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SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

ELEANOR SHARPSTON

vom 22. Juni 20061(1)

Rechtssache C-228/05

Stradasfalti Srl

gegen

Agenzia delle Entrate Ufficio di Trento






1.     Mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen möchte die Commissione Tributaria di Primo Grado Trient (erstinstanzliches Finanzgericht Trient) (Italien) im Wesentlichen wissen, ob nationale Vorschriften, die den Abzug der Vorsteuer auf Kraftfahrzeuge, die nicht Gegenstand der eigentlichen Geschäftstätigkeit des Steuerpflichtigen als solcher sind, oder auf Treibstoffe für solche Kraftfahrzeuge ausschließen, auf der Grundlage von Artikel 17 Absatz 7 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie(2), der für manche Waren einen teilweisen oder vollständigen Ausschluss von der Vorsteuerabzugsregelung aus Konjunkturgründen und vorbehaltlich einer Konsultation des Mehrwertsteuerausschusses gestattet, unter Umständen zu rechtfertigen sind, in denen die Vorschriften 25 Jahre lang in Kraft blieben und der Mehrwertsteuerausschuss ihren Erlass lediglich zur Kenntnis genommen hat.

 Einschlägige Bestimmungen der Sechsten Richtlinie

2.     Nach Artikel 17 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie ist im Wesentlichen die Vorsteuer auf von einem Steuerpflichtigen erworbene Gegenstände und Dienstleistungen von dessen geschuldeter Steuer abzugsfähig, soweit diese Lieferungen und Leistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden.

3.     Artikel 17 Absatz 6 sieht jedoch vor:

„Der Rat legt auf Vorschlag der Kommission vor Ablauf eines Zeitraums von vier Jahren nach dem Inkrafttreten dieser Richtlinie einstimmig fest, bei welchen Ausgaben die Mehrwertsteuer nicht abziehbar ist. Auf jeden Fall werden diejenigen Ausgaben vom Vorsteuerabzugsrecht ausgeschlossen, die keinen streng geschäftlichen Charakter haben, wie Luxusausgaben, Ausgaben für Vergnügungen und Repräsentationsaufwendungen.

Bis zum Inkrafttreten der vorstehend bezeichneten Bestimmungen können die Mitgliedstaaten alle Ausschlüsse beibehalten, die in den in ihren zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie bestehenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehen sind.“

4.     Bislang sind allerdings noch keine derartigen Bestimmungen erlassen worden. Die Sechste Richtlinie ist am 1. Januar 1979 in Italien in Kraft getreten(3).

5.     Artikel 17 Absatz 7 der Sechsten Richtlinie sieht vor:

„Vorbehaltlich der in Artikel 29 vorgesehenen Konsultation kann jeder Mitgliedstaat aus Konjunkturgründen die Investitionsgüter oder bestimmte Investitionsgüter oder andere Gegenstände von der Vorsteuerabzugsregelung teilweise oder ganz ausschließen. …“

6.     Artikel 27 sieht eine andere, permanente Ausnahme vor. Zur fraglichen Zeit(4) lautete diese Bestimmung wie folgt:

„(1)      Der Rat kann auf Vorschlag der Kommission einstimmig jeden Mitgliedstaat ermächtigen, von dieser Richtlinie abweichende Sondermaßnahmen einzuführen, um die Steuererhebung zu vereinfachen oder Steuerhinterziehungen oder -umgehungen zu verhüten. ….

(2)      Der Mitgliedstaat, der die in Absatz 1 bezeichneten Maßnahmen einführen möchte, befasst die Kommission damit und übermittelt ihr alle zur Beurteilung zweckdienlichen Angaben.

(3)      Die Kommission macht den anderen Mitgliedstaaten hiervon innerhalb eines Monats Mitteilung.

(4)      Der Beschluss des Rates gilt als gefasst, wenn innerhalb von zwei Monaten nach der Mitteilung nach Absatz 3 weder die Kommission noch ein Mitgliedstaat beantragt hat, die Angelegenheit im Rat zu erörtern.

…“

7.     Artikel 29, auf den in Artikel 17 Absatz 7 Bezug genommen wird, sieht vor:

„(1)      Es wird ein Beratender Ausschuss für die Mehrwertsteuer – nachstehend ‚Ausschuss‘ genannt – eingesetzt.

(2)      Der Ausschuss setzt sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten und der Kommission zusammen. Den Vorsitz im Ausschuss führt ein Vertreter der Kommission. Die Sekretariatsgeschäfte des Ausschusses werden von den Dienststellen der Kommission wahrgenommen.

(3)      Der Ausschuss gibt sich eine Geschäftsordnung.

(4)      Neben den Punkten, für die nach dieser Richtlinie eine Konsultation erforderlich ist, prüft der Ausschuss die Fragen im Zusammenhang mit der Durchführung der gemeinschaftlichen Bestimmungen im Bereich der Mehrwertsteuer, die ihm der Vorsitzende von sich aus oder auf Antrag des Vertreters eines Mitgliedstaats vorlegt.“

 Das Metropol-Urteil

8.     Im Urteil Metropol und Stadler(5) hatte der Gerichtshof Artikel 17 Absätze 6 und insbesondere 7 im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs im Hinblick auf eine nationale Vorschrift zu prüfen, die nach Inkrafttreten der Sechsten Richtlinie in Österreich erlassen worden war. Diese nationale Vorschrift definierte eine Kategorie von Kleinbussen neu und viel enger, als dies in der früheren Verwaltungspraxis der Fall gewesen war, und schloss damit die Vorsteuer auf bestimmte Fahrzeuge, für die früher ein Recht auf Vorsteuerabzug bestanden hatte, vom Vorsteuerabzug aus.

9.     Nach der Feststellung, dass die Änderung der Begriffsbestimmung nicht nach Artikel 17 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie gerechtfertigt werden konnte, weil sie im Vergleich zu der Situation vor Inkrafttreten der Richtlinie in Österreich eine substanzielle Änderung der verbindlichen Regeln darstellte, prüfte der Gerichtshof, ob Artikel 17 Absatz 7 einen Mitgliedstaat ermächtigt, Gegenstände (a) ohne vorherige Konsultation des Mehrwertsteuerausschusses und (b) ohne zeitliche Begrenzung zur Konsolidierung seines Haushalts von der Vorsteuerabzugsregelung auszuschließen.

10.   Der Gerichtshof stellte zunächst fest, dass das Vorsteuerabzugsrecht ein integrierender Bestandteil der Mehrwertsteuerregelung sei, indem es die Neutralität dieser Steuer sicherstelle. Ausnahmen seien nur in den ausdrücklich in der Sechsten Richtlinie aufgeführten Fällen zulässig, die eng auszulegen seien. Artikel 17 Absatz 7 sei einer dieser Fälle, da er Mitgliedstaaten das Recht einräume, Gegenstände von der Vorsteuerabzugsregelung vorbehaltlich der in Artikel 29 vorgesehenen Konsultation auszuschließen.

11.   Diese Konsultation erlaube es der Kommission und den anderen Mitgliedstaaten, zu kontrollieren, wie ein Mitgliedstaat von der Möglichkeit Gebrauch mache, von der allgemeinen Mehrwertsteuerregelung abzuweichen, indem sie insbesondere prüften, ob die in Rede stehende nationale Maßnahme die Voraussetzung erfülle, dass sie aus Konjunkturgründen erlassen worden sei.

12.   Artikel 17 Absatz 7 der Sechsten Richtlinie sehe somit eine Verfahrensverpflichtung vor, der die Mitgliedstaaten genügen müssten, um sich auf die Ausnahmeregelung berufen zu können, die diese Bestimmung aufstelle. Die Konsultation des Mehrwertsteuerausschusses erweise sich als Vorbedingung für den Erlass jeder auf dieser Bestimmung beruhenden Maßnahme. Wenn kein Ausschluss von der Vorsteuerabzugsregelung in Einklang hiermit geschaffen worden sei, könnten die nationalen Steuerbehörden Steuerpflichtigen diesen Ausschluss nicht entgegenhalten(6).

13.   Zweitens ermächtige Artikel 17 Absatz 7 der Sechsten Richtlinie die Mitgliedstaaten, Gegenstände „aus Konjunkturgründen“ vom Vorsteuerabzug auszuschließen, d. h. zeitlich begrenzte Maßnahmen zu erlassen, um einer konjunkturellen Lage gegenzusteuern, in der sich die Wirtschaft eines Mitgliedstaats zu einem bestimmten Zeitpunkt befinde. Daher müsse die Anwendung solcher Maßnahmen zeitlich begrenzt sein, und es könne sich dabei begrifflich nicht um strukturelle Maßnahmen handeln. Folglich ermächtige Artikel 17 Absatz 7 einen Mitgliedstaat nicht, zum Ausschluss von Gegenständen vom Vorsteuerabzug Maßnahmen zu erlassen, die keine Angaben zu ihrer zeitlichen Begrenzung enthielten und/oder zu einem Paket von Strukturanpassungsmaßnahmen gehörten, mit denen bezweckt sei, das Haushaltsdefizit zu verringern und eine Rückzahlung der Staatsschulden zu ermöglichen(7).

