SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
FRANCIS G. JACOBS
vom 23. Oktober 2003(1)
Rechtssache C-137/02 Finanzamt Offenbach am Main-LandgegenFaxworld Vorgründungsgesellschaft Peter Hünninghausen und Wolfgang Klein GbR
(Vorabentscheidungsersuchen des deutschen Bundesfinanzhofs)
„“
1.
Nach den Artikeln 5 Absatz 8 und 6 Absatz 5 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie
(2)
können die Mitgliedstaaten die Übertragung „des Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens“ so behandeln, als ob keine Lieferung
von Gegenständen oder Dienstleistungen vorliegt, und den Begünstigten der Übertragung als Rechtsnachfolger des Übertragenden
ansehen.
2.
Deutschland hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht; in dem vorliegenden Ersuchen um Vorabentscheidung möchte der Bundesfinanzhof
wissen, wie diese Regel auf eine besondere Form einer zivilrechtlichen Personengesellschaft (Vorgründungsgesellschaft GbR)
anzuwenden ist, die allein für den Zweck gegründet wurde, die Tätigkeit einer noch zu gründenden Kapitalgesellschaft vorzubereiten,
aber nicht aufzunehmen, und die noch nicht aufgenommene Tätigkeit auf sie zu übertragen, sobald sie gegründet ist. Die zu
beantwortende Frage besteht darin, ob entweder die Personengesellschaft selbst oder die Kapitalgesellschaft berechtigt ist,
Vorsteuer abzuziehen, die von der Personengesellschaft für Lieferungen entrichtet wurde, die sie im Laufe der Errichtung der
Geschäftstätigkeit erhalten hat, – und wenn ja, auf welcher Grundlage.
Das einschlägige Recht Gemeinschaftsrechtliches Mehrwertsteuerrecht
3.
Das Wesen des Mehrwertsteuersystems wird in Artikel 2 der Ersten Mehrwertsteuerrichtlinie
(3)
beschrieben:
„Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht auf dem Grundsatz, dass auf Gegenstände und Dienstleistungen, ungeachtet der Zahl
der Umsätze, die auf den vor der Besteuerungsstufe liegenden Produktions- und Vertriebsstufen bewirkt wurden, eine allgemeine
zum Preis der Gegenstände und Dienstleistungen genau proportionale Verbrauchssteuer anzuwenden ist.
Bei allen Umsätzen wird die Mehrwertsteuer, die nach dem auf den Gegenstand oder die Dienstleistung anwendbaren Steuersatz
auf den Preis des Gegenstands oder der Dienstleistung errechnet wird, abzüglich des Mehrwertsteuerbetrags geschuldet, der
die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet hat.“
4.
Diesem System liegt damit die Vorstellung einer Kette von Umsätzen zugrunde, in der der zahlbare Nettobetrag für jedes Glied
der Kette genau proportional zu dem Mehrwert dieser Phase ist. Wenn die Kette endet, entspricht der erhobene Gesamtbetrag
dem fraglichen Anteil vom Endpreis. Detailliertere Vorschriften finden sich in der Sechsten Richtlinie.
5.
Nach Artikel 2 dieser Richtlinie unterliegen Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger
als solcher gegen Entgelt ausführt, der Mehrwertsteuer. In Artikel 4 Absatz 1 wird als Steuerpflichtiger definiert, wer eine
wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis. Wirtschaftliche Tätigkeiten sind
„alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte
sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe“ sowie die „Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen
Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen“. Nach den Artikeln 5 bis 7 sind besteuerte Umsätze Lieferungen von
Gegenständen, Lieferungen von Dienstleistungen oder Einfuhren.
6.
Nach Artikel 5 Absatz 1 gilt als Lieferung von Gegenständen die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen
körperlichen Gegenstand zu verfügen. Artikel 5 Absatz 8 bestimmt dagegen:
„Die Mitgliedstaaten können die Übertragung des Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens, die entgeltlich oder unentgeltlich
oder durch Einbringung in eine Gesellschaft erfolgt, so behandeln, als ob keine Lieferung von Gegenständen vorliegt[,] und
den Begünstigten der Übertragung als Rechtsnachfolger des Übertragenden ansehen. Die Mitgliedstaaten treffen gegebenenfalls
die erforderlichen Maßnahmen, um Wettbewerbsverzerrungen für den Fall zu vermeiden, dass der Begünstigte nicht voll steuerpflichtig
ist.“
7.
Nach Artikel 6 Absatz 5 gilt Artikel 5 Absatz 8 entsprechend für Dienstleistungen; als solche gilt nach Artikel 6 Absatz 1
jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstands ist.
8.
Die wesentlichen Merkmale des Rechts auf Vorsteuerabzug werden in Artikel 17 der Sechsten Richtlinie festgelegt. Artikel 17
Absatz 2 bestimmt: „Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist
der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen: a) die geschuldete oder entrichtete
Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert
werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden, ...“. Dieses Recht entsteht gemäß Artikel 17 Absatz 1, wenn der Anspruch
auf die abziehbare Steuer entsteht.
9.
Bestimmte Umsätze sind jedoch nach den Artikeln 13 bis 16 von der Mehrwertsteuer befreit. Bei befreiten Umsätzen besteht kein
Anspruch auf Mehrwertsteuer; ferner folgt aus Artikel 17 Absatz 2, der das Abzugsrecht auf Steuern auf Lieferungen für Zwecke
besteuerter Umsätze beschränkt, dass es dem Lieferanten verwehrt ist, Vorsteuer auf Lieferungen abzuziehen, die für Zwecke
befreiter, innerhalb der Gemeinschaft getätigter Umsätze verwendet wurden
(4)
.
10.
