SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
L. A. GEELHOED
vom 15. Mai 2003(1)
Verbundene Rechtssachen C-78/02, C-79/02 und C-80/02 Elliniko Dimosio
gegenMaria Karageorgou
Katina Petrova
Loukas Vlachos
(Vorabentscheidungsersuchen des Dioikitiko Efeteio Athinon [Griechenland])
„Steuer, die zu Unrecht von einem Nichtsteuerpflichtigen entrichtet wird und die auf der von einem solchen Dienstleistenden
ausgestellten Rechnung ausgewiesen ist“
I ─ Einleitung
1. Mit seiner ersten Vorabentscheidungsfrage in den vorliegenden drei identischen Rechtssachen möchte das Dioikitiko Efeteio
Athinon (Oberverwaltungsgericht Athen) wissen, ob der Betrag, den Übersetzer im Auftrage des Elliniko Dimosio (des griechischen
Staates) auf ihren Rechnungen im Zusammenhang mit den für den Staat erbrachten Übersetzungsleistungen ausweisen, als Mehrwertsteuer
im Sinne der Sechsten Richtlinie (77/388/EWG) des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten
über die Umsatzsteuern ─ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage
(2)
(im Folgenden: Sechste Richtlinie) in Anbetracht dessen anzusehen ist, dass sie einerseits ihre Dienstleistungen nicht als
Selbständige, sondern in einem Abhängigkeitsverhältnis erbringen, und andererseits der betreffende Betrag nicht nach den gesamten
gesetzlichen Vergütungen berechnet wird, sondern angenommen wird, dass er bereits in diesem gesetzlichen Betrag enthalten
ist, so dass die tatsächlich gezahlten Vergütungen aus den gesetzlichen Vergütungen abzüglich der darin enthaltenen Mehrwertsteuer
(Methode des internen Abzugs) bestehen.
2. Ferner fragt das Dioikitiko Efeteio Athinon, ob der in der Sechsten Richtlinie niedergelegte Grundsatz der Förmlichkeit der
Steuer zurücktreten muss, wenn der Staat, der im Rahmen seiner hoheitlichen Befugnisse eine Übersetzungstätigkeit ausübt,
nicht als Steuerpflichtiger im Sinne von Artikel 4 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie für die Anpassung des Vorsteuerabzugsmechanismus
auftritt und das als Steuer Gezahlte auf die mit dem Staat kontrahierenden Privatpersonen, die die Übersetzung von Dokumenten
erlangt haben, nicht abgewälzt werden kann und auch nicht abgewälzt wird und andererseits der Dienstleistende die Rückerstattung
der an die Finanzbehörde nach Abzug eventueller Vorsteuer gezahlten Steuer beansprucht, so dass eine Bereicherung des Staates
ausgeschlossen ist.
II ─ Rechtlicher Rahmen
A ─ Gemeinschaftsrecht
3. Nach Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie unterliegen der Mehrwertsteuer: die Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen,
die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt.
4. Artikel 4 der Sechsten Richtlinie bestimmt:
(1) Als Steuerpflichtiger gilt, wer eine der in Absatz 2 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten selbständig und unabhängig von
ihrem Ort ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis.
(2) Die in Absatz 1 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten sind alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden
einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe.
Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt auch eine Leistung, die die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen
zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen umfasst....
(4) Der in Absatz 1 verwendete Begriff
selbständig schließt die Lohn- und Gehaltsempfänger und sonstige Personen von der Besteuerung aus, soweit sie an ihren Arbeitgeber durch
einen Arbeitsvertrag oder ein sonstiges Rechtsverhältnis gebunden sind, das hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsentgelts
sowie der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers ein Verhältnis der Unterordnung schafft....
(5) Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten nicht als Steuerpflichtige, soweit sie
die Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im
Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Leistungen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben.Falls sie jedoch solche Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, gelten sie für diese Tätigkeiten oder Leistungen als
Steuerpflichtige, sofern eine Behandlung als Nicht-Steuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.Die vorstehend genannten Einrichtungen gelten in jedem Fall als Steuerpflichtige in Bezug auf die in Anhang D aufgeführten
Tätigkeiten, sofern der Umfang dieser Tätigkeiten nicht unbedeutend ist....
5. Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a lautet wie folgt:
(2) Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige
befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
a) die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen
geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden.
6. Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie bestimmt:
(1) Um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, muss der Steuerpflichtige
a) über die nach Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a) abziehbare Steuer eine nach Artikel 22 Absatz 3 ausgestellte Rechnung besitzen.
7. In Artikel 21 Nummer 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie ist der Grundsatz der Förmlichkeit der Besteuerung niedergelegt: Die Mehrwertsteuer schuldet:
1. im inneren Anwendungsbereich...
c) jede Person, die die Mehrwertsteuer in einer Rechnung oder einem ähnlichen Dokument ausweist.
B ─ Nationales Recht
8. Nach Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 1642/1986 über die Anwendung der Mehrwertsteuer (A. 125) in seiner vor der Ersetzung
durch Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe a des Gesetzes Nr. 2093/1992 (A. 181) geltenden Fassung wird die Mehrwertsteuer u. a. erhoben
auf
die Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt.
9. Nach Artikel 3 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 1642/1986 in der vor der Ersetzung durch Artikel 1 des Gesetzes Nr. 2093/1992 geltenden
Fassung
gilt als Steuerpflichtiger jede inländische oder ausländische natürliche oder juristische Person oder Personenvereinigung,
die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, unabhängig von dem Ort, an dem er oder sie niedergelassen ist, und vom Zweck und
Ergebnis dieser Tätigkeit. Nicht als Personen, die selbständig eine wirtschaftliche Tätigkeit verrichten, werden Lohn- und
Gehaltsempfänger und sonstige natürliche Personen angesehen, soweit sie an ihren Arbeitgeber durch einen Arbeitsvertrag oder
ein sonstiges Rechtsverhältnis gebunden sind, das hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsentgelts sowie der Verantwortlichkeit
des Arbeitgebers ein Verhältnis der Unterordnung schafft.
10. Außerdem bestimmt Artikel 23 Absatz 1 dieses Gesetzes in der vor seiner Änderung durch die Artikel 1 Absatz 34 und 2 Absatz
18 des Gesetzes Nr. 2093/1992 geltenden Fassung:
Der Steuerpflichtige ist befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände
und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden bzw. erbracht wurden, abzuziehen ...
11. Artikel 25 Absatz 1 des genannten Gesetzes bestimmte in der vor der Änderung durch Artikel 1 Absatz 38 des Gesetzes Nr. 2093/1992
geltenden Fassung:
Das Recht auf Vorsteuerabzug kann ausgeübt werden, wenn der Steuerpflichtige im Besitz a) einer Rechnung oder eines ähnlichen
Dokumentes für die ihm gelieferten Gegenstände oder ihm gegenüber erbrachten Dienstleistungen ist, b) ...
12. Schließlich bestimmt Artikel 28 Absatz 1 dieses Gesetzes in der vor seiner Ersetzung durch Artikel 1 Absatz 42 durch das oben
genannte Gesetz Nr. 2093/1992 geltenden Fassung:
Für die Lieferung von Gegenständen und die Erbringung von Dienstleistungen schuldet die Steuer: a) der im Inland ansässige
Steuerpflichtige für die von ihm getätigten Umsätze, b) ..., c) ..., d) jede andere Person, die die Steuer auf den von ihr
ausgestellten Rechnungen oder ähnlichen Dokumenten ausweist ..., e) ...
III ─ Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorabentscheidungsfragen
13. Die drei verbundenen Rechtssachen sind abgesehen von einigen für die materielle Beurteilung unerheblichen Unterschieden nebensächlicher
Art, was die Sachverhaltskonstellation und den Verfahrensverlauf angeht, identisch. Ich begnüge mich deshalb auch mit einer
verallgemeinerten Wiedergabe des Sachverhalts und des Verfahrensablaufs.
14. Frau Karageorgou (Rechtssache
C-78/02), Frau Petrova (Rechtssache
C-79/02) und Herr Vlachos (Rechtssache
C-80/02) (im Folgenden:
die Übersetzer) sind im Rahmen eines Werkvertrags vom Außenministerium als Übersetzer vom Griechischen ins Englische bzw.
vom Griechischen ins Deutsche beim Übersetzungsdienst des Ministeriums angestellt.
