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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

YVES BOT

vom 5. Oktober 2010(1)

Rechtssache C-41/09

Europäische Kommission

gegen

Königreich der Niederlande

„Mehrwertsteuer – Ermäßigter Steuersatz – Lieferung, Einfuhr und Erwerb bestimmter lebender Tiere (Pferde), die nicht für die Zubereitung oder Herstellung von Nahrungs- oder Futtermitteln bestimmt sind“





1.        Nach den Mehrwertsteuervorschriften der Europäischen Union können die Mitgliedstaaten bestimmte, in diesen Vorschriften im Einzelnen aufgeführte Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen einem ermäßigten Steuersatz unterwerfen.

2.        Im vorliegenden Vertragsverletzungsverfahren wirft die Europäische Kommission dem Königreich der Niederlande vor, diese Vorschriften im Hinblick auf Pferde nicht richtig angewandt zu haben. Dieser Mitgliedstaat habe die Lieferung von Pferden unabhängig von der Bestimmung des Tiers einem ermäßigten Steuersatz unterworfen, obwohl dieser Steuersatz nur auf Lieferungen von Pferden anwendbar sei, die für den menschlichen Verzehr oder für die Verfütterung an Tiere bestimmt seien.

3.        In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich zunächst darlegen, dass das Unionsrecht dahin zu verstehen ist, dass die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes bei lebenden Tieren voraussetzt, dass diese zu einer Art gehören, die generell oder in der Regel für den menschlichen Verzehr oder die Verfütterung an Tiere bestimmt ist.

4.        Ich werde dann aufzeigen, dass bei Pferden nicht angenommen werden kann, dass sie eine solche Bestimmung haben, da manche von ihnen als Freizeitpferde, andere wiederum als Turnier- oder Rennpferde gehalten werden. Ich werde daraus folgern, dass die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes bei Pferden an die Voraussetzung zu knüpfen ist, dass das einzelne umgesetzte Pferd für den menschlichen Verzehr oder die Verfütterung an Tiere bestimmt ist.

5.        Ich werde dem Gerichtshof also vorschlagen, die vorliegende Vertragsverletzungsklage für begründet zu erklären.

I –    Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht

6.        Bei den einschlägigen Mehrwertsteuervorschriften des Unionsrechts handelt es sich um die Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates(2) und die Richtlinie 2006/112/EG des Rates(3), die die Sechste Richtlinie mit Wirkung vom 1. Januar 2007 aufgehoben und ersetzt hat.

7.        Nach den Erwägungsgründen 1 und 3 der Richtlinie 2006/112 war die Neufassung der Sechsten Richtlinie erforderlich, um alle anwendbaren Vorschriften in einer überarbeiteten Struktur und Fassung klar und wirtschaftlich darzubieten, im Prinzip, ohne inhaltliche Änderungen vorzunehmen.

8.        So entsprechen die Art. 96 bis 99 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 den Bestimmungen des Art. 12 der Sechsten Richtlinie.

9.        Art. 96 der Richtlinie 2006/112 lautet:

„Die Mitgliedstaaten wenden einen Mehrwertsteuer-Normalsatz an, den jeder Mitgliedstaat als Prozentsatz der Bemessungsgrundlage festsetzt und der für die Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen gleich ist.“

10.      Art. 97 der Richtlinie 2006/112 lautet:

„(1)      Vom 1. Januar 2006 bis zum 31. Dezember 2010 muss der Normalsatz mindestens 15 % betragen.

(2)      Der Rat entscheidet gemäß Artikel 93 des Vertrags über die Höhe des nach dem 31. Dezember 2010 geltenden Normalsatzes.“

11.      Art. 98 der Richtlinie 2006/112 in seiner auf den vorliegenden Rechtsstreit anwendbaren Fassung lautet:

„(1)      Die Mitgliedstaaten können einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden.

(2)      Die ermäßigten Steuersätze sind nur auf die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen der in Anhang III genannten Kategorien anwendbar.

(3)      Zur Anwendung der ermäßigten Steuersätze im Sinne des Absatzes 1 auf Kategorien von Gegenständen können die Mitgliedstaaten die betreffenden Kategorien anhand der Kombinierten Nomenklatur genau abgrenzen.“

12.      Art. 99 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 lautet:

„Die ermäßigten Steuersätze werden als Prozentsatz der Bemessungsgrundlage festgesetzt, der mindestens 5 % betragen muss.“

13.      Anhang III („Verzeichnis der Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, auf die ermäßigte MwSt-Sätze gemäß Artikel 98 angewandt werden können“) enthält mehrere Nummern. Nr. 1 dieses Anhangs, die der Kategorie 1 des Anhangs H der Sechsten Richtlinie entspricht, lautet:

„Nahrungs- und Futtermittel (einschließlich Getränke, alkoholische Getränke jedoch ausgenommen), lebende Tiere, Saatgut, Pflanzen und üblicherweise für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendete Zutaten sowie üblicherweise als Zusatz oder als Ersatz für Nahrungs- und Futtermittel verwendete Erzeugnisse“.

B –    Nationales Recht

14.      In Art. 9 des Gesetzes über die Umsatzsteuer (Wet op de omzetbelasting, im Folgenden: Umsatzsteuergesetz) vom 28. Juni 1968(4) ist bestimmt:

„1.      Die Steuer beträgt 19 %.