 Einschlägige nationale Vorschriften

14.   Die in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehenden Vorschriften finden sich in Artikel 19bis1 des Decreto del Presidente della Repubblica Nr. 633 vom 26. Oktober 1972 (DPR 633/1972).

15.   Nach Absatz 1 Buchstabe c dieses Artikels ist in Abweichung von der allgemeinen Regel der Vorsteuerabzugsfähigkeit die Mehrwertsteuer auf den Kauf oder die Einfuhr bestimmter Arten von Kraftfahrzeugen, die nicht zum öffentlichen Gebrauch bestimmt und nicht Gegenstand der eigentlichen Geschäftstätigkeit des Steuerpflichtigen als solcher sind(8), grundsätzlich nur von Handelsvertretern und Repräsentanten abziehbar, obwohl offenbar bis 1983 50 % abzugsfähig waren. Seit 1. Januar 2001(9) sind 10 % der Vorsteuer auf über Leasingvereinbarungen erworbene Fahrzeuge abzugsfähig, und 50 % der Vorsteuer auf Fahrzeuge ohne Verbrennungsmotor(10) können wieder abgezogen werden. In der mündlichen Verhandlung hat die italienische Regierung vorgetragen, dass mit Wirkung zum 1. Januar 2006 der abzugsfähige Anteil von 10 % auf 15 % erhöht worden sei.

16.   Nach Absatz 1 Buchstabe d ist die Mehrwertsteuer auf den Kauf oder die Einfuhr von Kraftstoff und Schmierstoffen für Fahrzeuge nur soweit abzugsfähig, wie die Mehrwertsteuer für den Kauf oder die Einfuhr der Fahrzeuge selbst abzugsfähig ist.

17.   Der jetzige Artikel 19bis1 wurde 1979 in den ursprünglichen Text des DPR 633/1972 (als neuer Text von Artikel 19) aufgenommen, nachdem die Sechste Richtlinie in Italien in Kraft getreten war(11). Seither ist er geändert worden, und seine Gültigkeitsdauer (ursprünglich bis 31. Dezember 1983) wurde mehrfach verlängert – der Kommission zufolge 24-mal – mit dem Ergebnis, dass er heute noch in Kraft ist.

18.   Aus dem Vorbringen und den dem Gerichtshof unterbreiteten Unterlagen geht hervor, dass die in Rede stehende Maßnahme Gegenstand einer Reihe von Konsultationen des Mehrwertsteuerausschusses war. In der mündlichen Verhandlung wurde außerdem ausgeführt, dass die Kommission am 12. Oktober 2005 – also nach Einreichung aller schriftlichen Erklärungen in dieser Rechtssache – beschlossen habe, Italien ein diese Maßnahme betreffendes förmliches Schreiben gemäß Artikel 226 EG zu übersenden, und dass Italien daraufhin das Verfahren zur Einholung der Genehmigung des Rates nach Artikel 27 der Sechsten Richtlinie eingeleitet habe.

 Das Vorabentscheidungsersuchen

19.   Die Stradasfalti Srl (im Folgenden: Stradasfalti) ist ein Unternehmen des Straßenbaus. Es erwarb Kraftfahrzeuge (eher „privater“ als „gewerblicher“ Art), die sein Personal für Fahrten zwischen den Baustellen und Büroräumen, zum Aufsuchen verschiedener Verwaltungen und als „Nebenvergünstigung“ nutzen sollte.

20.   Stradasfalti wendet sich gegen die Begrenzung der Abzugsfähigkeit der für diese Fahrzeuge und deren Kraftstoff angefallenen Vorsteuer. Im Jahr 2004 beschloss Stradasfalti daher, für die Jahre 2000, 2001, 2002, 2003 und 2004 in Höhe von insgesamt 31 337,21 Euro um Erstattung derartiger Mehrwertsteuer nachzusuchen.

21.   Am 15. Juli 2004 wies das örtliche Finanzamt diese Anträge zurück. Stradasfalti rief hiergegen das vorlegende Gericht an.

22.   Im Hinblick auf das ihm unterbreitete Vorbringen – Stradasfalti trägt vor, dass die angefochtenen Bestimmungen der Sechsten Richtlinie widersprächen, und das Finanzamt führt aus, dass die Mitgliedstaaten berechtigt seien, Gegenstände, die nicht Gegenstand der Geschäftstätigkeit des Steuerpflichtigen seien, vom Vorsteuerabzug auszuschließen – und das Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Metropol hat das nationale Gericht um Vorabentscheidung über die folgenden Fragen ersucht:

1.      Ist Artikel 17 Absatz 7 Satz 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern in Bezug auf Absatz 2 dieses Artikels in dem Sinne auszulegen, dass

a)      nach dem genannten Artikel die „Konsultation des Ausschusses für die Mehrwertsteuer“ gemäß Artikel 29 der genannten Richtlinie nicht in der bloßen Mitteilung eines Mitgliedstaats über den Erlass einer Vorschrift des nationalen Rechts wie des aktuellen Artikels 19bis1 Buchstaben c und d DPR 633/72 mit nachfolgenden Verlängerungen bestehen kann, der das Vorsteuerabzugsrecht nach Artikel 17 Absatz 2 in Bezug auf die Verwendung und die Instandhaltung von Gegenständen auf der Grundlage einer schlichten Kenntnisnahme durch den Ausschuss für die Mehrwertsteuer begrenzt;

b)      nach dem genannten Artikel außerdem eine wie auch immer geartete Beschränkung des Rechts auf Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit dem Erwerb, der Verwendung und der Instandhaltung der unter Buchstabe a genannten Gegenstände, die vor der Konsultation des Ausschusses für die Mehrwertsteuer eingeführt wurde und vom Gesetzgeber durch zahlreiche Verlängerungen aufrechterhalten wurde, die sich fortlaufend und ohne Kontinuitätsbruch über mehr als 25 Jahre wiederholt haben, keine Maßnahme ist, die in seinen Anwendungsbereich fällt?

c)      Falls Frage 1 b bejaht wird, wird der Gerichtshof gebeten, die Kriterien anzugeben, anhand deren die etwaige Höchstdauer der Verlängerungen im Hinblick auf die in Artikel 17 Absatz 7 der Sechsten Richtlinie genannten Konjunkturgründe bestimmt werden kann, oder klarzustellen, ob die Nichtbeachtung des zeitlich begrenzten Charakters der (in Zeitabständen wiederholt angeordneten) Ausnahmen zu einem Recht des Steuerpflichtigen auf Vorsteuerabzug führt.

2.      Ist Artikel 17 Absatz 2 der genannten Richtlinie, wenn die Erfordernisse und Bedingungen des Verfahrens nach Artikel 17 Absatz 7 nicht beachtet wurden, in dem Sinne auszulegen, dass er einer Vorschrift des nationalen Rechts oder einer Verwaltungspraxis, die von einem Mitgliedstaat nach dem Inkrafttreten der Sechsten Richtlinie (1. Januar 1979 für Italien) angeordnet wurde, entgegensteht, die den Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit dem Erwerb, der Verwendung und der Instandhaltung bestimmter Kraftfahrzeuge objektiv und ohne Zeitbeschränkung begrenzt?

23.   Stradasfalti, die italienische Regierung und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht und auch in der Sitzung vom 6. April 2006 mündlich verhandelt.

 Beurteilung

 Zulässigkeit

24.   Die italienische Regierung trägt vor, dass die Fragen 1 Buchstabe b und 2 für das Ausgangsverfahren insofern nicht einschlägig seien, als sie sich auf eine andere Rechtslage als die der Jahre (2000 bis 2004) bezögen, für die Stradasfalti die Erstattung der Vorsteuer beantragt habe, und dass der erste Teil der Frage 1 Buchstabe c insofern hypothetisch sei, als er eine bejahende Antwort auf Frage 1 Buchstabe b voraussetze.

25.   Somit seien diese Fragen nach dem Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Längst(12) unzulässig, wonach der Gerichtshof die Beantwortung einer von einem nationalen Gericht vorgelegten Frage ablehnen könne, wenn die erbetene Auslegung in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits stehe oder wenn das Problem hypothetischer Natur sei.