Wenn, wie dies oft der Fall ist, der befreite Umsatz das letzte Glied in der Kette ist (privater Verbrauch), besteht die Wirkung
nur darin, die Mehrwertsteuerbelastung um den Betrag zu verringern, der auf den letzten Mehrwert erhoben worden wäre. Ein
Abzug ist unter diesen Umständen jedoch auch unmöglich, wenn ein befreiter Umsatz ein Kostenelement einer nachfolgenden besteuerten
Lieferung ist. Die Vorsteuer kann daher in einigen Fällen im Wert der Lieferung „eingeschlossen“ sein, so dass der Wert, auf
den die Mehrwertsteuer in späteren Stadien erhoben wird, im Widerspruch zu der normalen Funktionsweise der Regelung, hier
die in früheren Stadien erhobene Steuer
umfasst. Man kann sagen, dass die Kette der Umsätze abgebrochen ist und eine neue Kette mit einem höheren Nettowert beginnt. Eine
ähnliche Situation kann entstehen, wenn Waren von einem Steuerpflichtigen in privater Eigenschaft (nicht von ihm „als solche[m]“
im Sinne der Artikel 2 und 4 Absatz 1) erworben, dann aber in den Bereich seiner wirtschaftlichen Tätigkeit überführt werden
(5)
.
Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Gerichtshof
11.
Der Gerichtshof hat wiederholt geprüft, unter welchen Umständen Lieferungen „für die Zwecke“ mehrwertbesteuerter Umsätze verwendet
werden und dadurch ein Recht auf Vorsteuerabzug nach Artikel 17 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie entsteht.
12.
Von Bedeutung für den vorliegenden Fall sind die Urteile in den Rechtssachen Rompelman
(6)
, INZO
(7)
, Ghent Coal Terminal
(8)
, Gabalfrisa
(9)
, Schloßstraße
(10)
und Breitsohl
(11)
, nach denen immer dann, wenn eine Person die durch objektive Anhaltspunkte belegte Absicht hat, eine wirtschaftliche Tätigkeit
auszuüben, und erste besteuerte Lieferungen für diese Zwecke erwirbt, sie als Steuerpflichtiger zu gelten und das Recht auf
sofortigen Abzug der Mehrwertsteuer für Gegenstände hat, die für die Zwecke ihrer beabsichtigten besteuerten Umsätze bezogen
wurden, ohne dass sie die Aufnahme des tatsächlichen Betriebes des Unternehmens abzuwarten brauchte; dies gilt sogar dann,
wenn die Aufnahme tatsächlich nicht erfolgt.
13.
Lediglich in zwei früheren Rechtssachen wurde der Gerichtshof indessen ersucht, die Abzugsfähigkeit der Mehrwertsteuer im
Verhältnis zur „Übertragung des Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens“ zu prüfen, wenn ein Mitgliedstaat von der Option
unter Artikel 5 Absatz 8 Gebrauch gemacht hat: in den Rechtssachen Abbey National
(12)
und Zita Modes
(13)
.
14.
Die Rechtssache Abbey National betraf die Veräußerung eines Gebäudes, das als der Mehrwertsteuer unterliegendes Vermietungsgeschäft
betrieben wurde, zwischen zwei nicht verbundenen Gesellschaften. Das Gebäude wurde als laufender Betrieb veräußert, der einen
Teil der gesamten Geschäftstätigkeit des Übertragenden ausmachte. Eine bedeutsame Frage in dieser Rechtssache bestand darin,
ob der Übertragende Vorsteuer auf (im Wesentlichen rechtliche) Dienstleistungen abziehen konnte, die zur Durchführung der
Übertragung in Anspruch genommen worden waren.
15.
Der Gerichtshof stellte fest, dass die Regelung über den Vorsteuerabzug den Unternehmer vollständig von der im Rahmen seiner
wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlasten solle und daher völlige Neutralität hinsichtlich
der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis gewährleiste,
sofern diese Tätigkeiten selbst der Mehrwertsteuer unterlägen. Ein Recht auf Vorsteuerabzug entstehe jedoch nur, wenn die
bezogenen Gegenstände oder Dienstleistungen direkt und unmittelbar mit einem besteuerten Ausgangsumsatz zusammenhingen – sie
müssten Teil der Kosten dieses Ausgangsumsatzes sein
(14)
.
16.
Wenn ein Mitgliedstaat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Übertragung eines Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens
so zu behandeln, als ob keine Lieferung von Gegenständen vorliegt, dann unterliegt nach Artikel 2 der Sechsten Richtlinie
eine solche Übertragung nicht der Mehrwertsteuer und ist deshalb kein besteuerter Umsatz im Sinne von Artikel 17 Absatz 2.
Dass es sich um einen besteuerten Umsatz gehandelt hätte, wenn von der Möglichkeit kein Gebrauch gemacht worden wäre, ist
unerheblich. Es besteht auch kein direkter und unmittelbarer Zusammenhang mit besteuerten Ausgangsumsätzen des Begünstigten
der Übertragung. Ein Abzug ist nur möglich, wenn die Ausgangsumsätze Umsätze des Steuerpflichtigen sind, der den Abzug in
Anspruch nehmen will; jedenfalls belasten die Ausgaben für die Durchführung der Übertragung nicht unmittelbar die Kostenelemente
der besteuerten Umsätze des Begünstigten, wie es nach Artikel 2 der Ersten Richtlinie erforderlich ist
(15)
.
17.
