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SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 6. Mai 2010(1)

Rechtssache C-84/09

X

gegen

Skatteverket

(Vorabentscheidungsersuchen des Regeringsrätt, Schweden)

„Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Innergemeinschaftlicher Erwerb eines neuen Segelboots – Nutzung des Gegenstands im Ursprungsstaat oder einem anderen Mitgliedstaat vor der Verbringung in den Bestimmungsstaat – Frist für den Beginn des Transports in den Bestimmungsstaat – Erheblicher Zeitpunkt für die Bestimmung der Eigenschaft als neues Fahrzeug“





I –    Einleitung

1.        Mit dieser Vorlage ersucht das Regeringsrätt aus Schweden den Gerichtshof um eine Auslegung der Regelungen der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem(2) (im Folgenden: Richtlinie 2006/112) über den innergemeinschaftlichen Erwerb.

2.        Konkret geht es um die steuerliche Behandlung des Erwerbs eines neuen Segelboots, das der Käufer X beabsichtigt, im Vereinigten Königreich zu übernehmen, drei bis fünf Monate dort oder in einem anderen Mitgliedstaat zu benutzen und anschließend an seinen Wohnort in Schweden zu überführen. X steht auf dem Standpunkt, dies stelle eine im Ursprungsstaat zu versteuernde inländische Lieferung dar. Die schwedische Finanzverwaltung meint dagegen – im Verfahren vor dem Gerichtshof unterstützt von der deutschen Regierung und der Kommission –, dass (trotz der Zäsur) ein innergemeinschaftlicher Erwerb in Schweden vorliege.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht

3.        Der elfte Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/112 lautet:

„Ferner sollten in dieser Übergangszeit in den Bestimmungsmitgliedstaaten der innergemeinschaftliche Erwerb, der von steuerbefreiten Steuerpflichtigen oder von nichtsteuerpflichtigen juristischen Personen in Höhe eines bestimmten Betrags getätigt wird, sowie bestimmte innergemeinschaftliche Versandgeschäfte und Lieferungen neuer Fahrzeuge, die an Privatpersonen oder an steuerbefreite oder nichtsteuerpflichtige Einrichtungen bewirkt werden, zu den Sätzen und Bedingungen dieser Mitgliedstaaten insofern besteuert werden, als die Behandlung dieser Umsätze ohne besondere Bestimmungen zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedstaaten führen könnten.“

4.        Die maßgeblichen Passagen des Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 lauten:

„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:

a)       Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt;

b)       der innergemeinschaftliche Erwerb von Gegenständen im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt

ii)      wenn der betreffende Gegenstand ein neues Fahrzeug ist, durch einen Steuerpflichtigen oder eine nichtsteuerpflichtige juristische Person, deren übrige Erwerbe gemäß Artikel 3 Absatz 1 nicht der Mehrwertsteuer unterliegen, oder durch jede andere nichtsteuerpflichtige Person; …“

5.        Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112 bestimmt ergänzend:

„a)       Für Zwecke des Absatzes 1 Buchstabe b Ziffer ii gelten als ‚Fahrzeug‘ folgende Fahrzeuge zur Personen- oder Güterbeförderung:

ii)       Wasserfahrzeuge mit einer Länge von mehr als 7,5 Metern, ausgenommen Wasserfahrzeuge, die auf hoher See im entgeltlichen Passagierverkehr, zur Ausübung einer Handelstätigkeit, für gewerbliche Zwecke oder zur Fischerei eingesetzt werden, Bergungs- und Rettungsschiffe auf See sowie Küstenfischereifahrzeuge;

b)       Diese Fahrzeuge gelten in folgenden Fällen als ‚neu‘:

ii)      Wasserfahrzeuge: wenn die Lieferung innerhalb von drei Monaten nach der ersten Inbetriebnahme erfolgt oder wenn das Fahrzeug höchstens 100 Stunden zu Wasser zurückgelegt hat;

c)      Die Mitgliedstaaten legen fest, unter welchen Voraussetzungen die in Buchstabe b genannten Angaben als gegeben gelten.“

6.        Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 definiert den Begriff der „Lieferung von Gegenständen“ wie folgt:

„Als Lieferung von Gegenständen gilt die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.“

7.        Nach Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 gilt „[a]ls innergemeinschaftlicher Erwerb von Gegenständen … die Erlangung der Befähigung wie ein Eigentümer über einen beweglichen körperlichen Gegenstand zu verfügen, der durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung befand, an den Erwerber versandt oder befördert wird.“

8.        Gemäß Art. 40 der Richtlinie 2006/112 gilt als Ort eines innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen der Ort, an dem sich die Gegenstände zum Zeitpunkt der Beendigung der Versendung oder Beförderung an den Erwerber befinden.

9.        Art. 68 der Richtlinie 2006/112 normiert für den Zeitpunkt des Eintretens des Steuertatbestands bei einem innergemeinschaftlichen Erwerb den Zeitpunkt, zu dem der innergemeinschaftliche Erwerb von Gegenständen bewirkt wird. Dabei gilt der Erwerb gemäß Art. 68 zu dem Zeitpunkt als bewirkt, zu dem die Lieferung gleichartiger Gegenstände innerhalb des Mitgliedstaats als bewirkt gilt.

