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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

JÁN MAZÁK

vom 29. März 20071(1)

Rechtssache C-97/06

Navicon SA

gegen

Administración del Estado

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal Superior de Justicia de Madrid [Spanien])

„Mehrwertsteuer – Steuerbefreiung für die Vercharterung von Seeschiffen“





1.        Die beiden zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen betreffen die Auslegung von Art. 15 Nr. 5 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage(2) in ihrer durch die Richtlinie 92/111/EWG des Rates vom 14. Dezember 1992(3) geänderten Fassung (im Folgenden: Sechste Richtlinie).

2.        Die Fragen ergaben sich während eines Rechtsstreits zwischen der Navicon SA (im Folgenden: Navicon) und der zuständigen spanischen Steuerbehörde, in dem es um deren Weigerung geht, die Teilvercharterung eines Schiffes für den Containertransport von der Mehrwertsteuer zu befreien. Insoweit ist anzumerken, dass die spanischen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Sechsten Richtlinie eine Steuerbefreiung nur für die Vollvercharterung vorsehen.

3.        Der Gerichtshof ist daher aufgefordert, den in Art. 15 Nr. 5 der Sechsten Richtlinie verwendeten Begriff der Vercharterung auszulegen und insbesondere zu entscheiden, ob dieser Begriff nur auf die Vercharterung des gesamten Schiffes („Vollvercharterung“) oder auch auf die Vercharterung eines Teils davon („Teilvercharterung“) Anwendung findet.

I –    Die einschlägigen Rechtsvorschriften

A –    Gemeinschaftsrecht

4.        Art. 15 der Sechsten Richtlinie bestimmt:

„Steuerbefreiungen bei Ausfuhren nach einem Drittland, gleichgestellten Umsätzen und grenzüberschreitenden Beförderungen

Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsbestimmungen befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:

4.      Lieferungen von Gegenständen zur Versorgung von Schiffen, die

a)       auf hoher See im entgeltlichen Passagierverkehr, zur Ausübung einer Handelstätigkeit, für gewerbliche Zwecke oder zur Fischerei eingesetzt sind,

b)      als Bergungs- oder Rettungsschiffe auf See oder zur Küstenfischerei eingesetzt sind, wobei im letztgenannten Fall Lieferungen von Bordproviant ausgenommen sind,

5.      Lieferungen, Umbauten, Instandsetzungen, Wartungen, Vercharterungen und Vermietungen der unter Nummer 4 Buchstaben a) und b) bezeichneten Seeschiffe sowie Lieferungen, Vermietungen, Instandsetzungen und Wartungen der in diese Schiffe eingebauten Gegenstände – einschließlich der Ausrüstung für die Fischerei – oder der Gegenstände für ihren Betrieb;

…“

B –    Nationales Recht

5.        Art. 22 Abs. 1 des Gesetzes 37/1992 vom 28. Dezember 1992 über die Mehrwertsteuer sieht vor:

„Steuerbefreiungen bei Umsätzen, die Ausfuhren gleichgestellt sind

Folgende Umsätze sind unter den Bedingungen und mit den Anforderungen, die durch Verordnung festgelegt werden, von der Steuer befreit:

(1) Lieferungen, Fertigungen, Umbauten, Instandsetzungen, Wartungen, Vollvercharterungen und Vermietungen der nachfolgend aufgeführten Schiffe:

1. Hochseetaugliche Schiffe, die in der internationalen Seeschifffahrt zur geschäftsmäßigen entgeltlichen Beförderung von Waren oder Personen, einschließlich touristischer Rundreisen, für gewerbliche Zwecke oder zur Fischerei eingesetzt werden. …“

II – Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

6.        Navicon schloss mit der Compañía Transatlántica Española SA eine Teilchartervereinbarung, nach der sie dieser gegen Zahlung einer Vergütung einen Teil des Frachtraums ihrer Schiffe für den Transport von Containern zwischen verschiedenen Häfen der Iberischen Halbinsel und einem Gebiet außerhalb des Anwendungsbereichs der Mehrwertsteuer (Kanarische Inseln) zur Verfügung stellte.

