SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
DÁMASO RUIZ-JARABO COLOMER
vom 23. November 2004(1)
Rechtssache C-412/03 Hotel Scandic Gåsabäck AB gegen Riksskatteverket
(Vorabentscheidungsersuchen des Regeringsrätt)
„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Steuerbarer Umsatz – Umsätze, die der Lieferung von Gegenständen und der Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt gleichgestellt sind – Abgabe von Mahlzeiten an das Personal gegen einen den Selbstkostenpreis unterschreitenden Preis durch ein Unternehmen der
Hotel- und Restaurantbranche – Auslegung der Artikel 2, 5 Absatz 6 und 6 Absatz 2 Buchstabe b“
I – Einleitung
1.
Beim Regeringsrätt (oberstes Verwaltungsgericht) von Schweden ist eine Klage über die mehrwertsteuerliche Behandlung der Abgabe
von Mahlzeiten anhängig, die ein Hotelunternehmen an sein Personal gegen einen den Wert der Leistung unterschreitenden Preis
liefert.
2.
Das Gericht möchte wissen, ob die Sechste Richtlinie
(2)
, insbesondere ihre Artikel 2, 5 Absatz 6 und 6 Absatz 2 Buchstabe b einer nationalen Regelung entgegenstehen, die – neben
unentgeltlichen Umsätzen – die Fälle als Entnahme eines Gegenstands ansieht, in denen ein Steuerpflichtiger gegen einen Betrag,
der niedriger ist als der Einkaufspreis der Ware oder der Selbstkostenpreis der Dienstleistung, Gegenstände liefert oder Leistungen
erbringt.
II – Rechtlicher Rahmen
A –
Gemeinschaftsrecht: Die Sechste Richtlinie
3.
Artikel 2 Absatz 1 definiert den Anwendungsbereich dieser Richtlinie und bestimmt: „Der Mehrwertsteuer unterliegen: … Lieferungen
von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt.“ Die beiden
Typen von Rechtsgeschäften werden später in Artikel 5 Absatz 1 und Artikel 6 Absatz 1 definiert.
4.
Die Besteuerungsgrundlage ist alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistende für diese
Umsätze vom Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar
mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen (Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a).
5.
Einer Lieferung gegen Entgelt gleichgestellt wird die Entnahme durch einen Steuerpflichtigen aus seinem Unternehmen für seinen
privaten Bedarf, für den Bedarf seines Personals oder als unentgeltliche Zuwendung oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke,
wenn dieser Gegenstand oder seine Bestandteile zu einem vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt haben (Artikel
5 Absatz 6).
6.
In diesen Fällen ist die Besteuerungsgrundlage der Einkaufspreis im Zeitpunkt der Bewirkung des Umsatzes oder, wenn dieser
nicht zu ermitteln ist, der Selbstkostenpreis (Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe b).
7.
Nach Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe b wird die unentgeltliche Erbringung von Dienstleistungen durch den Steuerpflichtigen für
seinen privaten Bedarf oder für den Bedarf seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke Dienstleistungen
gegen Entgelt gleichgestellt; in diesen Fällen ist Besteuerungsgrundlage die Gesamtheit der Ausgaben für die Erbringung der
Dienstleistung (Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe c).
B –
Das schwedische Recht: Das Lag om mervärdesskatt
8.
Das Lag om mervärdesskatt (Gesetz 1994:200), das in Schweden die Mehrwertsteuer regelt, sieht als Entnahme eines Gegenstands
die Lieferung von Gegenständen an, die unentgeltlich, gegen einen den Einkaufspreis unterschreitenden Betrag oder, wenn der
Einkaufspreis nicht bekannt ist, gegen den Selbstkostenpreis zum Zeitpunkt der Entnahme erfolgt (Kapitel 2 § 2 Nr. 2 in Verbindung
mit Kapitel 7 § 3 Nr. 2 Buchstabe a).
9.
Die Entnahme einer Dienstleistung liegt vor, wenn der Steuerpflichtige die Dienstleistung für sich selbst oder für sein Personal
erbringt, durch eine andere Person erbringen lässt oder auf andere Weise zuwendet, für private oder unternehmensfremde Zwecke
unentgeltlich oder zu einem Preis, der geringer ist als der Wert der Dienstleistung im Zeitpunkt ihrer Bewirkung (Kapitel
2 § 5 Absatz 1 Nr. 1 in Verbindung mit Kapitel 7 § 3 Nr. 2 Buchstabe b).
10.
In beiden Fällen ist es unerlässlich, dass die Ermäßigung nicht marktmäßig bedingt ist; nach Kapitel 7 § 2 Absatz 1 ist der
nach einer der angegebenen Arten berechnete Umsatz die Besteuerungsgrundlage.
III – Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
11.
Die Hotel Scandic Gåsabäck AB (im Folgenden: Scandic) betreibt ein Hotel und ein Restaurant und gibt an ihre Angestellten
(zwischen 23 und 25 Personen) während des Arbeitstages eine Mahlzeit zu einem Preis ab, der die ihr entstehenden Ausgaben
unterschreitet
(3)
. Die Arbeitnehmer erhalten das Essen und tragen es in einen Speisesaal. Wenn sie ihre Mahlzeit beendet haben, stellen sie
das Geschirr, Besteck usw. in einige zu diesem Zweck vorbereitete Körbe.