10.      Art. 138 der Richtlinie 2006/112 regelt die Befreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen wie folgt:

„(1) Die Mitgliedstaaten befreien die Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb ihres jeweiligen Gebiets, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden von der Steuer, wenn diese Lieferung an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt wird, der/die als solche/r in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns der Versendung oder Beförderung der Gegenstände handelt.

(2) Außer den in Absatz 1 genannten Lieferungen befreien die Mitgliedstaaten auch folgende Umsätze von der Steuer:

a)      die Lieferungen neuer Fahrzeuge, die durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre Rechnung an den Erwerber nach Orten außerhalb ihres jeweiligen Gebiets, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden, wenn die Lieferungen an Steuerpflichtige oder nichtsteuerpflichtige juristische Personen, deren innergemeinschaftliche Erwerbe von Gegenständen gemäß Artikel 3 Absatz 1 nicht der Mehrwertsteuer unterliegen, oder an eine andere nichtsteuerpflichtige Person bewirkt werden; …“

B –    Schwedisches Recht

11.      Nach Kapitel 1 § 1 Mervärdesskattelag (Mehrwertsteuergesetz) (1994:200, im Folgenden: ML) ist an den Staat Mehrwertsteuer zu entrichten auf u. a. den inländischen Umsatz von Gegenständen, der steuerbar ist und im Rahmen einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit bewirkt wird, sowie auf den steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen, die bewegliche Sachen sind. Nach Kapitel 2a § 3 ML liegt ein innergemeinschaftlicher Erwerb eines Gegenstands vor, wenn der Erwerb ein so genanntes neues Fahrzeug im Sinne von Kapitel 1 § 13a ML betrifft.

12.      Gemäß Kapitel 3 § 30a ML ist der Umsatz von neuen Fahrzeugen, die durch den Verkäufer oder Käufer oder für Rechnung eines von ihnen von Schweden nach einem anderen Mitgliedstaat befördert werden, von der Steuer befreit, und zwar auch dann, wenn der Käufer nicht für die Zwecke der Mehrwertsteuer registriert ist.

13.      Nach Kapitel 2a § 2 ML liegt ein innergemeinschaftlicher Erwerb vor, wenn ein Gegenstand gegen Entgelt erworben wird und zum Erwerber von ihm selbst oder vom Verkäufer oder für Rechnung eines von ihnen aus einem anderen Mitgliedstaat nach Schweden befördert wird.

14.      Gemäß Kapitel 1 § 13a ML gelten als neue Fahrzeuge u. a. Wasserfahrzeuge – von bestimmten hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen – mit einer Länge von mehr als 7,5 Metern, sofern sie innerhalb von drei Monaten nach der ersten Inbetriebnahme gegen Entgelt überlassen werden oder vor der Überlassung höchstens 100 Stunden zu Wasser zurückgelegt haben.

III – Sachverhalt und Vorlagefragen

15.      Die in Schweden ansässige Privatperson X beabsichtigt, im Vereinigten Königreich ein Segelboot mit einer Länger von mehr als 7,5 Metern für ihren privaten Gebrauch zu erwerben. Nach der Auslieferung will X das Segelboot entweder im Ursprungsstaat für einen Zeitraum von drei bis fünf Monaten für Freizeitzwecke verwenden und dabei mit ihm mehr als 100 Stunden segeln, oder alternativ hierzu das Segelboot unmittelbar nach der Auslieferung aus dem Ursprungsstaat ausführen und in einem anderen Mitgliedstaat als Schweden in gleicher Weise einsetzen. In beiden Fällen soll das Boot im Anschluss an die geplante Verwendung nach Schweden als endgültigem Bestimmungsort gesegelt werden.

16.      Um sich Klarheit über die steuerrechtlichen Folgen des Erwerbs zu verschaffen, beantragte X beim Skatterättsnämnd (Ausschuss für Steuerrecht) einen Vorbescheid zur Frage, ob der Erwerb in einer der beiden Alternativen in Schweden besteuert werde.

17.      Das Skatterättsnämnd entschied, dass in beiden Fällen ein steuerpflichtiger innergemeinschaftlicher Erwerb eines neuen Fahrzeugs anzunehmen sei, der zu einer Steuerpflicht des X in Schweden führe. Gegen diesen Vorbescheid wendet sich X nun vor dem Regeringsrätt. Er ist der Ansicht, dass die Lieferung des Bootes als inländische Lieferung im Vereinigten Königreich zu versteuern sei. Vor diesem Hintergrund hat das Regeringsrätt dem Gerichtshof mit Beschluss vom 16. Februar 2009 die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Sind die Art. 138 und 20 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem dahin auszulegen, dass mit der Verbringung aus dem Gebiet des Ursprungslands innerhalb einer bestimmten Frist begonnen werden muss, damit der Umsatz von der Steuer befreit ist und ein innergemeinschaftlicher Erwerb vorliegt?

2.      Sind die genannten Artikel dementsprechend dahin auszulegen, dass die Beförderung in das Bestimmungsland innerhalb einer bestimmten Frist abgeschlossen sein muss, damit der Umsatz von der Steuer befreit ist und ein innergemeinschaftlicher Erwerb vorliegt?