26.   Dem Einwand gegen die Zulässigkeit von Frage 1 Buchstabe b liegt Italiens Vorbringen zugrunde, dass, wenn auch in früheren Jahren die die in Rede stehende Maßnahme umfassenden Rechtsvorschriften womöglich vor Konsultation des Mehrwertsteuerausschusses in Kraft gesetzt oder nochmals in Kraft gesetzt worden seien, jede Änderung oder Verlängerung seit 1999 (und somit in Bezug auf den Zeitraum von 2000 bis 2004) nach Konsultation des Ausschusses erlassen worden sei.

27.   Ich stelle jedoch fest, dass die Frage ganz allgemein formuliert ist. Nichts im Vorlagebeschluss nimmt auf einen besonderen Zeitraum Bezug oder erwähnt eine spezifische Konsultation des Mehrwertsteuerausschusses, ganz gleich ob vor oder nach Erlass einer Maßnahme. Demgegenüber haben Stradasfalti, die italienische Regierung und die Kommission allesamt auf verschiedene Konsultationen Bezug genommen und Protokolle der Ausschusssitzungen vorgelegt, von denen manche vor und manche nach Erlass der fraglichen Maßnahme stattfanden.

28.   Es scheint klar, dass die Frage, ob Italien den Erfordernissen der Konsultation des Mehrwertsteuerausschusses nachgekommen ist, auf der Grundlage der spezifischen Schritte bei jeder einzelnen dieser Gelegenheiten zu bestimmen ist. Dies ist jedoch eine Sachverhaltsfrage und kann daher nur vom nationalen Gericht entschieden werden. Es ist nicht Sache des Gerichtshofes, Tatsachen im Zusammenhang mit einem Vorabentscheidungsersuchen festzustellen, selbst wenn diese Tatsachen ein Gemeinschaftsverfahren betreffen.

29.   Angesichts dessen erscheint es mir völlig zulässig, dass das vorlegende Gericht in allgemeiner Form um eine Vorabentscheidung ersucht, in Anbetracht deren es Tatsachen beurteilen wird, die es im Hinblick auf die Konsultation des Mehrwertsteuerausschusses feststellen wird oder bereits festgestellt hat(13).

30.   Ebenso scheint es mir legitim, dass der Gerichtshof, da das vorlegende Gericht wissen muss, was eine gültige Konsultation ausmacht und was nicht, die unterschiedlichen Situationen in Betracht zieht, die sich aus den vorgelegten Unterlagen ergeben, sich aber gleichzeitig jeder spezifischen Tatsachenfeststellung enthält, die den Ausgang des Ausgangsverfahrens auf der Grundlage dieser Unterlagen bestimmen würde.

31.   Auch kann Frage 1 Buchstabe b nicht einfach deshalb als nicht einschlägig abgetan werden, weil sie auf „zahlreiche [vom Gesetzgeber vorgenommene] Verlängerungen [Bezug nimmt], die sich fortlaufend und ohne Kontinuitätsbruch über mehr als 25 Jahre wiederholt haben“, während der Vorsteuerabzug im Ausgangsverfahren für einen kürzeren Zeitraum geltend gemacht wird.

32.   Unabhängig davon, ob die Erfordernisse einer Konsultation beachtet wurden, kann die genannte kontinuierliche Wiederholung für die Beurteilung dessen relevant sein, ob dem Erfordernis von Artikel 17 Absatz 7 der Sechsten Richtlinie nachgekommen wurde, wonach jeder Ausschluss von der Vorsteuerabzugsregelung auf „Konjunkturgründen“ beruhen muss.

33.   Wenn Frage 1 Buchstabe b somit zulässig ist – wie ich meine –, fehlt dem Einwand der italienischen Regierung, dass Frage 1 Buchstabe c hypothetisch sei, die Grundlage.

34.   In Bezug auf die Zulässigkeit von Frage 2 beruht der Einwand Italiens auf dem Argument, dass für den Zeitraum nach 1999 die streitigen Maßnahmen nicht „ohne Zeitbeschränkung“ gültig gewesen, sondern von Jahr zu Jahr in Erwartung des Erlasses einer Richtlinie bezüglich des Vorsteuerabzugs verlängert worden seien. Italien macht daher geltend, dass die Frage für den Rechtsstreit im Ausgangsverfahren irrelevant sei.

35.   Es trifft zu, dass die Kommission 1998 einen Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG bezüglich des Vorsteuerabzugs(14) unterbreitet hat. Dieser Vorschlag ist kürzlich – anscheinend infolge von Schwierigkeiten, im Rat eine Einigung zu erzielen – zurückgezogen worden(15). Artikel 1 Absatz 2 dieses Vorschlags hätte einen Artikel 17a in die Sechste Richtlinie eingeführt, der u. a. den Abzug von Mehrwertsteuer auf „Ausgaben für Personenkraftfahrzeuge, die nicht ausschließlich geschäftlich genutzt werden“, geregelt hätte, wofür die Mitgliedstaaten einen Höchstsatz hätten bestimmen können, der 50 % der fraglichen Steuer nicht hätte unterschreiten dürfen. Es trifft ebenfalls zu, dass dieser Vorschlag in den Protokollen des Mehrwertsteuerausschusses, die die italienische Regierung vorgelegt hat, erwähnt wird.

36.   Dem Kontext des Vorabentscheidungsersuchens glaube ich jedoch entnehmen zu können, dass die Frage 2 nicht eng dahin gehend zu verstehen ist, dass sie sich nur auf Situationen bezieht, in denen keine tatsächliche Zeitbeschränkung für die Gültigkeit einer Maßnahme festgesetzt worden ist, sondern vielmehr so, dass sie sich auf alle Situationen bezieht, in denen die Gültigkeitsdauer so lang ist, dass sie wahrscheinlich mit dem Erfordernis kollidiert, dass die Ausnahme aus „Konjunkturgründen“ erfolgen muss.

37.   Daher sehe ich keinen Grund, eine der Vorlagefragen als unzulässig anzusehen.

38.   Bei ihrer Beantwortung werde ich ähnlich vorgehen, wie es die Kommission vorgeschlagen hat. Daher werde ich zunächst auf die Verfahrenserfordernisse der Gültigkeit einer Ausnahme nach Artikel 17 Absatz 7 der Sechsten Richtlinie (Frage 1 Buchstabe a und ein Teil der Frage 1 Buchstabe b), sodann auf die materiellen Erfordernisse dieser Gültigkeit (der Rest der Frage 1 Buchstabe b und der erste Teil der Frage 1 Buchstabe c) und schließlich auf die Rechtsfolgen eingehen, die sich aus einer Nichtbeachtung eines dieser Erfordernisse ergeben (der Rest der Frage 1 Buchstabe c und Frage 2).

 Verfahrenserfordernisse – Frage 1 Buchstaben a und b

39.   Das nationale Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob die „bloße Mitteilung über den Erlass einer Vorschrift“ eine „Konsultation“ des Mehrwertsteuerausschusses darstellen kann, wenn der Ausschuss diese lediglich zur Kenntnis nimmt, und welche Wirkung, wenn überhaupt, eine Konsultation nach Erlass der fraglichen Maßnahme hat.

40.   Die erste dieser Fragen kann auf einer Ebene sehr eindeutig beantwortet werden.

41.   Der Mehrwertsteuerausschuss ist ein beratendes Gremium. Zwar kann er „Leitlinien“ erlassen, doch ist er hierzu nicht verpflichtet, es sei denn, die Frage ist von allgemeinem Interesse, und eine bestimmte Auffassung wird von einer klaren Mehrheit der Mitgliedstaaten geteilt(16). Artikel 17 Absatz 7 der Sechsten Richtlinie verpflichtet einen Mitgliedstaat zur Konsultation des Ausschusses, wenn er nach dieser Vorschrift einen Ausschluss vom Vorsteuerabzug einführen möchte. Für das Ergebnis der Konsultation ist hingegen nichts geregelt. Da zudem der Mehrwertsteuerausschuss auf die Konsultation hin nicht verpflichtet ist, eine bestimmte Position einzunehmen, kann die Gültigkeit der abweichenden Maßnahme nicht allein deshalb in Frage gestellt werden, weil der Ausschuss sie lediglich zur Kenntnis genommen hat.

42.   Außerdem sieht Artikel 12 Absatz 3 der Geschäftsordnung des Mehrwertsteuerausschusses spezifisch vor, dass der Ausschuss den Antrag auf eine Konsultation, die ein Mitgliedstaat nach der Sechsten Richtlinie vornehmen muss, „zur Kenntnis“ zu nehmen hat. Dass der Ausschuss dies tut – und aus den dem Gerichtshof vorgelegten Protokollen ergibt sich, dass er mehrfach von Anträgen Italiens auf Konsultation in Bezug auf die streitige Maßnahme Kenntnis genommen hat –, kann als solches der Gültigkeit dieser Konsultation keinen Abbruch tun.

