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Wichtiger rechtlicher Hinweis

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62001C0438

Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 12. Dezember 2002. - Design Concept SA gegen Flanders Expo SA. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Cour de cassation - Luxemburg. - Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie - Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e - Ort des steuerbaren Umsatzes - Steuerliche Anknüpfung - Leistungen auf dem Gebiet der Werbung. - Rechtssache C-438/01.

Sammlung der Rechtsprechung 2003 Seite I-05617


Schlußanträge des Generalanwalts


1 In diesem Verfahren bittet die Cour de cassation des Großherzogtums Luxemburg den Gerichtshof um Auslegung von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie (im Folgenden: Sechste Richtlinie oder Richtlinie)(1). Diese Vorschrift legt fest, dass Leistungen auf dem Gebiet der Werbung, die an Empfänger in einem anderen Mitgliedstaat erbracht werden, in dem Mitgliedstaat der Mehrwertsteuer unterliegen, in dem der Empfänger ansässig ist. Sie stellt daher eine Ausnahme zur normalen Regel dar, wonach eine Dienstleistung in dem Mitgliedstaat der Mehrwertsteuer unterliegt, in dem der Erbringer der Dienstleistung ansässig ist.

2 Die dem Gerichtshof vorgelegte Frage wirft zwei Streitpunkte auf. Der erste ist, ob Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie auf Werbedienstleistungen anwendbar ist, die einem Werbetreibenden (d. h. der Person, die bestimmt, was zu bewerben ist, und die deshalb letztlich die Dienstleistungen erhält) mittelbar erbracht und einem Dritten in Rechnung gestellt werden, der sie dem Werbetreibenden berechnet. Insoweit hat der Gerichtshof unlängst im Urteil in der Rechtssache SPI/Ministère de l'économie, des finances et de l'industrie (Frankreich)(2) bereits entschieden, dass die fragliche Bestimmung in einer solchen Lage anwendbar ist.

3 In der vorliegenden Rechtssache ist daher der zweite durch das vorlegende Gericht aufgeworfene Streitpunkt zu entscheiden, nämlich ob Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie auf Leistungen auf dem Gebiet der Werbung anwendbar ist, wenn der Empfänger dieser Dienstleistungen keine Waren herstellt, in deren Preis die Kosten dieser Leistung eingehen.

Die einschlägigen Rechtsvorschriften

4 Gemäß Artikel 2 der Sechsten Richtlinie unterliegt eine Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher gegen Entgelt ausführt, der Mehrwertsteuer. Gemäß Artikel 4 Absatz 1 ist Steuerpflichtiger, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis. Unter wirtschaftliche Tätigkeiten im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 fallen auch die Tätigkeiten von Dienstleistenden. Artikel 6 Absatz 1 Unterabsatz 1 definiert die Dienstleistung als "jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstands ... ist".

5 Abschnitt VI der Sechsten Richtlinie enthält Regeln, die den Ort des steuerbaren Umsatzes bestimmen. Diese Regeln sind wichtig in Fällen, in denen die Lieferung von Gegenständen oder die Erbringung von Dienstleistungen mehr als ein Land berührt. Hinweise in Bezug auf den Zweck der Regeln bietet die siebte Begründungserwägung der Sechsten Richtlinie:

"Die Bestimmung des Ortes des steuerbaren Umsatzes hat insbesondere hinsichtlich der Lieferung eines Gegenstandes mit Montage und der Dienstleistung zu Kompetenzkonflikten zwischen den Mitgliedstaaten geführt. Wenn auch als Ort der Dienstleistung grundsätzlich der Ort gelten muss, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner beruflichen Tätigkeit hat, so sollte doch insbesondere für bestimmte zwischen Mehrwertsteuerpflichtigen erbrachte Dienstleistungen, deren Kosten in den Preis der Waren eingehen, als Ort der Dienstleistung das Land des Dienstleistungsempfängers gelten."

