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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

JÁN MAZÁK

vom 28. Juni 2011(1)

Rechtssache C-218/10

ADV Allround Vermittlungs AG in Liquidation

gegen

Finanzamt Hamburg-Bergedorf

(Vorabentscheidungsersuchen des Finanzgerichts Hamburg [Deutschland])

„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Auslegung von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e – Gestellung von Personal – Gestellung von Fahrern, die nicht beim Dienstleistungserbringer beschäftigt sind – Ort der Dienstleistungen – Erstattung“






I –    Einleitung

1.        Das Finanzgericht Hamburg hat mit Beschluss vom 20. April 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Mai 2010, gemäß Art. 267 AEUV Fragen nach der Auslegung der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage(2) (im Folgenden: Sechste Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2.        Das Vorabentscheidungsersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits der ADV Allround Vermittlungs AG in Liquidation (im Folgenden: ADV Allround) gegen das Finanzamt Hamburg-Bergedorf wegen der Pflicht zur Entrichtung der Mehrwertsteuer für das Jahr 2005 nach Maßgabe des Ortes der Dienstleistung bei der Gestellung selbständiger Lastkraftwagenfahrer an Kunden im Ausland.

3.        Mit seinen Fragen möchte das vorlegende Gericht erstens wissen, ob Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass der Begriff „Gestellung von Personal“ auch die Gestellung von selbständigen, nicht beim leistenden Unternehmer abhängig beschäftigtem Personal umfasst.

4.        Zweitens möchte es wissen, ob das nationale Verfahrensrecht nach der Sechsten Richtlinie Vorkehrungen dafür treffen muss, dass ein und derselbe Umsatz, der im vorliegenden Fall in der Erbringung von Dienstleistungen besteht, für die Zwecke der Erhebung der Mehrwertsteuer beim leistenden Steuerpflichtigen und beim leistungsempfangenden Steuerpflichtigen gleich zu beurteilen ist, und ersucht um Aufschluss über die Frist, innerhalb deren der Letztgenannte den Vorsteuerabzug für die erhaltene Leistung geltend machen kann.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Sechste Richtlinie

5.        Art. 9 der Sechsten Richtlinie („Dienstleistungen“) bestimmt, soweit hier erheblich, Folgendes:

„(1)      Als Ort einer Dienstleistung gilt der Ort, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus die Dienstleistung erbracht wird, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort.

(2)      Es gilt jedoch

e)      als Ort der folgenden Dienstleistungen, die an außerhalb der Gemeinschaft ansässige Empfänger oder an innerhalb der Gemeinschaft, jedoch außerhalb des Landes des Dienstleistenden ansässige Steuerpflichtige erbracht werden, der Ort, an dem der Empfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, für welche die Dienstleistung erbracht worden ist, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort:

–        Gestellung von Personal

…“

6.        Art. 17 der Sechsten Richtlinie („Entstehung und Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug“) bestimmt, soweit hier erheblich:

„…

(2)      Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a)      die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden,

(3)      Die Mitgliedstaaten gewähren jedem Steuerpflichtigen darüber hinaus den Abzug oder die Erstattung der in Absatz 2 genannten Mehrwertsteuer, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen verwendet werden für Zwecke:

a)      seiner Umsätze, die sich aus den im Ausland ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeiten im Sinne des Artikels 4 Absatz 2 ergeben, für die das Recht auf Vorsteuerabzug bestünde, wenn diese Umsätze im Inland bewirkt worden wären;

…“

B –    Anwendbares nationales Recht

7.        § 3a („Ort der sonstigen Leistung“) des Umsatzsteuergesetzes in der bis 31. Dezember 2009 geltenden Fassung (im Folgenden: UStG) bestimmt in Abs. 1 Satz 1, soweit hier erheblich:

„Eine sonstige Leistung wird vorbehaltlich der §§ 3b und 3f an dem Ort ausgeführt, von dem aus der Unternehmer sein Unternehmen betreibt.“

§ 3a Abs. 3 Satz 1 UStG lautet:

„Ist der Empfänger einer der in Absatz 4 bezeichneten sonstigen Leistungen ein Unternehmer, so wird die sonstige Leistung abweichend von Absatz 1 dort ausgeführt, wo der Empfänger sein Unternehmen betreibt.“

§ 3a Abs. 4 UStG bestimmt:

„Sonstige Leistungen im Sinne des Absatzes 3 sind:

7. die Gestellung von Personal.

…“

III – Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

8.        Nach dem Vorlagebeschluss bestand die Geschäftstätigkeit von ADV Allround im Jahr 2005, dem in Rede stehenden Jahr, in der Gestellung selbständiger Lastkraftwagenfahrer an Speditionen in Deutschland und im Ausland, insbesondere Italien (Südtirol).

9.        Zu diesem Zweck wurden mit den Fahrern schriftliche, als „Vermittlungsvereinbarung“ bezeichnete Verträge geschlossen. Die Speditionen forderten bei Bedarf telefonisch bei ADV Allround die Gestellung eines Fahrers an.

10.      Die Fahrer stellten ADV Allround ihre Tätigkeit in Rechnung, die im Führen der von den Speditionen gestellten Lastkraftwagen bestand, während ADV Allround den Speditionen die Gestellung der Fahrer mit einer Preisdifferenz von zwischen 8 % (dauerhafte Aufträge) und 20 % (Einzelaufträge) in Rechnung stellte.

11.      ADV Allround legte den Kunden außerhalb Deutschlands – wie in der vorliegenden Rechtssache den italienischen Speditionen – zunächst Rechnung ohne Mehrwertsteuer, da sie davon ausging, dass es sich um die „Gestellung von Personal“ im Sinne von § 3a Abs. 4 Nr. 7 UStG handele und daher der Ort der Leistung und damit der Besteuerung in Italien liege, wo die Leistungsempfänger niedergelassen waren.

12.      In einem Betriebsprüfungsbericht vom 3. Juli 2006 aufgrund einer Umsatzsteuersonderprüfung bei ADV Allround für das erste bis dritte Quartal 2005 vertrat das Finanzamt Hamburg-Bergedorf die Ansicht, dass „Gestellung von Personal“ im Sinne der erwähnten Bestimmung nur die Zurverfügungstellung von eigenen Arbeitnehmern (Arbeitnehmerüberlassung) umfasse und deswegen der Leistungsort der Ort des Geschäftssitzes von ADV Allround sei, also in Deutschland liege.

