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SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 11. Januar 2007(1)

Rechtssache C-146/05

Albert Collée

gegen

Finanzamt Limburg an der Lahn

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesfinanzhofs, Deutschland)

„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Art. 28c Teil A Buchst. a – Innergemeinschaftliche Lieferung – Befreiung – Anforderungen an den Nachweis“





I –    Einleitung

1.        Gegenstand des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens sind Fragen der Auslegung der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie(2), die die Anforderungen an die für die Steuerbefreiung zu erbringenden Nachweispflichten bei innergemeinschaftlichen Lieferungen betreffen. Die Fragen stehen in engem Zusammenhang mit den Fragen, die die Rechtssachen C-409/04 (Teleos u. a.) und C-184/05 (Twoh International) aufwerfen, in denen ich heute ebenfalls Schlussanträge vorlege.

2.        Im Ausgangsverfahren des vorliegenden Verfahrens vor dem Bundesfinanzhof streitet sich Albert Collée als Gesamtrechtsnachfolger der Collée KG (im Folgenden: Kläger) mit dem Finanzamt Limburg an der Lahn (im Folgenden: Beklagter) um die Anerkennung der Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung. Zwar hat diese unstreitig stattgefunden, jedoch hat der Kläger den nach nationalem Recht erforderlichen Buchnachweis trotz Kenntnis vom Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung nicht rechtzeitig geführt.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Gemeinschaftsrecht

3.        Die Richtlinie 91/680/EWG des Rates vom 16. Dezember 1991 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG im Hinblick auf die Beseitigung von Steuergrenzen(3) fügte in die Sechste Richtlinie einen neuen Abschnitt XVIa (Übergangsregelung für die Besteuerung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten (Art. 28a bis 28m) ein. Diese Bestimmungen sind nach wie vor maßgeblich, da bisher noch keine endgültige Regelung der Besteuerung des unternehmerischen Warenverkehrs für den Handel zwischen den Mitgliedstaaten ergangen ist.

4.        Nach Art. 28c Teil A der Sechsten Richtlinie sind innergemeinschaftliche Lieferungen zwischen zwei Mitgliedstaaten von der Steuer befreit. Die Bestimmung lautet auszugsweise:

„Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsbestimmungen befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch festlegen:

a)      die Lieferungen von Gegenständen im Sinne des Artikels 5 und des Artikels 28a Absatz 5 Buchstabe a), die durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb des in Artikel 3 bezeichneten Gebietes, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden, wenn diese Lieferungen an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt werden, der/die als solcher/solche in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns des Versands oder der Beförderung der Gegenstände handelt.

…“

5.        Art. 22 der Sechsten Richtlinie regelt die formellen Verpflichtungen des Steuerschuldners und sieht in der für den vorliegenden Fall maßgeblichen Fassung(4) unter anderem folgendes vor:

„(2)  a) Jeder Steuerpflichtige hat Aufzeichnung zu führen, die so ausführlich sind, dass sie die Anwendung der Mehrwertsteuer und die Überprüfung durch die Steuerverwaltung ermöglichen.

(3)       a) Jeder Steuerpflichtige hat für die Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die er an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nicht steuerpflichtige juristische Person bewirkt, eine Rechnung oder ein an deren Stelle tretendes Dokument auszustellen. Jeder Steuerpflichtige hat ebenfalls eine Rechnung oder ein an deren Stelle tretendes Dokument auszustellen für die in Artikel 28b Teil B Absatz 1 genannten Lieferungen von Gegenständen und für unter den Bedingungen des Artikels 28c Teil A ausgeführte Lieferungen von Gegenständen. Der Steuerpflichtige muss eine Ausfertigung von allen ausgestellten Dokumenten aufbewahren.

(4)       a) Jeder Steuerpflichtige hat innerhalb eines Zeitraums, der von den einzelnen Mitgliedstaaten festzulegen ist, eine Steuererklärung abzugeben. …

b) Die Steuererklärung muss alle für die Festsetzung des geschuldeten Steuerbetrags und der vorzunehmenden Vorsteuerabzüge erforderlichen Angaben erhalten, gegebenenfalls einschließlich des Gesamtbetrags der sich auf diese Steuer und Abzüge beziehenden Umsätze sowie des Betrags der steuerfreien Umsätze, soweit dies für die Festlegung der Bemessungsgrundlage erforderlich ist.

c) Die Steuererklärung muss außerdem folgende Angaben enthalten:

–        zum einen den Gesamtbetrag – ohne Mehrwertsteuer – der Lieferungen von Gegenständen nach Artikel 28c Teil A, für die während des Steuerzeitraums ein Steueranspruch eingetreten ist.

