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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

M. POIARES MADURO

vom 16. Juni 2005(1)

Rechtssache C-200/04

Finanzamt Heidelberg

gegen

iSt internationale Sprach- und Studienreisen GmbH

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesfinanzhofs [Deutschland])

„Mehrwertsteuer – Sonderregelung für Reisebüros – Organisation internationaler Studienreisen“





1.     Mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen legt der Bundesfinanzhof (Deutschland) dem Gerichtshof die Frage vor, ob die Sonderregelung für Reisebüros nach Artikel 26 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage(2) (im Folgenden: Sechste Richtlinie) die Umsätze von Veranstaltern von Studienprogrammen, insbesondere Sprachprogrammen, im Ausland umfasst.

I –    Sachverhalt des Ausgangsverfahrens, einschlägige gemeinschaftliche und innerstaatliche Vorschriften und dem Gerichtshof vorgelegte Frage

2.     Die iSt internationale Sprach- und Studienreisen GmbH (im Folgenden: Klägerin oder iSt) ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die internationale Studien- und Sprachreisen veranstaltet und u. a. so genannte High-School- und College-Programme anbietet.

3.     Die High-School-Programme richten sich an Schüler im Alter von 15 bis 18 Jahren, die für drei, fünf oder zehn Monate eine High School oder eine vergleichbare Schule im Ausland – in erster Linie in anglophonen Ländern – besuchen wollen. Bewerber für ein solches Programm reichen ein Bewerbungsformular bei der Klägerin ein, die nach einem Bewerbungsgespräch über die Annahme der Bewerbung entscheidet.

4.     Die Klägerin schuldet den Teilnehmern die Verschaffung eines Schülerplatzes an der ausgewählten Schule, wo sie einem Mentor, einem Vertrauenslehrer, zugeteilt werden, der sie berät und unterstützt. Für die Dauer des Aufenthalts werden die teilnehmenden Schüler von Gastfamilien aufgenommen. Die Auswahl geeigneter Gastfamilien erfolgt mit Hilfe einer ortsansässigen Partnerorganisation der Klägerin. Ein Beauftragter dieser Organisation steht den Schülern auch als Ansprechpartner am Schul- und Wohnort der Gastfamilie zur Verfügung. Über diese ortsansässige Partnerorganisation können die Schüler auch während des Aufenthalts im Gastland an einer Rundreise mit Bus oder Flugzeug zu Sehenswürdigkeiten teilnehmen.

5.     Der Pauschalpreis eines High-School-Programms in den Vereinigten Staaten von Amerika umfasst z. B. Hinflug ab Frankfurt am Main in die USA und Rückflug mit Reiseleiter, Anschlussflüge innerhalb Deutschlands, Anschlussflüge innerhalb der USA bis zum Zielort und zurück, Wohnung und Verpflegung bei der Gastfamilie, Unterricht an der High School, Betreuung durch die Partnerorganisation und deren örtliche Mitarbeiter während des Aufenthalts, Vorbereitungstreffen, Vorbereitungsmaterial und Reiserücktrittsversicherung. Nicht im Pauschalpreis enthalten sind jedoch Taschengeld, Kranken-, Haftpflicht- und Unfallversicherung, die Gebühr für das Einreisevisum in die USA und die Teilnahme an einem Vorbereitungsseminar.

6.     Die College-Programme richten sich an Abiturienten. Die ortsansässige Partnerorganisation lässt für die Teilnehmer College-Plätze bereitstellen und sorgt dafür, dass die Teilnehmer für ein bis drei Trimester in das College aufgenommen werden. Die Partnerorganisation entrichtet auch die College-Gebühren aus den Beiträgen, die sie von der Klägerin zur Bezahlung der Leistungen erhält. Beim College-Programm werden die Teilnehmer in der Lehranstalt selbst untergebracht und verpflegt. Auch der Hin- und Rückflug ist anders geregelt als beim High-School-Programm. Der Teilnehmer bucht die Flüge selbst.

7.     Das Finanzamt Heidelberg (im Folgenden: Finanzamt) behandelte die Umsätze der Klägerin zunächst als Reiseleistungen im Sinne von § 25 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (im Folgenden: UStG), der die Besteuerung von Reiseleistungen regelt. Später, nach einer Buchprüfung, war das Finanzamt jedoch der Ansicht, dass keine Reiseleistungen vorlägen, sondern nach § 4 Nummer 23 UStG steuerfreie sonstige Leistungen erbracht würden.