Diese Ausgaben gehören jedoch zu den allgemeinen Kosten des Übertragenden und gehen als solche in den Preis der Produkte seines
Unternehmens ein. Wenn ein Steuerpflichtiger ein Gesamtvermögen überträgt und danach keine Umsätze mehr tätigt, sind die Kosten
für die für die Übertragung in Anspruch genommenen Dienstleistungen als Bestandteil der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit
des Unternehmens vor der Übertragung anzusehen. Eine andere Auslegung von Artikel 17 der Sechsten Richtlinie liefe dem Grundsatz
zuwider, dass das Mehrwertsteuersystem völlige Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen
Tätigkeiten eines Unternehmens gewährleistet, sofern diese der Mehrwertsteuer unterliegen, und belastete den Wirtschaftsteilnehmer
mit den Mehrwertsteuerkosten seiner wirtschaftlichen Tätigkeit, ohne dass er sie abziehen könnte. Damit würde zwischen Ausgaben
für die Zwecke eines Unternehmens vor der tatsächlichen Aufnahme seiner Tätigkeit sowie während dieser Tätigkeit und Ausgaben
zum Zweck der Beendigung dieser Tätigkeit willkürlich unterschieden. Dienstleistungen, die der Übertragende für die Zwecke
der Übertragung eines Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens in Anspruch nimmt, weisen deshalb grundsätzlich einen direkten
und unmittelbaren Zusammenhang mit seiner gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit auf
(16)
.
18.
Die Fragen in der Rechtssache Zita Modes konzentrieren sich auf die Definition einer „Übertragung des Gesamtvermögens“ und
darauf, ob es erforderlich ist, dass der Begünstigte dasselbe Unternehmen fortführt wie das zuvor vom Übertragenden geführte.
Ein Urteil ist in dieser Rechtssache noch nicht ergangen.
Deutsches Recht
19.
Die oben genannten Gemeinschaftsvorschriften sind durch das Umsatzsteuergesetz 1993 (UStG) in deutsches Recht umgesetzt worden.
20.
§ 1 Absatz 1a UStG bestimmt: „Die Umsätze im Rahmen einer Geschäftsveräußerung an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen
unterliegen nicht der Umsatzsteuer. Eine Geschäftsveräußerung liegt vor, wenn ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines
Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen entgeltlich oder unentgeltlich übereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht
wird. Der erwerbende Unternehmer tritt an die Stelle des Veräußerers.“
21.
Dazu werden „Unternehmer“ und „Unternehmen“ in § 2 definiert: „Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit
selbständig ausübt. Das Unternehmen umfasst die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Unternehmers. Gewerblich
oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt
oder eine Personenvereinigung nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig wird.“
22.
§ 15 UStG betrifft das Recht auf Vorsteuerabzug. Nach § 15 Absatz 2 Satz 1 ist vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen die Steuer
für Lieferungen bzw. Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung u. a. steuerfreier Umsätze verwendet.
23.
Bestimmte Aspekte des deutschen Gesellschaftsrechts sind für diesen Fall ebenfalls erheblich. Das vorlegende Gericht erläutert
sie wie folgt.
24.
Eine Aktiengesellschaft (AG) erlangt erst mit der Eintragung in das Handelsregister Rechtspersönlichkeit. Notwendige Vorstufe
ist die Vorgesellschaft, eine Personenvereinigung eigener Art, die immer dann entsteht, wenn der Gesellschaftsvertrag geschlossen
wird. Der Vorgesellschaft kann eine Vorgründungsgesellschaft vorausgehen, die auf einem Vertrag der Gründer der Gesellschaft
mit dem Ziel ihrer Gründung beruht und die regelmäßig die Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) hat, wobei
ihr Zweck darin besteht, die Haftung der beteiligten Personen zu regeln. Wenn eine Vorgründungsgesellschaft errichtet wird,
um die spätere Tätigkeit einer Gesellschaft vorzubereiten, werden ihr Vermögen, ihre Rechte und Pflichten nicht automatisch
auf die Vorgesellschaft und später auf die Gesellschaft, sobald diese gegründet ist, übertragen; wenn sie übertragen werden
sollen, muss dies durch besonderes Rechtsgeschäft geschehen.
Das Ausgangsverfahren
25.
Die Faxworld Vorgründungsgesellschaft Peter Hünninghausen und Wolfgang Klein GbR (Klägerin) wurde am 1. Oktober 1996 zu dem
einzigen Zweck gegründet, die Gründung der Faxworld Telefonmarketing AG (Faxworld AG) vorzubereiten. Hierzu mietete sie Büroräume
an, erwarb Anlagegüter, versandte Informationsschreiben und betrieb Werbung für die demnächst zu gründende AG. Als die Faxworld
AG mit notarieller Urkunde vom 28. November 1996 gegründet worden war, stellte die Klägerin ihre Tätigkeit ein und übertrug
am 1. Dezember 1996 in Erfüllung ihres Gesellschaftszwecks ihr gesamtes zuvor erworbenes Vermögen entgeltlich auf die AG.
Die Faxworld AG konnte unmittelbar ihre unternehmerische Tätigkeit in den Büroräumen aufnehmen, die von der Klägerin für sie
gemietet und eingerichtet worden waren.
26.
Der Kaufpreis von 87 495,29 DEM entsprach dem Buchwert des erworbenen Vermögens, d. h. den Aufwendungen für ihren Erwerb mit
Ausnahme der Mehrwertsteuer. Somit wurde die von der Klägerin auf die von ihr erworbenen Gegenstände entrichtete Mehrwertsteuer
an die Faxworld AG im Kaufpreis nicht weitergegeben.
27.
Die Klägerin versuchte sodann, die Mehrwertsteuer auf von ihr erworbene und übertragene Lieferungen bzw. Leistungen abzuziehen
– d. h. unter den gegebenen Umständen entsprechende Erstattung zu erhalten. Das Finanzamt verneinte eine Abzugsberechtigung
mit der Begründung, dass der einzige Ausgangsumsatz der Klägerin die Geschäftsveräußerung gewesen sei, die nicht als ein besteuerter
Umsatz zu behandeln sei, und dass die Klägerin daher kein Unternehmer (Steuerpflichtiger) sei. Die Klägerin erhob gegen diesen
ablehnenden Bescheid Klage beim zuständigen Finanzgericht, das der Klage auf der Grundlage des Grundsatzes der Neutralität
der Umsatzsteuer stattgab; Vorsteuer könne abgezogen werden, auch wenn die Klägerin niemals beabsichtigt habe, ihre Eingangslieferungen
bzw. -leistungen selbst zur Durchführung besteuerter Umsätze zu verwenden, da sie sie für die von der Faxworld AG aufzunehmende
wirtschaftliche Tätigkeit erworben habe.