7.        Navicon wies in den entsprechenden Rechnungen keine Mehrwertsteuerbeträge aus, weil sie davon ausging, dass die Umsätze steuerbefreit waren. Die zuständige spanische Steuerbehörde erhob Mehrwertsteuer auf die Beträge, die aufgrund der Chartervereinbarung gezahlt worden waren, da sie der Ansicht war, dass die Steuerbefreiung nicht einschlägig sei, wenn es sich um eine Teilvercharterung und nicht um eine Vollvercharterung handele.

8.        Navicon focht diese Steuererhebung beim Tribunal Económico Administrativo in Madrid an, hatte damit jedoch keinen Erfolg. Sie legte gegen diese Entscheidung Rechtsmittel beim Tribunal Superior de Justicia de Madrid ein, das beschloss, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist der Begriff der Vercharterung, der in der Steuerbefreiung nach Art. 15 Nr. 5 der Sechsten Richtlinie enthalten ist, in dem Sinne auszulegen, dass er nur die Vercharterung des gesamten Laderaums eines Schiffes (Vollvercharterung) umfasst, oder umfasst er auch die Vercharterung eines Teils oder Prozentsatzes des Laderaums eines Schiffes (Teilvercharterung)?

2.      Steht die Sechste Richtlinie einem nationalen Gesetz entgegen, das die Steuerbefreiung nur für die Vollvercharterung zulässt?

III – Wesentlicher Inhalt der beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen

9.        Die griechische und die spanische Regierung sind der Ansicht, dass sich der in Art. 15 Nr. 5 der Sechsten Richtlinie verwendete Begriff der Vercharterung nur auf die Vercharterung des gesamten Schiffsraums beziehe, und gelangen daher zu dem Ergebnis, dass die nationalen Rechtsvorschriften mit der Richtlinie übereinstimmen. Die in der Sechsten Richtlinie festgelegten Steuerbefreiungen seien eng auszulegen, da sie eine Ausnahme von dem allgemeinen Grundsatz darstellten, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Bezahlung erbringe, der Mehrwertsteuer unterliege.

10.      Die belgische Regierung und die Kommission machen geltend, dass sich der Begriff Vercharterung sowohl auf die Teil- als auch auf die Vollvercharterung beziehe.

11.      Der belgischen Regierung zufolge bezweckt Art. 15 Nr. 5 der Sechsten Richtlinie seinem Wortlaut nach, die Vercharterung bestimmter Schiffe, insbesondere von Seeschiffen im Sinne der Nr. 4 Buchst. a und b, nicht aber bestimmte Arten der Vercharterung von der Steuer zu befreien. Jedenfalls sei nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs bei mehreren möglichen Auslegungen einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift derjenigen der Vorzug zu geben, die die praktische Wirksamkeit der Vorschrift zu wahren geeignet sei. In der vorliegenden Rechtssache gefährde eine auf die Vollvercharterung beschränkte Auslegung des Begriffs der Vercharterung jedoch die praktische Wirksamkeit von Art. 15 Nr. 5 der Sechsten Richtlinie, da bei gleicher Route und gleichem Schiffstyp eine Teilvercharterung die Zahlung von Mehrwertsteuer zur Folge hätte, eine Vollvercharterung hingegen von der Steuer befreit wäre.

12.      Die Kommission trägt zunächst vor, der Gerichtshof habe in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass der erste Satz des Art. 15 der Sechsten Richtlinie die Mitgliedstaaten nicht berechtige, den materiellen Anwendungsbereich der Sechsten Richtlinie, so wie ihn die Richtlinie festlege, zu beeinflussen. Ferner müssten Waren, die in Drittländer ausgeführt würden, von allen Steuern frei sein, wenn sie das Gebiet der Gemeinschaft verließen, so dass Charterdienstleistungen, unabhängig davon, ob es sich um eine Teil- oder eine Vollvercharterung handele, nicht versteuert werden dürften. Schließlich hinge der Anspruch auf Steuerbefreiung, wenn der Begriff der Vercharterung auf die Vollvercharterung beschränkt würde, von der Größe des Schiffes ab, da die gleiche Frachtmenge je nach Größe des betreffenden Schiffes von der Steuer befreit wäre oder nicht.

