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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

POIARES MADURO

vom 22. Mai 20081(1)

Rechtssache C-210/06

Cartesio Oktató és Szolgáltató bt

(Vorabentscheidungsersuchen des Szegedi Ítélőtábla [Ungarn])






1.        Das Vorabentscheidungsersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsmittels gegen einen Beschluss des Bács-Kiskun Megyei Bíróság (Komitatsgericht Bács-Kiskun) (Ungarn) in seiner Funktion als Gericht, das mit der Führung des Handelsregisters betraut ist. Es betrifft eine Kommanditgesellschaft, die ihren operativen Geschäftssitz von Ungarn nach Italien verlegen, jedoch weiterhin im ungarischen Handelsregister eingetragen sein möchte, damit ihr Rechtsstatus auch künftig ungarischem Recht unterliegen kann. In Ausübung seiner Funktion als Gericht, das mit der Führung des Handelsregisters betraut ist, weigerte sich das Bács-Kiskun Megyei Bíróság jedoch, die neue Adresse in das örtliche Handelsregister einzutragen, da die Verlegung des Sitzes nach ungarischem Recht nicht möglich sei. Ein Unternehmen, das seinen operativen Geschäftssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegen wolle, müsse zuerst in Ungarn abgewickelt und anschließend nach dem Recht des anderen Mitgliedstaats neu gegründet werden. Im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens hat das Szegedi Ítélőtábla (Rechtsmittelgericht Szeged) den Gerichtshof um Hilfe bei der Entscheidung ersucht, ob die maßgeblichen ungarischen Rechtsvorschriften mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sind. Darüber hinaus hat das vorlegende Gericht mehrere Fragen zur Anwendung von Art. 234 EG vorgelegt.

I –    Sachverhalt und Vorabentscheidungsersuchen

2.        Cartesio ist eine „betéti társaság” (Kommanditgesellschaft) nach ungarischem Recht mit Sitz in Baja (Ungarn). Sie besteht aus zwei Gesellschaftern, die in Ungarn ansässig sind und die ungarische Staatsangehörigkeit besitzen: dem beschränkt haftenden Kommanditist, der zur Zahlung eines festgelegten Kapitalbetrags verpflichtet ist und nur für diesen Betrag haftet, und dem unbeschränkt haftenden Komplementär, der für alle Verbindlichkeiten der Kommanditgesellschaft haftet(2).

3.        Mit Schreiben vom 11. November 2005 stellte Cartesio beim Handelsregistergericht einen Antrag auf Änderung des örtlichen Handelsregistereintrags, um als neuen operativen Geschäftssitz die folgende Adresse eintragen zu lassen: „21013 Gallarte (Italy), Via Roma No 16“. Der Antrag wurde jedoch vom Handelsregistergericht zurückgewiesen. Das Gericht vertrat die Auffassung, es sei nach ungarischem Recht nicht möglich, dass Gesellschaften ihren operativen Geschäftssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegten und gleichzeitig ihren Rechtsstatus als ungarische Gesellschaft aufrechterhielten. Daher müsse Cartesio zunächst in Ungarn aufgelöst und anschließend nach italienischem Recht neu gegründet werden, wenn es seinen operativen Geschäftssitz ändern wolle.

4.        Gegen den Beschluss des Handelsregistergerichts legte Cartesio beim Szegedi Ítélőtábla (Rechtsmittelgericht Szeged) Rechtsmittel ein. Das Rechtsmittelgericht hat dem Gerichtshof die folgenden Fragen vorgelegt:

1.      Ist ein Gericht des zweiten Rechtszugs, das über ein Rechtsmittel gegen den Beschluss eines mit der Führung des Handelsregisters betrauten Gerichts (cégbíróság) in einem Verfahren betreffend die Änderung von Registereintragungen zu entscheiden hat, befugt, ein Vorabentscheidungsersuchen im Sinne von Art. 234 EG einzureichen, wenn weder das Verfahren, in dem der Beschluss des Gerichts ergeht, noch das Rechtsmittelverfahren streitigen Charakter haben?

2.      Falls das Gericht des zweiten Rechtszugs unter den Begriff des Gerichts fällt, das nach Art. 234 EG zur Vorlage einer Vorabentscheidungsfrage befugt ist, handelt es sich dann bei diesem Gericht um ein letztinstanzlich entscheidendes Gericht, das gemäß Art. 234 EG bei Fragen nach der Auslegung des Gemeinschaftsrechts verpflichtet ist, den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften anzurufen?

3.      Kann und darf die – unmittelbar aus Art. 234 EG abgeleitete – Befugnis der ungarischen Gerichte zur Vorlage von Vorabentscheidungsfragen durch eine einzelstaatliche Bestimmung eingeschränkt werden, aufgrund deren gegen einen Vorlagebeschluss Rechtsmittel nach nationalen Rechtsvorschriften eingelegt werden kann, wenn das mit dem Rechtsmittel befasste höhere nationale Gericht diesen Beschluss abändern, das Vorabentscheidungsersuchen außer Kraft setzen und das Gericht, das den Vorlagebeschluss erlassen hat, anweisen kann, das ausgesetzte nationale Verfahren fortzusetzen?

4.      a)     Handelt es sich bei der Absicht einer in Ungarn nach ungarischem Gesellschaftsrecht gegründeten und in das ungarische Handelsregister eingetragenen Gesellschaft, ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zu verlegen, um eine Frage, deren Regelung unter das Gemeinschaftsrecht fällt, oder ist mangels Harmonisierung der Rechtsvorschriften ausschließlich das nationale Recht anwendbar?

b)      Kann sich eine ungarische Gesellschaft bei der Verlegung ihres Sitzes in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union unmittelbar auf das Gemeinschaftsrecht (hier die Art. 43 EG und 48 EG) berufen? Wenn ja, kann die Sitzverlegung – sei es durch den Herkunftsstaat, sei es durch den Aufnahmestaat – von einer Bedingung oder einer Genehmigung abhängig gemacht werden?

c)      Sind die Art. 43 EG und 48 EG dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung oder Praxis mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar ist, wonach Handelsgesellschaften in Bezug auf die Ausübung ihrer Rechte unterschiedlich behandelt werden, je nachdem, in welchem Mitgliedstaat sie ansässig sind?

Sind die Art. 43 EG und 48 EG dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung oder Praxis mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar ist, wonach es einer ungarischen Gesellschaft verwehrt ist, ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zu verlegen?

II – Würdigung

A –    Zur ersten Frage

5.        Mit der ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob ein Vorabentscheidungsersuchen in einem Rechtsmittelverfahren gegen den Beschluss eines unteren Gerichts zulässig ist, wenn weder das Verfahren vor dem unteren Gericht noch das Rechtsmittelverfahren streitigen Charakter haben. In gewissem Sinne stellt das vorlegende Gericht zunächst die Frage, ob es dem Gerichtshof eine Frage vorlegen kann(3). Die Frage lässt sich anhand der Rechtsprechung eindeutig beantworten. Im Rahmen der vorliegenden Rechtssache übte das Handelsregistergericht eine bloße Registrierungsfunktion aus, da es „als Verwaltungsbehörde handelt[e], ohne dass [es] gleichzeitig einen Rechtsstreit zu entscheiden hat[te]“(4). Für die Zwecke des Art. 234 EG ist dies als Tätigkeit ohne Rechtsprechungscharakter einzuordnen. Im Zusammenhang mit einer solchen Tätigkeit ist das Handelsregistergericht nicht befugt, ein Vorabentscheidungsersuchen einzureichen(5). Dagegen ist das Rechtsmittelverfahren gegen den Beschluss des Handelsregistergerichts aus dem Blickwinkel von Art. 234 EG ein gerichtliches Verfahren, auch wenn es keinen streitigen Charakter hat(6). Folglich ist ein Gericht, das im Rahmen eines solchen Verfahrens angerufen wird, zum Einreichen eines Vorabentscheidungsersuchens beim Gerichtshof befugt(7). Daher ist die erste Vorlagefrage des nationalen Gerichts zulässig und darüber hinaus zu bejahen.

