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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

JÁN MAZÁK

vom 24. Mai 2012(1)

Rechtssache C-160/11

Bawaria Motors sp. z o.o.

gegen

Minister Finansów

(Vorabentscheidungsersuchen des Naczelny Sąd Administracyjny [Polen])

„Richtlinie 2006/112/EG – Mehrwertsteuer – Sonderregelung für steuerpflichtige Wiederverkäufer – Verkauf von Gebrauchtfahrzeugen an Endverbraucher – Anwendung der Differenzbesteuerung, wenn der Wiederverkäufer das Fahrzeug steuerfrei von einer Person erworben hat, die ihrerseits ein Recht auf teilweisen Vorsteuerabzug ausgeübt hatte“





1.        Mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen wird der Gerichtshof um Klärung der Frage gebeten, ob die Sonderregelung der „Differenzbesteuerung“ – wonach Mehrwertsteuer insbesondere beim Wiederverkauf von gebrauchten Personenkraftwagen nur auf die Handelsspanne eines steuerpflichtigen Wiederverkäufers(2) erhoben wird, gemäß Art. 311 ff. der Richtlinie 2006/112/EG des Rates(3) – in Fällen anzuwenden ist, in denen der steuerpflichtige Wiederverkäufer die Fahrzeuge von einem Steuerpflichtigen gekauft hat, der bei der Anschaffung der Fahrzeuge ein Recht auf teilweisen Abzug der dabei angefallenen Vorsteuer ausgeübt hatte.

I –  Rechtlicher Rahmen

2.        Ich werde die einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts nachstehend im Rahmen meiner Würdigung anführen. Was die nationalen Rechtsvorschriften anlangt, sieht Art. 43 Abs. 1 Nr. 2 des polnischen Umsatzsteuergesetzes(4) in der auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung vor, dass „die Lieferung von Gebrauchtwaren [steuerfrei ist], vorausgesetzt der Lieferer war für diese Waren nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt“.

3.        Art. 86 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung bestimmte: „Beim Erwerb von Personenkraftwagen oder anderer Kraftfahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von bis zu 3,5 Tonnen beträgt die Vorsteuer 60 v. H. [bis zum 22. August 2005: 50 v. H., unter etwas anderen, in einer Formel vorgesehenen Voraussetzungen] des in der Rechnung festgelegten Steuerbetrags oder der geschuldeten Steuer aus dem innergemeinschaftlichen Erwerb oder der geschuldeten Steuer aus der Warenlieferung, wenn der Erwerber steuerpflichtig ist – höchstens jedoch 6 000 PLN [bis zum 22. August 2005: 5 000 PLN, unter etwas anderen, in einer Formel vorgesehenen Voraussetzungen].“

4.        Art. 120 des Umsatzsteuergesetzes sieht vor:

„(1)      Für die Zwecke dieses Abschnitts

4.      gelten als Gebrauchtwaren andere als die in Nr. 1 bis 3 [diese Nummern betreffen Kunstgegenstände, Sammlerstücke und Antiquitäten und sind im vorliegenden Fall nicht einschlägig] genannten materiellen Güter, die im gegenwärtigen Zustand oder nach Instandsetzung zum weiteren Gebrauch geeignet sind und die keine Edelmetalle oder Edelsteine sind …

(4)      Bei Steuerpflichtigen, die Umsätze im Zusammenhang mit der Lieferung von Gebrauchtwaren, Kunstgegenständen, Sammlerstücken oder Antiquitäten ausführen, die der Steuerpflichtige zuvor für Zwecke der von ihm ausgeübten Tätigkeit erworben oder die er zum Wiederverkauf eingeführt hat, ist Bemessungsgrundlage der Steuer die Gewinnspanne als Unterschied zwischen dem Gesamtbetrag, den der Erwerber der Ware zu zahlen hat, und dem um die Steuer verminderten Betrag für den Erwerb.

(10)      Abs. 4 und 5 gelten für die Lieferung von Gebrauchtwaren, Kunstgegenständen, Sammlerstücken oder Antiquitäten, die der Steuerpflichtige erworben hat von

1.      natürlichen Personen, juristischen Personen oder nichtrechtsfähigen Organisationseinheiten, die nicht in Art. 15 genannte Steuerpflichtige oder Mehrwertsteuerpflichtige sind;

2.      in Art. 15 genannten Steuerpflichtigen, wenn die Lieferung dieser Waren nach Art. 43 Abs. 1 Nr. 2 oder Art. 113 steuerfrei war;

3.      Steuerpflichtigen, wenn die Lieferung dieser Waren mit der Umsatzsteuer nach Abs. 4 und Abs. 5 besteuert worden ist;

4.      Mehrwertsteuerpflichtigen, wenn die Lieferung dieser Waren nach Art. 43 Abs. 1 Nr. 2 oder Art. 113 von der Steuer befreit war;

5.      Mehrwertsteuerpflichtigen, wenn die Lieferung dieser Waren nach den Grundsätzen von Abs. 4 und 5 mit der Umsatzsteuer besteuert worden ist und wenn der Erwerber Dokumente besitzt, die den Erwerb der Waren nach diesen Grundsätzen eindeutig belegen.“

5.        § 13 Abs. 1 Nr. 5 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung(5) bestimmte: „Von der Steuer befreit ist die Lieferung von Personenkraftwagen und anderen Kraftfahrzeugen durch Steuerpflichtige, die bei ihrem Erwerb zum Vorsteuerabzug gemäß Art. 86 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes berechtigt waren, sofern es sich bei diesen Personenkraftwagen und Fahrzeugen um Gebrauchtwaren im Sinne von Art. 43 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes handelt.“

II –  Sachverhalt und Vorlagefrage

6.        Die Bawaria Motors Spółka z o.o. (im Folgenden: Bawaria) ist ein aktiver Umsatzsteuerpflichtiger im Sinne von Art. 15 des Umsatzsteuergesetzes und übt eine wirtschaftliche Tätigkeit in Form der Führung eines Autosalons aus, in deren Rahmen sie Personenkraftwagen erwirbt und anschließend verkauft, und zwar sowohl neue als auch gebrauchte. Im Rahmen ihrer Tätigkeit erwirbt sie auch gebrauchte Personenkraftwagen von Wirtschaftsteilnehmern, die zugunsten von Bawaria Mehrwertsteuerrechnungen mit dem Satz „steuerbefreit“ ausstellen und sich dabei auf Art. 43 Abs. 1 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (Verkauf von Gebrauchtgegenständen) berufen. Bawaria verkauft diese gebrauchten Personenkraftwagen weiter und nimmt dabei das Verfahren der Differenzbesteuerung gemäß Art. 120 des Umsatzsteuergesetzes in Anspruch.