43.   In Frage 1 Buchstabe a ist aber von einer „bloßen Mitteilung … über den Erlass einer Vorschrift des nationalen Rechts“ die Rede. Daher ist sie wohl so zu verstehen, dass danach gefragt wird, ob man von einer durchgeführten Konsultation ausgehen kann, wenn der Ausschuss die Mitteilung einer bereits erlassenen Maßnahme lediglich zur Kenntnis nimmt.

44.   Dies wiederum wirft die beiden weiteren Fragen auf, wie eine „Mitteilung“ beschaffen sein muss, damit sie eine „Konsultation“ darstellt, und ob eine Konsultation nach Erlass einer Maßnahme eine gültige Konsultation ist oder irgendeine Wirkung haben kann (ein Aspekt, auf den auch in Frage 1 Buchstabe b angespielt wird).

45.   Zur ersten dieser Fragen führt die Kommission meines Erachtens ganz zu Recht im Wesentlichen aus, dass der Mitgliedstaat dem Ausschuss ausreichende Informationen übermitteln müsse, damit die anderen Mitgliedstaaten und die Kommission in die Lage versetzt würden, dazu Stellung zu nehmen, ob die Maßnahme mit den materiellen Kriterien, die Artikel 17 Absatz 7 festlegt, übereinstimme. Wie der Gerichtshof im Urteil Metropol ausgeführt hat, „erlaubt … [diese Konsultation] der Kommission und den anderen Mitgliedstaaten, die Verwendung, die ein Mitgliedstaat von der Möglichkeit macht, von der allgemeinen Mehrwertsteuerregelung abzuweichen, zu kontrollieren, indem sie insbesondere prüfen, ob die in Rede stehende nationale Maßnahme die Voraussetzung erfüllt, dass sie aus Konjunkturgründen erlassen wurde“(17). Wenn weniger hinsichtlich Inhalt und Umfang der Mitteilung verlangt würde, würde das Verfahren völlig nutzlos.

46.   Ob bei den fraglichen Konsultationen hinreichende Informationen geliefert wurden, ist eine Sachverhaltsfrage, die das nationale Gericht entscheiden muss. Dennoch ist es bemerkenswert, dass aus einer Reihe von Unterlagen, die sowohl die italienische Regierung als auch die Kommission ihren Erklärungen an den Gerichtshof beigefügt haben, hervorgeht, dass über die Konsultation Italiens im Ausschuss diskutiert wurde und dass die Kommission in der Lage war, zu den betreffenden Maßnahmen Stellung zu nehmen.

47.   Was die zweite Frage betrifft, so stellt das Urteil Metropol klar fest, dass die Konsultation des Mehrwertsteuerausschusses eine „Vorbedingung“ für den Erlass einer abweichenden Maßnahme ist(18).

48.   Die italienische Regierung beruft sich aber auf die spätere Feststellung des Gerichtshofes in der Rechtssache Sudholz(19), dass „Artikel 27 der Sechsten Richtlinie nach seinem Wortlaut nicht aus[schließt], dass die Entscheidung des Rates im Nachhinein ergeht. Diese ist nicht allein deshalb ungültig, weil sie nach der abweichenden Maßnahme ergangen ist.“

49.   Hierzu möchte ich darauf hinweisen, dass sich das Konsultationsverfahren nach Artikel 17 Absatz 7 von dem Ermächtigungsverfahren nach Artikel 27 unterscheidet(20). Daher ist es nicht möglich oder angemessen, die beiden Verfahren vollständig analog zu behandeln. Das Ziel der Konsultation wird im Allgemeinen am wahrscheinlichsten dann erreicht, wenn sie stattfindet, bevor ein bestimmter Weg eingeschlagen wird, weil sie dann die tatsächlich eingeleiteten Schritte beeinflussen kann. Eine Ermächtigung kann demgegenüber, auch wenn sie rückwirkend erteilt wird, immer noch dazu dienen, den eingeschlagenen Weg zu billigen.

50.   Selbst wenn eine Analogie angemessen ist, sollte zudem beachtet werden, dass der Gerichtshof in der Rechtssache Sudholz tatsächlich nicht akzeptiert hat, dass eine Ermächtigung nach Artikel 27 rückwirkend erteilt werden könnte. Er entschied vielmehr, dass die dort in Rede stehende Ermächtigung, die nach Erlass der betreffenden Maßnahme erteilt worden war, nicht wegen des Zeitpunkts ihrer Erteilung ungültig war, sondern dass sie die Maßnahme nur von diesem Zeitpunkt an rechtfertigen konnte.

51.   Ferner betraf die von der italienischen Regierung zitierte Passage den Zeitpunkt der Ermächtigung durch den Rat und nicht den des Antrags auf Erteilung dieser Ermächtigung – der, was klar zu sein scheint, vor Erlass der abweichenden Maßnahme liegen muss. Der Gerichtshof führte aus, dass „Artikel 27 für das zum Erlass einer Entscheidung durch den Rat führende Verfahren verschiedene Abschnitte vorsieht, darunter den, in dem der betreffende Mitgliedstaat die Kommission vorab von seinem Wunsch unterrichtet[(21)], eine abweichende Maßnahme einzuführen, dass aber hinsichtlich des Zeitpunkts, zu dem die Entscheidung des Rates ergehen kann, keine zeitlichen Grenzen gezogen sind“(22).

52.   Sollte eine Analogie gezogen werden, so würde es daher vernünftig erscheinen, die Einleitung einer Konsultation nach Artikel 17 Absatz 7 als das Gegenstück des Antrags auf Erteilung der Ermächtigung nach Artikel 27 anzusehen; damit müsste Ersterer dem Erlass der fraglichen Maßnahme vorangehen. Eine etwaige Stellungnahme des Mehrwertsteuerausschusses könnte jedoch dem Erlass nachfolgen, ohne dass dies die Gültigkeit der Maßnahme aus verfahrensrechtlichen Gründen berühren würde.

53.   Die Kommission weist außerdem darauf hin, dass es gewöhnlich gerade in der Natur von konjunkturellen Erfordernissen liege, dass schnell Maßnahmen getroffen werden müssten, und dass die Sitzungen des Mehrwertsteuerausschusses relativ selten seien. Es könne daher notwendig sein, eine Abweichung einzuführen, bevor der Ausschuss sie diskutieren könne.

54.   Ich halte es jedoch nicht für wahrscheinlich, dass das Bedürfnis, bestimmte Gegenstände von der Vorsteuerabzugsregelung auszuschließen, jemals so dringend sein kann, dass noch nicht einmal Zeit dafür bleibt, das Konsultationsverfahren dadurch einzuleiten, dass dem Mehrwertsteuerausschuss die Absicht des Mitgliedstaats mitgeteilt wird. Jedenfalls sieht die Geschäftsordnung des Mehrwertsteuerausschusses vor(23), dass dieser grundsätzlich viermal im Jahr zusammentritt, und die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass es (zumindest theoretisch) möglich sei, in Eilfällen eine außerordentliche Sitzung des Ausschusses einzuberufen.

55.   Auch ist in der vorliegenden Rechtssache nicht vorgetragen worden, dass Italien bei irgendeiner Gelegenheit einen relevanten Rechtsakt zwischen dem Augenblick der Einleitung einer Konsultation des Mehrwertsteuerausschusses und dem Zeitpunkt, zu dem der Ausschuss in der Lage war, die Angelegenheit zu diskutieren, erlassen hat oder dass es bei irgendeiner Gelegenheit eine Eilmaßnahme treffen musste, bevor eine Sitzung des Ausschusses stattfinden konnte.

56.   Wenn der Mehrwertsteuerausschuss grundsätzlich vor Erlass der in Rede stehenden Maßnahme konsultiert werden muss, gibt es dann Umstände, unter denen eine spätere Konsultation dennoch Wirkungen haben kann?

57.   Das nationale Gericht bezieht sich in Frage 1 Buchstabe b auf eine vor Konsultation des Ausschusses eingeführte Beschränkung. Stradasfalti stellt fest, dass die erste Konsultation des Ausschusses, obwohl die streitige Maßnahme erstmals 1979 eingeführt worden sei, erst 1981 stattgefunden habe. Italien weist darauf hin, dass die Maßnahme seither mehrmals erneut erlassen worden sei.

58.   Ich habe keinen Zweifel, dass, selbst wenn die Konsultation eine Vorbedingung für den Erlass einer Maßnahme auf der Grundlage von Artikel 17 Absatz 7 ist, eine Nichtbeachtung dieser Bedingung in einem bestimmten Fall nicht für alle Zeit einem späteren Erlass einer identischen oder ähnlichen Bestimmung nach ordnungsgemäßer Konsultation entgegenstehen kann.