6 In Verfolgung des in dieser Begründungserwägung angegebenen Ziels legt Artikel 9 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie die allgemeine Regel fest:

"Als Ort einer Dienstleistung gilt der Ort, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus die Dienstleistung erbracht wird, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort."

7 Artikel 9 Absatz 2 enthält eine Reihe von Ausnahmen von dieser Regel. Buchstabe a sieht vor, dass als Ort einer Dienstleistung im Zusammenhang mit einem Grundstück der Ort gilt, an dem das Grundstück gelegen ist. Buchstabe c sieht u. a. vor, dass als Ort von Dienstleistungstätigkeiten auf dem Gebiet der Kultur, der Künste, des Sports, der Wissenschaften, des Unterrichts, der Unterhaltung oder ähnlicher Tätigkeiten der Ort gilt, an dem die Dienstleistungen tatsächlich bewirkt werden. Gemäß Buchstabe e gilt

"als Ort der folgenden Dienstleistungen, die an außerhalb der Gemeinschaft ansässige Empfänger oder an innerhalb der Gemeinschaft, jedoch außerhalb des Landes des Dienstleistenden ansässige Steuerpflichtige erbracht werden, der Ort, an dem der Empfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, für welche die Dienstleistung erbracht worden ist, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort:

...

- Leistungen auf dem Gebiet der Werbung ...".

Sachverhalt und Vorlagefrage

8 Design Concept, eine Gesellschaft mit Sitz in Luxemburg, wurde vom luxemburgischen Ministerium für Wirtschaft beauftragt, Ausstellungsstände für das Ministerium auf einer Handelsmesse, der HORECA, in Gent (Belgien) zu organisieren. Um diesen Auftrag auszuführen, schloss Design Concept einen Vertrag mit Flanders Expo, einer belgischen Gesellschaft, über verschiedene Dienstleistungen, die die Errichtung von zwei Ständen auf der Messe, die Reinigung dieser Stände während der Messe und die Bereitstellung von Personal zum Transport des Ausstellungsmaterials umfassten.

9 Flanders Expo nahm in ihre Rechnung für die von ihr erbrachten Dienstleistungen eine Summe auf, die der Mehrwertsteuer für die in Belgien erbrachten Leistungen nach dem anwendbaren belgischen Recht entsprach. Design Concept zog jedoch von ihrer Zahlung die der Mehrwertsteuer entsprechende Summe ab. Sie vertrat die Ansicht, dass es sich bei den ihr erbrachten Dienstleistungen um Leistungen auf dem Gebiet der Werbung im Sinne von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e der Richtlinie handele und dass die Mehrwertsteuer daher in Luxemburg zu entrichten sei, als dem Ort, an dem sie als Empfänger ihren Sitz habe.

10 Flanders Expo erhob in Luxemburg Klage, um die streitige Summe einzutreiben. Sie bestritt, dass ihre Dienstleistungen als Werbedienstleistungen im Sinne von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e einzustufen seien. Ihrer Ansicht nach fielen sie stattdessen unter die allgemeine Regel des Artikels 9 Absatz 1 der Richtlinie (mit der Folge, dass die Mehrwertsteuer in Belgien als dem Sitzstaat des Dienstleistenden zu entrichten sei) oder unter Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie bezüglich Dienstleistungen im Zusammenhang mit einem Grundstück (mit der Folge, dass die Mehrwertsteuer in Belgien als dem Ort, an dem das Grundstück gelegen sei, zu entrichten sei) oder aber unter Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe c bezüglich Tätigkeiten auf dem Gebiet der Kultur, der Künste, des Sports, der Wissenschaften, des Unterrichts, der Unterhaltung oder ähnlicher Tätigkeiten (wiederum mit der Folge, dass die Mehrwertsteuer in Belgien als dem Ort, an dem die Dienstleistungen tatsächlich erbracht wurden, zu entrichten sei).

11 Sowohl das Tribunal de paix de Luxembourg in erster Instanz als auch das Tribunal d'arrondissement de Luxembourg in zweiter Instanz kamen zu dem Ergebnis, dass die erbrachten Dienstleistungen ihrer Art nach nicht auf dem Gebiet der Werbung lägen, und bestätigten deshalb den Anspruch der Flanders Expo auf die belgische Mehrwertsteuer.