15. Nachdem die Übersetzer beim zuständigen Vorsteher der Dimosia Oikonomiki Ypiresia (Finanzbehörde; im Folgenden: DOY) in Cholargos
für diese Tätigkeit vorläufige Mehrwertsteuererklärungen und eine endgültige Mehrwertsteuererklärung für die Jahre 1992 bzw.
1993 eingereicht hatten, nahmen sie diese Erklärungen zurück. Dabei forderten sie die Rückerstattung der Mehrwertsteuer, die
sie als rechtsgrundlose Zahlung entrichtet hatten.
16. Zur Begründung dieser Erstattungsanträge machten die Übersetzer jeweils geltend, dass die betreffenden Erklärungen auf einem
Rechtsirrtum beruhten, da sie für die Vergütungen, die sie als Übersetzer erhalten hätten, nicht mehrwertsteuerpflichtig seien.
Insbesondere wiesen sie darauf hin, dass sie sich während des gesamten Jahres 1992 bzw. 1993 gegenüber dem Außenministerium
in einem Unterordnungsverhältnis in Bezug auf ihre Arbeitsbedingungen und ihre Vergütungen befunden hätten, da sie einerseits
ihre Vergütung nicht selbst bestimmten und andererseits das Außenministerium die Verantwortung gegenüber Dritten für ihre
Handlungen und Unterlassungen in ihrer Eigenschaft als Übersetzer trage. Außerdem trugen sie vor, dass die Mehrwertsteuer,
die sie für das Jahr 1992 bzw. 1993 aufgrund ihrer Erklärungen auf ihre Bruttovergütungen gezahlt hätten, nicht auf den Verbraucher
abgewälzt worden sei, da die natürlichen und juristischen Personen, die von den Diensten der Übersetzungsabteilung des Außenministeriums
Gebrauch machten, in den Gesamtbetrag, den sie für die Übersetzung ihrer amtlichen Dokumente an das Außenministerium zahlten,
keine Mehrwertsteuer einbezögen und somit keine Mehrwertsteuer zahlten.
17. Der Vorsteher der DOY in Cholargos lehnte die Erstattungsanträge mit der Begründung ab, dass einerseits die für die Übersetzer
geltenden Arbeitsbedingungen anders seien als bei anderen Arbeitnehmern und andererseits die Steuer auf den die für das Außenministerium
erbrachten Dienstleistungen betreffenden Erklärungen ausgewiesen sei. Sie hätten daher keinen Anspruch auf Erstattung.
18. Mit aufeinander folgenden Urteilen gab die Präsidentin des Dioikitiko Protodikeio Athinon (erstinstanzliches Verwaltungsgericht
Athen) den Klagen der Übersetzer statt, erklärte die Anträge auf Widerruf der Mehrwertsteurerklärungen, die sie für die Jahre
1992 bzw. 1993 eingereicht hatten, für begründet, hob die ablehnenden Bescheide des Vorstehers der DOY in Cholargos vom 9.
Februar 1995 auf und gab diesem auf, den Steuerbetrag, den die Übersetzer aus diesen Gründen ohne Rechtsgrund gezahlt hatten,
an diese zurückzuzahlen. Diese Urteile waren u. a. auf die Feststellung gestützt, dass die Übersetzer als Organ des Staates
tätig würden, der für ihre Handlungen und Unterlassungen allein verantwortlich sei, da die von ihnen angefertigten Übersetzungen
öffentliche Dokumente seien. Ferner entschied die Präsidentin des Gerichts, dass die Übersetzer ihre Tätigkeit, was die Art
und Weise der Ausübung ihrer Tätigkeit und ihrer Vergütung angehe, in einem Unterordnungsverhältnis gegenüber dem Staat ausübten.
Die Einkünfte aus dieser Tätigkeit könnten daher nicht der Mehrwertsteuer unterliegen.