B –    Zur zweiten Frage

6.        Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es nach nationalem Recht als letztinstanzliches Gericht anzusehen ist und unter die Verpflichtung gemäß Art. 234 Abs. 3 EG fällt. Dagegen könnte eingewandt werden, dass die Frage unzulässig sei, weil sie für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens nicht beantwortet werden müsse. Denn schließlich habe sich das vorlegende Gericht unabhängig davon entschieden, die übrigen Fragen zur Vorabentscheidung einzureichen. Wenn eine Frage jedoch eindeutig eine umfassende praktische Bedeutung für die einheitliche Auslegung und Anwendung von Gemeinschaftsrecht hat und nicht künstlich mit dem Sachverhalt verbunden wird(8), sollten die Zulässigkeitsvorschriften nicht dergestalt angewandt werden, dass sie quasi unüberwindbar sind. Wenn die einzige realistische Option eines nationalen Gerichts darin besteht, eine solche Frage im Rahmen eines Verfahrens vorzulegen, in dem es für die Entscheidung der anhängigen Rechtssache möglicherweise nicht unbedingt auf ihre Beantwortung ankommt, sollte die Zulässigkeitsschwelle meines Erachtens nicht zu hoch angesetzt werden(9).

7.        Es ist wohl kaum eine Alternative ersichtlich, wie die vorliegende Frage realistischerweise dem Gerichtshof vorgelegt werden könnte, obgleich sie für das Funktionieren des Vorabentscheidungsverfahrens offensichtlich von Bedeutung ist und ihr Verhältnis zum Sachverhalt der Rechtssache nicht als konstruiert beschrieben werden kann. Ein nationales Gericht würde übermäßig belastet, wenn es in einem ersten Schritt nur für die Klärung der Frage, ob es der Verpflichtung gemäß Art. 234 EG unterliegt, ein Vorabentscheidungsersuchen einreichen müsste, um dann in einem zweiten Schritt bei Bejahung der Frage seine eigentlichen Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen(10). Daher schlage ich vor, dass der Gerichtshof in dieser Angelegenheit seine Unterstützung anbietet, wie er es in einem ähnlichen Kontext in der Rechtssache Lyckeskog(11) getan hat.

8.        Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass in Rechtssachen wie der vorliegenden die betroffene Partei beim Legfelsőbb Bíróság (Oberstes Gericht) ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Ítélőtábla einlegen kann. Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass ein Rechtsmittel beim Legfelsőbb Bíróság auf Rechtsfragen beschränkt ist. In diesem Zusammenhang erwähnt das vorlegende Gericht Art. 270 Abs. 2 des Polgári perrendtartásról szóló 1952. évi III. Törvény (Gesetz III von 1952 zum Zivilverfahren), das bestimmt: „Die Parteien, Streithelfer und Personen, die von der Entscheidung betroffen sind, können hinsichtlich des Teils der Entscheidung, der sie betrifft, gegen rechtskräftige Urteile und Beschlüsse, die das Verfahren beenden, ausschließlich im Hinblick auf Rechtsfragen beim Legfelsőbb Bíróság ein Rechtsmittel wegen Rechtsverletzung einlegen.“ Das vorlegende Gericht weist ferner darauf hin, dass Rechtsmittelverfahren nicht automatisch eine aufschiebende Wirkung zukomme. Art. 273 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes bestimmt: „Die Einleitung eines Rechtsmittelverfahrens hat keine aufschiebende Wirkung, wenn eine Partei dies jedoch beantragt, kann das Legfelsőbb Bíróság ausnahmsweise den Vollzug einer Entscheidung aussetzen.“

9.        Diese Beschränkungen rechtfertigen allerdings noch nicht die Schlussfolgerung, dass der Ítélőtábla nach nationalem Recht als letztinstanzliches Gericht anzusehen ist. Vermutlich stellt jede Fragestellung, die sich auf die Gültigkeit oder Auslegung von Gemeinschaftsrecht bezieht, eine Rechtsfrage dar und könnte daher Gegenstand eines Rechtsmittels sein. Außerdem sind nationale Verfahrensvorschriften, nach denen ein solches Rechtsmittel nur in Ausnahmefällen aufschiebende Wirkung entfaltet, grundsätzlich mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, soweit solche Vorschriften erstens nicht dergestalt angewandt werden, dass Rechtsmittel zu gemeinschaftsrechtlichen Fragen weniger günstig behandelt werden als Rechtsmittel zu innerstaatlichen Rechtsfragen (Äquivalenzgrundsatz), und zweitens die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz)(12).

10.      Daher impliziert der Umstand, dass ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung eines nationalen Gerichts auf Rechtsfragen beschränkt ist und nicht automatisch aufschiebende Wirkung entfaltet, keine Vorlagepflicht dieses Gerichts nach Art. 234 Abs. 3 EG.

C –    Zur dritten Frage

11.      Die dritte Vorlagefrage bezieht sich auf die im ungarischen Zivilprozessrecht vorgesehene Möglichkeit, ein gesondertes Rechtsmittel gegen den Vorlagebeschluss einzulegen. Art. 155/A des Gesetzes III von 1952 zum Zivilverfahren bestimmt: „Gegen den Beschluss, eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, kann ein gesondertes Rechtsmittel eingelegt werden. Gegen einen Beschluss, der einen Antrag auf ein Vorabentscheidungsersuchen zurückweist, kann kein gesondertes Rechtsmittel eingelegt werden.“(13) Offensichtlich finden in diesem Zusammenhang die allgemeinen Vorschriften zur aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels Anwendung(14). In seinem Vorlagebeschluss hat das vorlegende Gericht erläutert, falls gegen einen Vorlagebeschluss Rechtsmittel eingelegt werde, könne das mit dem Rechtsmittel befasste Gericht den Vorlagebeschluss abändern oder das Vorabentscheidungsersuchen außer Kraft setzen und das Gericht, das den Vorlagebeschluss erlassen habe, anweisen, das ausgesetzte nationale Verfahren fortzusetzen. Mit der dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob solche nationalen Verfahrensvorschriften mit dem im Vertrag festgelegten Vorabentscheidungsverfahren vereinbar sind.

12.      Auch hier kann eingewendet werden, dass diese Frage unzulässig sei, weil in der vorliegenden Rechtssache offensichtlich kein Rechtsmittel gegen den Vorlagebeschluss eingelegt wurde(15). Die Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen, ist jedoch eine Frage des nationalen Rechts, über die das nationale Gericht zu entscheiden hat. Darüber hinaus bin ich der Auffassung, dass der Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache das Anliegen des nationalen Gerichts in besonderem Maß respektieren und die Gelegenheit nutzen sollte, bei dieser Frage Orientierungshilfe zu bieten. Die Gründe hierfür decken sich mit den Gründen, aus denen ich die zweite Frage für zulässig halte.