8.     Nach der letztgenannten Vorschrift sind von der Mehrwertsteuer befreit „die Gewährung von Beherbergung, Beköstigung und der üblichen Naturalleistungen durch Personen und Einrichtungen, wenn sie überwiegend Jugendliche für Erziehungs-, Ausbildungs- oder Fortbildungszwecke oder für Zwecke der Säuglingspflege bei sich aufnehmen, soweit die Leistungen an die Jugendlichen oder an die bei ihrer Erziehung, Ausbildung, Fortbildung oder Pflege tätigen Personen ausgeführt werden. …“

9.     § 25 UStG über die Besteuerung von Reiseleistungen bestimmt:

„(1)      Die nachfolgenden Vorschriften gelten für Reiseleistungen eines Unternehmers, die nicht für das Unternehmen des Leistungsempfängers bestimmt sind, soweit der Unternehmer dabei gegenüber dem Leistungsempfänger im eigenen Namen auftritt und Reisevorleistungen in Anspruch nimmt. Die Leistung des Unternehmers ist als sonstige Leistung anzusehen. Erbringt der Unternehmer an einen Leistungsempfänger im Rahmen einer Reise mehrere Leistungen dieser Art, so gelten sie als eine einheitliche sonstige Leistung. Der Ort der sonstigen Leistung bestimmt sich nach § 3a Abs. 1. Reisevorleistungen sind Lieferungen und sonstige Leistungen Dritter, die den Reisenden unmittelbar zugute kommen.

(2)      Die sonstige Leistung ist steuerfrei, soweit die ihr zuzurechnenden Reisevorleistungen im Drittlandsgebiet bewirkt werden. ...

(3)      Die sonstige Leistung bemisst sich nach dem Unterschied zwischen dem Betrag, den der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, und dem Betrag, den der Unternehmer für die Reisevorleistungen aufwendet. ...

(4) Abweichend von § 15 Abs. 1 ist der Unternehmer nicht berechtigt, die ihm für die Reisevorleistungen gesondert in Rechnung gestellten Steuerbeträge als Vorsteuer abzuziehen. Im Übrigen bleibt § 15 unberührt. …“

10.   § 25 UStG soll Artikel 26 der Sechsten Richtlinie umsetzen, der eine „Sonderregelung für Reisebüros“ enthält und insoweit vorsieht:

„(1)      Die Mitgliedstaaten wenden die Mehrwertsteuer auf die Umsätze der Reisebüros nach den Vorschriften dieses Artikels an, soweit die Reisebüros gegenüber den Reisenden im eigenen Namen auftreten und für die Durchführung der Reise Lieferungen und Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch nehmen. Die Vorschriften dieses Artikels gelten nicht für Reisebüros, die lediglich als Vermittler handeln und auf die Artikel 11 Teil A Absatz 3 Buchstabe c anzuwenden ist. Im Sinne dieses Artikels gelten als Reisebüros auch Reiseveranstalter.

(2)      Die bei Durchführung der Reise vom Reisebüro erbrachten Umsätze gelten als eine einheitliche Dienstleistung des Reisebüros an den Reisenden. Sie wird in dem Mitgliedstaat besteuert, in dem das Reisebüro den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus es die Dienstleistung erbracht hat. Für diese Dienstleistung gilt als Besteuerungsgrundlage und als Preis ohne Steuer im Sinne des Artikels 22 Absatz 3 Buchstabe b die Marge des Reisebüros, das heißt die Differenz zwischen dem vom Reisenden zu zahlenden Gesamtbetrag ohne Mehrwertsteuer und den tatsächlichen Kosten, die dem Reisebüro durch die Inanspruchnahme von Lieferungen und Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger entstehen, soweit diese Umsätze dem Reisenden unmittelbar zugute kommen.

(3)      Werden die Umsätze, für die das Reisebüro andere Steuerpflichtige in Anspruch nimmt, von diesen außerhalb der Gemeinschaft erbracht, so wird die Dienstleistung des Reisebüros einer nach Artikel 15 Nummer 14 befreiten Vermittlungstätigkeit gleichgestellt. Werden diese Umsätze sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gemeinschaft erbracht, so ist nur der Teil der Dienstleistung des Reisebüros als steuerfrei anzusehen, der auf die Umsätze außerhalb der Gemeinschaft entfällt.