19. Der griechische Staat hat gegen diese Entscheidungen in erster Instanz Berufung bei der Präsidentin des Dioikitiko Efeteio
Athinon eingelegt. Diese Berufung wird u. a. auf das in erster Instanz in allen Rechtssachen angeführte Argument gestützt,
dass nämlich die Übersetzer unabhängig von der Art ihrer Arbeit nach Artikel 28 Absatz 1 Buchstabe d des Gesetzes Nr. 1642/1986
zur Zahlung der streitigen Steuer verpflichtet gewesen seien, da sie diese in den in dem betreffenden Zeitraum (1992 und 1993)
ausgestellten Erklärungen über die Erbringung von Dienstleistungen ausgewiesen hätten.
20. Die Präsidentin des Dioikitiko Efeteio Athinon hat diese Berufungen des griechischen Staates als unbegründet zurückgewiesen
und die Richtigkeit der angefochtenen erstinstanzlichen Urteile mit der Begründung, auf die diese gestützt waren, bestätigt.
Sie hat es jedoch in den drei Rechtssachen unterlassen, den vom griechischen Staat angeführten Berufungsgrund des Inhalts
zu prüfen, dass die Übersetzer zur Zahlung der streitigen Steuer verpflichtet gewesen seien, da sie diese auf den Rechungen,
die sie im Zusammenhang mit den in dem betreffenden Zeitraum erbrachten Dienstleistungen ausgestellt hatten, ausgewiesen hätten.
21. Der griechische Staat hat daraufhin diese zweitinstanzlichen Urteile beim Symvoulio tis Epikrateias (griechischer Staatsrat)
angefochten und unter Berufung auf die genannte Unterlassung die Aufhebung dieser Urteile beantragt.
22. Der griechische Staatsrat hat in seinen Urteilen abschließend festgestellt, dass die Übersetzer für die Tätigkeiten, die sie
in einem Unterordnungsverhältnis für das Außenministerium ausgeübt hätten, nicht der Mehrwertsteuer unterlegen hätten, er
hat jedoch die Urteile des Dioikitiko Efeteio Athinon insoweit aufgehoben, als dieses Gericht es in den verschiedenen Rechtssachen
unterlassen hatte, das die Ausweisung der Mehrwertsteuer auf der Rechnung betreffende Vorbringen zu prüfen. Er hat die Auffassung
vertreten, dass dieser Rechtsmittelgrund wesentlich sei, und dass das zweitinstanzliche Gericht es zu Unrecht unterlassen
habe, ihn zu prüfen. Die Rechtssachen wurden daher zur teilweisen Neubeurteilung an das Dioikitiko Efeteio Athinon zurückverwiesen.
23. Das Dioikitiko Efeteio Athinon stellt fest, dass innerhalb des griechischen Staatsrats eine Meinungsverschiedenheit in Bezug
auf die Auslegung des Artikels 28 Absatz 1 Buchstabe d des Gesetzes Nr. 1642/1986 bestehe, da eine andere Abteilung des griechischen
Staatsrats in einer anderen Sache, die mit den drei vorliegenden Sachen vergleichbar gewesen sei, zu einer anderen Entscheidung
als die Abteilung des griechischen Staatsrats gekommen sei, die die vorliegenden Sachen behandelt habe. Da die Auslegung dieses
Gesetzesartikels mit der Bedeutung einiger Bestimmungen der Sechsten Richtlinie zusammenhänge, hält es das Dioikitiko Efeteio
Athinon für erforderlich, in den vorliegenden drei Rechtssachen vorläufig kein Endurteil über das nicht entschiedene Problem
zu erlassen und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist als Mehrwertsteuer im Sinne der Vorschriften der Sechsten EG-Mehrwertsteuerrichtlinie (77/388/EWG) der Betrag zu charakterisieren,
den jemand, der Dienstleistungen gegenüber dem Staat im Rahmen eines Werkvertrags erbringt, in der Rechnung ausweist, wenn
derjenige, der die Dienstleistungen erbringt, irrtümlich annimmt, dass er diese als Selbständiger erbringt, während in Wirklichkeit
ein Unterordnungsverhältnis besteht und er auf Weisung seines Arbeitgebers in den Bescheinigungen, die er ausstellt, Mehrwertsteuer
in Rechnung stellt, und zwar nicht auf die gesamten gesetzlichen Vergütungen, die er vom Staat erhält und die die gesetzliche
Besteuerungsgrundlage für die Mehrwertsteuer darstellen, die in der Folge zusammen mit den gesetzlichen Vergütungen eingezogen
wird, sondern deren Höhe nach den gesetzlichen Vergütungen mit der mathematischen Methode des internen Abzugs festgesetzt
wird, wobei angenommen wird, dass die Vergütungen auch die geschuldete Mehrwertsteuer umfassen, der Staat aber die gesetzlichen
Vergütungen vermindert um die Mehrwertsteuer, von der angenommen wird, dass sie in diesen enthalten ist, auszahlt?