7.        Im Zuge ihrer Tätigkeit kommt es aber auch vor, dass Bawaria gebrauchte Personenkraftwagen von Wirtschaftsteilnehmern kauft, die beim Einkauf dieser Wagen die Vorsteuer im Rahmen der gesetzlichen Obergrenze(6) abgezogen haben. In einem solchen Fall stellen die betreffenden Wirtschaftsteilnehmer der Bawaria eine Mehrwertsteuerrechnung mit dem Satz „steuerbefreit“ aus und berufen sich dabei auf § 13 Abs. 1 Nr. 5 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung als Grundlage für die Befreiung dieser Lieferung von der Mehrwertsteuer. Da Bawaria sich für berechtigt hielt, in einem solchen Fall das Verfahren der Differenzbesteuerung anzuwenden, wandte sie sich am 9. Februar 2009 an den polnischen Minister Finansów (Minister der Finanzen) mit der Bitte um schriftliche Auslegung der einschlägigen Vorschriften.

8.        Mit Einzelfallauslegung vom 20. Februar 2009 stellte der Minister Finansów fest, dass die Auffassung von Bawaria nicht dem geltenden Recht entspreche. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass das Verfahren der Differenzbesteuerung nur in Fällen Anwendung finde, in denen der steuerpflichtige Wiederverkäufer die Gebrauchtgegenstände von einem Steuerpflichtigen erworben habe, der bei der Anschaffung dieser Gegenstände nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt gewesen sei und der deshalb diese Steuer in seinen Verkaufspreis eingerechnet habe.

9.        Bawaria erhob gegen diese Auslegung Klage beim Wojewódzki Sąd Administracyjny w Warszawie (Woiwodschaftsverwaltungsgericht Warschau) und machte geltend, sie verstoße gegen Art. 120 Abs. 4 und 10 des Umsatzsteuergesetzes, weil sie fehlerhaft sei, indem sie die Möglichkeit ausschließe, die Lieferung von Gebrauchtgegenständen, die gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 5 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung steuerfrei erworben worden seien, nach dem Verfahren der Differenzbesteuerung zu besteuern.

10.      Mit Urteil vom 10. November 2009 hob der Wojewódzki Sąd Administracyjny w Warszawie die angefochtene Auslegung auf. Zur Begründung führte er aus, dass der Kern des Problems in dieser Sache in § 13 Abs. 1 Nr. 5 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung liege, der eine dem Unionsrecht unbekannte Steuerbefreiung eingeführt habe und das leicht verständliche und logische System der Differenzbesteuerung gestört habe, und zwar nicht nur das unionsrechtliche System, sondern auch die Konstruktion der nationalen Vorschriften über die Besteuerung ausschließlich der Differenz. Zum Erfordernis, die Kohärenz des Umsatzsteuersystems zu wahren, und zum Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts vertrat der Wojewódzki Sąd Administracyjny w Warszawie die Ansicht, dass der Steuerpflichtige nicht nach § 13 Abs. 1 Nr. 5 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung von der Besteuerung der Lieferung eines Gebrauchtfahrzeugs befreit sei, wenn ihm beim Erwerb das Recht auf vollständigen Vorsteuerabzug verwehrt worden sei: Die betreffende Befreiung beziehe sich nur auf den Teil der geschuldeten Steuer, der im Hinblick auf die Obergrenzen aus Art. 86 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes von diesem Steuerpflichtigen de facto bereits entrichtet worden sei. Die Befreiung umfasse daher nicht den Betrag von 6 000 PLN (oder 60 % des in der Rechnung festgelegten Steuerbetrags), weil der Steuerpflichtige diesen Betrag beim Erwerb des Wagens effektiv an sich genommen habe. Folglich könne Bawaria das Verfahren der Differenzbesteuerung anwenden, aber nur unter der Voraussetzung, dass diese auf das beschränkt sei, was derjenige, der die Lieferung bewirke, zuvor nicht habe abziehen können.

11.      Gegen dieses Urteil erhob Bawaria Kassationsbeschwerde beim vorlegenden Gericht – dem Naczelny Sąd Administracyjny (Hauptverwaltungsgericht) – und rügte im Wesentlichen die Verletzung von Vorschriften des materiellen Rechts durch dessen fehlerhafte Auslegung und unrichtige Anwendung, und zwar einen Verstoß gegen Art. 120 Abs. 4 und 10 des Umsatzsteuergesetzes in Verbindung mit § 13 Abs. 1 Nr. 5 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung und Art. 91 Abs. 4 bis 6 des Umsatzsteuergesetzes, der darin bestehe, dass die Möglichkeit ausgeschlossen worden sei, die Lieferung von Gebrauchtgegenständen, die unter der Befreiung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 5 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung erworben worden seien, in vollem Umfang im System der Differenzbesteuerung zu besteuern.

12.      Tatsächlich erhob auch der Minister Finansów Kassationsbeschwerde und machte geltend, dass das angefochtene Urteil unter Verletzung des Rechts, nämlich von Art. 43 Abs. 1 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes und § 13 Abs. 1 Nr. 5 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung, erlassen worden sei. Dem angefochtenen Urteil liege die Annahme zugrunde, dass es bei der Lieferung eines Personenkraftwagens, der von einem Wirtschaftsteilnehmer erworben werde, der bei seinem Erwerb die Vorsteuer abgezogen habe, keine Grundlage dafür gebe, die Lieferung nach allgemeinen Grundsätzen zu besteuern. Der Minister Finansów hielt an der Auffassung fest, die er in seiner Einzelfallauslegung vom 20. Februar 2009 zum Ausdruck gebracht hatte: Bawaria sei im Fall des Erwerbs eines Personenkraftwagens von einem Wirtschaftsteilnehmer, der bei seinem Erwerb die Vorsteuer teilweise abgezogen und beim Verkauf die Befreiung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 5 Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung in Anspruch genommen habe, nicht zur Festlegung der Steuerbemessungsgrundlage nach der Methode der Differenzbesteuerung berechtigt, weil die in Art. 120 Abs. 10 des Umsatzsteuergesetzes genannten Voraussetzungen nicht erfüllt seien und unter diesen Umständen der betreffende Umsatz nach allgemeinen Grundsätzen besteuert werden müsse.

