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SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 11. Januar 2007(1)

Rechtssache C-184/05

Twoh International B.V.

gegen

Staatssecretaris van Financiën

(Vorabentscheidungsersuchen des Hoge Raad der Nederlanden)

„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Art. 28c Teil A Buchst. a – Innergemeinschaftliche Lieferung – Befreiung – Anforderungen an den Nachweis – Richtlinie 77/799/EWG – Verordnung (EWG) Nr. 218/92“





I –    Einleitung

1.        Mit diesem Vorlagebeschluss ersucht der Hoge Raad der Nederlanden um die Auslegung der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie(2) sowie weiterer Rechtsakte, die die gegenseitige Amtshilfe der Steuerverwaltungen regeln. Im Kern geht es um die Frage, ob die Steuerverwaltung verpflichtet ist, Auskünfte in einem anderen Mitgliedstaat einzuholen, wenn ein Steuerpflichtiger selbst nicht nachweisen kann, dass er eine steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung ausgeführt hat, weil der in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Erwerber ihm die erforderlichen Erklärungen oder Dokumente hierfür nicht übermittelt hat. Die Fragen stehen in engen Zusammenhang mit den Fragen, die die Rechtssachen C-409/04 (Teleos u. a.) und C-146/05 (Collée) aufwerfen, in denen ich heute ebenfalls Schlussanträge vorlege.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Gemeinschaftsrecht

2.        Durch die Richtlinie 91/680 des Rates vom 16. Dezember 1991 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG im Hinblick auf die Beseitigung von Steuergrenzen vom 16. Dezember 1991(3) wurde in die Sechste Richtlinie ein neuer Abschnitt XVIa (Übergangsregelung für die Besteuerung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten; Art. 28a bis 28m) eingefügt. Diese Bestimmungen sind nach wie vor maßgeblich, da bisher noch keine endgültige Regelung der Besteuerung des unternehmerischen Warenverkehrs für den Handel zwischen den Mitgliedstaaten ergangen ist.

3.        Art. 28c Teil A der Sechsten Richtlinie regelt die Befreiung der Lieferungen von Gegenständen. Danach

„befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch festlegen:

a)      die Lieferungen von Gegenständen im Sinne des Artikels 5 und des Artikels 28a Absatz 5 Buchstabe a), die durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb des in Artikel 3 bezeichneten Gebietes, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden, wenn diese Lieferungen an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt werden, der/die als solcher/solche in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns des Versands oder der Beförderung der Gegenstände handelt.

…“

4.        Art. 22 der Sechsten Richtlinie regelt die formellen Verpflichtungen des Steuerschuldners und sieht in der für den vorliegenden Fall maßgeblichen Fassung(4) unter anderem Folgendes vor:

„(2)  a) Jeder Steuerpflichtige hat Aufzeichnungen zu führen, die so ausführlich sind, dass sie die Anwendung der Mehrwertsteuer und die Überprüfung durch die Steuerverwaltung ermöglichen.

(3)       a) Jeder Steuerpflichtige hat für die Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die er an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nicht steuerpflichtige juristische Person bewirkt, eine Rechnung oder ein an deren Stelle tretendes Dokument auszustellen. Jeder Steuerpflichtige hat ebenfalls eine Rechnung oder ein an deren Stelle tretendes Dokument auszustellen für die in Artikel 28b Teil B Absatz 1 genannten Lieferungen von Gegenständen und für unter den Bedingungen des Artikels 28c Teil A ausgeführte Lieferungen von Gegenständen. Der Steuerpflichtige muss eine Ausfertigung von allen ausgestellten Dokumenten aufbewahren.

(4)       a) Jeder Steuerpflichtige hat innerhalb eines Zeitraums, der von den einzelnen Mitgliedstaaten festzulegen ist, eine Steuererklärung abzugeben. …

b) Die Steuererklärung muss alle für die Festsetzung des geschuldeten Steuerbetrags und der vorzunehmenden Vorsteuerabzüge erforderlichen Angaben erhalten, gegebenenfalls einschließlich des Gesamtbetrags der sich auf diese Steuer und Abzüge beziehenden Umsätze sowie des Betrags der steuerfreien Umsätze, soweit dies für die Festlegung der Bemessungsgrundlage erforderlich ist.

c) Die Steuererklärung muss außerdem folgende Angaben enthalten:

–        zum einen den Gesamtbetrag – ohne Mehrwertsteuer – der Lieferungen von Gegenständen nach Artikel 28c Teil A, für die während des Steuerzeitraums ein Steueranspruch eingetreten ist.