2.      Abweichend von Absatz 1 beträgt die Steuer:

a.      6 % für die in der diesem Gesetz als Anhang beigefügten Tabelle I aufgeführten Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen;

…“

15.      In Tabelle I des Umsatzsteuergesetzes sind die Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen aufgeführt, für die der ermäßigte Steuersatz gemäß Art. 9 Abs. 2 Buchst. a dieses Gesetzes gilt. Abschnitt a Nrn. 1 und 4 der Tabelle I lautet:

„a.

1.      Nahrungsmittel, nämlich:

a.      Speisen und Getränke, die üblicherweise für den menschlichen Verzehr bestimmt sind;

b.      Erzeugnisse, die offensichtlich dazu bestimmt sind, für die Zubereitung der in Buchstabe a genannten Speisen und Getränke verwendet zu werden, und die darin ganz oder zum Teil enthalten sind;

c.      Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind, zur Ergänzung oder zum Ersatz der in Buchstabe a genannten Speisen und Getränke verwendet zu werden, wobei alkoholische Getränke nicht als Nahrungsmittel gelten;

4.

a.      Rinder, Schafe, Ziegen, Schweine und Pferde;

b.      andere als die in Buchstabe a genannten Tiere, die offensichtlich für die Herstellung oder Erzeugung der oben in Nummer 1 genannten Nahrungsmittel bestimmt sind, und Tiere, die offensichtlich für die Aufzucht dieser Tiere bestimmt sind;

c.      Innereien der in den Buchstaben a und b genannten Tiere;

d.      Erzeugnisse, die offensichtlich für die Fortpflanzung der in den Buchstaben a und b genannten Tiere bestimmt sind“.

II – Vorverfahren

16.      Am 10. April 2006 richtete die Kommission an das Königreich der Niederlande ein Mahnschreiben wegen möglicher Unvereinbarkeit der Bestimmungen des Umsatzsteuergesetzes über die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf Lieferungen bestimmter, nicht für den menschlichen Verzehr oder die Verfütterung an Tiere bestimmter lebender Tiere, namentlich von Pferden, mit Art. 12 in Verbindung mit Anhang H der Sechsten Richtlinie.

17.      Mit Antwortschreiben vom 27. Juni 2006 räumte das Königreich der Niederlande ein, dass der Anwendungsbereich des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Lieferungen bestimmter lebender Tiere weiter reiche, als es in der Sechsten Richtlinie vorgesehen sei. Es werde ein Gesetzentwurf erarbeitet, um den auf diese Tiere angewandten Steuersatz mit dem in der Sechsten Richtlinie festgelegten in Einklang zu bringen.

18.      Mit Schreiben vom 23. Oktober 2007 richtete die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme an das Königreich der Niederlande; sie machte geltend, dieses Gesetz sei nicht erlassen worden.

19.      Mit Schreiben vom 26. November 2007 antwortete das Königreich der Niederlande auf diese mit Gründen versehene Stellungnahme, dass der Ständige Finanzausschuss der Zweiten Kammer des Parlaments mit der Erörterung des Gesetzentwurfs begonnen habe.

20.      Da die Kommission vom Königreich der Niederlande keinerlei Informationen erhielt, die den Schluss zugelassen hätten, dass das Gesetz endgültig erlassen worden wäre, hat sie die vorliegende Klage erhoben.

III – Anträge und Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

21.      Mit Klageschrift vom 29. Januar 2009 hat die Kommission gegen das Königreich der Niederlande Klage erhoben auf Feststellung, dass dieses dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 12 in Verbindung mit Anhang H der Sechsten Richtlinie (Art. 96 bis 99 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang III der Richtlinie 2006/112) verstoßen hat, dass es auf Lieferungen, Einfuhren und innergemeinschaftliche Erwerbe von bestimmten, üblicherweise nicht für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendeten lebenden Tieren, namentlich Pferden, einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz angewandt hat.

22.      Das Königreich der Niederlande beantragt, die Klage abzuweisen und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

23.      Die Bundesrepublik Deutschland und die Französische Republik, die dem Rechtsstreit auf Seiten des beklagten Mitgliedstaats als Streithelferinnen beigetreten sind, beantragen ebenfalls, die Klage abzuweisen.

24.      Die Kommission macht geltend, dass das Umsatzsteuergesetz den Bestimmungen der Art. 96 bis 99 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang III der Richtlinie 2006/112 zuwiderlaufe, da lebende Tiere, namentlich Pferde, die üblicherweise nicht für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendet würden, nicht unter Nr. 1 dieses Anhangs III fielen.

25.      Wie bei jeder anderen Bestimmung über den ermäßigten Mehrwertsteuersatz seien die Begriffe, mit denen die Gegenstände von Nr. 1 dieses Anhangs III beschrieben seien, eng auszulegen.

26.      Nach dem Wortlaut dieser Nr. 1 sei der ermäßigte Mehrwertsteuersatz anwendbar auf Nahrungs- und Futtermittel. Folglich könne ein solcher Steuersatz auf lebende Tiere sowie Saatgut, Pflanzen und Zutaten nur angewandt werden, wenn diese üblicherweise für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendet würden.