12.
Um sich über die steuerliche Behandlung der beschriebenen Leistungen zu informieren, stellte die Scandic dem Skatterättsnämnd
(Steuerauskunftsbehörde) zwei Fragen. Mit der ersten Frage wollte sie wissen, ob die Leistungen als eine Lieferung von Nahrungsmitteln,
die mit 12 % besteuert wird, oder eine Restaurationsdienstleistung, die mit einem Satz von 25 % belastet ist, anzusehen seien.
Die zweite Frage betraf die Besteuerungsgrundlage, und ging dahin, ob diese der vom Arbeitnehmer gezahlte Betrag sei oder
nach den in der schwedischen Regelung für die Entnahme von Gegenständen vorgesehenen Vorschriften zu bestimmen sei.
13.
Die genannte Behörde antwortete mit Bescheid vom 10. Juni 2002, dass es sich um eine Restaurationsdienstleistung handele,
deren Besteuerungsgrundlage sich nach Kapitel 2 § 5 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Kapitel 7 § 3 Nummer 2 Buchstabe b
des Lag om mervärdesskatt bestimme.
14.
Da die Scandic diese Auffassung nicht teilte, wandte sie sich an das Regeringsrätt und machte geltend, dass die Ausgabe der
betreffenden Nahrungsmittel als eine Lieferung von Gegenständen anzusehen sei und die Besteuerungsgrundlage daher nach der
Gegenleistung der Arbeitnehmer zu bestimmen sei.
15.
Das Gericht hat Zweifel darüber, ob der Begriff der Entnahme von Gegenständen oder Dienstleistungen nach den Artikeln 5 Absatz
6 und 6 Absatz 2 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie nur die unentgeltlichen Umsätze umfasst oder auch, wie das schwedische
Gesetz, die Handlungen, bei denen der Empfänger mit einer symbolischen oder eng an den Selbstkostenpreis gebundenen Zahlung
belastet wird. Um diese Zweifel zu beseitigen, hat es dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1.Wenn die Zuwendung des Unternehmens eine Lieferung von Gegenständen darstellt, sind dann die Artikel 2 und 5 Absatz 6 der
Sechsten Richtlinie dahin auszulegen, dass diese Bestimmungen den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegenstehen,
wonach die Entnahme eines Gegenstands vorliegt, wenn der Steuerpflichtige einem anderen einen Gegenstand gegen ein Entgelt
zuwendet, das den Einkaufswert der Gegenstände oder gleichartiger Gegenstände oder, wenn ein solcher Wert nicht zu ermitteln
ist, den Selbstkostenpreis unterschreitet?
2.Wenn die Zuwendung des Unternehmens die Erbringung einer Restaurationsdienstleistung darstellt, sind dann die Artikel 2 und
6 Absatz 2 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen, dass diese Bestimmungen den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats
entgegenstehen, wonach die Entnahme einer Dienstleistung vorliegt, wenn der Steuerpflichtige sich selbst oder seinem Personal
eine Dienstleistung für private oder andere unternehmensfremde Zwecke erbringt, erbringen lässt oder auf andere Weise zuwendet,
sofern die Dienstleistung gegen ein Entgelt erbracht wird, das die Kosten für die Erbringung der Dienstleistung unterschreitet?
IV – Verfahren vor dem Gerichtshof
16.
Die Europäische Kommission sowie die schwedische, die dänische und die griechische Regierung haben innerhalb der in Artikel
20 der EG-Satzung des Gerichtshofes festgelegten Frist schriftliche Erklärungen eingereicht.
17.
Am 21. Oktober 2004 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden, in der sich neben dem Bevollmächtigten des genannten Organs
die Bevollmächtigten der schwedischen, der griechischen und der finnischen Regierung geäußert haben.
V – Untersuchung der Vorlagefragen
A –
Vorüberlegung: Die rechtliche Qualifizierung des Umsatzes
18.
Offenbar ist für das Regeringsrätt die Auffassung des Gerichtshofes über die Natur des im Ausgangsverfahren streitigen Geschäfts
nicht von Belang, da es dieselbe Frage für zwei verschiedene Fälle gestellt hat, je nachdem, ob die Abgabe von Mahlzeiten
an die Angestellten der Scandic als eine Lieferung von Gegenständen oder als Erbringung einer Dienstleistung verstanden wird.
In der Zuständigkeitsverteilung im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens ist die rechtliche Qualifizierung des Sachverhalts
Sache des nationalen Richters, der, wenn er Vorschriften des Gemeinschaftsrechts anwendet, der vom Gerichtshof gegebenen Auslegung
zu folgen hat.
19.
Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat, erfordern die Begriffe „Lieferung von Gegenständen“
und „Erbringung von Dienstleistungen“ im Anwendungsbereich der Sechsten Richtlinie eine einheitliche Auslegung und folglich
eine Vorlageentscheidung des Gemeinschaftsgerichts. Daher sind, obwohl das schwedische Gericht nicht darum gebeten hat, die
Leitlinien der Rechtsprechung zu diesem Punkt in Erinnerung zu rufen.
20.