2. Tritt der in Artikel 21 Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie vorgesehene Grundsatz der Förmlichkeit der Steuer (dass
nämlich, wenn Mehrwertsteuer in der Rechnung oder einem ähnlichen Dokument ausgewiesen wird, diese Steuer an den Staat abzuführen
ist) zurück, wenn der Staat bei Ausübung dieser Tätigkeit aufgrund hoheitlicher Befugnisse nicht als Steuerpflichtiger gemäß
Artikel 4 Absatz 5 der oben genannten Richtlinie mit der Folge auftritt, dass in Bezug auf ihn der Vorsteuerabzugsmechanismus
Anwendung findet, und die genannte Steuer auf den Endverbraucher (d. h. die mit dem Staat kontrahierende Privatperson, die
die Übersetzung von Dokumenten verlangt) nicht abgewälzt werden kann und auch nicht abgewälzt wird, aber derjenige, der die
Dienstleistung erbringt, die Rückerstattung der an die Finanzbehörde nach Abzug eventueller Vorsteuer gezahlten Steuer beansprucht,
so dass eine Bereicherung des Staates ausgeschlossen wird?
24. Die Übersetzer, die griechische Regierung und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Frau Karageorgou
(Rechtssache
C-78/02), die griechische Regierung und die Kommission haben in der Sitzung des Gerichtshofes vom 20. März 2003
ihre Auffassungen mündlich näher erläutert.
IV ─ Beurteilung
25. Die erste Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob der Betrag, der irrtümlich auf der Rechnung als Mehrwertsteuer ausgewiesen
ist, tatsächlich als Mehrwertsteuer anzusehen ist, wenn der betroffene Dienstleistende zu Unrecht meint, seine Dienstleistungen
für den griechischen Staat als Selbständiger zu erbringen, während diese Dienstleistungen in Wirklichkeit in einem Unterordnungsverhältnis
erbracht werden. Der genannte Betrag wird nach dem System des internen Abzugs berechnet. Dies bedeutet, dass davon ausgegangen
wird, dass in die gesetzlich festgesetzte Vergütung bereits die geschuldete Mehrwertsteuer einbezogen ist, so dass der wirklich
ausgezahlte Betrag die gesetzlich festgesetzte Vergütung abzüglich des Mehrwertsteuerbetrags ist.
26. Um zu bestimmen, ob der betreffende Betrag als Mehrwertsteuer anzusehen ist, ist zunächst festzustellen, ob die Übersetzer
für ihre Dienstleistungen für den griechischen Staat den Vorschriften über die Mehrwertsteuer unterliegen.
27. Aus Artikel 2 der Sechsten Richtlinie geht hervor, dass der Mehrwertsteuer Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen
unterliegen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt.
28. Artikel 4 der Sechsten Richtlinie definiert dann, wer als
Steuerpflichtiger im Sinne dieser Richtlinie anzusehen ist. Als Grundmerkmal wird in Artikel 4 Absatz 1 angegeben, dass es sich um jemanden
handeln muss, der selbständig eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. In Artikel 4 Absatz 4 wird dann präzisiert, dass der
Begriff
selbständig bedeutet, dass nicht nur Lohn- und Gehaltsempfänger ausgeschlossen sind, sondern auch Personen, die
an ihren Arbeitgeber durch ein Rechtsverhältnis gebunden sind, das hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsentgelts
sowie der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers ein Verhältnis der Unterordnung schafft.