–        …

(6)      …

b) Jeder Steuerpflichtige mit einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer muss außerdem eine Aufstellung vorlegen, die Angaben über die Erwerber mit einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer enthält, denen er Gegenstände nach Maßgabe des Artikels 28c Teil A Buchstaben a) und d) geliefert hat, …

(7)      …

(8)      Die Mitgliedstaaten können unter Beachtung der Gleichbehandlung der von Steuerpflichtigen im Inland und zwischen Mitgliedstaaten bewirkten Umsätze weitere Pflichten vorsehen, die sie als erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu vermeiden, sofern diese Pflichten im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu Förmlichkeiten beim Grenzübertritt führen.“

B –    Nationales Recht

6.        Nach § 4 Nr. 1 b) des deutschen Umsatzsteuergesetzes (UStG) sind von den Umsätzen, die unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG fallen, die innergemeinschaftlichen Lieferungen im Sinne von § 6a UStG steuerfrei.

7.        § 6a UStG definiert in Abs. 1 die innergemeinschaftliche Lieferung und enthält in Abs. 3 folgende Beweislastregel:

„Die Voraussetzungen der Absätze 1 und 2 müssen vom Unternehmer nachgewiesen sein. Das Bundesministerium der Finanzen kann mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung bestimmen, wie der Unternehmer den Nachweis zu führen hat.“

8.        Eine solche Rechtsverordnung nach § 6a Abs. 3 Satz 2 UStG stellt die Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) dar. Diese konkretisiert in § 17a die Anforderungen an den Belegnachweis bei innergemeinschaftlichen Lieferungen in Beförderungs- und Versendungsfällen:

„(1) Bei innergemeinschaftlichen Lieferungen (§ 6a Absatz 1 des Gesetzes) muss der Unternehmer im Geltungsbereich dieser Verordnung durch Belege nachweisen, dass er oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet hat. Dies muss sich aus den Belegen eindeutig und leicht nachprüfbar ergeben.

(2) In den Fällen, in denen der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert, soll der Unternehmer den Nachweis hierüber wie folgt führen:

1.      durch das Doppel der Rechnung (§§ 14, 14a des Gesetzes),

2.      durch einen handelsüblichen Beleg, aus dem sich der Bestimmungsort ergibt, insbesondere Lieferschein,

3.      durch eine Empfangsbestätigung des Abnehmers oder seines Beauftragten sowie

4.      in den Fällen der Beförderung des Gegenstandes durch den Abnehmer durch eine Versicherung des Abnehmers oder seines Beauftragten, den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet zu befördern.“

9.        § 17c UStDV legt darüber hinaus die Pflicht zum buchmäßigen Nachweis bei innergemeinschaftlicher Lieferung fest:

„(1) Bei innergemeinschaftlichen Lieferungen (§ 6a Absatz 1 und 2 des Gesetzes) muss der Unternehmer im Geltungsbereich dieser Verordnung die Voraussetzungen der Steuerbefreiung einschließlich Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Abnehmers buchmäßig nachweisen. Die Voraussetzungen müssen eindeutig und leicht nachprüfbar aus der Buchführung zu ersehen sein.

(2)      Der Unternehmer soll regelmäßig folgendes aufzeichnen:

1.      den Namen und die Anschrift des Abnehmers;

2.      den Namen und die Anschrift des Beauftragten des Abnehmers bei einer Lieferung, die im Einzelhandel oder in einer für den Einzelhandel gebräuchlichen Art und Weise erfolgt;

3.      den Gewerbezweig oder Beruf des Abnehmers;

4.      die handelsübliche Bezeichnung und die Menge des Gegenstandes der Lieferung oder die Art und den Umfang der einer Lieferung gleichgestellten sonstigen Leistung auf Grund eines Werkvertrages;

5.      den Tag der Lieferung oder der einer Lieferung gleichgestellten sonstigen Leistung auf Grund eines Werkvertrages;

6.      das vereinbarte Entgelt oder bei der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten das vereinnahmte Entgelt und den Tag der Vereinnahmung;

7.      die Art und den Umfang einer Bearbeitung oder Verarbeitung vor der Beförderung oder Versendung in das übrige Gemeinschaftsgebiet (§ 6a Absatz 1 Satz 2 des Gesetzes);

8.      die Beförderung oder Versendung in das übrige Gemeinschaftsgebiet;

9.      den Bestimmungsort im übrigen Gemeinschaftsgebiet.

…“

III – Sachverhalt und Vorlagefrage

10.      Die Collée KG war im Jahr 1994 Organträgerin einer in Deutschland ansässigen Autohaus-GmbH, welche als Vertragshändlerin der A-AG für diese Pkw verkaufte. Dabei stand der GmbH nur für Verkäufe an Abnehmer der näheren Umgebung ein Provisionsanspruch gegen die A-AG zu.

11.      Im Frühjahr 1994 schloss die GmbH mit einem belgischen Autohändler B einen schriftlichen Vertrag über den Verkauf von 20 Vorführwagen zum Preis von insgesamt 1 018 200 DM. B überwies der GmbH den Kaufpreis netto und holte die Fahrzeuge nach Eingang des Geldes ab.

12.      Um den Provisionsanspruch gegenüber der A-AG zu erlangen, schaltete die GmbH den in der näheren Umgebung in Deutschland niedergelassenen Kfz-Händler S ein, der sich gegen Entgelt bereiterklärte, die Vorführwagen pro forma anzukaufen und dann an B weiterzuverkaufen. Hierzu überließ S der GmbH Blanco-Rechnungsformulare, die diese dazu verwendete, Rechnungen an B im Namen von S über die Lieferung der Vorführwagen zu erstellen. S machte sodann in seinen Umsatzsteuer-Voranmeldungen für Juli, August und September 1994 die ihm von der GmbH in Rechnung gestellte Umsatzsteuer in Höhe von 152 730 DM als Vorsteuer geltend.