In dieser Hinsicht erklärte das Urteil Faaborg-Gelting Linien
(4)
, dass für die Frage, ob ein Umsatz die Voraussetzung einer Lieferung von Gegenständen oder der Erbringung einer Dienstleistung
erfülle, alle Umstände abzuwägen seien, unter denen er erfolge, um seine Wesenselemente zu ermitteln (Randnr. 12)
(5)
. Unter Berücksichtigung dieser Regel wurde der Betrieb eines Restaurants auf den Fährschiffen im Linienverkehr zwischen den
Häfen von Faaborg (Dänemark) und Gelting (Deutschland) als eine Dienstleistung eingestuft (Randnr. 15), weil die spezifischen
Bestandteile dieser Vertragsmodalität überwogen, während die Lieferung von Nahrungsmitteln einen sehr kleinen Teil des gesamten
Vorgangs ausmachte (Randnrn. 13 und 14)
(6)
.
21.
Der steuerbare Umsatz darf daher nicht in seine unterschiedlichen Bestandteile zerlegt werden, um diese einzeln der Mehrwertsteuer
zu unterwerfen. Der Gerichtshof, der den Grundsatz der „Einheitlichkeit der Leistung“
(7)
anwendet, konzentriert sich auf die Gesamtheit, die in der einen oder anderen Weise nach dem vorherrschenden Bestandteil
qualifiziert wird. Unter Befolgung dieses Kriteriums hat das Regeringsrätt global die von der Scandic zugunsten ihrer Arbeitnehmer
entfaltete Tätigkeit unter Berücksichtigung des vorherrschenden Elements zu prüfen, um sie als Lieferung von Gegenständen
oder als Erbringung von Dienstleistungen zu qualifizieren.
B –
Die Entnahme von Gegenständen oder Dienstleistungen und die Mehrwertsteuer
22.
Der Kern dieser Rechtssache liegt in der Frage, ob die Sechste Richtlinie es zulässt, dass eine nationale Regelung die im
Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation als Entnahme von Gegenständen oder Dienstleistungen einstuft, weil die Angestellten
der Scandic dem Unternehmen einen Betrag für die Mahlzeiten zahlen, der den Selbstkostenpreis unterschreitet.
23.
Der Wortlaut und der Geist der Sechsten Richtlinie und folglich der Wille des Gemeinschaftsgesetzgebers weisen in eine Richtung,
die dieser Möglichkeit widerspricht.
1. Warum wird die Entnahme von Gegenständen oder Dienstleistungen besteuert?
24.
Die Gleichstellung der Entnahme mit der entgeltlichen Lieferung von Gegenständen oder Erbringung von Dienstleistungen gehorcht
dem Grundsatz der Steuerneutralität, der ein Grundelement des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ist
(8)
, das darauf abzielt, dass die Steuerhebung die Produktionsprozesse nicht beeinflusst
(9)
, indem alle Handelstätigkeiten gleichbehandelt werden, ohne dass ihr Preis verändert wird
(10)
. Der Mechanismus ist einfach: Die Mehrwertsteuer belastet die Konsumhandlungen als mittelbaren Ausdruck der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit der Personen durch die Besteuerung der Umsätze der Unternehmer oder der Gewerbetreibenden, die durch die
Technik der Abwälzung die Last an den Endverbraucher weitergeben, wodurch eine für die Steuerpflichtigen „neutrale“ Steuer
erzielt wird, da nur das letzte Glied in der Kette – derjenige, der den Gegenstand erhält oder die Dienstleistung in Anspruch
nimmt – diese Steuer trägt
(11)
.
25.
Eine der Folgen des genannten Grundsatzes ist das Verbot unterschiedlicher Behandlung identischer Sachlagen. Relevant ist
nun, dass die Endabnehmer und alle diejenigen, die sich, ohne Endabnehmer zu sein, in einer sachlich ähnlichen Lage befinden,
derselben Steuerregelung im Mehrwertsteuersystem unterliegen müssen, so dass die Unternehmer oder Gewerbetreibenden, wenn
sie als Enderwerber oder Endnutzer auftreten, als solche anzusehen sind und ihre Rechtshandlungen denen jener gleichgestellt
werden, um „zu verhindern, dass der private Verbrauch eines Steuerpflichtigen der Mehrwertsteuer entgeht“
(12)
.
26.
In diesem Sinne heißt es im Urteil De Jong, das ich soeben in Fußnote 12 angeführt habe, dass Artikel 5 Absatz 6 der Sechsten
Richtlinie die Steuergleichheit zwischen dem Steuerpflichtigen, der seinem Unternehmen einen Gegenstand für seinen eigenen
Bedarf entnimmt, und einem gewöhnlichen Verbraucher, der ihn erwirbt, gewährleistet (Randnr. 15)
(13)
. Die Urteile Enkler
(14)
und Fillibeck
(15)
schreiben Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe b eine entsprechende Zielsetzung zu, indem sie die Nutzung des Gegenstands zu solchen
Zwecken der entgeltlichen Erbringung von Dienstleistungen gleichstellen.
27.
Insgesamt soll verhindert werden, dass der Steuerpflichtige, nachdem die Mehrwertsteuer auf den Kauf eines dem Unternehmen
zugeordneten Gegenstands abgezogen wurde, sich der Zahlung der Steuer entzieht, wenn er den Gegenstand entnimmt (Artikel 5
Absatz 6 und 6 Absatz 2 Buchstabe a), und damit Vorteile genießt, die im Verhältnis zum gewöhnlichen Käufer, der den Gegenstand
gegen Tragung der entsprechenden Steuerlast erhalten oder genutzt hat, ungerechtfertigt sind
(16)
.