29. Die griechische Regierung hat darauf hingewiesen, dass in der griechischen Rechtsprechung offenbar nicht eindeutig entschieden
worden sei, welcher Art das Verhältnis zwischen den Übersetzern und dem griechischen Außenministerium sei. Dagegen weisen
die Übersetzer und die Kommission darauf hin, dass in den Ausgangsverfahren tatsächlich bereits festgestellt sei, dass die
Übersetzer ihre Tätigkeit in einem Unterordnungsverhältnis ausübten.
30. Nach feststehender Rechtsprechung ist der Gerichtshof im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens des Artikels 234 EG nur befugt,
sich auf der Grundlage des ihm vom nationalen Gericht unterbreiteten Sachverhalts zur Auslegung oder zur Gültigkeit einer
Gemeinschaftsvorschrift zu äußern. Mit anderen Worten: Es ist nicht Sache des Gerichtshofes, sondern des nationalen Gerichts,
die dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Tatsachen festzustellen und daraus die Schlussfolgerungen für die von ihm zu erlassende
Entscheidung zu ziehen.
(3)
31. Wie die Kommission und die Übersetzer vorgetragen haben, ist innerhalb der nationalen Rechtsordnung abschließend tatsächlich
festgestellt worden, dass die Übersetzer in einem Unterordnungsverhältnis gegenüber dem Außenministerium arbeiten. Diese Unterordnung
kommt u. a. darin zum Ausdruck, dass sie ihre Vergütungen und ihre Arbeitsbedingungen nicht frei bestimmen können, dass das
Ministerium gegenüber Dritten für die Qualität der Übersetzungen verantwortlich ist und dass für die Übersetzer hinsichtlich
der Erfüllung ihrer Verpflichtungen eine interne Sanktionsregelung gilt.
32. Unter diesen Umständen ist klar, dass die Übersetzer nicht selbständig eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben und daher keine
Steuerpflichtigen im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie sind. Ihre Dienstleistungen fallen daher auch nicht in den Anwendungsbereich
der Sechsten Richtlinie.
33. Daraus ergibt sich, dass der Betrag, der irrtümlich auf der von den Übersetzern ausgestellten Rechnung aufgeführt ist, nicht
als Mehrwertsteuer angesehen werden kann, so dass die erste Frage des vorlegenden Gerichts zu verneinen ist.
34. Die Feststellung, dass der in der ersten Frage beschriebene Sachverhalt nicht in den Anwendungsbereich der Sechsten Richtlinie
fällt, hat zur Folge, dass die zweite Frage gegenstandslos wird. Streng genommen braucht diese Frage zur Entscheidung des
Rechtsstreits in der Sache daher auch nicht beantwortet zu werden. Ich will jedoch der Vollständigkeit halber ─ sei es auch
äußerst hilfsweise ─ dazu Folgendes anmerken.
35. Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob der in Artikel 21 Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie niedergelegte
Grundsatz der Förmlichkeit der Steuer keine Anwendung finden darf, wenn der Staat nicht als Steuerpflichtiger im Sinne des
Artikels 4 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie auftritt, keine Abwälzung auf den Endverbraucher stattgefunden hat und von den
Dienstleistenden die Erstattung des zu Unrecht als Mehrwertsteuer Abgezogenen gefordert wird. Oder umgekehrt: Wenn der Staat
als nicht steuerpflichtiger Dienstleistender auftritt, werden dann Beträge, die auf der Rechnung im Sinne von Artikel 21 Absatz
1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie förmlich (sei es auch irrtümlich) als Mehrwertsteuer ausgewiesen sind, trotzdem nicht
als Mehrwertsteuer geschuldet?
