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SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 10. November 2005(1)

Rechtssache C-245/04

EMAG Handel Eder OHG

gegen

Finanzlandesdirektion für Kärnten

(Vorabentscheidungsersuchen des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs)

„Mehrwertsteuer – Sechste Richtlinie – innergemeinschaftlicher Erwerb – Reihengeschäft“





I –    Einleitung

1.     Im vorliegenden Fall sind Fragen der Auslegung der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage, 77/388/EWG(2) (im Folgenden: Sechste Richtlinie), zu beantworten, die die Besteuerung so genannter Reihengeschäfte betreffen. Bei derartigen Geschäften schließen mehrere Unternehmen aus zwei oder mehr Mitgliedstaaten nacheinander Kaufverträge über dieselbe Ware ab, die dann durch eine einzige Warenbewegung vom ersten Lieferanten zum letzten Abnehmer erfüllt werden.

2.     Im Ausgangsverfahren vor dem österreichischen Verwaltungsgerichtshof streitet sich der Endabnehmer eines Reihengeschäfts mit der Finanzverwaltung um die Anerkennung der an den Zwischenhändler entrichteten Mehrwertsteuer im Rahmen des Vorsteuerabzugs. Vorsteuerabzug wird bei steuerpflichtigen inländischen Lieferungen gewährt, nicht aber bei steuerbefreiten innergemeinschaftlichen (grenzüberschreitenden) Lieferungen. Die Finanzverwaltung ist der Ansicht, dass die Beteiligten die Lieferung an den Endabnehmer zu Unrecht als steuerpflichtige inländische Lieferung behandelt haben.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Gemeinschaftsrecht

3.     Nach Artikel 2 der Sechsten Richtlinie unterliegt die Lieferung von Gegenständen der Mehrwertsteuer, wobei Steuerpflichtiger nach Artikel 4 Absätze 1 und 2 der selbständige Händler ist, der die Lieferung erbringt.

4.     Für die Bestimmung des Ortes des steuerbaren Umsatzes stellt Artikel 8 folgende Regeln auf:

„(1) Als Ort der Lieferung gilt

a)      für den Fall, dass der Gegenstand vom Lieferer, vom Erwerber oder von einer dritten Person versandt oder befördert wird, der Ort, an dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung an den Erwerber befindet …;

b)      für den Fall, dass der Gegenstand nicht versandt oder befördert wird, der Ort, an dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt der Lieferung befindet;

(2) Liegt der Ort, von dem aus der Gegenstand versandt oder befördert wird, in einem Drittlandsgebiet, so gelten abweichend von Absatz 1 Buchstabe a) der Ort der Lieferung, die durch den Importeur im Sinne des Artikels 21 Absatz 4 bewirkt wird, sowie der Ort etwaiger nachfolgender Lieferungen als in dem Mitgliedstaat gelegen, in den die Gegenstände eingeführt werden.“

5.     Mit der Richtlinie 91/680 des Rates vom 16. Dezember 1991(3) wurde in die Sechste Richtlinie ein neuer Abschnitt XVIa (Übergangsregelung für die Besteuerung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten; Artikel 28a bis 28m) eingefügt. Diese Bestimmungen sind nach wie vor maßgeblich, da bisher noch keine endgültige Regelung der Besteuerung des unternehmerischen Warenverkehrs für den Handel zwischen den Mitgliedstaaten ergangen ist.

6.     Artikel 28a der Sechsten Richtlinie lautet auszugsweise

„(1)      Der Mehrwertsteuer unterliegen auch

a)      der innergemeinschaftliche Erwerb von Gegenständen, der gegen Entgelt im Inland durch einen Steuerpflichtigen, der als solcher handelt, oder aber durch eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt wird, wenn der Verkäufer ein Steuerpflichtiger ist und als solcher handelt und für ihn die Steuerbefreiung gemäß Artikel 24 nicht gilt und er nicht unter Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a Satz 2 oder Artikel 28b Teil B Absatz 1 fällt.

(3)      Als innergemeinschaftlicher Erwerb eines Gegenstands gilt die Erlangung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen beweglichen körperlichen Gegenstand zu verfügen, welcher durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung befand, an den Erwerber versendet oder befördert wird.“

7.     Artikel 28b Teil A der Sechsten Richtlinie regelt den Ort der Umsätze. Die Vorschrift lautet auszugsweise:

„(1)      Als Ort eines innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen gilt der Ort, in dem sich die Gegenstände zum Zeitpunkt der Beendigung des Versands oder der Beförderung an den Erwerber befinden.

(2)      Unbeschadet des Absatzes 1 gilt jedoch als Ort eines innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen im Sinne des Artikels 28a Absatz 1 Buchstabe a) das Gebiet des Mitgliedstaats, der dem Erwerber die von ihm für diesen Erwerb verwendete Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erteilt hat, sofern der Erwerber nicht nachweist, dass dieser Erwerb nach Maßgabe der Regelung in Absatz 1 besteuert worden ist.

