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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

POIARES MADURO

vom 9. Juli 20091(1)

Rechtssache C-267/08

SPÖ Landesorganisation Kärnten

gegen

Finanzamt Klagenfurt

(Vorabentscheidungsersuchen des Unabhängigen Finanzsenats [Österreich])






1.        Der vorliegende Fall betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 und 2 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie(2). Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob bestimmte finanzielle Transaktionen einer politischen Partei wirtschaftliche Tätigkeiten im Sinne dieser Richtlinie darstellen.

I –    Sachverhalt und Vorlagefragen

2.        Die Berufungswerberin im Ausgangsverfahren ist die Kärntner Landesorganisation der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (im Folgenden: SPÖ). Diese Landesorganisation ist in einzelne Bezirks- und Ortsorganisation untergliedert. Die Landesorganisation besitzt eigene Rechtspersönlichkeit, ebenso die Bezirksorganisation, nicht jedoch die Ortsorganisationen.

3.        Zwischen 1998 und 2004 organisierte die Berufungswerberin für ihre Unterorganisationen im Zusammenhang mit einigen Wahlen in Österreich verschiedene Aktivitäten im Bereich Werbung und Öffentlichkeitsarbeit. Im Wesentlichen fungierte sie als Einkaufsgemeinschaft und erwarb Werbematerial, das sie in der Folge gegen Verrechnung an die Bezirks- und Ortsorganisationen weitergab. Sie veranstaltete auch den alljährlich stattfindenden Parteiball. Diese Tätigkeiten wurden als „Außenwerbung“ bezeichnet; die Schulung von Parteifunktionären wurde im Gegensatz dazu „Innenwerbung“ genannt. Der vorliegende Fall betrifft nur die „Außenwerbung“.

4.        In ihren Steuererklärungen erklärte die SPÖ einige Beträge an steuerpflichtigen Umsätzen im Zusammenhang mit „Außenwerbung“ und machte den Abzug der entsprechenden Vorsteuern geltend. Zwischen der SPÖ und den Steuerbehörden entstand Streit darüber, ob die Berufungswerberin im Rahmen ihrer Außenwerbungstätigkeiten für ihre Unterorganisationen als Steuerpflichtiger im Sinne der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie anzusehen sei, der zum Abzug der in diesem Zusammenhang aufgelaufenen Vorsteuer berechtigt ist. Das Finanzamt Klagenfurt war der Ansicht, dass die SPÖ nicht als Steuerpflichtiger im Sinne der Richtlinie angesehen werden könne. Die SPÖ brachte Berufung an den Unabhängigen Finanzsenat Klagenfurt ein, der dem Gerichtshof die folgenden acht Vorlagefragen gestellt hat:

1.      Ist Art. 4 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie so auszulegen, dass die „Außenwerbung“ der rechtlich selbständigen Landesorganisation einer politischen Partei in Form der Öffentlichkeitsarbeit, Informationstätigkeit, Durchführung von Parteiveranstaltungen, Lieferung von Werbematerial an Bezirksorganisationen und der Ausrichtung und Veranstaltung eines alljährlich stattfindenden Balles (SPÖ-Ball) als wirtschaftliche Tätigkeit anzusehen, wenn dabei Einnahmen aus der (teilweisen) Weiterverrechnung der Ausgaben für die „Außenwerbung“ an die ebenfalls rechtlich selbständigen Gliederungen der Partei (Bezirksorganisationen etc.) und Eintrittsgelder aus der Durchführung des Balles erzielt werden?

2.      Erweist es sich im Rahmen der Beurteilung einer „wirtschaftlichen Tätigkeit“ im Sinne des Art. 4 Abs. 1 und 2 der Sechsten Richtlinie als schädlich, wenn die in Frage 1 genannten Tätigkeiten auf die Landesorganisation „reflektieren“ und demnach auch dieser dienlich sind? Es liegt in der Natur der Sache, dass im Rahmen dieser Tätigkeiten auch die Partei als solche sowie deren politische Ziele und Anschauungen, wenn auch nicht vordergründig, so doch als zwangsläufige Nebenfolge, stets mitbeworben werden.