13.      Nach einer im Oktober 1994 durchgeführten Sonderprüfung versagte der Beklagte dem S den Vorsteuerabzug jedoch mit der Begründung, dass S nur formal als „Strohmann“ zwischengeschaltet worden sei. Nachdem der Kläger, der den Vorgang zunächst als steuerpflichtigen inländischen Umsatz behandelte hatte, davon Kenntnis erlangte, stornierte er am 25. November 1994 die jeweiligen Buchungen und buchte die Erlöse nunmehr auf dem Konto „steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen“. Er berücksichtigte diesen Vorgang sodann entsprechend in der Umsatzsteuer-Voranmeldung für November 1994.

14.      Das Finanzamt erhöhte durch Umsatzsteuer-Änderungsbescheid für 1994 vom 12. Februar 1998 die steuerpflichtigen Umsätze des Klägers um 1 018 200 DM. Dem Kläger wurde die Steuerfreiheit für die Lieferung der Pkw an B versagt, weil die erforderlichen Aufzeichnungen nicht laufend und unmittelbar nach Ausführung des jeweiligen Umsatzes vorgenommen worden seien.

15.      Einspruch und Klage hiergegen hatten keinen Erfolg. Der Kläger beantragt im Rahmen des Revisionsverfahrens die Änderung des Umsatzsteuer-Änderungsbescheids von 1998 dahin gehend, dass Umsätze in Höhe von 1 018 200 DM als steuerfrei behandelt werden. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass zu Beginn der Betriebsprüfung bei S zwar noch keine Rechnungen der GmbH an B vorgelegen hätten, aus den Geschäftspapieren der GmbH sowie aus den Kontobewegungen jedoch eindeutig zu erkennen gewesen sei, dass eine innergemeinschaftliche Lieferung an B vorgelegen habe.

16.      Der Bundesfinanzhof hat daher dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Darf die Finanzverwaltung die Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung, die zweifelsfrei vorliegt, allein mit der Begründung versagen, der Steuerpflichtige habe den dafür vorgeschriebenen Buchnachweis nicht rechtzeitig geführt?

2.      Kommt es zur Beantwortung der Frage darauf an, ob der Steuerpflichtige zunächst bewusst das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung verschleiert hat?

IV – Rechtliche Würdigung

17.      Mit der ersten Frage geht es dem vorlegenden Gericht im Wesentlichen darum, ob allein die Nichteinhaltung einer bestimmten formellen Voraussetzung durch den Steuerpflichtigen – hier die rechtzeitige Buchnachweisführung – zur Versagung der Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung führen kann. Dies präzisierend zielt die zweite Frage darauf ab, ob im Einzelfall gegebenenfalls ein weiterer materieller Umstand – nämlich derjenige, ob der Steuerpflichtige zunächst bewusst das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung verschleiert hat – im Rahmen der Entscheidung über die Gewährung oder Versagung einer Steuerbefreiung berücksichtigt werden muss. Die zweite Frage stellt demnach eine Konkretisierung der ersten dar und ist eng mit dieser verknüpft. Die beiden vom Bundesfinanzhof zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen sind daher gemeinsam zu prüfen.

18.      Der Bundesfinanzhof möchte zunächst wissen, ob die Sechste Richtlinie einer Praxis der nationalen Finanzverwaltung entgegensteht, wonach allein der verspätete Buchnachweis des Vorliegens einer – unstreitig gegebenen – innergemeinschaftlichen Lieferung bereits zur Versagung der Steuerbefreiung führt.

19.      Der Grundsatz der Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung findet sich in Artikel 28c Teil A Buchst. a der Sechsten Richtlinie. Der steuerlichen Befreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung liegt der Gedanke zugrunde, dass während des für die gemeinschaftliche Umsatzsteuer geltenden Übergangsregimes die Mehrwertsteuer als Verbrauchssteuer weiterhin in dem Mitgliedstaat erhoben werden soll, in dem der Endverbrauch erfolgt (Bestimmungslandprinzip). Um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden, soll deshalb die dem steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb gegenüberstehende innergemeinschaftliche Lieferung im Ursprungsland von der Steuer befreit werden.(5)

20.      Die Sechste Richtlinie enthält dabei jedoch keine spezifischen Vorgaben für den Nachweis einer innergemeinschaftlichen Lieferung durch den Steuerpflichtigen.(6) Art. 22 macht nur einige allgemeine Vorgaben für die Aufzeichnungen der Steuerpflichtigen, für die Ausgestaltung von Rechnungen und für die Steuererklärungen. Im Übrigen überlässt es Art. 22 Abs. 8 den Mitgliedstaaten, „weitere Pflichten vor[zu]sehen, die sie als erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu vermeiden.