28.
Das Finanzamt legte Revision beim Bundesfinanzhof ein, der das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur
Vorabentscheidung vorgelegt hat:
Ist eine allein mit dem Ziel der Gründung einer Kapitalgesellschaft errichtete (Personen-)Gesellschaft zum Abzug der Vorsteuer
für den Bezug von Dienstleistungen und Gegenständen berechtigt, wenn sie nach Gründung der Kapitalgesellschaft die bezogenen
Leistungen in einem Akt gegen Entgelt an die später gegründete Kapitalgesellschaft veräußert und andere Ausgangsumsätze von
vornherein nicht beabsichtigt waren und wenn in dem betreffenden Mitgliedstaat die Übertragung des Gesamtvermögens so behandelt
wird, als ob keine Lieferung oder Dienstleistung vorliegt (Artikel 5 Absatz 8 Satz 1 und 6 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie)?
29.
Der Bundesfinanzhof gibt ferner an, dass für den Fall, dass die Personengesellschaft unter diesen Umständen nicht zum Vorsteuerabzug
berechtigt sei, eine weitere Vorlage vermieden werden könne, wenn der Gerichtshof entscheiden würde, ob stattdessen die Kapitalgesellschaft
vorsteuerabzugsberechtigt sei.
Die unterschiedlichen Standpunkte
30.
Der Bundesfinanzhof führt aus, er neige dazu, den Anspruch auf Vorsteuerabzug zu bejahen. Das Recht auf Vorsteuerabzug entstehe,
wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entstehe, nämlich bei Bezug der Eingangslieferungen. Im vorliegenden Fall seien
diese Lieferungen nur für den Zweck besteuerter Ausgangsumsätze bezogen worden. Wenn die Klägerin diese Umsätze selbst getätigt
hätte, wäre die Vorsteuer abzugsfähig gewesen. Aus dem Urteil Abbey National ergebe sich, dass der Übertragende bei der Übertragung
eines Gesamtvermögens Vorsteuer nur von der Steuer auf seine eigenen Ausgangsumsätze abziehen könne. Nur aufgrund verfahrensrechtlicher
Erfordernisse des deutschen Gesellschaftsrechts bestehe aber im vorliegenden Fall ein Identitätsunterschied zwischen der Person,
die die Eingangslieferungen beziehe, und der Person, die die besteuerten Ausgangsumsätze tätige. Der Grundsatz der Neutralität
der Umsatzsteuer müsse so zu verstehen sein, dass das Recht auf Vorsteuerabzug nicht durch nationale Unterschiede in der Rechtsform
bestimmt werde.
31.
In ihren Erklärungen gegenüber dem Gerichtshof argumentiert die Klägerin im Wesentlichen dahin, dass sie und die Faxworld
AG eine wirtschaftliche Einheit bildeten (gemäß der so genannten Fußstapfentheorie, die der Bundesfinanzhof offenbar anwendet,
die aus dem Recht der Rechtsnachfolge abgeleitet ist und die der Vorstellung Ausdruck verleiht, dass der Begünstigte der Übertragung
in die Fußstapfen des Übertragenden tritt – eine Entsprechung zu der englischen Vorstellung „stepping into the transferor’s
shoes“). Da die Gegenstände und Dienstleistungen, die die Klägerin bezogen habe, für die Zwecke der besteuerten Umsätze der
Faxworld AG verwendet werden sollten, sei die Klägerin berechtigt gewesen, die Mehrwertsteuer auf diese Gegenstände und Dienstleistungen
abzuziehen. Außerdem habe der Gerichtshof im Urteil Breitsohl
(17)
festgestellt, dass das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer, die für Leistungen entrichtet worden sei, die im Hinblick auf
die Ausübung geplanter wirtschaftlicher Tätigkeiten erworben worden seien, selbst dann fortbestehe, wenn der Steuerverwaltung
bereits bei der erstmaligen Festsetzung der Steuer bekannt sei, dass die beabsichtigte wirtschaftliche Tätigkeit, die zu steuerbaren
Umsätzen habe führen sollen, nicht ausgeübt werden werde. Diese Feststellung gelte erst recht, wenn wie hier die wirtschaftliche
Tätigkeit aufgenommen worden sei.
32.
Der Ansatz, den das Finanzamt vor dem Bundesfinanzhof und die deutsche Regierung vor dem Gerichtshof vertreten, geht dagegen
dahin, dass die Klägerin und die Faxworld AG zwei unterschiedliche Personen seien und die Klägerin kein Steuerpflichtiger
sei, da sie eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Artikel 4 der Sechsten Richtlinie oder einen besteuerten Umsatz im
Sinne der Artikel 5 oder 6 niemals ausgeübt bzw. getätigt habe oder deren Ausführung bzw. Tätigung niemals beabsichtigt habe.
Ein Recht auf Vorsteuerabzug könne ihr daher nicht zustehen, denn es gebe insbesondere keine Person, der ein solches Recht
zugute kommen könne, und innerhalb der Mehrwertsteuerregelung keinen Umsatz, von dem ein Abzug vorgenommen werden könne. Die
deutsche Regierung stützt sich insoweit im Wesentlichen auf das Urteil Abbey National.
33.