3.      Ist es für die Beantwortung der Fragen 1 und 2 von Bedeutung, ob der erworbene Gegenstand ein neues Fahrzeug ist und es sich beim Erwerber um eine Privatperson handelt, die beabsichtigt, das Fahrzeug schließlich in einem bestimmten Mitgliedstaat zu verwenden?

4.      Auf welchen Zeitpunkt ist im Rahmen eines innergemeinschaftlichen Erwerbs bei der Beurteilung abzustellen, ob ein Fahrzeug neu im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist?

18.      Im schriftlichen Verfahren vor dem Gerichtshof haben X, das Skatteverket (Steuerbehörde), die deutsche Regierung sowie die Europäische Kommission Stellung genommen. In der mündlichen Verhandlung haben sich X, die schwedische Regierung und die Kommission geäußert.

IV – Rechtliche Würdigung

A –    Zur ersten, zweiten und dritten Vorlagefrage

19.      Die ersten drei Vorlagefragen, die gemeinsam zu untersuchen sind, sollen Aufschluss über die Voraussetzungen für das Vorliegen eines innergemeinschaftlichen Erwerbs nach Art. 20 der Richtlinie 2006/112 bzw. einer von der Steuer befreiten innergemeinschaftlichen Lieferung nach Art. 138 der Richtlinie geben, wenn der betreffende Gegenstand nicht unverzüglich vom Ursprungsstaat in den Bestimmungsstaat transportiert wird. Dabei fragt das Regeringsrätt auch, ob es in diesem Zusammenhang von Bedeutung ist, dass der erworbene Gegenstand ein neues Fahrzeug ist und es sich beim Erwerber um eine Privatperson handelt, die beabsichtigt, das Fahrzeug am Ende in einem bestimmten Mitgliedstaat zu verwenden (dritte Vorlagefrage).

20.      Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. ii in Verbindung mit Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii der Richtlinie 2006/112 ist der innergemeinschaftliche Erwerb eines neuen Wasserfahrzeugs mit einer Länge von über 7,5 Metern durch eine nicht steuerpflichtige Person im Gebiet des Staates des innergemeinschaftlichen Erwerbs zu versteuern.

21.      Art. 20 der Richtlinie definiert den innergemeinschaftlichen Erwerb als die Erlangung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen beweglichen körperlichen Gegenstand zu verfügen, der durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung befand, an den Erwerber versandt oder befördert wird.

22.      Damit korrespondierend knüpft Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung an die Voraussetzung, dass der betreffende Gegenstand durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb ihres jeweiligen Gebietes, aber innerhalb der Union versandt oder befördert wird.

23.      Der Steuertatbestand des innergemeinschaftlichen Erwerbs setzt somit zweierlei voraus: erstens muss der Erwerber die Befugnis erlangen, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen; zweitens muss der Gegenstand vom Ursprungsstaat in einen anderen Mitgliedstaat versandt oder befördert werden. Diese zweite Bedingung muss zugleich gegeben sein, damit die Lieferung im Ursprungsmitgliedstaat von der Steuer befreit wird. Dabei hat nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Einstufung einer innergemeinschaftlichen Lieferung oder eines innergemeinschaftlichen Erwerbs anhand objektiver Kriterien wie des Vorliegens einer physischen Bewegung der betreffenden Gegenstände zwischen Mitgliedstaaten zu erfolgen.(3)

24.      Dem Wortlaut dieser Bestimmungen lässt sich indes nicht entnehmen, in welchem zeitlichen oder sachlichen Zusammenhang die Übernahme der Eigentümerbefugnisse und der Beginn oder das Ende des Transports in einen anderen Mitgliedstaat zueinander stehen müssen.

25.      X ist der Auffassung, dass kein innergemeinschaftlicher Erwerb mehr anzunehmen sei, wenn das Segelboot länger als drei Monate oder 100 Stunden benutzt wurde, bevor der Transport in den Bestimmungsmitgliedstaat beginnt. Dabei sei die Inbetriebnahme im Ursprungsmitgliedstaat noch nicht als Beginn des Transports anzusehen, wenn nicht unmittelbar die Fahrt in den Zielhafen angetreten werde. Aus Gründen der Rechtssicherheit müsse eine eindeutige Frist gelten.

26.      Dagegen meinen die übrigen Verfahrensbeteiligten, dass der Vorgang einer Gesamtbetrachtung zu unterwerfen sei, wobei der zeitliche Zusammenhang zwischen der Übergabe an den Erwerber und der Versendung oder Beförderung nur eines von mehreren zu berücksichtigenden Elementen sei. Wenn von vornherein feststehe, dass die Endverwendung in einem anderen Mitgliedstaat als dem Ursprungsmitgliedstaat erfolgen solle, sei dies von maßgeblicher Bedeutung für die Annahme eines innergemeinschaftlichen Erwerbs im Bestimmungsstaat.

