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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

M. Poiares Maduro

vom 16. Februar 20061(1)

Rechtssache C-494/04

Heintz van Landewijck SARL

gegen

Staatssecretaris van Financiën

(Vorabentscheidungsersuchen des Hoge Raad der Nederlanden [Niederlande])

„Mehrwertsteuer – Verbrauchsteuerpflichtige Waren – Vor der Verwendung verschwundene Steuerbanderolen für Tabakerzeugnisse“





1.     Mit diesem Vorabentscheidungsersuchen legt der Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren(2) und der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage(3) vor.

2.     Die Rechtssache betrifft die Besteuerung von Tabakerzeugnissen, die zum einen der Mehrwertsteuer und zum anderen einer Verbrauchsteuer unterliegen – die dem Fiskus Einnahmen verschafft und, paradoxerweise, die Raucher vom Rauchen abbringen soll.

3.     Konkreter geht es in dieser Rechtssache um die Frage, ob ein Unternehmen, das Tabakerzeugnisse in den Verkehr bringt, Anspruch auf Erstattung oder Verrechnung von Beträgen hat, die es für den Erwerb von Steuerzeichen gezahlt hat, die die als Verbrauch- und als Mehrwertsteuer geschuldeten Beträge repräsentieren, wenn diese Steuerzeichen vor der Anbringung auf diesen Erzeugnissen verschwunden sind.

I –    Rechtlicher Rahmen, Ausgangsrechtsstreit und dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegte Fragen

A –    Einschlägiges Gemeinschaftsrecht

4.     Artikel 6 der Verbrauchsteuerrichtlinie, die nach ihrem Artikel 3 Absatz 1 auf Tabakwaren Anwendung findet, bestimmt:

„(1)      Die Verbrauchsteuer entsteht mit der Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr oder mit der Feststellung von Fehlmengen gemäß Artikel 14 Absatz 3.

Als Überführung von verbrauchsteuerpflichtigen Waren in den steuerrechtlich freien Verkehr gelten

a)      jede – auch unrechtmäßige – Entnahme der Ware aus dem Verfahren der Steueraussetzung;

b)      jede – auch unrechtmäßige – Herstellung dieser Erzeugnisse außerhalb eines Verfahrens der Steueraussetzung;

c)      jede – auch unrechtmäßige – Einfuhr dieser Waren, sofern sie nicht einem Verfahren der Steueraussetzung unterstellt worden sind.

(2)      Die Voraussetzungen für das Entstehen des Steueranspruchs und der maßgebende Verbrauchsteuersatz richten sich nach den Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Entstehens des Steueranspruchs in dem Mitgliedstaat gelten, in dem die Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr stattfindet oder die Fehlmengen festgestellt werden. Die Verbrauchsteuer wird nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bestimmungen erhoben und eingezogen, wobei die Mitgliedstaaten auf im Inland hergestellte Waren und auf Waren mit Herkunft aus anderen Mitgliedstaaten dieselben Bestimmungen für die Erhebung und die Einziehung anwenden.“

5.     Artikel 14 Absatz 1 der Verbrauchsteuerrichtlinie bestimmt:

„Der zugelassene Lagerinhaber wird für Verluste von der Steuer befreit, die während des Verfahrens der Steueraussetzung durch Untergang oder infolge höherer Gewalt entstanden und von den Behörden des jeweiligen Mitgliedstaats festgestellt worden sind. Während des Verfahrens der Steueraussetzung wird er ebenfalls für den Schwund von der Steuer befreit, der während der Herstellung und Verarbeitung sowie der Lagerung und der Beförderung aus Gründen, die sich aus der Eigenart der Waren ergeben, eintritt. Jeder Mitgliedstaat legt die Bedingungen fest, unter denen diese Steuerbefreiungen gewährt werden. Diese Steuerbefreiungen für Verluste gelten für die in Artikel 16 genannten Wirtschaftsbeteiligten bei der Beförderung von Waren im Verfahren der Steueraussetzung.“

6.     Nach Artikel 21 Absatz 1 der Verbrauchsteuerrichtlinie können die Mitgliedstaaten „[u]nbeschadet des Artikels 6 Absatz 1 … vorsehen, dass die Waren, die in ihrem Hoheitsgebiet in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt werden sollen, mit Steuerzeichen oder mit zu steuerlichen Zwecken verwendeten nationalen Erkennungszeichen versehen werden“.

7.     Nach Artikel 22 Absatz 2 Buchstabe d der Verbrauchsteuerrichtlinie kann „für verbrauchsteuerpflichtige Waren, die in einem Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden sind und daher mit dem Steuerzeichen oder dem Erkennungszeichen dieses Mitgliedstaats versehen sind, … die Verbrauchsteuer, die den Steuerbehörden des Mitgliedstaats geschuldet wird, der diese Steuer- bzw. Erkennungszeichen ausgestellt hat, erstatte[t] werden, sofern die Vernichtung dieser Zeichen von den Steuerbehörden des Mitgliedstaats, der sie erteilt hat, festgestellt worden ist“.

8.     Artikel 10 der Richtlinie 95/59/EG des Rates vom 27. November 1995 über die anderen Verbrauchsteuern auf Tabakwaren als die Umsatzsteuer(4) lautet:

„(1)      Spätestens in der Endstufe werden die Modalitäten der Erhebung der Verbrauchsteuer harmonisiert. In den vorhergehenden Stufen wird die Verbrauchsteuer grundsätzlich mittels Steuerzeichen entrichtet. Die Mitgliedstaaten haben, falls sie die Verbrauchsteuer mittels Steuerzeichen erheben, diese Zeichen den Herstellern und Händlern der anderen Mitgliedstaaten zur Verfügung zu stellen. Falls die Mitgliedstaaten die Verbrauchsteuer auf anderem Wege erheben, haben sie darauf zu achten, dass hieraus weder verwaltungsmäßige noch technische Hemmnisse für den Handel zwischen den Mitgliedstaaten entstehen.

(2)   Für die Importeure und die Hersteller von Tabakwaren gelten die in Absatz 1 genannten Modalitäten für die Erhebung und Zahlung der Verbrauchsteuer.“

9.     Artikel 2 der Sechsten Richtlinie bestimmt:

„Der Mehrwertsteuer unterliegen:

1.      Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt;

2.      die Einfuhr von Gegenständen.“

10.   Ferner bestimmt Artikel 5 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie: „Als Lieferung eines Gegenstands gilt die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.“

11.   Artikel 10 der Sechsten Richtlinie bestimmt:

„(1) Im Sinne dieser Richtlinie gilt als

a)      Steuertatbestand: der Tatbestand, durch den die gesetzlichen Voraussetzungen für den Steueranspruch verwirklicht werden;

b)      Steueranspruch: der Anspruch, den der Fiskus nach dem Gesetz gegenüber dem Steuerschuldner von einem bestimmten Zeitpunkt ab auf die Zahlung der Steuer geltend machen kann, selbst wenn Zahlungsaufschub gewährt werden kann.

(2)   Der Steuertatbestand und der Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung des Gegenstands oder die Dienstleistung bewirkt wird. …

…“

12.   Nach Artikel 11 der Sechsten Richtlinie ist die Besteuerungsgrundlage bei Lieferungen von Gegenständen alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer für diese Umsätze vom Abnehmer, Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten erhält oder erhalten soll. Artikel 11 Teil C Absatz 1 Unterabsatz 1 bestimmt:

„Im Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes wird die Besteuerungsgrundlage unter von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert.“

13.   Überdies bestimmt Artikel 27 – Vereinfachungsmaßnahmen – der Sechsten Richtlinie(5):

„(1) Der Rat kann auf Vorschlag der Kommission einstimmig jeden Mitgliedstaat ermächtigen, von dieser Richtlinie abweichende Sondermaßnahmen einzuführen, um die Steuererhebung zu vereinfachen oder Steuerhinterziehungen oder Steuerumgehungen zu verhüten. Die Maßnahmen zur Vereinfachung der Steuererhebung dürfen den Betrag der im Stadium des Endverbrauchs fälligen Steuer nur in unerheblichem Maße beeinflussen.

