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SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 19. April 2012(1)

Rechtssache C-18/11

The Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs

gegen

Philips Electronics UK Ltd

(Vorabentscheidungsersuchen des Upper Tribunal, Tax and Chancery Chamber [Vereinigtes Königreich])

„Niederlassungsfreiheit – Nationale Steuergesetzgebung – Körperschaftsteuer – Konzernabzug – Ausschluss der Übertragung von Verlusten der ansässigen Betriebsstätte einer nicht ansässigen Gesellschaft auf eine durch ein Konsortium verbundene ansässige Gesellschaft“





I –    Einleitung

1.        Zum dritten Mal wird vor dem Gerichtshof die steuerliche Regelung des Konzernabzugs („group relief“) im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland verhandelt. Diese Regelung ermöglicht die Übertragung von Verlusten zwischen verschiedenen Gesellschaften innerhalb eines Konzerns oder Konsortiums. Verluste können so verschoben werden, und zwar dorthin, wo sie steuerlich am besten zu „gebrauchen“ sind. Der Konzern oder das Konsortium soll damit im Ergebnis steuerlich wie ein einziges Unternehmen behandelt werden.

2.        Zum dritten Mal geht es vor dem Gerichtshof auch um die Frage, ob der Ausschluss bestimmter Steuerpflichtiger von dieser Regelung mit der Niederlassungsfreiheit zu vereinbaren ist. Der Gerichtshof hat sich insoweit bereits beschäftigt mit dem Ausschluss ausländischer Tochtergesellschaften(2) sowie inländischer Holding-Gesellschaften, die mehrheitlich ausländische Tochtergesellschaften verwalten(3).

3.        Im vorliegenden Fall handelt es sich um ein Konsortium unter Beteiligung britischer und niederländischer Gesellschaften. Die im Vereinigten Königreich ansässige Zweigniederlassung einer niederländischen Gesellschaft will ihre Verluste auf eine britische Gesellschaft übertragen. Die britische Finanzverwaltung will dies nicht zulassen, da die Verluste zwar im Vereinigten Königreich entstanden sind, aber auch am niederländischen Sitz der Gesellschaft steuerlich berücksichtigt werden können.

II – Rechtlicher Rahmen

4.        Im Vereinigten Königreich wird eine Körperschaftsteuer erhoben. Für die hier streitigen Jahre 2001 bis 2004 ist sie im Income and Corporation Taxes Act 1988 (im Folgenden: ICTA) geregelt.

5.        Der Körperschaftsteuer unterliegen im Vereinigten Königreich ansässige Gesellschaften mit ihrem gesamten Gewinn. Gesellschaften mit Sitz außerhalb des Vereinigten Königreichs unterliegen der Körperschaftsteuer nur insoweit, wie eine im Vereinigten Königreich ansässige Betriebsstätte Gewinne erwirtschaftet.

6.        Dies entspricht dem zwischen dem Vereinigten Königreich und dem Königreich der Niederlande abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen, das in seinem Art. 7 auszugsweise bestimmt:

„(1)      Die Gewinne eines Unternehmens eines Vertragsstaats können nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, das Unternehmen übt seine Geschäftstätigkeit im anderen Vertragsstaat durch eine dort gelegene Betriebsstätte aus. Übt das Unternehmen seine Geschäftstätigkeit auf diese Weise aus, so können seine Gewinne im anderen Staat besteuert werden, jedoch nur insoweit, als sie dieser Betriebsstätte zugerechnet werden können.“

7.        Im Vereinigten Königreich entstehende Verluste können sowohl inländische Gesellschaften als auch Betriebsstätten ausländischer Gesellschaften in frühere oder spätere Steuerzeiträume übertragen.

8.        Darüber hinaus sieht Section 402(1) ICTA eine Regelung zur Übertragung von Verlusten zwischen verschiedenen Steuerpflichtigen im Wege des so genannten Konzernabzugs vor:

„(1)      Gemäß diesem Kapitel und Section 492(8) kann ein Abzug von der Körperschaftsteuer für Betriebsverluste und sonstige im Rahmen der Körperschaftsteuer abzugsfähige Beträge gemäß den in den Subsections (2) und (3) aufgeführten Fällen von einer übertragenden Gesellschaft (übertragende Gesellschaft) übertragen werden und von einer anderen Gesellschaft (antragstellende Gesellschaft) auf Antrag in Form des so genannten Konzernabzugs vorgenommen werden.“

9.        Der Konzernabzug kann, je nach dem Verhältnis der übertragenden und der antragstellenden Gesellschaft, entweder im Wege eines Konzernantrags oder eines Konsortialantrags geltend gemacht werden.

10.      Für den Fall, dass die übertragende Gesellschaft nicht im Vereinigten Königreich ansässig ist, enthält Section 403D für den Konzernabzug die folgende Sonderregelung:

„(1)      Bei der Ermittlung der Verluste und sonstigen Beträge, die für die Zwecke dieses Kapitels in einem Rechnungsjahr von einer gebietsfremden Gesellschaft im Wege des Konzernabzugs übertragen werden können, sind Verluste und sonstige Beträge nur insoweit in dieser Weise übertragbar, als

a)      sie Tätigkeiten der gebietsfremden Gesellschaft zugerechnet werden können, aus denen Einkommen und Veräußerungsgewinne erzielt werden oder (gegebenenfalls) würden, die bei der Berechnung der der Körperschaftsteuer unterliegenden Gewinne in dem betreffenden Rechnungsjahr angesetzt werden;

b)      sie nicht Tätigkeiten der Gesellschaft zugerechnet werden können, die aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens in dem betreffenden Rechnungsjahr von der Körperschaftsteuer befreit sind und

c)      kein Teil

(i)      der Verluste oder sonstigen Beträge oder

(ii)      eines zu ihrer Berechnung angesetzten Betrags

einem Betrag entspricht oder diesen darstellt, der für die Zwecke einer ausländischen Steuer (in irgendeinem Rechnungsjahr) von den Auslandsgewinnen der Gesellschaft oder einer anderen Person abziehbar ist oder in sonstiger Weise mit diesen Gewinnen verrechnet werden kann.

(3)      In dieser Section bezeichnet der Ausdruck ‚Auslandsgewinne‘ – bezogen auf eine Person – Beträge,

a)      die für die Zwecke einer ausländischen Steuer der Betrag der Gewinne, Einkommen oder Veräußerungsgewinne (nach Abzügen) sind, auf die die Person diese Steuer zu entrichten hat, und

b)      bei denen es sich nicht um Beträge handelt, die den Gesamtgewinnen (dieser oder einer anderen Person) in einem Rechnungsjahr entsprechen oder diese darstellen,

oder Beträge, die bei der Berechnung dieser Beträge berücksichtigt werden.

(9)      In dieser Section bezeichnet der Ausdruck ‚ausländische Steuer‘ eine Steuer, die nach dem Recht eines Hoheitsgebiets außerhalb des Vereinigten Königreichs anfällt und

a)      die auf Einkommen erhoben wird und der Einkommensteuer des Vereinigten Königreichs entspricht oder

b)      die auf Einkommen oder zu versteuernde Veräußerungsgewinne oder auf beides erhoben wird und der Körperschaftsteuer des Vereinigten Königreichs entspricht;

…“

III – Sachverhalt und Vorlagefragen

11.      Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist die Körperschaftsteuer, die Philips Electronics UK Ltd (im Folgenden: die Steuerpflichtige) für die Jahre 2001 bis 2004 im Vereinigten Königreich schuldet.

12.      Für diese Jahre stellte die im Vereinigten Königreich ansässige Steuerpflichtige im Rahmen ihrer Steuererklärungen verschiedene Konsortialanträge auf Konzernabzug, zuletzt am 9. Juli 2009. Damit sollten Verluste einer anderen Gesellschaft in Höhe von insgesamt rund 64 Mio. GBP auf die Steuerpflichtige übertragen und damit von der Bemessungsgrundlage ihrer Körperschaftsteuer abgezogen werden. Diese Verluste waren bei einer im Vereinigten Königreich ansässigen Zweigniederlassung der niederländischen Gesellschaft LG Philips Displays Netherlands BV (im Folgenden: LG.PD Netherlands) entstanden.