(4)      Beim Reisebüro ist der Vorsteuerabzug oder die Rückerstattung der Steuern in jedem Mitgliedstaat für die Steuern ausgeschlossen, die dem Reisebüro von anderen Steuerpflichtigen für die in Absatz 2 bezeichneten Umsätze in Rechnung gestellt werden, welche dem Reisenden unmittelbar zugute kommen.“

11.   Artikel 13 Teil A Absatz 1 der Sechsten Richtlinie bestimmt:

„(1)      Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:

i)      die Erziehung von Kindern und Jugendlichen, den Schul- oder Hochschulunterricht, die Ausbildung, die Fortbildung oder die berufliche Umschulung sowie die damit eng verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung;

…“

12.   Das Finanzamt lehnte die Margenbesteuerung nach § 25 UStG ab, beurteilte die Umsätze der Klägerin stattdessen als steuerfreie Umsätze nach § 4 Nummer 23 UStG, der keinen Vorsteuerabzug ermöglicht, und setze daraufhin die für die Jahre 1995 bis 1997 angemeldeten Vorsteuerüberschüsse herab.

13.   Die Klägerin focht diese Entscheidung beim Finanzgericht an, das der Klage stattgab. Das Finanzamt legte gegen das Urteil des Finanzgerichts Revision beim Bundesfinanzhof ein, der beschlossen hat, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften folgende Frage vorzulegen:

Gilt die Sonderregelung für Reisebüros in Artikel 26 der Richtlinie 77/388/EWG auch für Umsätze eines Veranstalters von so genannten „High-School-Programmen“ und „College-Programmen“ mit Auslandsaufenthalt von drei bis zehn Monaten, die den Teilnehmern im eigenen Namen angeboten werden und für deren Durchführung Leistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch genommen werden?

II – Analyse

14.   Artikel 26 der Sechsten Richtlinie enthält eine Mehrwertsteuer-Sonderregelung für Reisebüros und Reiseveranstalter, zu der sich der Gerichtshof bereits geäußert hat, insbesondere um ihren Anwendungsbereich zu definieren und die Wirtschaftsteilnehmer zu bestimmen, für die sie gilt(3).

15.   Die Aufnahme dieser Steuer-Sonderregelung in die Sechste Richtlinie ist darauf zurückzuführen, dass sich die von Reisebüros und Reiseveranstaltern erbrachten Dienstleistungen regelmäßig aus mehreren Leistungen (z. B. Beförderungs- und Unterbringungsleistungen) zusammensetzen, die teils in dem Mitgliedstaat, in dem das betreffende Unternehmen den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, teils außerhalb dieses Mitgliedstaats erbracht werden. Insoweit würde die Anwendung der allgemeinen Bestimmungen über den Ort der Besteuerung, die Besteuerungsgrundlage und den Vorsteuerabzug bei diesen Unternehmen zu praktischen Schwierigkeiten führen, denn diese würden aufgrund der Vielzahl und der Lokalisierung der erbrachten Leistungen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit behindert(4).

16.   Artikel 26 soll daher die Mehrwertsteuervorschriften dem besonderen Wesen der Tätigkeit von Reiseveranstaltern anpassen(5). Er sieht zu diesem Zweck eine Steuersonderregelung vor, die eine angemessene Besteuerung von Reiseleistungen ermöglicht und keineswegs eine Befreiungsregelung darstellt.

17.   Dieser Fall ist somit für Personen, die mit dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem nicht vertraut und insbesondere hinsichtlich der Feinheiten des Steuerabzugssystems weniger aufmerksam sind, zunächst überraschend. Der Standpunkt der deutschen Regierung, die wie das Finanzamt die Ansicht vertritt, dass die Tätigkeit der iSt unter die Mehrwertsteuerbefreiungsregelung falle, ist in der Tat nicht einleuchtend. Die Steuerpflichtige lehnt diese Ansicht hingegen ab, da sie der Meinung ist, dass ihre Umsätze nach Artikel 26 der Mehrwertsteuer unterlägen.

18.   In der folgenden Analyse gehe ich davon aus, dass die Auffassung der deutschen Regierung angesichts der Auslegung des Artikels 26, die der Gerichtshof insbesondere in den Urteilen Van Ginkel und Madgett und Baldwin vorgenommen hat, nicht haltbar ist.