27.      Fraglich ist, welche der beiden Ansichten dem Sinn und Zweck der Regelungen über den innergemeinschaftlichen Erwerb eher entspricht. Dazu ist zunächst daran zu erinnern, vor welchem Hintergrund die Bestimmungen über den innergemeinschaftlichen Handel eingeführt wurden.(4)

28.      Durch die Mehrwertsteuer wird der private Verbrauch im Inland belastet. Deswegen unterliegen die Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen im Inland der Steuer (Art. 2 Abs. 1 Buchst a und c der Richtlinie 2006/112). Außerdem sind der innergemeinschaftliche Erwerb und die Einfuhr von Waren (Art. 2 Abs. 1 Buchst b und d der Richtlinie 2006/112) steuerpflichtig. Die beiden letztgenannten Tatbestände stellen sicher, dass Waren im Erwerbs- bzw. Einfuhrstaat der Steuer unterliegen, wo sie dem privaten Verbrauch zugeführt werden.(5)

29.      Der Steuertatbestand des innergemeinschaftlichen Erwerbs wurde zum 1. Januar 1993 als Übergangsregelung für die Besteuerung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten eingeführt.(6) Zuvor wurden Warenlieferungen zwischen zwei Mitgliedstaaten wie Lieferungen im sonstigen internationalen Handel eingeordnet. Dabei bildete der Grenzübertritt bei der Aus- bzw. Einfuhr den entscheidenden Anknüpfungspunkt für die Besteuerung. Im Zuge der Verwirklichung des Binnenmarktes wurden die Kontrollen an den Binnengrenzen abgeschafft, was auch eine Neugestaltung der Mehrwertsteuerregelungen für den innergemeinschaftlichen Handel erforderte.

30.      Allerdings ging die Reform nicht so weit, die für inländische Warenlieferungen geltenden Regelungen auf den Handel zwischen zwei Mitgliedstaaten auszuweiten. Denn dies hätte bedeutet, dass die Mehrwertsteuer nicht mehr dem Staat zustünde, in den die Ware eingeführt und in dem sie verbraucht wird, sondern dem Staat, von dem aus die Ware versandt wird. Die Übergangsregelung lässt vielmehr die bisherige Aufteilung der Steuerhoheit zwischen den Mitgliedstaaten unangetastet.(7)

31.      Um zu erreichen, dass die Mehrwertsteuer weiterhin dem Mitgliedstaat des Endverbrauchs zusteht, wurde der innergemeinschaftliche Erwerb als neuer Steuertatbestand sowie die Befreiung der innerstaatlichen Lieferung zwischen den Mitgliedstaaten eingeführt.

32.      Die Versendung oder Beförderung in einen anderen Mitgliedstaat ist also von entscheidender Bedeutung für die Abgrenzung einer Lieferung im Inland von einer innergemeinschaftlichen Lieferung. Diese Tatbestandvoraussetzung dient der am Endverbrauch des Gegenstands ausgerichteten Aufteilung der Steuerhoheit zwischen dem Lieferstaat und dem Bestimmungsstaat.

33.      Neben der Aufteilung der Steuerhoheit verfolgen speziell die Regelungen über die Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs von neuen Fahrzeugen ausweislich des elften Erwägungsgrunds der Richtlinie 2006/112 außerdem noch das Ziel, Wettbewerbsverzerrungen aufgrund der unterschiedlichen Steuersätze in den Mitgliedstaaten vorzubeugen.

34.      Während nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2006/112 im Allgemeinen nur der innergemeinschaftliche Erwerb durch Steuerpflichtige und nicht steuerpflichtige juristische Personen besteuert wird, hat der Gesetzgeber bei neuen Fahrzeugen auch den Erwerb durch Privatpersonen der Steuer unterworfen. Angesichts des hohen Wertes(8) und der leichten Transportierbarkeit dieser Güter, bestünde ein Anreiz für Privatpersonen, Fahrzeuge in Mitgliedstaaten mit einem niedrigen Mehrwertsteuersatz zu erwerben, wenn die Lieferung im Ursprungsmitgliedstaat besteuert würde. Die Besteuerung im Staat des innergemeinschaftlichen Erwerbs gewährleistet, dass der Erwerber die Steuer in derselben Höhe zu entrichten hat, unabhängig davon, aus welchem Staat er das Fahrzeug bezieht. Damit schließen die Regelungen aus, dass Fahrzeughändler allein aufgrund der Tatsache Wettbewerbsvorteile haben, dass in ihrem Sitzstaat ein niedriger Mehrwertsteuersatz gilt.

35.      Die Auslegung der Bestimmungen über die innergemeinschaftliche Lieferung und den innergemeinschaftlichen Erwerb muss sicherstellen, dass die Aufteilung der Steuerhoheit und die Wettbewerbsgleichheit nicht durch gezielte steuerliche Gestaltungen umgangen werden können.

36.      Wie das Skatteverket, die deutsche Regierung und die Kommission zutreffend hervorheben, könnten die Steuerpflichtigen losgelöst vom Ort des Verbrauchs willkürlich entscheiden, wo der Erwerb eines neuen Fahrzeugs zu besteuern ist, wenn die Verlagerung der Besteuerungsbefugnis in den Staat des innergemeinschaftlichen Erwerbs allein davon abhinge, dass das Fahrzeug binnen einer bestimmten Frist nach der Lieferung den Ursprungsstaat verlässt oder im Bestimmungsstaat ankommt. Auch unbeabsichtigte Verzögerungen des Transports könnten eine Verlagerung des Besteuerungsrechts auslösen, obwohl der betreffende Gegenstand zweifelsfrei dem Endverbrauch in einem anderen Mitgliedstaat als dem Lieferstaat zugeführt wird.