13.      LG.PD Netherlands ist Teil eines Konzerns, der ein Konsortium einer niederländischen und einer südkoreanischen Gesellschaft ist. Die niederländische Gesellschaft ist die Muttergesellschaft der Steuerpflichtigen. Im Ausgangsverfahren ist davon auszugehen, dass diese Verbindung zwischen LG.PD Netherlands und der Steuerpflichtigen grundsätzlich zum Konzernabzug berechtigt.(4)

14.      Die Übertragung der Verluste von der Zweigniederlassung der LG.PD Netherlands im Vereinigten Königreich auf die Steuerpflichtige vereinbarten beide Gesellschaften in einem Vertrag, der für LG.PD Netherlands ein Entgelt vorsieht. Am 27. Januar 2006 wurde über das Vermögen der LG.PD Netherlands das Insolvenzverfahren eröffnet.

15.      Im Ausgangsverfahren ist umstritten, ob die Finanzverwaltung des Vereinigten Königreichs den Konzernabzug mit der Begründung verweigern kann, dass die zu übertragenden Verluste im Rahmen der niederländischen Besteuerung der LG.PD Netherlands grundsätzlich berücksichtigt werden und damit die Bedingung der Section 403D(1)(c) ICTA nicht erfüllt ist. Die Steuerpflichtige vertritt hierzu die Auffassung, dass diese Bestimmung gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt.

16.      Vor diesem Hintergrund hat das Upper Tribunal, Tax and Chancery Chamber, dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.         Wenn ein Mitgliedstaat (wie das Vereinigte Königreich) die Gewinne und Verluste einer Gesellschaft, die in einem anderen Mitgliedstaat (wie den Niederlanden) gegründet worden und dort steuerlich ansässig ist, in seine Steuerbemessungsgrundlage einbezieht, soweit die Gewinne der Geschäftstätigkeit zugerechnet werden können, die von der niederländischen Gesellschaft im Vereinigten Königreich durch eine dort ansässige Betriebsstätte ausgeübt werden, stellt es dann eine Beschränkung der durch Art. 49 AEUV (ex-Art. 43 EG) verbürgten Freiheit eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, sich im Vereinigten Königreich niederzulassen, dar, wenn das Vereinigte Königreich die Übertragung der im Vereinigten Königreich entstandenen Verluste einer gebietsansässigen Betriebsstätte einer gebietsfremden Gesellschaft auf eine gebietsansässige Gesellschaft im Wege des Konzernabzugs verbietet, sofern irgendein Teil dieser Verluste oder irgendein zu ihrer Berechnung angesetzter Betrag „einem Betrag entspricht oder diesen darstellt, der für die Zwecke einer ausländischen Steuer (in irgendeinem Rechnungsjahr) von den Auslandsgewinnen der Gesellschaft oder einer anderen Person abziehbar ist oder in sonstiger Weise mit diesen Gewinnen verrechnet werden kann“, d. h., wenn die Übertragung der im Vereinigten Königreich entstandenen Verluste im Fall einer gebietsansässigen Betriebsstätte nur dann zugelassen wird, wenn zum Zeitpunkt der Antragstellung feststeht, dass in einem anderen Staat als dem Vereinigten Königreich (einschließlich in einem anderen Mitgliedstaat wie den Niederlanden) niemals ein Abzug oder eine Verrechnung stattfinden kann, wobei es zur Begründung des Abzugsrechts nicht ausreicht, dass eine im Ausland zur Verfügung stehende Steuererleichterung tatsächlich nicht in Anspruch genommen worden ist, und wenn für die Übertragung der im Vereinigten Königreich entstandenen Verluste einer gebietsansässigen Gesellschaft keine entsprechende Voraussetzung gilt?

2.         Falls ja: Kann diese Beschränkung gerechtfertigt werden

a)      allein mit der Notwendigkeit, die doppelte Berücksichtigung der Verluste zu verhindern, oder

b)      allein mit der Notwendigkeit, die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren, oder

c)      mit der Notwendigkeit, die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren, und mit der Notwendigkeit, die doppelte Berücksichtigung der Verluste zu verhindern?

3.         Falls ja: Stehen die Beschränkung und der Rechtfertigungsgrund bzw. die Rechtfertigungsgründe in einem angemessenen Verhältnis?

4.         Falls eine Beschränkung der Rechte der niederländischen Gesellschaft nicht gerechtfertigt ist oder zu einem Rechtfertigungsgrund nicht in einem angemessenen Verhältnis steht, ist das Vereinigte Königreich dann unionsrechtlich verpflichtet, der Gesellschaft im Vereinigten Königreich Abhilfe zu gewähren, etwa das Recht, Konzernabzug von ihren Gewinnen geltend zu machen?

17.      Im Verfahren vor dem Gerichtshof haben die Steuerpflichtige, die dänische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die Europäische Kommission schriftliche Erklärungen eingereicht und an der mündlichen Verhandlung teilgenommen.

IV – Rechtliche Würdigung

18.      Die Fragen des vorlegenden Gerichts richten sich auf die Auslegung der Niederlassungsfreiheit. Meiner Untersuchung werde ich insoweit Art. 43 EG zu Grunde legen, da Art. 49 AEUV auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nicht anzuwenden ist.(5) Darüber hinaus werde ich die Fragen des vorlegenden Gerichts in dem Sinne verstehen, dass sie sich auch auf die Anwendung des Art. 48 EG beziehen, der den in Art. 43 EG genannten natürlichen Personen bestimmte Gesellschaften gleichstellt.

19.      Die Fragen nach der Auslegung gerade der Niederlassungsfreiheit sind berechtigt. Die Niederlassungsfreiheit ist die im vorliegenden Fall einschlägige Grundfreiheit. Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass der sachliche Anwendungsbereich des Art. 43 EG betroffen ist, wenn eine Gesellschaft eine in einem anderen Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte einrichtet und beherrscht.(6) Vorliegend geht es um eine niederländische Gesellschaft und das Recht auf Übertragung von Verlusten einer Zweigniederlassung, die sie im Vereinigten Königreich unterhält. Eine solche Zweigniederlassung fällt steuerrechtlich unter den Begriff der Betriebsstätte.(7)

20.      Im Folgenden ist damit zu klären, ob die Niederlassungsfreiheit einer Beschränkung des Rechts einer ausländischen Gesellschaft auf Übertragung von Verlusten ihrer inländischen Betriebsstätte (in Form einer Zweigniederlassung) entgegensteht.

A –    Zur ersten Vorlagefrage: Beschränkung der Niederlassungsfreiheit

21.      Den Vorlagefragen entsprechend werde ich zunächst prüfen, ob eine Regelung wie Section 403D(1)(c) ICTA die Niederlassungsfreiheit beschränkt. Nach dieser Vorschrift ist eine Übertragung von inländischen Verlusten der Betriebsstätte einer ausländischen Gesellschaft im Wege des Konzernabzugs nicht möglich, wenn die Verluste für die Zwecke einer ausländischen Besteuerung mit dortigen Gewinnen verrechnet werden können.

22.      Nach ständiger Rechtsprechung fallen die direkten Steuern zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, jedoch müssen diese ihre Befugnisse unter Wahrung des Unionsrechts ausüben.(8) Vor diesem Hintergrund ist zu betonen, dass die Mitgliedstaaten nach dem Unionsrecht grundsätzlich nicht verpflichtet sind, im Rahmen ihres Körperschaftsteuerrechts einen Konzernabzug von Verlusten vorzusehen, wie ihn das Recht des Vereinigten Königreichs im vorliegenden Fall gewährt. Denn die Gestaltung des Steuersystems ist Sache des einzelnen Mitgliedstaates.(9) Sieht ein Mitgliedstaat aber ein solches Recht vor, so muss dieses in Einklang mit den Grundfreiheiten des Unionsrechts, hier insbesondere der Niederlassungsfreiheit, geregelt werden.