13.      Für das vorlegende Gericht unterliegt es keinem Zweifel, dass der polnische Gesetzgeber mit § 13 Abs. 1 Nr. 5 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung eine europarechtlich nicht vorgesehene Steuerbefreiung eingeführt habe. Die angeführten Bestimmungen würfen begründete Zweifel auf, ob in dem Fall, dass der Lieferer einen teilweisen Vorsteuerabzug vorgenommen habe, sein Vertragspartner, der steuerpflichtige Wiederverkäufer, deshalb nicht die Sonderregelung der Differenzbesteuerung in Anspruch nehmen könne, weil Voraussetzung für deren Anwendung u. a. sei, dass in Bezug auf die betreffenden Gegenstände keine Möglichkeit zum Vorsteuerabzug bestanden habe.

14.      Unter Hinweis darauf, dass das Ziel der Besteuerungsregelung für Gebrauchtgegenstände in der Vermeidung von Doppelbesteuerungen und Wettbewerbsverzerrungen zwischen Steuerpflichtigen zu sehen sei, führt das vorlegende Gericht aus, für einen steuerpflichtigen Wiederverkäufer bestehe kein Unterschied zwischen einerseits Lieferungen, die von Mehrwertsteuerpflichtigen oder Nicht-Mehrwertsteuerpflichtigen bewirkt würden, die überhaupt keine Möglichkeit zum Vorsteuerabzug gehabt hätten, und andererseits solchen, die von Mehrwertsteuerpflichtigen bewirkt würden, die diese Möglichkeit teilweise gehabt hätten, weil sie alle aufgrund nationaler Steuervorschriften beim Verkauf gebrauchter Personenkraftwagen steuerbefreit seien.

15.      Mit der Einführung von § 13 Abs. 1 Nr. 5 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung habe der polnische Gesetzgeber die Mehrstufigkeit der Mehrwertsteuer letztlich unterbrochen. Infolge dieser Änderung habe der gewerbliche steuerpflichtige Wiederverkäufer sowohl das Recht auf Vorsteuerabzug verloren, weil sein Lieferer von der Steuer befreit sei, als auch das Recht auf Anwendung der Sonderregelung der Differenzbesteuerung, weil sein Lieferer beim Einkauf des Kraftfahrzeugs einen teilweisen Vorsteuerabzug vorgenommen habe. Darüber hinaus komme es, soweit der Lieferer keinen Vorsteuerabzug vorgenommen habe (oberhalb der Schwellen von 50 % und 5 000 PLN oder 60 % und 6 000 PLN), im Ergebnis zur Doppelbesteuerung.

16.      Vor diesem Hintergrund hat das vorlegende Gericht das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage vorgelegt:

Sind die Regelungen in Art. 313 Abs. 1 und Art. 314 in Verbindung mit den Art. 136 und 315 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass danach die Sonderregelung der „Differenzbesteuerung“ für steuerpflichtige Wiederverkäufer in Bezug auf Lieferungen von Gebrauchtgegenständen auch dann angewandt werden darf, wenn sie gekaufte Personenkraftwagen und andere Kraftfahrzeuge weiterverkaufen, auf die gemäß den nationalen polnischen Bestimmungen des § 13 Abs. 1 Nr. 5 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung die Steuerbefreiung für die Lieferung von Personenkraftwagen und anderen Kraftfahrzeugen durch Steuerpflichtige angewandt wurde, denen bei ihrem Erwerb nur ein Recht auf teilweisen Vorsteuerabzug nach Art. 86 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes zustand, sofern es sich bei diesen Personenkraftwagen und Kraftfahrzeugen um Gebrauchtgegenstände im Sinne von Art. 43 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes und Art. 311 Abs. 1 Nr. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie gehandelt hat?

III –  Würdigung

17.      Bawaria, die polnische Regierung und die Kommission haben schriftliche und mündliche Erklärungen eingereicht.

18.      Bawaria ist der Ansicht, dass ein steuerpflichtiger Wiederverkäufer das Verfahren der Differenzbesteuerung beim Weiterverkauf von Gebrauchtfahrzeugen anwenden dürfe, für die beim Erwerb die nach dem polnischen Umsatzsteuergesetz vorgesehene Mehrwertsteuerbefreiung für den Verkauf von Gegenständen gelte, der von einem Steuerpflichtigen bewirkt werde, der bei der Anschaffung dieser Gegenstände nur zu einem teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt gewesen sei.

19.      Die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit von Art. 314 der Mehrwertsteuerrichtlinie seien im vorliegenden Fall erfüllt: Die Lieferungen von Bawaria beträfen Gebrauchtgegenstände, der Erwerb dieser Gegenstände bei einem anderen Steuerpflichtigen sei von der Mehrwertsteuer befreit, und dieser andere Steuerpflichtige sei bei der Anschaffung der Gegenstände aufgrund Art. 86 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt gewesen.

20.      Bei der Auslegung der Art. 311 bis 315 der Mehrwertsteuerrichtlinie seien die mit dieser Richtlinie verfolgten Ziele zu berücksichtigen, nämlich die Vermeidung von Doppelbesteuerungen und Wettbewerbsverzerrungen sowie die Wahrung der Grundsätze der Allgemeinheit der Mehrwertsteuer und der steuerlichen Neutralität.

21.      Erstens führe der in Verbindung mit der Pflicht zur Anwendung der allgemeinen Mehrwertsteuerregel zu sehende Umstand, dass Bawaria aufgrund der in § 13 Abs. 1 Nr. 5 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung vorgesehenen Befreiung ihr Recht verliere, den Teil der Steuer abzuziehen, den ihr Lieferer nicht habe abziehen können – und den dieser Lieferer im Übrigen in seinen Verkaufspreis eingerechnet habe –, zu einer Doppelbesteuerung.