37.      Statt allein auf starre Fristen abzustellen, die die Richtlinie überdies selbst gar nicht vorgibt, ist aufgrund einer Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände zu ermitteln, in welchem Mitgliedstaat der Endverbrauch erfolgen soll. Dabei sind in erster Linie objektive Umstände zu berücksichtigen.

38.      Im vorliegenden Fall kann neben dem zeitlichen Ablauf des Transports etwa von Bedeutung sein, wo das Segelboot registriert ist und wo der Erwerber über einen dauerhaften Liegeplatz für das Boot verfügt. Der Wohnort eines privaten Erwerbers kann ebenfalls ein Indiz dafür sein, wo das Boot letztlich auf Dauer genutzt werden soll. Bei der Beurteilung des zeitlichen Ablaufs kann u. a. die Entfernung zwischen dem Liefer- und dem Bestimmungsstaat und die Lebensdauer des gelieferten Gegenstands eine Rolle spielen. Hat die Überführung nur einen im Vergleich zur gesamten Lebensdauer des Fahrzeugs völlig untergeordneten Zeitraum beansprucht, so ist zu erwarten, dass der Verbrauch des Gutes im Wesentlichen noch im Bestimmungsstaat erfolgen wird.

39.      Auch wenn die Begriffe der innergemeinschaftlichen Lieferung und des innergemeinschaftlichen Erwerbs objektiven Charakter haben und unabhängig von Zweck und Ergebnis der betreffenden Umsätze anwendbar sind,(9) so ist es dennoch notwendig, die durch objektive Umstände belegten Absichten des Erwerbers bezüglich des Orts der Endverwendung zu berücksichtigen, die er bei der Lieferung äußert.(10) Denn der Verkäufer muss bereits bei Stellung der Rechnung wissen, ob er die Mehrwertsteuer ausweisen muss oder ob er davon absehen kann, weil eine befreite innergemeinschaftliche Lieferung erfolgen soll.

40.      Zudem tritt der Steuertatbestand des innergemeinschaftlichen Erwerbs gemäß Art. 68 der Richtlinie 2006/112 ein, sobald eine entsprechende Lieferung innerhalb eines Mitgliedstaats als bewirkt gilt. Hierfür ist gemäß Art. 63 in Verbindung mit Art. 14 der Richtlinie der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem der Erwerber die Befähigung erlangt, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen. Nimmt der Erwerber den Gegenstand selbst im Ursprungsstaat in Empfang, so ist die Voraussetzung für eine Lieferung im Inland bereits gegeben. Ob stattdessen tatsächlich ein innergemeinschaftlicher Erwerb in einem anderen Mitgliedstaat vorliegt, lässt sich zu diesem Zeitpunkt nur anhand der Angaben des Erwerbers zum geplanten Transport in einen anderen Mitgliedstaat und der dortigen Endverwendung feststellen.

41.      Der innergemeinschaftliche Erwerb eines Fahrzeugs durch eine Privatperson stellt insoweit einen Sonderfall dar. Zum einen ist es ungewöhnlich, dass hier eine an sich nicht steuerpflichtige Person einen Steuertatbestand erfüllt. Zum anderen weist dieser Fall die Besonderheit auf, dass die Inbetriebnahme eines Fortbewegungsmittels durch den privaten Erwerber im Ursprungsmitgliedstaat sich häufig nicht eindeutig vom Beginn des Transports in den Bestimmungsstaat abgrenzen lässt.

42.      Auch diese besonderen Umstände führen aber nicht dazu, dass für die Abgrenzung einer Lieferung im Inland und eines innergemeinschaftlichen Erwerbs allein eine bestimmte Frist zwischen der Übergabe des Fahrzeugs an den Erwerber und dem Beginn des Transports des Fahrzeugs aus dem Gebiet des Ursprungsstaats in den Bestimmungsstaat maßgeblich ist. Das mit der Sonderregelung in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. ii in Verbindung mit Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii der Richtlinie 2006/112 verfolgte Ziel, Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern, gebietet gerade in diesem Kontext, nicht allein auf den Zeitablauf abzustellen, sondern eine Gesamtbetrachtung aller Umstände einschließlich der durch tatsächliche Anhaltspunkte belegten Absichten des Erwerbers zugrunde zu legen.

43.      X ist allerdings der Auffassung, der Grundsatz der Rechtssicherheit verlange die Vorgabe einer bestimmten Frist.

44.      Nach ständiger Rechtsprechung gilt der Grundsatz der Rechtssicherheit in besonderem Maße, wenn es sich um eine Regelung handelt, die sich finanziell belastend auswirken kann, denn die Betroffenen müssen in der Lage sein, den Umfang der ihnen damit auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen.(11)

45.      Ferner hat es der Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit grundsätzlich abgelehnt, die Einstufung als innergemeinschaftlichen Umsatz allein von der Absicht des Lieferers oder des Erwerbers abhängig zu machen, einen solchen Umsatz zu bewirken.(12) Die Feststellung beruht jedoch auf der Erwägung, dass es der Finanzverwaltung erspart werden soll, Untersuchungen anzustellen, um die Absicht des Steuerpflichtigen zu ermitteln. Zudem hat der Gerichtshof ausdrücklich einen Vorbehalt für Ausnahmefälle gemacht.