13.      Erstens ist diese Frage nicht rein hypothetisch. Sie ist eng mit dem (unstreitigen) Sachverhalt der Rechtssache verbunden, und die Antwort des Gerichtshofs könnte für die Entscheidung der Frage im Fall eines Rechtsmittels sicherlich von Bedeutung sein – ein Umstand, den das nationale Gericht bei Erlass des Vorlagebeschlusses für relevant hielt. Meines Erachtens handelt es sich nur dann um eine hypothetische und zu Recht für unzulässig zu erklärende Frage, wenn entweder der Sachverhalt selbst oder das Verhältnis der Frage zum Sachverhalt konstruiert ist. Nur in solchen Fällen kommen die Gründe zum Tragen, die die Unzulässigkeit hypothetischer Fragen rechtfertigen (Verkennung des Sachverhalts, vorschnelle Entscheidungen und Gefahr des Missbrauchs)(16). In der vorliegenden Rechtssache würde der Gerichtshof seine rechtliche Antwort jedoch nicht auf der Grundlage eines hypothetischen Sachverhalts liefern, der bei Verfälschung des tatsächlichen Zusammenhangs, in dem die Auslegung und Anwendung einer rechtlichen Regelung erfolgt, die Qualität und Legitimität der gerichtlichen Entscheidung beeinträchtigen könnte. Der einzige Umstand, den man in dieser Rechtssache tatsächlich als hypothetisch bezeichnen könnte, sollte eher als Eventualfall qualifiziert werden: der Umstand nämlich, dass die Antwort des Gerichtshofs eventuell für die Entscheidung des Hauptverfahrens nicht maßgeblich sein wird, wenn tatsächlich kein Rechtsmittel gegen den Vorlagebeschluss eingelegt wird. Einem solchen Eventualfall unterliegen jedoch auch andere Rechtsfragen, die der Gerichtshof regelmäßig beantwortet. Der Gerichtshof kann nie absolut sicher sein, dass seine Antwort tatsächlich für den Ausgang des Hauptverfahrens relevant sein wird. Das nationale Gericht kann z. B. am Ende den Rechtsstreit auf der Grundlage des nationalen Verfahrensrechts entscheiden, ohne die Antwort des Gerichtshofs anzuwenden, die sich auf Gemeinschaftsrecht bezieht. Dies bedeutet nicht, dass der Gerichtshof eine hypothetische Frage beantwortet hat, vorausgesetzt, die Frage beruhte auf einem tatsächlichen Sachverhalt, dessen Verbindung zum Gemeinschaftsrecht nicht konstruiert war. Es muss unterschieden werden zwischen Fragen, die auf einem Sachverhalt beruhen, der konstruiert oder nicht mit dem Sachverhalt der Rechtssache verbunden ist (meines Erachtens sind diese Fragen hypothetisch und unzulässig), und Fragen, die mit dem Sachverhalt der Rechtssache verbunden sind, sich jedoch eventuell als nicht entscheidend für den endgültigen Ausgang der Rechtssache erweisen (meines Erachtens sind diese Fragen nicht hypothetisch und sollten daher zugelassen werden).

14.      Zweitens lässt sich trotz der offensichtlichen Bedeutung, die die Frage für die Funktionsweise des Vorabentscheidungsverfahrens hat, nur schwer erkennen, wie sie auf andere Weise den Gerichtshof erreichen sollte. Natürlich ist es theoretisch denkbar, dass eine Partei eines vor einem unteren Gericht anhängigen nationalen Verfahrens vor einem höheren Gericht Rechtsmittel gegen einen Vorlagebeschluss einlegt und dass das untere Gericht ungeachtet nationaler Verfahrensvorschriften, nach denen das Rechtsmittel aufschiebende Wirkung hat, seinen Vorlagebeschluss aufrechterhält. Unter diesen Umständen wäre die Frage, welche Wirkung das Rechtsmittel hat, sicherlich von überragender Bedeutung. Dieses Szenario würde jedoch auch bedeuten, dass das untere Gericht die innerstaatlichen Verfahrensvorschriften missachtet, ohne zu wissen, ob es nach Gemeinschaftsrecht hierzu ermächtigt ist. Dies würde das untere Gericht ganz klar in eine unangenehme Situation bringen(17). Dies ist wahrscheinlich der Grund, weshalb eine solche Frage dem Gerichtshof bisher noch nie ausdrücklich vorgelegt worden ist, auch wenn einige frühere Rechtssachen und bekannte nationale Rechtsvorschriften und Praktiken erkennen lassen, dass der Frage bei der tagtäglichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch die nationalen Gerichte in der Tat eine erhebliche Bedeutung zukommt(18). Daher würde ich dem Gerichtshof empfehlen, dass er es dem nationalen Gericht überlässt, die Bedeutung einer solchen Frage für das nationale Verfahren zu beurteilen, und dass er die dritte Frage des Szegedi Ítélőtábla beantwortet und die Gelegenheit wahrnimmt, sich dieser Frage anzunehmen, die für das Gemeinschaftsrecht von großer praktischer Bedeutung ist. Auf diese Weise kann der Gerichtshof rechtzeitig Hindernisse ausräumen, die künftig im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und denjenigen nationalen Gerichten, gegen deren Vorlagebeschlüsse Rechtsmittel eingelegt werden kann, entstehen könnten.

15.      Art. 234 EG bestimmt, dass jedes staatliche Gericht berechtigt ist, sich stets dann an den Gerichtshof zu wenden, wenn es eine Vorabentscheidung über eine Frage nach der Auslegung oder der Gültigkeit des Gemeinschaftsrechts für den Erlass seines Urteils für erforderlich hält(19). Die Befugnis der nationalen Gerichte, Vorabentscheidungsersuchen einzureichen, leitet sich somit aus dem Vertrag selbst ab. Darüber hinaus kann eine innerstaatliche Rechtsnorm ihnen „nicht das Recht nehmen“, dem Gerichtshof Fragen vorzulegen(20).

16.      Natürlich ist die Entscheidung eines unteren Gerichts, die ein Vorabentscheidungsersuchen erhält, nicht aufgrund von Gemeinschaftsrecht von den normalen Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts ausgenommen(21). Wird jedoch gegen eine Entscheidung, die einen Vorlagebeschluss enthält, Rechtsmittel eingelegt, ist der Gerichtshof dennoch grundsätzlich an das Vorabentscheidungsersuchen gebunden, solange das vorlegende Gericht seine Fragen nicht zurückzieht(22). Der Gerichtshof kann das Vorabentscheidungsverfahren bis zur Beendigung des nationalen Rechtsmittelverfahrens aussetzen, wenn das Rechtsmittel aufschiebende Wirkung hat und das vorlegende Gericht dies dem Gerichtshof mitgeteilt hat: Die Mitteilung gilt als impliziter Antrag auf Aussetzung des Vorabentscheidungsverfahrens(23). Wenn das vorlegende Gericht den Gerichtshof jedoch ausdrücklich darum bittet, setzt der Gerichtshof das Vorabentscheidungsverfahren fort, ungeachtet der Wirkungen, die ein Rechtsmittel nach nationalem Recht hat(24).

17.      Die entscheidende Frage lautet, ob nationale Verfahrensvorschriften untere Gerichte verpflichten können, ein Vorabentscheidungsersuchen auszusetzen oder sogar zurückzuziehen, wenn gegen den Vorlagebeschluss Rechtsmittel eingelegt wurde. Diese Frage ist von Generalanwalt Warner in seinen Schlussanträgen im Urteil Rheinmühlen(25) behandelt worden, und ich bin versucht, mich auf einen Verweis auf jene Schlussanträge zu beschränken, in denen Generalanwalt Warner argumentiert hat, dass dem Recht der unteren Gerichte, dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, in keinem Mitgliedstaat durch nationale Vorschriften Fesseln angelegt werden könnten. Ich werde nicht einmal versuchen, den Nachdruck und die Klarheit seiner Argumentation, die ihn zu dieser Schlussfolgerung geführt hat, nachzubilden. Stattdessen werde ich mich darauf beschränken, seinen Schlussanträgen beizupflichten und einige zusätzliche Anmerkungen zu machen.

18.      Es sind mehrere Gründe denkbar, weshalb ein unteres Gericht sein Vorabentscheidungsersuchen eventuell zurückziehen möchte, nachdem gegen die Entscheidung, die den Vorlagebeschluss enthält, Rechtsmittel eingelegt wurde. Beispielsweise könnten die Parteien während des Rechtsmittelverfahrens einen alternativen Weg gefunden haben, mit denen sich ihr Rechtsstreit beilegen lässt(26). Ebenso könnte es sein, dass sich die Vorabentscheidungsfragen durch das Rechtsmittelurteil erübrigen, z. B. weil sich herausstellt, dass die Klage vor dem unteren Gericht unzulässig war. Somit kann ein Rechtsmittelverfahren und dessen Ergebnis ein unteres Gericht sehr wohl dazu bewegen, eine Aussetzung seines Vorabentscheidungsersuchens zu beantragen oder das Vorabentscheidungsersuchen sogar zurückzuziehen. Daraus sollte man jedoch nicht den Schluss ziehen, dass es Umstände geben kann, in denen die Entscheidung eines Rechtsmittelgerichts ein unteres Gericht dazu verpflichten kann.

