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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

Dámaso Ruiz-Jarabo Colomer

vom 22. Juni 20061(1)

Rechtssache C-240/05

Administration de l’enregistrement et des domaines

gegen

Eurodental Sàrl

(Vorabentscheidungsersuchen der Cour d’appel des Großherzogtums Luxemburg)

„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Umsätze im Inland – Befreiungen – Zahnersatz – Vorsteuerabzug – Innergemeinschaftliche Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen – Befreiungen – Innergemeinschaftliche Umsätze, die auch befreit wären, wenn sie rein innerstaatlich wären – Grundsatz der Neutralität“





I –    Einleitung

1.        Die Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie(2) behandelt die innerstaatlichen Befreiungen, die kein Recht auf Vorsteuerabzug begründen, zusammen mit denjenigen, durch die bestimmte innergemeinschaftliche Umsätze, für die dieser Abzug gewährt wird, begünstigt werden.

2.        Die Cour d’appel von Luxemburg (Appellationsgericht) möchte wissen, ob eine wirtschaftliche Tätigkeit, die, wenn sie sich in einem Mitgliedstaat abspielt, ohne Recht auf Vorsteuerabzug befreit ist, dies auch ist, wenn sie die Grenzen dieses Staates überschreitet.

3.        Diese Vorabentscheidungsfrage macht auf die Verbindungen zwischen den Befreiungen bestimmter inländischer Umsätze, die in Artikel 13 der Sechsten Richtlinie geregelt sind, und den Befreiungen aufmerksam, die für zwischenstaatliche Umsätze in Artikel 15 für Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen vor dem 1. Januar 1993 und in Artikel 28c(3) für die letztgenannte Kategorie von Umsätzen nach dem angegebenen Datum vorgesehen sind.

4.        Insbesondere soll geklärt werden, ob bei der Herstellung und der Instandsetzung von Zahnersatz in Luxemburg, für die das genannte Steuerprivileg gilt, die Vorsteuer abzuziehen ist, wenn die Kunden in Deutschland ansässig sind.

II – Die Sechste Richtlinie

A –    Die Befreiungen im Inland

5.        Die Sechste Richtlinie unterwirft der Besteuerung Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen(4), die gegen Entgelt im Inland von denjenigen ausgeführt werden, die die selbständige Tätigkeit eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden, einschließlich der freien Berufe, ausüben (Artikel 2 Absatz 1 und 4 Absätze 1 und 2).

6.        In Titel X werden die Steuerbefreiungen geregelt, und in Artikel 13 werden diejenigen aufgezählt, die sich auf Umsätze im Inland beziehen, wobei in Teil A unter den Befreiungen, die bestimmte dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten betreffen, „die Dienstleistungen, die Zahntechniker im Rahmen ihrer Berufsausübung erbringen, sowie die Lieferungen von Zahnersatz durch Zahnärzte und Zahntechniker“ genannt werden (Absatz 1 Buchstabe e).

7.        Wie im Umkehrschluss aus Artikel 17 Absätze 1 und 2 herzuleiten ist, verbieten diese Steuervergünstigungen den Abzug der Vorsteuer, es sei denn, der Steuerpflichtige verwendet den Gegenstand oder nutzt die Dienstleistung für die Zwecke seiner steuerpflichtigen Tätigkeiten.

8.        Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe a ermächtigte die Mitgliedstaaten dazu, während des in Absatz 4 festgelegten Zeitraums die Steuer bei den Umsätzen zu erheben, die – nach Artikel 13 befreit – in Anhang E aufgeführt sind, wo unter Nummer 2 Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe e genannt wird. Nach § 4 Nummer 14 Satz 4 des Umsatzsteuergesetzes von 1991 (Deutsches Gesetz über die Mehrwertsteuer)(5) gilt die den Ärzten und den Zahnärzten zustehende Steuerbefreiung nicht für die Lieferung oder Wiederherstellung von Zahnprothesen und kieferorthopädischen Apparaten, soweit sie der Unternehmer in seinem Unternehmen hergestellt oder wiederhergestellt hat.