21.      Ferner befreien die Mitgliedstaaten die innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen gemäß Art. 28c Teil A „unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch festlegen“.

22.      Art. 28c Teil A und Art. 22 Abs. 8 geben also nur Ziele vor, überlassen es aber den Mitgliedstaaten, die Anforderungen an die formellen Nachweispflichten im Hinblick auf die von der Mehrwertsteuer befreienden Tatbestände näher auszugestalten.

23.      Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass die Sechste Richtlinie die Mehrwertsteuersysteme der Mitgliedstaaten nicht vollständig harmonisieren soll. Vielmehr „bezweckt sie insgesamt, eine einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage zu schaffen, die die Neutralität des Systems gewährleisten […] soll“(7). Wie der Gerichtshof bereits in seinem Urteil BP Soupergaz festgestellt hat, verfügen die Mitgliedstaaten dabei aber über „einen relativ weiten Handlungsspielraum bei der Durchführung einzelner Vorschriften der Sechsten Richtlinie“(8). Generalanwalt Fennelly hat dazu unter anderem in den Schlussanträgen zu den Rechtssachen Molenheide sowie Schmeink & Cofreth ausgeführt, dass sich allgemeiner sagen lasse, „dass den Mitgliedstaaten die Verwaltung des gesamten Mehrwertsteuersystems zusteht“.(9)

24.      Bei dem Erlass von Maßnahmen zur Durchführung der Bestimmungen des Mehrwertsteuersystems sind die Mitgliedstaaten neben den Zielvorgaben in Art. 28c Teil A und Art. 22 Abs. 8 der Sechsten Richtlinie außerdem an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden. So hat der Gerichtshof im Urteil Halifax jüngst noch einmal hervorgehoben, dass „die Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten nach Artikel 22 Absatz 8 der Sechsten Richtlinie erlassen dürfen, um die genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu verhindern, nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist“. (10)

25.      Weiter heißt es in diesem Urteil, dass die mitgliedstaatlichen Maßnahmen „nicht so eingesetzt werden [dürfen], dass sie die Neutralität der Mehrwertsteuer in Frage stellen, die ein Grundprinzip des durch das einschlägige Gemeinschaftsrecht geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ist.(11) Die Neutralität wäre gefährdet, wenn es zu einer Doppelbesteuerung der Lieferung käme, weil die Befreiung als innergemeinschaftliche Lieferung versagt wird und der innergemeinschaftliche Erwerb im Zielland ebenfalls besteuert wird.(12)

26.      Die konkrete Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist Sache des vorlegenden Gerichts, welches zu prüfen hat, ob die nationalen Maßnahmen mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind. Der Gerichtshof kann jedoch alle Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts geben, die es dem vorlegenden Gericht ermöglichen, die Frage der Vereinbarkeit für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu beurteilen.(13)

27.      Das deutsche Recht sieht in §§ 17a und 17c UStDV vor, dass sich die Voraussetzungen für das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung „eindeutig und leicht nachprüfbar“ sowohl aus den Belegen als auch aus der Buchführung ergeben müssen. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu § 13 Abs. 1 Satz 2 UStDV, der die Anforderungen an den Nachweis einer Ausfuhrlieferung in ein Drittland regelt und dabei eine den §§ 17a und 17c UStDV entsprechende Formulierung enthält, ist dieses Erfordernis dahin gehend zu verstehen, dass die Aufzeichnungen „laufend und unmittelbar nach Ausführung der jeweiligen Umsätze“ vorgenommen werden müssen.

28.      Vorliegend hat der Kläger die in den Monaten Juli, August und September 1994 ausgeführten Lieferungen zunächst buchmäßig als steuerpflichtige inländische Lieferung behandelt. Im November 1994, also etwa zwei Monate nach Ausführung der letzten Lieferung, erfolgte die Umbuchung als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung und die entsprechende Berücksichtigung in der Umsatzsteuer-Voranmeldung für November 1994. Unter Hinweis darauf, dass die für die Steuerbefreiung erforderlichen Aufzeichnungen nicht laufend und unmittelbar erfolgt seien, versagte das Finanzamt dem Kläger die Steuerbefreiung, obwohl sich das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung eindeutig feststellen ließ.

29.      Die deutsche Regierung vertritt diesbezüglich die Ansicht, dass die nach nationalem Recht geltenden Anforderungen an den Beleg- und Buchnachweis dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Hierdurch werde das Recht auf Steuerbefreiung bei einer innergemeinschaftlichen Lieferung nicht systematisch in Frage gestellt. Die in den §§ 17a ff. UStDV vorgesehene Buchnachweispflicht verfolge einen Zweck, der in Art. 28c Teil A der Sechsten Richtlinie ausdrücklich vorgesehen sei, nämlich den einer zuverlässigen und möglichst einfachen Steuererhebung bzw. einer Bekämpfung von Steuermissbrauch. Nach Auffassung der Bundesregierung sind die §§ 17a bis 17c UStDV zur Verfolgung dieses Zwecks, insbesondere zur Verhinderung des sog. „Mehrwertsteuer-Karusselbetrugs“ auch erforderlich. Dabei sei es unerheblich, ob die Lieferung eine zweifelsfrei innergemeinschaftliche sei oder nicht.