3.      Kann noch von „wirtschaftlicher Tätigkeit“ im obigen Sinne gesprochen werden, wenn die Ausgaben für die „Außenwerbung“ die aus dieser Tätigkeit erzielten Einnahmen aus der Weiterverrechnung der Ausgaben und aus der Veranstaltung des Balles, nachhaltig mehrfach übersteigen?

4.      Liegt eine „wirtschaftliche Tätigkeit“ auch dann vor, wenn die Weiterverrechnung der Ausgaben nicht nach unmittelbar erkennbaren wirtschaftlichen Kriterien (z. B. Kostenzuweisung nach Verursachung oder Nutzen) erfolgt und es im Wesentlichen den Unterorganisationen anheim gestellt bleibt, ob und in welchem Ausmaß sie sich an den Aufwendungen der Landesorganisationen beteiligen?

5.      Liegt eine „wirtschaftliche Tätigkeit“ auch dann vor, wenn die Verrechung von Werbeleistungen an die Unterorganisationen in Form einer Umlage erfolgt, deren Höhe abhängig ist einerseits von der Anzahl der Mitglieder der betreffenden Unterorganisation, andererseits von der Anzahl der von ihr entsandten Abgeordneten?

6.      Sind nicht zum steuerpflichtigen Entgelt zählende Zuschüsse der öffentlichen Hand (wie etwa Parteienförderung nach dem Kärntner Parteienförderungsgesetz) bei der Frage, ob eine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt, gleichsam als wirtschaftliche Vorteile zu berücksichtigen?

7.      Falls die sogenannte „Außenwerbung“ in isolierter Betrachtung eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Art. 4 Abs. 1 und 2 der Sechsten Richtlinie darstellen sollte: Steht der Umstand, dass die Öffentlichkeitsarbeit und Wahlwerbung zum Kernbereich der Tätigkeit von politischen Parteien gehören und eine conditio sine qua non für die Umsetzung der politischen Ziele und Inhalte bilden, einer Qualifikation dieser Tätigkeit als „wirtschaftliche Tätigkeit“ entgegen?

8.      Sind die von der Landesorganisation erbrachten, als „Außenwerbung“ bezeichneten Tätigkeiten solcherart, dass diese mit von gewerblichen Werbebüros ausgeführten Tätigkeiten im Sinne von Nr. 10 des Anhangs D der Sechsten Richtlinie verglichen werden können bzw. dem Inhalte nach diesen entsprechen? Falls die Frage zu bejahen ist, kann der Umfang der ausgeübten Tätigkeiten bei vorliegender Einnahmen-/Ausgabenstruktur im berufungsverfangenen Zeitraum als „nicht unbedeutend“ qualifiziert werden?

II – Erörterung

5.        Art. 2 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

„Der Mehrwertsteuer unterliegen:

1.      Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt;

2.      die Einfuhr von Gegenständen.“

6.        Art. 4 Abs. 1, 2 und 5 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:

„(1)      Als Steuerpflichtiger gilt, wer eine der in Absatz 2 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten selbständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis.

(2)      Die in Absatz 1 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten sind alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt auch eine Leistung, die die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen umfasst.

(5)      Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten nicht als Steuerpflichtige, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Leistungen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben.

Falls sie jedoch solche Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, gelten sie für diese Tätigkeiten oder Leistungen als Steuerpflichtige, sofern eine Behandlung als Nicht-Steuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. …“

7.        Die vom Gerichtshof zu entscheidende Frage ist, ob die Außenwerbung der Kärntner Landesorganisation der SPÖ eine „wirtschaftliche Tätigkeit“ im Sinne von Art. 4 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie darstellt, wodurch diese Organisation zu einem „Steuerpflichtigen“ nach der Richtlinie würde. Wenn das der Fall ist, steht der Kärntner Landesorganisation das Recht zum Vorsteuerabzug nach Art. 17 der Richtlinie zu; wenn nicht, kann kein solcher Abzug vorgenommen werden.

8.        Schon aufgrund des Wortlauts der einschlägigen Vorschriften ist klar, dass der Begriff „wirtschaftliche Tätigkeiten“ weit ausgelegt werden muss. Wie der Gerichtshof im Urteil T-Mobile Austria erläutert hat, erstreckt sich „der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeiten auf einen weiten Bereich … und [handelt] es sich dabei um einen objektiv festgelegten Begriff …, da die Tätigkeit an sich, unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, betrachtet wird“(3). Daher erfasst Art. 4 „sämtliche Stadien der Erzeugung, des Handels und der Erbringung von Dienstleistungen“(4).