22.      Zweitens werde aufgrund des Umstands, dass der gleiche Umsatz – Weiterverkauf eines bestimmten Gebrauchtfahrzeugs –, je nachdem, ob der Lieferer die Vorsteuer überhaupt nicht oder nur zu einem Teil habe abziehen können, unterschiedlich behandelt werde, der Grundsatz der steuerlichen Neutralität verletzt, da sowohl im erst- als auch im zweitgenannten Fall die Befreiung, die der Lieferer habe in Anspruch nehmen können, dazu führe, dass Bawaria als steuerpflichtigem Wiederverkäufer überhaupt kein Recht auf Vorsteuerabzug zustehe.

23.      Drittens komme es infolge der Weigerung, Bawaria unter Umständen wie denen des vorliegenden Falls die Anwendung des Verfahrens der Differenzbesteuerung zu gestatten, zu einer erheblichen Wettbewerbsverzerrung gegenüber denjenigen, auf die das Verfahren anwendbar sei, obwohl der Mehrwert des Gebrauchtgegenstands zum Zeitpunkt des Weiterverkaufs gegenüber dem Zeitpunkt des Einkaufs in allen Fällen gleich sei. In einer freien Marktwirtschaft sei Bawaria nicht in der Lage, den bei Anwendung der allgemeinen Mehrwertsteuerregel anfallenden höheren Mehrwertsteuerbetrag über den Verkaufspreis an den Endverbraucher weiterzugeben, und daher gezwungen, ihren Preis dem Markt anzupassen (d. h. dem Preis, den steuerpflichtige Wiederverkäufer verlangten, die das Verfahren der Differenzbesteuerung in Anspruch nehmen könnten) und sogar mit Verlust zu verkaufen, während ihre Wettbewerber einen Gewinn erzielten; gleichzeitig sei sie verpflichtet, an den Staat einen Mehrwertsteuerbetrag abzuführen, der wesentlich höher als der von ihren Wettbewerbern gezahlte sei.

24.      Demgegenüber sind die polnische Regierung und die Kommission im Wesentlichen der Meinung, dass das Verfahren der Differenzbesteuerung auf den dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Sachverhalt nicht anwendbar sei.

 Würdigung

25.      Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob der steuerpflichtige Wiederverkäufer (Bawaria) – der gebrauchte Personenkraftwagen von Steuerpflichtigen kauft, die ihrerseits bei der Anschaffung ein Recht auf teilweisen Vorsteuerabzug ausgeübt haben – beim Weiterverkauf an den Endverbraucher zur Anwendung der Sonderregelung der Differenzbesteuerung berechtigt ist.

26.      Zweckmäßigerweise sind zunächst die einschlägigen Bestimmungen zu untersuchen.

27.      Das Verfahren der Differenzbesteuerung ist in Titel XII („Sonderregelungen“) der Mehrwertsteuerrichtlinie, insbesondere in Unterabschnitt 1 („Differenzbesteuerung“) des Abschnitts 2 („Sonderregelung für steuerpflichtige Wiederverkäufer“) des Kapitels 4 („Sonderregelungen für Gebrauchtgegenstände, Kunstgegenstände, Sammlungsstücke und Antiquitäten“) dieses Titels, d. h. in den Art. 312 bis 325 der Richtlinie, geregelt.

28.      Im Einzelnen gilt nach Art. 314 der Mehrwertsteuerrichtlinie die Differenzbesteuerung nur für die Lieferungen von Gebrauchtgegenständen, die steuerpflichtige Wiederverkäufer (wie Bawaria) von einer der folgenden Personen erwerben: a) von einem Nichtsteuerpflichtigen; b) von einem anderen Steuerpflichtigen, sofern die Lieferung des Gegenstands durch diesen anderen Steuerpflichtigen gemäß Art. 136 von der Steuer befreit ist; c) von einem anderen Steuerpflichtigen, sofern für die Lieferung des Gegenstands durch diesen anderen Steuerpflichtigen die Steuerbefreiung für Kleinunternehmen gemäß den Art. 282 bis 292 gilt und es sich dabei um ein Investitionsgut handelt; d) von einem anderen steuerpflichtigen Wiederverkäufer, sofern die Lieferung des Gegenstands durch diesen anderen steuerpflichtigen Wiederverkäufer gemäß dieser Sonderregelung mehrwertsteuerpflichtig ist.

29.      Es ist darauf hinzuweisen, dass Art. 314 der Mehrwertsteuerrichtlinie einen – meines Erachtens abschließenden – Katalog der Steuerpflichtigen enthält, die Lieferungen von Gegenständen vornehmen, auf die der steuerpflichtige Wiederverkäufer auf der nächsten Umsatzstufe die Differenzbesteuerung anwenden darf.

30.      Allen in Art. 314 aufgezählten Fällen ist offenkundig gemeinsam, dass derjenige, der dem steuerpflichtigen Wiederverkäufer das Gebrauchtfahrzeug liefert, die gesamte Mehrwertsteuerlast getragen hat. Dieser Person stand mit anderen Worten beim Erwerb des Fahrzeugs kein Recht auf Vorsteuerabzug zu.

31.      Folglich ist, wie unten noch dargelegt wird, der hier vorliegende Sachverhalt – entgegen der Ansicht, zu der Bawaria offenbar neigt – eindeutig nicht in Art. 314 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehen und kann auch nicht als von dieser Vorschrift erfasst angesehen werden.

32.      Erstens ergibt sich nämlich aus dem Vorlagebeschluss, dass der hier vorliegende Sachverhalt nicht unter Art. 314 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie fällt. Die Person, die die Gebrauchtgegenstände an Bawaria liefert, ist selbst steuerpflichtig.

33.      Zweitens ergibt sich aus dem Vorlagebeschluss, dass der hier vorliegende Sachverhalt nicht unter Art. 314 Buchst. c fällt, da die Lieferung des Gebrauchtgegenstands an Bawaria nicht die Voraussetzung erfüllt, dass für sie die Steuerbefreiung für Kleinunternehmen gemäß den Art. 282 bis 292 gilt und es sich um ein Investitionsgut handelt. Die Befreiung beruht vielmehr auf einer bestimmten Vorschrift des polnischen Rechts, und zwar auf § 13 Abs. 1 Nr. 5 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung.