(2)   Der Mitgliedstaat, der die in Absatz 1 bezeichneten Maßnahmen einführen möchte, befasst die Kommission damit und übermittelt ihr alle zur Beurteilung zweckdienlichen Angaben.

(5)   Die Mitgliedstaaten, die am 1. Januar 1977 Sondermaßnahmen von der Art der in Absatz 1 genannten angewandt haben, können sie aufrechterhalten, sofern sie diese der Kommission vor dem 1. Januar 1978 mitteilen und unter der Bedingung, dass diese Sondermaßnahmen – sofern es sich um Maßnahmen zur Erleichterung der Steuererhebung handelt – dem in Absatz 1 festgelegten Kriterium entsprechen.“

14.   Durch Artikel 1 der Neunten Richtlinie 78/583/EWG des Rates vom 26. Juni 1978 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern(6) wurden bestimmte Mitgliedstaaten ermächtigt, die Sechste Richtlinie spätestens am 1. Januar 1979 zur Anwendung zu bringen.

B –    Niederländisches Recht, Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits und Vorlagefragen

15.   Artikel 1 der Wet op de accijns vom 31. Oktober 1991 (Staatsblad 1991, S. 561; im Folgenden: Verbrauchsteuergesetz) bestimmt:

„1.   Unter der Bezeichnung Verbrauchsteuer wird eine Abgabe erhoben auf:

f.      Tabakerzeugnisse.

2.      Die Verbrauchsteuer wird geschuldet bei der Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr und bei der Einfuhr der Waren im Sinne von Absatz 1.“

16.   Nach Artikel 73 Absatz 1 des Verbrauchsteuergesetzes müssen „Tabakerzeugnisse … bei der Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr und bei der Einfuhr mit dem für das betreffende Tabakerzeugnis vorgeschriebenen Verbrauchsteuerzeichen versehen sein“.

17.   Artikel 76 Absätze 1 und 2 des Verbrauchsteuergesetzes bestimmt:

„1.   Der Betrag der Verbrauchsteuer, den die Verbrauchsteuerzeichen ausweislich der ihnen aufgedruckten Angaben repräsentieren, ist im Zeitpunkt ihrer Anforderung zu entrichten.

2.     Abweichend von Absatz 1 kann die Zahlung, sofern eine Sicherheit gestellt wird, noch spätestens am letzten Tag des dritten Monats nach dem Monat, in dem die Verbrauchsteuerzeichen angefordert wurden, erfolgen.“

18.   Die Heintz van Landewijck SARL (im Folgenden: Klägerin) betreibt in Luxemburg einen Großhandel für Tabakwaren, für den sie eine Genehmigung für ein Steuerlager besitzt.

19.   Am 6. Oktober 1998 stellte die Klägerin gemäß Artikel 75 des Verbrauchsteuergesetzes beim Belastingdienst/Douane Amsterdam (im Folgenden: Inspecteur) zwei Anträge auf Bezug von Verbrauchsteuerzeichen für Tabakerzeugnisse(7). Sie beauftragte die Firma Securicor Omega mit der Abholung dieser Steuerzeichen.

20.   Am 9. Oktober 1998 verbuchte der Inspecteur die von der Klägerin für die beiden Anträge geschuldeten Beträge, und zwar 177 809 NLG (140 575 NLG Verbrauchsteuer und 37 234 NLG Mehrwertsteuer) und 2 711 474 NLG (2 202 857 NLG Verbrauchsteuer und 508 617 NLG Mehrwertsteuer).

21.   Am 12. Oktober 1998 holte das Kurierunternehmen Smit Koerier die bestellten Steuerzeichen im Namen von Securicor Omega bei der PTT Post Filatelie, nunmehr Geldnet Services BV, ab.

22.   Aus dem am 17. Dezember 1998 von einem Sachverständigen im Auftrag des luxemburgischen Versicherungsunternehmens Le Foyer erstellten Protokoll geht hervor, dass Smit Koerier am 13. Oktober 1998 um 19.40 Uhr drei Pakete Steuerzeichen bei einer Niederlassung von Securicor Omega in Utrecht (Niederlande) abgeliefert hatte und dass Securicor Omega am 14. Oktober 1998 um 10.00 Uhr festgestellt hatte, dass diese Pakete verschwunden waren.

23.   Mit Schreiben vom 23. November 1998 teilte die Klägerin dem Inspecteur mit, dass die an Smit Koerier übergebenen Steuerzeichen bei ihr noch nicht eingegangen seien, dass sie nicht verwendet werden könnten und dass Securicor Omega jede Verantwortung für ihr Verschwinden von sich weise. Die Klägerin forderte den Inspecteur in diesem Schreiben außerdem auf, „diese besonderen Umstände vor der Fälligkeit der Zahlung, d. h. dem 31. Januar 1999, zu berücksichtigen“.

24.   Der Inspecteur behandelte dieses Schreiben als gemäß Artikel 79 Absatz 3 des Verbrauchsteuergesetzes in Verbindung mit Artikel 52 der Verbrauchsteuer-Durchführungsverordnung gestellten Antrag auf Verrechnung oder Erstattung des von der Klägerin für die streitigen Steuerzeichen entrichteten Betrages. Er lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 30. Januar 2001 ab.

25.   Artikel 79 Absatz 3 des Verbrauchsteuergesetzes bestimmt:

„Der Minister erlässt unter Beachtung der dafür vorgesehenen Voraussetzungen und Beschränkungen Vorschriften über die Verrechnung oder Erstattung des für die Anforderung von Verbrauchsteuerzeichen gezahlten oder noch geschuldeten Betrags, falls die Steuerzeichen

a)      von demjenigen, der sie angefordert hat, zurückgesandt worden sind;

b)      ohne auf Tabakserzeugnissen, die in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt oder eingeführt worden sind, angebracht gewesen zu sein, infolge höherer Gewalt oder Unfalls verloren gegangen sind,

c)      unter behördlicher Aufsicht vernichtet worden sind.“

26.   Zur Durchführung dieses Artikels 79 Absatz 3 bestimmt Artikel 52 der Uitvoeringsregeling accijns vom 20. Dezember 1991 (Nr. WV 91/440, Nederlandse Staatscourant 1991, 252; im Folgenden: Durchführungsverordnung), dass der durch die Verbrauchsteuerzeichen, „die infolge höherer Gewalt oder Unfalls verloren gegangen sind“, repräsentierte Betrag der Verbrauchsteuer auf Antrag desjenigen, der sie angefordert hat, insbesondere unter der Voraussetzung erstattet wird, dass die Erstattung binnen eines Monats nach dem Zeitpunkt des Verlusts beantragt und der Verlust dem Inspecteur unverzüglich unter Angabe von Zeitpunkt, Ort und Gründen angezeigt worden ist. Nach Artikel 79 Absatz 6 der Durchführungsverordnung wird für verloren gegangene Steuerzeichen Erstattung nur geleistet, „soweit der Betrag der Verbrauchsteuer sicher nachgewiesen werden kann“.