13.      Die Kommission trägt allerdings auch ein Argument vor, das die Ansicht, dass die spanischen Rechtsvorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar seien, stützen könnte. Im Wege der Analogie ließe sich anführen, dass eine Teilvercharterung als Gütertransport anzusehen sei und daher unter Art. 15 Nr. 13 der Sechsten Richtlinie(4) falle, der u. a. eine Steuerbefreiung für Beförderungsdienstleistungen in Bezug auf Ausfuhrgüter vorsehe. Nach Meinung der Kommission lässt sich dieses Argument jedoch nicht aufrechterhalten. Erstens unterlägen die Vercharterung und der Gütertransport nach dem Wortlaut der Sechsten Richtlinie unterschiedlichen rechtlichen Regelungen, und zweitens seien die beiden Arten von Verträgen sehr unterschiedlich.

14.      Es sei Sache des nationalen Gerichts, unter Berücksichtigung des Wortlauts des zwischen den Parteien bestehenden Vertrags sowie der Art und des Inhalts der erbrachten Dienstleistung zu entscheiden, ob der fragliche Vertrag die Voraussetzungen einer Vercharterung im Sinne von Art. 15 Nr. 5 der Sechsten Richtlinie erfüllt.

IV – Rechtliche Würdigung

15.      Nach Art. 15 Nr. 5 der Sechsten Richtlinie ist die Vercharterung von Seeschiffen von der Mehrwertsteuer befreit. Die Vorschrift erläutert den Begriff der Vercharterung nicht näher.

16.      In der Praxis kann sich die Vercharterung auf ein ganzes Schiff – dann spricht man von „Vollvercharterung“ – oder nur auf einen Teil des Schiffes beziehen, was als „Teilvercharterung“ bezeichnet wird.

17.      Aus den Erklärungen der Mitgliedstaaten, die sich am vorliegenden Verfahren beteiligt haben, geht hervor, dass der Begriff der Vercharterung in der Gemeinschaft nicht einheitlich ausgelegt worden ist, was durch die Umsetzungsvorschriften einiger Mitgliedstaaten, einschließlich Spaniens, belegt wird; Spanien, aus dem das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen kommt, beschränkt den Begriff der Vercharterung auf die „Vollvercharterung“, während andere nationale Rechtsvorschriften, wie z. B. die belgischen, offenbar einer weiteren Auslegung folgen, wonach jede Art der Vercharterung, ob „Teil-“ oder „Vollvercharterung“, steuerbefreit ist. Es stellt sich daher die Frage, welche Bedeutung dem Begriff der Vercharterung im Zusammenhang mit der Mehrwertsteuerbefreiung nach Art. 15 Nr. 5 der Sechsten Richtlinie beizumessen ist.

18.      Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die Mehrwertsteuerbefreiungen eng auszulegen sind, da sie Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer unterliegt(5). Er hat diesen Grundsatz auch bei der Auslegung der auf Seeschiffe anwendbaren Steuerbefreiungen bekräftigt(6).

19.      Dieser Grundsatz einer engen Auslegung kann jedoch Art. 15 keine andere Bedeutung geben als diejenige, die sich klar aus seinem Wortlaut ergibt(7).