34.      Drittens fällt der hier vorliegende Sachverhalt auch nicht unter Art. 314 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie. Die Steuerpflichtigen, die Bawaria die Gebrauchtgegenstände liefern, stellen die Mehrwertsteuerrechnungen mit dem Satz „steuerbefreit“ aus und liefern die Gegenstände nicht im Rahmen des Verfahrens der Differenzbesteuerung.

35.      Also bleibt nur noch Art. 314 Buchst. b zu prüfen. Hierbei geht es um von Steuerpflichtigen vorgenommene Lieferungen von Gegenständen, die nach Art. 136 der Mehrwertsteuerrichtlinie von der Steuer befreit sind.

36.      In Art. 136 ist wiederum die Befreiung zweier Arten von Umsätzen vorgesehen.

37.      Nach Art. 136 Buchst. a befreien die Mitgliedstaaten von der Steuer die Lieferungen von Gegenständen, die ausschließlich für eine aufgrund der Art. 132 (dem Gemeinwohl dienende Umsätze), Art. 135 (andere befreite Umsätze wie etwa Finanzdienstleistungen), Art. 371 (z. B. Einnahmen von Eintrittsgeldern bei Sportveranstaltungen oder Telekommunikationsdienstleistungen oder Lieferungen von Gegenständen, die von öffentlichen Posteinrichtungen erbracht bzw. getätigt werden), der Art. 375, 376 oder 377, des Art. 378 Abs. 2, des Art. 379 Abs. 2 sowie der Art. 380 bis 390 (Befreiungsmöglichkeiten für bestimmte Mitgliedstaaten) von der Steuer befreite Tätigkeit bestimmt waren, wenn für diese Gegenstände kein Recht auf Vorsteuerabzug bestanden hat. Hierzu reicht jedoch der Hinweis, dass hier keiner dieser Befreiungstatbestände erfüllt ist.

38.      Nach Art. 136 Buchst. b befreien die Mitgliedstaaten die Lieferungen von Gegenständen, deren Anschaffung oder Zuordnung gemäß Art. 176 vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen war. Art. 176 enthält die „Stand-still“-Klausel. Danach können die Mitgliedstaaten, solange der Rat die in dieser Bestimmung genannten Maßnahmen noch nicht erlassen hat, alle Rechtsvorschriften über den Ausschluss des Vorsteuerabzugs beibehalten, die am 1. Januar 1979 bzw. im Fall der nach diesem Datum der Union beigetretenen Mitgliedstaaten am Tag ihres Beitritts bestanden. Polen ist am 1. Mai 2004 beigetreten. Dem ist hinzuzufügen, dass der Gerichtshof diese Auslegung von Art. 176 der Mehrwertsteuerrichtlinie bereits bestätigt hat(7).

39.      Die vom polnischen Gesetzgeber in Art. 86 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes vorgenommene gesetzliche Beschränkung des Rechts auf Vorsteuerabzug stellt eindeutig zugleich einen teilweisen Ausschluss des Abzugsrechts dar: Der Abzug ist auf 60 % des in der Rechnung ausgewiesenen Steuerbetrags, höchstens jedoch auf 6 000 PLN, beschränkt.

40.      Bis zum 1. Mai 2004 erstreckte sich das Recht auf Vorsteuerabzug nach Art. 25 Abs. 1 Nr. 2 des Umsatz- und Verbrauchsteuergesetzes von 1993(8) übrigens nicht auf den von einem Steuerpflichtigen getätigten Erwerb von Gebrauchtfahrzeugen mit einem höchstzulässigen Ladegewicht von 500 kg, d. h., das Abzugsrecht war vollkommen ausgeschlossen. Mit Wirkung vom 1. Mai 2004 wurde jedoch durch Art. 86 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes von 2004 ein teilweiser Abzug vorgesehen – zunächst in Höhe von 50 %, später dann in der am 22. August 2005 geltenden Fassung in Höhe von 60 %, höchstens jedoch 6 000 PLN. Ich möchte darauf hinweisen, dass diese Regelung an sich nachvollziehbar ist, soweit es sich bei den fraglichen Gegenständen um „Güter mit doppeltem Verwendungszweck“ handelt: Personenkraftwagen, die nicht nur geschäftlich, sondern auch privat genutzt werden(9).

41.      Wie die Kommission zutreffend mit Blick auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs(10) ausführt, wurden mit Art. 86 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes die im polnischen Recht vor dem 1. Mai 2004 vorgesehenen Maßnahmen zur Beschränkung des Rechts auf Vorsteuerabzug im Fall des Erwerbs von Personenkraftwagen nicht erweitert. Daher sind die Voraussetzungen für die Anwendung der „Stand-still“-Klausel erfüllt, so dass die polnischen Rechtsvorschriften auch nach dem 1. Mai 2004 Anwendung finden können.

42.      Beachtenswert ist, dass Art. 136 der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht den Fall umfasst, dass ein Steuerpflichtiger ein Recht auf „teilweisen“ Abzug der Vorsteuer ausgeübt hat(11). Wie oben in Nr. 38 dargelegt, ermöglicht Art. 136 der Mehrwertsteuerrichtlinie den Mitgliedstaaten die Befreiung der Lieferungen von Gegenständen, deren Anschaffung gemäß Art. 176 der Mehrwertsteuerrichtlinie vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen war.

43.      Da Art. 136 zu den Vorschriften gehört, mit denen eine Ausnahme von der allgemeinen Mehrwertsteuerregelung geschaffen wird, ergibt sich meines Erachtens eindeutig, dass diese Bestimmung – und insbesondere die Wendung „die Lieferungen von Gegenständen, deren Anschaffung … vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen war“(12) – eng auszulegen ist.

44.      Diese Sichtweise wird durch die Rechtsprechung bestätigt. Der Gerichtshof hat im Urteil Jyske Finans(13) – in dem es um die Frage der Besteuerung des Verkaufs von Gebrauchtfahrzeugen auf dem Sekundärmarkt ging – darauf hingewiesen, dass „die Begriffe, mit denen die Steuerbefreiungen nach Artikel 13 der Sechsten Richtlinie[(14)] [insbesondere Art. 13 Teil B Buchst. c – jetzt Art. 136 der Mehrwertsteuerrichtlinie] umschrieben werden, eng auszulegen sind, da diese Steuerbefreiungen Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass nach Artikel 2 der genannten Richtlinie jede Lieferung von Gegenständen oder Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger als solcher gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer unterliegt“(15).