19.   Artikel 26 darf zwar, da er eine von der allgemeinen Regelung der Sechsten Richtlinie abweichende Steuersonderregelung vorsieht, nur angewandt werden, wenn dies zur Erreichung der damit verfolgten Ziele erforderlich ist(6).

20.   In der Rechtssache Van Ginkel wird jedoch im Rahmen einer Auslegung, die auf die bereits dargelegte Ratio des Artikels 26 abstellt(7), ausgeführt, dass es nicht zum Ausschluss der Leistungen eines Unternehmens vom Anwendungsbereich des Artikels 26 führt, wenn dieses nicht die Beförderung des Reisenden übernimmt, sondern sich darauf beschränkt, ihm eine Unterkunft zur Verfügung zu stellen(8). Die Auslegung des Artikels 26 ergibt sich nach Ansicht des Gerichtshofes also aus den mit dieser Vorschrift verfolgten Zielen(9).

21.   Ebenfalls im Sinne dieser Auslegung hat der Gerichtshof in der Rechtssache Madgett und Baldwin ausdrücklich festgestellt, dass sich die Sonderregelung für Reisebüros nicht auf Wirtschaftsteilnehmer beschränken kann, die die formale Qualifikation als „Reisebüro“ oder „Reiseveranstalter“ besitzen. Er hat anschließend festgestellt, dass die fragliche Regelung auf einen Hotelbesitzer anwendbar ist, der seinen Kunden für gewöhnlich gegen Bezahlung eines bestimmten Betrages über die Unterbringung hinaus die Beförderung von bestimmten weit entfernten Abholstellen zum Hotel und zurück sowie während des Hotelaufenthalts Busreisen anbietet(10).

22.   Nach dieser Rechtsprechung fällt jeder Steuerpflichtige, der im eigenen Namen Reiseleistungen verkauft und zu diesem Zweck Lieferungen und Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch nimmt, unter Artikel 26 der Sechsten Richtlinie. Tritt ein Wirtschaftsteilnehmer hingegen nur als Vermittler auf, so gilt die Sonderregelung des Artikels 26 nicht, und die erbrachten Dienstleistungen sind nach den allgemeinen Mehrwertsteuerregeln zu besteuern, die für die Besteuerung der von Vermittlern erbrachten Dienstleistungen gelten(11).

23.   Es gilt herauszufinden, welches Kriterium bei der Feststellung zugrunde zu legen ist, ob die Regelung des Artikels 26 der Sechsten Richtlinie auf einen Wirtschaftsteilnehmer anwendbar ist, der im eigenen Namen mit Reisen verbundene Dienstleistungen zusammen mit anderen Dienstleistungen erbringt, die, wie z. B. Ausbildungsdienstleistungen, zunächst keine Reiseleistungen darstellen.

24.   Im Urteil Madgett und Baldwin, das ausdrücklich dem von Generalanwalt Léger in seinen Schlussanträgen in dieser Rechtssache dargelegten Ansatz folgt, wird die Unterscheidung zwischen Nebenleistungen und Hauptleistungen oder der Hauptleistung gleichwertigen Leistungen des Wirtschaftsteilnehmers als insoweit maßgebendes Kriterium verwendet(12).

25.   Der Gerichtshof hat nämlich festgestellt, dass es Wirtschaftsteilnehmer gibt, die mit Reisen verbundene Dienstleistungen erbringen und zu diesem Zweck bei Dritten bezogene Leistungen in Anspruch nehmen, die aber nur akzessorischen Charakter haben. Insoweit führt Generalanwalt Léger in seinen Schlussanträgen in einem Abschnitt, auf den das Urteil ausdrücklich verweist(13), aus, dass „eine Leistung als Nebenleistung anzusehen [ist], wenn sie zum einen zur ordnungsgemäßen Ausführung der Hauptleistung beiträgt und zum anderen im Vergleich zu dieser nur einen minimalen Teil des Pauschalpreises ausmacht. Sie stellt für die Kundschaft keinen eigenen Zweck oder eine als solche erstrebte Leistung dar, sondern das Mittel, um die Hauptleistung unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen“(14). Genau dies ist „zum Beispiel der Fall, wenn ein Hotel im örtlichen Bereich Beförderungen durchführt, um seine Kunden nach nahe gelegenen Bestimmungsorten zu bringen“(15).