…“

8.     Nach Artikel 28c Teil A der Sechsten Richtlinie sind innergemeinschaftliche Lieferungen zwischen zwei Mitgliedstaaten von der Steuer befreit. Die Bestimmung lautet auszugsweise:

„Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsbestimmungen befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch festlegen:

a)      die Lieferungen von Gegenständen im Sinne des Artikels 5, die durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb des in Artikel 3 bezeichneten Gebietes, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden, wenn diese Lieferungen an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt werden, der/die als solcher/solche in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns des Versands oder der Beförderung der Gegenstände handelt.

…“

B –    Nationales Recht

9.     Die im Ausgangsverfahren maßgeblichen nationalen Vorschriften finden sich im österreichischen Umsatzsteuergesetz 1994 in der Fassung vor dem Steuerreformgesetz 2000(4) (UStG).

10.   § 3 Absätze 1, 7 und 8 UStG 1994 lautet:

„(1) Lieferungen sind Leistungen, durch die ein Unternehmer den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen. Die Verfügungsmacht über den Gegenstand kann von dem Unternehmer selbst oder in dessen Auftrag durch einen Dritten verschafft werden.

(7)      Eine Lieferung wird dort ausgeführt, wo sich der Gegenstand zur Zeit der Verschaffung der Verfügungsmacht befindet.

(8)      Wird der Gegenstand einer Lieferung an den Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten befördert oder versendet, so gilt die Lieferung mit dem Beginn der Beförderung oder mit der Übergabe des Gegenstandes an den Spediteur, Frachtführer oder Verfrachter als ausgeführt. Versenden liegt vor, wenn der Unternehmer einen Gegenstand durch einen Frachtführer oder Verfrachter zu einem Dritten befördern oder eine solche Beförderung durch einen Spediteur besorgen lässt.“

11.   Mit dem Steuerreformgesetz 2000 wurde § 3 Absatz 8 UStG 1994 – nach den Erläuterungen des Gesetzgebers um die Bestimmung an Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie anzupassen – geändert und lautet seither wie folgt:

„Wird der Gegenstand der Lieferung durch den Lieferer oder den Abnehmer befördert oder versendet, so gilt die Lieferung dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten beginnt. Versenden liegt vor, wenn der Gegenstand durch einen Frachtführer oder Verfrachter befördert oder eine solche Beförderung durch einen Spediteur besorgt wird. Die Versendung beginnt mit der Übergabe des Gegenstandes an den Spediteur, Frachtführer oder Verfrachter.“

12.   Die für den Vorsteuerabzug maßgebliche Bestimmung des § 12 UStG 1994 lautet auszugsweise:

„(1)      Der Unternehmer kann die folgenden Vorsteuerbeträge abziehen:

1.      Die von anderen Unternehmern in einer Rechnung (§ 11) an ihn gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die im Inland für sein Unternehmen ausgeführt worden sind ...“.

III – Sachverhalt und Vorlagefragen

13.            In den Jahren 1996 und 1997 verkaufte die in Österreich ansässige K GmbH im Rahmen von Jahresverträgen eine bestimmte Menge Hüttenweichblei pro Monat „frei Arnoldstein, EG-verzollt, versteuert mit LKW“ an die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens, die EMAG Handel Eder OHG, die ebenfalls in Österreich niedergelassen ist. Die K ihrerseits kaufte das Hüttenweichblei von in Italien und den Niederlanden ansässigen Gesellschaften. Die Ware war jeweils in Zolllagern in Rotterdam bzw. Triest gelagert. Von dort verbrachte sie ein von der K beauftragter Spediteur zu dem Bestimmungsort bei der EMAG bzw. bei den Abnehmern der EMAG. Die K stellte der EMAG die Lieferungen mit Ausweis von 20 % Mehrwertsteuer in Rechnung. Das Finanzamt verweigerte der EMAG aber den Vorsteuerabzug. Nach Ansicht des Finanzamts habe die K der EMAG die Mehrwertsteuer zu Unrecht in Rechnung gestellt, da der Vorgang aufgrund des Warentransports aus Italien bzw. den Niederlanden an die EMAG als eine steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung anzusehen sei.

14.   Dagegen wandte sich die EMAG und vertrat die Auffassung, dass die Lieferung durch den Spediteur aus den Niederlanden bzw. Italien nach Österreich allein auf Veranlassung der K erfolgt sei. Also liege nur im Verhältnis zwischen der K und ihrem Lieferanten eine Lieferung aus einem anderen Mitgliedstaat vor. Bei der anschließenden Lieferung von der K an die EMAG handele es sich dagegen um eine steuerpflichtige inländische Lieferung, so dass der Vorsteuerabzug zu gewähren sei.

15.   Die Finanzlandesdirektion Kärnten wies die Berufung der EMAG als unbegründet ab. Nach ihrer Auffassung liegt gemäß § 3 Absatz 8 UStG 1994 der Ort für die steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferungen in den Niederlanden bzw. in Italien, weil die Ware jeweils in Rotterdam bzw. Triest an die Frachtführer übergeben und von diesen zur EMAG nach Österreich transportiert wurde.