–        …

(6)      …

b) Jeder Steuerpflichtige mit einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer muss außerdem eine Aufstellung vorlegen, die Angaben über die Erwerber mit einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer enthält, denen er Gegenstände nach Maßgabe des Artikels 28c Teil A Buchstaben a) und d) geliefert hat, …

Die Aufstellung muss folgende Angaben enthalten

–        …

–        die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer jedes Erwerbers, die diesem in einem anderen Mitgliedstaat erteilt worden ist und unter der ihm die Gegenstände geliefert wurden, …

(7)      …

(8)      Die Mitgliedstaaten können unter Beachtung der Gleichbehandlung der von Steuerpflichtigen im Inland und zwischen Mitgliedstaaten bewirkten Umsätze weitere Pflichten vorsehen, die sie als erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu vermeiden, sofern diese Pflichten im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu Förmlichkeiten beim Grenzübertritt führen.“

5.        Die Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern(5) findet gemäß ihrem Art. 1 Abs. 1 insbesondere auf Auskünfte bezüglich der Festsetzung und Erhebung der Mehrwertsteuer Anwendung. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 77/799 lautet:

„Die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats kann die zuständige Behörde eines anderen Mitgliedstaats um die Erteilung der in Artikel 1 Absatz 1 bezeichneten Auskünfte im Einzelfall ersuchen. Die zuständige Behörde des um Auskunft ersuchten Staates braucht dem Ersuchen nicht zu entsprechen, wenn es scheint, dass die zuständige Behörde des ersuchenden Staates ihre eigenen üblichen Auskunftsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft hat, von denen sie nach Lage des Falles ohne Gefährdung des Ermittlungszwecks hätte Gebrauch machen können.“

6.        Gemäß Art. 3 der Richtlinie tauschen die Mitgliedstaaten in bestimmten Fällen automatisch Informationen aus. Nach Art. 4 sollen sich die Mitgliedstaaten darüber hinaus in besonderen Konstellationen spontan unterrichten.

7.        Nach Art. 4 der Verordnung (EWG) Nr. 218/92 des Rates vom 27. Januar 1992 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der indirekten Besteuerung (MWSt.)(6) unterhält die zuständige Behörde jedes Mitgliedstaats eine elektronische Datenbank, in der sie die Informationen speichert und bearbeitet, die sie gemäß Art. 22 Abs. 6 Buchst. b der Sechsten Richtlinie sammelt. Auf der Grundlage dieser Daten erteilen sich die Mitgliedstaaten gegenseitig bestimmte Auskünfte oder können die entsprechenden Informationen sogar unmittelbar abrufen.

8.        Art. 5 Verordnung Nr. 218/92 regelt den Austausch weiterer Informationen im Einzelfall wie folgt:

„(1) Sind die nach Artikel 4 erteilten Auskünfte unzureichend, so kann die zuständige Behörde eines Mitgliedstaates jederzeit in Einzelfällen einen Antrag auf Erteilung weiterer Auskünfte stellen. Die ersuchte Behörde erteilt die Auskünfte so bald wie möglich, in jedem Fall jedoch spätestens drei Monate nach Erhalt des Antrags.

(2) In den Fällen nach Absatz 1 übermittelt die ersuchte Behörde der ersuchenden Behörde zumindest die Rechnungsnummern, -daten und -beträge für bestimmte einzelne Geschäfte zwischen Personen in den betroffenen Mitgliedstaaten.“

9.        Diese Auskünfte braucht der ersuchte Staat gemäß Art. 7 der Verordnung Nr. 218/92 jedoch nur unter der Voraussetzung zu erteilen, dass

„–      Anzahl und Art der Auskunftsersuchen dieser ersuchenden Behörde innerhalb eines bestimmten Zeitraums dieser ersuchten Behörde keinen unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand verursachen,