27.   Der Einspruch der Klägerin gegen den Bescheid des Inspecteur wurde zurückgewiesen. Ihre gegen diesen zurückweisenden Bescheid beim Gerechtshof Amsterdam erhobene Klage wurde als unbegründet abgewiesen. Der Gerechtshof stellte fest, dass die Klägerin nicht hinreichend sicher nachgewiesen habe, dass die Steuerzeichen nicht mehr existierten oder das Risiko ihrer Verwendung vernachlässigbar sei, so dass sie nicht als verloren im Sinne von Artikel 79 Absatz 3 Buchstabe b des Verbrauchsteuergesetzes angesehen werden könnten.

28.   Außerdem entschied der Gerechtshof gemäß Artikel 28 der Wet op de omzetbelasting 1968 (Gesetz vom 28. Juni 1968, Staatsblad 1968, S. 329; im Folgenden: Umsatzsteuergesetz), dass der Antrag auf Erstattung der Mehrwertsteuer aus eben den Gründen scheitern müsse, die für die Verweigerung der Erstattung der Verbrauchsteuer angeführt worden seien(8).

29.   Die Klägerin legte gegen diese Entscheidung beim Hoge Raad Kassationsbeschwerde ein; dieser hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Ist die Verbrauchsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass sie die Mitgliedstaaten zum Erlass einer gesetzlichen Regelung verpflichtet, wonach sie die bei der Anforderung von Verbrauchsteuerzeichen entrichteten oder geschuldeten Verbrauchsteuerbeträge erstatten oder verrechnen müssen, falls der Anfordernde (Inhaber der Genehmigung für ein Steuerlager) Steuerzeichen, die vor ihrer Anbringung auf den verbrauchsteuerpflichtigen Waren verschwunden sind, weder verwendet hat noch wird verwenden können und Dritte die Steuerzeichen weder auf gesetzlich zulässige Weise verwenden konnten noch werden verwenden können, auch wenn nicht ausgeschlossen ist, dass Dritte die Steuerzeichen durch Anbringung auf unrechtmäßig in Verkehr gebrachten Tabakerzeugnissen verwendet haben oder verwenden werden?

2.       a)     Ist die Sechste Richtlinie, insbesondere Artikel 27 Absätze 1 und 5, dahin auszulegen, dass der Umstand, dass die niederländische Regierung der Kommission zu einem späteren als dem in Artikel 27 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie in der Fassung der Neunten Richtlinie vorgesehenen Zeitpunkt mitgeteilt hat, dass sie die Sonderform der Steuererhebung bei Tabakerzeugnissen beizubehalten wünschte, zur Folge hat, dass dann, wenn sich ein Einzelner, nachdem die Mitteilung nachträglich erfolgt ist, auf die Fristüberschreitung beruft, diese Sonderform der Steuererhebung auch nach dem Zeitpunkt der Mitteilung unangewendet bleiben muss?

         b)     Ist, falls Frage 2 a verneint wird, die Sechste Richtlinie, insbesondere Artikel 27 Absätze 1 und 5, dahin auszulegen, dass die Sonderform der Steuererhebung bei Tabakerzeugnissen im Sinne des Artikels 28 des Verbrauchsteuergesetzes unangewendet bleiben muss, weil sie mit den Anforderungen der genannten Bestimmungen der Richtlinie unvereinbar ist?

         c)     Ist, falls Frage 2 b verneint wird, die Sechste Richtlinie, insbesondere Artikel 27 Absätze 1 und 5, dahin auszulegen, dass die Nichterstattung der Umsatzsteuer unter den in Frage 1 bezeichneten Umständen gegen die Richtlinie verstößt?

II – Würdigung

30.   Diese Rechtssache überrascht zunächst. Als zugelassener Inhaber eines Steuerlagers für Tabakerzeugnisse ist die Klägerin nach niederländischem Recht in das Verfahren zur Erhebung der Verbrauch- und der Mehrwertsteuerbeträge für Tabakerzeugnisse, die letztlich die Verbraucher zu tragen haben, eingebunden. In diesem Zusammenhang ist sie verpflichtet, Steuerzeichen anzufordern, sie zu bezahlen und sie auf den Tabakerzeugnissen anzubringen, bevor diese das Steuerlager verlassen.

31.   Nun soll die Klägerin aber, obwohl sie die als Verbrauch- und Mehrwertsteuer anfallenden Beträge für Tabakerzeugnisse, die das Lager noch nicht verlassen haben, an die niederländische Steuerverwaltung gezahlt hat, diese Steuerschuld noch einmal begleichen. Sie kann nämlich ihre Erzeugnisse nur in den Verkehr bringen, wenn sie die Verbrauch- und die Mehrwertsteuer erneut zahlt.

32.   Man könnte meinen, dies sei eine Situation, in der der Spruch gilt „wer schlecht zahlt, zahlt doppelt“. Dies ist aber nicht der Fall. Wie aus dem Vorlagebeschluss hervorgeht, besteht kein Zweifel daran, dass die Klägerin die nach niederländischem Recht als Verbrauch- und Mehrwertsteuer anfallenden Beträge ordnungsgemäß entrichtete, um die fraglichen Tabakerzeugnisse in den Verkehr zu bringen. Die doppelte Belastung ergibt sich hier aus dem Umstand, dass die Klägerin, nachdem die Steuerzeichen, die die Zahlung der Verbrauch- und Mehrwertsteuer repräsentieren, unterwegs spurlos verschwunden sind, verpflichtet ist, noch einmal zu zahlen, um neue Steuerzeichen zu erhalten, anhand deren sie die fraglichen Tabakerzeugnisse aus dem Steuerlager entnehmen kann.

33.   Für die Frage, ob eine solche Verpflichtung im Licht der Richtlinien über die Verbrauch- und über die Mehrwertsteuer zulässig ist, kommt es entscheidend darauf an, ob die Steuerzeichen einen inneren Wert haben, der sie von bloßen Papieren, durch die bestätigt wird, dass die Klägerin an den Inspecteur einen bestimmten Geldbetrag gezahlt hat, unterscheidet.

34.   Hierzu stimmen die niederländische und die deutsche Regierung, die Kommission der Europäischen Gemeinschaften und sogar die Klägerin darin überein, dass ein Risiko besteht – das nach Auffassung der Klägerin zwar sehr gering ist, aber eben doch besteht –, nämlich dass Dritte sich der verschwundenen Steuerzeichen bemächtigen und sie zu betrügerischen Zwecken missbrauchen. Tatsächlich können solche Dritte sie auf Tabakerzeugnissen, die noch nicht mit Steuerzeichen versehen sind, z. B. Schmuggelware oder aus einem Steuerlager gestohlene Ware(9), auf eine Weise anbringen, die den Anschein erweckt, dass die Verbrauch- und Mehrwertsteuer entrichtet worden ist. Der innere Wert der Steuerzeichen ergibt sich jedoch gerade daraus, dass sie im Fall des Verlustes von Dritten, die sich ihrer bemächtigen, zu ganz konkreten unrechtmäßigen Zwecken verwendet werden können. Dieses Risiko bestünde nicht, wenn es sich bei den Steuerzeichen um bloße Papiere handelte, die die Quittung für eine bestimmte Verbindlichkeit zwischen zwei auf dem Zeichen jeweils genau bestimmten Personen darstellten. Dies ist jedoch nicht der Fall, da auf den Zeichen nur drei spezifische Angaben stehen, nämlich die Art oder die Natur der Ware (z. B. Zigaretten oder Zigarren), die Stückzahl oder Menge und der Einzelhandelspreis.