28.
Der Grundsatz der Steuerneutralität und die Gleichheit der Regelung, die er mit sich bringt, führen zu derselben Lösung im
Fall unentgeltlicher Leistungen des Unternehmers für seinen persönlichen Bedarf oder für den seines Personals, um die es in
Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe b geht. Wenn man anstrebt, dass die Wirtschaftsteilnehmer bei vergleichbaren Sachlagen eine gleichwertige
Steuerlast tragen, so muss man den Unternehmer, der für seine Privatsphäre Nutzen aus den eigenen Dienstleistungen seines
Unternehmens zieht, im Hinblick auf die Mehrwertsteuer in derselben Position sehen wie den privaten Verbraucher, der für sie
bezahlen muss: Beide sind das letzte Glied der Kette.
29.
Zusammengefasst kann ein Steuerpflichtiger einen Gegenstand seines Unternehmens sich für unternehmensfremde Zwecke zueignen
(Artikel 5 Absatz 6) oder für solche Zwecke bestimmen (Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe a). Wenn er im Zeitpunkt seines Erwerbs
Mehrwertsteuer abgezogen hat, ist er, wenn er danach wie ein Endverbraucher auftritt und die Steuer nicht abführt, im Verhältnis
zu den gewöhnlichen Käufern oder Nutzern, die verpflichtet sind, sie zu zahlen, ungerechtfertigt begünstigt
(17)
. Wenn er unentgeltlich und mit ähnlicher Zielsetzung eine seiner Tätigkeit zugehörige Dienstleistung (Artikel 6 Absatz 2
Buchstabe b) ohne irgendeine Abgabe nutzt, ermöglicht er sich einen steuerfreien, privilegierten Verbrauch, der den Grundsatz
der Steuerneutralität verletzt.
30.
Um das Verständnis der vorgeschlagenen Auslegung zu erleichtern, erscheint es ratsam, einige Beispiele anzuführen
(18)
.
31.
Ein im An- und Verkauf von Kraftfahrzeugen tätiger Unternehmer bestimmt ein Fahrzeug für seinen privaten Gebrauch oder schenkt
es einem Freund. Diese Übertragung bleibt mehrwertsteuerpflichtig (1 000 Euro), da sonst die Besteuerung des Endverbrauchs,
für den die Steuer geschaffen wurde, umgangen würde. Wenn aber dieser Unternehmer zum Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs
die gezahlte Mehrwertsteuer nicht abgezogen hätte, wäre die Entnahme belastet und der Wagen unterläge einer doppelten Steuerlast
(2 000 Euro), wodurch gegen den Grundsatz der Steuerneutralität verstoßen würde; wenn dagegen der Anteil abgezogen worden
wäre, verlangte der genannte Grundsatz die Zahlung der Steuer, um zu verhindern, dass ein steuerbarer Umsatz nicht mehr steuerpflichtig
ist. Aus diesem Grund stellen die Artikel 5 Absatz 6 und 6 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie die Besteuerung der
Entnahme unter die Voraussetzung des vorherigen Abzugs des gezahlten Anteils.
32.
Ein Architekt bereitet ein technisches Projekt vor, um ein Einfamilienhaus zu errichten. In diesem Fall beginnt und endet
die Produktionskette mit der Dienstleistung, ohne vorangehende Abschnitte, die zur Erhebung der Mehrwertsteuer hätten führen
können, weshalb die Besteuerung dieses Vorgangs nicht dem Abzug früherer Anteile, die nicht angefallen sind, zu unterwerfen
ist. Die Zielsetzung der Vorschrift (Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe b) bleibt jedoch dieselbe, nämlich „zu verhindern, dass
ein Steuerpflichtiger von seinem Unternehmen steuerfrei gewerbliche Dienstleistungen empfängt, für die eine Privatperson Mehrwertsteuer
hätte entrichten müssen“
(19)
.
2. Die Besteuerungsgrundlage der Entnahme
33.
Die Besteuerungsgrundlage ist in der Regel die Gegenleistung, die der Lieferer oder Dienstleistende erhält (Artikel 11 Teil
A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie). Dagegen wird bei der Entnahme auf den Einkaufspreis für die Gegenstände oder
für gleichartige Gegenstände, auf den Selbstkostenpreis oder auf den Betrag der Ausgaben des Steuerpflichtigen für die Erbringung
der Dienstleistung zurückgegriffen (Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstaben b und c).
34.
Es gibt daher keinen Mittelweg. Bei der Entnahme wird ein anderer Bezugspunkt genommen, weil es keinerlei Zahlung zu Lasten
des Empfängers gibt, wobei, wie dem Wortlaut der genannten Vorschriften zu entnehmen ist, jedes Geschäft ausgeschlossen ist,
das nicht unentgeltlich ist.
35.