36. In der Sechsten Richtlinie ist der Fall, dass Mehrwertsteuer irrtümlich in einer Rechnung verzeichnet ist, obwohl sie nicht
geschuldet wird, nicht ausdrücklich vorgesehen. Dies hat zur Folge, dass es ─ solange diese Lücke nicht durch die Gemeinschaftsgerichte
geschlossen worden ist ─ Sache der Mitgliedstaaten ist, dafür eine Lösung zu finden
(4)
. Im Urteil Genius Holding, in dem es um das Recht auf Abzug von Mehrwertsteuer ging, die in der Rechnung ausgewiesen war,
ohne geschuldet zu werden, hat der Gerichtshof außerdem festgestellt, dass es ─ als Ausfluss der Notwendigkeit, die Neutralität
der Mehrwertsteuer sicherzustellen ─ Sache der Mitgliedstaaten ist, in ihrem nationalen Recht die Möglichkeit vorzusehen,
jede zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer zu berichtigen
(5)
.
37. Im Urteil Schmeink & Cofreth hat der Gerichtshof dem hinzugefügt, dass eine zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer berichtigt
werden kann, ohne dass diese Berichtigung vom guten Glauben des Ausstellers der Rechnung abhängig gemacht werden kann, wenn
der Aussteller der Rechnung die Gefährdung des Steueraufkommens rechtzeitig und vollständig beseitigt hat
(6)
.
38. Diese Anmerkungen führen jedoch nicht zu einer gesonderten und konkreten Antwort auf die zweite Vorabentscheidungsfrage. Da
ich oben bereits zu dem Ergebnis gelangt bin, dass der Sachverhalt, der den Vorabentscheidungsfragen zugrunde liegt, nicht
in den Anwendungsbereich der Sechsten Richtlinie fällt, geht es nicht um die Gefährdung des Steueraufkommens und ist die Frage
nach dem guten Glauben des Ausstellers der Rechnung ohne Bedeutung. Unter diesen Umständen kommt es auch nicht darauf an,
ob der in Artikel 21 Absatz 1 Buchstabe 10 niedergelegte Grundsatz unangewendet bleiben muss.
V ─ Ergebnis
39. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die erste Frage des Dioikitiko Efeteio Athinon wie folgt zu beantworten:Der Betrag, der auf der Rechnung von denjenigen ausgewiesen wird, die im Rahmen eines Werkvertrags ihre Dienstleistungen zugunsten
des Staates erbringen, ist keine Mehrwertsteuer im Sinne der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur
Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ─ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche
steuerpflichtige Bemessungsgrundlage, wenn einerseits der Dienstleistende zu Unrecht meint, dass er diese Dienstleistungen
als Selbständiger erbringt, während er sich in Wirklichkeit in einem Abhängigkeitsverhältnis befindet und im Auftrag seines
Arbeitsgebers auf den Erklärungen, die er abgibt, Mehrwertsteuer in Rechnung stellt, und zwar nicht auf die gesamten gesetzlichen
Vergütungen, die er vom Staat erhält und die die gesetzliche Grundlage für die Mehrwertsteuer bilden, die in der Folge zusammen
mit den gesetzlichen Vergütungen eingezogen wird, sondern nach der Methode des internen Abzugs auf die Vergütungen festgesetzt
wird, wobei angenommen wird, dass diese auch die geschuldete Mehrwertsteuer umfassen, und andererseits der Staat die gesetzlichen
Vergütungen vermindert um die Mehrwertsteuer, von der angenommen wird, dass sie in diesen enthalten ist, auszahlt.
1 –
Originalsprache: Niederländisch.
2 –
ABl. L 145, S. 1.
3 –
Siehe unter anderem Urteile vom 2. Juni 1994 in der Rechtssache
C-30/93 (AC-ATEL Electronics, Slg. 1994, I-2305, Randnrn.
16 und 17), vom 1. Dezember 1998 in der Rechtssache
C-326/96 (Levez, Slg. 1998, I-7835, Randnrn. 25 und 26) und vom 16. September
1999 in der Rechtssache
C-435/97 (WWF u. a., Slg. 1999, I-5613, Randnrn. 31 und 32).
4 –
Urteil vom 19. September 2000 in der Rechtssache
C-454/98 Schmeink & Cofreth, Slg. 2000, I-6973, Randnrn. 48 und 49).
5 –
Urteil vom 13. Dezember 1989 in der Rechtssache
C-342/87 (Genius Holding, Slg. 1989, I-4227, Randnr. 18).
6 –
Urteil Schmeink & Cofreth (zitiert in Fußnote 4, Randnrn. 60 bis 63).