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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PAOLO MENGOZZI

vom 26. März 2015(1)

Verbundene Rechtssachen C-108/14 und C-109/14

Beteiligungsgesellschaft Larentia + Minerva mbH & Co. KG

gegen

Finanzamt Nordenham (C-108/14)


und


Finanzamt Hamburg-Mitte

gegen

Marenave Schiffahrts AG (C-109/14)

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesfinanzhofs [Deutschland])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerrecht – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage – Muttergesellschaft (Holding), die der Mehrwertsteuer unterliegende Leistungen zum Zweck des Erwerbs von Eigenmitteln in Anspruch genommen hat, die zur Sicherung von Anteilen an zwei Tochtergesellschaften verwendet wurden, für die diese Muttergesellschaft später entgeltliche Dienstleistungen erbracht hat – Nationale Regelung, nach der die steuerliche Einbeziehung auf juristische Personen beschränkt ist, die sich in finanzieller, wirtschaftlicher und organisatorischer Hinsicht in einem Unterordnungsverhältnis befinden“





I –    Einleitung

1.        Die vom Bundesfinanzhof (Deutschland) vorgelegten Ersuchen um Vorabentscheidung beziehen sich im Wesentlichen erstens auf die Berechnungsmethode des Vorsteuerabzugs durch zwei Holdinggesellschaften im Zusammenhang mit der Übernahme von Beteiligungen am Kapital anderer Gesellschaften, in deren Leitung diese Holdinggesellschaften eingreifen, und zweitens auf die Frage, ob Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage(2) (im Folgenden: Sechste Richtlinie) steuerlichen Vorschriften entgegensteht, die es Personengesellschaften verbieten, als „untergeordnete“ Unternehmen an einer Mehrwertsteuergruppe im Sinne dieses Artikels teilzuhaben.

2.        Diese Fragen wurden im Rahmen von zwei Rechtsstreitigkeiten gestellt, zum einen zwischen der Beteiligungsgesellschaft Larentia + Minerva mbH & Co. KG (im Folgenden: Larentia + Minerva) und dem Finanzamt Nordenham (C-108/14) und zum anderen zwischen dem Finanzamt Hamburg-Mitte und der Marenave Schiffahrts AG (im Folgenden: Marenave) (C-109/14)(3).

3.        In der ersten Rechtssache hält Larentia + Minerva als Kommanditistin 98 % der Anteile zweier Tochtergesellschaften in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG, die jeweils ein Schiff betreiben. Für diese erbringt sie als „Führungsholding“ u. a. entgeltlich administrative und betriebswirtschaftliche Dienstleistungen.

4.        Für diese mehrwertsteuerpflichtigen Leistungen nahm Larentia + Minerva einen vollständigen Abzug der von ihr gezahlten Vorsteuer für die Einwerbung von Kapital bei einem Dritten vor, das zur Finanzierung des Erwerbs der Beteiligungen an den Tochtergesellschaften und der Erbringung von Dienstleistungen, u. a. entgeltlicher administrativer und beratender Tätigkeiten, zugunsten dieser Tochtergesellschaften diente.

5.        Das Finanzamt Nordenham ließ diesen Abzug nur sehr begrenzt – in Höhe von 22 % – zu, da es die wesentlichen Aufwendungen für die Übernahme der Beteiligungen an den Tochtergesellschaften dem nichtwirtschaftlichen Bereich der Tätigkeit der Holdinggesellschaft – nämlich dem Halten von Anteilen an Tochtergesellschaften – zurechnete, der kein Recht auf Vorsteuerabzug eröffne. Der Mehrwertsteuerberichtigungsbescheid vom 24. September 2007 für das Jahr 2005 wurde von Larentia + Minerva vor dem Niedersächsischen Finanzgericht angefochten, das die Klage abwies. Larentia + Minerva legte daher Revision beim Bundesfinanzhof ein.

6.        In der zweiten Rechtssache erhöhte Marenave im Jahr 2006 ihr Kapital. Die mit dieser Erhöhung verbundenen Aktienemissionskosten führten zu einer Mehrwertsteuerzahlung von 373 347,57 Euro.

7.        Diese Gesellschaft erwarb im gleichen Jahr als Holdinggesellschaft Anteile an vier „Schiffskommanditgesellschaften“ in der Rechtsform von Personengesellschaften, an deren Geschäftsführung sie gegen Vergütung beteiligt war. Von der Mehrwertsteuer auf die Einkünfte aus dieser Tätigkeit im Jahr 2006 brachte sie u. a. den gesamten Vorsteuerbetrag von 373 347,57 Euro in Abzug.

8.        Mit Bescheid vom 15. Januar 2009 versagte das Finanzamt Hamburg-Mitte den Abzug in entsprechender Höhe wegen fehlender tatsächlicher Eingriffe der Holdinggesellschaft in die Geschäftsführung der Tochtergesellschaften. Das Finanzgericht Hamburg-Mitte gab der gegen diesen Bescheid gerichteten Klage jedoch statt und ließ den von Marenave vorgenommenen Abzug in voller Höhe zu. Das Finanzamt Hamburg-Mitte legte beim Bundesfinanzhof Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Hamburg-Mitte ein.

9.        In den beiden Rechtssachen, mit denen es befasst ist, geht das vorlegende Gericht davon aus, dass die von den Holdinggesellschaften bezogenen Dienstleistungen sowohl für wirtschaftliche als auch für nichtwirtschaftliche Tätigkeiten verwendet worden seien und nur insoweit ein Recht auf Vorsteuerabzug eröffneten, als sie sich der wirtschaftlichen Tätigkeit der Holdinggesellschaften zurechnen ließen. Daher geht das vorlegende Gericht davon aus, dass kein Recht auf uneingeschränkten Vorsteuerabzug bestehe, wobei es die Frage aufwirft, ob die vom Gerichtshof im Urteil Cibo Participations (C-16/00, EU:C:2001:495) entwickelten Grundsätze dieser Feststellung nicht entgegenstünden. Das vorlegende Gericht befragt den Gerichtshof allerdings nicht unmittelbar zu diesem Punkt. Seine erste Vorlagefrage beschränkt sich nämlich darauf, um nähere Angaben zur Berechnungsweise des Vorsteuerabzugs zu ersuchen, die objektiv widerspiegelt, welcher Teil der Eingangsaufwendungen den wirtschaftlichen und den nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten im Fall der Holdinggesellschaften tatsächlich zuzurechnen ist. Für den Fall, dass die Frage des Vorsteuerabzugs durch die Holdinggesellschaften in der Weise zu lösen sein sollte, dass die nachgelagerten, von den Tochtergesellschaften gegenüber Dritten erbachten steuerpflichtigen Tätigkeiten zu berücksichtigen sind, wirft das vorlegende Gericht zweitens die Frage nach der Reichweite von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie bei den von Larentia + Minerva sowie Marenave erstmals im Rahmen der Revision angesprochenen Mehrwertsteuergruppen auf. Insoweit möchte es wissen, ob das nationale Recht mit dieser Bestimmung vereinbar ist, obwohl es u. a. Personengesellschaften von einer solchen Regelung ausschließt, und, wenn nicht, ob sich die Steuerpflichtigen unmittelbar auf Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie berufen können.

10.      Der Bundesfinanzhof hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof in beiden Rechtssachen folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Nach welcher Berechnungsmethode ist der (anteilige) Vorsteuerabzug einer Holding aus Eingangsleistungen im Zusammenhang mit der Kapitalbeschaffung zum Erwerb von Anteilen an Tochtergesellschaften zu berechnen, wenn die Holding später (wie von vornherein beabsichtigt) verschiedene steuerpflichtige Dienstleistungen gegenüber diesen Gesellschaften erbringt?