27.      Das Königreich der Niederlande macht geltend, dass die Kommission die Bestimmung der Tabelle I Abschnitt a Nr. 4 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes beanstande, in der einige Tierarten aufgeführt seien, für die der ermäßigte Mehrwertsteuersatz gelte. Die Kommission habe aber im Vorverfahren und in ihrer Klageschrift nicht dargelegt, auf welche anderen Tiere als Pferde sich ihre Klage beziehe.

28.      Im Übrigen habe die Kommission nicht erläutert, warum diese Tierarten, z. B. Rinder oder Schweine, auch üblicherweise nicht als Nahrungs- und Futtermittel verwendet würden.

29.      Die Klage sei also insoweit für unzulässig zu erklären, als sie die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes auf andere bestimmte lebende Tiere als Pferde betreffe.

30.      In Bezug auf Pferde stützt das Königreich der Niederlande seinen Antrag auf Abweisung der Klage auf vier Argumente.

31.      Erstens beruhe die Auffassung der Kommission, dass auf lebende Tiere nur dann ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz angewandt werden könne, wenn sie üblicherweise für die Zubereitung von Nahrungs- oder Futtermitteln verwendet würden, auf einer unrichtigen Auslegung des Wortlauts von Anhang III Nr. 1 der Richtlinie 2006/112.

32.      Die Auslegung, dass sich die Wendung „üblicherweise für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendete“ nicht nur auf Zutaten, sondern auch auf lebende Tiere, Saatgut und Pflanzen beziehe, finde nämlich weder in der niederländischen noch in irgendeiner anderen Sprachfassung dieser Bestimmung eine Stütze.

33.      Vielmehr gehe z. B. aus der deutschen Sprachfassung hervor, dass sich diese Wendung nur auf die Zutaten beziehe. Diese Beschränkung sei logisch, da Saatgut üblicherweise nicht für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendet werde.

34.      Eine solche Beschränkung ergebe sich auch daraus, dass bestimmte Zutaten für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendet würden, z. B. Pfeffer oder Muskat. Hingegen könnten lebende Tiere nicht für die Zubereitung von Nahrungs- oder Futtermitteln verwendet werden; diese würden aus toten Tieren hergestellt.

35.      Folglich könne auf Pferde als lebende Tiere, unabhängig davon, ob sie üblicherweise für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendet würden, ein ermäßigter Steuersatz angewandt werden.

36.      Zweitens macht das Königreich der Niederlande hilfsweise geltend, die Kommission habe keine Tatsachen vorgetragen, aus denen ersichtlich wäre, dass Pferde üblicherweise nicht für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendet würden.

37.      Nach ständiger Rechtsprechung könne sich die Kommission, wenn sie beim Gerichtshof beantrage, eine Vertragsverletzung festzustellen, aber nicht auf irgendeine Vermutung stützen.

38.      Drittens macht das Königreich der Niederlande weiter hilfsweise geltend, dass Pferde tatsächlich üblicherweise für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendet würden.

39.      Insoweit komme es nicht darauf an, dass das einzelne gelieferte Pferd für den Verzehr bestimmt sei, sondern darauf, dass eine bestimmte Kategorie von Tieren üblicherweise für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendet werde.

40.      „Pferde“ seien von Geburt an dazu bestimmt, für die Zubereitung von Nahrungs- oder Futtermitteln verwendet zu werden, auch wenn die Bestimmung eines einzelnen Pferdes vorübergehend geändert werde. Das Königreich der Niederlande beruft sich insoweit auf den Beschluss des Gerichtshofs vom 1. Juni 2006, V.O.F. Dressuurstal Jespers (C-233/05).

41.      Das Königreich der Niederlande beruft sich ferner auf Art. 20 der Verordnung (EG) Nr. 504/2008 der Kommission(5), wonach ein Equide als zur Schlachtung für den menschlichen Verzehr bestimmt gelten solle.

42.      Im Übrigen sei es unmöglich, die Auffassung der Kommission in der Praxis umzusetzen, da bei jeder einzelnen Lieferung eines Pferdes dessen Bestimmung geprüft werden müsste, obwohl aus der Verwendung des Ausdrucks „üblicherweise“ in Anhang III Nr. 1 der Richtlinie 2006/112 hervorgehe, dass es nicht Absicht des Unionsgesetzgebers gewesen sei, dass jedes einzelne Pferd eingestuft wird.

43.      Viertens macht das Königreich der Niederlande höchst hilfsweise geltend, dass Pferde Gegenstände im Sinne von Anhang III Nr. 10 der Richtlinie 2006/112 seien, die in der Regel für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung bestimmt seien. Ein großer Teil der Pferde, die in den Niederlanden und im übrigen Europa aufgezogen würden, befänden sich nämlich in landwirtschaftlichen Betrieben.

44.      Die Bundesrepublik Deutschland macht ergänzend geltend, es sei mit dem Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer, nach dem gleichartige Erzeugnisse einem einheitlichen Steuersatz zu unterwerfen seien, unvereinbar, den anwendbaren Mehrwertsteuersatz von der Verwendung des Pferdes durch den Käufer abhängig zu machen.