23.      Die Niederlassungsfreiheit wird Gesellschaften durch die Art. 43 und 48 EG gewährt. Der Gerichtshof hat aus dem Inhalt dieser Bestimmungen zusammenfassend abgeleitet, dass Gesellschaften mit Sitz in einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft das Recht zusteht, ihre Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat durch eine Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung oder Agentur auszuüben.(10)

24.      Da zudem Art. 43 Abs. 1 Satz 2 EG den Wirtschaftsteilnehmern ausdrücklich die Möglichkeit lässt, die geeignete Rechtsform für die Ausübung ihrer Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat frei zu wählen, darf diese freie Wahl im Aufnahmemitgliedstaat nicht durch diskriminierende Steuerbestimmungen eingeschränkt werden.(11) Die Freiheit, die geeignete Rechtsform für die Ausübung von Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat zu wählen, hat insbesondere zum Ziel, es den Gesellschaften mit Sitz in einem Mitgliedstaat zu ermöglichen, eine Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat zu eröffnen, um ihre Tätigkeiten dort unter den gleichen Bedingungen auszuüben, wie sie für Tochtergesellschaften gelten.(12)

25.      Diese Rechtsprechung bedeutet im Ergebnis, dass ausländische Gesellschaften unter denselben Bedingungen einer Erwerbstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat nachgehen dürfen wie inländische Gesellschaften. Darüber hinaus darf sich der Aufnahmemitgliedstaat nicht darauf berufen, dass die ausländische Gesellschaft eine etwaige nachteilige Ungleichbehandlung verhindern kann, indem sie eine andere Rechtsform ihrer Betätigung im Aufnahmemitgliedstaat wählt, etwa anstelle einer Zweigniederlassung eine Tochtergesellschaft.(13)

1.      Nachteilige ungleiche Behandlung

26.      Im vorliegenden Fall ist eine Ungleichbehandlung inländischer und ausländischer Gesellschaften bei der Ausübung ihrer selbständigen Erwerbstätigkeit im Vereinigten Königreich festzustellen.

27.      Die Regierung des Vereinigten Königreichs trägt selbst vor, dass die steuerlichen Regelungen zum Konzernabzug inländische Gesellschaften und ausländische Gesellschaften mit einer im Inland ansässigen Betriebsstätte unterschiedlich behandeln. Allein für die im Ausland ansässigen Gesellschaften gelten die gesonderten Bedingungen der Section 403D(1) ICTA.

28.      Zu diesen Bedingungen gehört nach Buchst. c dieser Regelung, dass ausländische Gesellschaften die Verluste einer im Vereinigten Königreich ansässigen Betriebsstätte nur dann übertragen können, wenn diese nicht für die Zwecke einer ausländischen Steuer verwendet werden können. Für Gesellschaften, die im Vereinigten Königreich ansässig sind, gilt eine solche Bedingung nicht.

29.      Durch die ungleiche Behandlung entstehen ausländischen Gesellschaften zumindest zwei Nachteile. Zum einen wird es für sie schwieriger, mit Gesellschaften des Vereinigten Königreichs ein Konsortium zu bilden. Jene werden aufgrund der unter Umständen fehlenden Übertragbarkeit von Verlusten der im Vereinigten Königreich ansässigen Betriebsstätten ausländischer Gesellschaften ihre Geschäfte eher im Konsortium mit inländischen Gesellschaften betreiben, die diesen Beschränkungen nicht unterliegen. Zum anderen ergeben sich für eine ausländische Gesellschaft unmittelbare Nachteile durch eine Verweigerung der Verlustübertragung. Der ausländischen Gesellschaft wird – wie im vorliegenden Fall – die Möglichkeit genommen, von der Gesellschaft, die von der Verlustübertragung profitiert, hierfür eine Vergütung zu erhalten.

30.      Wie bereits dargelegt, ergibt sich aus der Rechtsprechung zudem, dass sich der Aufnahmemitgliedstaat nicht darauf berufen kann, dass ausländische Gesellschaften Nachteile vermeiden können, indem sie ihre Erwerbstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat in Form einer Tochtergesellschaft statt einer Zweigniederlassung betreiben. So unterläge die Übertragung der Verluste einer Tochtergesellschaft der LG.PD Netherlands im Vereinigten Königreich keinen Beschränkungen. Den ausländischen Gesellschaften steht es aber frei, ihr Niederlassungsrecht im Vereinigten Königreich durch eine Zweigniederlassung oder eine Tochtergesellschaft auszuüben.

2.      Objektive Vergleichbarkeit

31.      Die Regierung des Vereinigten Königreichs trägt demgegenüber vor, dass sich eine inländische Gesellschaft und eine ausländische Gesellschaft mit einer im Vereinigten Königreich ansässigen Zweigniederlassung im Hinblick auf ihre Besteuerung nicht in einer objektiv vergleichbaren Situation befänden. Während das gesamte Einkommen einer inländischen Gesellschaft besteuert werde, sei dies bei einer ausländischen Gesellschaft nur im Hinblick auf die Einkünfte ihrer inländischen Betriebsstätte der Fall.

32.      Es ist zutreffend, dass nach ständiger Rechtsprechung eine Diskriminierung nur dadurch entstehen kann, dass unterschiedliche Vorschriften auf gleiche Situationen angewandt werden oder dass dieselbe Vorschrift auf unterschiedliche Situationen angewandt wird.(14) Deshalb ist eine ungleiche Behandlung mit den Bestimmungen des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit vereinbar, wenn sie Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind. Die objektive Vergleichbarkeit ist dabei unter Berücksichtigung des mit den fraglichen nationalen Bestimmungen verfolgten Ziels zu prüfen.(15)

33.      Nach ständiger Rechtsprechung befinden sich zwar in der Regel Gebietsansässige und Gebietsfremde im Hinblick auf die direkten Steuern nicht in einer vergleichbaren Situation.(16) Der Gerichtshof hat jedoch bereits im Urteil Marks & Spencer festgestellt, dass in jedem Einzelfall zu prüfen ist, ob die Beschränkung der Anwendung einer Steuervergünstigung auf gebietsansässige Steuerpflichtige durch objektive Kriterien gestützt ist.(17) Deshalb liegt eine Beschränkung vor, wenn in Bezug auf die fragliche Steuer kein objektiver Unterschied besteht, der die unterschiedliche Behandlung der verschiedenen Kategorien von Steuerpflichtigen rechtfertigen könnte.(18)

34.      So hat der Gerichtshof bereits mehrfach entschieden, dass sich eine gebietsansässige Gesellschaft und eine gebietsfremde Gesellschaft, die im Inland durch eine Betriebsstätte handelt, im Hinblick auf ihre inländische Besteuerung in einer vergleichbaren Situation befinden können.(19)

35.      Im Urteil Royal Bank of Scotland stellte der Gerichtshof dazu fest, dass sich solche Gesellschaften in einer objektiv vergleichbaren Situation befanden, da die Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer für beide Gesellschaften in gleicher Weise ermittelt wurde. Vor diesem Hintergrund war es für den Gerichtshof bedeutungslos, dass gebietsansässige Gesellschaften auf der Grundlage ihres Welteinkommens, gebietsfremde Gesellschaften nur auf der Grundlage ihres im Inland erzielten Einkommens besteuert wurden.(20) Derartige Unterschiede im Hinblick auf die Besteuerungshoheit der Mitgliedstaaten, wie sie die Regierung des Vereinigten Königreichs vorgetragen hat, sind folglich nicht im Rahmen der objektiven Vergleichbarkeit der Situationen, sondern allenfalls bei der Prüfung der Rechtfertigungsgründe bedeutsam.(21)

36.      Im Urteil Saint Gobain ZN erkannte der Gerichtshof zudem eine vergleichbare Lage gebietsansässiger und gebietsfremder Gesellschaften vor allem deshalb, weil ihre unterschiedliche Behandlung erst auf der Stufe der streitigen Steuervergünstigungen erfolgte.(22) Die Vorinstanz des vorliegenden Ausgangsverfahrens hat hierzu festgestellt, dass inländische Gesellschaften und die im Inland belegenen Betriebsstätten ausländischer Gesellschaften im Hinblick auf die im Vereinigten Königreich erwirtschafteten Gewinne und Verluste für die Zwecke der Körperschaftsteuer völlig gleich behandelt werden, mit Ausnahme allerdings des hier umstrittenen Konzernabzugs.(23)

37.      Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit kann deshalb nicht mit der Begründung verneint werden, dass sich eine inländische Gesellschaft und eine ausländische Gesellschaft mit einer im Vereinigten Königreich ansässigen Zweigniederlassung im Hinblick auf ihre Besteuerung nicht in einer objektiv vergleichbaren Situation befinden. So ist den ausländischen Gesellschaften hinsichtlich ihrer Betriebsstätten insbesondere die Übertragung von Verlusten in frühere oder spätere Steuerzeiträume gestattet, ebenso wie den inländischen Gesellschaften. Offenbar sieht das Recht des Vereinigten Königreichs also die Situationen im Hinblick auf Verluste grundsätzlich als vergleichbar an.