2.      Steht die Bestimmung über die Zusammenfassung mehrerer Personen zu einem Steuerpflichtigen in Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie einer nationalen Regelung entgegen, nach der (erstens) nur eine juristische Person ‒ nicht aber eine Personengesellschaft ‒ in das Unternehmen eines anderen Steuerpflichtigen (sog. Organträger) eingegliedert werden kann und die (zweitens) voraussetzt, dass diese juristische Person finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch (im Sinne eines Über- und Unterordnungsverhältnisses) „in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist“?

3.      Falls die vorstehende Frage bejaht wird: Kann sich ein Steuerpflichtiger unmittelbar auf Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie berufen?

11.      Zu diesen Fragen haben Larentia + Minerva, Marenave, die deutsche Regierung, die Regierung Irlands, die österreichische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die Europäische Kommission schriftliche Erklärungen abgegeben. Mit Ausnahme der österreichischen Regierung, die in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, sind diese Parteien sowie die polnische Regierung in der Sitzung vom 7. Januar 2015 angehört worden.

II – Analyse

A –    Zur ersten Vorlagefrage

12.      Wie ich in Nr. 9 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, beruht die vom vorlegenden Gericht unterbreitete erste Frage auf dem Postulat, dass es lediglich einen teilweisen Vorsteuerabzug der von den beiden in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten in Rede stehenden Holdings geleisteten Mehrwertsteuer gibt, da bei Larentia + Minerva die Kosten der Übernahme von Beteiligungen an ihren Tochtergesellschaften und in Bezug auf Marenave die Kosten der Ausgabe von Aktien zum größten Teil der nichtwirtschaftlichen Tätigkeit dieser Holdings zuzurechnen sind, die im Erwerb und im Halten bzw. in der Verwaltung der Beteiligungen an ihren jeweiligen Tochtergesellschaften besteht.

13.      Basierend auf dieser Prämisse ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof um genauere Angaben zu der Berechnungsmethode, die anzuwenden ist, um die Vorsteuer so objektiv und gleichmäßig wie möglich zu verteilen, wenn die Ausgaben einer Holdinggesellschaft wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten zuzurechnen sind.

14.      Würde man sich strikt auf die Beantwortung dieser Frage beschränken, so wäre meines Erachtens der von sämtlichen Beteiligten des vorliegenden Verfahrens vertretenen Ansicht beizupflichten, dass der Gerichtshof seine Zuständigkeit, genauere als die sich bereits aus seiner bisherigen Rechtsprechung ergebenden Angaben zu einer solchen Berechnungsmethode zu liefern, verneinen müsste.

15.      Es ist nämlich insbesondere daran zu erinnern, dass der Gerichtshof, als er in der Rechtssache Securenta (C-437/06, EU:C:2008:166) mit einer entsprechenden Frage befasst war, ausgeführt hat, dass die Sechste Richtlinie nicht regelt, welche Methoden oder Kriterien die Mitgliedstaaten anwenden müssen, wenn sie Bestimmungen erlassen, die eine Aufteilung der Vorsteuerbeträge danach zulassen, ob sich die entsprechenden Aufwendungen auf wirtschaftliche oder auf nichtwirtschaftliche Tätigkeiten beziehen, da die von der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Regelungen zum Vorsteuerabzug ausschließlich wirtschaftliche Tätigkeiten betreffen(4).

16.      Da die Sechste Richtlinie nicht die für solche bezifferten Feststellungen erforderlichen Angaben enthält, obliegt es den Mitgliedstaaten, in Ausübung ihres Ermessens sowie unter Berücksichtigung des Zwecks und der Systematik dieser Richtlinie, insbesondere unter Beachtung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität, die hierfür geeigneten Methoden und Kriterien festzulegen(5).

17.      Der Gerichtshof hat daraus gefolgert, dass die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieses Ermessens sicherzustellen haben, dass der Abzug nur für den Teil der Mehrwertsteuer erfolgt, der auf die zum Abzug berechtigenden Umsätze entfällt, wobei sie darauf zu achten haben, dass die Berechnung des Verhältnisses zwischen wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten objektiv widerspiegelt, welcher Teil der Eingangsaufwendungen jeder dieser beiden Tätigkeiten tatsächlich zuzurechnen ist. In diesem Rahmen dürfen die Mitgliedstaaten jedoch jeden geeigneten Aufteilungsschlüssel anwenden, wie einen Investitionsschlüssel oder einen Umsatzschlüssel (die vom vorlegenden Gericht in der Rechtssache Securenta erwähnt wurden), und sind nicht verpflichtet, sich auf eine einzige dieser Methoden zu beschränken(6).

18.      Der Gerichtshof hat diese Erwägungen in den Rn. 42 und 47 des Urteils Portugal Telecom (C-496/11, EU:C:2012:557) bestätigt und im Wesentlichen ausgeführt, dass die von den Mitgliedstaaten gewählten oder angewendeten Berechnungsmethoden, welche auch immer dies sind, objektiv widerspiegeln müssen, welcher Teil der Eingangsaufwendungen den wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten jeweils tatsächlich zuzurechnen ist.

19.      In den vorliegenden Rechtssachen weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass der deutsche Gesetzgeber bisher keinen Aufteilungsschlüssel der vom Gerichtshof im Urteil Securenta ausgeführten Art festgelegt habe, was zu großer Rechtsunsicherheit führe, die seiner Ansicht nach vom Gerichtshof beseitigt werden sollte.

20.      Ich bin der Auffassung, dass der Gerichtshof dieser Aufforderung nicht Folge leisten kann, und zwar sowohl aus Gründen des Respekts der Restzuständigkeit der Mitgliedstaaten als auch aus praktischen, mit der Vielfalt und der Komplexität der tatsächlichen Sachverhalte zusammenhängenden Gründen, die es dem Gerichtshof in keiner Weise erlauben, einer Methode oder einem Aufteilungsschlüssel den Vorzug vor anderen zu geben.

21.      Aus ähnlichen Gründen kann auch die Tatsache, dass ein nationaler Gesetzgeber noch nicht die eine oder andere Methode gewählt hat, sondern es vorgezogen hat, wie das vorlegende Gericht sowie die deutsche Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen hervorheben, diese Beurteilung anhand der Umstände des Einzelfalls den Steuerpflichtigen und der Steuerverwaltung zu überlassen, den Gerichtshof nicht dazu veranlassen, seine Befugnis zu bejahen, sich an die Stelle dieses Gesetzgebers zu setzen.

22.      Es ist vielmehr Aufgabe der nationalen Gerichte, zu prüfen, ob die Berechnungsmethoden, die entweder der Steuerpflichtige oder gegebenenfalls die nationale Steuerverwaltung gewählt hat, nach Maßgabe der ihnen unterbreiteten Sachverhalte objektiv widerspiegeln, welcher Teil der Eingangsaufwendungen den wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten des Steuerpflichtigen jeweils tatsächlich zuzurechnen ist.

23.      In den vorliegenden Rechtssachen obliegt daher dem vorlegenden Gericht die Prüfung, ob die Anwendung der von der Steuerverwaltung für geeignet befundenen Methode, d. h. nach den Angaben des vorlegenden Gerichts der Aufteilungsschlüssel in Abhängigkeit von der Art der Investition, dieser Zielsetzung genügt.