12 Die Rechtssache ist nunmehr bei der Cour de cassation des Großherzogtums Luxemburg anhängig. Die Cour de cassation ist anders als die Vorinstanzen der Ansicht, dass die von Flanders Expo erbrachten Dienstleistungen im Sinne von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie auf dem Gebiet der Werbung lägen.

13 Die Cour de cassation hat dennoch Zweifel, ob Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar ist. Sie bemerkt, dass der siebten Begründungserwägung zufolge "insbesondere für bestimmte zwischen Mehrwertsteuerpflichtigen erbrachte Dienstleistungen, deren Kosten in den Preis der Waren eingehen", als Ort der Dienstleistung der Ort gelten sollte, an dem der Dienstleistungsempfänger seinen Sitz habe. Nach Ansicht der Cour de cassation ist diese Begründungserwägung ausreichend, um berechtigte Zweifel daran aufzuwerfen, ob es eine wesentliche Bedingung für die Anwendung von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e sei, dass die Kosten der Werbedienstleistungen in den Preis der Waren eingingen.

14 Die Cour de cassation ist der Ansicht, dass die Antwort auf diese Frage das Ergebnis des bei ihr anhängigen Falles beeinflusse, da die Kosten der Dienstleistungen im vorliegenden Fall letztlich beim Staat Luxemburg lägen, der keine Waren produziere und die Kosten deshalb nicht in der Weise weitergeben könne, die in der siebten Begründungserwägung vorgesehen sei.

15 Die Cour de cassation hat daher beschlossen, das bei ihr anhängige Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die Frage vorzulegen, ob Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie für Leistungen auf dem Gebiet der Werbung gilt, die dem Werbetreibenden mittelbar erbracht und einem Dritten in Rechnung gestellt werden, der sie dem Werbetreibenden berechnet, wenn der Werbetreibende keine Waren herstellt, in deren Preis die Kosten der Leistung eingehen.

16 Design Concept, Flanders Expo, die französische Regierung und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Im Namen der griechischen Regierung sind in der mündlichen Verhandlung, in der auch Design Concept und die Kommission vertreten waren, Ausführungen gemacht worden.

Beurteilung

17 Einige der vor dem Gerichtshof abgegebenen Erklärungen betreffen vorab die Frage, ob die Cour de cassation die im vorliegenden Fall streitigen Dienstleistungen zutreffend als Leistungen auf dem Gebiet der Werbung im Sinne von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie qualifiziert hat. Es ist meines Erachtens wichtig, dass der Begriff der Leistungen auf dem Gebiet der Werbung nicht übermäßig weit ausgelegt wird. Ich schlage jedoch nicht vor, die Bedeutung des Begriffes der Leistungen auf dem Gebiet der Werbung im Kontext der gegenwärtigen Vorlage zu erörtern. Die luxemburgische Cour de cassation ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die in dem bei ihr anhängigen Verfahren streitigen Dienstleistungen Werbedienstleistungen seien, und die von ihr vorgelegte Frage beruht daher auf der Prämisse, dass Leistungen auf dem Gebiet der Werbung vorliegen. In Ermangelung jeglichen Ersuchens des vorlegenden Gerichts um Beistand in dieser Frage werde ich meine Schlussanträge auf die Erörterung der beiden Streitfragen beschränken, derentwegen der Gerichtshof tatsächlich angerufen wurde.

18 Die erste Frage geht dahin, ob Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie für Werbedienstleistungen gilt, die einem Werbetreibenden mittelbar erbracht und einem Dritten in Rechnung gestellt werden, der sie dem Auftraggeber berechnet.