30.      Hierzu ist zunächst festzustellen, dass es vorliegend nicht um die Auslegung der Richtlinienvorgaben im Hinblick auf die in §§ 17a-17c UStDV vorgesehenen Vorgaben selbst geht. Vielmehr ist es die in Ausfüllung dieser Vorschriften ergangene Rechtsprechung und Verwaltungspraxis, wonach die innergemeinschaftliche Lieferung „laufend und unmittelbar“ buchmäßig nachgewiesen werden muss, die hier in Frage steht.

31.      Wie sich aus Art. 22 Abs. 8 und Art. 28c Teil A der Sechsten Richtlinie ergibt, ist es legitim, dass die Mitgliedstaaten einen zeitnahen Nachweis fordern, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu verhindern.(14) Die Mitgliedstaaten können nämlich einen angemessenen Schutz gegen die Gefährdung des Steueraufkommens vorsehen, wobei es ihnen auch offen steht, formelle Anforderungen einschließlich bestimmter Verpflichtungen in zeitlicher Hinsicht vorzusehen, um Steuerhinterziehungen oder einem Mehrwertsteuer-Karusselbetrug entgegenzuwirken.

32.      Ob dabei möglicherweise auch die gesetzliche Vorgabe konkreter Fristen für die Führung eines Beleg- und Buchnachweises zu dem Zweck der Ermöglichung einer effektiven Steuererhebung einerseits und der Gewährleistung von Rechtssicherheit andererseits möglich sind, kann vorliegend dahinstehen.

33.      Denn zum einen setzt die in Frage stehende nationale Regelung keine konkrete Frist. Die §§ 17a und 17c UStDV sehen lediglich vage vor, dass sich die Voraussetzungen für die Befreiung „eindeutig und leicht nachprüfbar“ aus den Belegen bzw. der Buchführung ergeben müssen. Auch die in Ausfüllung dieser Begriffe ergangene Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, wonach die genannte Formulierung als in zeitlicher Hinsicht wirkende Verpflichtung zu verstehen ist und die erforderlichen Aufzeichnungen „laufend und unmittelbar nach Ausführung der jeweiligen Umsätze“ vorgenommen werden müssen, bleibt selbst auslegungsbedürftig.

34.      Das ist für sich genommen bereits problematisch im Hinblick auf das gemeinschaftsrechtlich anerkannte Prinzip der Rechtssicherheit, das die Mitgliedstaaten nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs bei der Umsetzung der Richtlinien beachten müssen.(15) Der Gerichtshof hat in der Rechtssache Halifax zudem betont, dass das Gebot der Rechtssicherheit in besonderem Maße gelte, wenn es sich um eine Regelung handelt, die sich finanziell auswirken kann.(16)

35.      Zum anderen müssten selbst konkrete Fristenregelungen es grundsätzlich ermöglichen, dass nachträglich Änderungen bei der Einordnung der Lieferung als innergemeinschaftliche in der Buchführung berücksichtigt werden können. Denn derartige Korrekturen können im Einzelfall durchaus auf Gründen beruhen, die der Steuerpflichtige nicht zu vertreten hat. Sie müssen auch nicht zwingend die Steuererhebung erschweren oder gefährden. Insbesondere bei kurzen Fristen könnte durch Ausnahmetatbestände, Wiedereinsetzungstatbestände oder vergleichbare Regelungen gewährleistet werden, dass in Ausnahmefällen eine tatsächlich vorliegende innergemeinschaftliche Lieferung bei einer nachträglichen Änderung in der Buchführung noch als solche anerkannt werden kann.

36.      Ohne entsprechende Ausnahmetatbestände würde das Recht auf Steuerbefreiung zu stark eingeschränkt, welches die Sechste Richtlinie bei der innergemeinschaftlichen Lieferung aber gerade einräumen will, um dem Grundsatz der Steuerneutralität Rechnung zu tragen. Auch im Fall einer verspätet erfolgten Einordnung als innergemeinschaftliche Lieferung gilt die Feststellung von Generalanwalt Fennelly zur Möglichkeit der Berichtigung von Mehrwertsteuer, die zu Unrecht in Rechnungen über nie ausgeführte Umsätze ausgewiesen worden ist, wonach es „jedenfalls mit dem Grundsatz der Steuerneutralität unvereinbar wäre, wenn das nationale Recht keine Berichtigung zuließe.“(17)

37.      Solange entsprechende konkrete Fristen und Möglichkeiten nachträglicher Änderungen gesetzlich nicht vorgesehen sind, muss bei Anwendung der §§ 17a und 17c UStDV folglich im Einzelfall geprüft werden, ob die Versagung der späteren Änderung der Einordnung der Lieferung verhältnismäßig ist.