35.   In der vorliegenden Rechtssache führt das Verschwinden der Steuerzeichen (ohne dass feststünde, dass sie vernichtet worden sind) wegen ihres inneren Wertes zwangsläufig zu einem Problem der Zuweisung des Risikos ihres Missbrauchs zwischen der Klägerin und der niederländischen Steuerverwaltung. Das niederländische Recht löst dieses Problem für das Verbrauchsteuer- und das Mehrwertsteuersystem auf die gleiche Weise. In beiden Fällen hat die Klägerin keinen Rechtsanspruch auf Erstattung oder Verrechnung der Beträge, die sie in der fraglichen Situation als Verbrauch- und Mehrwertsteuer gezahlt hat.

36.   Entsprechend der Reihenfolge der vom Hoge Raad gestellten Fragen behandle ich zunächst die Verweigerung der Erstattung der Verbrauchsteuer. Danach behandle ich die Verweigerung der Erstattung der Mehrwertsteuer.

A –    Zur ersten Frage

37.   Das Problem der Zuweisung des Risikos des Verlustes von Steuerzeichen wird weder in der Verbrauchsteuerrichtlinie noch in der Richtlinie über Tabakwaren behandelt. Diese Richtlinien ermächtigen in ihren Artikeln 21 und 10 Absatz 1 die Mitgliedstaaten nur, die Verbrauchsteuern auf Tabakwaren mittels Steuerzeichen zu erheben.

38.   Grundsätzlich spricht nichts dagegen, dass ein Mitgliedstaat diese Probleme der Zuweisung des Risikos des Verlustes und des damit verbundenen Risikos eines späteren Missbrauchs von Steuerzeichen regelt. So bleibt nach niederländischem Recht, außer in den Fällen des Artikels 79 Absatz 3 des Verbrauchsteuergesetzes in Verbindung mit Artikel 52 der Durchführungsverordnung(10), das Risiko des Verlustes von Steuerzeichen und ihres späteren Missbrauchs, wie es im vorliegenden Fall besteht, bei demjenigen, der sie angefordert hat und auf dessen Namen und für dessen Rechnung sie bei der PTT Post Filatelie abgeholt worden sind. Diese Person, in deren Kontrollsphäre sich die Steuerzeichen befinden, gilt nach niederländischem Recht als am ehesten in der Lage, den Eintritt des Missbrauchsrisikos zu verhindern oder zumindest sich durch Abschluss einer Versicherung oder auf andere Weise davor zu schützen. Es handelt sich wahrscheinlich um eine Risikozuweisungsregel, die auf dem Gedanken beruht, dass derjenige das Risiko tragen soll, der am ehesten in der Lage ist, die Steuerzeichen zu kontrollieren(11).

39.   Auch wenn der Gemeinschaftsgesetzgeber den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Zuweisung des Risikos eines Verlustes von Steuerzeichen offensichtlich freie Hand lassen wollte, so bedeutet dies nicht, dass jede Antwort auf diese Frage von vornherein mit der Verbrauchsteuerrichtlinie und den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, vereinbar ist.

40.   Die Klägerin trägt vor, dass die Steuerzeichen nur von Dritten zu betrügerischen Zwecken verwendet werden könnten, schließe es aus, dass sich der Ausfall von Verbrauchsteuereinnahmen für den Fiskus erhöhe, da diejenigen, die solche Rechtsverstöße begingen, von vornherein nicht beabsichtigten, auf die von ihnen in den Verkehr gebrachten Tabakerzeugnisse Verbrauchsteuer zu zahlen. Ich kann mich dem nicht anschließen.

41.   Tatsächlich verliert die Klägerin wirtschaftlich betrachtet mehr als der Inspecteur, wenn sie das Risiko des Verlustes der Steuerzeichen trägt. Geht nämlich das Risiko eines Missbrauchs der verschwundenen Steuerzeichen oder ihrer Verwendung zu betrügerischen Zwecken zu Lasten der Steuerverwaltung, so bedeutet dies nicht ohne weiteres, dass dem Staat Einnahmen in Höhe des Verbrauchsteuerbetrags, den die verschwundenen Steuerzeichen repräsentieren, entgehen, denn es steht keineswegs fest, dass sämtliche Steuerzeichen missbräuchlich verwendet werden.

42.   Wenn Steuerzeichen für eine unrechtmäßige Verwendung verfügbar sind, so entstehen dadurch offensichtlich jedenfalls Gelegenheiten zu Missbräuchen. Selbst wenn die Wahrscheinlichkeit, dass es tatsächlich zu einem Missbrauch der Steuerzeichen kommt, mehr oder weniger hoch ist (sie bleibt aber immer unter 100 %), bedeutet selbstverständlich bereits der bloße Umstand, dass Steuerzeichen für eine unrechtmäßige Verwendung verfügbar werden, einen Verlust für den Fiskus. Daher trägt es tatsächlich dazu bei, den Fiskus vor Einnahmenverlusten zu bewahren, wenn eine Verrechnung oder Erstattung des Betrages der verschwundenen Steuerzeichen, wie nach der niederländischen Regelung, ausgeschlossen ist.

43.   Es ist allgemein bekannt, dass der Handel mit Tabakerzeugnissen durch Schmuggel beeinträchtigt wird und dass Steuerzeichen für solche Erzeugnisse für den Schwarzhandel mit Tabakerzeugnissen ein begehrtes Gut sind. Die Verhinderung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und -missbrauch ist offensichtlich ein legitimes Ziel der nationalen Regelung des Rechtsinstruments der Steuerzeichen(12). Dieses Ziel gilt auch für die Regelung des Falles, dass Steuerzeichen wie im vorliegenden Fall verschwunden sind.

44.   Eine Regelung, die das Risiko des Verschwindens von Steuerzeichen so verteilen würde, dass im vorliegenden Fall derjenige, für dessen Rechnung und in dessen Namen die Steuerzeichen bei der PTT Post Filatelie abgeholt wurden, Erstattung oder Verrechnung der für sie entrichteten Beträge erlangen könnte, würde Missbrauch begünstigen. Der Anfordernde hätte kein Interesse, auf die Steuerzeichen aufzupassen, wenn bereits ihr bloßes Verschwinden zu einem Anspruch auf Erstattung oder Verrechnung durch den Inspecteur führen würde. Wie die niederländische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat, könnte der Anfordernde die Steuerzeichen sogar absichtlich verschwinden lassen, um dann für sie Erstattung zu beanspruchen.

45.   Die Klägerin behauptet jedoch, dass das Missbrauchsrisiko unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles so gering sei (insbesondere weil der von ihr verlangte Einzelhandelspreis vom Normalpreis abweiche, die Preise seit dem Verschwinden der Steuerzeichen gestiegen seien und die Preise nach der Einführung des Euro umgestellt worden seien), dass es unverhältnismäßig sei, ihr jegliche Erstattung oder Verrechnung der bei der Anforderung der verschwundenen Steuerzeichen gezahlten Beträge zu verweigern.

46.   Hierzu ist daran zu erinnern, dass jede nationale Stelle, die mit der Durchführung des Gemeinschaftsrechts betraut ist, die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts zu beachten hat(13). Es ist anerkannt, dass „der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehört“(14). Er muss also von den Mitgliedstaaten bei der Durchführung von Gemeinschaftsregelungen beachtet werden(15). Ob die niederländische Regelung über die Erstattung und Verrechnung von Beträgen, die als Verbrauchsteuer gezahlt wurden, bei höherer Gewalt oder Unfall mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang steht, ist danach zu beurteilen, ob die nach dieser Regelung angewandten Maßnahmen geeignet sind, das verfolgte Ziel zu erreichen, und nicht über das hinausgehen, was zu seiner Erreichung erforderlich ist(16).