B –    Die Steuerbefreiungen bei innergemeinschaftlichen Umsätzen

1.      Vor dem 1. Januar 1993

9.        In der ursprünglichen Fassung der Sechsten Richtlinie war diese Kategorie von Umsätzen den außergemeinschaftlichen gleichgestellt; behandelt wurden sie in Artikel 15, nach dessen ersten drei Nummern Lieferungen von Gegenständen, die außerhalb eines Mitgliedstaats versandt oder befördert werden, und an diesen Gegenständen vorgenommene Dienstleistungen befreit waren(6).

10.      Artikel 17 Absatz 3 Buchstabe b erlaubte in diesen Fällen den Abzug der Vorsteuer.

2.      Nach dem 1. Januar 1993

11.      Durch die Richtlinie 91/680 wurde in die Sechste Richtlinie ein neuer Titel XVI a mit der Überschrift „Übergangsregelung für die Besteuerung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten“ eingeführt, um – sobald die Kontrollen zu steuerlichen Zwecken an den Binnengrenzen ab dem 1. Januar 1993 abgeschafft sind – den Wechsel zu einer endgültigen Regelung der Besteuerung des Handels im gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zu erleichtern(7).

12.      In dieser vorläufigen Organisation unterliegt der Mehrwertsteuer der „innergemeinschaftliche Erwerb“ von Gegenständen gegen Entgelt im Inland durch einen Steuerpflichtigen, der als solcher handelt, oder durch eine juristische Person, die nicht diese Eigenschaft hat, wenn derjenige, der sie veräußert, kein anderer Steuerpflichtiger ist, der die Übertragung in dieser Eigenschaft durchführt (Artikel 28a Absatz 1 Buchstabe a Unterabsatz 1).

13.      Ausgenommen werden die Lieferungen von Gegenständen, „die durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung … versandt oder befördert werden, wenn diese Lieferungen an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt werden, der/die als solcher/solche in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns des Versands oder der Beförderung der Gegenstände handelt“ (Artikel 28c Teil A Buchstabe a).

14.      Schließlich lässt der durch Artikel 28f Absatz 1 geänderte Artikel 17 Absatz 3 zu, dass die Vorsteuer abgezogen wird, wenn der Steuerpflichtige die Gegenstände oder die Dienstleistungen für die Zwecke verwendet: 1. der Umsätze, die sich auf die im Ausland ausgeübten steuerpflichtigen wirtschaftlichen Tätigkeiten beziehen, für die das Recht auf Vorsteuerabzug bestünde, wenn sie sich innerhalb eines Mitgliedstaats abgespielt hätten (Buchstabe a) und 2. der nach Artikel 15 und Artikel 28c Teile A und C befreiten Umsätze (Buchstabe b).

III – Ausgangsverfahren und Vorabentscheidungsfragen

15.      Die luxemburgische Firma Eurodental SARL befasst sich mit der Herstellung und der Reparatur von Zahnersatz für in Deutschland niedergelassene Kunden.

16.      Mit Bescheid vom 26. März 1997 verweigerte die Verwaltung des Großherzogtums ihr den Abzug der Mehrwertsteuer, die sie für die zur Durchführung der Lieferungen und der Dienstleistungen im Nachbarland verwendeten Gegenstände entrichtet hatte. Sie machte geltend, dass Artikel 44 (wo die Befreiung für Zahnersatz geregelt ist) des Gesetzes vom 12. Februar 1979 zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes vom 5. August 1969 über die Mehrwertsteuer(8) Vorrang vor Artikel 43, der die Befreiung der innergemeinschaftlichen Lieferungen regelt, habe, ohne dass deshalb Artikel 49 Absatz 2 Buchstabe a anwendbar sei, der den Abzug der Steuer zulässt, die den für die Tätigkeiten des Artikels 43 verwendeten Gegenständen entspricht.