In der mündlichen Verhandlung erhob die deutsche Regierung einen Einwand gegen die vom Bundesfinanzhof angesprochene Zusatzfrage,
ob statt der Klägerin die Faxworld AG ein Recht auf Vorsteuerabzug haben könne. Sie ist der Auffassung, diese Frage sei rein
hypothetisch und könne keine Bedeutung für die Entscheidung über die Klage der Klägerin haben; nationale Gerichte seien innerhalb
des durch Artikel 234 EG geschaffenen Systems zu solchen Fragen nicht berechtigt.
34.
Die Kommission ist der Auffassung, dass der Erwerb von Gegenständen und Dienstleistungen durch die Klägerin eindeutig unter
die Definition der wirtschaftlichen Tätigkeit und damit in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuerregelung falle. Da diese
Gegenstände und Dienstleistungen jedoch von der Personengesellschaft nicht für eigene besteuerte Ausgangsumsätze verwendet
worden seien und nicht direkt und unmittelbar mit solchen Umsätzen zusammenhängen könnten, sei die Klägerin nicht berechtigt,
Vorsteuer abzuziehen. Andererseits habe aber die Faxworld AG als „Rechtsnachfolger“ der Faxworld GbR im Sinne von Artikel
5 Absatz 8 der Sechsten Richtlinie und als Verwender eben dieser Gegenstände und Dienstleistungen für ihre besteuerten Ausgangsumsätze
ein Recht auf Vorsteuerabzug. Eine derartige Lösung stehe nicht in Widerspruch zum Urteil Abbey National, in dem es um das
Recht auf Vorsteuerabzug des Übertragenden – und nicht des Begünstigen der Übertragung – gegangen sei.
Würdigung
35.
Vorab ist zu sagen, dass der Einwand der deutschen Regierung gegenüber der Zusatzfrage des Bundesfinanzhofs nicht akzeptiert
wird. Der Bundesfinanzhof hat ausdrücklich davon abgesehen, diese Frage als solche vorzulegen, sie aber in den Vorlagebeschluss
mit aufgenommen, um einen Gesichtspunkt zu bezeichnen, den der Gerichtshof bei seiner Prüfung für erheblich halten könnte.
Zudem halte ich es nicht für möglich, bei Anwendung des Artikels 5 Absatz 8 der Sechsten Richtlinie die Position des Übertragenden
isoliert von der des Übernehmers zu betrachten.
36.
Sodann sollte ich darauf hinweisen, dass mir das von Deutschland favorisierte Ergebnis mit dem Grundsatz der Neutralität der
Umsatzsteuer insofern nicht in Einklang zu stehen scheint, als es schlechthin ein Recht auf Vorsteuerabzug, und zwar sowohl
der Klägerin als auch der Faxworld AG, verneint.
37.
Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus wurde offenbar ein einziges Unternehmen gegründet, das verschiedene Vorbereitungsstadien
durchlief, bevor es seine Tätigkeit aufnahm. Die Kontinuität des Unternehmens vom Vorbereitungsstadium bis zum operativen
Stadium – die Kontinuität seiner Person
als ein Unternehmen – ist wohl unbestritten. Die normale Funktionsweise des Mehrwertsteuersystems verlangt, dass ein Unternehmen die Mehrwertsteuer
auf Gegenstände, die es sowohl im Vorbereitungsstadium als auch im Stadium seiner Tätigkeit erworben hat, von seiner Bruttoumsatzsteuer
abziehen kann
(18)
.
38.
Eine Abweichung von dieser normalen Funktionsweise und daher vom Neutralitätsgrundsatz kann meiner Ansicht nach nur dann akzeptiert
werden, wenn sie in den Rechtsvorschriften – gegebenenfalls in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof – klar vorgesehen ist.
39.
Im vorliegenden Fall wurden vom rechtlichen Standpunkt aus das Vorbereitungsstadium und das operative Stadium von zwei getrennten
Einheiten, einer Personengesellschaft und einer Kapitalgesellschaft, ausgeführt
(19)
. Auf diese Trennung gründet Deutschland seine Argumentation.
40.
Die Personengesellschaft wurde nicht zu dem Zweck gegründet, besteuerte Ausgangsumsätze zu tätigen, sie tätigte keine und
es war zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt, dass sie dies tun sollte. Ihr einziger tatsächlicher und beabsichtigter Ausgangsumsatz
bestand in der Veräußerung des embryonalen, noch nicht operativen Unternehmens an die Kapitalgesellschaft. Nach den deutschen
Rechtsvorschriften zur Umsetzung von Artikel 5 Absatz 8 der Sechsten Richtlinie war dieser Umsatz nicht zu besteuern
(20)
.
41.
Trotzdem stimme ich mit der Kommission darin überein, dass die Klägerin unter die Definition des Steuerpflichtigen nach Artikel
4 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie fällt. Ihre Tätigkeit war zweifellos ihrer Natur nach wirtschaftlich, und weder der Zweck
noch das Ergebnis dieser Tätigkeit ist von Belang. In diesem Zusammenhang meine ich, dass die deutsche Regierung bei ihrer
Bezugnahme auf das Urteil Lennartz
(21)
irrt, eine Rechtssache, die den Erwerb von Gegenständen für private Zwecke betraf, die anschließend für besteuerte Umsätze
verwendet wurden. Im vorliegenden Fall wird nicht in Frage gestellt, dass die Eingangslieferungen für unternehmerische Zwecke
und nicht für den privaten Verbrauch bezogen wurden.
42.
Weiter entfällt ein Recht auf Vorsteuerabzug nicht dadurch, dass tatsächlich keine Ausgangsumsätze getätigt wurden – man vergleiche
die Urteile INZO
(22)
und Ghent Coal Terminal
(23)
–, doch ist es nach dieser Rechtsprechung erforderlich, dass die Absicht bestand, solche Umsätze zu tätigen, und die Klägerin
hatte offenbar nicht die Absicht, selbst Umsätze zu tätigen.
43.