38.      Dabei ist zunächst zu klären, wie die Kommission zu Recht ausführt, ob eine innergemeinschaftliche Lieferung tatsächlich vorliegt oder nicht. Denn für den ersten Fall sieht die Sechste Richtlinie im Grundsatz die Steuerbefreiung vor, während in letzterem Fall der Grundsatz die Steuerpflicht ist. Dementsprechend hält der Gerichtshof in der Rechtssache Transport Service NV fest, dass „[d]as vorlegende Gericht […] festzustellen [hat], ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Lieferung diese Voraussetzungen erfüllt. Ist dies der Fall, so wird für diese Lieferung keine Mehrwertsteuer geschuldet.“(18) Diese grundsätzliche Richtlinienaussage kann nicht allein durch formelle Anforderungen der Mitgliedstaaten beseitigt werden. Von ihr kann vielmehr nur dann abgewichen werden, wenn es zur Erreichung der in den einschlägigen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts vorgesehenen Ziele erforderlich ist. Der Auffassung der Bundesregierung, wonach es – sofern der Buchnachweis nicht rechtzeitig geführt worden ist – unbeachtlich sei, ob eine innergemeinschaftliche Lieferung tatsächlich vorliegt, kann daher nicht gefolgt werden.

39.      Erweist sich, dass tatsächlich eine innergemeinschaftliche Lieferung vorliegt, kann die Steuerbefreiung bei Verletzung der nationalen Formvorschriften dennoch versagt werden, soweit diese den von der Richtlinie verfolgten Zielen dienen, nämlich der Verhinderung der Steuerhinterziehung und der genauen Erhebung der Steuer, insbesondere der korrekten und einfachen Anwendung der Befreiungstatbestände. Außerdem dürfen die formellen Anforderungen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist.

40.      Es ist daher im Einzelfall zu prüfen, ob die Verzögerung der Nachweisführung Konsequenzen für die Effektivität der Steuererhebung hat oder ob sie darauf zurückzuführen ist, dass Manipulationen erfolgt sind, die in irgendeiner Form zur Gefährdung der Steuererhebung führen können. Zur Erreichung der in Art. 28c Teil A und Art. 22 Abs. 8 Sechsten Richtlinie ausdrücklich genannten Ziele ist es dagegen nicht erforderlich, die Steuerbefreiung systematisch in jedem Fall zu verweigern, in dem der Buchnachweis verspätet geführt wurde.

41.      Wenn das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung zweifelsfrei festgestellt werden kann, obwohl der erforderliche Buchnachweis nicht rechtzeitig geführt wurde, so ist dem Grundsatz der Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen der Sechsten Richtlinie Rechnung zu tragen und eine Befreiung vorzunehmen. Für die Versagung der Steuerbefreiung bedarf es – über den Verstoß gegen die von der Rechtsprechung und Finanzverwaltung aufgestellten formellen Voraussetzungen hinaus – stets eines den Vorgaben der Sechsten Richtlinie entsprechenden weiteren Grundes, der insbesondere darin liegen kann, dass aufgrund der verspäteten Buchnachweisführung eine korrekte Steuerbemessung oder -erhebung unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert wurde.

42.      Hieraus ergibt sich zugleich die Antwort auf die zweite Frage, mit der das vorlegende Gericht wissen möchte, ob es für die Beantwortung der Frage darauf ankommt, dass der Steuerpflichtige zunächst bewusst das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung verschleiert hat.

43.      In Konsequenz der obigen Ausführungen gilt auch hier, dass es in Einklang mit den Bestimmungen der Sechsten Richtlinie zur Steuerbefreiung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen wesentlich darauf ankommt, welche Ursachen die verspätete Nachweisführung hat und welche Folgen sich aus der Verspätung für die korrekte Steuererhebung ergeben. Dies hat das vorlegende Gericht im Einzelfall zu prüfen und zu beurteilen. Die Tatsache, dass der Steuerpflichtige zunächst formal eine Zwischenperson im Inland einschalten wollte, so dass es nicht unmittelbar zu einer innergemeinschaftlichen Lieferung gekommen wäre, sondern erst bei der Weiterlieferung im Anschluss, ist allein nicht ausschlaggebend.

44.      Dies bestätigen die Feststellungen, die der Gerichtshof im Urteil Schmeink & Cofreth zur nachträglichen Berichtigung zu Unrecht in Rechnung gestellter Mehrwertsteuer getroffen hat; dort führte er aus: „…wenn der Aussteller der Rechnung die Gefährdung des Steueraufkommens rechtzeitig und vollständig beseitigt hat, verlangt der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer, dass zu Unrecht in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer berichtigt werden kann, ohne dass die Mitgliedstaaten eine solche Berichtigung vom guten Glauben des Ausstellers der betreffenden Rechnung abhängig machen dürfen“. Wenn feststehe, dass „der Aussteller der Rechnung die Gefährdung des Steueraufkommens rechtzeitig und vollständig beseitigt [hat], so ist es zur Gewährleistung der Erhebung der Mehrwertsteuer und zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen nicht erforderlich, dass er seinen guten Glauben nachweist“.(19)

45.      Diese Argumentation ist auf den Fall der nachträglichen Behandlung als innergemeinschaftliche Lieferung und der entsprechenden Änderung der Bücher übertragbar. Hätte es auf die Anerkennung als innergemeinschaftliche Lieferung Einfluss, ob der Steuerpflichtige die entsprechende Qualifikation bewusst oder unbewusst vereitelt hat, so käme er gegebenenfalls selbst dann nicht in den Genuss der Befreiung, wenn sein Verhalten die Steuererhebung im Ergebnis nicht gefährdet hat. Die Versagung der Steuerbefreiung würde so zu einem Sanktionsinstrument für die anfängliche Verschleierung der innergemeinschaftlichen Lieferung, was über den legitimen Zweck der Formerfordernisse hinausgehen würde.