13.      Aufgrund dessen erstellte ADV Allround auch den italienischen Geschäftspartnern Rechnungen zuzüglich 16 % Umsatzsteuer. Außerdem erstellte sie für alle 2005 erbrachten Leistungen geänderte Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis. Sie ging davon aus, dass die Umsatzsteuer den italienischen Geschäftspartnern erstattet werde, so dass die Behandlung der Umsätze als in Deutschland steuerbar – abgesehen vom zusätzlichen Verwaltungsaufwand durch das Erstattungsverfahren – wirtschaftlich neutral bleiben würde.

14.      Das für die Vorsteuervergütungsanträge zuständige Bundeszentralamt für Steuern vertrat im Gegensatz zur Ansicht des Finanzamts Hamburg-Bergedorf jedoch die Auffassung, dass der Begriff „Gestellung von Personal“ in § 3a Abs. 4 Nr. 7 UStG die Gestellung von Kraftfahrern erfasse, um die es in der vorliegenden Rechtssache gehe. Daher seien diese Umsätze in Deutschland nicht steuerbar, die Umsatzsteuer in den nachträglich geänderten Rechnungen sei zu Unrecht ausgewiesen und die Erstattung der zu Unrecht ausgewiesenen Umsatzsteuer nicht zulässig.

15.      Die italienischen Abnehmer weigerten sich daraufhin, die zusätzlich in Rechnung gestellte Umsatzsteuer an ADV Allround noch zu zahlen. ADV Allround konnte seinerzeit 16 % höhere Preise ohne Vorsteuererstattungsmöglichkeit für die Abnehmer auf dem Markt nicht durchsetzen, so dass für sie die Umsatzsteuer effektiv wurde. Wegen ihrer Marge von 8 % bis 20 % stellte sie ihre Tätigkeit ein und befindet sich jetzt in Liquidation.

16.      Das Finanzgericht Hamburg, bei dem die Rechtssache anhängig ist, stellt erstens fest, dass Unsicherheit darüber bestehe, ob der Begriff „Gestellung von Personal“, der sowohl in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie als auch in § 3a Abs. 4 Nr. 7 UStG, der diese Bestimmung in deutsches Recht umsetze, verwendet werde, nur abhängig Beschäftigte, also Arbeitnehmer, betreffe oder auch Selbständige, wie im vorliegenden Fall die Lastkraftwagenfahrer, umfasse. Jedoch sprächen praktische Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zwischen abhängig Beschäftigten und Selbständigen und bei der Erbringung geeigneter einschlägiger Nachweise an den Dienstleistungsempfänger unter Berücksichtigung des Ziels der Sechsten Richtlinie, den Dienstleistungsverkehr im europäischen Binnenmarkt zu fördern, dafür, dass die „Gestellung von Personal“ auch die Gestellung Selbständiger umfasse.

17.      Da nach Ansicht des vorlegenden Gerichts Steuerbarkeit und Steuerpflicht auf der einen Seite und das Recht zum Vorsteuerabzug auf der anderen Seite als sachlich miteinander verknüpft zu betrachten seien, wirft es die Frage auf, ob und wie diese Verknüpfung im materiellen Recht sich im Verfahrensrecht widerspiegeln müsse, insbesondere, ob diese Verknüpfung zwischen Steuerbarkeit und Vorsteuerabzug bedeute, dass inhaltlich einander widersprechende Entscheidungen vermieden werden müssten, und wie dies gegebenenfalls zu erreichen sei.

18.      Drittens führt das vorlegende Gericht aus, dass der Gerichtshof zu der Frist, binnen deren der Leistungsempfänger den Vorsteuerabzug geltend machen könne und die nach deutschem Recht nur sechs Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Vergütungsanspruch entstanden sei, betrage, noch nicht Stellung genommen habe. Es sei nicht klar, ob nach der Sechsten Richtlinie und im Licht der Grundsätze der Rechtssicherheit und der Effektivität diese Frist ablaufen dürfe, bevor eine Entscheidung über Steuerbarkeit und Steuerpflicht, die für den Dienstleistenden bindend sei, erlassen worden sei.

19.      Vor diesem Hintergrund hat das Finanzgericht Hamburg das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Ist Art. 9 Abs. 2 Buchst. e sechster Gedankenstrich der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (nunmehr Art. 56 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der Fassung bis 31. Dezember 2009, im Folgenden: Richtlinie 2006/112) dahin auszulegen, dass „Gestellung von Personal“ auch die Gestellung von selbständigem, nicht beim leistenden Unternehmer abhängig beschäftigtem Personal umfasst?

2.      Sind Art. 17 Abs. 1, 2 Buchst. a und 3 Buchst. a sowie Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388 (jetzt Art. 167, 168 Buchst. a, 169 Buchst. a und 178 Buchst. a der Richtlinie 2006/112) dahin auszulegen, dass das nationale Verfahrensrecht Vorkehrungen dafür treffen muss, dass die Steuerbarkeit und Steuerpflicht ein und derselben Leistung beim leistenden und beim leistungsempfangenden Unternehmer gleich beurteilt wird, auch wenn für beide Unternehmer verschiedene Finanzbehörden zuständig sind?

Nur falls die zweite Frage bejaht wird:

3.      Sind Art. 17 Abs. 1, 2 Buchst. a und 3 Buchst. a sowie Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388 (jetzt Art. 167, 168 Buchst. a, 169 Buchst. a und 178 Buchst. a der Richtlinie 2006/112) dahin auszulegen, dass die Frist, binnen deren der Leistungsempfänger den Vorsteuerabzug für eine erhaltene Leistung geltend machen kann, nicht ablaufen darf, bevor über die Steuerbarkeit und Steuerpflicht gegenüber dem leistenden Unternehmer rechtskräftig entschieden ist?

IV – Rechtliche Erwägungen

A –    Erste Frage

20.      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass der Begriff „Gestellung von Personal“ auch die Gestellung von selbständigem, nicht beim Dienstleistenden abhängig beschäftigtem Personal umfasst.