3.      Zwischenergebnis

38.      Auf die erste Frage ist damit zu antworten, dass die besonderen Bedingungen, die Section 403D(1)(c) ICTA für den Konzernabzug im Hinblick auf Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem Vereinigten Königreich aufstellt, eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellen.

B –    Zur zweiten Vorlagefrage: Rechtfertigungsgrund für die Beschränkung

39.      Mit seiner zweiten Frage will das vorlegende Gericht wissen, ob für die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ein Rechtfertigungsgrund besteht. Nach der Rechtsprechung ist eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit zulässig, wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist.(24) Das vorlegende Gericht nennt hier als mögliche Gründe die Ausgewogenheit der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten, die Gefahr der doppelten Verlustberücksichtigung sowie eine Kombination aus beiden.

40.      Die Art der Frage hat ihren Ursprung in der offenbar fortbestehenden Unsicherheit über die Interpretation des Urteils Marks & Spencer. Dort hatte der Gerichtshof als Rechtfertigungsgründe die Ausgewogenheit der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten, die Gefahr der doppelten Verlustberücksichtigung sowie die Steuerfluchtgefahr genannt und alle drei gemeinsam zur Rechtfertigung einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit herangezogen.(25)

41.      Bereits in meinen Schlussanträgen zur Rechtssache Oy AA habe ich ausgeführt, dass der Kern dieser drei Elemente die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse ist.(26) Der Gerichtshof hat im entsprechenden Urteil auch anerkannt, dass eine Rechtfertigung durch die beiden Elemente der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten sowie der Verhinderung der Steuerumgehung möglich ist.(27) Später hat er im Urteil Lidl Belgium auch eine Rechtfertigung allein durch die Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten und die Gefahr der doppelten Verlustberücksichtigung gebilligt.(28)

42.      Daraus wird deutlich: Entscheidend für die Rechtfertigung ist letztlich, dass mit einer nationalen Regelung das Ziel der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse verfolgt wird. Die Ziele der Verhinderung der doppelten Verlustberücksichtigung und der Steuerflucht haben vor diesem Hintergrund keinen Selbstzweck, sondern sind nur insoweit von Bedeutung, wie sie der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse der Mitgliedstaaten dienen.(29) Dementsprechend hat der Gerichtshof zuletzt im Urteil National Grid Indus diesen Rechtfertigungsgrund nur noch als solchen, also ohne Rückgriff auf die Gesichtspunkte der Verhinderung der doppelten Verlustberücksichtigung oder der Steuerflucht, geprüft und bejaht.(30)

43.      Diese Erkenntnis ist im vorliegenden Fall von besonderer Bedeutung. Denn wie ich im Folgenden zeigen werde, rechtfertigt die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse die vorliegende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nicht, obwohl sie eine doppelte Verlustberücksichtigung verhindern soll.

1.      Aufteilung der Besteuerungsbefugnis

44.      Die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten ist ein vom Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung anerkannter Rechtfertigungsgrund.(31)

45.      Die Aufteilung ihrer Besteuerungsbefugnisse ist dabei Sache der Mitgliedstaaten. Das Unionsrecht schreibt bei seinem gegenwärtigen Stand grundsätzlich keine allgemeinen Kriterien für die Verteilung der Besteuerungsbefugnisse der Mitgliedstaaten untereinander vor.(32) Die Mitgliedstaaten haben ihre Befugnisse entsprechend der internationalen Steuerpraxis in der Regel in der Weise abgegrenzt, dass ein Staat sowohl die Besteuerungsbefugnis hinsichtlich der weltweiten Einkünfte inländischer Gesellschaften als auch hinsichtlich der im Inland erzielten Einkünfte von Betriebsstätten ausländischer Gesellschaften besitzt. Die daraus resultierende Doppelbesteuerung der Einkünfte der Betriebsstätten wird in der Regel dadurch vermieden, dass der Sitzstaat einer Gesellschaft diese Einkünfte von der Besteuerung freistellt oder die im anderen Staat angefallene Steuer auf die von ihm im Rahmen der Besteuerung der Gesellschaft erhobene Steuer anrechnet.(33)

46.      Vor dem Hintergrund dieser internationalen Besteuerungspraxis dürfen die Mitgliedstaaten zur Wahrung der Aufteilung ihrer Besteuerungsbefugnis Maßnahmen ergreifen, um die Ausübung ihrer Besteuerungszuständigkeit für die in ihrem Hoheitsgebiet durchgeführten Tätigkeiten zu sichern.(34)

47.      Im vorliegenden Fall sind die Besteuerungsbefugnisse entsprechend der dargestellten internationalen Besteuerungspraxis geregelt. Nach Art. 7 des britisch-niederländischen Doppelbesteuerungsabkommens hat das Vereinigte Königreich die Besteuerungsbefugnis sowohl hinsichtlich der Einkünfte inländischer Gesellschaften als auch hinsichtlich der Einkünfte der im Inland ansässigen Betriebsstätten ausländischer Gesellschaften.

48.      Damit stellt sich nun die Frage, ob diese Besteuerungsbefugnisse des Vereinigten Königreichs beeinträchtigt werden, wenn die Verluste einer im Inland ansässigen Betriebsstätte einer ausländischen Gesellschaft (LG.PD Netherlands) von der Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer einer inländischen Gesellschaft (der Steuerpflichtigen) abgezogen werden können, obwohl diese Verluste grundsätzlich auch in den Niederlanden abzugsfähig sind.

49.      Aus meiner Sicht ist dies nicht der Fall. Die Besteuerungsbefugnis des Vereinigten Königreichs im Hinblick auf die Einkünfte der Steuerpflichtigen wird durch die Übertragung der Verluste nicht beeinträchtigt. Denn es sollen nur Verluste übertragen werden, die ebenfalls im Rahmen der Besteuerungsbefugnis des Vereinigten Königreichs entstanden sind. Alle Vorgänge, um die es vorliegend geht, unterliegen der Steuerhoheit des Vereinigten Königreichs: Inländische Verluste eines inländischen Steuersubjekts (LG.PD Netherlands hinsichtlich ihrer Betriebsstätte im Vereinigten Königreich) sollen mit inländischen Gewinnen eines anderen inländischen Steuersubjekts (der Steuerpflichtigen) verrechnet werden.

50.      Für die Sicherung der Besteuerungsbefugnis des Vereinigten Königreichs ist es unerheblich, ob die zu übertragenden Verluste auch in den Niederlanden berücksichtigt werden können. Denn die dortige Berücksichtigung hat keinen Einfluss auf die Besteuerungsbefugnis des Vereinigten Königreichs. Diese Befugnis kann nur durch die Berücksichtigung von Verlusten beeinträchtigt werden, die im Rahmen der alleinigen Besteuerungsbefugnis eines anderen Mitgliedstaats entstanden sind. Solche Verluste würden nämlich das Steueraufkommen des Vereinigten Königreichs verringern, obwohl die Gewinne der Tätigkeit nicht besteuert werden können.