–        diese ersuchende Behörde die üblichen Informationsquellen ausgeschöpft hat, die sie unter den gegebenen Umständen zur Erlangung der erbetenen Auskünfte genutzt haben könnte, ohne die Erreichung des angestrebten Ergebnisses zu gefährden,

–        diese ersuchende Behörde um Amtshilfe nur dann ersucht, wenn sie selbst in der Lage ist, der ersuchenden Behörde eines anderen Mitgliedstaates die gleiche Unterstützung zu leisten.“

10.      Mit Wirkung vom 1. Januar 2004 wurden die Regelungen zur gegenseitigen Amtshilfe im Bereich der Mehrwertsteuer in der Verordnung (EG) Nr. 1798/2003 des Rates vom 7. Oktober 2003 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 218/92(7) zusammengefasst. Art. 5 der Verordnung regelt Ersuchen um Auskunft. Art. 40 der Verordnung Nr. 1798/2003 enthält einen ähnlichen Vorbehalt für die Erteilung von Auskünften wie Art. 2 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 77/799 und Art. 7 der Verordnung Nr. 218/92.

B –    Nationales Recht

11.      Gemäß Art. 9 Abs. 2 Buchst. b der Wet op de omzetbelasting (Umsatzsteuergesetz) 1968 in Verbindung mit Nr. 6 der zu diesem Gesetz gehörenden Tabelle II Buchst. a beträgt der Steuersatz auf innergemeinschaftliche Lieferungen Null. Nach Art. 12 des Uitvoeringsbesluit omzetbelasting 1968 (Umsatzsteuer-Durchführunsgverordnung) greift die Befreiung ein, wenn sich die Voraussetzungen hierfür aus den Büchern oder Unterlagen ergeben.

12.      § 4.3 des Besluit van de Staatssecretaris van Financiën vom 20. Juni 1995, Nr. VB 95/2120 (im Folgenden: Mitteilung 38),(8) stellt folgende Bedingungen für den Nachweis einer innergemeinschaftlichen Lieferung bei Abholgeschäften auf:

„Werden Gegenstände an ausländische Abnehmer ‚ab Fabrik‘ oder ‚ab Lager‘ geliefert (Abholgeschäfte), so ergibt sich der innergemeinschaftliche Charakter der Lieferung nicht … aus einem Frachtbrief oder aus der eigenen Transportverwaltung des Lieferanten. Es sind jedoch Umstände denkbar, unter denen der Lieferant auch in dieser Situation davon überzeugt sein kann, dass der ausländische Abnehmer die Gegenstände in einen anderen Mitgliedstaat befördert. Ergänzend zu dem in der Verwaltung bereits vorhandenen Komplex von Unterlagen und Registrierungen muss es sich dann um einen festen Abnehmer handeln, es sei denn, der Lieferant weiß, dass seine diesem Abnehmer erbrachten innergemeinschaftlichen Lieferungen zu Problemen geführt haben, wobei der Abnehmer außerdem eine Erklärung im folgenden Sinne abgegeben hat. Diese von der Person, die die gelieferten Gegenstände in Empfang nimmt, zu unterzeichnende schriftliche Erklärung muss mindestens den Namen des Abnehmers enthalten und, wenn der Abnehmer die Gegenstände nicht persönlich in Empfang nimmt, den Namen der Person, die dies namens des Abnehmers tut, das Kennzeichen des Fahrzeugs, mit dem die Gegenstände befördert werden, die Nummer der Rechnung, in der die gelieferten Gegenstände spezifiziert sind, den Ort, an den der Abholer die Gegenstände befördern wird, sowie die Zusage, dass der Abnehmer bereit ist, dem Belastingdienst auf Verlangen nähere Informationen über die Bestimmung der Gegenstände zu erteilen. Ein Muster dieser Erklärung ist als Anlage beigefügt.