46.      Daher widerspricht es dem Grundsatz der Rechtssicherheit nicht, wenn die Einstufung als innergemeinschaftlicher Erwerb in einem Fall wie dem vorliegenden von einer Gesamtbetrachtung aller Umstände einschließlich der vom Erwerber geäußerten und durch objektive Umstände belegten Absicht zum Ort der Verwendung des Gegenstands abhängig gemacht wird. Diese Vorgehensweise führt insbesondere nicht dazu, dass den Erwerber die Pflicht zur Entrichtung der Steuer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb in unvorhersehbarer Weise trifft, da seine eigenen Angaben zum Endverbrauch zugrunde gelegt werden.

47.      Nach den Angaben von X hat die Befreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung im Vereinigten Königreich jedoch zur Voraussetzung, dass das Boot binnen zweier Monate das Gebiet dieses Mitgliedstaates verlassen hat. Somit bestehe die Gefahr einer Doppelbesteuerung, wenn die Lieferung nach Ablauf dieser Frist als innerstaatliche Lieferung im Ursprungsstaat steuerpflichtig ist und zugleich ein steuerpflichtiger innergemeinschaftlicher Erwerb im Bestimmungsstaat gegeben ist.

48.      Dazu ist festzustellen, dass die innergemeinschaftliche Lieferung eines Gegenstands und sein innergemeinschaftlicher Erwerb in Wirklichkeit ein und derselbe wirtschaftliche Vorgang sind, obwohl dieser sowohl für die an dem Geschäft Beteiligten als auch für die Finanzbehörden der betreffenden Mitgliedstaaten unterschiedliche Rechte und Pflichten begründet.(13)

49.      Zwar nimmt der Mitgliedstaat der Beendigung des Versands oder der Beförderung der Gegenstände, in dem ein innergemeinschaftlicher Erwerb von Gegenständen erfolgt, seine Besteuerungskompetenz gemäß Art. 21 der Verordnung (EG) Nr. 1777/2005 des Rates zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 77/388/EWG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem(14) unabhängig von der mehrwertsteuerlichen Behandlung des Umsatzes im Mitgliedstaat des Beginns des Versands oder der Beförderung der Gegenstände wahr. Dabei haben die Mitgliedstaaten jedoch eine einheitliche Auslegung der Bestimmungen über die Befreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen (Art. 138 der Richtlinie 2006/112) und über die Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs (Art. 20 der Richtlinie 2006/112) zugrunde zu legen.

50.      Diese Vorschriften sind so auszulegen, dass sie hinsichtlich des zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs zwischen der Lieferung und der Beförderung bzw. der Versendung in den Bestimmungsstaat dieselbe Bedeutung und dieselbe Reichweite haben.(15) Andernfalls wird die Befreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung ihrer Funktion nicht gerecht, die Doppelbesteuerung von Lieferungen im innergemeinschaftlichen Handel zu vermeiden und dadurch die steuerliche Neutralität zu gewährleisten.(16)

51.      Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen nach Art. 131 der Richtlinie 2006/112 unter den Bedingungen angewandt werden, die die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung dieser Befreiungen und zur Verhinderung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch festlegen. Dies schließt grundsätzlich die Möglichkeit ein, dass der Ursprungsmitgliedstaat bestimmte Fristen aufstellt, binnen derer der Gegenstand im Rahmen einer innergemeinschaftlichen Lieferung das Gebiet dieses Staates in der Regel verlassen haben muss.

52.      Bei der Ausübung ihrer Befugnisse müssen die Mitgliedstaaten jedoch die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die Teil der Rechtsordnung der Union sind und zu denen u. a. die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit gehören, beachten.(17) Die Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten erlassen können, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu verhindern, dürfen ferner nicht so eingesetzt werden, dass sie die Neutralität der Mehrwertsteuer in Frage stellen.(18)

53.      Daher müssen innerstaatlichen Regelungen, die die Befreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung an die Einhaltung bestimmter Fristen für die Versendung oder Beförderung knüpfen, genügend Flexibilität aufweisen, um die Befreiung in besonderen Fällen auch dann zu gewähren, wenn der Gegenstand das Gebiet des betreffenden Staates nach einem etwas längeren Zeitraum tatsächlich verlassen hat und die Endverwendung in einem anderen Mitgliedstaat aufgrund der Gesamtbetrachtung aller Umstände feststeht. Zumindest muss unter diesen Umständen die Möglichkeit einer nachträglichen Korrektur der Steuerfeststellung bestehen, wenn das Steueraufkommen nicht gefährdet war und die Beteiligten in gutem Glauben gehandelt haben.(19)

54.      Somit ist auf die erste bis dritte Vorlagefrage zu antworten, dass es für die Einstufung eines Umsatzes im Bezug auf ein neues Wasserfahrzeug mit einer Länge von über 7,5 Metern als von der Steuer befreite innergemeinschaftliche Lieferung im Sinne des Art. 138 der Richtlinie 2006/112 und als im Bestimmungsstaat steuerpflichtiger innergemeinschaftlicher Erwerb im Sinne des Art. 20 der Richtlinie nicht allein auf die Einhaltung einer bestimmten Frist ankommt, binnen derer das Fahrzeug den Ursprungsmitgliedstaat verlassen hat oder im Bestimmungsmitgliedstaat angekommen ist. Vielmehr hat diese Einstufung im Wege einer Gesamtbetrachtung aller objektiven Umstände und unter Berücksichtigung der durch tatsächliche Anhaltspunkte belegten Absicht des Erwerbers bezüglich des Endverbrauchs des Gegenstands zu erfolgen.