51.      Dementsprechend hat der Gerichtshof die Verhinderung der doppelten Verlustberücksichtigung nahezu ausschließlich in Fällen geprüft, in denen ein Mitgliedstaat die Berücksichtigung von Verlusten verweigerte, die in einem anderen Mitgliedstaat entstanden waren.(35) Als es bislang einmalig um inländische Verluste ging, versagte der Gerichtshof im Urteil Papillon eine Berufung auf das Ziel der Verhinderung der doppelten Verlustberücksichtigung mit der Begründung, dass es sich um die Berücksichtigung von in ein und demselben Mitgliedstaat erzielten Verlusten handelte.(36)

52.      Vorliegend unterliegen die Gewinne der inländischen Tätigkeit der Betriebsstätte der LG.PD Netherlands der Besteuerungsbefugnis des Vereinigten Königreichs. Es kann sich deshalb einer Berücksichtigung der Verluste dieser Tätigkeit nicht unter Berufung auf die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis verweigern. Denn dieser Rechtfertigungsgrund soll nur – wie es der Gerichtshof im Urteil Lidl Belgium zum Ausdruck brachte – für Symmetrie sorgen zwischen dem Recht zur Besteuerung der Gewinne und der Möglichkeit, Verluste in Abzug zu bringen.(37) Oder wie es die Regierung des Vereinigten Königreichs in der Rechtssache Marks & Spencer selbst ausdrückte: Gewinne und Verluste sind zwei Seiten derselben Medaille.(38)

53.      Dem widerspricht auch nicht das bereits genannte Argument des Vereinigten Königreichs, wonach sich eine inländische Gesellschaft und eine Zweigniederlassung einer ausländischen Gesellschaft im Hinblick auf ihre Besteuerung nicht in einer objektiv vergleichbaren Situation befinden und das ich hier noch einmal aufnehmen möchte.

54.      Zwar hat der Gerichtshof im Urteil X Holding im Hinblick auf den Rechtfertigungsgrund der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis festgestellt, dass sich aus der Sicht des Herkunftsstaats einer Gesellschaft ihre Betriebsstätten in einem anderen Mitgliedstaat und ihre gebietsfremden Tochtergesellschaften nicht in einer vergleichbaren Situation befinden. Denn die Tochtergesellschaft sei im anderen Mitgliedstaat unbeschränkt steuerpflichtig, während die Betriebsstätte prinzipiell und in beschränktem Umfang weiterhin der Steuerhoheit des Herkunftsstaates unterliege.(39)

55.      Wie ich aber bereits in meinen Schlussanträgen zur Rechtssache X Holding dargelegt habe, bestehen im Hinblick auf die Aufteilung der Besteuerungsbefugnis unterschiedliche Pflichten für den Herkunfts- und den Aufnahmemitgliedstaat.(40) Der Herkunftsmitgliedstaat darf die ausländischen Betriebsstätten und Tochtergesellschaften einer inländischen Gesellschaft unterschiedlich behandeln. Denn ihm steht nur hinsichtlich der ausländischen Betriebsstätten ein – in der Regel nachrangiges – Besteuerungsrecht zu, hinsichtlich der ausländischen Tochtergesellschaften hingegen nicht.

56.      Beim Aufnahmemitgliedstaat ist dies jedoch anders. Ihm steht regelmäßig hinsichtlich beider Niederlassungsformen das Besteuerungsrecht zu. Deshalb hat der Aufnahmemitgliedstaat diese beiden Niederlassungsformen einer Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat bei der Erhebung der Steuer auch gleich zu behandeln.(41)

57.      Aus diesen Gründen kann sich das Vereinigte Königreich als Aufnahmemitgliedstaat nicht auf den Rechtfertigungsgrund der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis berufen, soweit es im Inland ansässigen Zweigniederlassungen im Gegensatz zu inländischen Gesellschaften den Konzernabzug unter bestimmten Bedingungen verweigert.

2.      Doppelte Verlustberücksichtigung

58.      Zu prüfen bleibt, ob das Ziel der Verhinderung einer doppelten Verlustberücksichtigung einen eigenständigen Rechtfertigungsgrund darstellen kann.

59.      Nach den Feststellungen im Ausgangsverfahren kann LG.PD Netherlands im niederländischen Steuerverfahren selbst bzw. im Rahmen einer steuerlichen Einheit die Verluste zumindest teilweise geltend machen, die bei seiner im Vereinigten Königreich ansässigen Betriebsstätte entstanden sind. Wie die Rechtssache X Holding bereits gezeigt hat, können die Verluste ausländischer Betriebsstätten einer in den Niederlanden ansässigen Gesellschaft zu einer vorübergehenden Minderung der dortigen Steuer der Gesellschaft führen.(42) Somit besteht vorliegend die Gefahr einer – zumindest zeitweiligen – doppelten Verlustberücksichtigung im Vereinigten Königreich und in den Niederlanden.

60.      Im Urteil Lidl Belgium hat der Gerichtshof allerdings anerkannt, dass es mit der Niederlassungsfreiheit zu vereinbaren ist, wenn eine Gesellschaft die Verluste einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte nicht abziehen kann, sofern ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vorsieht, dass deren Einkünfte in dem anderen Mitgliedstaat besteuert werden und dort auch Verluste für künftige Steuerzeiträume berücksichtigt werden können. Wenn der Mitgliedstaat, in dem die Betriebsstätte belegen ist, sowohl Gewinne als auch Verluste steuerlich berücksichtigt, kann also der Mitgliedstaat der Gesellschaft die Verluste einer solchen Betriebsstätte steuerlich ignorieren. Das Königreich der Niederlande übt folglich seine Befugnisse, die ihm aufgrund dieser Rechtsprechung zustehen, nicht aus.

61.      Auf der anderen Seite verstößt eine solche Berücksichtigung von Verlusten einer ausländischen Betriebsstätte auch nicht gegen die Niederlassungsfreiheit.(43) Die Mitgliedstaaten dürfen folglich Verluste ausländischer Betriebsstätten bei der Besteuerung ihrer inländischen Gesellschaften berücksichtigen, sind aber regelmäßig unionsrechtlich nicht dazu verpflichtet.(44)

62.      Wenn der Mitgliedstaat, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat, dennoch die Verluste der ausländischen Betriebsstätte berücksichtigt, ergibt sich im Ergebnis eine – zumindest zeitweilige – doppelte Berücksichtigung der Verluste einer ausländischen Betriebsstätte. In einem solchen Fall ist jedoch nicht erkennbar, warum der Mitgliedstaat, in dem die Betriebsstätte liegt, befugt sein sollte, die Verlustberücksichtigung mit der Begründung auszuschließen, dass diese im Mitgliedstaat des Gesellschaftssitzes bereits Berücksichtigung findet. Denn die Besteuerungsbefugnis des Mitgliedstaats, in dem sich die Betriebsstätte befindet, wird wie gesehen dadurch nicht tangiert. Sein Steueraufkommen bleibt gleich, unabhängig davon, ob Betriebsstättenverluste auch im Sitzstaat der Gesellschaft berücksichtigt werden.

63.      Darüber hinaus kann die gegenwärtige internationale Abgrenzung der Besteuerungsrechte eine doppelte Verlustberücksichtigung sogar erfordern. Dies ist immer dann der Fall, wenn auch die Einkünfte von zwei verschiedenen Staaten steuerlich berücksichtigt werden. Wird der Doppelbesteuerung der Einkünfte einer ausländischen Betriebsstätte durch das Anrechnungsverfahren im Sitzstaat der Gesellschaft begegnet, so werden deren Einkünfte sowohl im Staat, in dem die Betriebsstätte belegen ist, als auch im Sitzstaat der Gesellschaft steuerlich erfasst. Die doppelte Verlustberücksichtigung ist in diesen Fällen eine logische Folge der doppelten steuerlichen Erfassung einer Einkunftsquelle.

64.      Die Verhinderung der doppelten Verlustberücksichtigung kann vor diesem Hintergrund kein Selbstzweck sein. Bei dem Gesichtspunkt der Verhinderung der doppelten Verlustberücksichtigung, wie er bislang in der Rechtsprechung verwendet wurde, geht es allein um die Frage, ob ein Mitgliedstaat im Rahmen der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse berechtigt ist, einen Verlust für die Besteuerung seines Steuerpflichtigen nicht zu berücksichtigen. Diese Berechtigung kann sich daraus ergeben, dass der Verlust in einem anderen Mitgliedstaat Berücksichtigung findet, unter dessen Steuerhoheit auch die Besteuerung der Gewinne der jeweiligen Tätigkeit fällt. Diesem anderen Mitgliedstaat ist der Verlust zugeordnet, da er die entsprechenden Gewinne besteuert. Eine Berücksichtigung in einem weiteren Mitgliedstaat, der die Gewinne nicht besteuert, wäre gegebenenfalls „doppelt“.