20.      Weder in der fraglichen Vorschrift noch an anderer Stelle in der Sechsten Richtlinie gibt es einen Anhaltspunkt dafür, dass der Begriff „Vercharterung“ auf die „Vollvercharterung“ zu beschränken wäre. Im Gegensatz zu dem, was in der Sechsten Richtlinie für die Steuerbefreiung nach Art. 15 Nr. 4 der Richtlinie vorgesehen ist(8), können die Mitgliedstaaten die in Art. 15 Nr. 5 der Richtlinie festgelegte Steuerbefreiung nicht bis zum Inkrafttreten gemeinschaftlicher Steuerregeln, in denen der Anwendungsbereich dieser Steuerbefreiung präzisiert wird, einschränken. Daher dürfte durch eine Einengung des Begriffs „Vercharterung“ im Kontext der in der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Steuerbefreiungen auf die „Vollvercharterung“ der Ermessensspielraum, der den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung dieser Richtlinie in nationales Recht zusteht, überschritten werden. Denn die Festlegung des Anwendungsbereichs der Mehrwertsteuer ist grundsätzlich Sache des Gemeinschaftsgesetzgebers, seine Einschränkung, insbesondere durch nationale Umsetzungsvorschriften, muss, um mit der Sechsten Richtlinie vereinbar zu sein, aus dem Wortlaut, dem Zweck und/oder der allgemeinen Systematik der Sechsten Richtlinie abgeleitet werden können.

21.      Insoweit ist auch fraglich, ob ein restriktiver Lösungsansatz wie der des spanischen Gesetzgebers mit dem System und dem Ziel der Sechsten Richtlinie in Einklang gebracht werden kann. In diesem Zusammenhang ist zudem darauf hinzuweisen, dass die Steuerbefreiungen autonome Begriffe des Gemeinschaftsrechts darstellen, die im Gesamtzusammenhang des mit der Sechsten Richtlinie eingeführten gemeinsamen Mehrwertsteuersystems zu sehen sind(9).

22.      Wie die belgische Regierung und die Kommission vorgetragen haben, käme es zu schwerwiegenden Unstimmigkeiten bei der mehrwertsteuerlichen Behandlung von Vercharterungen, wenn der in Art. 15 Nr. 5 der Sechsten Richtlinie verwendete Begriff „Vercharterung“ nur im Sinne einer Vollvercharterung ausgelegt würde. Bei einem solchen Lösungsansatz hinge der Anspruch auf Steuerbefreiung für eine Vercharterung von der Größe des Schiffes ab, da eine Vercharterung zur Beförderung eines bestimmten Frachtvolumens bei einem kleinen Schiff steuerbefreit wäre, weil die gesamte Ladekapazität des Schiffes genutzt und daher von einer Vollvercharterung ausgegangen würde, während dasselbe Frachtvolumen bei einem größeren Schiff nur einen Teil der gesamten Ladekapazität in Anspruch nähme, so dass von einer Teilvercharterung des Schiffes auszugehen wäre. Derartige Unstimmigkeiten würden die praktische Wirksamkeit von Art. 15 Nr. 5 der Sechsten Richtlinie gefährden.

23.      Wäre eine Vereinbarung über die „Teilvercharterung“ von Seeschiffen nicht von der Steuer zu befreien, liefe dies außerdem darauf hinaus, dass die Kosten für den Transport bestimmter Ausfuhrgüter, nämlich derjenigen Güter, die mittels Teilvercharterung ausgeführt werden, nicht steuerbefreit wären. Dies stünde eindeutig im Widerspruch zum Bestimmungslandprinzip, wonach Güter in dem Land zu versteuern sind, in dem sie vom Endverbraucher verbraucht werden. Aus diesem Prinzip ergibt sich insbesondere, dass Güter, die aus der Gemeinschaft ausgeführt werden sollen, von allen Steuern – einschließlich aller Steuern auf die Kosten im Zusammenhang mit der Beförderung aus der Gemeinschaft hinaus – frei sein müssen, da solche Kosten in den Preis der ausgeführten Güter einbezogen werden.