Bei Abholgeschäften, bei denen es keinen festen Abnehmer gibt und die Gegenstände bar bezahlt werden, während der Lieferant übrigens auch nicht über Unterlagen verfügt, die den innergemeinschaftlichen Charakter der Lieferung belegen, d. h. in Fällen, in denen abgesehen von einer auf den Namen eines ausländischen Abnehmers ausgestellten Rechnung (auf der die ausländische Mehrwertsteuernummer des Abnehmers angegeben ist) keine anderen Unterlagen vorhanden sind, aus denen sich der innergemeinschaftliche Charakter der Lieferung ergibt, kann der Lieferant den Anspruch auf die Anwendung des Nulltarifs nicht ohne weiteres rechtfertigen. Unter diesen Umständen kann der Lieferant die Gefahr der Nacherhebung dadurch vermeiden, dass er die niederländische Mehrwertsteuer dem Käufer in Rechnung stellt. Der Käufer muss, wenn er die Gegenstände in einen anderen Mitgliedstaat verbringt, dies der niederländischen Steuerverwaltung melden. Auf diese Meldung hin kann er die in Rechnung gestellte niederländische Mehrwertsteuer abziehen.“

III – Sachverhalt und Vorlagefrage

13.      Die Twoh International B.V. (Twoh) wurde durch einen Nacherhebungsbescheid zur Mehrwertsteuer nebst einem Strafzuschlag für Lieferungen veranlagt, die sie im Jahre 1996 ausgeführt hatte. Nach Ansicht von Twoh waren die betreffenden Lieferungen als innergemeinschaftliche Lieferung von der Steuer befreit. Die Steuerverwaltung lehnte die Befreiung jedoch ab, da Twoh keine ausreichenden Beweise für die Versendung bzw. die Beförderung der Ware in einen anderen Mitgliedstaat vorlegen konnte. Twoh hielt dem entgegen, die niederländischen Steuerbehörden müssten auf der Grundlage der Richtlinie 77/799 und der Verordnung Nr. 218/92 Auskünfte bei den Steuerverwaltungen der Bestimmungsstaaten einholen, um den innergemeinschaftlichen Charakter der Lieferungen zu bestätigen. Die Steuerverwaltung lehnte dies ab. In erster Instanz unterlag Twoh im Bezug auf die Hauptforderung weitgehend.

14.      Im Rahmen des Kassationsverfahren ersucht der Hoge Raad den Gerichtshof mit Beschluss vom 22. April 2005 nun um Vorabentscheidung gemäß Art. 234 EG über folgende Frage:

Ist Art. 28c Teil A Buchst. a der Sechsten Richtlinie − in Verbindung mit der Richtlinie [77/799] über die gegenseitige Amtshilfe und der Verordnung [Nr. 218/92] − so auszulegen, dass, wenn keine als relevant anzusehenden Auskünfte vom Eingangsmitgliedstaat spontan erteilt worden sind, der Versand- oder Beförderungsmitgliedstaat den angeblichen Eingangsmitgliedstaat um Auskünfte ersuchen und deren Ergebnisse in die Untersuchung des Beweises für den Versand oder die Beförderung der Gegenstände einbeziehen muss?

15.      Im Verfahren vor dem Gerichtshof haben Twoh, die französische Regierung, Irland, die italienische, die niederländische, die polnische und die portugiesische Regierung sowie die Kommission der Europäischen Gemeinschaften Stellung genommen.

IV – Rechtliche Würdigung

16.      Wie ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Teleos u. a. vom heutigen Tage ausgeführt habe, hat die Befreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung gemäß Art. 28c Teil A Buchst. a der Sechsten Richtlinie zur Voraussetzung, dass der gelieferte Gegenstand in einen anderen Mitgliedstaat versendet oder befördert wird und den Herkunftsstaat infolge dessen physisch verlassen hat.(9)

17.      Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Sechste Richtlinie der Mehrwertsteuer einen sehr weiten Anwendungsbereich zuerkennt und Befreiungen von der Steuer als Ausnahme von diesem Grundsatz eng auszulegen sind.(10) Derjenige, der sich auf eine solche Ausnahme beruft, muss nachweisen, dass die Voraussetzungen für ihr Eingreifen vorliegen. Die Pflicht des Lieferers, den Nachweis für den Transport der Waren aus dem Herkunftsstaat als Voraussetzung für die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung zu erbringen, ist unverzichtbar, um eine ordnungsgemäße Anwendung der Sechsten Richtlinie zu gewährleisten.