19 Wie alle Beteiligten des vorliegenden Verfahrens bemerken, hat der Gerichtshof diese Frage bereits im Urteil SPI(3) bejaht, in dem er festgestellt hat, dass "Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e ... dahin auszulegen ist, dass er nicht nur für Leistungen auf dem Gebiet der Werbung gilt, die der Dienstleistende einem mehrwertsteuerpflichtigen Werbetreibenden unmittelbar erbringt und in Rechnung stellt, sondern auch für Leistungen, die dem Werbetreibenden mittelbar erbracht und einem Dritten in Rechnung gestellt werden, der sie dem Werbetreibenden berechnet".

20 Ich werde mich daher dem zweiten durch die Vorlagefrage aufgeworfenen Problem zuwenden, nämlich der Frage, ob Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie für Werbedienstleistungen gilt, wenn der Werbetreibende keine Waren produziert, in deren Preis die Kosten der Werbedienstleistungen eingehen.

21 Die französische Regierung vertritt die Ansicht, in Anbetracht der Bezugnahme in der siebten Begründungserwägung auf den Eingang der Kosten der Dienstleistung in den Preis der Waren sei Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e in solchen Fällen nicht anwendbar. Zum Beleg für ihren Standpunkt zitiert sie die folgende Stelle aus dem Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Kommission/Frankreich(4):

"Wie sich der siebten Begründungserwägung der Sechsten Richtlinie entnehmen lässt, ist es gerechtfertigt, die Leistungen auf dem Gebiet der Werbung dort zu besteuern, wo der Empfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat, weil die Kosten dieser zwischen Mehrwertsteuerpflichtigen erbrachten Leistungen in den Preis der Waren eingehen. Soweit der Empfänger üblicherweise in dem Staat, in dem er seinen Sitz hat, die Waren verkauft oder die Dienstleistungen erbringt, für die geworben wird, und damit die entsprechende Mehrwertsteuer dem Endverbraucher in Rechnung stellt, ist es also nach Ansicht des Gemeinschaftsgesetzgebers angezeigt, dass auch die Mehrwertsteuer auf die Werbeleistung vom Empfänger an diesen Staat entrichtet wird. Diese Überlegung ist eines der Elemente, die bei der Auslegung des in Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie enthaltenen Begriffes $Leistungen auf dem Gebiet der Werbung` zu berücksichtigen sind."

22 Meiner Ansicht nach kann dem Vorbringen der französischen Regierung zum zweiten Problem nicht gefolgt werden.

23 Es ist richtig, dass, wie aus der siebten Begründungserwägung hervorgeht, Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e insbesondere die Entrichtung der Mehrwertsteuer im Staat des Dienstleistungsempfängers gewährleisten soll, wenn der Empfänger Waren herstellt oder Dienstleistungen erbringt(5), in deren Preis die Kosten der von ihm empfangenen Dienstleistungen eingehen.

24 Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e ist in mehrfacher Hinsicht von dieser Zielsetzung geprägt. Erstens verlangt diese Vorschrift, dass der Empfänger der darin aufgeführten Dienstleistungen ein Steuerpflichtiger sein muss. Der Empfänger wird also einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen und daher normalerweise die Kosten der empfangenen Dienstleistungen einschließlich der darauf zu entrichtenden Mehrwertsteuer an seine eigenen Kunden weitergeben. Zweitens spricht angesichts der Art aller in dieser Vorschrift aufgeführten Dienstleistungen eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass sie Beiträge zu anderen wirtschaftlichen Aktivitäten darstellen.

25 Wie der Gerichtshof festgestellt hat, ist die siebte Begründungserwägung deshalb ein nützliches Hilfsmittel bei der Auslegung der Bedeutung des Wortlauts von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e(6). Der von der französischen Regierung vertretene Ansatz verwendet die Begründungserwägung jedoch nicht zur Feststellung der Bedeutung eines tatsächlich in Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e enthaltenen Begriffs, sondern liest auf ihrer Grundlage ein zusätzliches Element in diese Vorschrift hinein, das nirgendwo im Text der Vorschrift selbst zu finden ist.