24.      Es könnte eingewandt werden, dass der Ausschluss der Teilvercharterung aus dem Anwendungsbereich der die Vercharterung von Schiffen betreffenden Steuerbefreiung nach Art. 15 Nr. 5 der Sechsten Richtlinie nicht zwangsläufig das Bestimmungslandprinzip gefährdet. Denn dieses ließe sich bei Gütern, die mittels Teilvercharterung ausgeführt werden, durch die Anwendung von Art. 15 Nr. 13 der Sechsten Richtlinie gewährleisten, der u. a. die Beförderung von Ausfuhrgütern von der Steuer befreit, sofern diese die dort festgelegten Bedingungen erfüllen. Wie die Kommission ausgeführt hat, ist jedoch fraglich, ob eine derartige Anwendung dieses Artikels im Einklang mit dem System und der Logik der Sechsten Richtlinie steht.

25.      Erstens unterscheiden sich eine Vercharterungsvereinbarung und eine Vereinbarung über die Beförderung von Gütern hinsichtlich ihres Objekts und der für sie geltenden rechtlichen Regelung erheblich voneinander. Ist ein Schiff – oder bei einer Teilvercharterung ein Teil davon – Gegenstand einer Vereinbarung über Vercharterung und Vermietung, wird es für einen bestimmten Zweck, z. B. für die Beförderung, bereitgestellt. Eine Vereinbarung über den Transport von Gütern ist hingegen ein Vertrag, durch den sich der Frachtführer verpflichtet, Güter an einen bestimmten Ort zu liefern. Während mit anderen Worten Verträge über Vercharterung oder Vermietung das Beförderungsmittel als solches betreffen, bezieht sich ein Transportvertrag auf die Inhalte, die mit dem Beförderungsmittel transportiert werden sollen. Infolgedessen haben der Charterer und Mieter einen Anspruch auf die Nutzung des Schiffes, das Gegenstand der Vereinbarung ist – oder, bei der Teilvercharterung, eines Teils davon –, der Eigentümer der Güter, die auf der Grundlage einer Vereinbarung über den Transport von Gütern befördert werden, hingegen hat keinen solchen Anspruch, sondern kann nur erwarten, dass die Güter an einen bestimmten Ort geliefert werden. Diese Unterschiede sprechen dafür, dass die einschlägige Regelung nach der Sechsten Richtlinie unterschiedlich sein sollte.

26.      Eine Gleichsetzung der Teilvercharterung mit dem Transport von Gütern könnte außerdem die Notwendigkeit einer gesonderten Steuerbefreiung für die Vollvercharterung in Frage stellen. Wäre die Teilvercharterung dem Transport von Gütern so ähnlich, dass sie trotz wesentlicher Unterschiede in der Rechtsnatur der Vereinbarung einander gleichzustellen wären, darf in Zweifel gezogen werden, ob es überhaupt eine gesonderte Steuerbefreiung für Vercharterungen geben sollte und ob diese nicht insgesamt dem Transport von Gütern gleichgestellt werden sollten. Die Gleichsetzung der Teilvercharterung mit dem Transport von Gütern wäre deshalb schwer mit dem Wortlaut der Sechsten Richtlinie in Einklang zu bringen.

27.      Da sich diese beiden Arten von Vereinbarungen in Bezug auf ihre Rechtsnatur offensichtlich erheblich voneinander unterscheiden, ist mit gutem Grund anzunehmen, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber es in der Sechsten Richtlinie klar zum Ausdruck gebracht hätte, wenn er den Begriff der Vercharterung auf die Vollvercharterung hätte beschränken und die Teilvercharterung dem Transport von Gütern hätte gleichsetzen wollen.

28.      Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass kein zwingender Grund besteht, die „Teilvercharterung“ zum Zweck der Anwendung der Mehrwertsteuerbefreiungen nach der Sechsten Richtlinie dem Transport von Gütern gleichzusetzen und nicht als unter die Steuerbefreiung für Vercharterungen nach Art. 15 Nr. 5 der Sechsten Richtlinie fallend anzusehen(10).

29.      Nach alledem sollte die Antwort auf die erste Frage lauten, dass der Begriff der Vercharterung, der in der Steuerbefreiung nach Art. 15 Nr. 5 der Sechsten Richtlinie enthalten ist, in dem Sinne auszulegen ist, dass er sowohl die Vercharterung des gesamten Laderaums eines Schiffes (Vollvercharterung) als auch die Vercharterung eines Teils oder Prozentsatzes des Laderaums eines Schiffes (Teilvercharterung) umfasst.