45.      Des Weiteren hat der Gerichtshof im Urteil Jyske Finans(16) ausgeführt, dass „[e]s [zu]trifft …, dass die Regelung über die Differenzbesteuerung des steuerpflichtigen Wiederverkäufers bei der Lieferung von Gebrauchtgegenständen … eine von der allgemeinen Regelung der Sechsten Richtlinie abweichende Mehrwertsteuersonderregelung darstellt, die wie die anderen in den Artikeln 24, 25 und 26 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Sonderregelungen nur in dem für die Erreichung ihres Zieles notwendigen Maß angewandt werden soll“. Angesichts des Ausnahmecharakters der vorgenannten Regelung über die Differenzbesteuerung lässt sich meines Erachtens sogar vertreten, dass sie ausschließlich in Fällen angewandt werden darf, in denen dies im Rahmen des durch die Mehrwertsteuerrichtlinie geschaffenen Mehrwertsteuersystems (vgl. Art. 131 ff. dieser Richtlinie) ausdrücklich vorgesehen ist.

46.      Im selben Urteil(17) hat der Gerichtshof sodann hervorgehoben, dass „[d]ie in Artikel 13 Teil B Buchstabe c der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befreiungen … nur für die Lieferungen von Gegenständen gelten [können], deren Anschaffung nach den nationalen Rechtsvorschriften vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist“.

47.      Zu dem Vorbringen von Bawaria im vorliegenden Fall genügt der Hinweis auf die Ausführungen des Gerichtshofs im Urteil Jyske Finans(18), wonach „[d]er Wortlaut [von Art. 13 Teil B Buchst. c der Sechsten Richtlinie] insoweit keiner anderen Auslegung zugänglich [ist], die es erlauben würde, die Doppelbesteuerung eines Steuerpflichtigen zu verhindern, der sich nicht auf einen solchen Ausschluss berufen kann“.

48.      Folglich kann Art. 136 der Mehrwertsteuerrichtlinie, auf den in Art. 314 Buchst. b dieser Richtlinie Bezug genommen wird, nicht dahin ausgelegt werden, dass er den dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Sachverhalt umfasst, bei dem dem Steuerpflichtigen nur ein Recht auf „teilweisen“ Vorsteuerabzug – aber immerhin ein Abzugsrecht – zusteht. Art. 136 gilt nur für Lieferungen von Gegenständen, deren Erwerb nach nationalem Recht vollständig vom Abzug ausgeschlossen ist.

49.      Dementsprechend meine ich, dass im vorliegenden Fall die Beschränkung des Abzugsrechts aufgrund Art. 86 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes – auch wenn der Sachverhalt zugegebenermaßen von der „Stand-still“-Klausel in Art. 176 der Mehrwertsteuerrichtlinie(19) erfasst wird, auf den Art. 136 Buchst. b verweist – keinen Ausschluss des Abzugsrechts in dem zu verlangenden engen Sinne darstellt, da sie im Gegenteil ein teilweises Abzugsrecht zulässt.

50.      Die Differenzbesteuerung, bei der die Mehrwertsteuer lediglich auf die Differenz zwischen dem von einem steuerpflichtigen Wiederverkäufer festgelegten Verkaufspreis für einen Gebrauchtgegenstand und dem Einkaufspreis angewandt wird, ist eine Sonderregelung, mit der verhindert werden kann, dass Gebrauchtgegenstände, wenn sie erneut in den Handel gelangen, ein zweites Mal besteuert werden, ohne dass die in ihrem Preis noch enthaltene Steuer berücksichtigt würde(20) – d. h., sie dient der Vermeidung von Doppelbesteuerungen.

51.      Soweit diese Gebrauchtgegenstände erneut in den Handel gelangen und dabei der Mehrwertsteuer unterliegen, gilt die Sonderregelung der Differenzbesteuerung nur dann, wenn die Wiedereinführung in den Handel entweder durch einen Nicht-Steuerpflichtigen (Endverbraucher) erfolgt oder wenn sie von einem Steuerpflichtigen vorgenommen wird und zu diesem Zeitpunkt vollständig von der Mehrwertsteuer befreit ist.

52.      Daraus folgt, dass immer dann, wenn ein steuerpflichtiger Wiederverkäufer ein Recht auf Vorsteuerabzug – und sei es auch nur ein Recht auf teilweisen Abzug – ausgeübt hat, das Verfahren der Differenzbesteuerung nicht angewandt werden sollte.

53.      Zugegebenermaßen besteht das Ziel des Verfahrens der Differenzbesteuerung in der Vermeidung von Situationen, in denen Gebrauchtgegenstände, wenn sie erneut in den Handel gelangen, doppelt besteuert werden könnten, weil die in ihrem Preis noch enthaltene Steuer nicht berücksichtigt wird. Es genügt jedoch der Hinweis, dass es im vorliegenden Fall der Republik Polen obliegt, die notwendigen Maßnahmen zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung von steuerpflichtigen Wiederverkäufern wie Bawaria zu erlassen, wenn die Doppelbesteuerung darauf zurückzuführen ist, dass i) die allgemeine Mehrwertsteuerregelung Anwendung findet und außerdem ii) Bawaria nicht die Steuer abziehen kann, die im Preis eines Gebrauchtfahrzeugs enthalten ist, das sie von einem Lieferer gekauft hat, der die Befreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 5 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung(21) in Anspruch genommen hat – eine Befreiung, die wohl nicht völlig im Einklang mit der Mehrwertsteuerrichtlinie steht.

54.      Für diese Befreiung gibt es nämlich in den Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie keine Grundlage, da die Richtlinie in ihren Art. 131 ff. einen abschließenden Katalog der Tätigkeiten enthält, die von der Mehrwertsteuer befreit sind.

55.      Ganz allgemein bin ich (ebenso wie die Kommission) der Ansicht, dass ein System zur Verfügung gestellt werden muss, das für Unternehmen zweckmäßig ist, die für die Zwecke der steuerpflichtigen Tätigkeit nicht ständig Fahrzeuge nutzen. Meines Erachtens sind die Mitgliedstaaten jedoch nicht befugt, zur Ausräumung von Schwierigkeiten, mit denen die Unternehmen im alltäglichen Betrieb konfrontiert sind, Lösungen anzubieten, die in der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht vorgesehen sind.