19.      Für die einheitliche Auslegung und wirksame Anwendung des Gemeinschaftsrechts ist es unerlässlich, dass die unteren Gerichte aller Mitgliedstaaten mit dem Gerichtshof unmittelbar in Verbindung treten können. Darüber hinaus ist dies das Instrument, das aus allen nationalen Gerichten solche des Gemeinschaftsrechts macht. Durch das Vorabentscheidungsersuchen wird das nationale Gericht unabhängig von anderen nationalen Gewalten oder gerichtlichen Instanzen in den gemeinschaftsrechtlichen Diskurs einbezogen(27). Der Vertrag sieht nicht vor, dass dieser Dialog durch andere nationale Gerichte gefiltert wird, wie die gerichtliche Hierarchie in dem jeweiligen Staat auch ausgestaltet sein mag. Der Irish Supreme Court entschied (als er ein Rechtsmittel gegen einen Vorlagebeschluss zurückwies): „Der Vertrag verleiht [dem unteren Gericht] das Recht ohne jegliche ausdrückliche oder implizite Einschränkung, die eine Aufhebung der Entscheidung durch ein anderes nationales Gericht ermöglichen würde.“(28)

20.      Folglich ist die Frage, ob ein Vorabentscheidungsersuchen notwendig ist, zwischen dem vorlegenden Gericht und dem Gerichtshof zu entscheiden. Deshalb wird über die Zulässigkeit eines Vorabentscheidungsersuchens letztlich vom Gerichtshof entschieden und nicht von nationalen Gerichten, die dem vorlegenden Gericht im Rahmen der nationalen Verfahrensvorschriften übergeordnet sind. Wäre das Gegenteil der Fall, könnte dies dazu führen, dass aufgrund nationaler Vorschriften oder Praktiken gegen Vorlagebeschlüsse unterer Gerichte systematisch Rechtsmittel eingelegt würde, was zumindest de facto dazu führen würde, dass es nach nationalem Recht nur letztinstanzlichen Gerichten möglich wäre, Vorabentscheidungsersuchen einzureichen. Die vorliegende Rechtssache, in der das nationale Recht ein gesondertes Rechtsmittel gegen den Vorlagebeschluss zulässt, verdeutlicht die Gefahr, eine solche Frage als Frage des nationalen Verfahrensrechts und nicht als gemeinschaftsrechtliche Frage anzusehen. Dies würde dazu führen, dass die in Art. 234 EG festgelegten Voraussetzungen für Vorabentscheidungsersuchen beim Gerichtshof durch nationales Verfahrensrecht geändert werden könnten.

21.      Kurz gesagt: Das Gemeinschaftsrecht verleiht allen Gerichten in allen Mitgliedstaaten das Recht, dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen. Dieses Recht kann nicht durch nationales Recht eingeschränkt werden. Daraus folgere ich, dass Art. 234 EG die Anwendung nationaler Vorschriften verbietet, nach denen nationale Gerichte verpflichtet sein können, ein Vorabentscheidungsersuchen auszusetzen oder zurückzuziehen.

D –    Zur vierten Frage

22.      Die vierte Frage betrifft die Niederlassungsfreiheit. Wie im Vorlagebeschluss ausgeführt wird, ist der Sitz einer ungarischen Gesellschaft nach ungarischem Gesellschaftsrecht der Ort, an dem sich der operative Geschäftssitz („központi ügyintézés helye”) der Gesellschaft befindet(29). Mit anderen Worten sollte der Ort, an dem eine Gesellschaft ihren operativen Geschäftssitz hat, mit dem Ort ihrer Gründung zusammenfallen. Verlegt eine ungarische Gesellschaft ihren operativen Geschäftssitz, wird dies normalerweise im Handelsregister eingetragen, wenn die Verlegung innerhalb Ungarns erfolgt(30). Aus dem im Vorlagebeschluss dargestellten Sachverhalt ergibt sich, dass Cartesio ihren operativen Geschäftssitz nach Italien verlegen möchte. Statt sich jedoch in Italien als italienische Gesellschaft neu zu gründen, möchte Cartesio weiterhin eine in Ungarn gegründete Gesellschaft bleiben, die ungarischem Gesellschaftsrecht unterliegt.

23.      Offensichtlich liegt dem ungarischen Gesellschaftsrecht die Theorie des „tatsächlichen Sitzes“ zugrunde, nach der eine Gesellschaft sämtliche geltenden gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen des Staates, in dem sie ihren tatsächlichen Sitz hat, erfüllen muss(31). Nach der Theorie des tatsächlichen Sitzes „sind die Nationalität und der Sitz einer Gesellschaft nämlich untrennbar miteinander verflochten“(32). Wenn man diese Theorie zu Ende denkt, ist der „Export“ einer ungarischen juristischen Person in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats nach ungarischem Gesellschaftsrecht – so, wie es vom Handelsregistergericht ausgelegt und angewandt wird – verboten. Zwar kann eine ungarische Gesellschaft wirtschaftliche Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat ausüben oder dort eine Tochtergesellschaft gründen, doch ihr operativer Geschäftssitz muss in Ungarn bleiben. Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 43 EG und 48 EG nationalen Vorschriften entgegenstehen, die eine nach nationalem Recht gegründete Gesellschaft daran hindern, ihren operativen Geschäftssitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen.

24.      Die ungarische Regierung macht geltend, dass die vorliegende Rechtssache nicht dem Geltungsbereich der Art. 43 EG und 48 EG unterliege. Irland sowie die Regierungen Polens, Sloweniens und des Vereinigten Königreichs vertreten die gleiche Auffassung. Dagegen machen Cartesio, die Kommission und die niederländische Regierung geltend, dass die Niederlassungsfreiheit eingeschränkt werde und daher die Art. 43 EG und 48 EG anwendbar seien.

25.      Die Auffassung, dass die vorliegende Rechtssache außerhalb des Geltungsbereichs der Regelungen des Vertrags zur Niederlassungsfreiheit liege, ist meines Erachtens nicht zutreffend. Nationale Vorschriften, die die Verlegung des operativen Geschäftssitzes einer Gesellschaft nur innerhalb des nationalen Hoheitsgebiets erlauben, behandeln grenzüberschreitende Sachverhalte eindeutig ungünstiger als rein nationale Sachverhalte(33). In der Tat laufen solche Vorschriften auf eine Diskriminierung bei der Ausübung der Verkehrsfreiheit hinaus(34). Cartesio möchte ihren operativen Geschäftssitz nach Italien verlegen. Cartesio plant somit offensichtlich „die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit“(35). Unter diesen Umständen sind die Regelungen des Vertrags zur Niederlassungsfreiheit eindeutig anwendbar(36).

26.      Zwar hat der Gerichtshof im Urteil Daily Mail und General Trust entschieden, dass eine Gesellschaft sich nicht auf die Niederlassungsfreiheit berufen kann, um den Sitz der Geschäftsleitung in einen anderen Mitgliedstaat (Niederlande) zu verlegen, mit dem Ziel, einen erheblichen Teil der Papiere ihres Betriebsvermögens zu verkaufen und aus dem Erlös eigene Aktien zurückzukaufen, ohne hierfür die Steuern entrichten zu müssen, die im Herkunftsstaat (Vereinigtes Königreich) normalerweise darauf zu zahlen wären(37). Nach dem Gesellschaftsrecht des Vereinigten Königreichs konnten Gesellschaften – vorbehaltlich der Zustimmung der Finanzbehörden – ihre Geschäftsleitung in einen anderen Mitgliedstaat verlegen, ohne ihre Rechtspersönlichkeit oder ihre Eigenschaft als Gesellschaft britischen Rechts zu verlieren(38). Unter den gegebenen Umständen stimmten die Finanzbehörden der Verlegung jedoch nicht zu und forderten, dass die Gesellschaft zumindest einen Teil der fraglichen Papiere vor der Verlegung des steuerlichen Sitzes in ein Gebiet außerhalb des Vereinigten Königreichs verkaufen solle(39). Im Gegensatz zu der Gesellschaft war der Gerichtshof nicht der Auffassung, dass die Finanzbehörden die Niederlassungsfreiheit verletzt hätten. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich das Gesellschaftsrecht der Mitgliedstaaten unterscheidet, hat der Gerichtshof festgestellt, dass Gesellschaften nur gemäß nationalem Recht bestehen und dass der „EWG-Vertrag den Gesellschaften nationalen Rechts kein Recht [gewährt], den Sitz ihrer Geschäftsleitung unter Bewahrung ihrer Eigenschaft als Gesellschaften des Mitgliedstaats ihrer Gründung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen“(40). Es wird somit vorgeschlagen, dass ausschließlich der Staat, nach dessen Recht die Gesellschaft gegründet wurde, über „Leben und Tod“ der Gesellschaft entscheidet(41). Der Staat hat’s gegeben, der Staat hat’s genommen – und damit müssen wir uns abfinden.