24.      Mir stellt sich jedoch die Frage nach der Prämisse der vom vorlegenden Gericht angestellten Erwägungen, soweit es annimmt, dass die beiden Holdinggesellschaften teilweise wirtschaftliche und teilweise nichtwirtschaftliche Tätigkeiten ausüben.

25.      Diese Fragestellung geht über eine simple Bewertung der Sachverhalte der Ausgangsrechtsstreitigkeiten hinaus, die im Rahmen der in Art. 267 AEUV vorgesehenen Zusammenarbeit natürlich ausschließlich in die Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts fällt.

26.      Wie Larentia + Minerva und Marenave vortragen, ist nämlich fraglich, ob das Eingreifen der Holdinggesellschaften in die Verwaltung der Tochtergesellschaften nicht in Anwendung u. a. der Grundsätze des Urteils Cibo Participations (C-16/00, EU:C:2001:495) zu der Feststellung führen müsste, dass solche Holdinggesellschaften ausschließlich eine wirtschaftliche Tätigkeit unter Ausschluss jeder nichtwirtschaftlichen Tätigkeit ausüben. Daraus würde nach ihrer Auffassung folgen, dass diese Holdinggesellschaften die Vorsteuer auf die im Zusammenhang mit dem Erwerb der Beteiligungen an ihren Tochtergesellschaften erbrachten Dienstleistungen in vollem Umfang abziehen könnten.

27.      In seiner Rechtsprechung zum Mehrwertsteuerstatus von Holdinggesellschaften unterscheidet der Gerichtshof zwei Fälle in Abhängigkeit davon, ob die Holdinggesellschaften in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaften eingreifen oder nicht.

28.      Zur ersten Kategorie gehören Holdinggesellschaften, die sich ausschließlich mit dem Halten und der Verwaltung von Beteiligungen an anderen Gesellschaften befassen, ohne Letzteren irgendeine entgeltliche Dienstleistung zu erbringen und somit ohne unmittelbar oder mittelbar in die Verwaltung anderer Unternehmen einzugreifen, außer durch Ausübung der Rechte, über die sie als Anteilseigner verfügen.

29.      Diese Holdinggesellschaften besitzen nicht die Eigenschaft eines Mehrwertsteuerpflichtigen im Sinne von Art. 4 der Sechsten Richtlinie und haben daher kein Recht auf Vorsteuerabzug nach Art. 17 dieser Richtlinie. Nach der Rechtsprechung können der bloße Erwerb und das bloße Halten von Gesellschaftsanteilen nämlich nicht als wirtschaftliche Tätigkeiten im Sinne der Sechsten Richtlinie angesehen werden, die den Erwerber bzw. Inhaber zum Steuerpflichtigen machen würden. Der bloße Erwerb finanzieller Beteiligungen an anderen Unternehmen stellt keine Nutzung eines Gegenstands zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen dar, weil eine etwaige Dividende als Ergebnis dieser Beteiligung Ausfluss der bloßen Innehabung des Gegenstands ist(7).

30.      Der Gerichtshof hat jedoch wiederholt entschieden, dass „etwas anderes gilt, wenn die Beteiligung unbeschadet der Rechte, die der Beteiligungsgesellschaft in ihrer Eigenschaft als Aktionär oder Gesellschafterin zustehen, mit einem unmittelbaren oder mittelbaren Eingreifen in die Verwaltung der Gesellschaften einhergeht, an denen die Beteiligung besteht“(8). Der Gerichtshof führt weiter aus, dass Eingriffe einer Holdinggesellschaft in die Verwaltung von Unternehmen, an denen sie Beteiligungen erworben hat, eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie sind, wenn sie Tätigkeiten darstellen, die gemäß Art. 2 der Richtlinie der Mehrwertsteuer unterliegen, wie etwa die Erbringung administrativer, finanzieller, kaufmännischer und technischer Dienstleistungen der Holding für ihre Tochtergesellschaften(9).

31.      Wie aus der vom vorlegenden Gericht aufgestellten Typologie der Holdinggesellschaften hervorgeht, werden solche Holdinggesellschaften als „Führungsholdings“ bezeichnet.

32.      Im vorliegenden Fall steht außer Streit, dass die beiden in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten in Rede stehenden Holdinggesellschaften zu dieser zweiten Kategorie zählen und dass daher die Leistungen, die sie ihren Tochtergesellschaften entgeltlich erbringen, mehrwertsteuerpflichtig sind.

33.      Das vorlegende Gericht räumt im Übrigen ein, dass diesen Holdinggesellschaften ein Recht auf Vorsteuerabzug für die Leistungen zusteht, die sie von dritten Unternehmen im Rahmen der Kapitaltransaktionen in Bezug auf ihre Tochtergesellschaften erhalten haben. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts kann dieser Abzug jedoch nur ein teilweiser sein. Die von den Holdinggesellschaften im Rahmen der Kapitaleinwerbung in Anspruch genommenen Leistungen hätten nämlich vor allem einer nichtwirtschaftlichen Tätigkeit der Holdinggesellschaften gedient, und zwar dem nicht steuerpflichtigen Erwerb und Halten ihrer jeweiligen Beteiligungen am Kapital ihrer Tochtergesellschaften.

34.      Insoweit weise ich zunächst darauf hin, dass das vorlegende Gericht nicht angibt, dass die genannten Leistungen dem bloßen Halten von Beteiligungen an anderen Tochtergesellschaften, in deren Verwaltung die Holdinggesellschaften nicht eingriffen, zuzurechnen wären, also einer Tätigkeit, die nicht als wirtschaftlich angesehen werden kann und daher tatsächlich dazu zwingen würde, die Vorsteuer zwischen den wirtschaftlichen und den nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten dieser Holdinggesellschaften aufzuteilen.

35.      Sodann bin ich der Auffassung, dass die Logik, auf der die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Dichotomie von Holdinggesellschaften, die in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaften eingreifen, und solchen, die dies nicht tun, beruht, Folgen für die Zurechnung der Kosten hat, die mit den von diesen Holdinggesellschaften durchgeführten und ihrer anschließenden wirtschaftlichen Tätigkeit vorgelagerten Kapitaltransaktionen verbunden sind.

36.      Im Urteil Cibo Participations, das eine den Ausgangsrechtsstreitigkeiten ähnliche Situation betraf, hat der Gerichtshof nämlich entschieden, dass die von einer Holding, die in die Verwaltung einer Tochtergesellschaft eingreift, getätigten Ausgaben für verschiedene Dienstleistungen, die sie im Rahmen einer Beteiligung an dieser Tochtergesellschaft erhalten hat, ein Teil der allgemeinen Kosten des Steuerpflichtigen sind und als solche zu den Preiselementen ihrer Produkte gehören. Solche Dienstleistungen hängen demnach direkt und unmittelbar mit der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit der Holdinggesellschaft zusammen(10).

37.      Da dem Gerichtshof nicht verborgen geblieben sein konnte, dass eine solche Holdinggesellschaft ihrem Wesen nach auch Anteile verwaltete, die keine wirtschaftliche Tätigkeit implizieren, bedeutet die in diesem Urteil gewählte Herangehensweise zum einen, dass die von der Holdinggesellschaft im Hinblick auf die Übernahme von Beteiligungen an ihren Tochtergesellschaften entstandenen Kosten ausschließlich an die wirtschaftliche Tätigkeit der Holdinggesellschaft anknüpfen und nicht – auch nicht teilweise – an ihre in der Verwaltung der Anteile bestehende nichtwirtschaftliche Tätigkeit, und zum anderen, dass die Holdinggesellschaft grundsätzlich die gesamte Vorsteuer auf die Eingangsumsätze in Abzug bringen kann.