56.      Darüber hinaus bin ich der Meinung, dass die Anwendung der Differenzbesteuerung hier auf jeden Fall den Grundsätzen der Mehrwertsteuerrichtlinie zuwiderliefe und daher ungerechtfertigt wäre.

57.      Die Bedeutung des Ziels, Doppelbesteuerungen zu vermeiden, ist der Grund dafür, weshalb allen einschlägigen Bestimmungen das Erfordernis gemeinsam ist, dass die Mehrwertsteuerlast in vollem Umfang getragen worden sein muss. Voraussetzung hierfür ist selbstverständlich, dass in einem Fall wie dem vorliegenden dem Lieferer keinerlei Abzugsrecht zusteht – was bedeutet, dass noch die gesamte Mehrwertsteuer im Preis enthalten sein muss.

58.      Bei einer Anwendung des Verfahrens der Differenzbesteuerung in einer Situation, in der sich Bawaria befindet, käme es zu einer Besteuerungslücke in Bezug auf den Teil, auf den der Vorsteuerabzug angewandt wurde. Dies verstößt gegen den Grundsatz der Allgemeinheit der Mehrwertsteuer, da der Umsatz des steuerpflichtigen Wiederverkäufers nicht in vollem Umfang besteuert wird, während derjenige, der ihm die Gebrauchtgegenstände geliefert hat, zu einem teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt ist. Darüber hinaus läge damit auch ein Verstoß gegen den Grundsatz der Aufrechterhaltung des Wettbewerbs vor.

59.      Der Grundsatz der Allgemeinheit der Mehrwertsteuer ist in Art. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie verankert. Darin ist u. a. bestimmt, dass „[b]ei allen Umsätzen … die Mehrwertsteuer, die nach dem auf den Gegenstand oder die Dienstleistung anwendbaren Steuersatz auf den Preis des Gegenstands oder der Dienstleistung errechnet wird, abzüglich des Mehrwertsteuerbetrags geschuldet [wird], der die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet hat“. Der Grundsatz der allgemeinen Erhebung der Mehrwertsteuer greift sowohl auf persönlicher Ebene (jeder Umsatz wird unabhängig von der Person besteuert, die ihn ausführt – vorausgesetzt, die Ausführung erfolgt im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie) als auch auf sachlicher Ebene (grundsätzlich wird jede Lieferung von Gegenständen besteuert).

60.      Der vorliegende Fall verdeutlicht besonders gut, weshalb Ausnahmen von der Regel der Allgemeinheit der Mehrwertsteuer nur unter vollkommen außergewöhnlichen Umständen zulässig sind und dass alle solche Ausnahmen ihre Grundlage in den Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie finden müssen.

61.      Demgegenüber beruft sich Bawaria auf die in den Art. 187 bis 189 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene „Berichtigungsregelung“, der ihrer Ansicht nach ein Lieferer nicht entgehen darf, der einen Teil der Vorsteuer beim Erwerb abziehen könne, obwohl er die Gebrauchtgegenstände steuerfrei an den steuerpflichtigen Wiederverkäufer veräußere; mit Hilfe dieser Berichtigung solle nämlich der Gefahr einer Verminderung des Steueraufkommens in einem solchen Fall entgegengewirkt werden.

62.      Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.

63.      Wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, würde dies zu einer mehrfachen Besteuerung der Fahrzeugkäufer in Fällen führen, in denen keine Vorsteuer abgezogen wird, ja es käme sogar zu einer Besteuerung für eine Nutzung, die nicht steuerpflichtig ist. Wie die polnische Regierung zutreffend bemerkt, würde die von Bawaria vorgeschlagene Lösung lediglich eine Verringerung der Vorsteuer bewirken und – vor allem – Doppelbesteuerungen trotzdem nicht gänzlich beseitigen. Meines Erachtens ist das Verfahren der Differenzbesteuerung ganz offenkundig kein geeignetes Instrument, um der Tatsache abzuhelfen, dass bestimmte Vorschriften des polnischen Rechts (§ 13 Abs. 1 Nr. 5 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung) nicht in vollem Einklang mit der Mehrwertsteuerrichtlinie stehen(22). Für mich steht fest, dass im Fall von Bawaria vielmehr die allgemeinen Vorschriften angewandt werden sollten.

64.      Außerdem hätte eine Abschaffung der Befreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 5 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung zur Folge, dass in der betreffenden Rechnung die Vorsteuer ausgewiesen wird, so dass ein steuerpflichtiger Wiederverkäufer wie Bawaria zum Mehrwertsteuerabzug in der Lage ist: Auf diese Weise wäre das dem Ausgangsverfahren zugrunde liegende Problem wohl gelöst.

65.      Im Fall von Bawaria scheint zwar eine Doppelbesteuerung vorzuliegen, die mit den Grundsätzen der Mehrwertsteuer normalerweise nicht zu vereinbaren ist, jedoch geht es hier um besondere Gegenstände, nämlich Gebrauchtfahrzeuge, die nicht nur geschäftlich, sondern auch privat genutzt werden. Es liegt auf der Hand, dass in Bezug auf die private Nutzung der Fahrzeuge ein Abzug der Mehrwertsteuer nicht in Frage kommen kann.

66.      Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ergibt meiner Meinung nach die Auslegung der Mehrwertsteuerrichtlinie eindeutig, dass in einem Fall, in dem einem steuerpflichtigen Wiederverkäufer Gebrauchtfahrzeuge von einem Steuerpflichtigen geliefert werden, der bei der Anschaffung dieser Fahrzeuge ein Recht auf teilweisen Vorsteuerabzug nach Art. 86 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes ausgeübt hat, die Voraussetzungen von Art. 314 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht erfüllt sind. Demzufolge ist der steuerpflichtige Wiederverkäufer nicht zur Anwendung der Sonderregelung der Differenzbesteuerung berechtigt.