B –    Zur vierten Vorlagefrage

55.      Mit seiner vierten Vorlagefrage möchte das Regeringsrätt wissen, welcher der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Eigenschaft eines Fahrzeugs als neu im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/112 ist.

56.      X ist der Auffassung, es komme insoweit auf den Zeitpunkt an, zu dem das Wasserfahrzeug den Bestimmungsstaat erreicht.

57.      Die anderen Verfahrensbeteiligten weisen jedoch zu Recht auf den Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. ii der Richtlinie 2006/112 hin. Danach gilt ein Wasserfahrzeug als neu, wenn die Lieferung innerhalb von drei Monaten nach der ersten Inbetriebnahme erfolgt oder wenn das Fahrzeug höchstens 100 Stunden zu Wasser zurückgelegt hat. Art. 14 der Richtlinie definiert die Lieferung als die Erlangung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen. Diese Befugnis erlangt der Erwerber bereits im Zeitpunkt der Übernahme des Bootes im Ursprungsstaat und nicht erst bei dessen Ankunft im Bestimmungsstaat.

58.      Wie die deutsche Regierung hervorhebt, könnte das Abstellen auf den Zeitpunkt der Ankunft im Bestimmungsstaat den Steuerpflichtigen die Möglichkeit geben, den Ort der Besteuerung zu beeinflussen, indem sie den Transport und damit die Ankunft im Bestimmungsstaat über die Frist von drei Monaten in Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. ii der Richtlinie 2006/112 hinaus verzögern. Dies widerspräche der am Ort des tatsächlichen Verbrauchs orientierten Aufteilung der Besteuerungsbefugnis.(20)

59.      Zudem bestünde die Gefahr gänzlich steuerfreier Umsätze. So könnte ein Steuerpflichtiger in der Situation von X ein Boot unter Inanspruchnahme der Befreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen aus dem Ursprungsstaat ausführen, sich über 100 Stunden oder drei Monate auf hoher See oder in einem Drittstaat aufhalten und das Boot erst dann in den Bestimmungsstaat bringen. Käme es für die Qualifikation als neues Wasserfahrzeug auf den Zeitpunkt der Ankunft im Bestimmungsstaat an, läge dann kein steuerpflichtiger innergemeinschaftlicher Erwerb mehr vor.

60.      Ob ein Fahrzeug neu im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. ii der Richtlinie 2006/112 ist, muss daher bei der Lieferung und nicht bei Ankunft im Bestimmungsstaat beurteilt werden.

61.      Diesem Ergebnis widerspricht auch nicht Art. 40 der Richtlinie 2006/112. Nach dieser Bestimmung gilt als Ort eines innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen der Ort, an dem sich die Gegenstände zum Zeitpunkt der Beendigung der Versendung oder Beförderung an den Erwerber befinden. Diese Vorschrift dient allein dazu, das Besteuerungsrecht für den innergemeinschaftlichen Erwerb dem Bestimmungsstaat zuzuweisen. Sie trifft keine Aussage dazu, ob der betreffende Gegenstand bei der Ankunft in diesem Staat neu sein muss.

62.      Auf die vierte Vorlagefrage ist daher zu antworten, dass im Rahmen eines innergemeinschaftlichen Erwerbs für die Beurteilung, ob ein Fahrzeug neu im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/112 ist, auf den Zeitpunkt der Lieferung abzustellen ist.

V –    Ergebnis

63.      Abschließend schlage ich vor, wie folgt auf die Vorlagefragen des Regeringsrätt zu antworten:

1.      Für die Einstufung eines Umsatzes in Bezug auf ein neues Wasserfahrzeug mit einer Länge von über 7,5 Metern als von der Steuer befreite innergemeinschaftliche Lieferung im Sinne des Art. 138 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem und als im Bestimmungsstaat steuerpflichtiger innergemeinschaftlicher Erwerb im Sinne des Art. 20 der Richtlinie kommt es nicht allein auf die Einhaltung einer bestimmten Frist an, binnen derer das Fahrzeug den Ursprungsmitgliedstaat verlassen hat oder im Bestimmungsmitgliedstaat angekommen ist. Vielmehr hat diese Einstufung im Wege einer Gesamtbetrachtung aller objektiven Umstände und unter Berücksichtigung der durch tatsächliche Anhaltspunkte belegten Absicht des Erwerbers bezüglich des Endverbrauchs des Gegenstands zu erfolgen.

2.      Im Rahmen eines innergemeinschaftlichen Erwerbs ist für die Beurteilung, ob ein Fahrzeug neu im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/112 ist, auf den Zeitpunkt der Lieferung abzustellen.