38.      Diese Einschätzung wird durch Rn. 34 des Urteils Cibo Participations bestätigt, in der der Gerichtshof auf das in Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie vorgesehene System des Vorsteuerabzugs verweist, dessen Anwendung nur die Aufteilung der Mehrwertsteuer auf Eingangsumsätze, die sowohl für wirtschaftliche, ein Recht auf Vorsteuerabzug eröffnende Tätigkeiten verwendet werden als auch für andere, die dieses Recht nicht eröffnen, und somit ausschließlich die Mehrwertsteuer auf Aufwendungen im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Tätigkeiten betrifft(11).

39.      Die im Zusammenhang mit dem Erwerb von Beteiligungen an ihren Tochtergesellschaften durch eine Holdinggesellschaft, die im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs in deren Verwaltung eingreift, aufgewendeten Kosten sind daher der wirtschaftlichen Tätigkeit dieser Holdinggesellschaft zuzurechnen. Dementsprechend ist die auf diese Kosten entfallene Mehrwertsteuer nach Art. 17 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie uneingeschränkt abzuziehen, es sei denn, die wirtschaftlichen Tätigkeiten auf der Ausgangsstufe sind nach der Sechsten Richtlinie von der Mehrwertsteuer befreit, wobei sich in diesem Fall das Abzugsrecht nach der in Art. 17 Abs. 5 dieser Richtlinie vorgesehenen Pro-rata-Methode richten würde(12). Das ist in meinen Augen die Auslegung, die dem Urteil Cibo Participations zu entnehmen ist.

40.      Eine solche Analyse kann ohne Weiteres auf die Kosten erstreckt werden, die nicht an die Übernahme von Beteiligungen an Tochtergesellschaften gebunden sind, sondern an andere, von einer Führungsholding durchgeführte Kapitaltransaktionen, etwa eine Erhöhung ihres Gesellschaftskapitals durch Ausgabe von Aktien, die letztlich – wie es in der Rechtssache C-109/14 der Fall zu sein scheint – dazu dient, den Erwerb und den Betrieb von Seeschiffen zu finanzieren.

41.      Der Gerichtshof hat nämlich bereits im Urteil Kretztechnik (C-465/03, EU:C:2005:320) anerkannt, dass die Ausgabe von Aktien nicht per se in den Anwendungsbereich der Sechsten Richtlinie fällt, aber von einer Gesellschaft ausgeführt werden kann, um ihr Kapital zugunsten ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit im Allgemeinen zu stärken, was bedeutet, dass die Kosten der Dienstleistungen, die diese Gesellschaft im Rahmen des betreffenden Umsatzes bezogen hat, Teil ihrer allgemeinen Kosten sind und damit zu den Preiselementen ihrer Produkte gehören, da solche Dienstleistungen direkt und unmittelbar mit der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit des Steuerpflichtigen zusammenhängen(13).

42.      Dass in dem der Rechtssache C-109/14 zugrunde liegenden Rechtsstreit die Ausgabe von Aktien von einer Führungsholding durchgeführt wurde und nicht von einer Gesellschaft wie Kretztechnik, die nur eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübte, scheint mir in Anbetracht der Ausführungen im Urteil Cibo Participations keine abweichenden Folgen auf das grundsätzlich uneingeschränkte Vorsteuerabzugsrecht haben zu müssen.

43.      Jedenfalls haben sich weder das vorlegende Gericht noch die Verfahrensbeteiligten dafür ausgesprochen, bei der steuerlichen Behandlung der von einer Führungsholding verauslagten Kosten danach zu differenzieren, ob sie mit dem Erwerb von Beteiligungen oder mit anderen Kapitaltransaktionen zusammenhängen.

44.      Nach alledem sollte die erste Vorlagefrage meines Erachtens wie folgt beantwortet werden: Die von einer Holdinggesellschaft, die direkt oder indirekt in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaften eingreift, getragenen, mit Kapitaltransaktionen in Verbindung stehenden Kosten hängen direkt und unmittelbar mit der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit dieser Holdinggesellschaft zusammen. Somit ist die auf diese Kosten entrichtete Vorsteuer nicht zwischen den wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten aufzuteilen. Wenn die Holdinggesellschaft Umsätze tätigt, die der Mehrwertsteuer unterliegen, und Umsätze, die von ihr befreit sind, ist das Vorsteuerabzugsrecht nach der in Art. 17 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Pro-rata-Methode zu berechnen.

B –    Zur zweiten Vorlagefrage

45.      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie, der den Mitgliedstaaten die Möglichkeit gibt, mehrere Personen zu einem Mehrwertsteuerpflichtigen zusammenzufassen, einer nationalen Regelung entgegensteht, die zum einen die Möglichkeit, in das Unternehmen eines anderen Steuerpflichtigen (den sogenannten Organträger) eingegliedert zu werden, auf juristische Personen beschränkt und zum anderen verlangt, dass diese juristischen Personen finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch, d. h. im Sinne eines Über- und Unterordnungsverhältnisses, in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sind.

46.      Aus dem Wortlaut von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie ergibt sich, dass er jedem Mitgliedstaat gestattet, mehrere Personen zusammen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln, wenn sie im Gebiet dieses Mitgliedstaats ansässig sind und wenn sie zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind(14).

47.      Diese Bestimmung hat somit das Konzept der Mehrwertsteuergruppe im Unionsrecht verankert, deren Zweck, wie aus der Begründung des Vorschlags für die Sechste Richtlinie(15) hervorgeht, darin besteht, es den Mitgliedstaaten aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung oder zur Verhinderung bestimmter Missbräuche zu ermöglichen, Steuerpflichtige, deren Unabhängigkeit nur rein rechtlich besteht, nicht als getrennt anzusehen(16).

48.      Da die Mehrwertsteuergruppe als ein Steuerpflichtiger angesehen wird, geben die Einheiten, aus denen sie besteht, in der Praxis keine getrennten Mehrwertsteuererklärungen mehr ab und werden innerhalb und außerhalb ihres Konzerns nicht mehr als Steuerpflichtige angesehen(17).

49.      Daraus folgt, dass Innenumsätze der Mehrwertsteuergruppe, d. h. Umsätze gegen Entgelt zwischen den Einheiten, aus denen die Gruppe besteht, für Mehrwertsteuerzwecke grundsätzlich nicht existent sind. Das Vorsteuerabzugsrecht wird somit nicht auf der Grundlage der Umsätze zwischen den Mitgliedern der Gruppe bestimmt, sondern ausschließlich auf der Grundlage der von der Gruppe zugunsten Dritter getätigten Umsätze(18).

50.      Vorliegend äußert das vorlegende Gericht zwar keinen Zweifel daran, dass die Bundesrepublik Deutschland für die von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie eingeräumte Befugnis optiert hat, was im Übrigen von der deutschen Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen bestätigt wurde, doch fragt es sich, ob die Holdinggesellschaften und ihre jeweiligen Tochtergesellschaften den Status einer Mehrwertsteuergruppe erlangen können, um dieser bei entgeltlichen Umsätzen zwischen den Tochtergesellschaften und dritten Unternehmen den uneingeschränkten Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit den von den Holdinggesellschaften vorgenommenen Kapitaltransaktionen zu ermöglichen.

51.      Falls die Gewährung eines solchen uneingeschränkten Abzugs nicht bereits aufgrund der von mir vorgeschlagenen Antwort auf die erste Vorlagefrage ausgeschlossen ist, drängen sich in diesem Stadium der Erwägungen zwei Feststellungen auf.