45.      Die Französische Republik, die dem Rechtsstreit als Streithelferin in der mündlichen Verhandlung beigetreten ist, macht geltend, zum einen sei Anhang III der Richtlinie 2006/112 dahin zu verstehen, dass er alle lebenden Tiere umfasse, unabhängig von ihrer Bestimmung, und zum anderen seien Pferde jedenfalls üblicherweise für den menschlichen Verzehr bestimmt.

IV – Würdigung

A –    Zur Tragweite der Klage

46.      Mit der vorliegenden Klage möchte die Kommission feststellen lassen, dass das Königreich der Niederlande dadurch gegen seine Verpflichtungen aus dem EU-Mehrwertsteuerrecht verstoßen hat, dass es einen ermäßigten Steuersatz auf Lieferungen, Einfuhren und den innergemeinschaftlichen Erwerb bestimmter lebender Tiere, namentlich von Pferden, anwendet, die üblicherweise nicht für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendet werden.

47.      Das Königreich der Niederlande meint, diese Klage sei unzulässig, soweit sie wegen der Verwendung des Adverbs „namentlich“ andere Tiere als Pferde betreffe.

48.      In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission dargelegt, ihre Klage sei dahin zu verstehen, dass sie nur Pferde betreffe. Das ist also zur Kenntnis zu nehmen. Die vorliegende Vertragsverletzungsklage ist demnach nur insoweit zu prüfen, als sie sich auf Pferde bezieht.

B –    Zur Begründetheit

49.      Nach dem Unionsrecht können die Mitgliedstaaten auf die Lieferung folgender Gegenstände einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anwenden: „Nahrungs- und Futtermittel (einschließlich Getränke, alkoholische Getränke jedoch ausgenommen), lebende Tiere, Saatgut, Pflanzen und üblicherweise für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendete Zutaten sowie üblicherweise als Zusatz oder als Ersatz für Nahrungs- und Futtermittel verwendete Erzeugnisse“.

50.      Der Streit der Parteien über die Auslegung von Nr. 1 des Anhangs III der Richtlinie 2006/112 wirft zwei Fragen auf. Erstens: Ist der ermäßigte Mehrwertsteuersatz nur auf für den menschlichen Verzehr oder die Verfütterung an Tiere bestimmte lebende Tiere anwendbar oder auf alle lebenden Tiere, unabhängig von ihrer Bestimmung? Zweitens, wenn die erste Alternative zutreffen sollte: Ist es ferner erforderlich, dass das einzelne gelieferte Tier für den menschlichen Verzehr oder die Verfütterung an Tiere bestimmt ist, oder genügt es, dass es zu einer Art gehört, die „üblicherweise“ dafür verwendet wird?

51.      Was die erste Frage angeht, macht das Königreich der Niederlande rein vom Wortlaut her gesehen zu Recht geltend, dass nach der deutschen und der niederländischen Sprachfassung dieser Bestimmung der ermäßigte Mehrwertsteuersatz auf alle lebenden Tiere anwendbar ist, unabhängig von deren Bestimmung, da die Bedingung der Verwendung als Nahrungs- oder Futtermittel nur für Zutaten vorgesehen ist(6).

52.      Dagegen stützen die anderen Sprachfassungen der betreffenden Bestimmung diese Auslegung nicht. Bei der Untersuchung des Wortlauts der Bestimmung in den Sprachen der anderen Mitgliedstaaten, die an deren Erarbeitung mitgewirkt haben(7), ist nämlich festzustellen, dass der Wortlaut entweder wie im Fall der englischen Fassung(8) klar mit der Auslegung der Kommission vereinbar ist oder eher für diese spricht(9).

53.      Falls die verschiedenen Sprachfassungen eines Rechtsakts voneinander abweichen, muss dieser nach der Rechtsprechung, damit seine einheitliche Anwendung in der Union gewährleistet ist, anhand seiner Systematik und des mit ihm verfolgten Ziels ausgelegt werden(10). Es ist festzustellen, dass im vorliegenden Fall nach diesen beiden Kriterien der von der Kommission vertretenen Auslegung zu folgen ist.

54.      So ist zur Systematik festzustellen, dass die betreffende Bestimmung aus drei Satzteilen besteht, die alle Nahrungs- und Futtermittel betreffen. Ferner können alle im zweiten Satzteil aufgezählten Elemente, d. h. lebende Tiere, Saatgut und Pflanzen, als Nahrungs- oder Futtermittel verwendet werden, gegebenenfalls nach Zubereitung, bei Tieren also nach Schlachtung.

55.      Daraus, dass diese Aufzählung von zwei Satzteilen umrahmt wird, in denen ausdrücklich auf Nahrungs- und Futtermittel Bezug genommen wird, ergibt sich also, dass die am Ende dieses Satzteils nach dem Wort „Zutaten“ genannte Bedingung, nämlich, dass sie üblicherweise für die Zubereitung von Nahrungs- oder Futtermitteln verwendet werden, für jedes der aufgezählten Elemente gilt.

56.      Schließlich entspricht diese Auslegung dem mit Anhang H der Sechsten Richtlinie bzw. Anhang III der Richtlinie 2006/112 verfolgten Ziel.