1.      Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

21.      Im vorliegenden Verfahren haben die deutsche Regierung und die Europäische Kommission schriftliche Erklärungen eingereicht. In der Sitzung vom 30. März 2011 war neben diesen Beteiligten auch ADV Allround vertreten.

22.      Die deutsche Regierung und die Kommission vertreten den Standpunkt, dass der Begriff „Gestellung von Personal“ in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie die Gestellung von selbständigem, nicht beim dienstleistenden Unternehmer abhängig beschäftigtem Personal nicht umfasse und die erste Frage daher zu verneinen sei.

23.      Sie machen im Wesentlichen geltend, dass der Begriff „Personal“ gewöhnlich die beim Dienstleistenden abhängig beschäftigten Arbeitnehmer bezeichne. Diese Auslegung werde dadurch bestätigt, dass der Begriff in Art. 5 Abs. 6, Art. 6 Abs. 2 und Art. 13 Teil A Buchst. k der Sechsten Richtlinie, die einheitlich auszulegen sei, ebenso wie in anderen Bereichen des Rechts der Europäischen Union (EU) ähnlich verwendet werde. Außerdem würden Sinn und Zweck sowie die Zielsetzung von Art. 9 der Sechsten Richtlinie beeinträchtigt, wenn der Begriff „Gestellung von Personal“ dahin verstanden würde, dass er die Gestellung Selbständiger umfasse.

24.      ADV Allround macht dagegen geltend, dass die erste Frage zu bejahen sei. Dafür, dass Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie sich auch auf die Gestellung selbständigen Personals beziehe, sprächen in der Regel insbesondere Erwägungen der Rechtssicherheit und der Praktikabilität. Diese Auslegung leiste Manipulationen und Steuerhinterziehungen des Dienstleistenden keineswegs Vorschub.

2.      Würdigung

25.      Ich möchte sogleich feststellen, dass sich anhand einer rein wörtlichen Auslegung von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie meines Erachtens nicht entscheiden lässt, ob die in dieser Bestimmung genannte „Gestellung von Personal“ die Gestellung selbständigen Personals umfasst, um die es in der vorliegenden Rechtssache geht.

26.      Erstens verwendet Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie zumindest in einigen Sprachfassungen den allgemeineren Begriff „staff“ [in der englischen Fassung] oder entsprechende Begriffe (z. B. „Personal“ in der deutschen, „personnel“ in der französischen und „personal“ in der spanischen Fassung) anstelle eines spezifischeren Begriffs wie „Arbeitnehmer“ oder „abhängig Beschäftigter“. Dieser allgemeine Begriff bezieht sich daher nicht notwendigerweise auf Personen in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis.

27.      Zweitens ist, was mehr zählt, entgegen der Ansicht, auf die sowohl die Kommission als auch die deutsche Regierung ihr Vorbringen zu stützen scheinen, keineswegs schlüssig dargetan, dass sich der Begriff „Personal“ auf das Verhältnis zwischen dem Dienstleistenden und den gestellten Personen und nicht auf das Verhältnis zwischen diesen Personen und dem Dienstleistungsempfänger bezieht. Mit anderen Worten, „Gestellung von Personal“ in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie beschreibt nicht notwendigerweise eine Dienstleistung, bei der ein Steuerpflichtiger sein eigenes Personal einem anderen zur Verfügung stellt, sondern das Hauptmerkmal einer solchen Dienstleistung kann sehr wohl darin bestehen, dass dieser anderes Personal oder Arbeitskräfte erhält, unabhängig davon, wie das vertragliche Verhältnis zwischen dem Dienstleistenden und den gestellten Personen ist.

28.      Es sei auch bemerkt, dass der Begriff „Personal“ in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie nicht notwendigerweise die gleiche Bedeutung wie bei seiner Verwendung in anderen Bestimmungen dieser Richtlinie haben muss, ganz zu schweigen von anderen Vorschriften des Unionsrechts, da der besondere Kontext der einzelnen Bestimmungen zu berücksichtigen ist, in denen dieser Begriff verwendet wird.

29.      So bezwecken Art. 5 Abs. 6 und Art. 6 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie, die das Wort „Personal“ enthalten und deshalb von der Kommission angeführt werden, die Gleichbehandlung von Steuerpflichtigen, die Waren oder Dienstleistungen für ihren privaten Bedarf oder den Bedarf ihres Personals verwenden, und von Endverbrauchern sicherzustellen(3), während Art. 9 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie zu Bestimmungen gehört, die einen ganz anderen Zweck verfolgen, nämlich den Ort zu bestimmen, an dem eine Dienstleistung als erbracht gilt.

30.      Es ist daher im Weiteren zu prüfen, ob Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie in Anbetracht des Zusammenhangs, in dem diese Bestimmung steht, und der Ziele, die mit der Regelung verfolgt werden, zu der sie gehört(4), dahin auszulegen ist, dass eine Gestellung von Selbständigen wie die, um die es in der vorliegenden Rechtssache geht, ebenfalls eine „Gestellung von Personal“ darstellt, die in dem Land zu besteuern ist, in dem der Leistungsempfänger niedergelassen ist.

31.      Zu allererst ist daran zu erinnern, dass Art. 9 der Sechsten Richtlinie Regeln für die Bestimmung des Ortes enthält, an dem Dienstleistungen für Besteuerungszwecke als erbracht gelten. Dadurch sollen Kompetenzkonflikte, die zu einer Doppelbesteuerung führen könnten, oder auch eine Nichtbesteuerung vermieden werden(5).

32.      Hierzu sieht Art. 9 Abs. 1 als allgemeine Regel vor, dass die Dienstleistung als an dem Ort erbracht gilt, an dem der Dienstleistende niedergelassen ist(6).

33.      Zu beachten ist, dass diese Regel selbst eine Ausnahme vom strikten Grundsatz der Territorialität darstellt und, wie der Gerichtshof ausgeführt hat – zur Vereinfachung(7) – als Ort der Dienstleistung den Ort fingiert, an dem der Dienstleistende seinen Sitz hat, unabhängig davon, wo die Dienstleistung tatsächlich erbracht wird(8).