9.        Die in Art. 4 Abs. 2 aufgeführten Tätigkeiten können jedoch nur dann als „wirtschaftliche Tätigkeiten“ angesehen werden, aufgrund deren die Person, die sie ausübt, zum „Steuerpflichtigen“ wird, wenn sie auf nachhaltige Einnahmenerzielung ausgerichtet sind(5). Daraus folgt, dass, wenn eine Tätigkeit nur gelegentlich oder überhaupt nicht zur Erzielung von Einnahmen führt, derjenige, der diese Tätigkeit ausübt, nicht als „Steuerpflichtiger“ mit dem Recht zum Vorsteuerabzug anzusehen ist.

10.      Ferner sieht Art. 2 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie vor, dass „Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen … gegen Entgelt“ der Mehrwertsteuer unterliegen. Das Vorliegen eines Entgelts ist hier Voraussetzung dafür, einen bestimmten Umsatz der Mehrwertsteuer zu unterwerfen. Diese Vorschrift bildet den Abschnitt II, der den Steueranwendungsbereich der Richtlinie insgesamt definiert. Die Auslegung jeder anderen Vorschrift der Richtlinie hat daher vor dem Hintergrund von Art. 2 zu erfolgen. Ich stimme dem Finanzamt Klagenfurt, der griechischen Regierung und der Kommission zu, dass die unentgeltliche Erbringung von Dienstleistungen keine „wirtschaftliche Tätigkeit“ im Sinne von Art. 4 der Richtlinie ist.

11.      Zu beachten ist zunächst, dass nach gefestigter Rechtsprechung des Gerichtshofs die Erbringung von Dienstleistungen nur dann mehrwertsteuerpflichtig ist, wenn „ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der erbrachten Dienstleistung und dem erhaltenen Gegenwert besteh[t]“(6). Ferner hat der Gerichtshof die Auswirkungen des Entgelterfordernisses auf die Erbringung von Informations- und Werbeleistungen bereits untersucht. Das Urteil Hong-Kong Trade(7) betraf die Weigerung der niederländischen Finanzverwaltung, die Niederlassung des Hong-Kong Trade Development Council in den Niederlanden als Steuerpflichtigen anzuerkennen. Die Niederlassung erteilte Händlern kostenlos Auskünfte über Hongkong und über Möglichkeiten des Handels mit Unternehmen aus Hongkong. Der Gerichtshof hat für Recht erkannt, dass die Niederlassung nicht als Steuerpflichtiger angesehen werden konnte, weil keine Einnahmen aus der Auskunftserteilung erzielt wurden. Er hat ausgeführt, dass, wenn „sich die Tätigkeit eines Dienstleistenden ausschließlich darauf [beschränkt], Leistungen ohne unmittelbare Gegenleistung zu erbringen, … es … an einer Besteuerungsgrundlage [fehlt]; diese unentgeltlichen Leistungen unterliegen somit nicht der Mehrwertsteuer. Der Dienstleistende ist in diesem Fall einem Endverbraucher gleichzustellen … Das zwischen ihm und dem Empfänger des Gegenstands oder der Dienstleistung bestehende Rechtsverhältnis fällt nicht unter eine Vertragskategorie, die zum Gegenstand einer … steuerlichen Harmonisierung gemacht werden könnte; insoweit unterscheiden sich unentgeltliche Leistungen in ihrem Wesen von steuerbaren Umsätzen, die im Rahmen des Mehrwertsteuersystems die Vereinbarung eines Preises oder eines Gegenwerts voraussetzen“(8).