16.   Dieser Bescheid der Finanzlandesdirektion Kärnten ist Gegenstand des Verfahrens vor dem österreichischen Verwaltungsgerichtshof. Der Verwaltungsgerichtshof hat dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Ist Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a erster Satz der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage, 77/388/EWG, so auszulegen, dass der Ort des Beginns der Versendung oder Beförderung auch dann maßgeblich ist, wenn mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand ein Liefergeschäft abschließen und die mehreren Liefergeschäfte mit einer einzigen Warenbewegung erfüllt werden?

2.      Können mehrere Lieferungen als steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferungen angesehen werden, wenn mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand ein Liefergeschäft abschließen und die mehreren Liefergeschäfte mit einer einzigen Warenbewegung erfüllt werden?

3.      Falls Frage 1 zu bejahen ist, gilt als Ort des Beginns der zweiten Lieferung der tatsächliche Abgangsort des Gegenstandes oder der Ort, an dem die erste Lieferung endet?

4.      Ist es für die Beantwortung der Fragen 1 bis 3 von Bedeutung, in wessen Verfügungsmacht sich der Gegenstand während der Warenbewegung befindet?

IV – Vorbringen der Beteiligten

17.   Im Verfahren vor dem Gerichtshof haben die EMAG, die österreichische, die britische und die italienische Regierung sowie die Kommission Stellung genommen. Sämtliche Beteiligte sind der Auffassung, dass bei Reihengeschäften nur eine Lieferung als steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung angesehen werden kann. Ebenfalls herrscht im Ergebnis Einigkeit, dass vorliegend im Verhältnis der niederländischen bzw. italienischen Vorlieferanten zur K eine innergemeinschaftliche Lieferung im Sinne der Sechsten Richtlinie vorliege, folglich im Verhältnis zur EMAG keine innergemeinschaftliche Lieferung mehr in Betracht komme.

18.   Jedoch äußern sich die Beteiligten unterschiedlich zur abstrakten Beantwortung der Vorlagefragen. Während die EMAG und die britische Regierung meinen, dass bei Reihengeschäften immer die erste Lieferung die befreite innergemeinschaftliche Lieferung darstellt, sind die österreichische und die italienische Regierung sowie die Kommission der Auffassung, dass die Umstände des Einzelfalles maßgeblich sind dafür, welche der Lieferungen im Einzelfall als befreite innergemeinschaftliche Lieferung anzusehen ist.

V –    Rechtliche Würdigung

A –    Vorbemerkung zu den Regeln über die Besteuerung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten

19.   Im Inland unterliegt die Lieferung eines Gegenstands der Mehrwertsteuer (Artikel 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie). Bei Waren, die aus Drittstaaten an Abnehmer in der Gemeinschaft geliefert werden, bildet hingegen nicht die Lieferung, sondern die Einfuhr in die Gemeinschaft den maßgeblichen Steuertatbestand (Artikel 2 Nr. 2 und Artikel 7 der Sechsten Richtlinie).

20.   Für den grenzüberschreitenden innergemeinschaftlichen Handel ist durch die Übergangsregelung über die Besteuerung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten (Abschnitt XVIa) durch die Richtlinie 91/680 ein weiterer Steuertatbestand eingeführt worden, der innergemeinschaftliche Erwerb. Zum besseren Verständnis dieser noch immer geltenden Regeln ist ein kurzer Rückblick aufschlussreich.

21.   Vor der Einführung des innergemeinschaftlichen Erwerbs wurden grenzüberschreitende Warenlieferungen in der Gemeinschaft ähnlich wie der sonstige internationale Handel besteuert. Eine Lieferung war nach den allgemeinen Regeln am Lieferort im Sinne des Artikels 8 Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie, also am Ort der Versendung, steuerpflichtig, wurde jedoch bei der Ausfuhr von der Steuer befreit. Sodann fiel Mehrwertsteuer bei der Einfuhr in den Bestimmungsstaat an. Zur Erhebung der Einfuhrmehrwertsteuer mussten Grenzkontrollen durchgeführt werden.

22.   Im Zuge der Verwirklichung des Binnenmarktes sollten diese Form der Besteuerung und damit auch die Kontrollen zu steuerlichen Zwecken an den Binnengrenzen abgeschafft werden.(5) Allerdings ging die Reform nicht so weit, die für inländische Warenlieferungen geltenden Regelungen auf den Handel zwischen zwei Mitgliedstaaten auszuweiten. Denn dies hätte bedeutet, dass die Mehrwertsteuer anders als nach der bisherigen Lage nicht dem Staat zustünde, in den die Ware eingeführt wird, sondern dem Staat, von dem aus die Ware versandt wird. Im Handel innerhalb eines Mitgliedstaats stellt nämlich generell die Lieferung den steuerpflichtigen Vorgang dar (Artikel 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie). Der Ort des steuerbaren Umsatzes ist hier der Ort, an dem sich der Gegenstand zu Beginn der Beförderung an den Erwerber befindet (Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie).

