 Satz 3 der Verordnung Nr. 659/1999 vor, dass eine Anmeldung als vollständig gilt, wenn die Kommission nicht innerhalb von zwei Monaten nach Eingang der Anmeldung weitere Informationen anfordert.

XXXIX. Diese im Beihilferecht entwickelten Grundsätze lassen sich auch auf die Anmeldung nach Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie übertragen. Erst wenn die Kommission tatsächlich über alle Informationen verfügt, die für die Beurteilung notwendig sind, ob die geplante Einführung des ermäßigten Steuersatzes die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung mit sich bringt, beginnt die Frist von drei Monaten zu laufen.

XL. Wie Generalanwalt Jacobs in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache C-99/98 zutreffend im Hinblick auf das Beihilferecht ausgeführt hat, stellt die Kommission implizit die Unvollständigkeit einer Anmeldung fest, indem sie ein Auskunftsersuchen an den Mitgliedstaat richtet. War die Anmeldung tatsächlich nicht vollständig, was der Überprüfung durch den Gerichtshof unterliegt, hat die Frist nie zu laufen begonnen und wird demnach auch nicht durch das Auskunftsersuchen unterbrochen. Fordert die Kommission nicht innerhalb von drei Monaten weitere Auskünfte an, ist die Unterrichtung nach Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie ebenfalls als vollständig anzusehen.

XLI. Es muss also geprüft werden, ob die Unterrichtung vollständig war bzw. als vollständig gelten konnte, so dass die Frist hätte beginnen können.

XLII. Die erste Mitteilung der französischen Regierung vom 8. Juli 1998 stellte keine vollständige Unterrichtung dar. Erst ganz am Ende dieses Schreibens, das in der Hauptsache anderen Fragen des Mehrwertsteuerrechts gewidmet ist, teilte die französische Regierung kurz mit, dass sie die Grundgebühr für das Abonnement der Gas- und Elektrizitätsversorgung dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz unterwerfen werde. Damit solle der Konsum angeregt und die Kaufkraft der Haushalte gesteigert werden.

XLIII. Zudem nahm die Mitteilung auf Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie Bezug und nicht auf die an sich einschlägige Bestimmung des Buchstaben b. Dieser Fehler war durchaus geeignet, Missverständnisse hervorzurufen. Die Kommission hätte annehmen können, das Abonnement solle nicht als Energielieferung betrachtet werden, sondern als eine Leistung nach Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe a in Verbindung mit Anhang H der Sechsten Richtlinie.

XLIV. Die Unterrichtung kann auch nicht als vollständig gelten, da die Kommission am 31. Juli 1998 weitere Informationen anforderte.

XLV. Am 7. September 1998 ergänzte die französische Regierung ihre Angaben. Daraufhin wandte sich die Kommission mit einem Schreiben vom 7. Dezember 1998 erneut an die Französische Republik. Fraglich ist, ob dieses Schreiben als Anforderung weiterer Informationen anzusehen ist.

XLVI. Zwar weist die Kommission einerseits darauf hin, dass das Schreiben die Frist wiederum unterbreche. Die Kommission misst ihrem Schreiben selbst also die Wirkung eines Auskunftsersuchens bei. Andererseits stellt sie aber keine konkreten Fragen und bittet nicht um bestimmte Informationen, sondern äußert lediglich Zweifel daran, dass man das Abonnement als Lieferung von Energie betrachten könne, weil damit allein noch kein tatsächlicher Energieverbrauch verbunden sei. Ferner führt sie aus, es scheine ihr, Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie müsse ebenfalls in die Überlegungen einbezogen werden.

XLVII. Aus dem Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache C-99/98 lässt sich der Schluss ziehen, dass ein Schreiben, in dem die Kommission nicht um bestimmte Erläuterungen über ein Beihilfevorhaben bittet, den Fristbeginn nicht hinausschieben kann.

XLVIII. Bei der Prüfung des Schreibens ist auch zu bedenken, dass die Anmeldung in erster Linie tatsächliche Informationen über die geplante nationale Maßnahme und Angaben zu den Bedingungen des Marktes enthalten muss, dem die Leistung zuzurechnen ist, die dem ermäßigten Steuersatz unterworfen werden soll. Der Mitgliedstaat ist dagegen nicht verpflichtet, Rechtsausführungen über die Qualifikation der Maßnahme zu machen, da die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts Aufgabe der Kommission ist.