59.   Meines Erachtens ist es daher erforderlich, jeden Rechtsakt (Erlass, nochmaliger Erlass, Erstreckung der Gültigkeit oder Änderung einer Maßnahme) zu betrachten und festzustellen, (a) ob der Mehrwertsteuerausschuss vor seinem Erlass konsultiert wurde und (b) ob dabei hinreichende Informationen über den spezifischen Inhalt der Maßnahme übermittelt wurden, um die anderen Mitgliedstaaten und die Kommission in die Lage zu versetzen, sich eine Meinung darüber zu bilden, ob diese Maßnahme den materiellen Kriterien von Artikel 17 Absatz 7 entspricht.

60.   Auf dieser Grundlage wird es für das nationale Gericht möglich sein, festzustellen, welche der verschiedenen Rechtsakte, die die streitige Maßnahme in ihren sukzessiven Formen enthielten, den Verfahrenserfordernissen von Artikel 17 Absatz 7 entsprachen und welche nicht.

61.   Ich bin daher der Auffassung, dass die Konsultation des Mehrwertsteuerausschusses durch einen Mitgliedstaat eine Vorbedingung für den Erlass jedes (sukzessiven) Rechtsakts ist, der einen Ausschluss vom Recht auf Vorsteuerabzug nach Artikel 17 Absatz 7 der Sechsten Richtlinie enthält. Im Rahmen der Konsultation müssen hinreichende Informationen über den spezifischen Inhalt des Ausschlusses geliefert werden, um die anderen Mitgliedstaaten und die Kommission in die Lage zu versetzen, sich eine Meinung darüber zu bilden, ob dieser Ausschluss den materiellen Kriterien von Artikel 17 Absatz 7 entspricht.

 Materielle Erfordernisse – Frage 1 Buchstaben b und c

62.   Das nationale Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob eine Maßnahme, die 25 Jahre lang in Kraft blieb, auf der Grundlage von Artikel 17 Absatz 7 der Sechsten Richtlinie gerechtfertigt werden kann und – andernfalls – wie lange eine abweichende Maßnahme wirksam aus Konjunkturgründen verlängert werden kann.

63.   Aus der Rechtssache Metropol(24) – und in der Tat aus dem Wortlaut der Vorschrift – geht klar hervor, dass Artikel 17 Absatz 7 der Sechsten Richtlinie nur zeitlich begrenzte Maßnahmen erlauben kann, die einer (konjunkturellen) Wirtschaftslage zu einem bestimmten Zeitpunkt entsprechen sollen(25).

64.   Außerdem erscheint es mir sehr schwierig, wenn nicht geradezu unmöglich, eine Maßnahme, die 25 Jahre lang in Kraft war, als „zeitlich begrenzt“ oder eine 25 Jahre währende Wirtschaftslage als zeitlich begrenzt, kurz oder zyklisch zu beschreiben. 25 Jahre sind mehr als die Hälfte der Zeit des Bestehens der Europäischen (Wirtschafts-)Gemeinschaft und umfassen praktisch den gesamten Zeitraum, während dessen die Sechste Richtlinie in Italien in Kraft war.

65.   Die italienische Regierung möchte jedoch die Beurteilung durch den Gerichtshof auf den Fünfjahreszeitraum von 2000 bis 2004 begrenzen.

66.   Ich bin nicht der Ansicht, dass die Gültigkeit einer angeblich aus „Konjunkturgründen“ gerechtfertigten Maßnahme lediglich in Bezug auf die Zeit bestimmt werden muss, um die es bei ihrer Anwendung auf den Sachverhalt im nationalen Verfahren ging. Die Gesamtdauer, während deren die Maßnahme in Kraft bleibt, ist offenkundig auch relevant, wenn es darum geht, zu beurteilen, ob die Rechtfertigung durchgreift. Meiner Ansicht nach ist ein Zeitraum von 20 oder 25 Jahren außerdem eindeutig zu lang, um das Kriterium zu erfüllen.

67.   Anders wäre die Lage selbstverständlich dann, wenn eine Reihe aufeinander folgender Maßnahmen durchgeführt würde, deren jede auf unterschiedliche Weise auf eine Reihe unterschiedlicher Konjunkturumstände eingehen würde. In Anbetracht der Tatsache, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Maßnahme seit ihrer Einführung im Jahr 1979 verschiedentlich erneuert wurde, muss sich das nationale Gericht davon überzeugen, dass es sich hier nicht so verhält. Das ist eine Sachverhaltsfrage, die das Gericht zu entscheiden hat, aber der Gerichtshof kann es dabei durch einige Hinweise leiten.

68.   Erstens ist offensichtlich, dass die streitige Maßnahme nur Gegenstand weniger Änderungen war. Dem Gerichtshof ist zur Kenntnis gebracht worden, dass zu bestimmten Zeiten lediglich eine Teilabzugsberechtigung bestand – nämlich in Höhe von 50 % zwischen 1979 und 1983, in Höhe von 10 % zwischen 2001 und 2005 (50 % für eine beschränkte Kategorie von Fahrzeugen) und nunmehr in Höhe von 15 % seit Anfang 2006. Für einen Zeitraum von 18 Jahren zwischen 1983 und 2000 einschließlich scheint überhaupt keine Abzugsberechtigung bestanden zu haben. Somit hat sich der abzugsfähige Anteil der Mehrwertsteuer gelegentlich geändert, aber ihrer Art nach scheint die Maßnahme als Ausschluss vom Vorsteuerabzug unverändert und seit ihrer ersten Einführung ununterbrochen bestehen geblieben zu sein.

69.   Zweitens ist, obwohl theoretisch eine Reihe aufeinanderfolgender kurzzeitiger Wirtschaftslagen vorstellbar sein mag, von denen jede – in Höhe eines unterschiedlichen Prozentsatzes – eine Beschränkung der Vorsteuerabzugsberechtigung für Kraftfahrzeuge erfordert, dergleichen für die vorliegende Rechtssache nicht vorgetragen worden.

70.   Daher scheint der Schluss gerechtfertigt, dass die streitige Maßnahme weder zeitlich begrenzt ist noch auf zeitweiligen, kurzzeitigen oder Konjunkturgründen beruht und folglich nicht die materiellen Anforderungen einer Rechtfertigung nach Artikel 17 Absatz 7 der Sechsten Richtlinie erfüllen kann, wenn dem nationalen Gericht von den Steuerbehörden keine überzeugenden Beweise für das Gegenteil vorgelegt werden.

71.   Das vorlegende Gericht ersucht auch um Auskunft darüber, auf welchen Zeitraum maximal der Ausschluss vom Vorsteuerabzug nach dieser Vorschrift erstreckt werden kann.

72.   Wenn auch ein Zeitraum von 20 oder 25 Jahren als offenkundig zu lang erscheint, halte ich es nicht für vernünftig (oder möglich), eine bestimmte Zeitgrenze vorzuschlagen. Das einschlägige Kriterium liegt in der Art der wirtschaftlichen Situation, die Anlass zu dem Bedürfnis einer Beschränkung des Vorsteuerabzugsrechts bietet, und nicht in einer bestimmten Dauer der Situation. (Der Ausschluss selbst kann selbstverständlich nicht länger gerechtfertigt sein, als auch die Umstände vorliegen, die ihn erforderlich machen.)

73.   Stradasfalti nimmt auf das Vorbringen der Kommission in der Rechtssache Metropol Bezug, wonach es lediglich um „Zeiten, in denen erhebliche Abweichungen vom normalen Konjunkturverlauf zu verzeichnen seien,“(26) gehe, und auf die Stellungnahme des Generalanwalts Geelhoed in der gleichen Rechtssache: „Das ‚Erfordernis von Konjunkturgründen‘ bedeutet, dass die Steuerregelung zum Zweck haben muss, Konjunkturschwankungen aufzufangen. Die Maßnahme ist Teil der Konjunkturpolitik eines Mitgliedstaats. Unter Konjunkturpolitik verstehe ich in diesem Zusammenhang die kurzfristige Beeinflussung der makroökonomischen Größen, wie der Produktion, des Verbrauchs sowie der Ein- und Ausfuhr über den Staatshaushalt. Es handelt sich dabei häufig um einen Zeitraum von ein bis zwei Jahren.“(27)

74.   Diese beiden Erklärungen scheinen mir eine weitere passende und hilfreiche Erläuterung zu der Feststellung des Gerichtshofes in seinem Urteil zu sein, dass Artikel 17 Absatz 7 „einen Mitgliedstaat [ermächtigt], zeitlich begrenzte Maßnahmen zu erlassen, um einer konjunkturellen Lage gegenzusteuern, in der sich seine Wirtschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt befindet. Daher muss die Anwendung der Maßnahmen, auf die sich diese Bestimmung bezieht, zeitlich begrenzt sein, und es kann sich dabei begrifflich nicht um strukturelle Maßnahmen handeln.“(28) Ein nationales Gericht kann die aufgezeigten Kriterien anwenden, wenn es beurteilt, ob eine Maßnahme den materiellen Erfordernissen einer Rechtfertigung nach Artikel 17 Absatz 7 entspricht, auch wenn keine genaue Zeitgrenze dazu aufgestellt werden kann, was in diesem Zusammenhang „zeitlich begrenzt“ bedeutet.