26 Diese Auffassung wäre meiner Meinung nach nur vertretbar, wenn zumindest dargetan würde, dass der in den Text hineinzulesende Begriff in den der Vorschrift zugrunde liegenden Zielsetzungen eindeutig eine Stütze findet und zu ihrer Umsetzung erforderlich ist. Ich bin aus folgenden drei Gründen nicht davon überzeugt, dass dies hier der Fall ist.

27 Erstens ist es wichtig, zu beachten, dass nach der siebten Begründungserwägung insbesondere in den Fällen, in denen der Empfänger der Dienstleistungen die Kosten an seine eigenen Kunden weitergibt, die Mehrwertsteuer in dem Staat zu entrichten sein sollte, in dem der Empfänger seinen Sitz hat. Die Begründungserwägung impliziert daher, dass Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e auch andere berechtigte Ziele verfolgen kann, die die Entrichtung der Mehrwertsteuer in dem Staat rechtfertigen, in dem der Kunde ansässig ist. Ein Ziel, das einer Reihe von Vorschriften der Sechsten Richtlinie zugrunde liegt, ist beispielsweise die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen, die aus der von Staat zu Staat unterschiedlich festgesetzten Höhe der Mehrwertsteuer folgen. Ist die Mehrwertsteuer in Fällen, in denen sie nicht weitergegeben wird, im Staat des Kunden zu entrichten, so entsteht die Gefahr der Verzerrung des Wettbewerbs. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass eine Einengung der Anwendung von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e in der von der französischen Regierung vorgeschlagenen Weise nicht andere Ziele untergraben würde, die mit der Vorschrift ebenfalls verfolgt werden sollten.

28 Zweitens scheint die von der französischen Regierung vertretene Ansicht jedenfalls Fallkonstellationen von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e auszunehmen, die der in der siebten Begründungserwägung niedergelegten spezifischen Zielsetzung entsprechen. Durch das Erfordernis, dass die Kosten der Dienstleistung in den Preisen der von dem Werbetreibenden selbst hergestellten Waren oder erbrachten Dienstleistungen weitergegeben werden, würde ein solcher Ansatz die Anwendung von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e in Fällen wie dem vorliegenden verhindern, in denen einem Zwischenkunden Dienstleistungen erbracht werden, der die Kosten dieser Dienstleistungen sodann in den Preis der Dienstleistungen einrechnet, die er dem Werbetreibenden erbringt. Dieser Ansatz kann daher nicht mit Verweis auf die in der siebten Begründungserwägung genannte spezifische Zielsetzung gerechtfertigt werden.

29 Drittens scheint ein solcher Ansatz zu der allgemeineren Zielsetzung von Artikel 9 im Widerspruch zu stehen, durch die Errichtung eines gemeinsamen Systems der Bestimmung des Ortes, an dem Dienstleistungen zu besteuern sind, Fälle von Doppelbesteuerung oder Nichtbesteuerung zu vermeiden. Dieses Ziel geht aus dem Verweis auf "Kompetenzkonflikte zwischen den Mitgliedstaaten" in der siebten Begründungserwägung hervor und ist vom Gerichtshof mehrfach bestätigt worden(7). Dem Gerichtshof zufolge liegt es ebenfalls den Bestimmungen des Artikels 9 Absatz 2 zugrunde(8).

30 Aus dem Status von Artikel 9 als eines Systems zur Kompetenzverteilung zwischen den Mitgliedstaaten folgt, dass alle spezielleren Ziele, die seine verschiedenen Bestimmungen auch immer rechtfertigen mögen, so auszulegen sind, dass die Rechtssicherheit gewährleistet ist, von der das wirksame Funktionieren eines solchen Systems abhängt.

31 Zusätzlich zu der eventuellen Einbuße an Rechtsicherheit, die sich aus einem Abgehen vom Wortlaut der Vorschrift ergeben könnte, scheint mir die von der französischen Regierung vertretene Ansicht zu einer Reihe praktischer Unsicherheiten bei ihrer Anwendung zu führen.