47.   Die niederländische Erstattungsregelung stellt zum einen ein Mittel dar, das zur Erreichung des Zieles, das Verschwinden der Steuerzeichen zu verhindern und dem Risiko ihres späteren Missbrauchs zu betrügerischen Zwecken vorzubeugen, geeignet ist, weil sie berücksichtigt, dass die Klägerin am ehesten in der Lage ist, diese Steuerzeichen zu kontrollieren. Zum anderen geht diese Regelung nicht über das hinaus, was zur Erreichung des mit ihr verfolgten Zieles erforderlich ist. Anders verhielte es sich, wenn die Regelung für den Fall, dass die Steuerzeichen infolge höherer Gewalt oder Unfalls vernichtet oder endgültig unbrauchbar würden, keine Möglichkeit der Erstattung oder Verrechnung vorsähe. Daher ist die niederländische Regelung über die Erstattung oder Verrechnung von Beträgen der Verbrauchsteuer im Fall des Verlustes der Steuerzeichen meines Erachtens mit den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts und insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar.

48.   Daher schlage ich dem Gerichtshof vor, die erste Frage des vorlegenden Gerichts in dem Sinne zu beantworten, dass die Bestimmungen der Richtlinie 92/12 die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, eine rechtliche Regelung anzuwenden, nach der der Staat das finanzielle Risiko des Verlustes von Steuerzeichen denjenigen, die sie angefordert, und denjenigen zuweist, die sie entgegengenommen haben, und nach der er in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens den bei Anforderung der Steuerzeichen entrichteten Betrag nicht erstatten oder verrechnen muss. Eine solche rechtliche Regelung steht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang.

B –    Zu den Fragen betreffend die Mehrwertsteuer

49.   Artikel 28 des Umsatzsteuergesetzes sieht für die Erhebung der Mehrwertsteuer auf Tabakerzeugnisse ähnliche Modalitäten vor, wie sie für die Erhebung der Verbrauchsteuer gelten, d. h., sie ist auf eine Stufe beschränkt, nämlich beim Ausgang der verbrauchsteuerpflichtigen Erzeugnisse aus dem Steuerlager (oder bei der Einfuhr oder beim innergemeinschaftlichen Erwerb). Der anfallende Mehrwertsteuerbetrag ist wie bei der Verbrauchsteuer vom Anfordernden bei Entgegennahme der Steuerzeichen in einer Zahlung ohne Abzüge zu entrichten.

50.   Diese Regelung ist eine Sonderregelung (im Sinne von Artikel 27 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie), die von dem durch die Sechste Richtlinie eingeführten gemeinschaftlichen Regelsystem für die Erhebung der Mehrwertsteuer abweicht. Nach diesem wäre die Mehrwertsteuer zum Zeitpunkt der Lieferung der Tabakerzeugnisse zu erheben. Diese Sonderregelung dient zum einen dazu, die Erhebung der Mehrwertsteuer zu vereinfachen, denn sie wird, entsprechend dem System für Verbrauchsteuern, nur auf einer der Stufen der Vermarktung von Tabakerzeugnissen erhoben, nämlich wenn diese das Steuerlager verlassen oder bei ihrer Einfuhr; zum anderen dient sie zur Betrugsbekämpfung, da der Einzelhandel in das Verfahren zur Erhebung der Steuer nicht einbezogen ist.

51.   Mit den Vorlagefragen 2 a und 2 b wird das Problem der Anwendbarkeit von Artikel 28 des Umsatzsteuergesetzes aufgeworfen, weil die durch diesen Artikel eingeführte Sonderregelung für die Erhebung der Mehrwertsteuer der Kommission nicht binnen der Frist des Artikels 27 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie in der Fassung der Neunten Richtlinie, d. h. bis zum 1. Januar 1979, mitgeteilt worden war.

1.      Frage 2 a

52.   Hier stellt sich zunächst die Frage, welche Folgen sich daraus ergeben, dass die Sonderregelung der Kommission verspätet, nämlich am 12. Juni 1979, mitgeteilt wurde.

53.   Die Klägerin ist der Auffassung, dass eine nicht fristgerecht erfolgte Mitteilung die gleichen Folgen haben müsse wie eine unterbliebene Mitteilung. Die Sonderregelung sei deshalb unrechtmäßig und könne gegenüber Einzelpersonen, die sich auf dieses Versäumnis beriefen, nicht angewandt werden. Dass das Königreich der Niederlande diese Sonderregelung der Kommission knapp sechs Monate nach Ablauf der Frist mitgeteilt habe, sei unerheblich. Ich teile diesen Standpunkt nicht.

54.   In Artikel 27 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie ist nicht förmlich geregelt, welche Sanktion eine Überschreitung der dort vorgesehenen Frist nach sich zieht. Daher ist zum einen zu berücksichtigen, welcher Art die innerhalb der fraglichen Frist zu treffende Entscheidung ist und welchem Zweck sie dient, und zum anderen, in welcher Situation sich der Adressat, dessen Interessen beeinträchtigt wurden, befindet(17).

55.   Ich teile den Standpunkt der niederländischen Regierung und der Kommission, dass die fragliche Frist eine bloße Ordnungsfrist ist. Eine solche Mitteilung dient nicht dazu, die Zustimmung der Kommission einzuholen, sondern soll dieser lediglich ermöglichen, die fraglichen Maßnahmen zu beurteilen. Da die Mitteilung tatsächlich erfolgt ist und die Kommission somit in der Lage war, die fraglichen Sondermaßnahmen zu beurteilen und zu ihnen Stellung zu nehmen (sie hat dies getan, ohne sie zu beanstanden), kann die Anwendbarkeit dieser Maßnahmen nicht in Zweifel gezogen werden. Anders verhält es sich, solange die Kommission zu der Maßnahme keine Stellungnahme abgegeben hat.

56.   Es ist zwar klar, dass eine Sondermaßnahme, die der Kommission nicht entsprechend Artikel 27 Absatz 5 mitgeteilt wurde, nicht anwendbar bleiben kann. Wie die Klägerin in ihren Erklärungen ausgeführt hat, hat der Gerichtshof in dem Urteil vom 27. Oktober 1992, Kommission/Deutschland(18), festgestellt, dass „die in Artikel 27 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie den Mitgliedstaaten, die am 1. Januar 1977 von der Richtlinie abweichende Sondermaßnahmen zur Erleichterung der Steuererhebung angewandt haben, eingeräumte Möglichkeit zu deren Aufrechterhaltung von bestimmten Voraussetzungen abhängig [ist]. Unter anderem mussten diese Maßnahmen der Kommission vor dem 1. Januar 1978 mitgeteilt werden“(19).

57.   Diese Rechtsprechung betrifft jedoch nicht die spezifischere Frage, die uns hier beschäftigt, welches genau die Folgen einer verspäteten Mitteilung sind. Hierbei kann eine solche Fristüberschreitung für die Regierung, die verspätet gehandelt hat, nicht ohne Folgen bleiben, weil es sonst für die Anwendbarkeit der fraglichen Maßnahme keinen Unterschied bedeuten würde, ob sie vor dem 1. Januar 1979, Monate danach oder vielleicht gar erst Jahre später mitgeteilt wurde. Eine solche Fristüberschreitung führt also dazu, dass die Sondermaßnahme einem Steuerpflichtigen in der Zeit zwischen dem Ablauf der Frist und dem Zeitpunkt nach der Mitteilung, zu dem die Kommission zu der fraglichen Maßnahme, ohne sie zu beanstanden, Stellung genommen hat, nicht entgegengehalten werden kann.