17.      Das Tribunal d’arrondissement (erstinstanzliches Gericht) befand im Urteil vom 16. Dezember 2002, dass der Abzug zu Unrecht abgelehnt worden sei und begründete dies damit, dass die genannten Artikel 43 und 44 unterschiedliche Umsätze behandelten, der eine Auslandsumsätze und der andere Inlandumsätze. Artikel 49 gelte für die Erstgenannten, abgesehen von ihrer Natur, so dass keine Vorschrift den Vorrang des Artikels 44 vor Artikel 43 bestätige. Nach Ansicht dieses Gerichts besteht bei einer innergemeinschaftlichen Lieferung stets ein Recht auf Vorsteuerabzug(9).

18.      Die Finanzverwaltung legte Berufung ein und machte geltend, dass durch die befürwortete Auslegung den Lieferungen von Zahnersatz nach Deutschland im Verhältnis zu den im Großherzogtum durchgeführten eine Vorzugsbehandlung eingeräumt und damit der Grundsatz der Neutralität des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems nicht beachtet werde.

19.      Die Cour d’appel hat angenommen, dass die Streitigkeit durch den Wortlaut der streitigen Rechtsvorschriften nicht geklärt werde, und hat daher beschlossen, dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Fällt eine Lieferung von Gegenständen, die, wenn sie im Inland ausgeführt wird, nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie von der Steuer befreit ist und kein Recht auf Vorsteuerabzug nach Artikel 17 dieser Richtlinie eröffnet, in den Anwendungsbereich des Artikels 15 Absätze 1 und 2 dieser Richtlinie in seiner bis zum 1. Januar 1993 geltenden Fassung bzw. des ab dem 1. Januar 1993 geltenden Artikels 28c Teil A Buchstabe a und damit also in den Anwendungsbereich des Artikels 17 Absatz 3 Buchstabe b dieser Richtlinie, der ein Recht auf Vorsteuerabzug eröffnet, wenn die Lieferung von einem Wirtschaftsteilnehmer mit Sitz in einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft an einen Wirtschaftsteilnehmer mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat erfolgt und der Tatbestand des Artikels 15 Absätze 1 und 2 dieser Richtlinie in seiner bis zum 1. Januar 1993 geltenden Fassung bzw. des ab dem 1. Januar 1993 geltenden Artikels 28c Teil A Buchstabe a erfüllt ist?

2.      Fällt eine Dienstleistung, die, wenn sie im Inland ausgeführt wird, nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie von der Steuer befreit ist und kein Recht auf Vorsteuerabzug nach Artikel 17 dieser Richtlinie eröffnet, in den Anwendungsbereich des Artikels 15 Absatz 3 in seiner bis zum 1. Januar 1993 geltenden Fassung (wobei bis 1993 keine Befreiungsbestimmung vorgesehen war) und damit also in den Anwendungsbereich des Artikels 17 Absatz 3 Buchstabe b dieser Richtlinie, der ein Recht auf Vorsteuerabzug eröffnet, wenn die Dienstleistung von einem Wirtschaftsteilnehmer mit Sitz in einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft an einen Wirtschaftsteilnehmer mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat erbracht wird und der Tatbestand des Artikels 15 Absatz 3 in seiner bis zum 1. Januar 1993 geltenden Fassung erfüllt ist?

IV – Das Verfahren vor dem Gerichtshof

20.      Die Firma Eurodental, die im Ausgangsverfahren beklagte luxemburgische Verwaltung, die deutsche Regierung und die Kommission haben innerhalb der in Artikel 23 der Satzung des Gerichtshofes vorgesehenen Frist schriftliche Erklärungen eingereicht.

21.      Da keiner der Beteiligten die Eröffnung des mündlichen Verfahrens beantragt hat, hat der Gerichtshof in der Generalversammlung vom 13. Dezember 2005 beschlossen, gemäß Artikel 104 § 4 der Verfahrensordnung in die Beratung einzutreten, wobei er Schlussanträge des Generalanwalts nicht als erforderlich angesehen hat.