46.      Wie bereits ausgeführt, ist es Sache des nationalen Gerichts, den Einzelfall im Hinblick auf diese Vorgaben unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände zu beurteilen. Es muss dabei gemäß dem oben Gesagten insbesondere prüfen, ob die Tatsache, dass der Buchnachweis nicht rechtzeitig geführt wurde, zu einer Gefährdung der Steuererhebung führte.

47.      Bedeutung kann etwa dem Umstand beigemessen werden, dass sich die Überprüfung eines Vorgangs in der Regel umso schwieriger gestaltet, je länger er zurückliegt. Je kürzer die zeitlichen Vorgaben sind, desto wichtiger ist es hingegen, dass nachträgliche Änderungen noch berücksichtigt werden können. Im Rahmen der Einzelfallprüfung kann außerdem berücksichtigt werden, inwieweit der Steuerpflichtige die verzögerte Buchnachweisführung selbst verschuldet hat.

48.      Der vorliegende Fall weist die Besonderheit auf, dass die geplante Strohmannkonstruktion nicht im Zusammenhang mit einer etwaigen Steuerhinterziehung stand, sondern der Erlangung der Provision dienen sollte(20). Anders als in den typischen Konstellationen wurde hier nicht eine innergemeinschaftliche Lieferung vorgetäuscht, die gar nicht stattgefunden hat,(21) sondern – aus in steuerlicher Hinsicht nicht relevanten Gründen – das Vorliegen einer solchen verschleiert. Bei einer Gesamtbetrachtung der Vorgänge wäre die Zwischenschaltung des Strohmanns nämlich ohne Einfluss auf die Höhe der Steuereinnahmen gewesen. Die innergemeinschaftliche Lieferung wäre nur von der GmbH auf S verlagert worden, der dann seinerseits die Vorsteuer hätte abziehen und die Befreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung hätte beanspruchen können.

49.      Im Hinblick auf ein etwaiges Verschulden an der Verspätung der Nachweisführung wäre darüber hinaus zu prüfen, inwiefern der Kläger wissen musste, dass die Zwischenschaltung des S von den Finanzbehörden als Scheingeschäft beurteilt bzw. dass S als Strohmann angesehen werden würde. Denn allein aus der Tatsache, dass S den Lieferungsgegenstand nicht selbst an B geliefert hat und der Kläger die Rechnungen im Namen von S erstellt hat, kann nicht geschlossen werden, dass eine solche „künstliche“ Konstruktion nicht als steuerbarer Umsatz bewertet werden kann. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kommt es bei der Beurteilung der Frage, ob ein steuerbarer Umsatz getätigt wurde, nämlich nur auf objektive Kriterien an. Für die steuerliche Einordnung der Lieferung spielt dagegen weder die Absicht des Steuerpflichtigen eine Rolle, noch der Zweck einer Lieferung.(22)

50.      Im Ergebnis ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Sechste Richtlinie einer Praxis der nationalen Finanzverwaltung entgegensteht, wonach die Steuerfreiheit einer unzweifelhaft vorliegenden innergemeinschaftlichen Lieferung allein mit der Begründung versagt wird, der Steuerpflichtige habe den dafür vorgeschriebenen Buchnachweis nicht laufend und unmittelbar nach Ausführung der Umsätze geführt.

51.      Dabei ist es nicht allein entscheidend, ob der Steuerpflichtige die innergemeinschaftliche Lieferung durch die Einschaltung eines Strohmanns im Inland erst auf ein späteres Geschäft in einer Lieferkette verlagern wollte, wobei die Steuerverwaltung die Einschaltung der Zwischenperson als Scheingeschäft nicht anerkannte (Frage 2). Hat ein Mitgliedstaat keine gesetzliche Frist für die Nachweisführung vorgesehen, sind im Rahmen der Entscheidung über die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung vielmehr alle relevanten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Hierbei kommt es insbesondere auf ein etwaiges Verschulden des Steuerpflichtigen hinsichtlich der verspäteten Nachweisführung sowie darauf an, ob die nicht rechtzeitige Buchnachweisführung zu einer Gefährdung der Steuererhebung führen kann.

V –    Ergebnis

52.      Im Ergebnis schlage ich folgende Antworten auf die Vorlagefragen des Bundesfinanzhofs vor.

1.      Die Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage steht einer Praxis der nationalen Finanzverwaltung entgegen, wonach die Steuerfreiheit einer unzweifelhaft vorliegenden innergemeinschaftlichen Lieferung allein mit der Begründung versagt wird, der Steuerpflichtige habe den dafür vorgeschriebenen Buchnachweis nicht laufend und unmittelbar nach Ausführung der Umsätze geführt.