23.   Nach der Übergangsregelung soll die bisherige Aufteilung der Steuerhoheit zwischen den Mitgliedstaaten unangetastet bleiben. Die Mehrwertsteuer soll als Verbrauchssteuer weiterhin in dem Mitgliedstaat entrichtet werden, in dem der Endverbrauch erfolgt. Um dies zu gewährleisten, führte die Richtlinie 91/680 für den Handel zwischen den Mitgliedstaaten als neuen Steuertatbestand den innergemeinschaftlichen Erwerb ein (Artikel 28a Absatz 1 Buchstabe a). Besteuert wird in diesem Fall also der Empfang der Ware durch den Erwerber im Einfuhrmitgliedstaat. Dieser Steuertatbestand ersetzte die bisherige Besteuerung bei der Einfuhr.

24.   Um dabei eine Doppelbesteuerung zu vermeiden, werden – wie Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer bereits in der Rechtssache Lipjes ausführte – die Besteuerungsbefugnisse so koordiniert, dass bei einem Umsatz innerhalb der Gemeinschaft dort, wo eine Befugnis endet, die andere Befugnis beginnt(6).

25.   Da nach der geltenden Übergangsregelung der innergemeinschaftliche Erwerb im Bestimmungsland der Ware versteuert wird, muss die entsprechende innergemeinschaftliche Lieferung im Ursprungsland von der Steuer befreit werden (Artikel 28c Teil A Buchstabe a der Sechsten Richtlinie). Während der innergemeinschaftliche Erwerb also an die Stelle der Besteuerung der Einfuhr getreten ist, ersetzt die Befreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung die Befreiung bei der Ausfuhr.

B –    Zur zweiten Vorlagefrage

26.   Die ersten beiden Vorlagefragen sind eng miteinander verknüpft. Dabei hat die zweite Frage grundlegenderen Charakter und soll deswegen zuerst beantwortet werden. Ihre Tragweite wird nur verständlich, wenn man sich vergegenwärtigt, wie die österreichische Finanzverwaltung die Vorgänge des Reihengeschäfts offenbar qualifizieren möchte.

27.   Sie betrachtet beide Vorgänge, die Bestandteil des Reihengeschäfts sind, als steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferungen. Die erste steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung soll die Transaktion zwischen den niederländischen bzw. italienischen Unternehmen und der K in Österreich bilden, die zweite steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung soll die Transaktion zwischen der österreichischen K und der österreichischen EMAG sein. Mit diesen beiden – rechtlich gesehen – selbständigen Lieferungen geht jedoch nur eine Warenbewegung aus den Niederlanden/Italien nach Österreich einher. Um auch bei der Transaktion zwischen der K und der EMAG, die beide in Österreich ansässig sind, eine steuerbefreite innergemeinschaftliche – d. h. grenzüberschreitende – Lieferung annehmen zu können, rechnet die Finanzverwaltung den tatsächlich von K bewirkten Warentransport aus den Niederlanden/Italien auch der zweiten Lieferung zu.

28.   Vor diesem Hintergrund möchte der Verwaltungsgerichtshof mit seiner zweiten Frage wissen, ob bei einem Reihengeschäft tatsächlich zwei steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferungen vorliegen, obwohl nur eine Transportbewegung stattgefunden hat.

29.   Die geschilderte Einordnung der Vorgänge des Reihengeschäfts durch die Finanzverwaltung steht nicht in Einklang mit den Zielen der Sonderregeln für die Besteuerung innergemeinschaftlicher Lieferungen in Abschnitt XVIa der Sechsten Richtlinie. Diese Regeln zielen auf eine Koordinierung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Besteuerung innergemeinschaftlicher Liefergeschäfte. Grenzüberschreitende Lieferungen sollen nur einmal, und zwar –abweichend von den Regeln für inländische Vorgänge – im Bestimmungsland besteuert werden.

30.   Diesem Ziel wird man allein gerecht, wenn man in der vorliegenden Konstellation nur eine der Lieferungen als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung behandelt, und zwar diejenige, die zu einem innergemeinschaftlichen Erwerb geführt hat. Alle vor- und nachgelagerten Geschäfte sind dagegen inländische Lieferungen, die nach den allgemeinen Regeln in dem Staat der Steuer unterliegen, in dem diese Lieferungen ausgeführt wurden.

31.   Bei grenzüberschreitenden Warengeschäften steht die gemäß Artikel 28c Teil A Buchstabe a der Sechsten Richtlinie steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung dem steuerbaren innergemeinschaftlichen Erwerb spiegelbildlich gegenüber. Hat nur eine Warenbewegung über die Grenze eines Mitgliedstaates stattgefunden, so kann es nur eine steuerbefreite Lieferung auf der einen und einen steuerbaren Erwerb auf der anderen Seite geben. Dies gewährleistet, dass die Koordinierung der Zuständigkeiten der beteiligten Mitgliedstaaten, die die Regelungen des Abschnitts XVIa der Sechsten Richtlinie bezwecken, einwandfrei funktioniert und es weder zu einer mehrfachen noch zu einer Nichtbesteuerung innergemeinschaftlicher Lieferungen kommt (Neutralität der Besteuerung). In Konstellationen wie der vorliegenden, bei denen mehrere Personen beteiligt sind und als Erwerber in Frage kommen, muss also die grenzüberschreitende Warenbewegung zur Abgrenzung der Steuerhoheiten der Mitgliedstaaten genau einem Liefer- bzw. Erwerbsvorgang zugeordnet werden.