22.      In der Beratung hat die Dritte Kammer, der die Rechtssache zugewiesen worden war, am 6. April 2002 beschlossen, die Sache an die Generalversammlung zurückzuverweisen; diese hat am 25. April die beschlossene Zuweisung aufrechterhalten, aber die Abfassung von Schlussanträgen und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als erforderlich angesehen und die Parteien aufgefordert, sich schriftlich dazu zu äußern, welche Bedeutung für die Vorabentscheidung die von der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen von Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie gewählte Option hat, die Lieferung und die Herstellung von Zahnprothesen und kieferorthopädischen Apparaten durch in seinem Hoheitsgebiet niedergelassene Berufsangehörige vorübergehend zu besteuern.

23.      In der öffentlichen Sitzung, die am 31. Mai 2006 stattgefunden hat, sind die Bevollmächtigten der Firma Eurodental und der Kommission aufgetreten und haben ihre jeweiligen Auffassungen wiederholt.

V –    Untersuchung der Vorabentscheidungsfragen

24.      Diese Vorabentscheidungsfragen, die in einer Frage zusammenzufassen sind, ermöglichen die Untersuchung der Beziehungen zwischen zwei Arten von Steuerbefreiungen in der Sechsten Richtlinie: die Befreiungen einiger dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten, die in Artikel 13 Teil A Absatz 1 zusammengefasst sind, und die Befreiungen, die für innergemeinschaftliche Umsätze gelten. Die erste Frage betrifft die Lieferung von Gegenständen vor und nach dem 1. Januar 1993, während die zweite sich auf Dienstleistungen vor diesem Datum bezieht.

25.      Der Streit ist dadurch entstanden, dass die geschäftliche Tätigkeit im Ausgangsverfahren dem Bereich beider Arten von Befreiungen zugeordnet werden kann, entweder wegen ihrer Natur (Tätigkeit der Zahntechniker) oder wegen ihrer Modalität (innergemeinschaftlich), wobei die Folgen jedoch verschieden sind, da es, wenn man die erste Kategorie betrachtet, kein Recht auf Abzug der Vorsteuer gibt, in dem anderen Fall ein solches Recht aber besteht.

26.      Die Lösung des Problems erfordert eine doppelte Prüfung: die Prüfung der Befreiungen im Hinblick auf die Neutralität der Abgabe, den Schlussstein des Systems, und diejenige der singulären und vorübergehenden Situation der innergemeinschaftlichen Umsätze.

A –    Die Neutralität der inländischen Steuerbefreiungen

27.      Die Mehrwertsteuer fällt an auf Verbrauchsgeschäfte als mittelbarer Ausdruck der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Personen, wobei dieses Ziel dadurch erreicht wird, dass die Tätigkeiten der Unternehmer und der berufsmäßig Tätigen belastet werden; diese übertragen die Belastung mit der Technik der Abwälzung auf den Endverbraucher. So erreicht man eine „neutrale“ Steuer, da diese nur das letzte Glied in der Kette trifft, denjenigen, der die Ware erhält oder die Dienstleistung nutzt.

28.      Dieses strukturelle Erfordernis führt dazu, dass derjenige, der in einem Zwischenstadium des Prozesses tätig wird, die getragene Steuer abzieht, so wie es in Artikel 17 Absätze 1 und 2 der Sechsten Richtlinie vorgesehen ist. Sobald er die Steuern zahlt und die Gegenstände oder die Dienstleistungen für die Zwecke seiner steuerbaren Umsätze verwendet, kann er die Belastung abziehen. Verwendet er sie bei nicht steuerpflichtigen oder befreiten Tätigkeiten, fallen daher keine Steuern an und das Recht auf Abzug entsteht nicht, denn es gibt keine steuerliche Verpflichtung(10).