12.      Zentral in Auftrag gegebene Werbedienstleistungen waren auch der Gegenstand des Urteils Apple and Pear Development Council(9). Der Council war eine Einrichtung des öffentlichen Rechts, dessen Aufgaben die Werbung für die in England und Wales erzeugten Äpfel und Birnen und die Förderung ihrer Qualität betrafen. Er wurde durch einen von den Erzeugern von Äpfeln und Birnen erhobenen jährlichen Pflichtbeitrag finanziert, der entweder einen bestimmten Höchstbetrag je Hektar mit Apfel- oder Birnbäumen bepflanzter Fläche oder einen bestimmten Höchstbetrag je Einheit von fünfzig Bäumen auf dem Land eines Erzeugers nicht übersteigen durfte. Der Gerichtshof hat ausgeführt, dass die Aufgaben des Council die gemeinsamen Interessen der Erzeuger betrafen und die Vorteile, die sich aus seinen Werbetätigkeiten ergaben, dem gesamten betroffenen Wirtschaftszweig zugute kamen; einzelne Erzeuger kamen nur mittelbar in den Genuss solcher Vorteile. Außerdem bestand keine Beziehung zwischen dem Umfang der Vorteile, die einzelnen Erzeugern erwuchsen, und der Höhe des Pflichtbeitrags, die sie dem Council zahlen mussten. Der Beitrag wurde nicht aufgrund vertraglicher, sondern aufgrund gesetzlicher Verpflichtungen erhoben und konnte vom einzelnen Erzeuger unabhängig davon eingezogen werden, ob die Werbetätigkeit des Council ihm einen Vorteil verschafft hatte. Der Gerichtshof ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Tätigkeiten des Council „keine ‚Dienstleistungen ... gegen Entgelt‘ darstellen“(10).

13.      Der Gerichtshof hat das Zusammenspiel der angeführten Urteile im Urteil Tolsma(11) näher erläutert. Der Kläger im Ausgangsverfahren, Herr Tolsma, war ein Straßenmusikant, der Geldgaben von Passanten sammelte. Die niederländischen Steuerbehörden erhoben Mehrwertsteuer auf diese Tätigkeit. Er machte geltend, dass die Geldgaben nicht der Mehrwertsteuer unterlägen, da die Passanten nicht verpflichtet seien, ihm Geld zu zahlen, und wenn sie sich dazu entschlössen, bestimmten sie den Betrag selbst. Die Steuerbehörden vertraten hingegen den Standpunkt, dass zwischen der erbrachten Dienstleistung und den empfangenen Zahlungen ein unmittelbarer Zusammenhang bestehe, so dass seine Tätigkeit eine Dienstleistung gegen Entgelt darstelle. Der Gerichtshof hat für Recht erkannt, dass „eine Dienstleistung nur dann im Sinne von Artikel 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie ‚gegen Entgelt‘ erbracht wird und somit steuerpflichtig ist, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte Dienstleistung bildet“(12).

14.      Im vorliegenden Fall führt das nationale Gericht im Vorlagebeschluss aus, dass zwischen 1998 und 2003 die Landesorganisation der SPÖ ihre Öffentlichkeitsarbeit und Werbetätigkeit nur zu einem geringen Teil an die Bezirks- und Ortsorganisationen weiterverrechnet habe. Es hätten keine klaren Kriterien für die Bemessung der Weiterverrechnung bestanden, und es scheine den Unterorganisationen freigestanden zu haben, sich – entsprechend ihren finanziellen Ressourcen – an den Aufwendungen der Landesorganisation zu beteiligen. Es stehe fest, dass die SPÖ keine innerparteiliche Regelung für den Verrechnungsmodus gehabt habe. 2004 habe sich die Lage etwas verändert. Ab diesem Jahr seien bestimmte Leistungen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit den Bezirksorganisationen in Form einer „Öffentlichkeitsumlage“ verrechnet worden, deren Höhe sich nach der Zahl der Parteimitglieder des jeweiligen Bezirks und nach der Zahl der vom jeweiligen Bezirk entsandten Abgeordneten bestimmt habe. Diese Gelder hätten jedoch nur einen kleinen Teil des Aufwands der Landesorganisation der SPÖ abgedeckt, die aufgrund ihrer Öffentlichkeitsarbeit und Werbetätigkeit nachhaltige Verluste erzielt habe.