Obwohl die Personengesellschaft und die Kapitalgesellschaft im vorliegenden Fall zwei getrennte Rechtspersonen sind, gibt
es doch nicht nur eine erkennbare wirtschaftliche Kontinuität zwischen ihnen, sondern auch eine gewisse rechtliche Kontinuität.
44.
Nach Artikel 5 Absatz 8 ist, wenn eine Behandlung derart erfolgt, als ob keine Lieferung vorliegt, der Begünstigte als „successor“
des Übertragenden anzusehen. In der deutschen Fassung des Artikels 5 Absatz 8 wird das entsprechende Wort „Rechtsnachfolger“
verwendet. In den deutschen Umsetzungsvorschriften heißt es „an die Stelle treten“, und das deutsche Recht kennt offenbar
auch eine „Fußstapfentheorie“
(24)
. In der französischen und in einigen anderen Sprachfassungen des Artikels 5 Absatz 8 ist von der „Fortführung der Persönlichkeit“
des Übertragenden die Rede.
45.
Wie ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Zita Modes
(25)
ausführte, erinnern die verschiedenen Formulierungen an den Begriff der Gesamtrechtsnachfolge, bei der eine Person alle Rechte
und Pflichten einer anderen übernimmt (hier begrenzt auf alle mehrwertsteuerlichen Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit
dem übernommenen Unternehmen), so dass der Übernehmer mit dem Unternehmen offene Mehrwertsteuerverbindlichkeiten und das Recht
auf Abzug noch nicht abgezogener Vorsteuer gegenüber der Umsatzsteuer auf besteuerte Umsätze erwirbt
(26)
. In der Rechtssache Abbey National
(27)
schlug ich unter Verwendung der für Zwecke der Mehrwertsteuer üblichen Metapher einer Umsatzkette vor, dass, obgleich ein
Glied der Kette als inexistent gilt, dies nicht – wie im Fall eines steuerbefreiten Umsatzes – einen Bruch und einen Neubeginn
der Kette bedeutet, sondern ein fortbestehendes Folgeverhältnis zwischen den Kettengliedern beidseits der Unterbrechung.
46.
Ist es so gesehen möglich, die Absicht der Faxworld AG, besteuerte Umsätze zu tätigen, auch der Klägerin zuzuschreiben, so
dass bei dieser die Voraussetzungen des Rechts auf Vorsteuerabzug erfüllt sind?
47.
Einige Rechtsvorschriften und Hinweise in der Rechtsprechung könnten gegen eine solche Zuschreibung sprechen. Nach Artikel
17 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht
– d. h., wenn Eingangslieferungen bezogen werden –, und der Gerichtshof führte im Urteil Lennartz
(28)
aus, dass „das Bestehen eines Rechts auf Vorsteuerabzug allein davon ab[hängt], in welcher Eigenschaft eine Person zu diesem
Zeitpunkt handelt“. Zum Zeitpunkt des Bezugs handelte die Klägerin als Steuerpflichtige
(29)
, die Lieferungen waren jedoch nicht für ihre eigenen besteuerten Umsätze bestimmt.
48.
Gleichwohl meine ich, dass die Vorschrift des Artikels 5 Absatz 8 über die „Rechtsnachfolge“ es nicht nur rechtfertigt, sondern
verlangt, dass eine nachhaltige Unterscheidung zwischen der von ihr in Bezug genommenen Situation und anderen, gängigeren
Fallgestaltungen getroffen wird.
49.
Man muss sich klarmachen, dass die Ausübung der Option nach Artikel 5 Absatz 8 nicht dazu führen kann, einen steuerbefreiten
Umsatz zu schaffen
(30)
. Wäre dies die Absicht des Gesetzgebers gewesen, dann wäre die Vorschrift in Abschnitt X der Richtlinie über Steuerbefreiungen
und nicht in Abschnitt V über die Bestimmung steuerbarer Umsätze aufgenommen worden. Ein Hinweis auf die tatsächliche Absicht
wird in der Begründung der Kommission für ihren Vorschlag der Sechsten Richtlinie
(31)
gegeben, in der die Option damit begründet wird, dass sie im Interesse der Einfachheit und zur Vermeidung einer übermäßigen
Belastung der Unternehmensressourcen bestehe. Das Ziel besteht folglich darin, zu vermeiden, dass oftmals erhebliche Steuerbeträge
in Rechnung gestellt, an den Staat gezahlt und dann im Wege des Vorsteuerabzugs wieder erlangt werden. Ein weiterer Vorteil
besteht im Schutz der Steuerbehörden vor dem Verlust von Steuereinnahmen, wenn der Übertragende insolvent ist
(32)
.
50.
Wenn die Mehrwertsteuer auf die Vermögensgegenstände eines übertragenen Unternehmens nicht in Abzug gebracht werden könnte,
käme es zu einer nicht unerheblichen Wettbewerbsverzerrung im Verhältnis zu anderen Unternehmen. Wie der Gerichtshof im Urteil
Abbey National
(33)
bestätigt hat, soll die Regelung über den Vorsteuerabzug den Unternehmer vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen
Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlasten und daher völlige Neutralität hinsichtlich der steuerlichen
Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis gewährleisten, sofern diese Tätigkeiten
selbst der Mehrwertsteuer unterliegen.
51.
Im vorliegenden Fall wurden die übertragenen Vermögensgegenstände von der Klägerin für die in der Zukunft liegenden Zwecke
besteuerter Ausgangsumsätze bezogen, die die Faxworld AG tätigen würde, und sie bilden daher Kostenelemente dieser Umsätze.