29.      Auf dieser Linie ist im Urteil BLP Group(11) festgestellt worden, dass ein Steuerpflichtiger – außer in den ausdrücklich festgelegten Fällen –, der, um einen befreiten Umsatz zu tätigen, eine Dienstleistung verwendet, für die er Mehrwertsteuer entrichtet hat, die entrichtete Steuer nicht abziehen kann, auch wenn er einen steuerbaren Umsatz beabsichtigt.

B –    Die Übergangsregelung beim innerstaatlichen Verkehr von Gegenständen

30.      In Nummer 11 dieser Schlussanträge habe ich ausgeführt, dass die Sechste Richtlinie durch die Richtlinie 91/680/EWG geändert wurde, um nach der Abschaffung der Kontrollen zu steuerlichen Zwecken an den Binnengrenzen den Wechsel auf eine endgültige Regelung der Besteuerung des innergemeinschaftlichen Handels im gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zu erleichtern, wobei die Umsätze im Herkunftsmitgliedstaat besteuert werden. Da am 31. Dezember 1992 (dem dieser Abschaffung vorausgehenden Tag) die erforderlichen Voraussetzungen noch nicht vorlagen, wurde während eines – jetzt noch laufenden – Zeitraums die Regel der Besteuerung am Bestimmungsort beibehalten. Aus diesem Grund führt Artikel 28c Teil A Buchstabe a die Befreiung der innergemeinschaftlichen Lieferungen ein und lässt den in dieser Kategorie gehörenden Erwerb im Empfangsmitgliedstaat besteuern.

31.      Dies bedeutet, dass beim Übergang zu dieser endgültigen Regelung der Erwerb in der Gemeinschaft durch Steuerpflichtige oder durch juristische Personen, die nicht diese Eigenschaft besitzen, besteuert wird, wobei angenommen wird, dass der Steuertatbestand in dem Mitgliedstaat der Beendigung des Versands oder der Beförderung zur Beschaffung der Waren eingetreten ist (Artikel 28a Absatz 1 Buchstabe a und 28b Teil A Absatz 1 der Sechsten Richtlinie).

32.      Diese Normen rechtfertigen sich dadurch, dass die Neutralität bei Anfallen der Steuer im Empfangsland nur dann garantiert wird, wenn demjenigen, der sie trägt, gestattet wird, sie abzuwälzen oder sie abzuziehen, da er nicht die Eigenschaft eines Endverbrauchers besitzt, sondern diejenige eines Steuerpflichtigen, der sich der Gegenstände in tatsächlich besteuerten Fallgestaltungen bedient.

33.      In diesem Prozess der Gleichstellung der zwischenstaatlichen Geschäfte mit den rein innerstaatlichen fällt für steuerliche Zwecke der Abschnitt weg, den das Überschreiten der Grenze auslöst, so dass die Lieferung im Herkunftsland von der Steuer befreit ist (Artikel 28c Teil A Buchstabe a), denn die Steuer für die Übernahme der Ware im Empfangsland trifft eine Person, die zum Abzug der Steuer berechtigt ist (Artikel 28a Teil A Buchstabe a), was zulässt, dass der Mechanismus der Abwälzung seinen Lauf bis zum Endverbraucher nimmt.

34.      Seine ganze Folgerichtigkeit erhält dadurch Artikel 17 Absatz 3 Buchstabe b in der Fassung des Artikels 28f Absatz 1, wonach der Steuerpflichtige die Mehrwertsteuer abziehen darf, wenn er die Gegenstände oder die Dienstleistungen für die Zwecke seiner gemäß Artikel 28c Teil A befreiten Tätigkeiten verwendet(12), denn wer den Schritt von einem Mitgliedstaat in einen anderen macht, muss „schadlos“ daraus hervorgehen, als ob es ihn nicht gegeben hätte oder er nicht tätig geworden wäre.