18.      Wie sich aus dem Einleitungssatz des Art. 28c Teil A der Sechsten Richtlinie ergibt, ist es Sache der Mitgliedstaaten, die formellen Anforderungen an den Nachweis für die Voraussetzungen der Befreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung festzulegen.(11) Ferner können die Mitgliedstaaten gemäß Art. 22 Abs. 8 der Sechsten Richtlinie weitere Pflichten der Steuerpflichtigen vorsehen, die sie als erforderlich erachten, um die genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu vermeiden.(12) Bei der Ausschöpfung des Spielraums, den die Sechste Richtlinie den Mitgliedstaaten insofern belässt, müssen diese jedoch die Vorgaben des EG-Vertrags, den Sinn und Zweck der Richtlinie selbst sowie allgemeine Rechtsgrundsätze, wie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten.(13)

19.      Im niederländischen Recht werden die Nachweiserfordernisse im Fall von Abholgeschäften in der Mitteilung 38 näher geregelt. Weder das vorlegende Gericht noch einer der Verfahrensbeteiligten haben Zweifel daran geäußert, dass diese Vorgaben mit der Sechsten Richtlinie oder allgemeinen Rechtsgrundsätzen vereinbar sind.

20.      Im Ausgangsrechtsstreit ist es Twoh nach den tatrichterlichen Feststellungen allerdings nicht gelungen, Beweise für eine Beförderung der gelieferten Gegenstände aus den Niederlanden in einen anderen Mitgliedstaat durch den Abnehmer zu erbringen, die den Vorgaben der Mitteilung 38 entsprechen. Twoh meint aber, dass die Steuerverwaltung nach der Richtlinie 77/799 und der Verordnung Nr. 218/92 verpflichtet ist, Auskünfte bei den Behörden der Bestimmungsstaaten einzuholen, um den grenzüberschreitenden Charakter der Lieferungen zu erhärten.

21.      Dem kann nicht gefolgt werden.

22.      Die Richtlinie 77/799 soll die Amtshilfe und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fördern, um den Steuerbetrug zu bekämpfen.(14) Diesem Ziel dient auch die Verordnung Nr. 218/92, die die Richtlinie 77/799 im Bereich der indirekten Steuern ergänzt.(15) Das System des Informationsaustauschs, das die Verordnung Nr. 218/92 einführte, wurde insbesondere durch die Errichtung des Binnenmarktes und dem damit einhergehenden Wegfall der Grenzkontrollen erforderlich und soll Steuerausfälle bei der Anwendung der Übergangsregelung der Sechsten Richtlinie für den innergemeinschaftlichen Handel vorbeugen.(16)

23.      Diese Rechtsakte zielen also in erster Linie auf eine Zusammenarbeit der Steuerbehörden der Mitgliedstaaten und verleihen dem Einzelnen keine Rechte, sieht man einmal von Auskünften zur Umsatzsteueridentifikationsnummer nach Art. 6 Abs. 4 der Verordnung Nr. 218/92 ab. Der grenzüberschreitende Informationsaustausch dient nicht dazu, die Steuerpflichtigen von Nachweispflichten zu entbinden, die ihnen nach der Sechsten Richtlinie obliegen. Die Auskünfte ermöglichen den Behörden, die Angaben und Nachweise der Steuerpflichtigen zu überprüfen, sollen diese aber nicht ersetzen. Schon aus den Formulierungen des Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 77/799 und des Art. 5 der Verordnung Nr. 218/92 folgt dabei, dass die Behörde eines Mitgliedstaats um Auskünfte ersuchen kann und nicht muss.

24.      Im Übrigen sind die Behörden des ersuchten Staats unter bestimmten Umständen nicht zur Erteilung von Auskünften verpflichtet, wie die Kommission hervorhebt. So brauchen Auskünfte nach Art. 7 der Verordnung Nr. 218/92 nur erteilt zu werden, wenn die Beantwortung nach der Anzahl und Art der Auskunftsersuchen dieser ersuchenden Behörde innerhalb eines bestimmten Zeitraums dieser ersuchten Behörde keinen unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand verursachen und wenn die ersuchende Behörde die eigenen Informationsquellen ausgeschöpft hat.(17)

25.      Bestünde eine Pflicht, bei Beweisnot desjenigen, der eine innergemeinschaftliche Lieferung ausgeführt hat, immer Auskünfte über den innergemeinschaftlichen Erweb im Bestimmungsstaat einzuholen, so könnte sich die Zahl der Ersuchen in einer Weise erhöhen, dass die ersuchten Behörden die Ersuchen unter Verweis auf Art. 7 der Verordnung Nr. 218/92 wegen übergroßem Verwaltungsaufwand zurückweisen.