34.      Was die besonderen Dienstleistungen angeht, die nach Ansicht des Gesetzgebers die Regel, dass als Ort der Dienstleistung der Ort gilt, an dem Dienstleistende den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, nicht passt, so nennt Art. 9 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie eine Reihe besonderer Fälle, in denen Dienstleistungen als am Ort des Abnehmers erbracht gelten(9).

35.      Zum Verhältnis zwischen Art. 9 Abs. 1 und 2 der Sechsten Richtlinie ist ferner darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs Art. 9 Abs. 1 keinen Vorrang gegenüber Art. 9 Abs. 2 hat, was bedeutet, dass die letztgenannte Bestimmung keine Ausnahme darstellt, die eng auszulegen wäre(10).

36.      Vielmehr muss in jeder Situation wie der vorliegenden, in der im Ausland niedergelassenen Steuerpflichtigen selbständige Lastkraftwagenfahrer gestellt werden, überlegt werden, ob diese Situation unter einen der Tatbestände des Art. 9 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie fällt, d. h. im vorliegenden Fall unter „Gestellung von Personal“ im Sinne von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dieser Richtlinie. Anderenfalls fällt sie unter Art. 9 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie(11).

37.      In diesem Zusammenhang ist erstens zu bemerken, dass der allgemeine Zweck von Art. 9 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie gemäß dem siebten Erwägungsgrund dieser Richtlinie darin besteht, eine Sonderregelung für Dienstleistungen zu schaffen, die zwischen Mehrwertsteuerpflichtigen erbracht werden und deren Kosten in den Preis der Waren eingehen(12).

38.      Was diesen allgemeineren Zweck angeht, gehen die Kosten der Gestellung von Personal, in diesem Fall der Gestellung von Lastkraftwagenfahrern, in den Preis der vom Empfänger hergestellten Waren oder erbrachten Dienstleistungen ein(13), unabhängig davon, ob das gestellte Personal beim Leistenden abhängig beschäftigt ist oder wie hier selbständiges Personal gestellt wird, das mit dem Leistenden nur durch einen Vermittlungsvertrag verbunden ist.

39.      Zweitens ist, auch wenn die Sechste Richtlinie dazu schweigt, aus welchem besonderen Grund speziell die Gestellung von Personal in die in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie aufgeführten Kategorien von Dienstleistungen aufgenommen worden ist, im Übrigen doch festzustellen, dass es der Gesetzgeber offensichtlich als unangebracht erachtet hat, solche Dienstleistungen gemäß der allgemeinen Regel von Art. 9 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie für die Zwecke der Besteuerung als am Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit oder der festen Niederlassung des Dienstleistenden erbracht anzusehen(14). Für den Gesetzgeber ist vielmehr der Ort der wirtschaftlichen Tätigkeit oder der festen Niederlassung des Empfängers, dem Personal gestellt wird und unter dessen Weisungsbefugnis und Aufsicht dieses Personal seine Tätigkeit versieht, der entscheidende Ort, an den anzuknüpfen ist und der somit Referenzort zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit für die Besteuerung solcher Dienstleistungen ist.

40.      Diese Erwägungen sprechen ebenfalls dafür, dass es keinen objektiven Grund – ein solcher ist von der Kommission oder der deutschen Regierung auch nicht geltend gemacht worden – gibt, warum zur Bestimmung des Ortes der Besteuerung bei der Gestellung von Personal danach unterschieden werden sollte, ob das gestellte Personal beim Dienstleistenden abhängig beschäftigt ist oder nicht, und warum dieser Umstand damit ein Merkmal der Dienstleistung „Gestellung von Personal“ nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie sein sollte.

41.      Dagegen lässt sich durchaus die Ansicht vertreten, dass es, wenn es als erforderlich erachtet wird, in Abweichung von der allgemeinen Regel des Art. 9 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie anzunehmen, dass das Personal, wenn es beim Dienstleistenden abhängig beschäftigt bleibt, als am Ort der wirtschaftlichen Tätigkeit oder der festen Niederlassung des Empfängers gestellt gilt, erst recht gerechtfertigt ist, diesen Ort als Ort der Besteuerung anzusehen, wenn das gestellte Personal nicht beim Dienstleistenden abhängig beschäftigt und daher weniger eng mit ihm und dem Ort seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder seiner festen Niederlassung verbunden ist.

42.      Eine solche Auslegung entspricht auch, wie ADV Allround richtig bemerkt hat, eher dem mit Art. 9 der Richtlinie verfolgten Zweck einer angemessenen Abgrenzung der Besteuerungsbefugnisse, da sie den Belangen einer Verwaltungsvereinfachung besser gerecht wird, praktische Probleme vermeidet und die Rechtssicherheit bei der Anwendung der in diesem Artikel niedergelegten Konfliktregeln erhöht(15), verglichen mit einer Situation, in der der Ort der Besteuerung, wenn Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt werden, danach zu bestimmen wäre, ob das gestellte Personal beim Dienstleistungserbringer abhängig beschäftigt oder selbständig ist, obwohl die Dienstleistungen in beiden Fällen demselben Zweck dienen.

43.      Schließlich kann das Vorbringen der deutschen Regierung keinen Bestand haben, wonach die Einbeziehung von selbständigen Fahrern in die Definition der „Gestellung von Personal“ in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie es dem selbständigen Personal ermöglichen könnte, den Besteuerungsort für ein und dieselbe Dienstleistung wie die fraglichen Fahrerdienste zu manipulieren oder zu bestimmen, je nachdem, ob es diese Dienstleistung unter Einschaltung eines Vermittlers erbringe oder nicht.

44.      Für die Zwecke u. a. der Anwendung der Bestimmungen der Sechsten Richtlinie über den Besteuerungsort ist jeder Umsatz unter Berücksichtigung seiner sämtlichen Merkmale und der Umstände, unter denen er getätigt wird, objektiv zu bestimmen und einzustufen(16).