C –    Ein nicht existenter Normenkonflikt

35.      Die vorstehende Argumentation, die auf den innergemeinschaftlichen Charakter des Geschäfts gestützt ist, verliert ihren Sinn, wenn die Befreiung aufgrund von Artikel 13 der Sechsten Richtlinie auf der Natur des Umsatzes beruht.

36.      Würde der Steuerpflichtige bei einer nicht der Steuer unterliegenden grenzüberschreitenden Lieferung, die auch nicht steuerpflichtig wäre, wenn sie eine rein innerstaatliche Dimension hätte, die Mehrwertsteuer abziehen, so würde ein wettbewerbswidriger Vorteil zugunsten desjenigen geschaffen, der vom Ausland aus tätig wird, wodurch das angestrebte Gleichgewicht gestört würde(13), das nicht nur bezweckt, dass die Zwischenglieder wieder entlastet werden, damit die steuerliche Belastung ausschließlich den Empfänger trifft, sondern es bezweckt auch eine ausgleichende Behandlung(14) am Rande der Kette, in der jeder Unternehmer sich befindet, und des Ortes in der Gemeinschaft, von dem aus er tätig wird(15).

37.      Mit anderen Worten: Der Abzug der in den früheren Stadien abgewälzten Mehrwertsteuer ist bei den von der Steuer befreiten Tätigkeiten nur wegen deren Eigenschaft als innergemeinschaftliche Tätigkeiten aber nicht wegen anderer Kriterien zulässig; auf diese Weise versteht man, dass der Abzug nicht zugelassen wird für die Befreiungen des Artikels 28c Teil B Buchstabe a, d. h. für den grenzüberschreitenden Erwerb von Waren, deren Übergabe durch Steuerpflichtige in einen Mitgliedstaat befreit wäre, es sei denn, dass der Erwerb, wie Artikel 17 Absatz 3 Buchstabe a bestimmt, trotz seiner inländischen Wirkung das Recht auf Abzug der Belastung hätte entstehen lassen.

38.      Aufschlussreich ist auch Artikel 17 Absatz 3 Buchstabe c, der spezifisch das Recht auf Abzug der gezahlten Steuern bei bestimmten Befreiungen des Artikels 13 Teil B anerkennt, wenn der Umsatz über die Grenzen der Gemeinschaft hinausgeht. Dieser Buchstabe c wäre überflüssig, wenn diese Befreiungen, sobald sie eine internationale Dimension erreichen, unmittelbar auf Artikel 17 Absatz 3 Buchstabe b gestützt werden könnten, wie Eurodental und die deutsche Regierung vortragen.

39.      Die Kommission erläutert es sonnenklar in ihren schriftlichen Erklärungen im vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren, wenn sie argumentiert, dass dann, wenn Eurodental das Recht zum Abzug zuerkannt würde, ihr eine Vorzugsstellung im Verhältnis zu den Wettbewerbern eingeräumt würde, die auf dem nationalen Markt tätig werden und nicht über diese Möglichkeit verfügen, was Anreiz zur Steuerhinterziehung geben und die Firmen dazu veranlassen würde, sich in andere Mitgliedstaaten als denjenigen zu begeben, in dem sie in Wirklichkeit ihre Tätigkeit entwickeln.

40.      Die deutsche Regierung hat nicht Unrecht, wenn sie vorträgt, dass – nachdem sie sich aufgrund von Artikel 28 Absatz 3 Buchstabe a dafür entschieden habe, in ihrem Land die Zahnprothesen betreffenden Umsätze zu besteuern – diese im innergemeinschaftlichen Bereich für den Verbraucher insoweit kostspieliger ausfallen könnten, als sie in Deutschland besteuert würden und kein Abzug der in Luxemburg gezahlten Mehrwertsteuer möglich sei(16). Diese durch das Fehlen einer vollständigen Harmonisierung dieser indirekten Steuer hervorgerufene Wirkung rührt aber von der legitimen Entscheidung der deutschen Behörden her, die bestimmte Tätigkeiten vorübergehend außerhalb der gemeinsamen Regelung gelassen haben, wofür sie die Konsequenzen zu tragen haben(17). Es scheint nicht annehmbar, dass ein genereller Verstoß gegen den Grundsatz der Neutralität und die Kohärenz des Systems unter Berufung auf eine frei gewählte nationale Besonderheit(18) sanktioniert wird, die dem Fiskus anderer Mitgliedstaaten, im vorliegenden Fall den luxemburgischen, die von dieser einseitigen Entscheidung herrührende finanzielle Belastung aufbürden würde.