75.   Hinzufügen möchte ich, dass ein bestimmter Grad an Schwankungen um eine Grundtendenz für die Wirtschaftsleistung normal ist. Meiner Ansicht nach kann beim Entwurf von Artikel 17 Absatz 7 nicht die Absicht bestanden haben, dass dieses normale Erscheinungsbild einen Mitgliedstaat dazu berechtigen kann, von dem grundlegenden Recht eines Steuerpflichtigen abzuweichen, Vorsteuer gemäß Artikel 17 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie abzuziehen. Artikel 17 Absatz 7 – der schließlich eng auszulegen ist(29) – scheint sich mir eher auf eine durchaus ernstere oder signifikantere Abweichung von der Grundtendenz zu beziehen, die so geartet ist, dass sie legitimerweise Anlass zum Erlass von Maßnahmen gibt, um die Verschärfung des Wirtschaftszyklus zu verhindern.

76.   Daher bin ich der Auffassung, dass Artikel 17 Absatz 7 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er nur zeitlich begrenzte Maßnahmen in Bezug auf kurzzeitige wirtschaftliche Umstände gestatten kann. Eine Maßnahme, die ohne wesentliche Änderung zur Reaktion auf eine geänderte Wirtschaftslage länger in Kraft bleibt, als derartige Umstände vorliegen, kann nicht nach dieser Vorschrift gestattet werden.

 Rechtliche Auswirkungen der Nichtbeachtung der Erfordernisse – Fragen 1 Buchstabe c und 2

77.   Das nationale Gericht möchte wissen, ob die Nichtbeachtung des zeitlich begrenzten Charakters eines Ausschlusses vom Vorsteuerabzug auf der Grundlage von Artikel 17 Absatz 7 der Sechsten Richtlinie einen Steuerpflichtigen zum Vorsteuerabzug berechtigen kann und ob die Anwendung des Ausschlusses an Artikel 17 Absatz 2 scheitert.

78.   Es ist evident, dass, wenn eine nationale Maßnahme, die den Ausschluss bestimmter Gegenstände vom Vorsteuerabzug vorsieht, nicht rechtsgültig im Einklang mit den Erfordernissen der Sechsten Richtlinie erlassen wurde, die in dieser Maßnahme enthaltenen Vorschriften nicht angewandt werden können. Welche Vorschriften müssen dann an deren Stelle angewandt werden?

79.   Wie alle Harmonisierungsrichtlinien verlangt die Sechste Richtlinie von den Mitgliedstaaten, bestimmte Vorschriften in Kraft zu setzen, ist aber selbst nicht unmittelbar anwendbar. Der Gerichtshof entscheidet jedoch in ständiger Rechtsprechung, dass die Einzelnen diejenigen Vorschriften der Richtlinie, die klar, genau und nicht an Bedingungen geknüpft sind, geltend machen können. Insbesondere hat er festgestellt, dass der das Vorsteuerabzugsrecht begründende Artikel 17 Absätze 1 und 2 für die Einzelnen Rechte begründet, die diese vor den nationalen Gerichten geltend machen können(30).

80.   Außerdem kann ein Steuerpflichtiger, „der seine Mehrwertsteuererklärung für einen Besteuerungszeitraum unter Verwendung der Methode abgegeben hat, die in der nationalen Regelung zur Umsetzung der Sechsten Richtlinie in das innerstaatliche Recht vorgesehen ist, seine Mehrwertsteuerschuld nach der vom Gerichtshof als gemeinschaftsrechtskonform angesehenen Methode unter den in seinem nationalen Recht vorgesehenen Bedingungen, die dem Äquivalenzprinzip und dem Effektivitätsprinzip entsprechen müssen, neu berechnen“(31) – d. h., diese Bedingungen „dürfen nicht ungünstiger sein als bei ähnlichen Klagen, die auf Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts gestützt sind, und sie dürfen nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Ausübung der Rechte, die die Gemeinschaftsrechtsordnung einräumt, praktisch unmöglich machen“(32).

81.   Daher kann, wenn eine nationale Maßnahme, die bestimmte Gegenstände von der Vorsteuerabzugsregelung ausschließt, nicht rechtsgültig erlassen worden ist, ein von diesem Ausschluss betroffener Steuerpflichtiger seine Mehrwertsteuerschuld gemäß Artikel 17 Absatz 2 neu berechnen, was zu einem unmittelbaren Abzugsrecht führt.

82.   Artikel 17 Absatz 2 enthält jedoch die Einschränkung „[s]oweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ….“. In Anbetracht der Tatsache, dass in der vorliegenden Rechtssache von Stradasfalti ausdrücklich gesagt wird, sie habe es gestattet, dass ihr Personal die fraglichen Fahrzeuge als „Nebenvergünstigung“ nutze, müssen außerdem berücksichtigt werden:

–       Artikel 17 Absatz 5: „Soweit Gegenstände und Dienstleistungen von einem Steuerpflichtigen sowohl für Umsätze verwendet werden, für die nach den Absätzen 2 und 3 ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, als auch für Umsätze, für die dieses Recht nicht besteht, ist der Vorsteuerabzug nur für den Teil der Mehrwertsteuer zulässig, der auf den Betrag der erstgenannten Umsätze entfällt“ (dies ist in Zusammenhang mit Artikel 19 zu lesen, der detaillierte Regeln für die Berechnung des abziehbaren Teils aufstellt) und

–       Artikel 5 Absatz 6: „Einer Lieferung gegen Entgelt gleichgestellt wird die Entnahme eines Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen aus seinem Unternehmen für seinen privaten Bedarf, für den Bedarf seines Personals oder als unentgeltliche Zuwendung oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke, wenn dieser Gegenstand oder seine Bestandteile zu einem vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt haben. …“

83.   Folglich kann in einem Fall wie dem von Stradasfalti das Recht auf Vorsteuerabzug jedenfalls nur soweit gegeben sein, wie die fraglichen Fahrzeuge (und der von ihnen verbrauchte Treibstoff) für den Zweck der Erzielung steuerbarer Umsätze eingesetzt wurden. Die erforderlichen Berechnungen müssen im Einklang mit den Bedingungen durchgeführt werden, die das nationale Recht vorsieht und die dem Äquivalenzprinzip und dem Effektivitätsprinzip entsprechen müssen.

 Mögliche Beschränkung der zeitlichen Wirkungen des Urteils

84.   Schließlich ersucht die italienische Regierung den Gerichtshof, sollte er eine Entscheidung fällen, aus der sich ergibt, dass die streitige nationale Maßnahme ungültig ist, die zeitliche Wirkung seines Urteils zu begrenzen.

85.   Der Gerichtshof hat zuletzt in der Rechtssache Skov(33) wie folgt seinen Standpunkt in Bezug auf solche Ersuchen klargestellt:

„Nach ständiger Rechtsprechung wird durch die Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die der Gerichtshof in Ausübung seiner Befugnisse aus Artikel 234 EG vornimmt, erläutert und verdeutlicht, in welchem Sinne und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Daraus folgt, dass die Gerichte die Vorschriften in dieser Auslegung auch auf Rechtsverhältnisse, die vor Erlass des auf das Ersuchen um Auslegung ergangenen Urteils entstanden sind, anwenden können und müssen, wenn alle sonstigen Voraussetzungen für die Anrufung der zuständigen Gerichte in einem die Anwendung dieser Vorschriften betreffenden Streit vorliegen …

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof die für die Betroffenen bestehende Möglichkeit, sich auf die Auslegung, die er einer Bestimmung gegeben hat, zu berufen, um in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse in Frage zu stellen, nur ausnahmsweise aufgrund des allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes der Rechtssicherheit beschränken kann. Eine solche Beschränkung ist nur dann zulässig, wenn zwei grundlegende Kriterien erfüllt sind, nämlich guter Glaube der Betroffenen und die Gefahr schwerwiegender Störungen …“(34)

86.   Wenn dem Ersuchen der italienischen Regierung stattgegeben werden soll, muss daher zunächst das Kriterium des guten Glaubens erfüllt sein. Hierzu wird ausführlicher in der Rechtssache Bidar(35) festgestellt, dass dies das Vorhandensein einer „großen Zahl von Rechtsverhältnissen [impliziert], die gutgläubig auf der Grundlage der als gültig betrachteten Regelung eingegangen worden waren, … wenn … sich herausstellte, dass die Einzelnen und die nationalen Behörden zu einem mit der Gemeinschaftsregelung unvereinbaren Verhalten veranlasst worden waren, weil eine objektive und bedeutende Unsicherheit hinsichtlich der Tragweite der Gemeinschaftsbestimmungen bestand, zu der gegebenenfalls auch das Verhalten anderer Mitgliedstaaten oder der Kommission beigetragen hatte“.