30.      Aus dem Vorstehenden ergibt sich außerdem, dass die Antwort auf die zweite Frage lauten sollte, dass die Sechste Richtlinie einem nationalen Gesetz entgegensteht, das die Steuerbefreiung nur für die Vollvercharterung zulässt.

V –    Ergebnis

31.      Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen wie folgt zu beantworten:

1.      Der Begriff der Vercharterung, der in der Steuerbefreiung nach Art. 15 Nr. 5 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 enthalten ist, ist in dem Sinne auszulegen, dass er sowohl die Vercharterung des gesamten Laderaums eines Schiffes (Vollvercharterung) als auch die Vercharterung eines Teils oder Prozentsatzes des Laderaums eines Schiffes (Teilvercharterung) umfasst.

2.      Die Sechste Richtlinie steht einem nationalen Gesetz entgegen, das die Steuerbefreiung nur für die Vollvercharterung zulässt.


1 – Originalsprache: Englisch.


2 – ABl. L 145, S. 1.


3 – ABl. L 384, S. 47.


4 – Art. 15 Nr. 13 der Sechsten Richtlinie lautet:


„Dienstleistungen, einschließlich der Beförderungsleistungen und der dazugehörigen Leistungen – jedoch mit Ausnahme der nach Artikel 13 von der Steuer befreiten Dienstleistungen – wenn sie in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausfuhr von Gütern oder der Einfuhr von Gütern stehen, für die die Bestimmungen gemäß Artikel 7 Absatz 3 oder gemäß Artikel 16 Absatz 1 Teil A gelten“.


5 – Vgl. z. B. Urteil vom 16. Juni 2004, Cimber Air (C-382/02, Slg. 2004, I-8379, Randnr. 25).


6 – Vgl. Urteile vom 26. Juni 1990, Velker International Oil Company (C-185/89, Slg. 1990, I-2561, Randnr. 19), und vom 14. September 2006, Elmeka (C-181/04 bis C-183/04, Slg. 2006, I-0000, Randnr. 15).


7 – Vgl. hierzu Urteil Cimber Air (angeführt in Fn. 5, Randnr. 29).


8 – Art. 15 Nr. 4 Unterabs. 2 sieht Folgendes vor: „Die Kommission unterbreitet dem Rat so bald wie möglich Vorschläge zur Festlegung gemeinschaftlicher Steuerregeln, in denen der Anwendungsbereich und die praktischen Einzelheiten der Durchführung dieser Steuerbefreiung sowie der in den Nummern 5 bis 9 vorgesehenen Steuerbefreiungen präzisiert wird. Bis zum Inkrafttreten dieser Regeln können die Mitgliedstaaten den Anwendungsbereich der in dieser Nummer vorgesehenen Steuerbefreiung beschränken.“


9 – Vgl. insbesondere Urteile vom 5. Juni 1997, SDC (C-2/95, Slg. 1997, I-3017, Randnr. 21), vom 10. September 2002, Kügler (C-141/00, Slg. 2002, I-6833, Randnr. 25), Cimber Air (angeführt in Fn. 5, Randnr. 23) und Elmeka (angeführt in Fn. 6, Randnr. 20).


10 – Freilich hindert nichts ein nationales Gericht daran, eine Vereinbarung über Teilvercharterung zur Gewährleistung der richtigen Anwendung der Sechsten Richtlinie anders zu qualifizieren, wenn es zu dem Schluss gelangen sollte, dass diese Vereinbarung im konkreten Fall und in Anbetracht ihrer Klauseln nichts anderes als ein Vertrag über den Transport von Gütern und daher unzutreffend als „Vercharterungsvereinbarung“ bezeichnet worden ist, damit sie unter die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung für Vercharterungen nach Art. 15 Nr. 5 der Sechsten Richtlinie fällt.