65.      Insofern hat das Vereinigte Königreich die Verluste einer Betriebsstätte, deren Gewinne es besteuert, nicht „doppelt“, sondern „einfach“ zu berücksichtigen. Dies sieht das Recht des Vereinigten Königreichs grundsätzlich auch vor, indem die Verluste der Betriebsstätte in frühere oder spätere Steuerzeiträume übertragen werden können.

66.      Aus diesem Grund wären im Übrigen – selbst wenn man die Verhinderung der doppelten Verlustberücksichtigung als eigenständigen Rechtfertigungsgrund anerkennen wollte – die steuerlichen Bestimmungen im Vereinigten Königreich jedenfalls nicht geeignet, eine solche zu verhindern. Denn der Gerichtshof hat bereits darauf hingewiesen, dass eine nationale Regelung nur dann geeignet ist, die Verwirklichung des geltend gemachten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, es in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen.(45)

67.      Dies ist im Vereinigten Königreich im Hinblick auf die doppelte Verlustberücksichtigung im Inland ansässiger Betriebsstätten von ausländischen Gesellschaften offenbar nicht der Fall. Die in Section 403D(1)(c) ICTA geregelte Bedingung gilt nur für den Konzernabzug. Der Vor- und Rücktrag von Verlusten über verschiedene Steuerzeiträume hinweg wird im Vereinigten Königreich belegenen Betriebsstätten jedoch unabhängig davon gewährt, ob derartige Verluste auch im Mitgliedstaat der Gesellschaft Berücksichtigung finden. Die steuerlichen Regelungen zum Verlustabzug verfolgen somit insgesamt nicht in kohärenter Weise das Ziel der Verhinderung der doppelten Verlustberücksichtigung.

3.      Zwischenergebnis

68.      Die zweite Frage ist damit in der Weise zu beantworten, dass die Beschränkung nicht mit der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse gerechtfertigt werden kann, auch nicht in Kombination mit dem Gesichtspunkt der Verhinderung der doppelten Verlustberücksichtigung. Sie kann ebenfalls nicht allein mit der Verhinderung der doppelten Verlustberücksichtigung gerechtfertigt werden, da diese keinen eigenständigen Rechtfertigungsgrund darstellt.

C –    Zur dritten Vorlagefrage: Verhältnismäßigkeit der Beschränkung

69.      Sollte der Gerichtshof dennoch zu der Auffassung gelangen, dass die Verhinderung der doppelten Verlustberücksichtigung einen eigenständigen Rechtfertigungsgrund darstellt und die umstrittene Regelung überdies geeignet ist, dieses Ziel zu erreichen, so wäre gleichwohl eine Rechtfertigung der Beschränkung im vorliegenden Fall ausgeschlossen.

70.      Denn selbst bei Bestehen eines Rechtfertigungsgrundes darf die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.(46)

71.      Es ist zu betonen, dass sich im vorliegenden Fall die Prüfung der Erforderlichkeit der hier umstrittenen Regelung nicht an den Maßstäben des Urteils Marks & Spencer orientieren könnte, wie es von einigen Verfahrensbeteiligten diskutiert wurde. Denn jenes Urteil bezieht sich auf eine Situation, in der eine nationale Regelung der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis dient. Hierzu dient die vorliegend umstrittene Regelung aber gerade nicht, wie bereits dargelegt wurde. Wenn für diese Regelung aber ein selbständiger Rechtfertigungsgrund in Form der Verhinderung einer doppelten Verlustberücksichtigung anzuerkennen wäre, müssen sich die Maßstäbe der Erforderlichkeit einer solchen Regelung eben diesem Rechtfertigungsgrund anpassen.

72.      Vor diesem Hintergrund bin ich der Auffassung, dass die Regelung der Section 403D(1)(c) ICTA in mehrfacher Hinsicht über das hinausgeht, was zur Verhinderung einer doppelten Verlustberücksichtigung erforderlich wäre.

73.      Erstens ist nach dieser Regelung eine Verlustübertragung bereits dann ausgeschlossen, wenn nur ein Teil der betreffenden Verluste für die Zwecke einer ausländischen Steuer verrechnet werden kann. Wird nur ein Teil der im Vereinigten Königreich entstandenen Verluste in einem anderen Mitgliedstaat berücksichtigt, so wird für den anderen Teil die Verlustübertragung verweigert, obwohl insoweit eine doppelte Verlustberücksichtigung nicht zu befürchten ist.

74.      Zweitens differenziert die Regelung nicht danach, in welcher Weise die Verluste für Zwecke einer ausländischen Steuer berücksichtigt werden: dauerhaft oder nur vorübergehend. Wenn der andere Mitgliedstaat Verluste einer ausländischen Betriebsstätte seiner Gesellschaft nur vorübergehend berücksichtigt, indem er diese Berücksichtigung bei späteren Gewinnen der Betriebsstätte wieder rückgängig macht(47), dann kann sich die ausländische Verlustberücksichtigung im Nachhinein erledigen. Für einen solchen Fall sieht das Körperschaftsteuerrecht des Vereinigten Königreichs nach den hier vorliegenden Informationen jedoch keine nachträgliche Möglichkeit zum Konzernabzug vor.

75.      Drittens geht es aus meiner Sicht über das Erforderliche hinaus, den Konzernabzug nach Section 403D(1)(c) ICTA bereits dann auszuschließen, wenn allein die Möglichkeit einer Verlustberücksichtigung in einem anderen Staat „in irgendeinem Rechnungsjahr“ besteht. Diese Möglichkeit ist selbst dann nicht auszuschließen, wenn hinsichtlich der betreffenden ausländischen Gesellschaft – wie vorliegend – ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. So können etwa Verlustrückträge möglich sein, oder das Insolvenzverfahren hat die Fortführung des Unternehmens zur Folge.

76.      Aufgrund dieser mehrfachen Restriktionen erscheint mir die Regelung der Section 403D(1)(c) ICTA in der Substanz darauf ausgerichtet, den Konzernabzug nur dann zuzulassen, wenn im Mitgliedstaat der ausländischen Gesellschaft eine Berücksichtigung von Verlusten der britischen Betriebsstätte generell nicht vorgesehen ist. Die Lage des Einzelfalls ist hingegen nahezu unerheblich.

77.      In jedem Fall wäre deshalb auf die dritte Frage in der Weise zu antworten, dass die Regelung insgesamt über das zur Verhinderung einer doppelten Verlustberücksichtigung Erforderliche hinausgeht.

D –    Zur vierten Vorlagefrage: Rechtsfolgen eines Verbots der Beschränkung

78.      Mit seiner vierten Vorlagefrage will das vorlegende Gericht schließlich wissen, welche Bedeutung ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit für das Ausgangsverfahren hätte. Da eine Regelung, wie sie Section 403D(1)(c) ICTA trifft, gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt(48), ist diese Frage zu beantworten.

79.      Hintergrund dieser Frage ist, dass im vorliegenden Fall allein LG.PD Netherlands von der durch die Art. 43 und 48 EG gewährten Niederlassungsfreiheit Gebrauch gemacht hat. Die Niederlassungsfreiheit der Steuerpflichtigen hingegen, die im Ausgangsverfahren ein Recht auf Konzernabzug geltend macht, wird nicht beschränkt. Sie leidet vielmehr unter dem Umstand, dass die Niederlassungsfreiheit ihrer Vertragspartnerin, von der sie die Verluste entgeltlich übernehmen will, aufgrund der Steuerregelungen des Vereinigten Königreichs beschränkt wird. Kann die Steuerpflichtige gleichwohl im Ausgangsverfahren vom Verbot des Art. 43 EG profitieren?