26.   Mit Reisen verbundene Dienstleistungen, die die Wirtschaftsteilnehmer ebenfalls gewöhnlich im eigenen Namen erbringen und für deren Durchführung sie bei Dritten bezogene Leistungen in Anspruch nehmen, die sich jedoch erheblich auf den vom Reisenden zu zahlenden Gesamtbetrag auswirken und deren Gegenstand aus der Sicht der Kunden nicht als Nebenleistung qualifiziert werden kann, sind hingegen keine Nebenleistungen(16).

27.   Unter Zugrundelegung dieses Kriteriums hat der Gerichtshof im Urteil Madgett und Baldwin ausgeführt: „Bietet jedoch ein Hotelier seinen Kunden neben der Unterbringung regelmäßig auch Leistungen an, die über traditionelle Aufgaben der Hoteliers hinausgehen und deren Erbringung nicht ohne spürbare Auswirkung auf den Pauschalpreis bleiben kann, wie etwa die Anreise zum Hotel von weit entfernten Abholstellen aus, so können solche Leistungen nicht reinen Nebenleistungen gleichgestellt werden.“(17) Artikel 26 der Sechsten Richtlinie ist somit auf einen Hotelier anwendbar, der „seinen Kunden gegen Zahlung eines Pauschalpreises neben der Unterkunft regelmäßig auch die Beförderung von bestimmten weit entfernten Abholstellen zum Hotel und zurück sowie während des Aufenthalts eine Busreise bietet, wobei die Transportdienstleistungen von Dritten bezogen werden“(18).

28.   Nach diesem im Urteil Madgett und Baldwin festgelegten Qualifizierungskriterium ist iSt als Reisebüro im Sinne von Artikel 26 der Sechsten Richtlinie anzusehen. Denn selbst wenn man davon ausgeht, dass iSt ihren Kunden gegenüber tatsächlich Ausbildungsdienstleistungen erbringt, so kann doch entsprechend dem im Urteil Madgett und Baldwin angewandten Kriterium die Reiseleistung nicht ohne „spürbare Auswirkung auf den Pauschalpreis“ bleiben, den der Kunde zu zahlen hat. Es ist daher offensichtlich, dass die eigentliche Reise einschließlich der im Gastland organisierten Beförderung und Unterbringung von den Kunden nicht als Nebenleistung mit nur marginaler Bedeutung im Verhältnis zu den fraglichen Ausbildungsdienstleistungen angesehen werden kann, die iSt den Kunden gegenüber ebenfalls erbringt.

29.   Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Zweifel des vorlegenden Gerichts hinsichtlich der Anwendbarkeit des Artikels 26 auf den vorliegenden Fall im Wesentlichen durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes zu Schüleraustauschprogrammen im Rahmen der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen(19) hervorgerufen wurden. Es stellt sich daher die Frage, ob an der – vorstehend dargestellten – Art und Weise, wie die unter die Regelung des Artikels 26 der Sechsten Richtlinie fallenden Tätigkeiten zu bestimmen sind, im Hinblick auf die jüngere Rechtsprechung des Gerichtshofes in diesem anderen parallelen Bereich und insbesondere im Hinblick auf das Urteil AFS Intercultural Programs Finland(20) etwas geändert werden muss.

30.   In diesem Urteil hat der Gerichtshof festgestellt, dass aus einem etwa halb- oder einjährigen Schüleraustausch bestehende Reisen, die bezwecken, dass der Schüler im Gastland eine Schule besucht, um dessen Bevölkerung und Kultur kennenzulernen, und in deren Rahmen der Schüler unentgeltlich bei einer Gastfamilie wie ein Familienmitglied untergebracht ist, keine Pauschalreisen im Sinne der Richtlinie 90/314 sind(21).

31.   Diese Rechtsprechung ist offensichtlich für die Beantwortung der zentralen Frage des vorliegenden Falles nicht von Nutzen, bei der es, wie bereits gesagt, einfach darum geht, ob die Reisedienstleistungen von iSt im Verhältnis zu anderen von ihr erbrachten Leistungen im Rahmen ihrer Tätigkeiten lediglich Nebenleistungen darstellen.

32.   Hinzu kommt, dass Artikel 26 ganz andere Ziele verfolgt als die Richtlinie 90/314, insbesondere das Ziel, zu verhindern, dass das gemeinsame Mehrwertsteuersystem die Ausübung der Tätigkeiten von Reisebüros beeinträchtigt.