27.      Seit dem Urteil Daily Mail und General Trust hat sich die Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften jedoch weiterentwickelt, und der Gerichtshof verfolgt nun einen differenzierteren Ansatz(42). Diese Entwicklung ist allerdings von zahlreichen widersprüchlichen Signalen in der Rechtsprechung begleitet worden. Insbesondere mit den Urteilen Centros(43), Überseering(44) und Inspire Art(45) schien sich die Rechtsprechung genau in die entgegengesetzte Richtung zu dem vom Gerichtshof im Urteil Daily Mail und General Trust eingeschlagenen Weg zu bewegen. Denn der Gerichtshof wies konsequent das Argument zurück, dass nationale gesellschaftsrechtliche Vorschriften außerhalb des Geltungsbereichs der Regelungen liegen sollten, die der Vertrag zur Niederlassungsfreiheit enthält. Beispielsweise hat der Gerichtshof im Urteil Inspire Art festgestellt: „[D]er Umstand, dass die Inspire Art im Vereinigten Königreich gegründet wurde, um die Vorschriften des niederländischen Gesellschaftsrechts zu umgehen, das u. a. bezüglich des Mindestkapitals und der Einzahlung der Aktien strengere Voraussetzungen enthält, [schließt] nicht aus, dass die Errichtung einer Zweigniederlassung dieser Gesellschaft in den Niederlanden unter die Niederlassungsfreiheit nach den Artikeln 43 EG und 48 EG fällt.“(46) Eine solche Feststellung steht völlig im Widerspruch zu der Auffassung, dass die Gründung und Existenz der Gesellschaften ausschließlich durch die jeweilige nationale Rechtsordnung der Mitgliedstaaten geregelt wird.

28.      Es wurden verschiedentlich – auch vom Gerichtshof selbst – Anstrengungen unternommen, anhand des zugrunde liegenden Sachverhalts zwischen dem Urteil Daily Mail und General Trust und den Urteilen Centros, Überseering und Inspire Art zu unterscheiden, indem man sich auf Punkte wie Erst- und Zweitniederlassung sowie die Frage konzentrierte, ob der Gesellschaftssitz aus einem anderen Mitgliedstaat in den betreffenden Mitgliedstaat oder ob er aus dem betreffenden Mitgliedstaat verlegt wird. Es überrascht jedoch nicht, dass diese Bemühungen nie ganz überzeugen konnten(47). Insbesondere die Unterscheidung zwischen Sachverhalten, in denen ein Mitgliedstaat Gesellschaften, die nach seinem eigenen Gesellschaftsrecht gegründet wurden, daran hindert oder davon abbringt, eine ausländische Niederlassung zu gründen, und Sachverhalten, in denen der Aufnahmemitgliedstaat die Niederlassungsfreiheit beschränkt, passte nie in den allgemeinen analytischen Rahmen, den der Gerichtshof an die Art. 43 EG und 48 EG anlegt(48). Außerdem wich diese Unterscheidung von der Argumentation des Gerichtshofs im Urteil Daily Mail und General Trust ab(49). Generalanwalt Tizzano hat in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache SEVIC Systems zutreffend ausgeführt: „Überdies geht aber aus der Rechtsprechung auch noch hervor, dass ein Mitgliedstaat nach Artikel 43 EG nicht nur die Niederlassung ausländischer Wirtschaftsbeteiligter im Inland nicht verhindern oder beschränken, sondern auch die Niederlassung inländischer Wirtschaftsbeteiligter in einem anderen Mitgliedstaat nicht behindern darf. Mit anderen Worten sind sowohl Beschränkungen des ‚Zugangs‘ zum nationalen Hoheitsgebiet als auch Beschränkungen des ‚Weggangs‘ aus diesem Gebiet verboten.“(50)

29.      Meines Erachtens liegt das Problem darin, dass die angeführten Feststellungen aus den Urteilen Daily Mail und General Trust sowie Inspire Art die Rechtsprechung und die ihr zugrunde liegende Logik nicht zutreffend wiedergeben. Zum einen ist es, auch wenn die Urteile Inspire Art und Centros etwas anderes zu besagen scheinen, unter Umständen nicht immer möglich, sich erfolgreich auf die Niederlassungsfreiheit zu berufen, um sich als Gesellschaft pro forma in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen, wenn dies allein dem Zweck dient, das eigene nationale Gesellschaftsrecht zu umgehen. Der Gerichtshof hat in seinem vor kurzem ergangenen Urteil Cadbury Schweppes wiederholt, „dass der Umstand, dass eine Gesellschaft in einem Mitgliedstaat mit dem Ziel gegründet worden ist, in den Genuss vorteilhafterer Rechtsvorschriften zu kommen, für sich allein nicht ausreicht, um auf eine missbräuchliche Ausnutzung [der Niederlassungsfreiheit] zu schließen“(51). Er hat jedoch auch hervorgehoben, dass die Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen können, mit denen „rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen“ verhindert werden, die darauf ausgerichtet sind, der Anwendung nationaler Rechtsvorschriften zu entgehen(52). Insbesondere hindert die Niederlassungsfreiheit Mitgliedstaaten nicht daran, vor „Briefkastenfirmen“ und „Strohfirmen“ auf der Hut zu sein(53). Meines Erachtens ist dies eine erhebliche Einschränkung der Feststellungen in den Urteilen Centros und Inspire Art sowie eine Bestätigung der ständigen Rechtsprechung zum Grundsatz des Missbrauchs des Gemeinschaftsrechts(54), auch wenn der Gerichtshof den Begriff „Missbrauch“ weiterhin – zu Recht – nur sehr eingeschränkt verwendet(55).

30.      Zum anderen schließt der Gerichtshof, auch wenn das Urteil Daily Mail und General Trust etwas anderes zu besagen scheint, keine speziellen Rechtsbereiche der Mitgliedstaaten a priori vom Geltungsbereich der Niederlassungsfreiheit aus(56). Vielmehr konzentriert sich der Gerichtshof auf die Wirkungen, die nationale Vorschriften oder Praktiken auf die Niederlassungsfreiheit haben können, und er prüft die Vereinbarkeit dieser Wirkungen mit der durch den Vertrag gewährleisteten Niederlassungsfreiheit. Was die nationalen Vorschriften über die Gründung von Gesellschaften betrifft, lässt sich der Gerichtshof von zwei Überlegungen leiten. Erstens steht es den Mitgliedstaaten nach derzeitigem Stand des Gemeinschaftsrechts frei, ob sie ihr Regelungssystem auf die Theorie des tatsächlichen Sitzes oder auf die Gründungstheorie stützen, und tatsächlich haben sich die verschiedenen Mitgliedstaaten für völlig unterschiedliche Gründungsvorschriften entschieden. Zweitens erfordert die wirksame Ausübung der Niederlassungsfreiheit zumindest einen gewissen Grad an gegenseitiger Anerkennung und Koordinierung der unterschiedlichen Regelungssysteme. Diese Herangehensweise führt dazu, dass die Rechtsprechung normalerweise nationale Vorschriften, die sich auf Gesellschaften beziehen, unabhängig davon anerkennt, ob sie auf der Theorie des tatsächlichen Sitzes oder der Gründungstheorie basieren. Gleichzeitig impliziert die wirksame Ausübung der Niederlassungsfreiheit jedoch, dass keine Theorie bis in die letzte Konsequenz angewandt werden kann. Das bislang beste Beispiel hierfür ist vielleicht die Rechtssache Überseering(57).