IV –  Ergebnis

67.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Naczelny Sąd Administracyjny vorgelegte Frage wie folgt zu beantworten:

Art. 313 Abs. 1 und Art. 314 in Verbindung mit den Art. 136 und 315 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass sie der Anwendung der Sonderregelung der Differenzbesteuerung für steuerpflichtige Wiederverkäufer in Bezug auf den Weiterverkauf von gebrauchten Personenkraftwagen und anderen Kraftfahrzeugen entgegenstehen, die sie bei Steuerpflichtigen erworben haben, die bei der Anschaffung dieser Fahrzeuge ein Recht auf teilweisen Vorsteuerabzug nach Art. 86 Abs. 3 des polnischen Umsatzsteuergesetzes ausgeübt haben.


1–      Originalsprache: Englisch.


2 – D. h. auf die Differenz zwischen Verkaufs- und Einkaufspreis.


3 – Richtlinie vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).


4 – Ustawa o podatku od towarów i usług (Gesetz über die Steuer auf Gegenstände und Dienstleistungen) vom 11. März 2004 (Dziennik Ustaw Nr. 54, Pos. 535 mit Änderungen, im Folgenden: Umsatzsteuergesetz).


5 – Rozporządzenie Ministra Finansów z dnia 28 listopada 2008 r. w sprawie wykonania niektórych przepisów ustawy o podatku od towarów i usług (Dziennik Ustaw Nr. 212, Pos. 1336; Verordnung des Ministers der Finanzen vom 28. November 2008 zur Durchführung von Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes).


6 – Diese ist in Art. 86 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes festgelegt (50 % bzw. 60 %, höchstens jedoch 5 000 PLN bzw. 6 000 PLN).


7 – Vgl. z. B. Urteile vom 8. Dezember 2005, Jyske Finans (C-280/04, Slg. 2005, I-10683, Randnr. 23), vom 11. Dezember 2008, Danfoss und AstraZeneca (C-371/07, Slg. 2008, I-9549, Randnrn. 28 f.), vom 15. April 2010, X Holding und Oracle Nederland (C-538/08 und C-33/09, Slg. 2010, I-3129, Randnr. 38), und vom 30. September 2010, Oasis East (C-395/09, Slg. 2010, I-8811, Randnrn. 19 f.). Im Urteil vom 22. Dezember 2008, Magoora (C-414/07, Slg. 2008, I-10921), das ebenfalls Polen betrifft, hat der Gerichtshof im Wesentlichen entschieden, dass die „Stand-still“-Klausel nicht zum Ziel hat, einem neuen Mitgliedstaat die Möglichkeit zu geben, seine nationalen Rechtsvorschriften derart zu ändern, dass sie mit den Zielen der Mehrwertsteuerrichtlinie unvereinbar sind. Die Mehrwertsteuerrichtlinie hindert einen Mitgliedstaat auf jeden Fall daran, seine im genannten Zeitpunkt in Kraft getretenen Rechtsvorschriften später derartig zu ändern, dass der Anwendungsbereich dieser Beschränkungen gegenüber der Situation, die vor diesem Zeitpunkt bestand, erweitert wird.


8 – Gesetz vom 8. Januar 1993 über die Steuer auf Gegenstände und Dienstleistungen sowie über Verbrauchsteuern (Dziennik Ustaw Nr. 11, Pos. 50).


9 – In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission darauf hingewiesen, dass die Situation von Bawaria im vorliegenden Fall sogar der „typischen Situation der Wiederverkäufer von Gebrauchtwagen in Polen“ entspreche.


10 – Vgl. z. B. Urteil Magoora (oben in Fn. 7 angeführt), sowie das Urteil des Naczelny Sąd Administracyjny vom 9. Juni 2010, I FSK 960/09.


11 – Dies hat auch das vorlegende Gericht im Vorlagebeschluss erkannt, wo es zutreffend ausführt, dass das Recht der Europäischen Union grundsätzlich nicht die Möglichkeit zum teilweisen Vorsteuerabzug durch den Erwerber von Waren oder Dienstleistungen vorsieht, auch nicht in Bezug auf Sachanlagen (Investitionsgüter). Dies hat außerdem zur Folge, dass es weder in Bezug auf die Möglichkeit bzw. fehlende Möglichkeit der Steuerbefreiung solcher Waren und Dienstleistungen noch hinsichtlich der Sonderregelung der Differenzbesteuerung durch steuerpflichtige Wiederverkäufer unionsrechtliche Regelungen gibt.


12 – Hervorhebung nur hier.


13 – Oben in Fn. 7 angeführt, Randnr. 21.


14 – Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der durch die Richtlinie 94/5/EG des Rates vom 14. Februar 1994 (ABl. L 60, S. 16) geänderten Fassung (im Folgenden: Sechste Richtlinie).


15 – Vgl. u. a. Urteile vom 20. November 2003, Taksatorringen (C-8/01, Slg. 2003, I-13711, Randnr. 36), vom 3. März 2005, Fonden Marselisborg Lystbådehavn (C-428/02, Slg. 2005, I-1527, Randnr. 29), und vom 16. Dezember 2010, MacDonald Resorts (C-270/09, Slg. 2010, I-13179, Randnr. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Urteil vom 28. Oktober 2010, Axa UK (C-175/09, Slg. 2010, I-10701, Randnr. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).


16 – Oben in Fn. 7 angeführt; vgl. Randnr. 35 zur Anwendung der in den Art. 26 und 25 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Regelung; vgl. auch Urteile vom 22. Oktober 1998, Madgett und Baldwin (C-308/96 und C-94/97, Slg. 1998, I-6229, Randnr. 34), und vom 15. Juli 2004, Harbs (C-321/02, Slg. 2004, I-7101, Randnr. 27).


17 – Urteil Jyske Finans (oben in Fn. 7 angeführt, Randnr. 24).


18 – Ebd.


19 – Vgl. in diesem Sinne die in Fn. 7 angeführten Urteile Magoora, X Holding und Oracle Nederland (Randnrn. 59 bis 61) und Oasis East (Randnrn. 19 f.).


20 – Vgl. Urteil vom 9. Juli 1992, „K“ Line Air Service Europe (C-131/91, Slg. 1992, I-4513, Randnr. 19).


21 – Selbst das vorlegende Gericht stellt im Vorlagebeschluss zu Beginn seiner Würdigung fest, dass es „keinem Zweifel [unterliegt], dass der polnische Gesetzgeber mit § 13 Abs. 1 Nr. 5 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung eine europarechtlich nicht vorgesehene Steuerbefreiung eingeführt hat“.


22 – Siehe auch oben, Nr. 54.