15.      Meines Erachtens entspricht der vorliegende Sachverhalt offenkundig dem in den Urteilen Hong-Kong Trade, Apple and Pear Development Council und Tolsma. Für den Zeitraum 1998 bis 2003 bestand kein System einer regelmäßigen Weiterverrechnung von Öffentlichkeitsausgaben an die Bezirks- und Ortsorganisationen, diese Organisationen waren weder vertraglich noch sonst verpflichtet, sich zu beteiligen, und wenn sie tatsächlich beschlossen, es zu tun, konnten sie die Höhe ihres Beitrags je nach ihrer finanziellen Situation selbst bestimmen. Ein solches Arrangement stellte eine Leistungserbringung ohne unmittelbare Gegenleistung dar.

16.      Das 2004 eingeführte System unterscheidet sich davon in keinem signifikanten Punkt. Wiederum gab es keine reziproken Leistungen: Die Unterorganisationen bezahlten nicht wirklich für die Leistungen, die sie erhielten, da die Höhe der Umlagen, die sie an die Landesorganisation leisteten, nicht dem tatsächlichen Wert von deren Öffentlichkeitsarbeit und Werbetätigkeit entsprach und die Umlagen nach einem Pauschalsatz bestimmt wurden, der auf der Zahl der Parteimitglieder in einem bestimmten Bezirk und der Zahl der vom Bezirk entsandten Abgeordneten beruhte. Deshalb erzielte die Landesorganisation erhebliche und nachhaltige Verluste. Außerdem kam die Öffentlichkeitswirkung aus den Tätigkeiten der Landesorganisation der Partei insgesamt zugute; Vorteile, die den Bezirks- und Ortsorganisationen zugute kamen, waren nicht individueller und unmittelbarer, sondern untergeordneter und mittelbarer Natur.

17.      Schließlich ist ein allgemeinerer Aspekt der Öffentlichkeitsarbeit und Werbung im vorliegenden Fall aufzugreifen. Wie das Finanzamt Klagenfurt und die griechische Regierung zu Recht vorgebracht haben, handelt es sich hier um einen typischen Fall politischer Äußerung. Politische Parteien betreiben Öffentlichkeitsarbeit und Werbekampagnen nicht, um Einnahmen zu erzielen, sondern um ihre Vorstellungen in der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Sie spielen eine zentrale Rolle im System der repräsentativen Demokratie, und die von ihnen organisierten nach außen gerichteten Tätigkeiten gehören zu den Aufgaben, die sie als Akteure innerhalb dieses Systems erfüllen. Die finanziellen Aspekte der Öffentlichkeitsarbeit von Parteien sind gegenüber dem politischen Charakter dieser Öffentlichkeitsarbeit nachrangig. Wenn die Landesorganisation der SPÖ im Hinblick auf verschiedene Wahlen (Gemeinderat, Landtag, Nationalrat und Bundespräsident) „Außenwerbung“ für ihre Unterorganisationen betrieb, handelte sie nicht als ein von finanziellen Erwägungen geleiteter Wirtschaftsteilnehmer, sondern als politische Partei, die einen Wahlsieg anstrebte.

18.      An diesem Ergebnis ändert auch die Tatsache nichts, dass die SPÖ nach den einschlägigen österreichischen Regeln der Parteienförderung Zuschüsse der öffentlichen Hand erhielt. Solche Zahlungen stellen keine Einnahmen aus einer wirtschaftlichen Tätigkeit dar; in einem demokratischen System erhalten Parteien öffentliche Zuschüsse, um ihre politischen Aufgaben zum Wohl der Bürger erfüllen zu können. Tatsächlich stützt das Vorliegen öffentlicher Zuschüsse den Standpunkt, die Öffentlichkeitsarbeit der Berufungswerberin nicht als wirtschaftliche Tätigkeit gegen Entgelt anzusehen. Der österreichische Staat gewährte der SPÖ gerade deshalb Zuschüsse, weil sie keine gewöhnliche Wirtschaftsteilnehmerin ist, sondern eine politische Gruppierung, deren Prioritäten sich von denen eines gewerblichen Unternehmens unterscheiden. Daher besteht auch kein Grund, die Berufungswerberin mit einem gewerblichen Werbebüro zu vergleichen, das, eben seiner Natur nach, in der Werbebranche tätig ist, um Geld zu verdienen. Vielmehr – man möge mir diese ironische Bemerkung verzeihen – wäre es für eine politische Partei im Allgemeinen unangebracht, ihre politische Tätigkeit mit dem Ziel auszuüben, monetären Gewinn zu erzielen: Normalerweise würde das als Korruption angesehen.