Dieser Gedanke trägt der Rechtsprechung des Gerichtshofes zum Begriff der Gegenleistung Rechnung, nach deren wesentlichen
Linien das Vorliegen eines Rechtsverhältnisses zwischen dem Veräußerer (oder dem Dienstleistenden) und dem Erwerber (oder
dem Empfänger) verlangt wird, in dem gegenseitige Verpflichtungen bestehen, so dass die von dem einen erzielte Vergütung in
dem realen Wert des Vorteils besteht, den der andere erlangt
(20)
; es handelt sich also um ein subjektives Kriterium, das statt des sich aus objektiven Bewertungen ergebenden Betrages das
jeweils tatsächlich Erlangte berücksichtigt
(21)
. Somit ist der Umstand, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit zu einem den Selbstkostenpreis über- oder unterschreitenden Preis
durchgeführt wird, irrelevant für ihre Qualifizierung als entgeltlich.
36.
Außerdem gibt es, worauf die Kommission hinweist, weder in der Sechsten Richtlinie noch in der Rechtsprechung einen Anhaltspunkt
dafür, dass sich die Besteuerungsgrundlage nach der Bewertung des besteuerten Umsatzes durch den Markt unabhängig von dem
vergüteten Betrag bestimmen müsste. Dies bekräftigt Artikel 11, nach dessen Wortlaut die Besteuerungsgrundlage für die Bestimmung
der Steuerschuld keine Preisnachlässe, Rabatte oder Rückvergütungen auf den Preis umfasst (Teil A Absatz 3) und sie sich im
Fall der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtzahlung oder des Preisnachlasses
nach der Bewirkung des Umsatzes (Teil C Absatz 1) vermindert. Die Besteuerungsgrundlage wird immer nach der erhaltenen Leistung
bestimmt
(22)
; diese Regel stützt sich auch auf den Grundsatz der Steuerneutralität und die Natur dieser Steuer als eine indirekte Steuer,
die die in dem Konsum zum Ausdruck gebrachte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit belastet, was es erfordert, dass der Anteil
entsprechend dem Wert festgesetzt wird, der in der Schlussphase des Wirtschaftsprozesses real als „Mehr“wert verbleibt
(23)
.
37.
In die Systematik der Artikel 5 Absatz 6 und 6 Absatz 2 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie passen nur die unentgeltlichen
Umsätze; die übrigen gelten, auch wenn sie unterhalb des Selbstkostenpreises erfolgen, als entgeltlich und richten sich nach
Artikel 2 Absatz 1. Folglich stehen diese Vorschriften einer nationalen Regelung entgegen, die „Verlustverkäufe“ als Entnahme
qualifiziert.
38.
Die schwedische Regierung weist diesen Ansatz zurück und führt aus, dass zwischen dem Geschäft zu einem symbolischen Preis
und dem zum Selbstkostenpreis kein Unterschied bestehe. Dieses Vorbringen ist bloße Rhetorik und ohne Relevanz für den in
Rede stehenden Fall, da der Vorlagebeschluss ausführt, dass die Arbeitnehmer der Scandic für die Mahlzeiten einen die vom
Unternehmen getragenen Ausgaben übersteigenden Betrag zahlen, auch wenn er künftig „geringer sein kann“; es wird darin jedoch
zu keinem Zeitpunkt den Begriff der „symbolischen Zahlung“ verwendet.
39.
Die Angst vor Betrug, von der ihre Stellungnahme ebenso wie die der griechischen und der finnischen Regierung zeugt, rechtfertigt
diese Haltung nicht. Übersehen wird dabei, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber sich dieser Möglichkeit bewusst war und es in
Artikel 27 der Sechsten Richtlinie ermöglicht hat, dass die Mitgliedstaaten sie unter bestimmten Umständen nicht anwenden;
und es wird verkannt, dass das legitime Interesse, die Gesetzesumgehung zu vermeiden, nicht absolut gesetzt werden darf, indem
die Ausnahme (Bestimmung der Besteuerungsgrundlage für unentgeltliche Geschäfte nach dem Marktpreis) zur allgemeinen Regel
gemacht und der Wortlaut einer Steuervorschrift erweitert wird, denn die Analogie, wie unten ausgeführt werden wird, verträgt
sich schlecht mit den strengen Grundsätzen dieses Bereichs der Rechtsordnung.
40.
Jedenfalls scheint mir die Auffassung der schwedischen Regierung, auch wenn sie vermeintlich die Neutralität der Steuer wahrt,
nicht annehmbar. Ihren Erklärungen zufolge zahlt ein Unternehmen, das die von einem anderen Restaurationsunternehmen gelieferten
Mahlzeiten für seine Belegschaft subventioniert, diesem Unternehmen den der Subvention entsprechenden Betrag, ergänzt um den
Betrag, den das Personal zahlt. Dieser Betrag sei unmittelbar an den Preis gebunden und nach Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe
a der Sechsten Richtlinie Teil der Besteuerungsgrundlage. Ihrer Auffassung nach müsste der Arbeitgeber, der die Verpflegung
seiner Arbeitnehmer mittels eigener Dienstleistungen sicherstellt, die gleiche Behandlung erfahren, dies sei jedoch nicht
möglich, wenn nur der von den Angestellten gezahlte Betrag besteuert werde.
41.