2.      Hat ein Mitgliedstaat keine gesetzliche Frist für die Nachweisführung vorgesehen, sind im Rahmen der Entscheidung über die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung alle relevanten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Hierbei kommt es insbesondere auf ein etwaiges Verschulden des Steuerpflichtigen hinsichtlich der verspäteten Nachweisführung sowie darauf an, ob die nicht rechtzeitige Buchnachweisführung zu einer Gefährdung der Steuererhebung führen kann.


1 – Originalsprache: Deutsch.


2 – Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage, 77/388/EWG (ABl. L 145, S. 1) – im Folgenden Sechste Richtlinie).


3  – ABl. L 376, S. 1 ff.


4 – Vgl. Art. 28h in der durch die Richtlinie 91/680 eingeführten und durch die Richtlinie 92/111/EWG des Rates vom 14. Dezember 1992 zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG und zur Einführung von Vereinfachungsmaßnahmen im Bereich der Mehrwertsteuer (ABl. L 384, S. 47 ff.) geänderten Fassung.


5 – Urteil vom 6. April 2006, EMAG Handel Eder (C-245/04, Slg. 2006, I-3227, Randnr. 29) sowie Nrn. 24 und 25 meiner Schlussanträge vom 10. November 2005 in dieser Rechtssache. Siehe auch meine Schlussanträge vom heutigen Tag, Teleos u. a., (C-409/04, Slg. 2007, I-0000, Nr. 29).


6 – Siehe in diesem Sinne auch Beschluss vom 3. März 2004, Transport Service (C-395/02, Slg. 2004, I-1991, Randnrn. 27 und 28) und Urteil vom 21. Februar 2006, Halifax u. a, (C-255/02, Slg. 2006, I-1609, Randnrn. 90 und 91).


7 – Urteil vom 18. Dezember 1997, Molenheide u. a. (C-286/94, C-340/95, C-401/95 und C-47/96, Slg. 1997, I-7281, Randnr. 42).


8 – Urteil vom 6. Juli 1995, BP Soupergaz (C-62/93, Slg. 1995, I-1883, Randnr. 34).


9 – Schlussanträge vom 20. März 1997 in den Rechtssachen Molenheide u. a. (zitiert in Fn. 7, Nr. 41) und Schlussanträge vom 13. April 2000, Schmeink & Cofreth (C-454/98, Slg. 2000, I-6973, Nr. 18).


10 – Urteil Halifax u. a. (zitiert in Fn. 6, Randnr. 92). In diesem Sinne zum Recht auf Vorsteuerabzug auch bereits Urteile vom 21. März 2000, Gabalfrisa u. a. (C-110/98 bis C-147/98, Slg. 2000, I-1577, Randnr. 52) und Molenheide u. a (zitiert in Fn. 7, Randnr. 48) sowie im Bezug auf Art. 21 Abs. 3 der Sechsten Richtlinie Urteil vom 11. Mai 2006, Federation of Technological Industries u. a. (C-384/04, Slg. 2006, I-4191, Randnr. 29)


11 – Urteil Halifax u. a. (zitiert in Fn. 6, Randnr. 92).


12 – Vgl. Urteil EMAG Handel Eder (zitiert in Fn. 5, Randnr. 29) sowie Nrn. 24 und 25 meiner Schlussanträge in dieser Rechtssache).


13 – Vgl. u. a. Urteil vom 30. November 1995, Gebhard (C-55/94, Slg. 1995, I-4165, Randnr. 19), Urteil Molenheide u. a (zitiert in Fn. 7, Randnr. 49).


14 – Vgl. Urteil Gabalfrisa u. a. (zitiert in Fn. 10, Randnr. 52).


15 – Urteil Rechtssache (Federation of Technological Industries u. a., zitiert in Fn. 10, Randnr. 29).


16 – Urteil Halifax u. a. (zitiert in Fn. 10, Randnr. 72).


17 – Schlussanträge in der Rechtssache Schmeink & Cofreth (zitiert in Fn. 9, Nr. 18).


18 – Beschluss Rechtssache Transport Service (zitiert in Fn. 6, Randnr. 19).


19 – Urteil vom 19. September 2000, Schmeink & Cofreth (C-454/98, Slg. 2000, I-6973, Randnrn. 58 und 60).


20 – Auf diese Provision hätte nach dem Vertriebsvertrag zwar kein Anspruch bestanden, wobei allerdings nicht klar ist, inwieweit die entsprechenden Vertragsklauseln zum damaligen Zeitpunkt wettbewerbsrechtlich zulässig waren.


21 – Vgl. zu einer solchen Konstellation die Schlussanträge Teleos u. a. (zitiert in Fn. 5).


22 – Vgl. Urteile Halifax u. a. (zitiert in Fn. 10, Randnrn. 56 bis 60), vom 12. Januar 2006, Optigen (C-354/03, C-355/03 und C-484/03, Slg. 2006, I-483, Randnrn 44 und 45) und vom 6. Juli 2006, Kittel und Recolta Recycling (C-439/04 und C-440/04, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlich, Randnr. 41).