45.      Daher ist in einem Kontext wie dem des Ausgangsverfahrens zu bestimmen, ob das Hauptmerkmal oder der Hauptzweck der betreffenden Dienstleistung darin besteht, einem Steuerpflichtigen Arbeitskräfte, im vorliegenden Fall Lastkraftwagenfahrer, zur Verfügung zu stellen, so dass der Umsatz als Gestellung von Personal zu qualifizieren ist, oder unmittelbar in der Durchführung von Beförderungsdienstleistungen durch den Dienstleistenden, so dass die abhängig Beschäftigten oder selbständigen Subunternehmer als Teil dieser Dienstleistung gestellt werden. Zudem liegen, was in diesen Fällen typisch ist, verschiedene getrennte Umsätze vor, die für Besteuerungszwecke getrennt zu prüfen sind, wie beispielsweise die Dienstleistung, die die selbständigen Lastkraftwagenfahrer dem Vermittler oder Unternehmer, der das Personal gestellt, im Rahmen des Vermittlungsvertrags erbringen, die Dienstleistung die dieser Vermittler den Spediteuren im Ausland erbringt, und schließlich die Beförderungsdienstleistungen, die diese Speditionen gegebenenfalls ihren Kunden erbringen.

46.      Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass die Antwort auf die erste Vorlagefrage lauten sollte, dass Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass die „Gestellung von Personal“ auch die Gestellung von selbständigem, nicht beim Dienstleistenden abhängig beschäftigtem Personal umfasst.

B –    Zweite Frage

47.      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob und inwieweit die Sechste Richtlinie, insbesondere ihre Bestimmungen über das Vorsteuerabzugsrecht, verlangt, dass das nationale Verfahrensrecht Vorkehrungen dafür trifft, dass die Steuerbarkeit und Steuerpflicht ein und derselben Leistung beim leistenden und beim leistungsempfangenden Unternehmer gleich beurteilt wird, auch wenn für beide Unternehmer verschiedene Finanzbehörden zuständig sind, und dadurch einander widersprechende Entscheidungen vermieden oder beseitigt werden.

1.      Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

48.      Die Kommission vertritt die Ansicht, das nationale Verfahrensrecht müsse Vorkehrungen dafür treffen, dass für die Zwecke der Mehrwertsteuererhebung ein und derselbe Umsatz in Bezug auf die Person, die die betreffende Dienstleistung erbringe, und die Person, die sie empfange, einheitlich beurteilt werde.

49.      Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten dürfe nicht so weit gehen, dass das grundlegende Recht auf Abzug bzw. Rückerstattung der Mehrwertsteuer gefährdet werde, das der vollständigen Entlastung der Unternehmen von der Last der im Laufe ihrer sämtlichen wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer und damit der Gewährleistung der vollständigen Neutralität der Besteuerung sämtlicher wirtschaftlicher Tätigkeiten diene.

50.      Nach Ansicht der Kommission sind die Mitgliedstaaten aufgrund ihrer Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit verpflichtet, Situationen zu vermeiden, in denen unterschiedliche Auffassungen der verschiedenen Steuerbehörden verhinderten, dass Steuerpflichtige die gesamte von ihnen geschuldete Mehrwertsteuer abziehen könnten oder erstattet bekämen. Dazu sei eine Koordination der verschiedenen Steuerbehörden und Spruchkörper notwendig, die nach nationalem Recht zuständig sein könnten.

51.      ADV Allround stimmt der Kommission unter Hinweis vor allem auf die Grundsätze der Neutralität der Mehrwertsteuer und der Rechtssicherheit im Wesentlichen zu. Insbesondere spricht sie sich dafür aus, den anderen betroffenen Steuerbehörden die Möglichkeit zu geben, sich am Verfahren vor dem nationalen Gericht zu beteiligen.

52.      Die deutsche Regierung tritt diesem Vorbringen entgegen. Sie meint, das Unionsrecht verlange nicht, dass im nationalen Verfahrensrecht besondere Vorkehrungen getroffen würden, damit die Steuerbarkeit und Steuerpflicht ein und derselben Leistung beim leistenden und beim leistungsempfangenden Unternehmen gleich beurteilt werde, wenn für beide Steuerpflichtige verschiedene Finanzbehörden zuständig seien.

53.      Mangels einschlägiger unionsrechtlicher Vorschriften sei es Sache des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollten, wobei die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität zu beachten sind, die jedoch im vorliegenden Fall nicht verletzt seien.

54.      Einander widersprechende Entscheidungen von Finanzbehörden und Finanzgerichten seien sowohl innerhalb ein und desselben Mitgliedstaats als auch zwischen Behörden und Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten kaum zu vermeiden. Solche einander widersprechenden Entscheidungen seien in der Tat ein althergebrachtes Organisationsproblem, das durch den hierarchischen Aufbau sowohl der Finanzverwaltung als auch der Finanzgerichtsbarkeit gelöst werde.

55.      Schließlich sei eine Koordination von Finanzbehörden und/oder Finanzgerichten zur Gewährleistung der Einheitlichkeit, wie von der Kommission vorgeschlagen, in der Praxis nicht umsetzbar und würde zahlreiche praktische und rechtliche Probleme aufwerfen, insbesondere im Hinblick auf den Grundsatz der Rechtssicherheit und die Bestandskraft behördlicher sowie die Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen.

2.      Würdigung

56.      Es ist vorweg darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs mangels einer einschlägigen Unionsregelung grundsätzlich Aufgabe des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten ist, die zuständigen Gerichte und Behörden zu bestimmen und die Verfahrensmodalitäten der Klagen zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen(17).

57.      Diese Verfahren dürfen jedoch nicht weniger günstig ausgestaltet sein als die für entsprechende Klagen, die nur innerstaatliches Recht betreffen (Äquivalenzgrundsatz), und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz)(18).

58.      Hierzu ist zunächst zu bemerken, dass die innerstaatliche Zuständigkeitsverteilung in Mehrwertsteuerangelegenheiten, wonach für die Umsatzsteuerschuld des Dienstleistenden einerseits und den Vorsteuererstattungsantrag des Dienstleistungsempfängers andererseits verschiedene Steuerbehörden zuständig sind, in der vorliegenden Rechtssache als solche nicht in Frage gestellt wird.

59.      Vielmehr rührt die Frage des vorlegenden Gerichts daher, dass die beteiligten Behörden in diesem Verwaltungsverfahren die Bestimmungen der Sechsten Richtlinie über den Besteuerungsort und somit die Steuerpflicht des leistenden Steuerpflichtigen unterschiedlich ausgelegt haben, so dass der in Rede stehende Umsatz von der einen Steuerbehörde als in Deutschland steuerbar angesehen wurde, die Erstattung der für diesen Umsatz entrichteten Vorsteuer von der anderen Steuerbehörde aber abgelehnt wurde.