Die schwedische Regierung gibt dem Begriff der „Subvention“ einen Umfang, der ihm nicht zukommt, da die Sechste Richtlinie
ihn im rechtstechnischen Sinne einer Beihilfemaßnahme verwendet, mit der die öffentliche Hand einen Sektor wirtschaftlich
beleben kann, indem sie den Einzelnen Vorteile wirtschaftlicher Art verschafft. Aus diesem Grund verlangt der Gerichtshof,
dass sie von einer Behörde gewährt wird, eine Bedingung, die das Zusammenwirken von drei Beteiligten impliziert: gewährende
Behörde, begünstigter Unternehmer und Endverbraucher
(24)
. Im Ergebnis erfasst Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie „nur die Subventionen, die vollständig
oder teilweise die Gegenleistung für die Lieferung von Gegenständen oder von Dienstleistungen sind und dem Verkäufer oder
Dienstleistungserbringer von einem Dritten gezahlt worden sind“
(25)
.
42.
In Wirklichkeit verkennt die schwedische Regierung die materielle Dimension des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit im Steuerrecht,
der, wie es das Strafrecht im Hinblick auf die Freiheit tut, darauf zielt, dass der Gesetzgeber als Träger der Souveränität
die einzige Gewalt mit der Befugnis ist, das Eigentum der Bürger einzuschränken
(26)
. Eine unerlässliche Ergänzung dieses Grundsatzes stellt das Verbot der analogen Auslegung der Steuervorschriften gegen den
Schuldner dar mit der Folge, dass diejenigen, die sie allgemein anwenden, vor allem die Gerichte, nicht über den im Gesetz
zum Ausdruck gekommenen Willen hinausgehen dürfen, indem sie Steuern für von dessen Wortlaut nicht erfasste Tatbestände verlangen.
Mit dem Vorschlag, den Begriff der Subvention in Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie zu erweitern,
stützt sich die schwedische Regierung auf diese Auslegungstechnik, doch ist diese Art der Erweiterung des objektiven Zweckes
der Steuervorschriften in den Rechtssystemen einiger Mitgliedstaaten ausdrücklich verboten
(27)
.
VI – Ergebnis
43.
Aufgrund der vorstehenden Ausführungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Regeringsrätt wie folgt zu beantworten:
Die Artikel 2, 5 Absatz 6 und 6 Absatz 2 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage
sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der nicht unentgeltliche Umsätze, für die ein
Preis festgesetzt ist, auch wenn dieser den Einkaufspreis der gelieferten oder gleichartiger Gegenstände oder den Selbstkostenpreis
der erbrachten Dienstleistung unterschreitet, als Entnahme angesehen werden.
1 –
Originalsprache: Spanisch.
2 –
Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern
– Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste
Richtlinie).
3 –
Nach dem Vorlagebeschluss zahlen die Arbeitnehmer in Wirklichkeit einen den Selbstkostenpreis übersteigenden Betrag, künftig
jedoch werden sie einen geringeren Betrag zahlen. Tatsächlich stützt sich die Steuerauskunft, die dem Ausgangsverfahren zugrunde
liegt, auf diesen zweiten Fall.
4 –
Urteil vom 2. Mai 1996 in der Rechtssache
C-231/94 (Faaborg-Gelting Linien, Slg. 1996, I-2395).
5 –
Dasselbe Kriterium der Berücksichtigung der einzelnen Umstände, die den Vorgang umgeben, wurde im Urteil vom 17. November
1993 in der Rechtssache
C-68/92 (Kommission/Frankreich, Slg. 1993, I-5881) verwendet, um bestimmte Geschäfte als „Leistungen
auf dem Gebiet der Werbung“ (Randnrn. 16 bis 19) zu definieren.
6 –
Der Gerichtshof wies darauf hin, dass die Abgabe von fertigen Speisen und Getränken zum sofortigen Verzehr das Ergebnis einer
Reihe von Dienstleistungen vom Zubereiten bis zum Darreichen der Speisen sei und dem Gast dabei eine organisatorische Gesamtheit
(Speisesaal, Garderobe, Mobiliar, Geschirr) zur Verfügung gestellt werde. Er verneinte den Dienstleistungscharakter dagegen
für den Kauf von zubereiteten Nahrungsmitteln „zum Mitnehmen“ ohne Dienstleistungen, die den sofortigen Verzehr in einem geeigneten
Rahmen ansprechend gestalten sollen (Randnrn. 13 und 14 des Urteils Faaborg-Gelting Linien).
7 –
Dieser Ausdruck („Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung“) geht zurück auf P. Haunold, „Der Steuergegenstand“, in:
EuGH-Rechtsprechung und Umsatzsteuerpraxis , Wien 2001, S. 111.
8 –
Die Urteile vom 27. Juni 1989 in der Rechtssache 50/88 (Kühne, Slg. 1989, 1925, Randnr. 12) und vom 15. Mai 1993 in der Rechtssache
C-193/91 (Mohsche, Slg. 1993, I-2615, Randnr. 9) qualifizieren den genannten Grundsatz als der Mehrwertsteuer zugrunde liegend.
9 –
C. Lohse, „Der Neutralitätsgrundsatz im Mehrwertsteuerrecht“, in:
EuGH-Rechtsprechung und Umsatzsteuerpraxis , Wien 2001, S. 49.
10 –
Diese Folge, auf die L. Mochón Lopez und A. Jabalera Rodríguez in der Einleitung des Sammelwerks
El impuesto sobre el valor añadido. Comentarios a sus normas reguladoras , Verlag Comares, Granada 2001, S. 14, hinweisen, ist der Grund für die Existenz des Grundsatzes der Steuerneutralität.