52.      Zum einen schließen sich die tatsächlichen Sachverhalte, die den beiden ersten Vorlagefragen zugrunde liegen, gegenseitig aus. Mit anderen Worten, entweder besteht eine Mehrwertsteuergruppe oder sie besteht nicht. Eine Holdinggesellschaft, die in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaften eingreift, kann aber keinesfalls in den Genuss eines Vorsteuerabzugsrechts für die Kosten kommen, die mit Kapitaltransaktionen in Bezug auf ihre Tochtergesellschaften verbunden sind, und zugleich geltend machen, eine Mehrwertsteuergruppe mit diesen Tochtergesellschaften zu bilden, innerhalb deren, wie ich bereits ausgeführt habe, die Umsätze nicht der Mehrwertsteuer unterliegen.

53.      Zum anderen geht aus den in der Vorlageentscheidung enthaltenen Angaben hervor, dass die an die Verleihung des Status einer Mehrwertsteuergruppe geknüpfte Problematik erstmalig vor dem vorlegenden Gericht erörtert wurde, das letztinstanzlich im Stadium der Revision entscheidet. Daher konnten sich weder die Steuerverwaltung noch die Untergerichte zuvor zur Gewährung dieses Status an Larentia + Minerva sowie an Marenave und ihre jeweiligen Tochtergesellschaften äußern.

54.      Diese Feststellungen könnten zu der Annahme führen, dass die in der zweiten Vorlagefrage erbetene Auslegung der Sechsten Richtlinie letztlich keine Verbindung zur Realität der Ausgangsrechtsstreitigkeiten aufweist oder hypothetischen Charakter hat, so dass diese Frage (wie im Übrigen auch die dritte Frage, die eng mit ihr verknüpft ist) für unzulässig erklärt werden müsste(19). Im Übrigen hat Irland sowohl in seinen schriftlichen Erklärungen als auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof Zweifel in dieser Hinsicht geäußert.

55.      Trotz dieser Gegebenheiten bin ich der Auffassung, dass es nützlich ist, inhaltlich auf diese Vorlagefrage einzugehen. Die Erfüllung der Bedingungen für die Verleihung des Status einer Mehrwertsteuergruppe oder einer steuerlichen Einheit hat nämlich, wie das vorlegende Gericht darlegt und wie die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, objektiven Charakter und kann nach deutschem Recht von jedem Gericht unabhängig von einem dahin gehenden Antrag festgestellt werden. Daher ist die Frage, ob die in den deutschen Rechtsvorschriften vorgesehenen Einschränkungen des Rückgriffs auf eine solche Gruppe mit Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie vereinbar sind, für die Entscheidung der Ausgangsrechtsstreitigkeiten von Interesse, da ein Recht auf uneingeschränkten Vorsteuerabzug anerkannt werden könnte, wenn diese Einschränkungen nicht zum Tragen kämen.

56.      Inhaltlich bezieht sich das Ersuchen des vorlegenden Gerichts also auf zwei Punkte. Erstens und im Wesentlichen geht es darum, ob Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie dem entgegensteht, dass ein Mitgliedstaat die Bildung von Mehrwertsteuergruppen auf Einheiten mit Rechtspersönlichkeit beschränkt und somit Personengesellschaften wie die – die Rechtsform von Kommanditgesellschaften aufweisenden – Tochtergesellschaften der beiden Holdinggesellschaften, um die es in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten geht, ausschließt. Zweitens wirft das vorlegende Gericht die Frage auf, ob für einen Mitgliedstaat die Möglichkeit besteht, zu verlangen, dass die Beziehungen zwischen den Mitgliedern der Mehrwertsteuergruppe durch ein Über- und Unterordnungsverhältnis gekennzeichnet sind, wobei die „untergeordneten“ Einheiten in den Organträger integriert sind.

1.      Zu der Voraussetzung, dass die Mitglieder der Mehrwertsteuergruppe Rechtspersönlichkeit haben

57.      Im deutschen Recht bestimmt § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (im Folgenden: UStG), dass die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt wird, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist.

58.      Auch wenn aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, dass Personengesellschaften nach deutschem Recht Organträger einer steuerlichen Einheit sein können, können solche Personengesellschaften, insbesondere Kommanditgesellschaften, aufgrund ihrer fehlenden Rechtspersönlichkeit jedoch nicht organisatorisch abhängig sein und damit nicht zu einer Mehrwertsteuergruppe nach deutschem Muster gehören.

59.      Ich pflichte Irland und der Kommission bei, dass die Sechste Richtlinie es nicht gestattet, Personengesellschaften von der Beteiligung an einer Mehrwertsteuergruppe auszuschließen.

60.      Diese Beurteilung ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie, in dem es heißt, dass ganz allgemein „Personen“ als ein Steuerpflichtiger behandelt werden können, anders als bei dem aus der Zweiten Mehrwertsteuerrichtlinie(20) resultierenden Rechtsrahmen, wie Generalanwalt Jääskinen in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Kommission/Irland (C-85/11, EU:C:2012:753, Rn. 30 und 31) zutreffend ausgeführt hat. Der Gerichtshof hat daraus gefolgert, dass der Wortlaut von Art. 11 der Richtlinie 2006/112, der die Formulierung von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie in ähnlichen Worten übernommen hat, einen Mitgliedstaat nicht daran hindert, die Möglichkeit der Einbeziehung einzelner nichtsteuerpflichtiger Personen in eine Mehrwertsteuergruppe vorzusehen(21). In einer anderen Rechtssache hat der Gerichtshof, wenn auch inzident, klargestellt, dass sich Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie an „Personen, insbesondere [an] Gesellschaften“ richtet(22).

61.      Diese Rechtsprechung impliziert, dass die Tragweite von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie weder auf eine bestimmte Gesellschaftsform beschränkt ist noch darauf, dass die Mitglieder einer Mehrwertsteuergruppe über Rechtspersönlichkeit verfügen.

62.      Im Übrigen beziehen sich, im Gegensatz zu Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie, bestimmte Vorschriften dieser Richtlinie wie ihre Art. 28a bis 28c ausschließlich auf „juristische Personen“, was ebenfalls zeigt, dass der Unionsgesetzgeber nicht die Absicht hatte, die Tragweite des erstgenannten Artikels auf Einheiten mit Rechtspersönlichkeit zu beschränken.

63.      Ich bin daher der Auffassung, dass der persönliche Anwendungsbereich von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie alle Personen einschließt.

64.      Diese Feststellung erlaubt es jedoch nicht, den ersten Teil der zweiten Vorlagefrage zu beantworten, die das vorlegende Gericht dem Gerichtshof unterbreitet hat.

65.      Zu seiner Beantwortung ist zunächst zu klären, ob die Sechste Richtlinie dem entgegensteht, dass ein Mitgliedstaat die Tragweite von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 dieser Richtlinie im Rahmen der Ausübung der ihm eingeräumten Befugnis einschränkt, die Bildung von Mehrwertsteuergruppen in seinem Gebiet zuzulassen. Mit anderen Worten bedarf der Klärung, ob die Mitgliedstaaten einen gewissen Spielraum behalten, welchen „Personen“ sie eine Beteiligung an Mehrwertsteuergruppen in ihrem Gebiet gestatten möchten.