26.      Ganz abgesehen von derartigen praktischen Erwägungen sind die Auskünfte der Steuerbehörden des Bestimmungsstaates auch nicht uneingeschränkt geeignet, den Nachweis für die Befreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung nach Art. 28 c Teil A Buchst. a der Sechsten Richtlinie zu erbringen.

27.      Wie ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Teleos nämlich ausgeführt habe, prüfen die Steuerbehörden des Herkunfts- und des Bestimmungsstaats unabhängig voneinander, ob die Voraussetzungen für die Befreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung bzw. für die Besteuerung eines innergemeinschaftlichen Erwerbs vorliegen.(18) Die Tatsache, dass der innergemeinschaftliche Erwerb von Gegenständen im Bestimmungsstaat angemeldet worden ist, stellt folglich nur ein Indiz dafür dar, dass diese Gegenstände den Herkunftsstaat tatsächlich physisch verlassen haben. Liegen der zuständigen Steuerbehörde des Herkunftsstaats entsprechende Informationen vor, weil die Behörden des Bestimmungsstaats diese spontan übermittelt haben,(19) so kann dies den Anspruch auf die Befreiung der Lieferung allenfalls zusätzlich stützen.(20)

28.      Ich verkenne nicht, dass einem Steuerpflichtigen in der Situation von Twoh nach der hier vertretenen Ansicht die Befreiung der Lieferung versagt wird, obwohl er den Transport außer Landes nur wegen der Säumigkeit seines Geschäftspartners nicht nachweisen kann. Überlässt der Lieferer es jedoch dem Erwerber, die Ware außer Landes zu bringen, so geht er bewusst das Risiko ein, dass ihm die entsprechenden Nachweise fehlen, wenn der Erwerber sie ihm nicht zur Verfügung stellt. In dieser Situation kann nicht die Steuerverwaltung einspringen. Vielmehr muss der Lieferer sich an seinen Geschäftspartner halten und sich die Nachweise bei ihm beschaffen oder die Mehrwertsteuer nachfordern, wenn jener den Nachweis für den Transport aus dem Herkunftsstaat nicht vorlegt. Der Lieferer kann sich gegen entsprechende Risiken schützen, indem er sich Sicherheit in Höhe der Mehrwertsteuer leisten lässt und diese erst Zug um Zug gegen die Vorlage der Transportdokumente freigibt.

29.      Eine Steuerbehörde ist in einer Situation wie der vorliegenden demnach nicht verpflichtet, die Behörde eines anderen Mitgliedstaats um Auskunft darüber zu ersuchen, ob dort Steuererklärungen über den innergemeinschaftlichen Erwerb bestimmter Gegenstände abgegeben worden sind.

V –    Ergebnis

30.      Aufgrund der vorstehenden Überlegungen schlage ich folgende Antwort auf die Vorlagefrage des Hoge Raad vor:

Derjenige, der die Befreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung nach Art. 28c Teil A Buchst. a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage beantragt, muss nachweisen, dass der Erwerber die Befugnis erlangt hat, wie ein Eigentümer über den gelieferten Gegenstand zu verfügen, der in einen anderen Mitgliedstaat versendet oder befördert wird und dass der Gegenstand den Herkunftsstaat infolgedessen physisch verlassen hat.

Die Steuerbehörden des Herkunftsstaats sind nicht verpflichtet, die Steuerbehörden des Bestimmungsstaats um Auskünfte auf der Grundlage der Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten und indirekten Steuern und der Verordnung (EWG) Nr. 218/92 des Rates vom 27. Januar 1992 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der indirekten Besteuerung (MwSt.) zu ersuchen, wenn der Steuerpflichtige den Nachweis für den Versand oder die Beförderung der Gegenstände nicht selbst erbringen konnte.