80.      Die Regierung des Vereinigten Königreichs hat hierzu vorgetragen, dass die Niederlassungsfreiheit ein Individualrecht darstelle. Des Weiteren hat sie die ständige Rechtsprechung angeführt, wonach die Verfahrensmodalitäten für Klagen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, nicht weniger günstig ausgestaltet sein dürfen als die für entsprechende innerstaatliche Klagen (Grundsatz der Äquivalenz) und sie die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (Grundsatz der Effektivität).(49) Welche Auswirkungen die Beachtung dieser Grundsätze im Ausgangsverfahren habe, sei vom nationalen Gericht zu prüfen.

81.      Aus meiner Sicht ist die angeführte Rechtsprechung im vorliegenden Fall von vornherein nicht einschlägig, da sie nur die Regelung von Verfahrensmodalitäten für die Geltendmachung unionaler Rechte betrifft. Für das Ausgangsverfahren ist jedoch entscheidend, ob der materielle Regelungsgehalt der Niederlassungsfreiheit so weit reicht, dass auch die Steuerpflichtige im Ausgangsverfahren von Art. 43 EG geschützt wird. Dies ist deshalb im Folgenden zu prüfen:

82.      Art. 43 EG entfaltet unmittelbare Wirkung.(50) Das nationale Gericht hat deshalb jegliches nationales Recht, soweit es dieser Bestimmung entgegensteht, unangewendet zu lassen.(51)

83.      Art. 43 Abs. 1 Satz 1 EG verbietet die Beschränkungen der freien Niederlassung. Es muss im vorliegenden Verfahren nicht geklärt werden, ob dieses Verbot ein reines Individualrecht normiert oder ob es einen objektiven Regelungsgehalt besitzt, der unabhängig von der Person ist, die ihr Niederlassungsrecht nach dieser Vorschrift ausübt. Denn jedenfalls hat der Gerichtshof mehrfach im Zusammenhang mit verschiedenen Grundfreiheiten betont, dass auch andere Personen als die durch die Grundfreiheit unmittelbar Berechtigten hiervon profitieren können, wenn anders die Grundfreiheit ihre volle Wirkung nicht entfalten kann.(52)

84.      Im vorliegenden Fall ist meines Erachtens offensichtlich, dass die Niederlassungsfreiheit nur dann ihre volle Wirkung entfalten kann, wenn auch die Steuerpflichtige im Ausgangsverfahren den Verstoß der nationalen Bestimmung gegen die Niederlassungsfreiheit geltend machen kann.

85.      Die vorliegende Beschränkung der Verlustübertragung ist durch Art. 43 EG verboten. Wie gesehen besteht die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit der LG.PD Netherlands darin, dass ihrem Vertragspartner – hier der Steuerpflichtigen – ein Vorteil verwehrt wird und ihr selbst dadurch Nachteile entstehen.(53) Die Niederlassungsfreiheit der LG.PD Netherlands kann somit nur dadurch gewährleistet werden, dass ihrem Vertragspartner der Vorteil gewährt wird. Den Vorteil der Verlustübertragung, nämlich die Minderung der Steuerbemessungsgrundlage der antragstellenden Gesellschaft – hier der Steuerpflichtigen –, kann allerdings nur diese Gesellschaft im Besteuerungsverfahren geltend machen.

86.      Die volle Wirkung der Niederlassungsfreiheit kann hingegen nicht dadurch gewährleistet werden, dass LG.PD Netherlands, die im vorliegenden Fall ihr Niederlassungsrecht ausgeübt hat, unter Umständen Schadensersatz beanspruchen könnte, wie es die Regierung des Vereinigten Königreichs vorgetragen hat. Zum einen würde der damit verbundene Aufwand weiterhin eine Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit von LG.PD Netherlands darstellen. Zum anderen könnte dadurch derjenige Nachteil nicht beseitigt werden, der sich daraus ergibt, dass Gesellschaften des Vereinigten Königreichs unter Umständen aufgrund der fehlenden Übertragbarkeit von Verlusten ein Konsortium unter Beteiligung von LG.PD Netherlands gar nicht bilden wollen.

87.      Eine andere Sichtweise würde es den Mitgliedstaaten im Übrigen ermöglichen, eine diskriminierende Regelung in einer indirekten Form zu erlassen. So könnten nur die Vertragspartner einer Gesellschaft, die von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch macht, sanktioniert werden. Zwar könnte die ausländische Gesellschaft unter Umständen Schadensersatzansprüche gegen den betreffenden Mitgliedstaat geltend machen. Ein Schaden dürfte aber in vielen Fällen schwer darzulegen sein, wenn die Vertragspartner durch die Sanktion bereits von der Aufnahme von Geschäftsbeziehungen mit der ausländischen Gesellschaft abgehalten werden.

88.      Um die Niederlassungsfreiheit zu gewährleisten, muss sich deshalb die unmittelbare Geltung der Art. 43 und 48 EG jedenfalls dann auch auf einen Vertragspartner erstrecken, wenn dessen Nachteile die Ursache der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit sind.

89.      Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, dass die Steuerpflichtige des Ausgangsverfahrens nicht selbst ihr Niederlassungsrecht ausübt. Die Art. 43 und 48 EG erfordern auch im vorliegenden Ausgangsverfahren, die umstrittene Bestimmung der Section 403D(1)(c) ICTA unangewendet zu lassen.

V –    Ergebnis

90.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Upper Tribunal, Tax and Chancery Chamber, wie folgt zu beantworten:

1.         Es stellt eine Beschränkung der nach Art. 43 und 48 EG gewährten Niederlassungsfreiheit dar, wenn ein Mitgliedstaat die Übertragung der in diesem Mitgliedstaat entstandenen Verluste einer gebietsansässigen Betriebsstätte einer gebietsfremden Gesellschaft auf eine gebietsansässige Gesellschaft im Wege des Konzernabzugs verbietet, sofern irgendein Teil dieser Verluste für die Zwecke einer ausländischen Steuer in irgendeinem Rechnungsjahr von den Auslandsgewinnen der Gesellschaft oder einer anderen Person abziehbar ist oder in sonstiger Weise mit diesen Gewinnen verrechnet werden kann.

2.         Diese Beschränkung kann weder durch die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten, noch durch die Verhinderung der doppelten Verlustberücksichtigung, noch durch eine Kombination aus beiden Zielen gerechtfertigt werden.

3.         Ein Mitgliedstaat ist in einer Konstellation wie der des Ausgangsverfahrens verpflichtet, auch zugunsten des Steuerpflichtigen, der einen Konzernabzug geltend macht, eine gegen die Art. 43 und 48 EG verstoßende Bestimmung unangewendet zu lassen.


1 – Originalsprache: Deutsch.


2 – Urteil vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer (C-446/03, Slg. 2005, I-10837).


3 – Urteil vom 16. Juli 1998, ICI (C-264/96, Slg. 1998, I-4695).


4 – Nach Section 406(2) ICTA ist die Verbindung zwar nicht ausreichend, da keine der Konsortialgesellschaften im Vereinigten Königreich ansässig ist. Die Vorinstanz des Ausgangsverfahrens hält diese Vorschrift jedoch für unanwendbar, da sie eine verbotene Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstelle. Diese Feststellung ist im Ausgangsverfahren – mangels hiergegen eingelegten Rechtsmittels – nicht mehr umstritten.


5 – Art. 49 AEUV ist am 1. Dezember 2009 in Kraft getreten. Der im Ausgangsverfahren umstrittene Konzernabzug wurde jedoch für Zeiträume vom 1. Juli 2001 bis 31. Dezember 2004 beantragt, und der letzte dieser Anträge wurde am 9. Juli 2009 gestellt.


6 – Urteil vom 15. Mai 2008, Lidl Belgium (C-414/06, Slg. 2008, I-3601, Randnr. 15).


7 – Vgl. Art. 5 Nr. 1 Buchst. b des Vorschlags der Europäischen Kommission für eine Richtlinie des Rates über eine Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) vom 3. Oktober 2011 (KOM[2011] 121 endg./2).


8 – Urteile vom 14. Februar 1995, Schumacker (C-279/93, Slg. 1995, I-225, Randnr. 21), und vom 8. Dezember 2011, Banco Bilbao Vizcaya Argentaria (C-157/10, Slg. 2011, I-13023, Randnr. 28).