XLIX. Das Schreiben vom 7. Dezember 1998 ist daher nicht als Anforderung weiterer Informationen anzusehen, da die Kommission nicht um Angaben zu der geplanten nationalen Regelung oder zum Sachverhalt ersucht. Vielmehr fordert sie die französische Regierung auf, sich zu der rechtlichen Einordnung des Abonnements als Teil der Energielieferung zu äußern. Auch der Hinweis auf Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie zielt nicht auf die Erteilung tatsächlicher Auskünfte, sondern gibt - und selbst das nur äußerst vage - rechtliche Überlegungen der Kommission wieder.

L. Zwar ist es durchaus zweifelhaft, ob die französische Regierung der Kommission tatsächlich bereits alle erforderlichen Informationen für die Beurteilung der Maßnahme gegeben hatte. So fehlten z. B. Informationen zu der Situation auf den betroffenen Märkten. Auch wurden keine genauen Angaben zu den in Frankreich angewandten Tarifen für die Gas- und Elektrizitätsversorgung gemacht, z. B. über den Anteil der Grundgebühr und der mengenabhängigen Vergütung am Gesamtpreis für die Energielieferung.

LI. Das Argument der französischen Regierung, die Informationen müssten als ausreichend für die Zwecke der Sechsten Richtlinie angesehen werden, weil die Kommission in der Lage gewesen sei, auf der Basis dieser Informationen ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, begegnet Zweifeln. Beide Verfahren dienen unterschiedlichen Zielen. Zudem könnten an die Nachweispflichten der Kommission im Vertragsverletzungsverfahren geringere Anforderungen gestellt werden, wenn der Mitgliedstaat nicht bei der Tatsachenermittlung mitgewirkt hat.

LII. Letztlich kommt es aber auch gar nicht darauf an, ob die Informationen, die die französische Regierung der Kommission gegeben hat, tatsächlich ausreichend für deren Beurteilung gemäß Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie waren. Denn die Kommission hat jedenfalls keine konkreten Fragen an die französische Regierung gerichtet, denen sich entnehmen ließ, dass sie weitere Informationen zum Sachverhalt benötigte und die Unterrichtung deswegen als unvollständig ansah. Dies hätte der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit indes geboten.

LIII. Die Tatsache allein, dass die Kommission in ihrem Schreiben behauptet, es unterbreche den Fristlauf, vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern. Wenn die Kommission den Beginn der Prüfungsfrist auf diese Weise beeinflussen könnte, würde die Regelung ausgehöhlt, die nach drei Monaten eine Fiktion der Wettbewerbskonformität eintreten lässt. Dies widerspräche dem Zweck dieser Regelung, die Mitgliedstaaten nicht über einen allzu langen Zeitraum über die Beurteilung der geplanten Maßnahme im Unklaren zu lassen.

LIV. Folglich muss die Unterrichtung der französischen Regierung als vollständig gelten, nachdem sie ihre Angaben mit Schreiben vom 7. September 1998 ergänzt hatte. Drei Monate nach dem Eingang dieses Schreibens bei der Kommission war davon auszugehen, dass die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung nicht besteht.

LV. Die Französische Republik war danach frei, den ermäßigten Steuersatz auf Energielieferungen einzuführen. Ein Verstoß gegen das Anmeldeverfahren in Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie ist ihr nicht vorzuwerfen.

B - Verstoß gegen die materiellen Vorgaben des Artikels 12 Absatz 3 Buchstaben a und b der Sechsten Richtlinie

1. Zulässigkeit einer Alternativbegründung

LVI. Die Kommission stützt die Rüge des materiellen Verstoßes auf eine Alternativbegründung. In der ersten Alternative liege der Verstoß darin, dass Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe a in Verbindung mit Anhang H oder eine andere Bestimmung der Sechsten Richtlinie die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes auf die von der eigentlichen Energielieferung zu unterscheidende Leistung Abonnement der Versorgung mit Erdgas und Elektrizität" nicht vorsehe.