31.      Im Ergebnis bin ich der Auffassung, dass beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts unmöglich argumentiert werden kann, dass die Mitgliedstaaten völlig frei über „Leben und Tod“ der nach ihrem nationalen Recht gegründeten Gesellschaften verfügen können, ohne dass die Folgen für die Niederlassungsfreiheit zu berücksichtigen wären. Andernfalls würde den Mitgliedstaaten der „Freibrief“ erteilt, nach Belieben die „Todesstrafe“ über eine nach ihrem Recht gegründete Gesellschaft zu verhängen, nur weil diese sich zur Ausübung ihrer Niederlassungsfreiheit entschließt. Insbesondere für kleine und mittlere Gesellschaften kann eine innergemeinschaftliche Verlegung des operativen Geschäftssitzes eine einfache und wirksame Möglichkeit sein, echte wirtschaftliche Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat auszuüben, ohne den Kosten und administrativen Belastungen ausgesetzt zu sein, die mit der Abwicklung der Gesellschaft in ihrem Herkunftsstaat und dem anschließenden kompletten Wiederaufbau im Bestimmungsmitgliedstaat verbunden sind. Wie außerdem die Kommission zu Recht hervorgehoben hat, kann die Abwicklung einer Gesellschaft in einem Mitgliedstaat und ihre anschließende Neugründung nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats viel Zeit in Anspruch nehmen, und in diesem Zeitraum ist die betreffende Gesellschaft möglicherweise an der Fortsetzung des Geschäftsbetriebs gehindert.

32.      Auch wenn in der vorliegenden Rechtssache die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit unmittelbar auf nationalen Vorschriften zur Gründung und Existenz von Gesellschaften beruht, muss daher gefragt werden, ob diese Vorschriften aus Gründen des allgemeinen öffentlichen Interesses(58), wie z. B. zum Schutz vor Missbrauch oder betrügerischem Verhalten(59) oder zum Schutz der Interessen von z. B. Gläubigern, Minderheitsgesellschaftern, Arbeitnehmern oder Finanzbehörden(60), gerechtfertigt sein können.

33.      Im Licht dieser Interessen kann es akzeptabel sein, dass ein Mitgliedstaat bestimmte Voraussetzungen festlegt, die erfüllt sein müssen, bevor eine Gesellschaft, die nach dem nationalen Gesellschaftsrecht dieses Mitgliedstaats gegründet wurde, ihren operativen Geschäftssitz ins Ausland verlegen kann(61). Beispielsweise könnte der Mitgliedstaat der Auffassung sein, dass er keine wirksame Kontrolle mehr über die Gesellschaft ausüben kann, und er könnte daher der Gesellschaft auftragen, dass sie ihre Satzung ändert und nicht mehr in vollem Umfang dem Gesellschaftsrecht, nach dem sie gegründet wurde, unterliegt(62).

34.      Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Die hier zu prüfenden Vorschriften sehen für ungarische Gesellschaften überhaupt keine Möglichkeit vor, ihren operativen Geschäftssitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen. So wie das ungarische Recht vom Handelsregistergericht angewandt wird, knüpft es eine solche Verlegung nicht nur an bestimmte Voraussetzungen, sondern es verpflichtet die Gesellschaft dazu, sich aufzulösen. Vor allem weil die ungarische Regierung keine Rechtfertigungsgründe vorgetragen hat, lässt sich kaum nachvollziehen, wie eine solche „Negierung der … Niederlassungsfreiheit“(63) aus Gründen des Allgemeininteresses erforderlich sein könnte(64).

35.      Daher schlage ich vor, dass der Gerichtshof die vierte Vorlagefrage des nationalen Gerichts folgendermaßen beantwortet: „Art. 43 EG und 48 EG stehen nationalen Vorschriften entgegen, die eine nach nationalem Recht gegründete Gesellschaft daran hindern, ihren operativen Geschäftssitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen.“

III – Ergebnis

36.      Angesichts der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Szegedi Ítélőtábla vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1.      In einem Fall wie dem vorliegenden kann ein Rechtsmittelgericht dem Gerichtshof in einem Rechtsmittelverfahren gegen den Beschluss eines unteren Gerichts Vorabentscheidungsfragen vorlegen, auch wenn weder das Verfahren vor dem unteren Gericht noch das Rechtsmittelverfahren streitigen Charakter hat.

2.      Der Umstand, dass ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung eines nationalen Gerichts auf Rechtsfragen beschränkt ist und nicht automatisch aufschiebende Wirkung entfaltet, impliziert keine Vorlagepflicht dieses Gerichts nach Art. 234 Abs. 3 EG.

3.      Art. 234 EG verbietet die Anwendung nationaler Vorschriften, nach denen nationale Gerichte verpflichtet sein können, ein Vorabentscheidungsersuchen auszusetzen oder zurückzuziehen.

4.      Art. 43 EG und 48 EG stehen nationalen Vorschriften entgegen, die eine nach nationalem Recht gegründete Gesellschaft daran hindern, ihren operativen Geschäftssitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen.


1 – Originalsprache: Englisch.


2 – Auch wenn Cartesio den Rechtsstatus einer Kommanditgesellschaft hat, beziehen sich die Vorlagefragen sowohl auf Kommanditgesellschaften als auch auf Kapitalgesellschaften nach ungarischem Recht. Daher wird im Hinblick auf die aufgeworfenen Auslegungsfragen und auf Cartesio selbst der weite Begriff „Gesellschaft“ verwendet. Ebenso beinhalten Bezugnahmen auf die „Gründung einer Gesellschaft“ gegebenenfalls auch die Eintragung oder Gründung einer Personengesellschaft.


3 – Vgl. z. B. auch Urteil des Gerichtshofs vom 23. März 1982, Nordsee/Reederei Mond (102/81, Slg. 1982, 1095).


4 – Urteil des Gerichtshofs vom 15. Januar 2002, Lutz GmbH u. a. (C-182/00, Slg. 2002, I-547, Randnr. 14).


5 – Urteil Lutz GmbH u. a., in Fn. 4 angeführt, Randnr. 13. Vgl. auch Urteile des Gerichtshofs vom 14. Juni 2001, Salzmann (C-178/99, Slg. 2001, I-4421, Randnr. 15), und vom 19. Oktober 1995, Job Centre (C-111/94, Slg. 1995, I-3361, Randnr. 11), Beschluss des Gerichtshofs vom 22. Januar 2002, Holto (C-447/00, Slg. 2002, I-735, Randnrn. 17 und 18), Urteile des Gerichtshofs vom 30. Juni 2005, Längst (C-165/03, Slg. 2005, I-5637, Randnr. 25), und vom 27. April 2006, Standesamt Stadt Niebüll (C-96/04, Slg. 2006, I-3561, Randnr. 14).


6 – Urteil Job Centre, in Fn. 5 angeführt, Randnr. 11, Beschluss Holto, in Fn. 5 angeführt, Randnr. 19.


7 – Vgl. auch implizit Urteil des Gerichtshofs vom 13. Dezember 2005, SEVIC Systems (C-411/03, Slg. 2005, I-10805).


8 – Vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 30. November 2000, Österreichischer Gewerkschaftsbund (C-195/98, Slg. 2000, I-10497). Hier hat der Gerichtshof Fragen „allgemeiner Bedeutung“ anerkannt, die nur abstrakt mit einem Sachverhalt verbunden sind. Vgl. auch die Analyse von Generalanwalt Jacobs in dieser Rechtssache, der eine enge Auslegung des Begriffs „hypothetische Fragen“ befürwortet hat.


9 – Die Rechtsprechung des Gerichtshofs bestätigt, dass die Zulässigkeitsvorschriften unter Berücksichtigung der Tatsache ausgelegt werden müssen, dass es im Licht nationaler Verfahrensvorschriften, Prozesskosten und der Sorge um die Prozessökonomie keine praktikable Alternative gibt, um dem Gerichtshof solche Fragen vorzulegen. Vgl. z. B. Urteil des Gerichtshofs vom 15. Dezember 1995, Bosman (C-415/93, Slg. 1995, I-4921), insbesondere die Fragen zu den Ausländerklauseln. Diese Fragestellung wird weiter unten im Zusammenhang mit der dritten Vorlagefrage eingehender erörtert.