66.      In Anbetracht der Rechtsprechung erfordert diese Fragestellung meiner Meinung nach eine differenzierte Antwort.

67.      Es trifft zu, dass der Gerichtshof bereits zu Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112, der den Text von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie übernommen hat, entschieden hat, dass dieser Artikel nach seinem Wortlaut seine Anwendung von keinen weiteren als den dort aufgezählten Bedingungen abhängig macht(23). In den Urteilen Kommission/Schweden (C-480/10, EU:C:2013:263, Rn. 35) und Kommission/Finnland (C-74/11, EU:C:2013:266, Rn. 63) hat der Gerichtshof klargestellt, dass diese Bestimmung für die Mitgliedstaaten auch keine Möglichkeit vorsieht, den Wirtschaftsteilnehmern weitere Voraussetzungen für die Bildung einer Mehrwertsteuergruppe aufzubürden, wie etwa diejenige, dass sie einer bestimmten Tätigkeit nachgehen oder zu einer bestimmten Branche gehören müssen.

68.      Somit könnte der Eindruck entstehen, dass die in Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie vorgesehene Regelung (und nunmehr die Regelung in Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112) den Mitgliedstaaten keinerlei Spielraum zugesteht.

69.      Ebenfalls in diesen Urteilen hat der Gerichtshof aber, nicht mehr unter Bezugnahme auf den Wortlaut der in Rede stehenden Bestimmung, sondern auf der Grundlage ihrer Ziele, die Möglichkeit für die Mitgliedstaaten anerkannt, die Anwendung der in Art. 11 der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen Regelung unter Beachtung des Unionsrechts zu beschränken(24). In Anwendung dieser Feststellung wies der Gerichtshof den gegen das Königreich Schweden und die Republik Finnland erhobenen Vorwurf einer Vertragsverletzung mit dem Hinweis zurück, dass die Kommission nicht nachgewiesen hatte, dass die Beschränkung der Anwendung der Regelung über die Mehrwertsteuergruppe auf Unternehmen des Finanz- und Versicherungssektors in diesen beiden Mitgliedstaaten, die durch die Absicht begründet war, Steuerhinterziehung und -umgehung im Sinne von Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112 zu verhindern, gegen das Unionsrecht verstieß(25).

70.      Diese Rechtsprechung, die meiner Ansicht nach auf die Sechste Richtlinie übertragbar ist, scheint also den Mitgliedstaaten bei der Ausübung der in ihrem Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 vorgesehenen Befugnis einen Spielraum einzuräumen, dessen Rahmen allerdings durch die Verfolgung der von Art. 4 Abs. 4 dieser Richtlinie genannten Ziele unter Beachtung des Unionsrechts abgesteckt wird.

71.      In der Praxis müssen die Beschränkungen der in Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Regelung daher nach meiner Auffassung erforderlich und dem bereits erwähnten Ziel der Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen oder den Zielen der Bekämpfung von Steuerhinterziehung oder -umgehung unter Beachtung des Unionsrechts, insbesondere des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität, der einen fundamentalen Grundsatz des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems darstellt(26), angemessen sein.

72.      Im vorliegenden Fall wäre der Ausschluss der Personengesellschaften von der Beteiligung an einer Mehrwertsteuergruppe nur dann als legitim anzusehen, wenn er auf der Grundlage der mit Art. 4 Abs. 4 der Sechsten Richtlinie verfolgten Ziele gerechtfertigt werden kann und mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität im Einklang steht.

73.      Auch wenn die Prüfung dieser Punkte dem vorlegenden Gericht obliegt, ist anzumerken, dass es im Wesentlichen bereits in seiner Vorlageentscheidung klargestellt hat, dass es zum einen keine Verbindung zwischen der in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG aufgestellten Bedingung, nach der alle Mitglieder einer Mehrwertsteuergruppe Rechtspersönlichkeit besitzen müssen, und der Verfolgung der in Art. 4 Abs. 4 der Sechsten Richtlinie genannten Ziele sieht und dass dieses Erfordernis zum anderen dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität zuwiderlaufen könnte, soweit allein aufgrund der Rechtsform bestimmte Unternehmen von der Möglichkeit der Beteiligung an einer Mehrwertsteuergruppe ausgeschlossen werden.

74.      Ich teile diese Ansicht.

75.      Die beiden folgenden Bemerkungen sind jedoch hinzuzufügen.

76.      Erstens ist zu den Zielen der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -umgehung, die sich nunmehr, wie dargelegt, in Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112 finden, klarzustellen, dass der Unionsgesetzgeber erst mit der Richtlinie 2006/69/EG vom 24. Juli 2006(27) dem Art. 4 Abs. 4 der Sechsten Richtlinie einen dritten Unterabsatz angefügt hat, der es ausdrücklich zulässt, dass Mitgliedstaaten, die die Möglichkeit in Anspruch genommen haben, die Bildung von Mehrwertsteuergruppen in ihrem Gebiet zu gestatten, „die erforderlichen Maßnahmen treffen [können], um Steuerhinterziehung oder -umgehung durch die Anwendung [des Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie] vorzubeugen“.

77.      Zumindest in der Rechtssache C-108/14 geht es jedoch um den Veranlagungszeitraum 2005, mithin um einen Zeitraum, der deutlich vor dem Erlass der Richtlinie 2006/69 und ihrem Inkrafttreten liegt.

78.      Ich denke jedoch nicht, dass dieser Umstand bedeutet, dass die Mitgliedstaaten vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 2006/69 nicht über die Möglichkeit verfügten, im Rahmen der Ausübung der ihnen durch Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie eingeräumten Befugnis Maßnahmen zur Verfolgung dieser Ziele zu treffen.

79.      Wie die Kommission und die Regierung des Vereinigten Königreichs in ihren schriftlichen Erklärungen zutreffend geltend gemacht haben, hat der Gerichtshof nämlich immer wieder hervorgehoben, dass u. a. die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -umgehung ein von der Sechsten Richtlinie anerkanntes und unterstütztes Ziel darstellt(28), und zwar auch in Zusammenhängen, in denen sich die nationalen Steuerbehörden auf keine ausdrückliche Ermächtigung durch den Unionsgesetzgeber in den speziellen Bestimmungen dieser Richtlinie stützen konnten(29).

80.      Wie für das vorlegende Gericht und die Kommission ist jedoch auch für mich nur schwer ersichtlich, inwiefern eine Unterscheidung in Abhängigkeit von der Rechtsform oder dem Vorliegen bzw. Nichtvorliegen von Rechtspersönlichkeit der Unternehmen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -umgehung erforderlich und geeignet sein sollte.

81.      Zweitens verstößt eine solche Unterscheidung meiner Auffassung nach auch gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität, da Einheiten, die für sich genommen, wie die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, unbeschränkt der Mehrwertsteuer unterworfen sind, allein aufgrund ihrer besonderen Rechtsform nicht an einer Mehrwertsteuergruppe beteiligt sein können.

82.      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich der Rückgriff auf eine Mehrwertsteuergruppe positiv auf den Cashflow ihrer Mitglieder auswirken kann, da die gruppeninternen Umsätze, die grundsätzlich mehrwertsteuerpflichtig wären, vom Anwendungsbereich dieser Steuer ausgenommen sind(30). Wirtschaftsteilnehmer aufgrund der Rechtsform, in der einer von ihnen seine Tätigkeit ausübt, dieser Vorteile zu berauben, würde darauf hinauslaufen, gleichartige Umsätze, die somit in einem Wettbewerbsverhältnis zueinander stehen, entgegen der Tatsache, dass das Merkmal des Mehrwertsteuerpflichtigen gerade die wirtschaftliche Tätigkeit und nicht die Rechtsform ist, unterschiedlich zu behandeln(31).