LVII. In der zweiten Alternative wird die Verletzung des Grundsatzes der Einheitlichkeit des Steuersatzes gerügt. Auch wenn die Kommission diesen Grundsatz ebenfalls aus Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie herleitet, so rügt sie mit der zweiten Alternative dennoch einen ganz anderen Rechtsverstoß.

LVIII. Welche der beiden Alternativen letztlich einschlägig ist, macht die Kommission von der Antwort auf die Vorfrage abhängig, ob die Grundgebühr für das Abonnement als Teil der Vergütung der Energielieferung einzuordnen ist oder als Vergütung für eine Leistung eigener Art. Obwohl die französische Regierung im Laufe des vorgerichtlichen Verfahrens Angaben gemacht hat, die ihrer Auffassung nach für die Einordnung des Abonnements als Teil der Energielieferung sprechen, hat sich die Kommission in ihrer Klageschrift nicht mit diesen Angaben auseinander gesetzt und sich auf keine der beiden Alternativen festgelegt. Erst in der Erwiderung hat die Kommission schließlich die Auffassung vertreten, dass es sich bei der Bereitstellung des Versorgungsnetzes um eine Leistung eigener Art handele und nicht um einen Teil der Energielieferung.

LIX. Fraglich ist, ob diese Form der Rüge einer Vertragsverletzung hinreichend bestimmt ist und nicht zu einer Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte der Französischen Republik führt. Obwohl die französische Regierung keine entsprechende Einrede erhoben hat, könnte der Gerichtshof diese Frage, die die Zulässigkeit betrifft, von Amts wegen aufgreifen.

LX. Die Kommission hat die beiden Alternativen zwar nicht ausdrücklich in eine Rangfolge gestellt. Aus dem Gesamtzusammenhang ihres Sachvortrags ergibt sich jedoch, dass sie in erster Linie die Auffassung vertritt, die Bereitstellung des Versorgungsnetzes sei nicht als Lieferung von Gas und Elektrizität anzusehen. Der Verstoß gegen den Grundsatz der Einheitlichkeit des Steuersatzes ist daher nur für den Fall von Bedeutung, dass der Gerichtshof die Bereitstellung des Energieversorgungsnetzes nicht als Leistung eigener Art ansehen sollte, sondern als Teil der Energielieferung. Somit ist die zweite Alternative als Hilfsbegründung anzusehen.

LXI. Es ist zulässig, die Vertragsverletzung mit einer Haupt- und einer Hilfsbegründung zu versehen. Der Vorwurf der Kommission ist auf diese Weise mit hinreichender Klarheit umschrieben. Die Verteidigungsrechte der französischen Regierung werden folglich nicht eingeschränkt.

2. Zulässigkeit der Prüfung materieller Verstöße

LXII. Da die Frist von drei Monaten abgelaufen ist, ohne dass die Kommission sich zu der Gefahr der Wettbewerbsverzerrung geäußert hat, ist gemäß Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie davon auszugehen, dass keine Gefahr der Wettbewerbsverzerrung besteht. Die französische Regierung meint, dass die Kommission wegen ihrer mit dem Fristablauf eingetretenen stillschweigenden Billigung der Maßnahme gehindert sei, dieselbe Maßnahme im Wege des Vertragsverletzungsverfahrens zu beanstanden.

LXIII. Dieser Auffassung ist nicht zu folgen. Dabei kann es dahinstehen, ob nach Fristablauf eine rechtliche Fiktion eintritt oder ob man dem Schweigen der Kommission - wie es die französische Regierung tut - die Bedeutung einer stillschweigenden Entscheidung beimisst.

LXIV. Die Fiktion bzw. stillschweigende Entscheidung bezieht sich nämlich nur auf die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung. Sie erfasst nicht die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen des Artikels 12 Absatz 3 Buchstabe b und andere Bestimmungen der Sechsten Richtlinie. So kann die Leistung, für die ein ermäßigter Steuersatz eingeführt werden soll, nicht als eine Lieferung von Erdgas und Elektrizität gelten, auch wenn die Kommission sich drei Monate nach der Anmeldung nicht abschließend geäußert hat. Daher ist jedenfalls die Hauptrüge der Kommission zulässig, dass die Französische Republik die Leistung zu Unrecht als Energielieferung eingeordnet hat, mit der Folge, dass Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie nicht als Grundlage für die Einführung des ermäßigten Steuersatzes herangezogen werden konnte.