9 – Vgl. Urteil vom 28. Januar 1992, Bachmann (C-204/90, Slg. 1992, I-249, Randnr. 23).


10 – Vgl. u. a. Urteile vom 28. Januar 1986, Kommission/Frankreich (270/83, Slg. 1986, 273, Randnr. 18), vom 21. September 1999, Saint-Gobain ZN (C-307/97, Slg. 1999, I-6161, Randnr. 35), vom 25. Februar 2010, X Holding (C-337/08, Slg. 2010, I-1215, Randnr. 17) und vom 26. Oktober 2010, Schmelz (C-97/09, Slg. 2010, I-10465, Randnr. 36).


11 – Vgl. u. a. Urteile Kommission/Frankreich (zitiert in Fn. 10, Randnr. 22), und vom 18. Juli 2007, Oy AA (C-231/05, Slg. 2007, I-6373, Randnr. 40), sowie Beschluss vom 4. Juni 2009, KBC Bank und Beleggen, Risicokapitaal, Beheer (C-439/07 und C-499/07, Slg. 2009, I-4409, Randnr. 77).


12 – Urteil vom 23. Februar 2006, CLT-UFA (C-253/03, Slg. 2006, I-1831, Randnr. 15).


13 – Vgl. Urteil Oy AA (zitiert in Fn. 11, Randnr. 40).


14 – Urteil vom 1. Dezember 2011, Kommission/Ungarn (C-253/09, Slg. 2011, I-12391, Randnr. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).


15 – Urteil X Holding (zitiert in Fn. 10, Randnrn. 20 und 22).


16 – Urteile Schumacker (zitiert in Fn. 8, Randnr. 31) und vom 22. Dezember 2008, Truck Center (C-282/07, Slg. 2008, I-10767, Randnr. 38).


17 – Vgl. Urteil Marks & Spencer (zitiert in Fn. 2, Randnrn. 37 und 38).


18 – Vgl. im Hinblick auf den freien Dienstleistungsverkehr Urteil vom 17. November 2009, Presidente del Consiglio dei Ministri (C-169/08, Slg. 2009, I-10821, Randnr. 35).


19 – Erstmals im Urteil Kommission/Frankreich (zitiert in Fn. 10, Randnr. 20).


20 – Urteil vom 29. April 1999, Royal Bank of Scotland (C-311/97, Slg. 1999, I-2651, Randnrn. 27 bis 29).


21 – Vgl. ebenso Urteil X Holding (zitiert in Fn. 10, Randnr. 38).


22 – Vgl. Urteil Saint-Gobain ZN (zitiert in Fn. 10, Randnr. 49).


23 – First-tier tribunal, Entscheidung vom 27. Juli 2009, [2009] UKFTT 226(TC), Nr. 21.


24 – Urteile vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (C-196/04, Slg. 2006, I-7995, Randnr. 47), vom 27. November 2008, Papillon (C-418/07, Slg. 2008, I-8947, Randnr. 33), und vom 13. Oktober 2011, Waypoint Aviation (C-9/11, Slg. 2011, I-9697, Randnr. 27).


25 – Urteil Marks & Spencer (zitiert in Fn. 2, Randnr. 51).


26 – Schlussanträge vom 12. September 2006, Oy AA (C-231/05, Slg. 2007, I-6373, Nr. 48).


27 – Urteil Oy AA (zitiert in Fn. 11, Randnr. 60).


28 – Urteil Lidl Belgium (zitiert in Fn. 6, Randnr. 42).


29 – Vgl. meine Schlussanträge vom 10. September 2009, SGI (C-311/08, Slg. 2010, I-487, Randnr. 59).


30 – Urteil vom 29. November 2011, National Grid Indus (C-371/10, Slg. 2011, I-2273, Randnrn. 45 bis 49); vgl. insoweit bereits Urteil vom 7. September 2006, N (C-470/04, Slg. 2006, I-7409, Randnr. 42).


31 – Vgl. u. a. Urteile Marks & Spencer (zitiert in Fn. 2, Randnr. 45), Lidl Belgium (zitiert in Fn. 6, Randnr. 31) und National Grid Indus (zitiert in Fn. 30, Randnr. 45).


32 – Vgl. Urteil vom 16. Juli 2009, Damseaux (C-128/08, Slg. 2009, I-6823, Randnrn. 30 und 33 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).


33 – Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 23. Februar 2006, Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation (C-374/04, Slg. 2006, I-11673, Nrn. 49 bis 51).


34 – Vgl. Urteile Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (zitiert in Fn. 24, Randnr. 56), vom 29. März 2007, Rewe Zentralfinanz (C-347/04, Slg. 2007, I-2647, Randnr. 42), Oy AA (zitiert in Fn. 11, Randnr. 54), vom 4. Dezember 2008, Jobra (C-330/07, Slg. 2008, I-9099, Randnr. 33), und National Grid Indus (zitiert in Fn. 30, Randnr. 46).


35 – Vgl. Urteile Marks & Spencer (zitiert in Fn. 2), Oy AA (zitiert in Fn. 11) und Lidl Belgium (zitiert in Fn. 6).


36 – Urteil Papillon (zitiert in Fn. 24, Randnr. 39).


37 – Urteil Lidl Belgium (zitiert in Fn. 6, Randnr. 33).


38 – Urteil Marks & Spencer (zitiert in Fn. 2, Randnr. 43).


39 – Urteil X Holding (zitiert in Fn. 10, Randnr. 38).


40 – Schlussanträge vom 19. November 2009, X Holding (C-337/08, Slg. 2010, I-1215, Nrn. 51 bis 62).


41 – Schlussanträge X Holding (zitiert in Fn. 40, Nr. 62).


42 – Vgl. Urteil X Holding (zitiert in Fn. 10, Randnr. 35) und meine Schlussanträge X Holding (zitiert in Fn. 40, Nr. 39).


43 – Vgl. Urteil vom 23. Oktober 2008, Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt (C-157/07, Slg. 2008, I-8061).


44 – Vgl. meine Schlussanträge X Holding (zitiert in Fn. 40, Nr. 50).


45 – Urteile vom 10. März 2009, Hartlauer (C-169/07, Slg. 2009, I-1721, Randnr. 55) und – im Hinblick auf die Dienstleistungsfreiheit – vom 8. Juli 2010, Sjöberg (C-447/08 und C-448/08, Slg. 2010, I-6921, Randnr. 40).


46 – Vgl. u. a. Urteile vom 31. März 1993, Kraus (C-19/92, Slg. 1993, I-1663, Randnr. 32), vom 11. März 2004, de Lasteyrie du Saillant (C-9/02, Slg. 2004, I-2409, Randnr. 49), und National Grid Indus (zitiert in Fn. 30, Randnr. 42).


47 – Vgl. zu dieser Nachholregelung in den Niederlanden meine Schlussanträge X Holding (zitiert in Fn. 40, Nrn. 39 und 48).


48 – Siehe oben unter A, B und C.


49 – Urteil vom 8. September 2011, Rosado Santana (C-177/10, Slg. 2011, I-7907, Randnr. 89 und die dort angeführte Rechtsprechung).


50 – Urteil vom 13. April 2010, Wall (C-91/08, Slg. 2010, I-2815, Randnr. 68).


51 – Vgl. u. a. Urteile vom 9. März 1978, Simmenthal (106/77, Slg. 1978, 629), und vom 8. September 2010, Winner Wetten (C-409/06, Slg. 2010, I-8015, Randnr. 55).


52 – Vgl. Urteile vom 7. Juli 1992, Singh (C-370/90, Slg. 1992, I-4265, Randnr. 23), vom 7. Mai 1998, Clean Car Autoservice (C-350/96, Slg. 1998, I-2521, Randnr. 20), und vom 11. Januar 2007, ITC (C-208/05, Slg. 2007, I-181, Randnr. 26); ähnlich Urteil vom 12. April 1994, Halliburton Services (C-1/93, Slg. 1994, I-1137, Randnr. 20).


53 – Siehe oben, Nr. 29.