83.      Der Mechanismus der Mehrwertsteuergruppe muss die steuerliche Neutralität unter Widerspiegelung der wirtschaftlichen Realität fördern. Meiner Ansicht nach darf er nicht zur Schaffung künstlicher Unterscheidungen anhand der Rechtsform führen, in der die Wirtschaftsteilnehmer ihre Tätigkeit ausüben.

84.      Ich schlage daher vor, auf den ersten Teil der zweiten Vorlagefrage in dem Sinne zu antworten, dass Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie einen Mitgliedstaat daran hindert, in Ausübung der ihm durch diese Bestimmung eingeräumten Befugnis die Bildung einer Mehrwertsteuergruppe davon abhängig zu machen, dass alle Mitglieder dieser Gruppe über Rechtspersönlichkeit verfügen, es sei denn, dass diese Voraussetzung durch die Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -umgehung unter Beachtung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität gerechtfertigt ist; dies zu prüfen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.

2.      Zu dem Erfordernis, dass zwischen den Mitgliedern der Mehrwertsteuergruppe Beziehungen im Sinne eines Über- und Unterordnungsverhältnisses bestehen

85.      Wie ausgeführt, erlaubt es Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie, Einheiten als einen Mehrwertsteuerpflichtigen anzusehen, zwischen denen enge Verbindungen in finanzieller, wirtschaftlicher und organisatorischer Hinsicht bestehen, auch wenn sie rechtlich voneinander unabhängig sind.

86.      § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG verlangt, dass die Einheiten finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sind.

87.      Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts setzt die von dieser Bestimmung verlangte Eingliederung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs voraus, dass ein Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen dem Organträger und der Organgesellschaft als „untergeordneter Person“ besteht.

88.      Nach den Erläuterungen des vorlegenden Gerichts liegt diese Eingliederung in finanzieller Hinsicht vor, wenn der Organträger finanziell in der Weise an der Organgesellschaft beteiligt ist, dass er seinen Willen durch Mehrheitsbeschluss in der Gesellschafterversammlung durchsetzen kann. Für eine wirtschaftliche Eingliederung sei charakteristisch, dass die Organgesellschaft im Gefüge des übergeordneten Organträgers als dessen Bestandteil erscheine. Schließlich setze eine organisatorische Eingliederung voraus, dass der Organträger die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit wahrnehme, die Art und Weise der Geschäftsführung der untergeordneten Gesellschaft zu beherrschen und seinen Willen bei ihr durchzusetzen.

89.      Das vorlegende Gericht führt jedoch nicht näher aus, ob die Wirtschaftsteilnehmer, um die es in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten geht, der in § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG vorgesehenen Voraussetzung der Eingliederung nach ihrer Auslegung durch den Bundesfinanzhof in finanzieller, wirtschaftlicher und/oder organisatorischer Hinsicht nicht genügen. Weder die Stellungnahmen von Larentia + Minerva noch die von Marenave erlauben es, diese Frage tatsächlich zu klären.

90.      Dessen ungeachtet ist unstreitig, dass die in § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG aufgestellten Anforderungen über diejenigen hinausgehen, die sich aus Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie ergeben. Das Vorliegen „enger“ Verbindungen in finanzieller, wirtschaftlicher und organisatorischer Hinsicht impliziert nämlich weder zwangsläufig die Eingliederung eines Mitglieds in das Unternehmen eines anderen Mitglieds der Mehrwertsteuergruppe noch ein Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen diesen Mitgliedern(32). In der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof hat die Kommission im Übrigen darauf hingewiesen, dass von den 16 Mitgliedstaaten, die von der in Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befugnis Gebrauch gemacht hatten, lediglich vier, darunter die Bundesrepublik Deutschland, solche Eingliederungs- und Unterordnungsverhältnisse verlangten. Des Weiteren scheint mir der Gerichtshof, wie von Larentia + Minerva in ihren schriftlichen Erklärungen dargelegt, durch die u. a. im Urteil Kommission/Irland (C-85/11, EU:C:2013:217, Rn. 47) getroffene Feststellung, dass die Bildung einer Mehrwertsteuergruppe zur Verhinderung bestimmter Missbräuche – wie z. B. der künstlichen Aufspaltung eines Unternehmens zwischen mehreren Steuerpflichtigen, um in den Genuss einer Sonderregelung zu kommen – erforderlich sein könnte, implizit zugelassen zu haben, dass der Rückgriff auf nicht hierarchische Mehrwertsteuergruppen („Gleichordnungskonzerne“) nach Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie zulässig ist.

91.      Dass der Gerichtshof im Urteil Ampliscientifica und Amplifin (C-162/07, EU:C:2008:301, Rn. 19) inzident ein Unterordnungsverhältnis zwischen den Mitgliedern einer Mehrwertsteuergruppe angenommen hat, kann meines Erachtens im vorliegenden Fall nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, da sich die ihm in dieser Rechtssache gestellte Frage überhaupt nicht auf diesen Punkt bezog. Deshalb hat der Gerichtshof im Übrigen ein von der Kommission aus dieser Randnummer des Urteils Ampliscientifica und Amplifin hergeleitetes Argument u. a. in seinen Urteilen Kommission/Irland (C-85/11, EU:C:2013:217, Rn. 43) und Kommission/Finnland (C-74/11, EU:C:2013:266, Rn. 36) zurückgewiesen.

92.      Diese Erwägungen veranlassen mich ferner dazu, das im Wesentlichen von der österreichischen Regierung angeführte Argument zurückzuweisen, wonach das Vorliegen eines Unterordnungsverhältnisses der in Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Voraussetzung „enger Verbindungen“ inhärent sei, da nach Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 1 gerade das Vorliegen eines solchen Unterordnungsverhältnisses zwischen natürlichen Personen und ihrem Arbeitgeber ausschließe, sie als Mehrwertsteuerpflichtige anzusehen.

93.      Ein solches Argument verkennt nicht nur den Unterschied, der zwischen dem Wortlaut des ersten und des zweiten Unterabsatzes von Art. 4 Abs. 4 der Sechsten Richtlinie insofern besteht, als in Letzterem gerade nicht der Ausdruck „Verhältnis der Unterordnung“ verwendet wird, sondern der weitere Begriff „enge Verbindungen“, sondern lässt auch außer Acht, dass der Gerichtshof anerkannt hat, dass ein Mitgliedstaat nicht mehrwertsteuerpflichtigen Personen die Möglichkeit gewähren kann, Mitglieder von Mehrwertsteuergruppen zu werden, und dass daher der Begriff des Steuerpflichtigen kein Synonym von „Personen“ im Sinne von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie ist.

94.      Abgesehen davon geht aus den von den Beteiligten eingereichten Stellungnahmen hervor, dass sie letztlich über die Frage uneins sind, ob die Anforderungen von § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG in ihrer Auslegung durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zusätzliche Voraussetzungen zu den in Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen darstellen (so die im Wesentlichen von Larentia + Minerva, Marenave, Irland und der Kommission vertretene These), was bedeuten würde, dass diese Voraussetzungen in Ansehung der Ziele der Verhinderung von Missbrauch oder der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -umgehung gerechtfertigt sein müssten, oder ob es sich lediglich um Präzisierungen oder Konkretisierungen der in diesem Artikel vorgesehenen Voraussetzung des Vorliegens enger Verbindungen in finanzieller, wirtschaftlicher und organisatorischer Hinsicht handelt, wie die deutsche Regierung, die österreichische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs vortragen.

95.      Auch wenn die Antwort auf diese Streitfrage auf den ersten Blick nicht leicht ist, scheint die von den erstgenannten Beteiligten entwickelte Argumentation doch eher im Einklang mit der Rechtsprechung zu stehen.