LXV. Auch die hilfsweise erhobene Rüge des Verstoßes gegen den Grundsatz der Einheitlichkeit des Steuersatzes kann die Kommission im vorliegenden Verfahren geltend machen. Zwar besteht ein gewisser Zusammenhang zwischen einem möglichen Verstoß gegen diesen Grundsatz und dem Einfluss der Maßnahme auf den Wettbewerb, wie noch zu zeigen sein wird. Dennoch beanstandet die Kommission in erster Linie eine Verletzung von Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie. Gegebenenfalls ist im Rahmen der materiellen Prüfung zu berücksichtigen, inwieweit die Kommission an ihre Beurteilung der Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung gebunden ist, die ihrer stillschweigenden Entscheidung bzw. der Fiktion der Wettbewerbskonformität zugrunde liegt.

LXVI. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Kommission ihre Zweifel an der rechtlichen Einordnung des Abonnements als Lieferung von Erdgas und Elektrizität bereits in ihren Schreiben vom 31. Juli 1998 und vom 7. Dezember 1998 zum Ausdruck gebracht hat. In dem Schreiben vom 7. Dezember 1998 machte sie zudem Bedenken in Bezug auf Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie geltend. Auch wenn die Kommission es also versäumt hat, sich fristgerecht zu der Frage der Wettbewerbsverzerrung zu äußern, so kann man ihr hinsichtlich der im Vertragsverletzungsverfahren vorgebrachten Rügen kein widersprüchliches Verhalten vorwerfen.

3. Zur Hauptrüge: Einordnung der Bereitstellung des Energieversorgungsnetzes als Leistung eigener Art

LXVII. Voraussetzung für den Erfolg der Hauptrüge der Kommission wäre, dass das Abonnement nicht als Bestandteil der Lieferung von Erdgas und Elektrizität einzuordnen, sondern als eine Leistung anderer Art anzusehen ist. Gemäß Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe a Unterabsatz 3 der Sechsten Richtlinie darf der ermäßigte Satz nur auf die in Anhang H aufgeführten Kategorien von Leistungen angewandt werden. Da das Abonnement der Energieversorgung oder die Bereitstellung der entsprechenden Versorgungsnetze in keine der Kategorien des Anhangs H fällt, wäre die Anwendung eines ermäßigten Satzes in diesem Fall unzulässig.

LXVIII. Vorab ist festzustellen, dass die Kommission ihre Ansicht, es handele sich bei dem Abonnement um eine Leistung eigener Art, in der Klageschrift nicht weiter begründet hat, obwohl die französische Regierung diese Auffassung bereits in ihrem Schreiben vom 7. September 1998 ausdrücklich zurückgewiesen hatte.

LXIX. Erst in der Erwiderung führt die Kommission aus, der in Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie verwendete Begriff der Lieferung" schließe es aus, darunter auch das Abonnement zu verstehen. Vielmehr handele es sich bei der damit gewährten Möglichkeit des Energiebezugs um eine eigene, der Lieferung vorgelagerte Leistung.

LXX. Es kann offen bleiben, ob die Kommission mit dieser etwas oberflächlichen und erst in der Erwiderung vorgetragenen Begründung der ihr im Vertragsverletzungsverfahren obliegenden Darlegungspflicht nachgekommen ist, wenn sich die Auffassung der Kommission in der Sache als unzutreffend erweisen sollte.

LXXI. Das Abonnement kann nur dann als Leistung eigener Art angesehen werden, wenn es sich dabei um eine von der eigentlichen Lieferung des Erdgases und der Elektrizität zu trennende Leistung handelt. Dabei sind zwei Faktoren zu berücksichtigen. Für die Trennbarkeit spräche zum einen, wenn das Abonnement auch abgeschlossen werden könnte, ohne dass daran die Lieferung von Erdgas bzw. Elektrizität im engeren Sinne gekoppelt wäre. Erdgas und Elektrizität müssten also auch von einem Dritten bezogen werden können. Das Abonnement reduzierte sich damit praktisch auf die reine Nutzung des Versorgungsnetzes. Zum anderen müsste der Preis für das Abonnement in einem tatsächlichen Verhältnis zu bestimmten Fixkosten, z. B. den Kosten des Netzbetriebs, stehen.