1 – Originalsprache: Deutsch.


2 – Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) – im Folgenden: Sechste Richtlinie.


3 – ABl. L 376, S. 1.


4 – Vgl. Art. 28h in der durch die Richtlinie 91/680/EWG eingeführten und zuletzt durch die Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG und zur Einführung weiterer Vereinfachungsmaßnahmen im Bereich der Mehrwertsteuer – Geltungsbereich bestimmter Steuerbefreiungen und praktische Einzelheiten ihrer Durchführung (ABl. L 102, S. 18) geänderten Fassung.


5 – ABl. L 336, S.15, in der Fassung der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren (ABl. L 76, S. 1). Seit Inkrafttreten der Richtlinie 2003/93/EG des Rates vom 7. Oktober 2003 zur Änderung der Richtlinie 77/799/EWG über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten und indirekten Steuern (ABl. L 264, S. 23) gilt die Richtlinie 77/799 nicht mehr für die Mehrwertsteuer.


6 – ABl. L 24, S. 1.


7 – ABl. L 264, S. 1.


8 – V-N 1995, S. 2324.


9 – Siehe insbesondere die Nr. 45 und 59 der Schlussanträge vom 11. Januar 2007 in der Rechtssache C-409/04 (Teleos u. a., Slg. 2007, I-0000).


10 – Schlussanträge Teleos u. a. (zitiert in Fn. 9, Nr. 63) mit weiteren Nachweisen.


11 – Siehe in diesem Sinne auch Beschluss vom 3. März 2004, Transport Service (C-395/02, Slg. 2004, I-1991, Randnrn. 27 und 28) und Urteil vom 21. Februar 2006, Halifax u. a. (C-255/02, Slg. 2006, I-1609; Randnrn. 90 und 91). Näher dazu Nrn. 20 ff. meiner Schlussanträge vom 11. Januar 2007, Collée (C-146/05, Slg. 2007, I-0000).


12 – Urteil Halifax u. a. (zitiert in Fn. 11, Randnr. 92).


13 – Vgl. in diesem Sinne zum Recht auf Vorsteuerabzug auch bereits Urteile vom 21. März 2000, Gabalfrisa u. a. (C-110/98 bis C-147/98, Slg. 2000, I-1577, Randnr. 52) und vom 18. Dezember 1997, Molenheide u. a. (C-286/94, C-340/95, C-401/95 und C-47/96, Slg. 1997, I-7281, Randnr. 48) sowie im Bezug auf Art. 21 Abs. 3 der Sechsten Richtlinie Urteil vom 11. Mai 2006, Federation of Technological Industries u. a. (C-384/04, Slg. 2006, I-4191, Randnr. 29).


14 – Vgl. den ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 77/799. Die Neuregelung durch die Verordnung Nr. 1798/2003 hat an dieser Zielsetzung nichts geändert (vgl. den ersten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1798/2003).


15 – Vgl. den vierten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 218/92.


16 – Vgl. den ersten bis dritten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 218/92.


17 – Siehe auch Art. 2 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 77/799.


18 – Schlussanträge Teleos u. a. (zitiert in Fn. 9, Nr. 90).


19 – Im vorliegenden Fall lagen den niederländischen Behörden unstreitig keine entsprechenden spontan erteilten Auskünfte vor. Es ist auch zweifelhaft, ob Angaben zu der Besteuerung von innergemeinschaftlichen Erwerben durch den Bestimmungsstaat zu den automatisch zu liefernden Informationen gehören. Nicht der Bestimmungsstaat muss dem Herkunftsstaat die Informationen liefern, die für die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung erforderlich sind. Vielmehr muss der Herkunftsstaat nach Art. 4 der Verordnung Nr. 218/92 die ihm gemäß Art. 22 Abs. 6 Buchst. b erhobenen Informationen dem Bestimmungsstaat übermitteln (also Angaben des Lieferers zu dem Erwerber), damit dessen Behörden die Besteuerung des Erwerbs sicherstellen können.


20 – Vgl. Schlussanträge Teleos u. a. (zitiert in Fn. 9, Nr. 91).