10 – Alternative Wege, über die die Frage dem Gerichtshof vorgelegt werden könnte, wären offensichtlich sogar noch belastender: vgl. z. B. Urteil des Gerichtshofs vom 30. September 2003, Köbler (C-224/01, Slg. 2003, I-10239).


11 – Urteil des Gerichtshofs vom 4. Juni 2002, Lyckeskog (C-99/00, Lyckeskog, Slg. 2002, I-4839).


12 – Vgl. entsprechend Urteile des Gerichtshofs vom 16. Dezember 1976, Rewe (33/76, Slg. 1976, 1989), vom 14. Dezember 1995, Van Schijndel und Van Veen (verbundene Rechtssachen C-430/93 und C-431/93, Slg. 1995, I-4705, Randnr. 17), und vom 7. Juni 2007, Van der Weerd u. a. (verbundene Rechtssachen C-222/05 bis C-225/05, Slg. 2007, I-4233, Randnr. 28).


13 – Außerdem bestimmt Art. 249/A, dass ein gesondertes Rechtsmittel „auch gegen einen in der zweiten Instanz ergehenden Beschluss eingelegt werden kann, der einen Antrag auf ein Vorabentscheidungsersuchen zurückweist“ (Hervorhebung nur hier).


14 – Dies ergibt sich aus der Regelung betreffend Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 259 des Gesetzes III von 1952 zum Zivilverfahren.


15 – Die Kommission hat geltend gemacht, dass der Vorlagebeschluss rechtskräftig geworden sei. Dieser Umstand ist jedoch nicht vom Vorlagebeschluss erfasst und sollte meines Erachtens keinen Einfluss auf die Entscheidung über die Zulässigkeit der Frage haben.


16 – Vgl. Schlussanträge von Generalanwalt Jacobs im Urteil Österreichischer Gewerkschaftsbund, oben in Fn. 8 angeführt, Nrn. 53 bis 55.


17 – Man könnte sich auch den umgekehrten Fall vorstellen: Das höhere Gericht, bei dem gegen den Vorlagebeschluss Rechtsmittel eingelegt wird, könnte zunächst das Verfahren aussetzen, um den Gerichtshof um eine Vorabentscheidung zur Vereinbarkeit eines solchen Rechtsmittels mit Gemeinschaftsrecht zu ersuchen. Auch ein solcher Fall ist jedoch unwahrscheinlich. Sollte das nationale höhere Gericht sich tatsächlich entschließen, den Gerichtshof um eine Vorabentscheidung zu ersuchen, ist außerdem vernünftigerweise davon auszugehen, dass es schon aus Gründen der Prozessökonomie die materiellrechtlichen gemeinschaftsrechtlichen Fragen vorlegen würde, die ursprünglich vom unteren nationalen Gericht vorgelegt worden waren (wie dies im Urteil des Gerichtshofs vom 9. Juli 1985, 19/84, Pharmon/Hoechst, Slg. 1985, 2281, der Fall war, wo es sich ursprünglich um ein Vorabentscheidungsersuchen eines unteren Gerichts handelte, das unter dem Aktenzeichen 271/80 in das Register eingetragen und gegen das Rechtsmittel eingelegt worden war und das anschließend aus dem Register gestrichen wurde), oder dass es diese Fragen zumindest einbeziehen würde (mit der Folge, dass die ursprüngliche Verfahrensfrage im Licht der Vorlage der materiell-rechtlichen Fragen selbst dem Vorwurf ausgesetzt werden könnte, dass sie hypothetisch sei). Somit befänden sich nationale Gerichte in einer Art Zwickmühle, was wiederum ein Grund dafür sein könnte, weshalb eine solche Frage dem Gerichtshof bisher noch nie ausdrücklich vorgelegt worden ist (vgl. O’Keeffe, D., „Appeals against an Order to Refer under Article 177 of the EEC Treaty“, 9 European Law Review [1984] 87, S. 101).


18 – In seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Rheinmühlen (146/73 und 166/73, Urteil des Gerichtshofs vom 12. Februar 1974, Slg. 1974, 40) hat Generalanwalt Warner in Nr. 44 darauf hingewiesen, dass ein solches Recht zur Einlegung eines Rechtsmittels, das seiner Meinung nach gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, aufgrund nationaler Verfahrensvorschriften mindestens in mehreren Mitgliedstaaten in Kraft sei.


19 – Vgl. auch Urteil des Gerichtshofs vom 9. März 1978, Simmenthal (106/77, Slg. 1978, 629, Randnr. 19).


20 – Urteil des Gerichtshofs vom 16. Januar 1974, Rheinmühlen I (166/73, Slg. 1974, 33, Randnr. 4).


21 – Urteil des Gerichtshofs vom 12. Februar 1974, Rheinmühlen II (146/73, Slg. 1974, 139, Randnr. 3).


22 – Urteil Rheinmühlen II, oben in Fn. 21 angeführt, Randnr. 3, Urteile des Gerichtshofs vom 6. April 1962, De Geus (13/61, Slg. 1962, 45, Randnr. 50), und vom 6. Oktober 1983, Delhaize (verbundene Rechtssachen 2/82, 3/82 und 4/82, Slg. 1983, 2973, Randnr. 9).


23 – Vgl. z. B. Beschlüsse des Gerichtshofs vom 3. Juni 1969, Chanel (31/68, Slg. 1970, 403), und vom 14. Juli 1992, Bosman (C-269/92, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht).


24 – Urteil des Gerichtshofs vom 30. Januar 1974, BRT/SABAM (127/73, Slg. 1974, 51, Randnr. 3). Vgl. auch O’Keeffe, D., „Appeals against an Order to Refer under Article 177 of the EEC Treaty“, 9 European Law Review (1984) 87.


25 – Schlussanträge vom 12. Dezember 1973 (146/73 und 166/73, Slg. 1974, 40).


26 – Vgl. z. B. Chanel, oben in Fn. 23 angeführt.


27 – Sarmiento, D., Poder Judicial e integración europea, Thomson-Civitas, Madrid, 2004, S. 58.


28 – Urteil des Irish Supreme Court vom 17. Juni 1983, Campus Oil Ltd. u. a./Minister for Industry and Energy, Irland, Attorney General, und Irish National Petroleum Co. Ltd. ([1984] 1 CMLR 479).


29 – Art. 16 Abs. 1 des cégnyilvántartásról, a cégnyilvánosságról és a bírosági cégeljárásról szóló 1997. évi CXLV. Törvény (Gesetz CXLV von 1997 über das Handelsregister, gewerbliche Werbung und handelsrechtliche Verfahren). Diese Vorschrift bestimmt: „Sitz … ist der Ort, an dem sich der operative Geschäftssitz befindet, und er muss auf einem Schild angegeben werden.“


30 – Art. 34 Abs. 1 des Gesetzes CXLV von 1997: „Wird der Sitz einer Gesellschaft an einen Ort verlegt, der in die Zuständigkeit eines anderen, mit der Führung des Handelsregisters betrauten Gerichts fällt, ist diese Änderung bei dem Gericht einzutragen, das für den Ort des früheren Sitzes zuständig ist.Das zuletzt genannte Gericht prüft die Anträge, die sich auf Änderungen beziehen, die vor der Änderung des Sitzes eintreten, und bestätigt die Verlegung des Sitzes.“


31 – Edwards, V., EC Company Law, Oxford: Clarendon Press 1999, S. 336.


32 – Ebd.


33 – Vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofs vom 18. November 1999, X und Y (C-200/98, Slg. 1999, I-8261, Randnrn. 26 bis 28), vom 11. März 2004, Hughes de Lasteyrie du Saillant (C-9/02, Slg. 2004, I-2409, Randnrn. 42 und 46), Urteil SEVIC Systems, oben in Fn. 7 angeführt, Randnrn. 14, 22 und 23, und Urteil des Gerichtshofs vom 18. Juli 2007, Oy (C-231/05, Slg. 2007, I-6373, Randnrn. 31 bis 43).