LXXII. Für die Antwort auf die Frage nach der Trennung von Abonnement/Netzbetrieb und Lieferung bestimmter Energiemengen ist der rechtliche Rahmen für die betroffenen Märkte von Bedeutung.

LXXIII. Im Elektrizitätsbereich ist auf die Richtlinie 96/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Dezember 1996 betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt zu verweisen, die bis zum 19. Februar 1999 umzusetzen war. Artikel 19 dieser Richtlinie sieht eine schrittweise Marktöffnung vor, wobei aber zunächst nur Großabnehmern die Möglichkeit einzuräumen ist, ihre Lieferanten frei zu wählen.

LXXIV. Ausweislich des ersten Benchmarkingberichts der Kommission über die Verwirklichung des Elektrizitäts- und Erdgasbinnenmarktes vom 3. Dezember 2001 waren zu diesem Zeitpunkt - also lange nach Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist - in Frankreich erst 30 % des Marktes geöffnet; ihren Lieferanten frei wählen konnten nur Endabnehmer mit einem Jahresverbrauch von 16 GWh und mehr. Private Haushalte, die in erster Linie von der Regelung für die Besteuerung des Abonnements betroffen sind, konnten ihren Strom zum maßgeblichen Zeitpunkt also ausschließlich von dem bisherigen Monopolunternehmen EdF beziehen, bei dem auch das Abonnement bestand.

LXXV. Die Liberalisierung der Gasversorgung ist in der Richtlinie 98/30/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 betreffend gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt geregelt. Diese Richtlinie hätte bis zum 10. August 2000 in nationales Recht umgesetzt werden müssen, was in Frankreich nicht rechtzeitig geschehen ist. Im Übrigen wird auch in diesem Bereich zunächst nur Großabnehmern die Wahl ihres Lieferanten ermöglicht.

LXXVI. Es scheint so, dass private Haushalte und auch viele gewerbliche Kunden zum damaligen Zeitpunkt also nur bei den Unternehmen EdF und GdF, bei denen auch das Abonnement bestand, Strom bzw. Gas beziehen konnten. Dies spricht gegen die Einordnung des Abonnements als eine gesonderte Leistung.

LXXVII. Auch das zweite Kriterium deutet auf die Untrennbarkeit der Leistung hin. Es ist nämlich nicht ersichtlich, dass der Preis für das Abonnement tatsächlich in einem unmittelbaren Verhältnis zu bestimmten Fixkosten steht. Zwar variieren die Tarife für das Abonnement je nach Leistungsabnahme bzw. Stromspannung und nach Kundengruppe, so dass man einen Zusammenhang zwischen der Intensität der Nutzung der Infrastruktur und dem Preis für das Abonnement vermuten könnte. Andererseits hat die französische Regierung aber in ihrem Schreiben vom 7. September 1998 an die Kommission ausgeführt, dass die Einnahmen aus der Grundgebühr für das Abonnement nur etwa 27 % der Gesamtkosten des Versorgungsunternehmens deckten, obwohl die Fixkosten tatsächlich mehr als die Hälfte der Gesamtkosten ausmachten. Ein Teil der Fixkosten werde also durch die Einnahmen aus den nach Verbrauch berechneten Entgelten gedeckt.

LXXVIII. Die Aufteilung der Gegenleistung für die Lieferung von Erdgas und Elektrizität in einen festen und einen variablen Anteil stellt sich unter diesen Umständen als eine Maßnahme der freien Preisgestaltung der Versorgungsunternehmen für eine integrierte Leistung dar. Es handelt sich nicht um verschiedene Entgelte für zwei voneinander trennbare Leistungen.

LXXIX. Auch der Richtlinie 90/377/EWG des Rates vom 29. Juni 1990 zur Einführung eines gemeinschaftlichen Verfahrens zur Gewährleistung der Transparenz der vom industriellen Endverbraucher zu zahlenden Gas- und Strompreise liegt diese Betrachtung zugrunde. Nach Anhang I Ziffer 9 (betreffend Gas) bzw. Anhang II Ziffer 8 (betreffend Elektrizität) ist ein einheitlicher Preis unter Berücksichtigung der festen und verbrauchsabhängigen Entgelte zu bilden.