32.   Welche Ungereimtheiten sich ergeben, wenn man in einem Fall, wie ihn der Ausgangsrechtsstreit zum Gegenstand hat, zwei steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferungen annähme, zeigen die folgenden Überlegungen. Es läge demnach zunächst eine befreite innergemeinschaftliche Lieferung des niederländischen/italienischen Vorlieferers an die K vor. Ihr stünde ein steuerbarer innergemeinschaftlicher Erwerb der K in Österreich gegenüber. Als Ort dieses Umsatzes gilt gemäß Artikel 28b Teil A Absatz 1 nämlich der Ort, an dem sich die Gegenstände zum Zeitpunkt der Beendigung des Versands oder der Beförderung an den Erwerber befinden.

33.   Um nun die Lieferung der K an die EMAG ebenfalls als steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung anzusehen, müsste der Ort dieser Lieferung zwangsläufig wieder in einem anderen Mitgliedstaat als Österreich liegen. Hier kämen nur die Niederlande bzw. Italien in Betracht. In dieser Lieferkette würde die K dann also dieselben Gegenstände nochmals von den Niederlanden bzw. Italien nach Österreich liefern, obwohl sie sie bereits zuvor in Österreich im Sinne der Sechsten Richtlinie innergemeinschaftlich erworben hat.

34.   Mit der so konstruierten zweiten innergemeinschaftlichen Lieferung ginge schließlich ein weiterer gemäß Artikel 28a Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie steuerpflichtiger innergemeinschaftlicher Erwerb durch die EMAG in Österreich einher. Die fiktive Verdoppelung des Transportvorgangs ist also nicht nur künstlich, sondern sie führt auch zu einer Doppelbesteuerung, indem dieselben Güter zweimal einen steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb in Österreich auslösen.

35.   Auf die zweite Vorlagefrage ist daher zu antworten, dass nur eine von mehreren Lieferungen als steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung anzusehen ist, wenn mehrere Unternehmer Liefergeschäfte über denselben Gegenstand abschließen und diese Liefergeschäfte mit einer einzigen Warenbewegung erfüllt werden; die innergemeinschaftliche Lieferung ist dabei diejenige Lieferung, die dem innergemeinschaftlichen Erwerb im Sinne Artikels 28a Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie gegenübersteht.

C –    Zur ersten Vorlagefrage

36.   Die erste Vorlagefrage zielt auf die Ermittlung des Ortes der beiden Lieferungen gemäß Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie. Unter Berücksichtigung des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits ist die Frage einschränkend dahin gehend zu verstehen, dass sie sich nur auf die Konstellation des Reihengeschäfts mit der Berührung von zwei Mitgliedstaaten bezieht.

37.   In der Logik der Finanzverwaltung wäre als Lieferort jeweils der Ort der tatsächlichen Versendung in den Niederlanden und Italien anzunehmen. Aus ihrer Sicht führt dies dazu, dass beide Lieferungen steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferungen darstellen. Dieses Ergebnis soll letztlich aus einer Auslegung des Artikels 8 der Sechsten Richtlinie hergeleitet werden.

38.   Wie in der Antwort auf die zweite Frage bereits festgestellt, gibt es bei einer grenzüberschreitenden Warenbewegung der vorliegenden Art jedoch nur eine steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung. Daraus folgt für die Beantwortung der ersten Frage, dass der Ort des Beginns der Beförderung im Sinne von Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie nicht zur Beurteilung beider Lieferbeziehungen maßgeblich ist, wenn mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand ein Liefergeschäft abschließen und die mehreren Liefergeschäfte mit einer einzigen grenzüberschreitenden Warenbewegung erfüllt werden.

39.   Zwar wäre es nach dem Wortlaut von Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie möglich, sowohl für das Vertragsverhältnis zwischen dem niederländischen bzw. italienischen Vorlieferanten und K als auch zwischen K und EMAG die Niederlande bzw. Italien als Lieferort anzusehen. Denn die Ware befand sich tatsächlich zu Beginn des Transportvorganges in diesen Mitgliedstaaten. Diese Sichtweise wäre indes nicht mit den Regelungen des innergemeinschaftlichen Erwerbs in Abschnitt XVIa der Sechsten Richtlinie zu vereinbaren.

40.   Entscheidend für die Ermittlung der steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferung ist danach nicht, welcher Ort tatsächlich der Ausgangspunkt der Transportbewegung war und somit den Lieferort im Sinne des Artikels 8 Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie bildet. Es kommt vielmehr darauf an, welche Lieferung einen innergemeinschaftlichen Erwerb im Sinne des Artikels 28a Absatz 1 Buchstabe a ausgelöst hat. Diese Lieferung ist die steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung.

41.    Lieferungen, die sich in der Lieferreihe vor dem innergemeinschaftlichen Erwerb sowie im Anschluss daran ereignen, sind demgegenüber inländische Lieferungen im Versandstaat bzw. im Bestimmungsstaat, deren Lieferort nach Artikel 8 der Sechsten Richtlinie zu bestimmen ist.