34 – Vgl. auch meine Schlussanträge im Urteil des Gerichtshofs vom 14. September 2006, Alfa Vita Vassilopoulos und Carrefour-Marinopoulos (verbundene Rechtssachen C-158/04 und C-159/04, Slg. 2006, I-8135, Nrn. 41 und 46).


35 – Urteil des Gerichtshofs vom 25. Juli 1991, Factortame u. a. (C-221/89, Slg. 1991, I-3905, Randnr. 20). Vgl. auch Urteile des Gerichtshofs vom 4. Oktober 1991, Kommission/Vereinigtes Königreich (C-246/89, Slg. 1991, I-4585, Randnr. 21), und vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes (C-196/04, Slg. 2006, I-7995, Randnrn. 54 und 66).


36 – Vgl. z. B. Urteil des Gerichtshofs vom 5. Oktober 2004, CaixaBank France (C-442/02, Slg. 2004, I-8961, Randnr. 11 und die dort angeführte Rechtsprechung).


37 – Urteil des Gerichtshofs vom 27. September 1988 (81/87, Slg. 1988, 5483, Randnr. 7).


38 – Urteil Daily Mail und General Trust, Randnrn. 3 und 5.


39 – Urteil Daily Mail und General Trust, Randnr. 8.


40 – Urteil Daily Mail und General Trust, Randnr. 24.


41 – Urteil Daily Mail und General Trust, Randnr. 19: „Im Gegensatz zu natürlichen Personen werden Gesellschaften aufgrund einer Rechtsordnung, beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts aufgrund einer nationalen Rechtsordnung, gegründet. Jenseits der jeweiligen nationalen Rechtsordnung, die ihre Gründung und ihre Existenz regelt, haben sie keine Realität.“


42 – In der Tat ähnelt der Ansatz des Gerichtshofs nun dem Ansatz von Generalanwalt Darmon in seinen Schlussanträgen im Urteil Daily Mail und General Trust.


43 – Urteil des Gerichtshofs vom 9. März 1999 (C-212/97, Slg. 1999, I-1459).


44 – Urteil des Gerichtshofs vom 5. November 2002 (C-208/00, Slg. 2002, I-9919).


45 – Urteil des Gerichtshofs vom 30. September 2003 (C-167/01, Slg. 2003, I-10155).


46 – Urteil Inspire Art, oben in Fn. 45 angeführt, Randnr. 98.


47 – Für einen Überblick und eine kritische Würdigung der Theorien, die die Unterschiede zwischen zum einen dem Urteil Daily Mail und General Trust und zum anderen den Urteilen Centros und Überseering erläutert, vgl. Ringe, W.-G., „No Freedom of Emigration for Companies?“, 2005 European Business Law Review 621.


48 – Vgl. Urteile Centros, oben in Fn. 43 angeführt, Überseering, oben in Fn. 44 angeführt, Inspire Art, oben in Fn. 45 angeführt, Urteil des Gerichtshofs vom 13. April 2000, Baars (C-251/98, Slg. 2000, I-2787, Randnr. 28), und Urteil Hughes de Lasteyrie du Saillant, oben in Fn. 33 angeführt, Randnr. 42.


49 – Urteil Daily Mail und General Trust, oben in Fn. 37 angeführt, Randnr. 16.


50 – Schlussanträge von Generalanwalt Tizzano im Urteil SEVIC Systems, oben in Fn. 7 angeführt, Nr. 45. Die Auffassung des Generalanwalts ist vom Gerichtshof in den Randnrn. 22 und 23 des Urteils bestätigt worden.


51 – Urteil Cadbury Schweppes, oben in Fn. 35 angeführt, Randnr. 37 (Hervorhebung nur hier). Zu beachten ist, dass der Gerichtshof auf Randnr. 96 des Urteils Inspire Art verwiesen hat, jedoch eine leicht abgewandelte Formulierung benutzt hat („mit dem Ziel gegründet worden ist, in den Genuss vorteilhafterer Rechtsvorschriften zu kommen“ statt „nur gegründet wurde, um in den Genuss vorteilhafterer Rechtsvorschriften zu kommen“).


52 – Ebd., Randnrn. 51 bis 55.


53 – Ebd., Randnr. 68.


54 – Vgl. Nr. 9 der Schlussanträge von Generalanwalt Darmon im Urteil Daily Mail und General Trust, oben in Fn. 37 angeführt, und die dort angeführte Rechtsprechung. In meinen Schlussanträgen im Urteil des Gerichtshofs vom 21. Februar 2006, Halifax u. a. (C-255/02, Slg. 2006, I-1609), habe ich den Grundsatz, der den Missbrauch des Gemeinschaftsrechts verbietet, ausführlich erörtert. Vgl. auch R. de la Feria, „Prohibition of abuse of (Community) law: The creation of a new general principle of EC Law through tax“, [2008] 45 CMLR 405-408.


55 – Der Grundsatz des Rechtsmissbrauchs wurde beschrieben als „Droge, die zunächst harmlos erscheint, doch später äußerst unangenehme Folgen haben kann“ (Gutteridge, H.C., „Abuse of Rights“, 5 Cambridge Law Journal, 22, 44, 1933–1935). Daher ist es ratsam, diesen Grundsatz äußerst vorsichtig anzuwenden.


56 – „Es gibt keine Kernsouveränität, die als solche von den Mitgliedstaaten gegen die Gemeinschaft geltend gemacht werden könnte“ (Lenaerts, K., „Constitutionalism and the many faces of federalism“, 38 American Journal of Comparative law [1990], S. 205 f., S. 220). Vgl. z. B. Urteile des Gerichtshofs vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer (C-446/03, Slg. 2005, I-10837, Randnr. 29), und vom 13. März 2007, Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation (C-524/04, Slg. 2007, I-2107, Randnr. 25 [im Bereich Steuern]), vom 14. Januar 1997, Centro-Com (C-124/95, Slg. 1997, I-81, Randnr. 25 [im Bereich Außen- und Sicherheitspolitik]), und vom 11. Dezember 2007, Viking Line (C-438/05, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 40 [im Bereich Sozialpolitik]). Soweit diese Bereiche in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten fallen, sind Letztere dennoch gehalten, bei der Ausübung ihrer Zuständigkeit das Gemeinschaftsrecht zu beachten.


57 – Oben in Fn. 44 angeführt. Diese Rechtssache betraf deutsche Vorschriften, nach denen nur rechtsfähige Personen parteifähig waren, wobei – in strenger Anwendung der Sitztheorie – Gesellschaften nur dann als rechtsfähig galten, wenn ihr tatsächlicher Verwaltungssitz in Deutschland war. Gemäß Randnr. 93 des Urteils des Gerichtshofs kommt der Umstand, dass einer Gesellschaft, die in einem anderen Mitgliedstaat ordnungsgemäß gegründet worden ist und dort ihren satzungsmäßigen Sitz hat, die Parteifähigkeit abgesprochen wird, „der Negierung der … Niederlassungsfreiheit gleich“, die nicht durch Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden kann.


58 – Urteil des Gerichtshofs vom 30. November 1995, Gebhard (C-55/94, Slg. 1995, I-4165, Randnr. 37), Urteil CaixaBank France, oben in Fn. 36 angeführt, Randnr. 11, Urteil des Gerichtshofs vom 28. Februar 2008, Deutsche Shell (C-293/06, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 28).


59 – Urteil Cadbury Schweppes, oben in Fn. 35 angeführt, Randnrn. 51 bis 55.


60 – Urteile Überseering, oben in Fn. 44 angeführt, Randnr. 92, SEVIC Systems, oben in Fn. 7 angeführt, Randnr. 28.


61 – Vgl. entsprechend Art. 8 der Verordnung des Rates (EG) Nr. 2157/2001 vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (ABl. L 294, S. 1).


62 – Dies entspricht z. B. der Regelung, die durch die Verordnung Nr. 2157/2001 eingeführt wurde.


63 – Urteil Überseering, oben in Fn. 44 angeführt, Randnr. 93.


64 – Vgl. auch Urteil SEVIC Systems, oben in Fn. 7 angeführt, Randnrn. 29 und 30.