LXXX. Es war also nicht schon deswegen ausgeschlossen, einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf der Grundlage von Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie einzuführen, weil es sich bei dem Abonnement nicht um die Lieferung von Erdgas und Elektrizität" im Sinne dieser Vorschrift handelt. Die Hauptrüge der Kommission ist folglich zurückzuweisen.

LXXXI. Diese Feststellung bezieht sich aber nur auf den für die Vertragsverletzung relevanten Zeitpunkt bei Ablauf der Frist, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden war. Im Zuge der weiteren Liberalisierung kann sich die Lage inzwischen geändert haben.

4. Zur hilfsweise erhobenen Rüge: Verstoß gegen den Grundsatz der Einheitlichkeit des Steuersatzes

LXXXII. Für den Fall, dass das Abonnement als Lieferung von Erdgas und Elektrizität" anzusehen wäre, rügt die Kommission einen Verstoß gegen den Grundsatz, dass gleichartige Leistungen auch demselben Mehrwertsteuersatz unterworfen werden müssen.

LXXXIII. Sie leitet diesen Grundsatz aus Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie her, wonach [d]er Normalsatz der Mehrwertsteuer ¼ von jedem Mitgliedstaat als ein Prozentsatz der Besteuerungsgrundlage festgelegt [wird], der für Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen gleich ist. ¼ " Durch dieses dem Mehrwertsteuerrecht inhärente Prinzip solle eine Diskriminierung zwischen Personen, die dieselben Güter oder Dienstleistungen bezögen, verhindert werden.

LXXXIV. Aus dem Wortlaut der Bestimmung lässt sich dieses Prinzip jedoch nicht entnehmen. Vielmehr besagt die Vorschrift nur, dass der Normalsatz für Dienstleistungen und Güter gleich ist. Dass auf gleichartige Dienstleistungen und gleichartige Güter derselbe Steuersatz anzuwenden ist, ergibt sich aus dieser Vorschrift nicht.

LXXXV. Der von der Kommission angesprochene Grundsatz stellt jedoch einen Teilaspekt des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität dar, der als Grundprinzip des Mehrwertsteuersystems der Gemeinschaft anerkannt ist. So hat der Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache C-481/98 ausgeführt:

Daraus folgt, dass die Einführung und die Beibehaltung eines Satzes von 2,1 % für erstattungsfähige Arzneimittel bei gleichzeitiger Geltung eines Steuersatzes von 5,5 % für nicht erstattungsfähige Arzneimittel nur dann zulässig sind, wenn sie nicht den dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liegenden Grundsatz der steuerlichen Neutralität verletzen, der von den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Sechsten Richtlinie zu beachten ist ¼

Nach diesem Grundsatz ist es insbesondere unzulässig, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Waren hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln. ¼ Demgemäß schließt der Grundsatz der steuerlichen Neutralität auch die beiden ¼ Grundsätze der Einheitlichkeit der Mehrwertsteuer und der Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen ein."

LXXXVI. Fraglich ist, ob die Rüge der Kommission zurückzuweisen ist, da sie sich auf Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie bezieht und nicht auf den allgemeinen Grundsatz der steuerlichen Neutralität.

LXXXVII. Dagegen spricht zum einen, dass der Grundsatz der Einheitlichkeit des Steuersatzes, den die Kommission ausdrücklich genannt hat, letztlich ein Teilaspekt des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität ist. Zum anderen hat die Kommission den Inhalt des gerügten Grundsatzes bereits in dem Mahnschreiben hinreichend klar umschrieben, so dass die französische Regierung nachvollziehen konnte, welchen Rechtsverstoß die Kommission tatsächlich beanstandet. Dass die Kommission Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie unrichtigerweise als Grundlage des Prinzips der Einheitlichkeit des Steuersatzes angeführt hat, führt deswegen nicht zur Zurückweisung dieser Rüge.