42.   Dementsprechend hat der Gerichtshof im Urteil in der Rechtssache Lipjes(7) ausgeführt, dass der innergemeinschaftliche Erwerb den maßgeblichen Umsatz bei einem innergemeinschaftlichen Geschäft darstellt. Der Ort dieses Umsatzes werde durch Artikel 28b Teile A und B geregelt, der damit von der allgemeinen Regelung des Artikels 8 für die Lieferung von Gegenständen innerhalb eines Mitgliedstaats abweiche.

43.   Auf die erste Vorlagefrage ist daher zu antworten, dass der Ort des Beginns der Versendung im Sinne des Artikels 8 Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie nicht dafür entscheidend ist, ob eine Lieferung im Rahmen eines Reihengeschäfts der vorliegenden Art als steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung anzusehen ist.

D –    Zur dritten Vorlagefrage

44.   Die dritte Vorlagefrage ist nur für den Fall der Bejahung der ersten Vorlagefrage gestellt. Die Antwort auf die erste Frage hat ergeben, dass Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie nicht so ausgelegt werden kann, dass allein aufgrund des tatsächlichen Lieferorts im Sinne dieser Bestimmung mehrere Lieferungen eines grenzüberschreitenden Reihengeschäfts als innergemeinschaftliche Lieferungen qualifiziert werden können.

45.   Durch diese Feststellung verliert die Antwort auf die dritte Frage jedoch nicht jegliche Bedeutung für den Ausgangsrechtsstreit. Artikel 8 bleibt nämlich grundsätzlich für die inländischen Lieferungen anwendbar, die sich im Vorfeld sowie im Anschluss an die innergemeinschaftliche Lieferung ereignet haben.

46.   Im Hinblick auf Lieferungen, die sich vor dem innergemeinschaftlichen Erwerb allein im Versandstaat ereignet haben, gelten keine Besonderheiten bei der Anwendung von Artikel 8.

47.   Anders stellt sich die Lage dagegen bei einer inländischen Lieferung dar, die sich an den innergemeinschaftlichen Erwerb anschließt. Wird der Gegenstand von demjenigen, in dessen Person es zum innergemeinschaftlichen Erwerb gekommen ist (hier K), an einen Dritten in demselben Mitgliedstaat (hier EMAG) geliefert, so kann als Ort der Lieferung abweichend von Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie nicht der Ort angenommen werden, an dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung tatsächlich befindet (hier Niederlande bzw. Italien).

48.   Vielmehr muss insoweit dem Umstand Rechnung getragen werden, dass es bereits im Bestimmungsland der Ware (hier Österreich) zu einem innergemeinschaftlichen Erwerb gekommen ist. Als Ort der Lieferung, die auf diesen Erwerb folgt, muss dementsprechend ebenfalls das Bestimmungsland angesehen werden.

49.   Zu diesem Ergebnis kann man auf zwei Wegen kommen. Zum einen könnte man die dem Erwerb nachfolgende inländische Lieferung als Fall des Artikels 8 Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie ansehen (so genannte unbewegte Lieferung). Dies ist angebracht, da man den grenzüberschreitenden Transport ja bereits der vorangegangenen innergemeinschaftlichen Lieferung zugerechnet hat und er nicht mehr einer weiteren Lieferung zugerechnet werden kann.

50.   Zum anderen könnte man Artikel 8 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie analog anwenden. Diese Vorschrift trifft eine Sonderregelung für die Bestimmung des Ortes der Lieferung in dem Fall, dass ein Gegenstand auf Veranlassung des Importeurs aus einem Drittstaat in die Gemeinschaft versandt wird. Dann ist nicht der tatsächliche Versandort in den Drittstaat der Ort der Lieferung, sondern der Mitgliedstaat, in dem die Gegenstände eingeführt werden. Da der innergemeinschaftliche Erwerb praktisch an die Stelle des Imports tritt, scheint auch diese Lösung vertretbar.

51.   Da letztlich beide Wege dazu führen, dass der Ort der Lieferung als in dem Mitgliedstaat gelegen gilt, in dem der vorangegangene innergemeinschaftliche Erwerb bewirkt wurde, bedarf es keiner Entscheidung, welchem Weg der Vorzug zu geben ist.

52.   Auf die dritte Vorlagefrage ist damit zu antworten, dass im Rahmen eines Reihengeschäfts der vorliegenden Art als Ort einer Lieferung, die auf einen innergemeinschaftlichen Erwerb folgt, nicht der Ort anzusehen ist, von dem aus der Gegenstand tatsächlich versandt worden ist. Der Ort der Lieferung gilt vielmehr als in dem Mitgliedstaat gelegen, in dem der innergemeinschaftliche Erwerb erfolgt ist.

E –    Zur vierten Vorlagefrage

53.   Mit der vierten Frage, die der Verwaltungsgerichtshof unabhängig von einer bestimmten Beantwortung der Fragen 1 bis 3 gestellt hat, möchte er wissen, ob es für die Beurteilung dieser Fragen von Bedeutung ist, in wessen Verfügungsmacht sich der Gegenstand während der Warenbewegung befindet.