32 Von Leistungserbringern auf dem Gebiet der Werbung wie auch von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten würde verlangt, im Einzelfall zu beurteilen, ob ein Werbetreibender als Produzent von Waren oder Erbringer von Dienstleistungen angesehen werden kann, in deren Preis die Kosten der Werbedienstleistungen aufgehen. Die Beurteilung würde dadurch erschwert, dass Werbedienstleistungen dem dem Werbetreibenden mittelbar durch einen Dritten erbracht werden können. In solchen Fällen müssten sich die Nachforschungen über den unmittelbaren Kunden des Dienstleistenden hinaus erstrecken. Auch wäre angesichts dessen, dass eine Organisation wie eine Erzeugergemeinschaft für Waren Werbung treiben kann, ohne sie tatsächlich selbst herzustellen, wie die Kommission hervorhebt, und angesichts der Breite der Dienstleistungen, die Leistungen auf dem Gebiet der Werbung im Sinne von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e sein können, nicht notwendigerweise anhand der Dienstleistungen selbst erkennbar, ob der Werbetreibende Waren produziert oder Dienstleistungen erbringt, in deren Preis die Kosten der Dienstleistungen eingerechnet sein könnten. Solche praktischen Schwierigkeiten gehen mit der unvermeidbaren Gefahr einher, dass Behörden einen bestimmten Fall unterschiedlich beurteilen, was entweder zu einer Doppelbesteuerung oder zur Nichtbesteuerung einer Werbedienstleistung führt.

33 Folglich ist es meiner Ansicht nach angesichts der Ziele des Artikels 9 Absatz 2 Buchstabe e nicht gerechtfertigt, seine Anwendung dem zusätzlichen Erfordernis zu unterwerfen, dass die Leistungen auf dem Gebiet der Werbung einem Werbetreibenden erbracht werden, der Waren herstellt, in deren Preis die Kosten dieser Leistungen eingehen.

Ergebnis

34 Ich bin daher der Ansicht, dass der Gerichtshof die Frage des vorlegenden Gerichts wie folgt beantworten sollte:

Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e zweiter Gedankenstrich der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist in Verbindung mit "Leistungen auf dem Gebiet der Werbung" in Fällen anwendbar, in denen die fraglichen Leistungen dem Werbetreibenden mittelbar erbracht und einem Dritten in Rechnung gestellt werden, der sie dem Werbetreibenden berechnet; diese Vorschrift ist auch unabhängig davon anwendbar, ob der Werbetreibende, dem die Leistungen erbracht werden, Waren herstellt, in deren Preis die Kosten der Leistungen auf dem Gebiet der Werbung eingehen.

(1) - Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1).

(2) - Urteil des Gerichtshofes vom 15. März 2001 in der Rechtssache C-108/00 (SPI, Slg. 2001, I-2361).

(3) - Zitiert in Fußnote 3.

(4) - Urteil vom 17. November 1993 in der Rechtssache C-68/92 (Slg. 1993, I-5881, Randnr. 15).

(5) - Wie aus Randnr. 15 des Urteils des Gerichtshofes in der Rechtssache Kommission/Frankreich (in Nr. 21 dieser Schlussanträge wiedergegeben) hervorgeht, muss die in der siebten Begründungserwägung enthaltene besondere Zielsetzung auch für die Fälle gelten, in denen der Empfänger der Dienstleistungen seinerseits Dienstleister ist, obwohl diese Begründungserwägung nur auf warenproduzierende Dienstleistungsempfänger Bezug nimmt.

(6) - Siehe oben, Nr. 21.

(7) - Siehe Urteile vom 4. Juli 1985 in der Rechtssache 168/84 (Berkholz, Slg. 1985, 2251, Randnr. 14), vom 23. Januar 1986 in der Rechtssache 283/84 (Trans Tirreno Express, Slg. 1986, 231, Randnr. 14), Kommission/Frankreich, Randnr. 14, vom 26. September 1996 in der Rechtssache C-327/94 (Dudda, Slg. 1996, I-4595, Randnr. 20), und SPI, Randnr. 15.

(8) - Urteil SPI, Randnrn. 16 und 17.