60.      Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die sachliche Verknüpfung zwischen Vorsteuerabzug und Erhebung der geschuldeten Mehrwertsteuer(19) möchte das vorlegende Gericht wissen, ob nach Unionsrecht besondere verfahrensrechtliche Maßnahmen im nationalen Recht erlassen werden müssen, um eine einheitliche Auslegung und Anwendung der Bestimmungen über den Besteuerungsort und die Steuerpflicht in Besteuerungsverfahren wie dem vorliegenden zu gewährleisten, wenn sich diese auf denselben Umsatz beziehen. Obwohl dies aus dem Wortlaut der zweiten Frage nicht ganz klar hervorgeht, hat das vorlegende Gericht offensichtlich in erster Linie die Vorschriften für gerichtliche Verfahren wie das Ausgangsverfahren im Auge.

61.      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die nationalen Gerichte wie auch die Verwaltungsbehörden in der Tat verpflichtet sind, im Rahmen ihrer Zuständigkeit sicherzustellen, dass das unmittelbar geltende Unionsrecht uneingeschränkt angewandt wird(20).

62.      Aus der ständigen Rechtsprechung ergibt sich ebenfalls – dabei handelt es sich um ein dem Vorrang des Unionsrechts innewohnendes Erfordernis –, dass das Recht in der gesamten Union zutreffend und einheitlich ausgelegt und angewandt werden muss(21).

63.      Im Bereich des Verfahrensrechts wird diese einheitliche Anwendung und Auslegung des Unionsrechts im ansonsten dezentralisierten System seiner Durchsetzung allgemein durch das Verfahren über die Vorlage einer Frage nach der Auslegung oder der Gültigkeit einer Bestimmung des Unionsrechts gemäß Art. 267 AEUV gewährleistet, der ein System der gerichtlichen Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof eingeführt hat(22).

64.      Nach diesem System können nationale Gerichte, deren Entscheidungen noch mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, dem Gerichtshof eine Auslegungsfrage zur Vorabentscheidung vorlegen, wohingegen nur die Gerichte, deren Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln angefochten werden können, grundsätzlich verpflichtet sind, einschlägige Fragen des Unionsrechts, die im Verfahren vor ihnen aufgeworfen werden, dem Gerichtshof vorzulegen(23).

65.      Diese Verpflichtung soll insbesondere verhindern, dass sich in einem Mitgliedstaat eine nationale Rechtsprechung herausbildet, die nicht mit den Vorschriften des Unionsrechts in Einklang steht(24).

66.      Dagegen ist es offenkundig nicht Ziel dieses durch Art. 267 AEUV eingeführten Systems der gerichtlichen Zusammenarbeit, eine einheitliche Auslegung und Anwendung des Unionsrechts in allen Einzelfällen und auf allen Ebenen der Gerichtsbarkeit herbeizuführen, und erst recht nicht, sämtliche Widersprüche zwischen den nationalen Behörden in dieser Hinsicht, sei es innerhalb eines Mitgliedstaats oder zwischen verschiedenen Mitgliedstaaten, zu verhindern.

67.      Die einheitliche Anwendung und Auslegung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte ist vielmehr in dem jeweiligen gesamten Mitgliedstaat durch die entsprechende Gerichtsbarkeit und in letzter Instanz durch ein Ersuchen an den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu gewährleisten.

68.      Darüber hinaus gibt es, sofern ein Mitgliedstaat einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz gegen Entscheidungen von Verwaltungsbehörden gewährleistet, keine Verpflichtung, Verwaltungsverfahren so zu koordinieren, dass in jedem Fall von den betroffenen Behörden eine einheitliche Haltung in Bezug auf Bestimmungen des Unionsrechts eingenommen wird.

69.      Im vorliegenden Fall hält die Kommission es für notwendig, die verschiedenen Finanzbehörden und Finanzgerichte, die nach nationalem Recht zuständig sein können, zu koordinieren, um einheitliche Entscheidungen in Bezug auf ein und denselben Umsatz zu gewährleisten. Sie hat allerdings nicht näher dargetan, wie dieses Ziel in der Praxis durch Verfahrensvorschriften in Fällen zu erreichen ist, in denen es um zwei verschiedene Verwaltungsverfahren vor verschiedenen Finanzbehörden geht, die von verschiedenen Beteiligten eingeleitet worden sind, und die trotz des Umstands, dass sie sich auf dieselbe erbrachte Dienstleistung beziehen, einen unterschiedlichen Hauptgegenstand haben.

70.      Abgesehen von den Schwierigkeiten, eine solche Koordination zu erreichen, ist des Weiteren zu bemerken, dass aus dem vom vorlegenden Gericht in diesem Zusammenhang angeführten Urteil Genius(25) nicht folgt, dass entweder der Leistende oder der Empfänger einer bestimmten, der Mehrwertsteuer unterliegenden Dienstleistung einen besonderen Anspruch darauf hat, dass dieser Umsatz in dem von dem anderen Steuerpflichtigen vor einer anderen Finanzbehörde eingeleiteten Verfahren in Bezug auf Besteuerungsort und Steuerpflicht in der gleichen Weise wie von seiner eigenen Behörde qualifiziert wird. Der Gerichtshof hat lediglich festgestellt, dass das Recht auf Vorsteuerabzug nur für diejenigen Steuern ausgeübt werden darf, die geschuldet werden, d. h., mit einem der Mehrwertsteuer unterworfenen Umsatz in Zusammenhang stehen, oder die entrichtet worden sind, soweit sie geschuldet wurden, und dass sich dieses Recht daher nicht auf eine Steuer erstreckt, die ausschließlich deshalb geschuldet wird, weil sie in der Rechnung ausgewiesen ist(26).

71.      Ferner ist dem Umstand Gewicht beizumessen, dass die Empfänger der Dienstleistung in der vorliegenden Rechtssache keinen Einspruch gegen den Bescheid des Bundeszentralamts für Steuern eingelegt haben, mit dem die Anträge auf Vorsteuererstattung abgelehnt wurden. Was den vom vorlegenden Gericht angeführten Effektivitätsgrundsatz betrifft(27), ist deshalb nicht ersichtlich, dass die Verfahrensvorschriften für die Erstattung der Mehrwertsteuer als solche es praktisch unmöglich oder übermäßig schwierig machen, durch das Unionsrecht verliehene Rechte wie das Recht der Empfänger der in Rede stehenden Dienstleistungen auf Vorsteuerabzug auszuüben.