Außerdem hängen die Eingangslieferungen direkt und unmittelbar mit den Ausgangsumsätzen, mit denen ein Recht auf Vorsteuerabzug
entsteht, zusammen
(34)
, da aufgrund der Funktionsweise des Artikels 5 Absatz 8 ein zwischengeschalteter Umsatz zwischen dem Bezug dieser Lieferungen
und ihrer Verwendung für die Zwecke der Ausgangsumsätze als nicht existierend gilt. Die Faxworld AG ist die Rechtsnachfolgerin
der Klägerin – sie führt deren Person fort. Zu dem Zeitpunkt, zu dem das Recht auf Vorsteuerabzug entstand – d. h., als der
Anspruch auf die abziehbare Steuer entstand –, handelte die Klägerin als Steuerpflichtige im Sinne von Artikel 4 Absatz 1
der Sechsten Richtlinie. Die Voraussetzungen für einen Abzug sind daher meiner Meinung nach erfüllt.
52.
Daher ist es wohl offenkundig, dass von einem praktischen Standpunkt aus die beste Vorgehensweise darin besteht, dass, wenn
das nationale Recht es erlaubt, die Gegenleistung für die Übertragung unter solchen Umständen stets den vollen Wert der übertragenen
Vermögensgegenstände abdecken sollte, einschließlich noch nicht abgezogener Mehrwertsteuer. Es wird nämlich in den meisten
Fällen schwierig, wenn nicht unmöglich sein, das Vorliegen (oder Nichtvorliegen) eines solchen Elements im Preis auszumachen.
53.
In einigen Fällen jedoch kann das nationale Recht weitere Anforderungen aufstellen – z. B., dass alle offenen Mehrwertsteuerverbindlichkeiten
vor der Übertragung abzuziehen sind. Obwohl im vorliegenden Fall offenbar keine derartige Anforderung besteht, scheint festzustehen,
dass die Steuer nicht weitergegeben wurde.
54.
Daher muss hier eine Unterscheidung zwischen dem Übertragenden und dem Übernehmer getroffen werden. Das Ziel, die Neutralität
der Mehrwertsteuer zu gewährleisten, würde nicht erreicht, wenn die gezahlte Steuer von einer anderen Person als derjenigen
abgezogen werden könnte, die die wirtschaftliche Belastung durch sie getragen hat. Auch wenn im vorliegenden Fall die Gesellschafter
oder Aktionäre der beiden Einheiten tatsächlich dieselben sind – so dass letzten Endes dieselben „Geldbeutel“ betroffen sind
–, wird dies nicht immer so sein. Wenn der Veräußerungspreis eines Unternehmens im Buchwert der Vermögensgegenstände abzüglich
der Mehrwertsteuer besteht, würde – wie die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung ausführte – dem Übernehmer ein
unberechtigter finanzieller Vorteil erwachsen, wenn ihm und nicht dem Übertragenden der Abzug ermöglicht würde; Letzterer
stünde mit einer nicht ausgleichbaren Steuerlast da. Wenn andererseits die Last der Mehrwertsteuer mit dem Veräußerungspreis
weitergegeben wird, muss das Recht auf Vorsteuerabzug beim Übernehmer liegen. Eine andere Vorgehensweise würde abermals zu
einer Wettbewerbsverzerrung führen, was nicht nur nicht mit den Grundsätzen des Mehrwertsteuersystems und dem Gemeinschaftsrecht
insgesamt übereinstimmt, sondern auch speziell in Artikel 5 Absatz 8 als vermeidungswürdig angesprochen wird.
55.
Im vorliegenden Fall muss daher der Klägerin und nicht der Faxworld AG das Recht auf Vorsteuerabzug zustehen.
56.
Man könnte die Frage aufwerfen, ob die Auffassung, zu der ich gelangt bin, mit dem Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache
Abbey National vollständig vereinbar ist. Wie erinnerlich, stellte der Gerichtshof in den Randnummern 32 bis 35 dieses Urteils
fest, dass ein Steuerpflichtiger die Mehrwertsteuer nur für die Gegenstände und Dienstleistungen abziehen könne, die für Zwecke
seiner eigenen besteuerten Umsätze verwendet würden, und dass der Mehrwertsteuerbetrag, den der Übertragende auf die Ausgaben
für beanspruchte Dienstleistungen zur Durchführung der Übertragung eines Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens entrichtet
habe, nicht unmittelbar die verschiedenen Kostenelemente der Ausgangsumsätze des Übernehmers belaste. Gleichwohl gehörten
solche Kosten zu den Kosten des Unternehmens des Übertragenden und gingen als solche in den Preis dieses Unternehmens ein;
auf dieser Grundlage komme der Übertragende daher in den Genuss eines Rechts auf Vorsteuerabzug.
57.
Ich sehe diese Beurteilung jedoch als spezifisch für die Umstände in der Rechtssache Abbey National an. Die seinerzeit in
Rede stehende Steuer war auf Dienstleistungen zu entrichten, die zur Durchführung der Übertragung bezogen wurden, und nicht
auf die tatsächlich übertragenen Vermögensgegenstände. Diese letzteren Vermögensgegenstände, um die es im vorliegenden Fall
geht, stellen eindeutig Kostenelemente der Umsätze des Übernehmers dar, und die Fortführung der Persönlichkeit zwischen dem
Übertragenden und seinem Rechtsnachfolger, dem Übernehmer, rechtfertigt es, die Mehrwertsteuer auf ihren Bezug so zu behandeln,
dass auf dieser Grundlage ein Recht auf Vorsteuerabzug entsteht.
58.
Damit der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer beachtet und jede Wettbewerbsverzerrung vermieden wird, sollte dieses
Recht unter Umständen, in denen Artikel 5 Absatz 8 der Sechsten Richtlinie anzuwenden ist, bei der Person – dem Übertragenden
oder dem Übernehmer – liegen, die tatsächlich die wirtschaftliche Last der Steuer trägt. Nur unter ganz und gar außergewöhnlichen
– und schwer vorstellbaren – Umständen könnten diese Ziele auch erreicht werden, wenn der anderen Partei des Übertragungsgeschäfts
das Recht auf Vorsteuerabzug eingeräumt würde.