57.      Da die Mehrwertsteuer eine Verbrauchsteuer darstellt, die in vollem Umfang vom Endverbraucher getragen wird, wird durch die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes der Kaufpreis des Produkts für den Endverbraucher gesenkt und somit der Zugang zu diesem Produkt erleichtert. In Anhang H der Sechsten Richtlinie bzw. in Anhang III der Richtlinie 2006/112 sind also diejenigen Umsätze aufgeführt, bei denen diese Steuervergünstigung für die Verbraucher nach Auffassung des Unionsgesetzgebers gerechtfertigt ist.

58.      Vor diesem Hintergrund ist es logisch, dass in Nr. 1 dieser Anhänge an erster Stelle Nahrungs- und Futtermittel aufgeführt sind und folglich alle Bestandteile, die bei deren Herstellung verwendet werden, wie lebende Tiere. Hingegen fallen andere Tiere, die nach den Gepflogenheiten in Europa nicht dafür verwendet werden können, wie z. B. Haustiere, nicht unter diese Nr. 1.

59.      Wenn der Unionsgesetzgeber auch diese Tiere in den Genuss des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes hätte kommen lassen wollen, hätte er hierzu in Anhang H der Sechsten Richtlinie bzw. Anhang III der Richtlinie 2006/112 eine weitere Kategorie hinzufügen müssen, wie er es in Anhang III Nr. 11 der Richtlinie 2006/112 für die für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung bestimmten Tiere getan hat.

60.      Das mit der in Rede stehenden Bestimmung verfolgte Ziel stützt meines Erachtens also die Auslegung der Kommission, dass Tiere nicht unter diese Bestimmung fallen, soweit sie nicht für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln bestimmt sind.

61.      Es bleibt zu untersuchen, ob diese Bedingung für jedes einzelne Pferd zu prüfen ist. Diese Frage stellt sich nämlich wegen der Verwendung des Adverbs „üblicherweise“ im zweiten Satzteil der in Rede stehenden Bestimmung.

62.      Das Königreich der Niederlande weist zu Recht darauf hin, dass sich aus der Verwendung dieses Adverbs der Wille des Unionsgesetzgebers ergibt, dass der ermäßigte Mehrwertsteuersatz automatisch auf die in dieser Bestimmung genannten Produkte angewandt wird, wenn ein solches Produkt gewöhnlich und allgemein zur Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln bestimmt ist.

63.      Das Unionsrecht ist also dahin zu verstehen, dass, wenn davon ausgegangen werden kann, dass ein Produkt oder Tier gewöhnlich und allgemein für die Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendet wird, die entsprechenden Umsätze dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz unterworfen werden können, ohne das bei jedem einzelnen Umsatz zu prüfen wäre, ob diese Bestimmung tatsächlich auch eingehalten wird.

64.      Somit können Umsätze, die Tiere wie Rinder, Ziegen oder Schweine betreffen, dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz unterworfen werden, weil diese Tiere anders als Haustiere gewöhnlich und allgemein als Nahrungs- oder Futtermittel verwendet werden.

65.      Die Situation der Pferde unterscheidet sich aber von der der genannten Tiere; anders als Letztere sind diese nämlich nicht gewöhnlich und allgemein für den menschlichen Verzehr bestimmt. Zwar sind bestimmte Pferde durchaus für den menschlichen Verzehr bestimmt; andere werden aber wie echte Haustiere behandelt. Sie zu essen oder an eine Metzgerei zu verkaufen, wäre für deren Halter oder Besitzer genauso undenkbar wie, eine Katze oder einen Hund zu verzehren.

66.      Vor allem sind viele Pferde für die Teilnahme an sportlichen Wettbewerben bestimmt. Mit ihnen können beachtliche Gewinne erzielt werden, und sie können mithin Gegenstand sehr hoher Umsätze sein(11).

67.      Diese für die Teilnahme an sportlichen Wettbewerben gezüchteten Tiere können zwar am Ende ihres Lebens oder in dem Fall, dass sie die erhofften Leistungen nicht erbringen, als Schlachttiere verwendet werden. So behalten sie einen Verkehrswert und werden bis zur Schlachtung angemessen gepflegt, wenn sie nicht das Glück haben, einen großzügigen Eigentümer zu finden, der ihre Pflege bis zu ihrem natürlichen Tod übernimmt.

68.      Wegen der Möglichkeit einer solchen Verwendung hat der Unionsgesetzgeber, um zu gewährleisten, dass durch diese Verwendung keine Gefahr für die Gesundheit begründet wird, in der vom Königreich der Niederlande angeführten Verordnung Nr. 504/2008 vorgesehen, dass bei der Anordnung einer jeden medizinischen Behandlung eines Pferdes von der Vermutung auszugehen ist, dass das Tier mangels eindeutiger anderer Angaben in seinem Identifizierungsdokument zur Schlachtung für den menschlichen Verzehr bestimmt ist.

69.      Diese Vermutung kann meines Erachtens aber nicht rechtfertigen, alle Umsätze von Pferden unabhängig von deren Bestimmung dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu unterwerfen. Denn zum einen kann diese Vermutung gemäß Art. 20 der Verordnung Nr. 504/2008 widerlegt werden, woraus gut ersichtlich ist, dass der Unionsgesetzgeber davon ausgegangen ist, dass nicht alle Pferde zur Schlachtung für den menschlichen Verzehr oder die Verfütterung an Tiere bestimmt sind. Zum anderen spiegelt eine solche Vermutung, was Turnier- und Rennpferde angeht, wirtschaftlich betrachtet nur einen Randaspekt der Verwendung des Tieres wider. Sie darf nicht den Blick dafür verstellen, dass die Pferde in Wirklichkeit, bevor sie unter Umständen als Schlachttiere verwendet werden, für andere Zwecke aufgezogen werden als für die Produktion von Nahrungs- oder Futtermitteln und somit dafür bestimmt sind, durch den Verkauf als Turnier- oder Rennpferd oder gegebenenfalls als Freizeitpferd sehr beachtliche Gewinne zu generieren.