LXXXVIII. Der Grundsatz der steuerlichen Neutralität wäre verletzt, wenn die französische Steuerregelung dazu führen würde, dass gleichartige Leistungen, die miteinander im Wettbewerb stehen, hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich behandelt würden.

LXXXIX. Wie ausgeführt handelt es sich bei dem Abonnement und der Erdgas- bzw. Elektrizitätslieferung für die weit überwiegende Zahl der Endabnehmer tatsächlich nicht um verschiedene Leistungen, sondern um eine integrierte Leistung, die Dienstleistungen und die Lieferung von Gegenständen umfasst. Lediglich der Preis für die Leistung wird in zwei Bestandteile aufgeteilt, nämlich die Grundgebühr und die mengenabhängige Vergütung.

XC. Die Anwendung unterschiedlicher Mehrwertsteuersätze auf die beiden Teile der Vergütung führt dazu, dass die Gesamtleistung tatsächlich einem Mehrwertsteuersatz unterworfen wird, der dem entsprechend der Preisbestandteile gewichteten Durchschnitt der Mehrwertsteuersätze entspricht. Die Lieferung von Erdgas und Elektrizität wird damit tatsächlich einer Vielzahl von Steuersätzen unterworfen, deren Höhe davon abhängt, welchen Anteil die Grundgebühr und die verbrauchsabhängige Vergütung jeweils an dem Gesamtpreis haben.

XCI. Darin liegt ein Verstoß gegen Artikel 12 Absatz 3 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie, da diese Vorschrift nur die Anwendung von höchstens zwei ermäßigten Sätzen neben dem Normalsatz gestattet. Da die Kommission diesen Verstoß jedoch nicht gerügt hat, kann er im vorliegenden Verfahren nicht aufgegriffen werden.

XCII. Zugleich könnte diese Steuerregelung aber gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstoßen. Auf gleichartige Leistungen werden nämlich unterschiedliche Steuersätze angewandt.

XCIII. Daran ändert auch der Hinweis der französischen Regierung nichts, dass die Grundgebühr für das Abonnement auch je nach Leistung und Kundengruppe variiert. Zwar könnten z. B. die Lieferungen von Elektrizität mit niedriger und mittlerer Stromspannung verschiedene Leistungen darstellen. Jedoch kämen innerhalb derselben Spannungsebene wiederum unterschiedliche effektive Mehrwertsteuersätze zur Anwendung, je nachdem, wie viel Strom tatsächlich geflossen ist und welchen Umfang damit der Teil der Vergütung hat, der dem Normalsatz der Mehrwertsteuer unterliegt.

XCIV. Allerdings soll der Grundsatz der steuerlichen Neutralität auch ausschließen, miteinander in Wettbewerb stehende Waren hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln", wie es der Gerichtshof ausdrückt. Genau genommen geht es darum, den Wettbewerb zwischen den Anbietern der jeweiligen Waren nicht zu verfälschen.

XCV. Zwar mag es zu dem entscheidungserheblichen Zeitpunkt mehrere Tarifmodelle der Unternehmen EdF und GdF in Frankreich gegeben haben. Die Steuerregelung kann sich dementsprechend für verschiedene Kundenkreise unterschiedlich ausgewirkt haben. Die Kommission hat jedoch nichts dazu vorgetragen, inwieweit damals bereits Konkurrenz auf den französischen Märkten für die Lieferung von Erdgas und Elektrizität bestand und die Steuerregelung deswegen die Gefahr der Wettbewerbsverzerrung zwischen verschiedenen Marktteilnehmern mit sich brachte.

XCVI. Die Kommission hat somit eine wesentliche Voraussetzung für den Verstoß gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität nicht nachgewiesen. Diese Rüge greift deswegen ebenfalls nicht durch.

VI - Kosten

XCVII. Die Kostenentscheidung beruht auf Artikel 69 der Verfahrensordnung, gemäß dessen § 2 die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen ist. Da die Französische Republik einen entsprechenden Antrag gestellt hat und die Klage keinen Erfolg hat, sind die Kosten der Kommission aufzuerlegen.

VII - Ergebnis

XCVIII. Aufgrund der vorstehenden Überlegungen wird vorgeschlagen, wie folgt zu entscheiden:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.

Siegbert Alber