58.   Daher schlage ich dem Gerichtshof vor, die Frage 2 a in dem Sinne zu beantworten, dass Artikel 27 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie eine Ordnungsfrist vorsieht und nicht dahin auszulegen ist, dass ein Einzelner eine Sonderform der Steuererhebung deshalb für unanwendbar erklären lassen kann, weil die Frist, binnen deren die Mitgliedstaaten der Kommission das Bestehen einer solchen Sonderform der Steuererhebung mitzuteilen hatten, überschritten ist, sofern die Kommission tatsächlich die Möglichkeit hatte, die fragliche Form der Steuererhebung zu beurteilen und dazu Stellung zu nehmen.

2.      Frage 2 b

59.   Auch wenn die vom Königreich der Niederlande mitgeteilte Sonderform der Mehrwertsteuererhebung für Tabakerzeugnisse infolge der verspäteten Mitteilung nicht unanwendbar geworden ist und die Kommission sie nicht beanstandet hat, ist zu prüfen, ob sie mit den Anforderungen des Artikels 27 Absatz 1 vereinbar ist.

60.   Nach Artikel 27 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie müssen nämlich die zur Erleichterung der Erhebung der Mehrwertsteuer erlassenen Maßnahmen den spezifischen Anforderungen des Absatzes 1 dieses Artikels entsprechen. Sie „dürfen den Betrag der im Stadium des Endverbrauchs fälligen Steuer nur in unerheblichem Maße beeinflussen“.

61.   Es steht außer Frage, dass die Form der Mehrwertsteuererhebung mittels Steuerzeichen insgesamt gesehen die Erhebung der Mehrwertsteuer für Tabakerzeugnisse erleichtert, da die Erhebung auf eine Stufe beschränkt wird. Zudem wird die Mehrwertsteuer auf der Grundlage des Preises für Endverbraucher berechnet. Somit impliziert die fragliche Erhebungsform, wie die Kommission in ihren Erklärungen hervorhebt, dass der fällige Betrag der Mehrwertsteuer an den Preis der Erzeugnisse im Stadium ihres Endverbrauchs gekoppelt ist, wie dies Artikel 27 Absatz 1 verlangt. Diese Sonderform der Erhebung der Mehrwertsteuer, bei der die Verpflichtung zur Verwendung von Steuerzeichen mit dem Verbot, Tabakerzeugnisse an Verbraucher zu einem anderen als dem auf den Steuerzeichen angegebenen Einzelhandelspreis zu verkaufen, verbunden ist, hat zur Folge, dass der Betrag der gezahlten Steuer grundsätzlich strikt proportional zum Einzelhandelspreis der Tabakwaren bleibt, unabhängig davon, wie viele Veräußerungen im Verlauf der Herstellung und Vermarktung der Tabakerzeugnisse stattfinden. Aus diesem System ergibt sich keinerlei Mangel an Konformität mit den in Artikel 27 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie aufgestellten Anforderungen.

62.   Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass die Vereinbarkeit mit der spezifischen Anforderung des Artikels 27 Absatz 1 dann zweifelhaft sei, wenn etwa Erzeugnisse unverkauft blieben oder im Zwischen- oder Einzelhandel verloren gingen, oder wenn Tabakerzeugnisse im Einzelhandel (unrechtmäßig) zu einem anderen Preis als dem auf den Steuerzeichen angegebenen Einzelhandelspreis verkauft würden. In der Tat kann es in außergewöhnlichen Situationen dazu kommen, dass der Hersteller mehr Mehrwertsteuer entrichten muss, als wenn das durch die Sechste Richtlinie eingeführte allgemeine gemeinschaftliche System der Mehrwertsteuererhebung gelten würde. Daher ist die Frage legitim, wie eine solche Sonderregelung die Höhe der im Stadium des Endverbrauchs fälligen Steuer beeinflusst und ob sie nicht tatsächlich über das hinausgeht, was die verfolgten Ziele, nämlich die Vereinfachung der Steuererhebung und die Vorbeugung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder -missbrauch, erfordern.

63.   Meines Erachtens darf man nicht aus offensichtlich ungewöhnlichen Umständen – dass etwa Erzeugnisse unverkauft bleiben oder dass im Einzelhandel Tabakerzeugnisse rechtswidrig zu einem anderen Preis als dem auf den Steuerzeichen angegebenen Einzelhandelspreis verkauft werden – allgemein folgern, dass die auf eine Stufe beschränkte, zusammen mit der Verbrauchsteuer erfolgende Erhebung der Mehrwertsteuer mittels Steuerzeichen dem Erfordernis des Artikels 27 Absatz 1 widerspricht, dass die fragliche Vereinfachungsmaßnahme „den Betrag der im Stadium des Endverbrauchs fälligen Steuer nur in unerheblichem Maße beeinflussen“ darf. Außerdem ist daran zu erinnern, dass nicht jede Abweichung geeignet ist, die Sonderregelung mit Artikel 27 Absatz 1 unvereinbar zu machen, sondern nur eine solche, die nicht unerheblich ist. Da die von der niederländischen Sonderregelung ermöglichten Abweichungen nur ausnahmsweise, nicht aber allgemein und generell eintreten, ist es nicht möglich, nachzuweisen, dass sie sich zu nicht unerheblichen Veränderungen der Beträge der im Stadium des Endverbrauchs fälligen Steuer summieren.

64.   Überdies dürfen nationale Sondermaßnahmen im Sinne von Artikel 27 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie, die dazu bestimmt sind, die Steuererhebung zu vereinfachen und Steuerhinterziehungen oder Steuerumgehungen zu verhüten, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes „grundsätzlich von der in Artikel 11 [der Sechsten Richtlinie] geregelten Besteuerungsgrundlage für die Mehrwertsteuer nur insoweit abweichen …, als dies für die Erreichung dieses Ziels unbedingt erforderlich ist“(20). Zulässig sind nur Maßnahmen, die „zur Verwirklichung des mit ihnen verfolgten konkreten Zieles erforderlich und geeignet [sind] und die Ziele und Grundsätze der Sechsten Richtlinie nicht mehr als erforderlich beeinträchtig[en]“(21).

65.   Die in Rede stehende Sonderregelung der Erhebung der Mehrwertsteuer mittels Steuerzeichen soll zur Vereinfachung der Steuererhebung beitragen und Steuerhinterziehungen oder Steuerumgehungen verhüten. Insgesamt gesehen dient sie diesem Zweck, ohne über das hinauszugehen, was dazu erforderlich wäre, und behindert die Verwirklichung der Ziele der Sechsten Richtlinie nicht auf spürbare Weise.

66.   Daher schlage ich dem Gerichtshof vor, die Frage 2 b in dem Sinne zu beantworten, dass Artikel 27 Absätze 1 und 5 der Sechsten Richtlinie in dem Sinne auszulegen ist, dass eine Sonderform der Erhebung der Mehrwertsteuer auf Tabakerzeugnisse, wie sie in Artikel 28 des Umsatzsteuergesetzes vorgesehen ist, mit den Anforderungen des genannten Artikels 27 vereinbar ist und insgesamt gesehen nicht über das hinausgeht, was erforderlich ist, um die Steuererhebung zu vereinfachen und Steuerhinterziehungen und Steuerumgehungen zu verhüten.