33.   Eine enge Auslegung des Artikels 26 in dem Sinne, dass er nur für Wirtschaftsteilnehmer gilt, die im eigenen Namen „Reisen“ im Sinne der Richtlinie 90/314 anbieten, ist daher nicht gerechtfertigt(22). Ich weise insoweit darauf hin, dass eine solche Auslegung des Artikels 26 mit dem Urteil Van Ginkel unvereinbar wäre, in dem der Gerichtshof festgestellt hat, dass Artikel 26 auch dann anwendbar ist, wenn der Anbieter keine eigentlichen Reiseleistungen – d. h. Leistungen, die die Beförderung der Kunden einschließen – anbietet, sondern nur die Unterbringung(23).

34.   Auch der Zweck und die Dauer der Reisen, die der Anbieter organisiert und im eigenen Namen anbietet, wobei er zu diesem Zweck bei Dritten bezogene Leistungen in Anspruch nimmt, spielen meiner Ansicht nach für die Qualifizierung der Klägerin als Reisebüro im Sinne von Artikel 26 keine Rolle. Der Umstand, dass der Auslandsaufenthalt wie im vorliegenden Fall letztlich der Ausbildung, insbesondere dem Erlernen der englischen Sprache, dient, darf sich nicht auf die Qualifizierung der Klägerin als Reisebüro im Sinne von Artikel 26 auswirken. Hiermit wird der Auffassung der deutschen Regierung widersprochen, für die iSt eine Tätigkeit sui generis ausübt, die wegen des Ausbildungszwecks und der Dauer der den Kunden angebotenen Reisen nicht unter Artikel 26 fällt.

35.   Meiner Ansicht nach ist es eindeutig nicht ratsam, zwischen Wirtschaftsteilnehmern, die Reisen organisieren und unter die Regelung des Artikels 26 fallen, und anderen Wirtschaftsteilnehmern, für die diese Regelung wegen des Zweckes und der Dauer der Reisen nicht gilt, zu unterscheiden. Es gibt neben reinen Vergnügungsreisen eine riesige Vielfalt von Reisen je nach ihrem Zweck. Außer an Reisen zum Erlernen der Sprache und der Kultur des jeweiligen Ortes braucht man nur an Reisen zu denken, bei denen Aufenthalte zur Ausübung sportlicher Aktivitäten, für Thermal- oder Anti-Stress-Behandlungen, für Kochkurse und Weinverköstigungen oder auch, um eine Gruppe von Musikern für eine mehr oder weniger lange Zeit für die Aufführung eines bestimmten Repertoires zusammenzubringen, organisiert werden. Wären die Dauer und die Zwecke der Reisen ins Ausland und der Aufenthalte dort maßgebend, so würde bei der Bestimmung der Tragweite des Begriffes „Reisebüro“ im Sinne von Artikel 26 der Sechsten Richtlinie ein großes Maß an Unsicherheit herrschen.

36.   Die Anwendung dieses Kriteriums hätte keinen Bezug zum Wortlaut des Artikels 26 (wo von der Dauer und dem Zweck der Reisen keine Rede ist) und wäre auch mit den Zielen der darin enthaltenen Sonderregelung unvereinbar. Letztlich lässt sich die Berücksichtigung der Zwecke und der Dauer der Reise nur schwer mit der Idee der Vereinfachung vereinbaren, die dem Erlass der Regelung des Artikels 26 zugrunde liegt. Den Vereinfachungsbestrebungen, die auf der Tatsache beruhen, dass sich die Tätigkeit von Reisebüros an mehreren Orten abspielt, und die der Grund für den Erlass der Regelung über die Margenbesteuerung des Artikels 26 sind, wird im vorliegenden Fall vielmehr gerade dadurch entsprochen, dass davon ausgegangen wird, dass iSt unter Artikel 26 fällt(24).

37.   Eine Begrenzung der Tragweite des Begriffes „Reisebüro“ im Sinne von Artikel 26 nach dem Zweck der erbrachten Reiseleistungen wäre jedenfalls mit einer auf objektiven Kriterien beruhenden Prüfung nicht vereinbar, wie sie bei einer Steuer mit eindeutig objektivem Charakter wie der Mehrwertsteuer zweifellos erforderlich ist(25).