19.      Ungeachtet dessen möchte ich darauf hinweisen, dass unter bestimmten Umständen die wirtschaftlichen Tätigkeiten einer politischen Partei auch gewerblicher Natur sein und in der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen gegen Entgelt bestehen können. In der mündlichen Verhandlung hat die griechische Regierung als Beispiele eine Partei, die ein Geschäft für den Verkauf von Bioprodukten eröffnete und betrieb, und eine andere, die Unternehmen Werbemöglichkeiten in ihren Veröffentlichungen verkaufte, genannt. Nach meiner Ansicht sind beide Tätigkeiten „wirtschaftliche Tätigkeiten“ im Sinne der Richtlinie und machen die Partei zum „Steuerpflichtigen“, der der Mehrwertsteuer unterliegt. Dagegen sind die Tätigkeiten der „Außenwerbung“ der Landesorganisation der SPÖ keine solchen Tätigkeiten.

III – Ergebnis

20.      Ich schlage dem der Gerichtshof daher vor, die Vorlagefragen dahin zu beantworten, dass Art. 4 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in dem Sinne auszulegen ist, dass die „Außenwerbung“ der rechtlich selbständigen Landesorganisation einer politischen Partei in Form der Öffentlichkeitsarbeit, Informationstätigkeit, Durchführung von Parteiveranstaltungen, Lieferung von Werbematerial an Bezirksorganisationen und der Ausrichtung und Veranstaltung eines alljährlich stattfindenden Balls nicht als wirtschaftliche Tätigkeit anzusehen ist, wenn dabei Einnahmen aus der (teilweisen) Weiterverrechnung der Ausgaben für die „Außenwerbung“ an die ebenfalls rechtlich selbständigen Gliederungen der Partei (Bezirksorganisationen usw.) und aus Eintrittsgeldern aus der Durchführung des Balles erzielt werden. Eine solche Landesorganisation befindet sich nicht in einer Lage, die der eines gewerblichen Werbebüros vergleichbar ist.

Ferner sind Zuschüsse der öffentlichen Hand, die der politischen Partei nach dem nationalen Parteienförderungsgesetz gewährt werden, keine wirtschaftlichen Vorteile, die die in Frage stehende Tätigkeit zu einer „wirtschaftlichen Tätigkeit“ im Sinne der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie machen.


1 – Originalsprache: Englisch.


2 – Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1).


3 – Urteil des Gerichtshofs vom 26. Juni 2007, T-Mobile Austria u. a. (C-284/04, Slg. 2007, I-5189, Randnr. 35). Vgl. auch Urteil des Gerichtshofs vom 21. Februar 2006, University of Huddersfield (C-223/03, Slg. 2006, I-1751, Randnr. 47).


4 – Urteil des Gerichtshofs vom 26. Juni 2003, MGK-Kraftfahrzeuge-Factoring (C-305/01, Slg. 2003, I-6729, Randnr. 42).


5 – Urteile des Gerichtshofs vom 4. Dezember 1990, van Tiem (C-186/89, Slg. 1990, I-4363, Randnr. 18), vom 29. April 2004, EDM (C-77/01, Slg. 2004, I-4295, Randnr. 48) und vom 26. Juni 2007, T-Mobile Austria u. a., (in Fn. 3 angeführt, Randnr. 38).


6 – Urteile des Gerichtshofs vom 5. Februar 1981, Coöperatieve Aardappelenbewaarplaats (154/80, Slg. 1981, 445, Randnr. 12), und vom 23. November 1988, Naturally Yours Cosmetics Ltd (230/87, Slg. 1988, 6365, Randnr. 11).


7 – Urteil des Gerichtshofs vom 1. April 1982, Hong-Kong Trade (89/81, Slg. 1982, 1277).


8 – Ebd., Randnr. 10.


9 – Urteil des Gerichtshofs vom 8. März 1988, Apple and Pear Development Council (102/86, Slg. 1988, 1443).


10 – Ebd., Randnr. 17.


11 – Urteil des Gerichtshofs vom 3. März 1994, Tolsma (C-16/93, Slg. 1994, I-743).


12 – Ebd., Randnr. 14.