72.      Was schließlich die Verfahrensvorschriften über das gerichtliche Verfahren wie das beim vorlegenden Gericht anhängige betrifft, so geht sowohl aus dem Vorlagebeschluss als auch aus den Erklärungen der deutschen Regierung hervor, dass die Verwaltungsbescheide des Bundeszentralamts für Steuern über die Erstattungsanträge der Empfänger der Dienstleistungen für die Behörde und die Empfänger bestandskräftig geworden sind. Daher würde jeder Versuch, die Bindungswirkung der vom vorlegenden Gericht zu erlassenden Entscheidung über den Besteuerungsort und die Steuerschuld für die betreffende Dienstleistung – entweder durch Beiladung des Bundeszentralamts für Steuern und/oder der Empfänger der Dienstleistung oder in sonstiger Weise – auf diese Dienstleistungsempfänger zu erweitern, gegen die Bestandskraft der erwähnten Verwaltungsbescheide des Bundeszentralamts für Steuern verstoßen.

73.      In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass der Gerichtshof wiederholt die Bedeutung von Bestimmungen, die gerichtlichen oder Verwaltungsentscheidungen Rechtskraft bzw. Bestandskraft verleihen, sowohl für die Rechtsordnung der Union als auch für die nationalen Rechtssysteme hervorgehoben hat, da diese zur Rechtssicherheit beitragen, die ein Grundprinzip des Unionsrechts darstellt(28).

74.      Zwar hat der Gerichtshof in einigen Fällen festgestellt, dass Bestimmungen des nationalen Rechts, die Entscheidungen Bestandskraft verleihen, im Licht der Geltung und der Wirkung des Unionsrechts in Frage gestellt werden können. Dies gilt jedoch nur ausnahmsweise und unter ganz engen Voraussetzungen(29), die im vorliegenden Fall in verschiedener Hinsicht nicht erfüllt sind.

75.      Aufgrund dessen kann nach Unionsrecht vom nationalen Recht nicht verlangt werden, Vorkehrungen dafür zu treffen, dass die Entscheidung über den Besteuerungsort und die Steuerpflicht, die ein nationales Gericht im Hinblick auf den Erbringer der Dienstleistung zu erlassen hat, unter Umständen wie denen des vorliegenden Falles auch auf die Empfänger dieser Dienstleistung erstreckt werden kann.

76.      Im Licht sämtlicher vorstehender Erwägungen sollte die Antwort auf die zweite Vorlagefrage lauten, dass die Sechste Richtlinie und insbesondere die Vorschriften über das Vorsteuerabzugsrecht nicht verlangen, dass das nationale Verfahrensrecht besondere Vorkehrungen trifft, um zu gewährleisten, dass unter Umständen wie denen des vorliegenden Falles die Steuerbarkeit und Steuerpflicht ein und derselben Leistung beim leistenden und beim leistungsempfangenden Unternehmer gleich beurteilt wird, auch wenn für beide Unternehmer verschiedene Finanzbehörden zuständig sind.

C –    Dritte Frage

77.      Im Hinblick auf die Antwort auf die zweite Frage braucht die dritte Vorlagefrage nicht geprüft zu werden.

V –    Ergebnis

78.      Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, auf die Vorlagefragen wie folgt zu antworten:

–        Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist dahin auszulegen, dass die „Gestellung von Personal“ auch die Gestellung von selbständigem, nicht beim Dienstleistenden abhängig beschäftigtem Personal umfasst;

–        die Sechste Richtlinie und insbesondere die Vorschriften über das Vorsteuerabzugsrecht, verlangen nicht, dass das nationale Verfahrensrecht besondere Vorkehrungen trifft, um zu gewährleisten, dass unter Umständen wie denen des vorliegenden Falles die Steuerbarkeit und Steuerpflicht ein und derselben Leistung beim leistenden und beim leistungsempfangenden Unternehmer gleich beurteilt wird, auch wenn für beide Unternehmer verschiedene Finanzbehörden zuständig sind.


1 – Originalsprache: Englisch.


2 – ABl. L 145, S. 1, in der zuletzt durch die Richtlinie 2004/66/EG des Rates vom 26. April 2004 (ABl. L 168, S. 35) geänderten maßgebenden Fassung.


3 – Vgl. hierzu Urteile vom 6. Mai 1992, de Jong (C-20/91, Slg. 1992, I-2847, Randnr. 15), und vom 16. Oktober 1997, Fillibeck (C-258/95, Slg. 1997, I-5577, Randnr. 25).


4 – Vgl. u. a. Urteile vom 9. März 2006, Gillan Beach (C-114/05, Slg. 2006, I-2427, Randnr. 21), und vom 7. Juni 2005, VEMW u. a. (C-17/03, Slg. 2005, I-4983, Randnr. 41).


5 – Vgl. hierzu Urteile vom 5. Juni 2003, Design Concept (C-438/01, Slg. 2003, I-5617, Randnr. 22), und vom 26. September 1996, Dudda (C-327/94, Slg. 1996, I-4595, Randnr. 20).


6 – Vgl. in dieser Hinsicht Urteil vom 12. Mai 2005, RAL (Channel Islands) u. a. (C-452/03, Slg. 2005, I-3947, Randnr. 23).


7 – Vgl. hierzu Urteil vom 15. März 1989, Hamann (51/88, Slg. 1989, 767, Randnr. 17).


8 – Vgl. Urteil vom 23. Januar 1986, Trans Tirreno Express (283/84, Slg. 1986, 231, Randnr. 15).


9 – Vgl. u. a. Urteil Trans Tirreno Express, in Fn. 8 angeführt, Randnr. 16, und RAL (Channel Islands) u. a., in Fn. 6 angeführt, Randnr. 23.