38.   Nur durch eine autonome und nicht restriktive Auslegung des Begriffes „Reisebüro“ auf der Grundlage eines objektiven Kriteriums, wie es der Gerichtshof im Urteil Madgett und Baldwin ausdrücklich festgelegt hat und das nicht auf die Zwecke und die Dauer der Reise abstellt, können eine Verzerrung des Wettbewerbs zwischen Wirtschaftsteilnehmern verhindert und eine einheitliche Anwendung der Sechsten Richtlinie gewährleistet werden(26).

39.   Ich weise abschließend darauf hin, dass Artikel 26 eine angemessene Besteuerung von Reiseleistungen vorsieht. Es handelt sich um eine Sonderregelung im Verhältnis zur allgemeinen Steuerregelung, nicht jedoch um eine Befreiung von der Mehrwertsteuer.

40.   Angesichts des Vorstehenden ist die von der deutschen Regierung vorgeschlagene Auslegung, nach der die Tätigkeit der iSt zu den nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe i der Sechsten Richtlinie steuerbefreiten Leistungen zu zählen ist, mit der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes zur Auslegung der Vorschriften der Sechsten Richtlinie über Steuerbefreiungen unvereinbar.

41.   Die Klägerin ist nämlich ein Wirtschaftsunternehmen, und es sieht nicht so aus, als wäre sie vollständig eine „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ oder eine Einrichtung mit vergleichbarem Status im Sinne von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe i der Sechsten Richtlinie. Die Anwendung der durch diese Befreiungsregelung gewährten Vergünstigung auf iSt würde daher eine Auslegung dieser Regelung voraussetzen, die mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes von vornherein unvereinbar ist, wonach „die Begriffe, mit denen die Steuerbefreiungen nach Artikel 13 der Sechsten Richtlinie umschrieben sind, eng auszulegen sind, da sie Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Umsatzsteuer unterliegt“(27).

III – Ergebnis

42.   Aufgrund dieser Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Bundesfinanzhof vorgelegte Frage wie folgt zu beantworten:

Artikel 26 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 ist dahin auszulegen, dass er auch für Umsätze eines Veranstalters von so genannten „High-School-Programmen“ und „College-Programmen“ mit Auslandsaufenthalt von drei bis zehn Monaten gilt, die den Teilnehmern im eigenen Namen angeboten werden und für deren Durchführung Leistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch genommen werden.


1 – Originalsprache: Portugiesisch.


2 – ABl. L 145, S. 1.


3 – Vgl. insbesondere Urteile vom 12. November 1992 in der Rechtssache C-163/91 (Van Ginkel, Slg. 1992, I-5723) und vom 22. Oktober 1998 in den Rechtssachen C-308/96 und C-94/97 (Madgett und Baldwin, Slg. 1998, I-6229).


4 – Vgl. Urteile Van Ginkel, Randnrn. 13 und 14, Madgett und Baldwin, Randnr. 18, und vom 19. Juni 2003 in der Rechtssache C-149/01 (First Choice Holidays, Slg. 2003, I-6289, Randnrn. 23 und 24).


5 – Urteile Van Ginkel, Randnrn. 15 und 23, Madgett und Baldwin, Randnr. 18, und First Choice Holidays, Randnr. 23.


6 – Urteile First Choice Holidays, Randnr. 22, und Madgett und Baldwin, Randnr. 34.


7 – Siehe oben, Nrn. 15 und 16.


8 – Urteil Van Ginkel, Randnr. 27.


9 – Der Gerichtshof führt im Urteil Van Ginkel, Randnr. 23, aus: „Würden vom Anwendungsbereich des Artikels 26 der Sechsten Richtlinie Leistungen eines Reiseveranstalters ausgeschlossen, die nur die Unterkunft und nicht die Beförderung des Reisenden umfassten, so führte das zu einer komplexen steuerlichen Regelung, in der die anwendbaren Mehrwertsteuervorschriften davon abhingen, welche Bestandteile die dem Reisenden angebotenen Leistungen umfassten. Eine solche Steuerregelung widerspräche den Zielen der Richtlinie.“