3.      Frage 2 c

67.   Gegenüber der eben behandelten Frage ist die letzte Frage des Hoge Raad des Näheren darauf gerichtet, ob die Regelung über die Erstattung oder die Verrechnung von Mehrwertsteuerbeträgen, die für Steuerzeichen, die unter den in der ersten Frage beschriebenen Umständen verschwunden sind, gezahlt wurden, mit der Sechsten Richtlinie und insbesondere mit deren Artikel 27 Absätze 1 und 5 vereinbar ist.

68.   Wie schon bei der Untersuchung der ersten Frage des vorlegenden Gerichts ist der Umstand, dass die fraglichen Steuerzeichen einen inneren Wert besitzen und dass ihr Verschwinden eine reale Gefahr des Missbrauchs zu betrügerischen Zwecken nach sich zieht, auch für die Beantwortung dieser letzten Frage von zentraler Bedeutung. Wie sich aus der Untersuchung der beiden vorigen Fragen ergibt, steht das Gemeinschaftsrecht in der vorliegenden Rechtssache einer Erhebung der für Tabakerzeugnisse fälligen Mehrwertsteuerbeträge mittels Steuerzeichen nicht entgegen. Da diese Steuerzeichen aufgrund ihrer besonderen Merkmale und der auf ihnen enthaltenen Angaben den bereits genannten inneren Wert besitzen, ist nachvollziehbar, dass das Risiko ihres Verschwindens im Grundsatz derjenige zu tragen hat, der sie angefordert und selbst oder durch eine Mittelsperson auf eigene Rechnung und in eigenem Namen entgegengenommen hat, da er am ehesten in der Lage ist, die in Rede stehenden Werte zu kontrollieren.

69.   Zwar hat diese Zuweisung des Risikos des Verlustes von Steuerzeichen unter den Umständen des vorliegenden Falles für einen Wirtschaftsteilnehmer wie die Klägerin, dem Steuerzeichen ohne Verschulden abhanden gekommen sind, harte finanzielle Auswirkungen. Doch ist eine solche Risikoverteilung, nach der das Risiko vom Empfänger der Steuerzeichen, der diese tatsächlich kontrolliert, getragen wird, als generelle abstrakte Regel aufzufassen. Die schmerzhaften finanziellen Auswirkungen für denjenigen, der das Risiko trägt, sind die logische Folge der Anwendung jeglicher Regel für die Zuweisung des Risikos des Verlustes von Gütern im Handelsverkehr. Dies kann nicht bedeuten, dass eine solche generelle Regel gegen die Sechste Richtlinie und insbesondere deren Artikel 27 Absätze 1 und 5 verstößt.

70.   Soweit die vorliegende Regelung die Nichterstattung verschwundener, aber nicht vernichteter Steuerzeichen vorsieht, kann sie zwar in der Praxis dazu führen, dass die Mehrwertsteuer für dieselben Tabakerzeugnisse doppelt erhoben wird. Doch ist das aus Gründen, die weitgehend mit den in der Antwort auf die erste Frage angeführten identisch sind, gerechtfertigt. In diesem Fall ist die Regelung für die Zuweisung des Risikos, dass die Steuerzeichen verschwinden und später etwa zu betrügerischen Zwecken missbraucht werden, auch dadurch gerechtfertigt, dass „die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen ein Ziel ist, das von der Sechsten Richtlinie anerkannt und gefördert wird“(22).

71.   Eine letzte Frage stellt sich noch. Nach Auffassung der Kommission und der Klägerin ist das Urteil British American Tobacco und Newman Shipping für die Beurteilung der vorliegenden Rechtssache relevant und rechtfertigt es, die Frage 2 c zu bejahen. Da der Gerichtshof in jenem Urteil entschieden habe, dass der Diebstahl von Tabakerzeugnissen aus einem Steuerlager keine Lieferung von Waren im Sinne der Sechsten Richtlinie darstelle, müsse dies erst recht im Fall des Verschwindens oder des Diebstahls von für solche Waren bestimmten Steuerzeichen gelten.

72.   Ich teile diesen Standpunkt nicht. Im Urteil British American Tobacco und Newman Shipping hatte die fragliche belgische Regelung zur Folge, dass ein Diebstahl von Tabakerzeugnissen als Steuertatbestand im Sinne der Sechsten Richtlinie angesehen wurde. Der Gerichtshof entschied, dass ein Mitgliedstaat nicht befugt ist, den Diebstahl von verbrauchsteuerpflichtigen Tabakwaren unter die Steuertatbestände der Sechsten Richtlinie zu fassen(23).

73.   In der vorliegenden Rechtssache sind der Sachverhalt und die nationale Regelung jedoch völlig anders gelagert als in der Rechtssache British American Tobacco und Newman Shipping. Dort ging es um eine Sondermaßnahme, die nicht bezweckte, den Eigentümer der Tabakwaren zur Kontrolle anzuhalten. Dies wäre auch völlig überflüssig gewesen, da ein Eigentümer, sofern er nicht auf betrügerische Weise in den Diebstahl verwickelt ist, von selbst versucht, dem Verlust seiner Tabakerzeugnisse vorzubeugen, was als Anreiz zur Überwachung der fraglichen Waren vollauf genügt. Dagegen hätte, was das Verschwinden von Steuerzeichen angeht, der Empfänger der Steuerzeichen ohne eine Regel, die ihm das Risiko zuweist, wie sie hier von der niederländischen Regierung erlassen worden ist, keinen wirksamen Anreiz, die Steuerzeichen zu überwachen, wenn ihr bloßes Verschwinden, ohne Vernichtung, problemlos zu einer Erstattung oder einer Verrechnung der für ihren Erwerb gezahlten Beträge führen würde. Das reicht aus, um das Argument zu entkräften, aus der Rechtssache British American Tobacco und Newman Shipping ergebe sich a fortiori, dass die Klägerin in der vorliegenden Rechtssache einen Anspruch auf Erstattung oder Verrechnung der als fällige Mehrwertsteuer gezahlten Beträge habe.

74.   Daher sollte der Gerichtshof meines Erachtens die Frage 2 c in dem Sinne beantworten, dass das Fehlen einer Verpflichtung zur Erstattung von für Verbrauchsteuerzeichen gezahlten Beträgen, die den Beträgen der fälligen Mehrwertsteuer entsprechen, unter Umständen wie denen des Ausgangsrechtsstreits mit der Sechsten Richtlinie und insbesondere mit deren Artikel 27 Absätze 1 und 5 vereinbar ist.

III – Ergebnis

75.   Im Licht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die vom Hoge Raad gestellten Fragen wie folgt zu antworten:

1.         Die Bestimmungen der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren hindern die Mitgliedstaaten nicht daran, eine rechtliche Regelung anzuwenden, nach der der Staat das finanzielle Risiko des Verlustes von Steuerzeichen denjenigen, die sie angefordert, und denjenigen zuweist, die sie entgegengenommen haben, und nach der er in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens den bei Anforderung der Steuerzeichen entrichteten Betrag nicht erstatten oder verrechnen muss. Eine solche rechtliche Regelung steht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang.

2.         Artikel 27 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage sieht eine Ordnungsfrist vor und ist daher dahin auszulegen, dass ein Einzelner eine Sonderform der Steuererhebung nicht deshalb für unanwendbar erklären lassen kann, weil die Frist, binnen deren die Mitgliedstaaten der Kommission das Bestehen einer solchen Sonderform der Steuererhebung mitzuteilen hatten, überschritten ist, sofern die Kommission tatsächlich die Möglichkeit hatte, die fragliche Form der Steuererhebung zu beurteilen und dazu Stellung zu nehmen.