41.      Die die Lieferungen von Gegenständen – sowohl vor als auch nach dem 1. Januar 1993 – betreffenden Erwägungen gelten in Anbetracht des Wortlauts der ursprünglichen Fassung der Artikel 15 Absatz 3 und 17 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie auch für die in der zweiten Vorabentscheidungsfrage angesprochenen Leistungen vor diesem Datum.

42.      Im Ergebnis begründet ein von der Steuer befreiter innergemeinschaftlicher Umsatz kein Recht auf Abzug der Vorsteuer, wenn der Umsatz, wäre er auf den inländischen Bereich beschränkt, auch wegen seines Inhalts von der Steuer befreit ist(19).

VI – Ergebnis

43.      Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die von der Cour d’appel des Großherzogtums Luxemburg zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

Die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen, auf die sich Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage bezieht, sind aufgrund dieser Vorschrift von der Steuer befreit, auch wenn es sich um in den Artikeln 15 Absätze 1, 2 und 3 (in der ursprünglichen Fassung und in der Fassung der Richtlinie 91/680/EWG) und 28c Teil A Buchstabe a geregelte innergemeinschaftliche Umsätze handelt, ohne das sie demzufolge zu dem in Artikel 17 geregelten Abzug führen.


1 – Originalsprache: Spanisch.


2 – Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1).


3 – Diese Vorschrift wurde durch die Richtlinie 91/680/EWG des Rates vom 16. Dezember 1991 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG im Hinblick auf die Beseitigung der Steuergrenzen (ABl. L 376, S. 1) eingefügt.


4 – Die „Dienstleistung“ stellt eine Auffangkategorie dar, die jeden Vertrag umfasst, der keine Lieferung von Gegenständen zur Voraussetzung hat (Artikel 6 der Sechsten Richtlinie).


5 – BGBl. 1991, S. 351.


6 – In den Schlussanträgen in der Rechtssache C-382/02, Cimber Air, in der das Urteil am 16. September 2004 ergangen ist (Slg. 2004, I-8379) weise ich auf Folgendes hin: „Im internationalen Warenverkehr gilt der so genannte Grundsatz der Besteuerung am Bestimmungsort oder am Ort des Endverbrauchs. Demnach ist, wenn die ‚Ausfuhr‘ von indirekten Steuern aus dem Ursprungsland vermieden werden soll – was Doppelbesteuerung bedeuten würde –, ein Entlastungssystem für Auslandsumsätze einzurichten“ (Nr. 17).


7 – Die dritte, die achte und die neunte Begründungserwägung der Richtlinie 91/680 weisen auf diese Absicht hin.


8 – Mémorial A-Nr. 11 vom 19. Februar 1979, S. 186.


9 – Die Klage der Firma Eurodental ist abgewiesen worden, weil sie nach Ansicht der luxemburgischen Gerichte die erforderlichen Belege nicht beigebracht hat.