87.   Es mag fraglich sein, ob „objektive und bedeutende Unsicherheit“ in diesem Zusammenhang die passendste Wendung ist. Sollte das Vorliegen einer bedeutenden Unsicherheit einen Mitgliedstaat nicht zur Vorsicht mahnen, statt dass er eine ihm genehme Vermutung hinsichtlich der zutreffenden Auslegung des Gemeinschaftsrechts unterstellt?

88.   In meinen Augen sollte besser darauf abgestellt werden, ob „objektive und bedeutende Gründe für die Annahme, dass die zugrunde gelegte Auslegung zutreffend ist“, vorliegen, oder es sollten ähnliche Kriterien herangezogen werden wie die, auf die der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zur Staatshaftung Bezug genommen hat, nämlich ob der Verstoß vorsätzlich oder nicht vorsätzlich begangen wurde, ob ein etwaiger Rechtsirrtum entschuldbar oder unentschuldbar war und ob Verhaltensweisen eines Gemeinschaftsorgans möglicherweise zum Verstoß beigetragen haben(36).

89.   Die zeitliche Beschränkung der Wirkungen eines Urteils und die Feststellung einer Staatshaftung sind letztlich Ausnahmen gegenüber den normalen Regeln. Sie ergeben sich als Reaktion auf eine außergewöhnliche Lage. Die Kriterien, die herangezogen werden, um festzustellen, ob sie für einen bestimmten Fall angemessen sind, sollten dies daher widerspiegeln. Darüber hinaus scheint mir eine gewisse Parallelität in der Formulierung der Kriterien für die Beurteilung des Verhaltens des Mitgliedstaats angemessen, weil beide Konzepte sich auf Situationen beziehen, die am „guten“ bzw. am „schlechten“ Ende der Bandbreite des Verhaltens eines Mitgliedstaats angesiedelt sind.

90.   Wie dem auch sei, die Situation in der vorliegenden Rechtssache scheint mir nicht einmal die Auffassung zu stützen, dass eine objektive und bedeutende Unsicherheit in Bezug auf das richtige Vorgehen Italiens vorlag.

91.   Zum einen geht das Erfordernis der „Konjunkturgründe“ und das Gebot der Konsultierung des Mehrwertsteuerausschusses klar aus dem Wortlaut von Artikel 17 Absatz 7 der Sechsten Richtlinie hervor.

92.   Zum anderen hat die Kommission Unterlagen des Mehrwertsteuerausschusses vorgelegt, die zeigen, dass dieser wiederholt seine Missbilligung der in Rede stehenden Maßnahme zum Ausdruck gebracht und seine Gründe dafür dargelegt hat. Die freundliche Aufnahme bestimmter Mitteilungen, auf die die italienische Regierung hinweist, betrafen entweder Zusagen, die Abweichung zu beenden, oder die Einführung einer teilweisen Abzugsfähigkeit im Jahr 2001. Nichts deutet darauf hin, dass die Kommission jemals geäußert hätte, dass die streitige Maßnahme mit der Sechsten Richtlinie vereinbar zu sein scheine, oder dass andere Mitgliedstaaten jemals ausdrücklich das Vorgehen Italiens beim Erlass oder Wiedererlass der Maßnahme gebilligt hätten.

93.   Zwar trifft es zu, dass die Kommission gegen Italien in Bezug auf die streitige Maßnahme erst ein Verfahren nach Artikel 226 EG einleitete, nachdem in der vorliegenden Rechtssache um Vorabentscheidung ersucht worden war. Ich bin aber nicht der Auffassung, dass das bloße Nichteinleiten eines solchen Verfahrens (der Gerichtshof war immer der Ansicht, dass dies Ermessenssache der Kommission sei(37)) als Negation der ausdrücklichen Missbilligung der Kommission im Mehrwertsteuerausschuss betrachtet werden kann. Es gibt keine Rechtssache, in der der Gerichtshof angenommen hat, dass das Nichteinleiten eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die Kommission als solches ausreichend wäre, um eine zeitliche Beschränkung der Wirkungen eines Urteils zu rechtfertigen, weil ein Mitgliedstaat dadurch dazu verleitet worden wäre, gutgläubig eine irrige Auffassung zum Gemeinschaftsrecht zu vertreten. Eine solche Situation unterscheidet sich z. B. deutlich von der in der Rechtssache Legros, in der die Kommission das Vertragsverletzungsverfahren einleitete, dann aber nicht fortführte, sondern stattdessen eine Entscheidung des Rates zur Billigung der in Frage stehenden lokalen Steuer vorschlug(38), oder von der in der Rechtssache EKW, aus der hervorgeht, dass die Kommission Österreich versicherte, dass die in Rede stehende Steuer mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei(39).

94.   Was das zweite Kriterium – das Bestehen einer Gefahr schwerwiegender wirtschaftlicher Störungen für den betreffenden Mitgliedstaat – anbelangt, so trägt die italienische Regierung vor, dass es um 15 Milliarden Euro gehe und dass die Verpflichtung, eine solche Summe zu erstatten, den Staat beträchtlich belasten würde.

95.   Auch ich neige zu der Ansicht, dass eine solche Zahl – die nach meinen Berechnungen etwa 1,5 % des italienischen Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2004 ausmacht – , wenn sie zutrifft, durchaus das in Rede stehende Kriterium erfüllen kann.

96.   Jedoch stellte sich in der mündlichen Verhandlung heraus, dass Italien zu dieser Zahl allein dadurch gelangt war, dass es annahm, jeder seiner 2 Millionen registrierten Steuerpflichtigen sei dazu berechtigt, Vorsteuer in Höhe von 1 500 Euro pro Jahr für den Kauf und die Nutzung eines Fahrzeugs abzuziehen, und könnte rückwirkend für einen Fünfjahreszeitraum den Vorsteuerabzug geltend machen.

97.   Die Zuverlässigkeit einer solchen Berechnung hat die Kommission in Zweifel gezogen. Diesen Zweifel teile ich. Die Zahl von 2 Millionen Steuerpflichtigen kann vermutlich recht einfach überprüft werden, aber Italien hat nicht den geringsten Beweis vorgebracht, um seine Berechnung des in Rede stehenden durchschnittlichen Vorsteuerbetrags zu rechtfertigen. Viele Steuerpflichtige werden geschäftlich kein Auto nutzen. Andere werden mehrere nutzen. Der Anteil der geschäftlichen Nutzung wird sich wahrscheinlich stark unterscheiden. Der tatsächlich geltend machbare Betrag muss den Artikeln 5 Absatz 6 und 17 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie Rechnung tragen(40). Darüber hinaus zeigte sich in der Sitzung, dass der Fünfjahreszeitraum, für den ein Vorsteuerabzug geltend gemacht werden kann, der theoretisch längstmögliche Zeitraum ist, und zwar für Personen, die bei der Geltendmachung ihrer Ansprüche mit größtmöglicher Sorgfalt vorgegangen sind. Der tatsächliche Zeitraum ist womöglich in vielen, wenn nicht in den meisten Fällen beträchtlich kürzer.

98.    Ich bin nicht der Ansicht, dass der Gerichtshof das Kriterium der schwerwiegenden wirtschaftlichen Störungen auf der Grundlage von Zahlen als erfüllt ansehen kann, die bestenfalls nicht substanziiert und schlimmstenfalls willkürlich und hypothetisch sind.

99.   Folglich sehe ich keine Gründe dafür, die zeitlichen Wirkungen des Urteils in der vorliegenden Rechtssache zu beschränken.

100. Demgemäß werde ich auf die weiteren Fragen hinsichtlich des Zeitpunkts, von dem an eine Beschränkung gelten sollte, und der Reichweite von Ausnahmen hiervon, die auch kurz in der mündlichen Verhandlung angesprochen wurden, nicht eingehen. Sollte aber der Gerichtshof der Auffassung sein, dass eine Beschränkung angemessen wäre, so schlage ich vor, dass diese beiden weiteren Punkte erst nach Verkündung des Urteils in den beiden derzeit bei der Großen Kammer anhängigen Rechtssachen C-475/03 (Banca Popolare di Cremona) und C-292/04 (Meilicke) entschieden werden sollten, in denen diese Fragen ausführlich diskutiert worden sind.