70.      Die in Rede stehenden Bestimmungen der Sechsten Richtlinie und der Richtlinie 2006/112 sind aber gerade erlassen worden, um den Kaufpreis von Nahrungs- und Futtermitteln zu senken, und sie sind, weil sie einen Mehrwertsteuersatz vorsehen, der vom normalen Steuersatz abweicht, eng auszulegen(12). Wie bereits ausgeführt, soll mit diesen Bestimmungen nicht allgemein die Erzeugung von Pferden gefördert werden.

71.      Die Kommission vertritt meines Erachtens also zu Recht die Auffassung, dass bei Pferden nicht angenommen werden kann, dass sie üblicherweise für den menschlichen Verzehr oder die Verfütterung an Tiere bestimmt sind. Mithin ist die Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes beim Umsatz von Pferden davon abhängig zu machen, dass das einzelne Pferd für diese Verwendung bestimmt ist.

72.      Gegen diese Auslegung machen das Königreich der Niederlande und die Bundesrepublik Deutschland geltend, dass diese Bedingung schwer durchzusetzen sei. Dieses Vorbringen überzeugt mich nicht.

73.      Die Kommission weist zu Recht darauf hin, dass die den Anspruch auf die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes begründende Bestimmung des Pferdes anhand objektiver Merkmale wie der Person des Erwerbers des Pferdes, der Rasse des Tieres und des Entgelts für den Umsatz ermittelt werden kann.

74.      So muss dieser Steuersatz z. B. angewandt werden können, wenn ein Pferd für berufliche Zwecke von jemandem gekauft wird, der der Pferdefleischbranche angehört, da die berufliche Tätigkeit des Erwerbers eine bestimmte Verwendung des Tiers vermuten lässt.

75.      Ebenso kann die Rasse des Pferdes ein aussagekräftiges Indiz darstellen, da Zugpferde z. B. im Gegensatz zu leichteren Pferden zu einem großen Teil für den menschlichen Verzehr bestimmt sind. Schließlich kann vor allem auch der Preis ein ausschlaggebendes objektives Kriterium darstellen, da ein Schlachtpferd, wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, nach Gewicht verkauft wird, während der Preis eines für eine andere Verwendung bestimmten Pferdes ein aus mehreren Elementen gebildeter Gesamtpreis ist, der auf der Grundlage aller Eigenschaften des Tiers festgelegt wird und oft höher oder sehr viel höher ist.

76.      Die Bundesrepublik Deutschland macht noch geltend, dass die von der Kommission vertretene Auslegung der in Rede stehenden Bestimmungen gegen den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer verstoße. Auch dieses Vorbringen überzeugt mich nicht.

77.      Der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer, auf dem das gemeinsame System dieser Steuer beruht, verbietet es nach der Rechtsprechung, gleichartige und deshalb miteinander im Wettbewerb stehende Waren oder Dienstleistungen unterschiedlich zu behandeln(13).

78.      Den Mehrwertsteuersatz von der Bestimmung eines Pferdes abhängig zu machen, verstößt meines Erachtens nicht gegen diesen Grundsatz, da dieser Unterschied in der Bestimmung gleichzeitig bedeutet, dass unterschiedliche wirtschaftliche Situationen vorliegen, in denen die betreffenden Pferde nicht miteinander in Wettbewerb stehen. So steht ein Turnier-, Renn- oder Freizeitpferd, wenn es als solches verkauft wird, nicht im Wettbewerb mit einem Schlachtpferd und umgekehrt.

79.      Im Übrigen steht dem meines Erachtens nicht entgegen, dass ein und dasselbe Pferd in verschiedenen Abschnitten seines Lebens nacheinander für alle diese Zwecke verwendet werden kann, da es sich in diesen Abschnitten jeweils nur mit den Tieren im Wettbewerb befindet, die dieselbe Bestimmung haben können.

80.      Die Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes Pferden vorzubehalten, die speziell für den menschlichen Verzehr oder die Verfütterung an Tiere bestimmt sind, verstößt deshalb meines Erachtens nicht gegen den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer.

81.      Das Königreich der Niederlande macht ferner geltend, die vorliegende Klage sei abzuweisen, da die Kommission es unterlassen habe, tatsächliche Angaben zu machen, aus denen ersichtlich wäre, dass Pferde üblicherweise nicht für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendet würden.

82.      Dem ist meines Erachtens nicht zu folgen. Meiner Ansicht nach oblag es der Kommission nicht, solche Angaben zu machen. Denn selbst wenn Pferde in den Niederlanden derzeit ausschließlich zur Verwendung als Nahrungs- oder Futtermittel aufgezogen werden sollten, wäre das Königreich der Niederlande dennoch verpflichtet, seine Regelung mit dem Unionsrecht in Einklang zu bringen.