10 – Für eine Untersuchung des Mechanismus der Abzüge bei der Mehrwertsteuer ist zu konsultieren: Alguacil Marí, P., und Orón Moratal, G., „La deducción en el IVA español y su adecuación a la Sexta Directiva“, in Noticias/C.E.E., Nummern 67 und 68, August/September 1990, S. 101. Colmenar Valdés, S., „El derecho a la deducción en el IVA“, in Revista de Derecho Financiero y Hacienda Pública, Nummer 157, 1982, S. 327, vertritt die Auffassung, dass „der Abzug des in früherem Stadium Gezahlten funktional eng mit dem verbunden ist, was in dem folgenden Stadium zu zahlen ist, und daher in den Fällen, in denen keine steuerliche Verpflichtung besteht, auch kein Abzug des zuvor Getragenen erfolgen darf, da letztlich der Grund weggefallen ist, der den Anspruch auf Abzug rechtfertigte“.


11 – Urteil vom 6. April 1995 in der Rechtssache C-4/94 (Slg. 1995, I-983).


12 – Im Ausgangsverfahren wäre der Zahntechniker dazu berechtigt, die Steuer abzuziehen, die für das der Herstellung des Zahnersatzes gewidmete Material, das für seinen steuerbefreiten Umsatz bestimmt ist, entrichtet worden ist.


13 – Im vorliegenden Fall könnte der berufsmäßig Tätige, der seine Waren außerhalb von Luxemburg liefert, die für sein Tätigwerden angefallene Mehrwertsteuer abziehen, was demjenigen, der innerhalb der Grenzen Luxemburgs tätig wird, nicht erlaubt ist.


14 – Terra, B., und Kajus, J., A Guide to the European VAT Directives, Volume 1, Introduction to European VAT and other indirect taxes, 2006, S. 418 bis 422, erklären, dass die Neutralität der Mehrwertsteuer eine komplexe Idee darstelle, die erstens eine rechtliche Dimension aufweise, damit eine nichtdiskriminierende Behandlung vor dem Gesetz gewährt werde, zum anderen eine wirtschaftliche Dimension, damit die Auswahl der Produktionsmittel optimiert werde, und drittens eine wettbewerbsmässige Dimension, damit der Markt nicht verzerrt werde.


15 – Durch das Urteil vom 26. September 1996 in der Rechtssache C-302/93 (Debouche, Slg. 1996, I-4495), insbesondere in Randnr. 19, ist einem Wirtschaftsteilnehmer, der von der Steuer befreite Handlungen vornimmt, verwehrt worden, sich auf seine innergemeinschaftliche Stellung zu berufen, um die Steuer zurückzuerlangen, wenn ihm dieses Recht im Inland nicht zugestanden hätte.


16 – In einem Fall wie demjenigen des Ausgangsverfahrens würde der Patient in Deutschland dem Zahnarzt eine Rechnung bezahlen, die Folgendes einschließen würde: a) das für die Herstellung der Prothese in Luxemburg verwendete Material mit der entsprechenden Mehrwertsteuer (Restmehrwertsteuer); b) die Honorare des Zahntechnikers; c) die Honorarrechnung des deutschen Zahnarztes. Somit wäre die wirtschaftliche Auswirkung für den Endverbraucher größer, wenn der Abzug der Restmehrwertsteuer nicht vorgesehen wäre, weshalb die Lösung nach Auffassung der deutschen Regierung darin bestehen würde, ihn zuzulassen.


17 – Im Urteil vom 7. März 2002 in der Rechtssache C-169/00 (Kommission/Finnland, Slg. 2002, I-2433) ist in Randnummer 32 darauf hingewiesen worden, dass die aufgrund von Artikel 28 Absatz 3 geschaffenen Ausnahmen nicht zum gemeinsamen Mehrwertsteuersystem gehören.


18 – Nur zwei andere Länder – Belgien und Ungarn – haben sich die gleiche Option zu Eigen gemacht.


19 – Dies ist die Lösung, die der aufgrund von Artikel 29 der Sechsten Richtlinie eingesetzte Beratende Ausschuss für die Mehrwertsteuer in seiner 60. Sitzung am 20. und 21. März 2000 vorgeschlagen hat (TAXUD/1876/00 – Rév. 1, Comité de la TVA, Orientations de la 60ème réunion, 20 et 21 mars 2000).