 Ergebnis

101. In Anbetracht all dieser Erwägungen bin ich der Auffassung, dass der Gerichtshof die Vorlagefragen der Commissione Tributaria di Primo Grado Trient wie folgt beantworten sollte:

1.      Artikel 17 Absatz 7 Satz 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates gestattet es einem Mitgliedstaat nicht, ohne vorherige Konsultation des in Artikel 29 der Richtlinie vorgesehenen Ausschusses Gegenstände von der Vorsteuerabzugsregelung auszuschließen. Der den Ausschuss konsultierende Mitgliedstaat muss für jeden vorgeschlagenen Rechtsakt hinreichende Informationen über den spezifischen Inhalt des Ausschlusses liefern, um die anderen Mitgliedstaaten und die Kommission in die Lage zu versetzen, sich eine Meinung darüber zu bilden, ob dieser Ausschluss den materiellen Kriterien von Artikel 17 Absatz 7 entspricht.

2.      Artikel 17 Absatz 7 der Sechsten Richtlinie gestattet nur zeitlich begrenzte Maßnahmen in Bezug auf kurzzeitige wirtschaftliche Umstände. Eine Maßnahme, die ohne wesentliche Änderung zur Reaktion auf eine geänderte Wirtschaftslage länger in Kraft bleibt, als derartige Umstände vorliegen, kann nicht nach dieser Vorschrift gestattet werden.

3.      Ist eine nationale Maßnahme, die bestimmte Gegenstände von der Vorsteuerabzugsregelung ausschließt, nicht rechtsgültig erlassen worden, so kann ein von diesem Ausschluss betroffener Steuerpflichtiger seine Mehrwertsteuerschuld gemäß Artikel 17 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie neu berechnen, was zu einem unmittelbaren Abzugsrecht führt, jedoch nur soweit, wie die fraglichen Gegenstände vom Steuerpflichtigen für den Zweck der Erzielung steuerbarer Umsätze eingesetzt wurden. Die erforderlichen Berechnungen müssen im Einklang mit den Bedingungen durchgeführt werden, die das nationale Recht vorsieht und die dem Äquivalenzprinzip und dem Effektivitätsprinzip entsprechen müssen.


1 – Originalsprache: Englisch.


2 – Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, mehrfach geändert, im Folgenden: Sechste Richtlinie).


3 – Artikel 1 der Neunten Richtlinie 78/583/EWG des Rates vom 26. Juni 1978 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern (ABl. L 194, S. 16).


4 – Vor ihrer Änderung mit Wirkung zum 19. Februar 2004 durch die Richtlinie 2004/7/EG des Rates vom 20. Januar 2004 zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem bezüglich des Verfahrens zur Annahme von Ausnahmeregelungen und der Zuweisung von Durchführungsbefugnissen (ABl. 2004, L 27, S. 44).


5 – Urteil vom 8. Januar 2002 in der Rechtssache C-409/99 (Slg. 2002, I-81).


6– Siehe Randnrn. 58 bis 65 des Urteils.


7 – Siehe Randnrn. 66 bis 68 des Urteils.


8 – „che non formano oggetto dell’attività propria dell’impresa“. Dies scheint Fahrzeuge zu umfassen, die in untergeordneter Funktion bei einer Geschäftstätigkeit zum Einsatz kommen, im Gegensatz zu solchen, die gerade die Grundlage dieser Tätigkeit (z. B. Fahrzeugvermietung) ausmachen.


9 – Artikel 30 Absätze 4 und 5 des Legge Nr. 388 von 2000.


10 – Dies scheint hauptsächlich für Fahrzeuge mit Elektroantrieb zu gelten.


11 – Gemäß Artikel 1 des Decreto del Presidente della Repubblica Nr. 24 vom 31. März 1979 (DPR 24/1979) mit Wirkung zum 1. April 1979.


12 – Urteil des Gerichtshofes vom 20. Juni 2005 in der Rechtssache C-165/03 (Slg. 2005, I-5637, Randnrn. 30 bis 33, insbesondere Randnr. 32).


13 – Das Vorabentscheidungsersuchen stellt nicht klar, welche Tatsachen, wenn überhaupt, bereits festgestellt worden sind, aber die dem Gericht übersandten Akten enthalten eine Anzahl von Protokollen der Sitzungen des Mehrwertsteuerausschusses, auf die oben Bezug genommen worden ist.


14 – KOM(1998) 377 endg. (ABl. 1998, C 219, S. 16).


15 – Siehe ABl. 2006, C 64, S. 3 und 9.


16 – Artikel 4 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Mehrwertsteuerausschusses.


17 – Randnr. 61 des Urteils.


18 – Randnr. 63 des Urteils.


19– Urteil vom 29. April 2004 in der Rechtssache C-17/01 (Slg. 2004, I-4243, Randnr. 23).


20 – Siehe oben, Nr. 6.


21 – Betrifft nur den englischen Text.


22 – Randnr. 22 des Urteils. Siehe auch Nr. 39 der Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed in dieser Rechtssache.


23 – Artikel 5 Absatz 1.


24 – Insbesondere Randnr. 67 des Urteils.


25 – Es mag jedoch fraglich sein, ob „cyclical economic reasons“ auf Englisch exakt den Sinn von „raisons conjoncturelles“, „Konjunkturgründen“, „konjunkturmaessige grunde“, „motivi congiunturali“ und „conjuncturele redenen“ in den anderen Amtssprachen wiedergibt, in denen die Sechste Richtlinie 1977 erlassen wurde. Der Begriff „cyclical“ kann als mit dem normalen Wirtschaftskreislauf im Zusammenhang stehend verstanden werden, während die übrigen Begriffe auf eine nur zeitweilige (und außergewöhnliche) Verkettung von Umständen hindeuten können. Vgl. unten, Nr. 75.


26 – Siehe Randnr. 57 des Urteils. Dies steht mit dem sich in der Wendung „raisons conjoncturelles“ und deren Entsprechung in anderen Sprachen widerspiegelnden Konzept einer signifikanten Abweichung von der normalen Grundrichtung der Wirtschaftsleistung in Einklang. Dies mag wiederum darauf hindeuten, dass der bloße Gebrauch des Begriffes „cyclical“ in der englischen Fassung der Sechsten Richtlinie irreführend ist.


27 – Nr. 60 der Schlussanträge. Dem Begriff „Konjunkturpolitik“ (im Original „conjunctuurpolitiek“) im zweiten und dritten Satz entspricht in der englischen Übersetzung „economic policy“, dem Begriff „Konjunkturschwankungen“ (im Original „schommelingen in de conjunctuur“) der Begriff „cyclical fluctuations“.


28 – Randnr. 67 des Urteils.


29 – Siehe Urteil Metropol und Stadler, zitiert in Fußnote 5, Randnr. 59.


30 – Siehe z. B. Urteile vom 6. Juli 1995 in der Rechtssache C-62/93 (BP Soupergaz, Slg. 1995, I-1883, Randnr. 36) und vom 18. Januar 2001 in der Rechtssache C-150/99 (Stockholm Lindöpark, Slg. 2001, I-493, Randnr. 32).


31 – Urteil vom 6. Oktober 2005 in der Rechtssache C-291/03 (MyTravel plc, Slg. 2005, I-0000, Randnr. 18).


32 – Ebenda, Randnr. 17.


33 – Urteil vom 10. Januar 2006 in der Rechtssache C-402/03 (Slg. 2006, I-0000, Randnrn. 50 und 51).


34 –      D. h. schwerwiegende wirtschaftliche Auswirkungen für den betreffenden Mitgliedstaat (siehe Urteil vom 15. März 2005 in der Rechtssache C-209/03, Bidar, Slg. 2005, I-2119, Randnr. 69).


35 – Zitiert in Fußnote 34, Randnr. 69.


36 – Siehe z. B. Urteil vom 5. März 1996 in den verbundenen Rechtssachen C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame, Slg. 1996, I-1029, Randnr. 56).


37 – Siehe z. B. Urteil des Gerichtshofes vom 14. Februar 1989 in der Rechtssache 247/87 (Star Fruit/Kommission, Slg. 1989, 291, Randnr. 11).


38 – Urteil vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache C-163/90 (Legros, Slg. 1992, I-4625, Randnr. 32).


39 – Urteil vom 9. März 2000 in der Rechtssache C-437/97 (EKW und Wein & Co., Slg. 2000, I-1157, Randnrn. 56 und 58).


40 – Siehe oben, Nr. 82.