10 – Vgl. hierzu u. a. Urteile vom 15. März 2001, SPI (C-108/00, Slg. 2001, I-2361, Randnrn. 16 und 17), vom 7. September 2006, Heger (C-166/05, Slg. 2006, I-7749, Randnr. 17), und vom 6. November 2008, Kollektivavtalsstiftelsen TRR Trygghetsrådet (C-291/07, Slg. 2008, I-8255, Randnr. 25).


11 – Vgl. u. a. Urteil vom 6. Dezember 2007, Kommission/Deutschland (C-401/06, Slg. 2007, I-10609, Randnr. 30).


12 – Vgl. Urteil Gillan Beach, oben in Fn. 4 angeführt, Randnr. 17.


13 – Obwohl sich der Wortlaut des siebten Erwägungsgrundes nur auf den Dienstleistungsempfänger, der Waren herstellt, bezieht, muss er seinem Sinn nach auch für Situationen gelten, in denen der Dienstleistungsempfänger selbst Dienstleistungen erbringt. Vgl. hierzu Urteil vom 17. November 1993, Kommission/Frankreich (C-68/92, Slg. 1993, I-5881, Randnr. 15), und Schlussanträge von Generalanwalt Jacobs in der Rechtssache Design Concept, oben in Fn. 5 angeführt, Randnr. 23.


14 – Vgl. in diesem Zusammenhang oben Nr. 34 und Urteil vom 6. November 1997, Reisebüro Binder (C-116/96, Slg. 1997, I-6103, Randnr. 13).


15 – Vgl. in dieser Hinsicht Urteile Reisebüro Binder, oben in Fn. 14 angeführt, Randnr. 12, und Kollektivavtalsstiftelsen TRR Trygghetsrådet, oben in Fn. 10 angeführt, Randnrn. 30 bis 33.


16 – Vgl. hierzu u. a. Urteile vom 16. Dezember 2010, Macdonald Resorts Limited (C-270/09, Slg. 2010, I-13179, Randnr. 46); SPI, oben in Fn. 10 angeführt, Randnr. 20, und vom 9. Oktober 2001 (Cantor Fitzgerald International, C-108/99, Slg. 2001, I-7257, Randnr. 33).


17 – Vgl. hierzu u. a. Urteile vom 21. Januar 2010, Alstom Power Hydro (C-472/08, Slg. 2010, I-623, Randnr. 17), vom 16. November  1998, Aprile (C-228/96, Slg. 1998, I-7141, Randnr. 18), und vom 21. September 1983, Deutsche Milchkontor u. a. (205/82 bis 215/82, Slg. 1983, 2633, Randnr. 17).


18 – Vgl. u. a. Urteile vom 18. März 2010, Alassini (C-317/08 bis C-320/08, Slg. 2010, I-2213, Randnr. 48), und vom 8. März 2011, Lesoochranárske zoskupenie (C-240/09, Slg. 2011, I-1255, Randnr. 48).


19 – Vgl. hierzu u. a. Urteil vom 22. Dezember 2010, RBS Deutschland Holding (C-277/09, Slg. 2010, I-13805, Randnr. 35).


20 – Vgl. hierzu u. a. Urteile vom 8. September 2010, Winner Wetten (C-409/06, Slg. 2010, I-8015, Randnr. 55), vom 13. Januar 2004, Kühne & Heitz (C-453/00, Slg. 2004, I-837, Randnr. 20), vom 24. Oktober 1996, Kraaijeveld u. a. (C-72/95, Slg. 1996, I-5403, Randnrn. 55 bis 61), und vom 22. Juni 1989, Costanzo (103/88, Slg. 1989, 1839, Randnr. 33).


21 – Vgl. hierzu u. a. Urteile Winner Wetten, oben in Fn. 20 angeführt, Randnr. 61, vom 18. Oktober 2007, Österreichischer Rundfunk (C-195/06, Slg. 2007, I-8817, Randnr. 24), vom 6. Dezember 2005, Gaston Schul Douane-expediteur (C-461/03, Slg. 2005, I-10513, Randnr. 21), und vom 15. September 2005, Intermodal Transports (C-495/03, Slg. 2005, I-8151, Randnrn. 33 und 38).


22 – Der Gerichtshof hat im Urteil Intermodal Transports, oben in Fn. 21 angeführt, Randnr. 38, hervorgehoben, dass Art. 267 AEUV ein Verfahren der Zusammenarbeit ausschließlich zwischen Gerichten eingeführt hat.


23 – Vgl. Urteil Intermodal Transports, oben in Randnr. 21 angeführt, Randnrn. 28 bis 31.


24 – Vgl. insbesondere Urteile vom 4. Juni 2002, Lyckeskog (C-99/00, Slg. 2002, I-4839, Randnr. 14), und vom 22. Februar 2001, Gomes Valente (C-393/98, Slg. 2001, I-1327, Randnr. 17).


25 – Urteil vom 13. Dezember 1989 (C-342/87, Slg. 1989, 4227).


26 – Ebd., siehe hierzu Randnrn. 13 und 19.


27 – Vgl. oben, Nr. 57.


28 – Vgl. hierzu u. a. Urteile vom 16. März 2006, Kapferer (C-234/04, Slg. 2006, I-2585, Randnr. 20), und Kühne & Heitz, oben in Fn. 20 angeführt, Randnr. 24.


29 – Vgl. Urteil Kühne & Heitz, oben in Fn. 20 angeführt, Randnrn. 26 und 27: Erstens muss die Verwaltungsbehörde nach nationalem Recht die Befugnis haben, die bestandskräftige Entscheidung zurückzunehmen, zweitens muss die fragliche Verwaltungsentscheidung ihre Bestandskraft erst infolge eines Urteils eines nationalen Gerichts erlangt haben, dessen Entscheidungen nicht mit Rechtsmitteln anfechtbar sind, drittens muss dieses Urteil auf einer Auslegung des Unionsrechts beruhen, die, wie ein später ergangenes Urteil des Gerichtshofs zeigt, unrichtig war und die erfolgt ist, ohne dass der Gerichtshof um Vorabentscheidung ersucht wurde, obwohl der Tatbestand des Art. 267 AEUV erfüllt war, und viertens muss sich die betroffene Person, unmittelbar nachdem sie Kenntnis von diesem Urteil des Gerichtshofs erlangt hatte, an die Verwaltungsbehörde gewandt haben.