11 –
Ähnliche Formulierungen habe ich jeweils in den Nrn. 33 und 38 der Schlussanträge vom 13. Januar und 25. März 2004 in den
Rechtssachen verwendet, die zu den Urteilen vom 27. Mai 2004 in der Rechtssache
C-68/03 (Lipjes) und vom 16. September 2004
in der Rechtssache
C-382/02 (Cimber Air) geführt haben, die beide noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht sind.
12 –
Schlussanträge von Generalanwalt Jacobs vom 27. Februar 1992 in der Rechtssache
C-20/91 (De Jong, Urteil vom 6. Mai 1992,
Slg. 1992, I-2847, Nr. 10).
13 –
Die Urteile vom 27. April 1999 in der Rechtssache
C-48/97 (Kuwait Petroleum, Slg. 1999, I-2323) und vom 8. März 2001 in der
Rechtssache
C-415/98 (Bakcsi, Slg. 2001, I-1831) heben denselben Gedanken hervor (Randnrn. 21 bzw. 42).
14 –
Urteil vom 26. September 1996 in der Rechtssache
C-230/94 (Enkler, Slg. 1996, I-4517, Randnr. 33).
15 –
Urteil vom 16. Oktober 1997 in der Rechtssache
C-258/95 (Fillibeck, Slg. 1997, I-5577, Randnr. 25).
16 –
Vgl. die Urteile De Jong (Randnr. 15), Enkler (Randnr. 33) und Bakcsi (Randnr. 42).
17 –
Dieser Gedanke ist in umgekehrtem Sinn im Urteil Kühne implizit enthalten, in dem der Gerichtshof entschied, dass Artikel
6 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen sei, dass er es ausschließe, die Abschreibung eines dem Unternehmen
zugeordneten Gegenstands als private Nutzung zu besteuern, wenn der Gegenstand wegen Erwerbs von einem Nichtsteuerpflichtigen
nicht zum Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt habe (Randnr. 11). Ähnlich äußerte sich das Urteil Bakcsi (Randnr. 44).
18 –
Anregungen entnehme ich den – obgleich veränderten – Fällen von A. M. López Molino, „Entregas de bienes y prestaciones de
servicios sujetos al IVA“, in:
El impuesto sobre el valor añadido. Comentarios a sus normas reguladoras , Verlag Comares, Granada 2001, S. 49 ff.
19 –
So Generalanwalt Jacobs in den Schlussanträgen in der Rechtssache Mohsche (Nr. 22).
20 –
So bestätigt in den Urteilen vom 3. März 1994 in der Rechtssache
C-16/93 (Tolsma, Slg. 1994, I-743, Randnr. 14) und vom 14.
Juli 1998 in der Rechtssache
C-172/96 (First National Bank of Chicago, Slg. 1998, I-4387, Randnr. 26).
21 –
Urteil Fillibeck, Randnr. 13, und Urteile vom 24. Oktober 1996 in der Rechtssache
C-317/94 (Elida Gibbs, Slg. 1996, I-5339,
Randnr. 27) und vom 29. März 2001 in der Rechtssache
C-404/99 (Kommission/Frankreich, Slg. 2001, I-2667, Randnr. 38).
22 –
Ständige Rechtsprechung. Hierzu Urteil vom 29. Mai 2001 in der Rechtssache
C-86/99 (Freemans, Slg. 2001, I-4167, Randnr. 27
und die dort genannte Rechtsprechung).
23 –
Ein weiteres Beispiel (diesmal verwende ich einen Fall, den L. Mochón López und A. Jabalera Rodríguez, a. a. O., S. 13, ausführen):
Ein Unternehmer B verkauft einen bestimmten Gegenstand zu seinem Marktwert (150 Euro), den er von einem Unternehmer A für
100 Euro gekauft hat. Die Mehrwertsteuer beim Erwerb betrug 16 Euro (Besteuerung mit 16 %), bei der Veräußerung werden 24
Euro erhoben, die er auf den Verbraucher abwälzt. Der Anteil, den er zahlen muss, ist die eingenommene Steuerschuld abzüglich
der selbst getragenen (24 – 16 = 8 Euro), während der Endverbraucher den gesamten Anteil tragen muss (24 Euro). Festzustellen
ist, dass die Steuer im Hinblick auf B neutral wirkt. Zunächst bedeutete nämlich die Steuer eine Ausgabe (16 Euro), später
verwandelte sie sich jedoch in eine Einnahme (24 Euro), und schließlich verlor er den Vorteil durch Zahlung der Differenz
von 8 Euro zu seinen Gunsten an die Finanzbehörde. Auf diese Weise beeinflusst die Steuer nicht den Preis der Gegenstände
oder Dienstleistungen, auf denen sie lastet, da sie weder Kosten noch Gewinn der unternehmerischen oder gewerblichen Tätigkeit
voraussetzt. Wenn jedoch, aus welchem Grund auch immer, der Unternehmer B den für 100 Euro gekauften Gegenstand für 90 Euro
verkauft, für den er einen Anteil von 16 Euro entrichtet hat, kann die Mehrwertsteuer nicht nach dem Marktwert (150 Euro)
berechnet werden, ohne den realen Preis des Umsatzes zu berücksichtigen (90 Euro), denn der Anteil betrüge 24 Euro statt 14,4,
was sich als nachteilig erwiese und die Neutralität zunichte machte, die im System dieser indirekten Steuer vorherrschen muss.