Ergebnis
59.
Ich bin daher der Auffassung, dass der Gerichtshof auf die vom Bundesfinanzhof vorgelegte Frage wie folgt antworten sollte:
Wenn
–ein Mitgliedstaat die Option nach den Artikeln 5 Absatz 8 und 6 Absatz 5 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie ausgeübt hat,
so dass eine Übertragung eines Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens so behandelt wird, als ob keine Lieferung von Gegenständen
oder Dienstleistungen vorliegt, und
–Gegenstände und/oder Dienstleistungen von einer natürlichen oder juristischen Person (dem Übertragenden) allein zu dem Zweck
bezogen werden, ein Unternehmen zu gründen, aber nicht zu betreiben, und die Vermögensgegenstände dieses Unternehmens an eine
andere natürliche oder juristische Person (den Übernehmer) zu veräußern, die beabsichtigt, diese Vermögensgegenstände zu verwenden,
um besteuerte Umsätze zu tätigen,
liegt das Recht auf Abzug gezahlter oder zahlbarer Mehrwertsteuer auf die bezogenen Gegenstände und/oder Dienstleistungen
grundsätzlich
–beim Übertragenden, wenn die Steuerlast im Veräußerungspreis nicht an den Übernehmer weitergegeben worden ist, und
–beim Übernehmer, wenn die Steuerlast im Veräußerungspreis an ihn weitergegeben worden ist.
1 –
Originalsprache: Englisch.
2 –
Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über
die Umsatzsteuern ─ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1)
(im Folgenden: Sechste Richtlinie).
3 –
Erste Richtlinie 67/227/EWG des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über
die Umsatzsteuer (ABl. L 71, S. 1301).
4 –
Diese Situation ist von der einer Befreiung mit Vorsteuererstattung (Nullsatz) zu unterscheiden.
5 –
Vgl. Urteil in der Rechtssache
C-97/90 (Lennartz, Slg. 1991, I-3795, Randnrn. 8 und 9).
6 –
Rechtssache 268/83 (Slg. 1985, 655).
7 –
Rechtssache
C-110/94 (Slg. 1996, I-857).
8 –
Rechtssache
C-37/95 (Slg. 1998, I-1).
9 –
Verbundene Rechtssachen
C-110/98 bis
C-147/98 (Slg. 2000, I-1577).
10 –
Rechtssache
C-396/98 (Slg. 2000, I-4279).
11 –
Rechtssache
C-400/98 (Slg. 2000, I-4321).
12 –
Rechtssache
C-408/98 (Slg. 2001, I-1361).
13 –
Rechtssache
C-497/01 (Schlussanträge vom 26. September 2002).
14 –
Randnrn. 24 bis 29 des Urteils, in dem die Urteile Rompelman (Fußnote 6), Randnr. 19, Ghent Coal Terminal (Fußnote 8), Randnr.
15, Gabalfrisa (Fußnote 9), Randnr. 44, und das Urteil in der Rechtssache
C-98/98 (Midland Bank, Slg. 2000, I-4177), Randnrn.
19, 20, 24, 29 und 30, zitiert werden.
15 –
Randnrn. 30 bis 34.
16 –
Randnrn. 35 und 36.
17 –
Zitiert in Fußnote 11.
18 –
Vgl. insbesondere die in Nummer 12 zitierte Rechtsprechung.
19 –
Obwohl es plausibel erscheint, dass die beiden Gesellschafter der Personengesellschaft auch die beiden (einzigen) Aktionäre
der Kapitalgesellschaft sind.
20 –
Es ist festzustellen, dass nach den deutschen Rechtsvorschriften solche Umsätze „nicht der Umsatzsteuer [unterliegen]“, während
Artikel 5 Absatz 8 die Mitgliedstaaten zu einer steuerlichen Behandlung ermächtigt, „als ob keine Lieferung ... vorliegt“.
Gleichwohl ist es bedeutsam, zwischen steuerbefreiten Lieferungen und Lieferungen, die so behandelt werden, als ob sie nicht
vorliegen, zu unterscheiden (vgl. oben Nummer 10 und unten Nummer 49).
21 –
Zitiert in Fußnote 5.
22 –
Zitiert in Fußnote 7, Randnrn. 19 und 20 des Urteils.
23 –
Zitiert in Fußnote 14, Randnrn. 17 und 24 des Urteils.
24 –
Vgl. oben Nummer 31.
25 –
In den Nrn. 46 und 49.
26 –
Offensichtlich wird jedoch in den mehrwertsteuerlichen Vorschriften einiger Mitgliedstaaten vom Übertragenden verlangt, alle
offenen Mehrwertsteuerverbindlichkeiten vor der Übertragung zu begleichen, so dass sich die „Rechtsnachfolge“ in solchen Fällen
auf Anpassungen nach Artikel 20 der Sechsten Richtlinie beschränkt.
27 –
In Nummer 38 der Schlussanträge.
28 –
Zitiert in Fußnote 5, in Randnr. 8 des Urteils.
29 –
Vgl. Nummer 41 oben.
30 –
In Nummer 10 habe ich die unerwünschten Wirkungen dargestellt, die solche Umsätze zur Folge haben können.
31 –
Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/73, S. 10; der jetzige Satz 1 des Artikels 5 Absatz 8 war im ursprünglichen Vorschlag Artikel 5 Absatz 4.
32 –
Vgl. ausführlicher die Nrn. 19 bis 32 meiner Schlussanträge in der Rechtssache Zita Modes.
33 –
Zitiert in Fußnote 11; Randnr. 24 des Urteils.
34 –
Vgl. Randnr. 25 des Urteils Abbey National und die dort zitierte Rechtsprechung.