54.   Wie ausgeführt, ist bei einem Reihengeschäft der vorliegenden Art diejenige Lieferung als steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung anzusehen, die unmittelbar zu einem innergemeinschaftlichen Erwerb führt.

55.   Nach Artikel 28a Absatz 3 der Sechsten Richtlinie gilt als innergemeinschaftlicher Erwerb die Erlangung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen beweglichen körperlichen Gegenstand zu verfügen, welcher durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Beförderung befand, an den Erwerber versendet oder befördert wird.

56.   Da es hier auf ein tatsächliches Element ankommt, nämlich die Erlangung der Verfügungsmacht, verbietet sich eine schematische Lösung. So kann etwa nicht immer das erste Lieferverhältnis oder immer das letzte Lieferverhältnis ausschlaggebend sein. Es sind vielmehr die Umstände des Einzelfalles zu beachten.

57.   Die „Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen“, ist auch das zentrale Element der Definition der Lieferung in Artikel 5 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie. Hierzu hat der Gerichtshof im Urteil Shipping and Forwarding Enterprise Safe bereits festgestellt, dass es sich insofern nicht um die Übertragung des Eigentums im Sinne des nationalen Rechts handeln muss.(8) Vielmehr reiche die Befähigung des Erwerbers aus, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre er sein Eigentümer. Diese Ausführungen gelten für die Definition des innergemeinschaftlichen Erwerbs entsprechend.

58.   Typischer Ausdruck von Eigentümerbefugnissen ist das Recht, mit einem Gegenstand nach Belieben zu verfahren, insbesondere, die Sachherrschaft über ihn auszuüben und ihn zu veräußern.

59.   Das maßgebliche Element des innergemeinschaftlichen Erwerbs stellt neben der Erlangung der Eigentümerbefugnisse die Grenzüberschreitung der Ware dar. Daher liegt es nahe, dem Transport bzw. dessen Veranlassung eine besondere Bedeutung beizumessen. Derjenige, der den Transport veranlasst, entscheidet grundsätzlich darüber, wann sich eine Ware an welchem Ort befindet. Soweit er für den Transport Dritte einschaltet, ist deren Sachherrschaft letztlich ihrem Auftraggeber zuzurechnen. Die Bestimmung über den Verbleib der Ware ist Ausdruck von Eigentümerbefugnissen, wie sie für den innergemeinschaftlichen Erwerb konstitutiv sind.

60.   Folglich gilt, dass der innergemeinschaftliche Erwerb, sofern keine anderen Anhaltspunkte vorliegen,(9) durch denjenigen bewirkt wird, der den Transport veranlasst und damit unmittelbar oder mittelbar die Verfügungsgewalt über den Gegenstand während der grenzüberschreitenden Verbringung ausübt. Weitere Voraussetzung ist dabei, dass der Transportveranlasser seinen Sitz nicht im Versandstaat hat bzw. nicht unter Angabe einer vom Versandstaat erteilten Mehrwertsteuernummer handelt.

61.   Die Anknüpfung an die Verantwort für den Transport erscheit auch deshalb als sachgerecht, weil derjenige, in dessen Auftrag die Ware befördert wird und in dessen Verfügungsmacht sich die Ware während des Transports befindet, von allen an der Lieferkette beteiligten Unternehmern am besten über den Ausgangs- und Bestimmungsort informiert ist. Diesen Unternehmer trifft im Rahmen des grenzüberschreitenden Liefergeschäfts eine herausgehobene Verantwortung für die korrekte steuerliche Behandlung des grenzüberschreitenden Geschäfts.

62.   Das Kriterium der Veranlassung des Transports kann allerdings ausnahmsweise dann nicht herangezogen werden, wenn die Ware durch den ersten Lieferanten in der Kette (hier: der Vorlieferant der K in den Niederlanden bzw. Italien) selbst bzw. in dessen Auftrag befördert wird. Es liegt auf der Hand, dass der Lieferant/Veräußerer nicht gleichzeitig der Erwerber sein kann. Der erste Lieferant erlangt durch die Veranlassung des Transports auch keine (neuen) Eigentümerbefugnisse, sondern übt nur seine schon bestehenden Befugnisse aus.

63.   In einem solchen Fall kann sich der innergemeinschaftliche Erwerb nur in einer Person der nachfolgenden Abnehmer verwirklichen. Zur Gewährleistung der effektiven Besteuerung ist es geboten, in diesem Fall den unmittelbaren Abnehmer des ersten Lieferanten als Steuerschuldner des innergemeinschaftlichen Erwerbs anzusehen, auch wenn die Ware tatsächlich nicht zu ihm transportiert wird, sondern an den letzten Abnehmer in der Lieferkette.

64.   Nur der erste Lieferant weiß nämlich – bereits aufgrund des von ihm veranlassten Transportes –, dass eine befreite innergemeinschaftliche Lieferung vorliegt. Er stellt deshalb seinem Abnehmer (hier der K) unter Hinweis darauf keine Mehrwertsteuer in Rechnung, woraus sich für diesen ersten Abnehmer zwangsläufig die Pflicht zur Versteuerung eines innergemeinschaftlichen Erwerbs ergibt. In allen nachfolgenden Lieferbeziehungen kann dagegen unproblematisch Mehrwertsteuer ausgewiesen und im Wege des Vorsteuerabzugs berücksichtigt werden.