83.      Wenn eine Tätigkeit, auf die sich eine Richtlinie bezieht, in einem Mitgliedstaat nicht besteht, entbindet dies den Mitgliedstaat nach ständiger Rechtsprechung nämlich nicht von seiner Verpflichtung, die Richtlinie umzusetzen(14). Das Nichtbestehen dieser Tätigkeit wird für unerheblich erachtet, weil nach Ansicht des Gerichtshofs nicht nur jeder Änderung der tatsächlichen Situation zuvorgekommen, sondern insbesondere unter allen Umständen eine effektive Anwendung der Richtlinien gewährleistet werden soll. Mit anderen Worten: Der Gerichtshof sieht die Mitgliedstaaten als verpflichtet an, innerhalb der in der Richtlinie gesetzten Frist den rechtlichen Rahmen für deren effektive Anwendung zu schaffen, selbst wenn dieser rechtliche Rahmen in der Praxis nicht sofort Anwendung findet.

84.      Dass in den Niederlanden möglicherweise keine Turnier- oder Rennpferde gezüchtet und Pferde dort nicht als Haustiere angesehen werden, kann das Königreich der Niederlande nach dieser Rechtsprechung also nicht von der Verpflichtung befreien, in seiner Regelung vorzusehen, dass die Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes bei Umsätzen von Pferden voraussetzt, dass das betreffende Pferd für den menschlichen Verzehr oder die Verfütterung an Tiere bestimmt ist, weil sich eine solche Situation, angenommen, sie liegt tatsächlich vor, ändern kann.

85.      Die Kommission vertritt deshalb zu Recht die Auffassung, dass das Königreich der Niederlande dadurch gegen Art. 12 in Verbindung mit Anhang H der Sechsten Richtlinie und die Art. 96 bis 99 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang III Nr. 1 der Richtlinie 2006/112 verstoßen hat, dass es für Umsätze von Pferden einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz vorgesehen hat, ohne die Anwendung dieses ermäßigten Steuersatzes davon abhängig zu machen, dass das umgesetzte Pferd für den menschlichen Verzehr oder die Verfütterung an Tiere bestimmt ist.

86.      Schließlich macht das Königreich der Niederlande geltend, dass die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf Umsätze mit Pferden gerechtfertigt sei, weil Pferde unter Anhang III Nr. 11 der Richtlinie 2006/112 fielen; Pferde seien als Gegenstände anzusehen, die in der Regel für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung bestimmt seien(15). Ein großer Teil der in den Niederlanden und im übrigen Europa gezüchteten Pferde befinde sich nämlich in landwirtschaftlichen Betrieben. Ferner gehe aus der Verwendung der adverbialen Bestimmung „in der Regel“ in Nr. 11 dieses Anhangs hervor, dass die Anwendung dieser Nr. 11 nicht deswegen ausgeschlossen sei, weil ein Pferd vorübergehend z. B. als Turnier- oder Rennpferd verwendet werde.

87.      Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen. Ich teile die Auffassung der Kommission. Wie das Königreich der Niederlande selbst einräumt, fallen unter Anhang III Nr. 11 der Richtlinie 2006/112 Gegenstände und Dienstleistungen, die für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung bestimmt sind, und die Teilnahme von Pferden an Rennen gehört nicht zu dieser Tätigkeit. Ein Umsatz mit einem für die Teilnahme an Rennen bestimmten Pferd fällt somit nicht in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung.

88.      Folglich vermag Anhang III Nr. 11 der Richtlinie 2006/112 die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf einen Umsatz mit einem Pferd, unabhängig davon, wofür dieses bestimmt ist, nicht zu rechtfertigen.

89.      Diese Auslegung wird durch das Argument des Königreichs der Niederlande betreffend die Verwendung der adverbialen Bestimmung „in der Regel“ in der fraglichen Bestimmung nicht in Frage gestellt, da die im Zusammenhang mit Anhang III Nr. 1 der Richtlinie 2006/112 zur Tragweite dieser adverbialen Bestimmung gemachten Ausführungen, was Pferde angeht, meines Erachtens entsprechend für die Auslegung von Nr. 11 dieses Anhangs gelten.

90.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vorliegende Vertragsverletzungsklage für begründet zu erklären und dem Königreich der Niederlande gemäß Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung als der unterliegenden Partei die Kosten aufzuerlegen.

91.      Die anderen Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, haben gemäß Art. 69 § 4 der Verfahrensordnung ihre eigenen Kosten zu tragen.

V –    Ergebnis

92.      Ich schlage dem Gerichtshof deshalb vor,

–        die vorliegende Vertragsverletzungsklage insoweit für zulässig und begründet zu erklären, als dem Königreich der Niederlande vorgeworfen wird, unter Verstoß gegen Art. 12 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in Verbindung mit Anhang H dieser Richtlinie (Art. 96 bis 99 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in Verbindung mit deren Anhang III) einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf Lieferungen, Einfuhren und innergemeinschaftliche Erwerbe von Pferden angewandt zu haben, ohne die Anwendung dieses ermäßigten Steuersatzes davon abhängig zu machen, dass das umgesetzte Pferd für den menschlichen Verzehr oder die Verfütterung an Tiere bestimmt ist;

–        die Klage im Übrigen abzuweisen;

–        dem Königreich der Niederlande die Kosten aufzuerlegen und festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland und die Französische Republik ihre eigenen Kosten tragen.