1 – Originalsprache: Deutsch.


2 – ABl. L 347, S. 1.


3 – Urteil vom 27. September 2007, Teleos u. a. (C-409/04, Slg. 2007, I-7797, Randnr. 40).


4 – Vgl. dazu bereits die Nrn. 24 bis 29 meiner Schlussanträge vom 11. Januar 2007, Teleos u. a. (C-409/04, Slg. 2007, I-7797), und die Nrn. 19 bis 25 meiner Schlussanträge vom 10. November 2005, EMAG Handel Eder (C-245/04, Slg. 2006, I-3227).


5 – Vgl. Urteile vom 6. April 2006, EMAG Handel Eder (C-245/04, Slg. 2006, I-3227, Randnrn. 31 und 40), Teleos u. a. (zitiert in Fn. 3, Randnr. 36), vom 27. September 2007, Collée (C-146/05, Slg. 2007, I-7861, Randnr. 22), und vom 27. September 2007, Twoh International (C-184/05, Slg. 2007, I-7897, Randnr. 22).


6 –      Richtlinie 91/680/EWG des Rates vom 16. Dezember 1991 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG im Hinblick auf die Beseitigung der Steuergrenzen (ABl. L 376, S. 1).


7 –      Vgl. Urteile EMAG (zitiert in Fn. 5, Randnr. 27) und Teleos u. a. (zitiert in Fn. 3, Randnr. 22) jeweils unter Verweis auf den siebten bis zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 91/680.


8 – Gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii der Richtlinie 2006/112 findet die Erwerbsbesteuerung bei Privatpersonen nur auf Wasserfahrzeuge über 7,5 Meter Länge Anwendung.


9 –      Urteil Teleos u. a. (zitiert in Fn. 3, Randnr. 38) unter Verweis auf die Urteile vom 12. Januar 2006, Optigen u. a. (C-354/03, C-355/03 und C-484/03, Slg. 2006, I-483, Randnr. 44), und vom 6. Juli 2006, Kittel und Recolta Recycling (C-439/04 und C-440/04, Slg. 2006, I-6161, Randnr. 41).


10 –      Auch für die Feststellung, ob ein Gegenstand im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie bzw. Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 verwendet werden soll und deshalb ein Anspruch auf Vorsteuerabzug besteht, ist nach der Rechtsprechung auf die durch objektive Belege gestützte Nutzungsabsicht des Erwerbers abzustellen (vgl. Urteile vom 14. Februar 1985, Rompelman [268/83, Slg. 1985, 655, Randnr. 24] und vom 8. Juni 2000, Breitsohl [C-400/98, Slg. 2000, I-4321, Randnr. 34 bis 39]). Für die Bestimmung des Umfangs des Rechts auf Vorsteuerabzug kommt es ebenfalls auf die tatsächliche oder beabsichtigte Verwendung eines Gegenstands an (vgl. Urteil vom 15. Dezember 2005, Centralan Property [C-63/04, Slg. 2005, I-11087, Randnr. 54]).


11 –      Vgl. Urteile vom 15. Dezember 1987, Niederlande/Kommission (326/85, Slg. 1987, 5091, Randnr. 24), vom 21. Februar 2006, Halifax u. a. (C-255/02, Slg. 2006, I-1609, Randnr. 72), und Teleos u. a. (zitiert in Fn. 3, Randnr. 46).


12 –      Urteil vom 6. April 1995, BLP Group (C-4/94, Slg. 1995, I-983, Randnr. 24), Urteile Optigen u. a. (zitiert in Fn. 9 Randnr. 45) sowie Kittel und Recolta Recycling (zitiert in Fn. 9, Randnr. 42), Teleos u. a. (zitiert in Fn. 3, Randnr. 39) und Urteil vom 29. Oktober 2009, AB SKF (C-29/08, Slg. 2009, Slg. 2009, I-10413, Randnr. 77).


13 – Urteil Teleos u. a. (zitiert in Fn. 3, Randnr. 23).


14 – ABl. L 288, S. 1.


15 – Vgl. in diesem Sinne Urteil Teleos u. a. (zitiert in Fn. 3, Randnr. 34).


16 – Urteile Teleos u. a. (zitiert in Fn. 3, Randnr. 25) und Collée (zitiert in Fn. 5, Randnr. 23).


17 – Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Dezember 1997, Molenheide u. a. (C-286/94, C-340/95, C-401/95 und C-47/96, Slg. 1997, I-7281, Randnr. 48), vom 11. Mai 2006, Federation of Technological Industries u. a. (C-384/04, Slg. 2006, I-4191, Randnrn. 29 und 30), und Teleos u. a. (zitiert in Fn. 3, Randnr. 45).


18 – Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. März 2000, Gabalfrisa u. a. (C-110/98 bis C-147/98, Slg. 2000, I-1577, Randnr. 52), Halifax u. a. (zitiert in Fn. 11, Randnr. 92) und Teleos u. a. (zitiert in Fn. 3, Randnr. 46).


19 – Vgl. in diesem Sinne Urteil Collée (zitiert in Fn. 5, Randnrn. 31, 35 und 37).


20 – Siehe dazu auch oben, Nrn. 38 und 39 dieser Schlussanträge.