65.   Dass die vorgeschlagene Lösung mit der Systematik des Abschnitts XVIa der Sechsten Richtlinie übereinstimmt, zeigt ein Vergleich mit den Sonderregelungen in Artikel 28c Buchstabe E Absatz 3 der Sechsten Richtlinie für so genannte Dreiecksgeschäfte. Ein Dreiecksgeschäft ist letztlich eine Sonderform des Reihengeschäfts, bei dem allerdings Unternehmen aus mindestens drei Mitgliedstaaten die Lieferkette bilden.

66.   Vereinfacht besagt diese Sonderregelung, dass ein Zwischenhändler, der an sich den steuerpflichtigen Erwerb in dem Bestimmungsland bewirkt, weil er den Transport veranlasst hat, von der Steuerpflicht befreit werden kann, wenn er in diesem Bestimmungsland nicht ansässig ist und stattdessen der dort niedergelassene Endabnehmer als Steuerschuldner bestimmt worden ist.(10) Diese Sonderregel bestätigt die hier vertretene Qualifikation bei (einfachen) Reihengeschäften, nämlich dass regelmäßig derjenige den innergemeinschaftlichen Erwerb bewirkt, der den Transport veranlasst.

VI – Ergebnis

67.   Im Ergebnis schlage ich vor, die Vorlagefragen des Verwaltungsgerichtshofs wie folgt zu beantworten:

1.      Wenn mehrere Unternehmer Liefergeschäfte über denselben Gegenstand abschließen und diese Liefergeschäfte mit einer einzigen Warenbewegung erfüllt werden, ist nur eine von mehreren Lieferungen als steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung anzusehen; die innergemeinschaftliche Lieferung ist dabei diejenige Lieferung, die dem innergemeinschaftlichen Erwerb im Sinne Artikels 28a Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie gegenübersteht.

2.       Der Ort des Beginns der Versendung im Sinne des Artikels 8 Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie ist nicht dafür entscheidend, ob eine Lieferung im Rahmen eines solchen Reihengeschäfts als steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung anzusehen ist.

3.      In einer Situation wie der des Ausgangsrechtsstreits ist als Ort einer Lieferung, die auf einen innergemeinschaftlichen Erwerb folgt, nicht der Ort anzusehen, von dem aus der Gegenstand tatsächlich versandt worden ist. Der Ort der Lieferung gilt vielmehr als in dem Mitgliedstaat gelegen, in dem der innergemeinschaftliche Erwerb erfolgt ist.

4.       Für die Bestimmung der Person, bei der im Rahmen solcher Reihengeschäfte der innergemeinschaftliche Erwerb stattfindet, ist es mangels anderweitiger Anhaltspunkte von entscheidender Bedeutung, wer den Gegenstand transportiert bzw. in wessen Auftrag er transportiert wird und wer die Verfügungsmacht über den Gegenstand während des Transports innehat.


1 – Originalsprache: Deutsch.


2  – ABl. L 145, S. 1.


3  – ABl. L 376, S. 1 ff.


4  – BGBl. I Nr. 106/1999.


5 – Vgl. den zweiten Erwägungsgrund zur Richtlinie 91/680.


6  – Schlussanträge des Generalanwalts Dámaso Ruiz-Jarabo Colomer vom 13. Januar 2004 in der Rechtssache C-68/03 (Staatssecretaris van Financiën/D. Lipjes, Slg. 2004, I-5879, Nr. 35).


7  – Urteil vom 27. Mai 2004 in der Rechtssache C-68/03 (Lipjes, Slg. 2004, I-5879, Randnr. 25).


8 – Urteil vom 8. Februar 1990 in der Rechtssache C-320/88 (Shipping and Forwarding Enterprise Safe, Slg. 1990, I-285, Randnrn. 7 und 8). Siehe auch Urteil vom 6. Februar 2003 in der Rechtssache C-185/01 (Auto Lease Holland, Slg. 2003, I-1317, Randnr. 32).


9 – Denkbar wäre es etwa, dass die Vertragspartner einen anderen Beteiligten als denjenigen, der den Transport veranlasst hat, als Steuerpflichtigen bestimmen. So könnten K und EMAG sich einigen, dass EMAG Steuerpflichtiger des innergemeinschaftlichen Erwerbs in Österreich sein soll. Entsprechende Vereinbarungen werden z. B. nach Artikel 28c Buchstabe E Absatz 3 fünfter Spiegelstrich der Sechsten Richtlinie (in der Fassung der Richtlinie 92/111 des Rates vom 14. Dezember 1992, ABl. L 384, S. 47) im Rahmen so genannter Dreiecksgeschäfte ausdrücklich erwähnt. (Näheres zu Dreiecksgeschäften siehe unten, Nrn. 65 ff.).


10 – Dies beugt praktischen Schwierigkeiten bei der Steuererhebung vor, da der Gebietsfremde im Bestimmungsland in der Regel nicht als Mehrwertsteuerpflichtiger registriert sein wird.