3.         Artikel 27 Absätze 1 und 5 der Sechsten Richtlinie 77/388 ist in dem Sinne auszulegen, dass eine Sonderform der Erhebung der Mehrwertsteuer auf Tabakerzeugnisse, wie sie in Artikel 28 des Umsatzsteuergesetzes vorgesehen ist, mit den Anforderungen des genannten Artikels 27 vereinbar ist und insgesamt gesehen nicht über das hinausgeht, was erforderlich ist, um die Steuererhebung zu vereinfachen und Steuerhinterziehungen und Steuerumgehungen zu verhüten.

4.         Das Fehlen einer Verpflichtung zur Erstattung von für Verbrauchsteuerzeichen gezahlten Beträgen, die den Beträgen der fälligen Mehrwertsteuer entsprechen, ist unter Umständen wie denen des Ausgangsrechtsstreits mit der Sechsten Richtlinie und insbesondere mit deren Artikel 27 Absätze 1 und 5 vereinbar.


1 – Originalsprache: Portugiesisch.


2 – ABl. L 76, S. 1, im Folgenden: Richtlinie 92/12 oder Verbrauchsteuerrichtlinie.


3 – ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie.


4 – ABl. L 291, S. 40, im Folgenden: Richtlinie über Tabakwaren.


5 – In der Fassung vor den Änderungen durch die Richtlinie 2004/7/EG des Rates vom 20. Januar 2004 (ABl. L 27, S. 44).


6 – ABl. L 194, S. 16, im Folgenden: Neunte Richtlinie.


7 – Nach Artikel 75 können Verbrauchsteuerzeichen beim Inspecteur angefordert werden insbesondere vom Inhaber der Genehmigung für ein Steuerlager für Tabakerzeugnisse sowie von demjenigen, der außerhalb des Hoheitsgebiets der Niederlande Verbrauchsteuerzeichen auf Tabakerzeugnissen anbringt.


8 – Artikel 28 des Umsatzsteuergesetzes sieht für die Erhebung der Mehrwertsteuer auf Tabakerzeugnisse ähnliche Modalitäten vor, wie sie für die Erhebung der Verbrauchsteuer gelten. Er bestimmt, dass der Satz der Mehrwertsteuer für diese Erzeugnisse 19/119 des für die Berechnung der Verbrauchsteuer herangezogenen Einzelhandelspreises beträgt und dass diese Mehrwertsteuer ohne Abzüge zu entrichten ist.


9 – Der Rechtssache C-435/03 (British American Tobacco und Newman Shipping, Urteil vom 14. Juli 2005, Slg. 2005, I-7077) lag eben dieser Sachverhalt zugrunde: Nicht mit Steuerbanderolen versehene Tabakerzeugnisse waren aus einem Steuerlager gestohlen worden.


10 – Nach Artikel 79 des niederländischen Verbrauchsteuergesetzes hätte die Klägerin im Falle des Nachweises der Vernichtung der Steuerzeichen Anspruch auf Erstattung oder Verrechnung der als Verbrauchsteuer gezahlten Beträge. Dies ist nachvollziehbar, da in diesem Fall, anders als im Fall des bloßen Verlustes, das Risiko des Missbrauchs der Steuerzeichen ausgeschlossen wäre.


11 – Auch im Hinblick auf die Berechnung der angemessenen Versicherung befindet sich nach der Übergabe der Steuerzeichen an den Anfordernden dieser in einer viel günstigeren Stellung als die Steuerverwaltung.


12 – Vgl. die Neufassung von Artikel 21 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Verbrauchsteuerrichtlinie durch die Richtlinie 94/74/EG des Rates vom 22. Dezember 1994 (ABl. L 365, S. 46): „Die Mitgliedstaaten tragen unbeschadet der Vorschriften, die sie zur ordnungsgemäßen Anwendung dieses Artikels und zur Vorbeugung von Steuerhinterziehung, Steuervermeidung oder -missbrauch erlassen, dafür Sorge, dass diese Zeichen keine Hemmnisse für den freien Verkehr von verbrauchsteuerpflichtigen Waren schaffen.“


13 – Vgl. z. B. Urteile des Gerichtshofes vom 26. April 1988 in der Rechtssache 316/86 (Krücken, Slg. 1988, 2213, Randnr. 22) und vom 27. September 1979 in der Rechtssache 230/78 (Eridania, Slg. 1979, 2749, Randnr. 31).


14 – Urteile vom 11. Juli 1989 in der Rechtssache 265/87 (Schräder, Slg. 1989, 2237, Randnr. 21) und, aus jüngerer Zeit, vom 10. März 2005 in den verbundenen Rechtssachen C-96/03 und C-97/03 (Tempelman und van Schaijk, Slg. 2005, I-1895, Randnr. 47).


15 – Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Mai 2000 in der Rechtssache C-107/97 (Rombi und Arkopharma, Slg. 2000, I-3367, Randnr. 65) und vom 11. Juli 2002 in der Rechtssache C-62/00 (Marks & Spencer, Slg. 2002, I-6325, Randnr. 44).


16 – Vgl. Urteile vom 7. Dezember 1993 in der Rechtssache C-339/92 (ADM Ölmühlen, Slg. 1993, I-6473, Randnr. 15) und Tempelman und van Schaijk, Randnr. 47.


17 – Vgl. sinngemäß Urteil vom 27. Januar 1988 in der Rechtssache 349/85 (Dänemark/Kommission, Slg. 1988, 169, Randnr. 19), wo der Gerichtshof festgestellt hat: „Da keinerlei Sanktion mit der Nichteinhaltung dieser Frist verbunden ist, kann die Frist in Anbetracht des Charakters der Entscheidung über den Rechnungsabschluss, deren wesentlicher Zweck es ist, sich davon zu überzeugen, dass die Mittelbindungen der nationalen Stellen gemäß den Gemeinschaftsvorschriften vorgenommen worden sind, nur als Ordnungsfrist angesehen werden, soweit nicht die Interessen eines Mitgliedstaats beeinträchtigt werden.“


18 – Rechtssache C-74/91 (Slg. 1992, I-5437, Randnr. 21).


19 – Vgl. die derselben Linie folgenden Urteile vom 13. Februar 1985 in der Rechtssache 5/84 (Direct Cosmetics, Slg. 1985, 617, Randnr. 22) und vom 11. Juli 1991 in der Rechtssache C-97/90 (Lennartz, Slg. 1991, I-3795, Randnr. 33), wo der Gerichtshof festgestellt hat: „Soweit keine abweichende Regelung gemäß Artikel 27, der den Mitgliedstaaten eine Mitteilungspflicht auferlegt, geschaffen worden ist, können die staatlichen Steuerbehörden einem Steuerpflichtigen keine von der Sechsten Richtlinie abweichende Vorschrift entgegenhalten.“


20 – Urteile vom 10. April 1984 in der Rechtssache 324/82 (Kommission/Belgien, Slg. 1984, 1861, Randnr. 29), vom 29. Mai 1997 in der Rechtssache C-63/96 (Skripalle, Slg. 1997, I-2847, Randnr. 24) sowie British American Tobacco und Newman Shipping, Randnr. 44.


21 – Urteile vom 19. September 2000 in den verbundenen Rechtssachen C-177/99 und C-181/99 (Ampafrance und Sanofi, Slg. 2000, I-7013, Randnr. 43) und vom 29. April 2004 in der Rechtssache C-17/01 (Sudholz, Slg. 2004, I-4271, Randnr. 46).


22 – Urteil vom 29. April 2004 in den Rechtssachen C-487/01 und C-7/02 (Gemeente Leusden und Holin Groep, Slg. 2004, I-5337, Randnr. 76).


23 – Vgl. Randnrn. 42 und 48 des genannten Urteils.