1 – Originalsprache: Französisch.


2 – Richtlinie vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).


3 – Richtlinie vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1).


4 – Staatsblad 1968, Nr. 329.


5 – Verordnung vom 6. Juni 2008 zur Umsetzung der Richtlinien 90/426/EWG und 90/427/EWG des Rates in Bezug auf Methoden zur Identifizierung von Equiden (ABl. L 149, S. 3).


6 – Für die deutsche Sprachfassung siehe Nr. 13 der vorliegenden Schlussanträge.


In der niederländischen Sprachfassung lautet die Bestimmung:


„1) Levensmiddelen (met inbegrip van dranken, maar met uitsluiting van alcoholhoudende dranken) voor menselijke en dierlijke consumptie, levende dieren, zaaigoed, planten en ingrediënten die gewoonlijk bestemd zijn voor gebruik bij de bereiding van levensmiddelen, alsmede producten die gewoonlijk bestemd zijn ter aanvulling of vervanging van levensmiddelen“.


7 – Die Harmonisierung der Mehrwertsteuersätze und die Beifügung des Anhangs H der Sechsten Richtlinie gehen auf die Richtlinie 92/77/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG (Annäherung der MWSt.-Sätze) (ABl. L 316, S. 1) zurück. Wir haben es also mit einem von der „Zwölfergemeinschaft“ erlassenen Rechtsakt zu tun.


8 – Die englische Fassung lautet:


„(1) Foodstuffs (including beverages but excluding alcoholic beverages) for human and animal consumption; live animals, seeds, plants and ingredients normally intended for use in the preparation of foodstuffs; products normally used to supplement foodstuffs or as a substitute for foodstuffs“.


9 – Die griechische, die spanische, die italienische und die portugiesische Fassung lauten:


„1) Τα τρόφιμα (περιλαμβανομένων των ποτών, εκτός των αλκοολούχων) που προορίζονται για κατανάλωση από ανθρώπους ή από ζώα, τα ζώντα ζώα, οι σπόροι, τα φυτά και τα συστατικά που χρησιμοποιούνται συνήθως στην παρασκευή τροφίμων, τα προϊόντα που χρησιμοποιούνται συνήθως για τη συμπλήρωση ή υποκατάσταση τροφίμων“.


„1) Los productos alimenticios (incluidas las bebidas, pero con exclusión de las bebidas alcohólicas) para consumo humano o animal, los animales vivos, las semillas, las plantas y los ingredientes utilizados normalmente en la preparación de productos alimenticios; los productos utilizados normalmente como complemento o sucedáneo de productos alimenticios“.


„1) Prodotti alimentari (incluse le bevande, ad esclusione tuttavia delle bevande alcoliche) destinati al consumo umano e animale, animali vivi, sementi, piante e ingredienti normalmente destinati ad essere utilizzati nella preparazione di prodotti alimentari, prodotti normalmente utilizzati per integrare o sostituire prodotti alimentari“.


„1) Produtos alimentares (incluindo bebidas, com excepção das bebidas alcoólicas) destinados ao consumo humano e animal, animais vivos, sementes, plantas e ingredientes normalmente destinados à preparação de alimentos, bem como produtos normalmente destinados a servir de complemento ou de substituto de produtos alimentares“.


10 – Vgl. u. a. Urteil des Gerichtshofs vom 15. Oktober 2009, Djurgården-Lilla Värtans Miljöskyddsförening (C-263/08, Slg. 2009, I-0000, Randnrn. 25 und 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).


11 – In Deauville (Frankreich), einer Hochburg des Handels mit Turnier- und Rennpferden weltweit, wurde vom 13. bis 16. August 2010 beim Verkauf von 285 Jährlingen (18 Monate alte Fohlen) ein Umsatz von 26 898 000 Euro, also ein Kaufpreis von durchschnittlich 94 397 Euro pro Pferd, erzielt (www.arquana.com).


12 – Vgl. u. a. Urteil des Gerichtshofs vom 18. Januar 2001, Kommission/Spanien (C-83/99, Slg. 2001, I-445, Randnrn. 18 und 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).


13 – Vgl. u. a. Urteil des Gerichtshofs vom 11. Oktober 2001, Adam (C-267/99, Slg. 2001, I-7467, Randnrn. 36 und 41).


14 – Vgl. Urteile des Gerichtshofs vom 15. März 1990, Kommission/Niederlande (C-339/87, Slg. 1990, I-851, Randnrn. 22, 25 und 32), vom 16. November 2000, Kommission/Griechenland (C-214/98, Slg. 2000, I-9601, Randnrn. 22 bis 27), vom 13. Dezember 2001, Kommission/Irland (C-372/00, Slg. 2001, I-10303, Randnr. 11), und vom 30. Mai 2002, Kommission/Vereinigtes Königreich (C-441/00, Slg. 2002, I-4699, Randnr. 15).


15 – Anhang III Nr. 11 der Richtlinie 2006/112 lautet:


„Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die in der Regel für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung bestimmt sind, mit Ausnahme von Investitionsgütern wie Maschinen oder Gebäuden“.