24 –
Urteil vom 22. November 2001 in der Rechtssache
C-184/00 (Office des Produits Wallons, Slg. 2001, I-9115, Randnr. 10). Derselbe
Gedanke findet sich in den Urteilen vom 15. Juli 2004 in der Rechtssache
C-381/01 (Kommission/Italien, noch nicht in der amtlichen
Sammlung veröffentlicht, Randnr. 32) und in der Rechtssache
C-144/02 (Kommission/Deutschland, noch nicht in der amtlichen
Sammlung veröffentlicht, Randnr. 31).
25 –
Tenor des Urteils Office des Produits Wallons.
26 –
Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit wurde in den Bereichen Straf- und Steuerrecht im Frühmittelalter geprägt, als Grenze der
Vorrechte des Souveräns. In Spanien konnten die Comunidades, die Villas und die Ciudades die Bewilligung von Geldern für die
Krone und die Bestrafung bestimmter Verhaltensweisen von der Genehmigung durch repräsentative Versammlungen („cortes“) abhängig
machen. Das Heranreifen eines „pactismo“ zwischen Monarchie und „politischer Gesellschaft“, der die ständische politische
Organisation konsolidierte und eine größere Entfaltung der königlichen Autorität blockierte, ist eine, wenn auch mit wichtigen
Unterschieden und Nuancen versehene Konstante bei der Bildung der mittelalterlichen Königreiche von Spanien. In Aragón und
Navarra erlangten die Cortes zwischen dem Ende des 13. Jahrhunderts und der Mitte des 14. Jahrhunderts legislative und finanzielle
Kontrollbefugnisse (vgl. M. A. Ladero Quesada, „España: reinos y señoríos medievales“, in:
España. Reflexiones sobre el ser de España , Real Academia de la Historia, 2. Auflage, Madrid 1998, S. 95 bis 129). In Kastilien war diese Institution, die ihre Blütezeit
im 14. und 15. Jahrhundert erreichte, weniger stark ausgeprägt, und obwohl sie eine Hauptrolle im politischen Leben spielte,
waren ihre Befugnisse geringer (J. Valdeón, „Los reinos cristianos a fines de la Edad Media“, in:
Historia de España , Verlag Historia 16, Madrid 1986, S. 391 bis 455, insbesondere S. 414 bis 423).
27 –
Ein Beispiel ist Artikel 14 des Ley General Tributaria española (Ley 58/2003,
Boletín Oficial del Estado vom 18. Dezember 2003), der es nicht zulässt, die Festlegung des Steuertatbestands im Wege der Analogie über seinen engen
Wortlaut hinaus zu erweitern. In Deutschland hat der Bundesfinanzhof bei verschiedenen Anlässen die Verwendung dieser Auslegungsmethode
und die Anwendung gegen den Steuerpflichtigen abgelehnt (Bundessteuerblatt II 1972, 455, 457; Bundessteuerblatt II 1976, 246,
248; Bundessteuerblatt II 1977, 283, 287; Bundessteuerblatt II 1978, 346; Bundessteuerblatt II 1979, 347; Bundessteuerblatt II
1982, 618). Die belgische Lehre beanstandet die Auslegung der Steuervorschriften im Wege der Analogie offenbar einhellig und
verweist auf ein Urteil der Cour de Cassation vom 13. April 1978 (Rechtssache État belge, Ministre des Finances/Bodson, Fr.,
A. und M.,
Pasicrisie belge 1978, 910). In diesem Sinne äußern sich z. B. A. Tiberghien u. a.,
Manuel de droit fiscal: 2000 , Verlag Larcier, 21. Auflage, Brüssel 2000, S. 68 und 69, sowie M. Dassesse und P. Minne,
Droit fiscal, principes généraux et impôts sur les revenus , Verlag Bruylant, 5. Auflage, Brüssel 2001, S. 58 und 59. Die Situation in Frankreich, wo die Lehre geteilter Meinung ist,
ist weniger klar (vgl. P. Marchesson,
L’interprétation des textes fiscaux , Verlag Economica, Paris 1980, S. 197 bis 234; L. Philip,
Dictionnaire encyclopédique des finances publiques , Verlag Economica, Paris 1991, Bd. II, S. 971 und 972; L. Trotabas und J. M. Cotteret,
Droit fiscal , Verlag Dalloz, 8. Auflage, Paris 1996, S. 272 und 273; F. Donet,
Contribution à l’étude de la sécurité juridique en droit fiscal interne français , Verlag L.G.D.J., Paris 1997, S. 157 bis 164; und M. Bouvier,
Introduction au droit fiscal général et la théorie de l’impôt , Verlag L.G.D.J., 5. Auflage, Paris 2003, S. 42 bis 47), bei einer Gelegenheit hat die Cour de Cassation jedoch bestätigt,
dass die Auslegung im Wege der Analogie im Steuerbereich nicht zulässig ist (Urteil vom 25. Oktober 1975, Bull. III Nr. 309,
234).