10 – Urteil Madgett und Baldwin, Randnr. 20: „Die Gründe, auf denen die Sonderregelung für Reisebüros und Reiseveranstalter beruht, gelten auch für den Fall, dass der Wirtschaftsteilnehmer kein Reisebüro oder Reiseveranstalter im üblichen Wortsinn ist, sondern gleichartige Umsätze im Rahmen einer anderen Tätigkeit, wie derjenigen eines Hoteliers, tätigt.“


11 – In diesem Sinne siehe auch die Begründung der Kommission im Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG bezüglich der Sonderregelung für Reisebüros (KOM[2002] 64 endg., ABl. C 126 E, S. 392). Diese Ansicht wird in dem neuen Vorschlag für eine Richtlinie, den die Kommission am 8. Februar 2002 vorgelegt hat, nochmals klar bestätigt. Die Kommission schlägt vor, dem aktuellen Artikel 26, in dem es heißt, es „gelten als Reisebüros auch Reiseveranstalter“, hinzuzufügen: „sowie jeder andere Steuerpflichtige, die Reisedienstleistungen nach denselben Bedingungen erbringen“.


12 – Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Léger in der Rechtssache Madgett und Baldwin, Nrn. 34 bis 38.


13 – Madgett und Baldwin, Randnr. 24


14 – Schlussanträge des Generalanwalts Léger in der Rechtssache Madgett und Baldwin, Nr. 36.


15 – A. a. O., Nr. 37.


16 – A. a. O., Nr. 38.


17 – Madgett und Baldwin, Randnr. 26, Hervorhebung von mir.


18 – A. a. O., Randnr. 27.


19 – ABl. L 158, S. 59.


20 – Urteil vom 11. Februar 1999 in der Rechtssache C-237/97 (AFS Intercultural Programs Finland, Slg. 1999, I-825).


21 – A. a. O., Randnr. 33 und Tenor.


22 – Nach meiner Ansicht lässt sich jedenfalls aus dem Urteil AFS nicht herleiten, dass davon auszugehen ist, dass iSt keine Reiseleistungen im Sinne der Richtlinie 90/314 erbringt. Wie die Klägerin in ihren schriftlichen Erklärungen zu Recht geltend macht, ist sie anders als der Verein, um den es im Urteil AFS Intercultural Programs Finland ging, kein gemeinnütziger Verein.


23 – Randnr. 24.


24 – Nach dem Vorlagebeschluss organisiert iSt Reisen, die sie ihren Kunden im eigenen Namen anbietet und die die Beförderung zum Zielort und die Aufnahme in den Lehreinrichtungen und Familien umfassen. Die Klägerin tritt nicht als Vermittlerin der Fluggesellschaften oder der Partnerorganisation im Zielland auf, führt die wesentlichen erbrachten Leistungen aber an verschiedenen Orten durch, was im Licht der Ratio des Artikels 26 dessen Anwendung in vollem Umfang rechtfertigt.


25 – Einer der Grundsätze, auf denen das Mehrwertsteuersystem beruht, ist der der Beseitigung von Faktoren, die Wettbewerbsverzerrungen auf nationaler und gemeinschaftlicher Ebene verursachen können. Wie nämlich Generalanwalt Léger in Nr. 32 seiner Schlussanträge in der Rechtssache Madgett und Baldwin, auf die das betreffende Urteil in Randnr. 22 ausdrücklich verweist, gerade ausführt, „[lassen sich d]iese Wettbewerbsverzerrungen … vermeiden, wenn Artikel 26 so ausgelegt wird, dass er vergleichbare Tätigkeiten nach objektiven Kriterien und nicht nach der vorher bestimmten Zuordnung eines Wirtschaftsteilnehmers zu einer Berufsgruppe erfasst, der möglicherweise einen Großteil seiner Tätigkeit auf die Erbringung von Dienstleistungen verwendet, die zu einer anderen Berufsgruppe gehören“ (Hervorhebung von mir).


26 – Vgl. insoweit Urteil Madgett und Baldwin, Randnr. 22, und Schlussanträge von Generalanwalt Léger in dieser Rechtssache, Nr. 32.


27 – Urteile vom 15. Juni 1989 in der Rechtssache 348/87 (Stichting Uitvoering Financiële Acties, Slg. 1989, 1737, Randnr. 13), vom 5. Juni 1997 in der Rechtssache C-2/95 (SDC, Slg. 1997, I-3017, Randnr. 20) und in jüngerer Zeit vom 3. März 2005 in der Rechtssache C-472/03 (Arthur Andersen, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 24).