96.      Der Gerichtshof hat nämlich u. a. in den Urteilen Kommission/Irland (C-85/11, EU:C:2013:217, Rn. 36) und Kommission/Finnland (C-74/11, EU:C:2013:266, Rn. 29) ein Erfordernis, wonach die „Personen“ im Sinne von Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 (in dem die Bedingungen von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie übernommen wurden) einzeln die Eigenschaft eines Steuerpflichtigen haben müssen, als „weitere Voraussetzung“ eingestuft, d. h. als zusätzliche Voraussetzung zu denen von Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112. Mit anderen Worten hätte ein Mitgliedstaat, der Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie in der Weise umsetzen würde, dass nur „Steuerpflichtige“ einer Mehrwertsteuergruppe angehören können, nicht die Tragweite dieser Vorschrift präzisiert, sondern eine zusätzliche Voraussetzung für ihre Anwendung eingeführt.

97.      Nach dem Gedankengang, dem der Gerichtshof in diesen Urteilen sowie im Urteil Kommission/Schweden (C-480/10, EU:C:2013:263) gefolgt ist, muss eine solche zusätzliche Voraussetzung, auch wenn sie in Anbetracht des den Mitgliedstaaten zustehenden Spielraums nicht per se mit Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie unvereinbar ist, gleichwohl durch die Verfolgung der Ziele der Verhinderung von Missbrauch oder der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -umgehung unter Beachtung des Unionsrechts, insbesondere des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität, gerechtfertigt sein.

98.      Daraus folgt, dass die in § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG enthaltene Voraussetzung, nach der die engen Verbindungen in finanzieller, wirtschaftlicher und organisatorischer Hinsicht nur bei einem Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen den Mitgliedern der Mehrwertsteuergruppe vorliegen können, mit der Sechsten Richtlinie vereinbar sein kann, sofern sie zur Verfolgung der genannten Ziele unter Beachtung insbesondere des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität erforderlich ist und in angemessenem Verhältnis dazu steht.

99.      Auch wenn dem vorliegenden Gericht die Prüfung obliegt, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, frage ich mich jedoch, ob eine nationale Maßnahme, die eine solche Intensität der Verbindungen zwischen Personen verlangt, damit sie einen Mehrwertsteuerpflichtigen bilden, nicht über das zur Erreichung der genannten Ziele erforderliche Maß hinausgeht. Abgesehen von besonderen, einem bestimmten Mitgliedstaat eigenen Umständen, die dem Gerichtshof im vorliegenden Verfahren jedoch nicht unterbreitet worden sind, ist allgemein gesehen nämlich schwer zu verstehen, aus welchen Gründen die Verfolgung der genannten Ziele zwingend ein Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen den Mitgliedern einer Mehrwertsteuergruppe erfordern sollte, damit die Voraussetzung des Vorliegens enger Beziehungen in finanzieller, wirtschaftlicher und organisatorischer Hinsicht erfüllt ist. Auch wenn das Vorliegen eines solchen Über- und Unterordnungsverhältnisses zwischen den Mitgliedern einer Mehrwertsteuergruppe zweifellos eine hinreichende Bedingung für die Erreichung dieser Ziele und die Erfüllung der in Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie aufgestellten Voraussetzung ist, zweifle ich doch daran, dass sie unbedingt erforderlich ist.

100. Ich schlage daher vor, wie folgt auf den zweiten Teil der zweiten Vorlagefrage zu antworten: Nationale Rechtsvorschriften, nach denen die engen Verbindungen in finanzieller, wirtschaftlicher und organisatorischer Hinsicht im Sinne von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie nur bei einem Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen den Mitgliedern der Mehrwertsteuergruppe vorliegen können, können mit diesem Artikel vereinbar sein, sofern sie zur Verfolgung der Ziele der Verhinderung missbräuchlicher Praktiken und der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -umgehung unter Beachtung des Unionsrechts, insbesondere des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität, erforderlich sind und in angemessenem Verhältnis dazu stehen; dies zu prüfen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.

C –    Zur dritten Vorlagefrage

101. Mit seiner dritten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie für den Fall, dass er einer nationalen Maßnahme wie der in § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG vorgesehenen entgegenstehen sollte, unmittelbare Wirkung zukommt.

102. Sollte der Gerichtshof den in den vorliegenden Schlussanträgen gemachten Vorschlägen für die Beantwortung der zweiten Vorlagefrage folgen, kann nicht ausgeschlossen werden, dass das vorlegende Gericht im Anschluss an die von ihm durchzuführende Prüfung zu dem Ergebnis kommt, dass § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG mit Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie unvereinbar ist. Um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, sollte daher meines Erachtens die dritte Frage, die es dem Gerichtshof vorgelegt hat, beantwortet werden.

103. Nach ständiger Rechtsprechung kann sich der Einzelne in Ermangelung fristgemäß erlassener Umsetzungsmaßnahmen auf alle Bestimmungen der Sechsten Richtlinie oder der Richtlinie 2006/112, die inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, gegenüber allen nicht richtlinienkonformen innerstaatlichen Vorschriften berufen; er kann sich auf diese Bestimmungen auch berufen, soweit sie so geartet sind, dass sie Rechte festlegen, die der Einzelne dem Staat gegenüber geltend machen kann(33).

104. Somit ist zu prüfen, ob Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie als inhaltlich unbedingt und hinreichend genau angesehen werden kann, um es einem Einzelnen zu ermöglichen, sich vor den nationalen Gerichten zu dem Zweck auf ihn zu berufen, sich der Anwendung der nationalen Rechtsvorschriften, die er für unvereinbar mit diesem Artikel hält, zu widersetzen.

105. Zunächst halte ich es insoweit nicht für überzeugend, die Anerkennung der unmittelbaren Wirkung von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie, wie dies insbesondere Irland und die österreichische Regierung tun, allein deshalb abzulehnen, weil dieser Artikel sich darauf beschränke, den Mitgliedstaaten die Befugnis einzuräumen, in ihrem Hoheitsgebiet die Bildung von Mehrwertsteuergruppen zuzulassen.

106. Der Gerichtshof hat nämlich bereits mehrfach entschieden, dass eine Richtlinienbestimmung, die den Mitgliedstaaten eine Wahlmöglichkeit eröffnet, nicht zwangsläufig ausschließt, dass sich der Inhalt der Rechte des Einzelnen allein aufgrund der Vorschriften dieser Richtlinie mit hinreichender Genauigkeit bestimmen lässt(34).

107. Ferner wurde auch das Vorliegen eines Spielraums der Mitgliedstaaten bei der Durchführung der Bestimmungen der Sechsten Richtlinie vom Gerichtshof nicht als Element angesehen, das ihn für sich genommen der Möglichkeit beraubt, bestimmten dieser Vorschriften unmittelbare Wirkung zuzuerkennen(35).

108. Der Gerichtshof hat insbesondere entschieden, dass der Umstand, dass die Mitgliedstaaten unbestreitbar über ein Ermessen bei der Festlegung der Bedingungen für die Anwendung bestimmter in der Sechsten Richtlinie vorgesehener Steuerbefreiungen verfügen, Einzelne, die in der Lage sind, zu beweisen, dass sie steuerrechtlich unter einen Befreiungstatbestand dieser Richtlinie fallen, nicht daran hindert, sich unmittelbar auf sie zu berufen, u. a. in dem Fall, dass ein Mitgliedstaat in Ausübung der ihm durch diese Bestimmung zuerkannten Befugnisse innerstaatliche Rechtsvorschriften erlassen hat, die mit der Richtlinie, insbesondere mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität, unvereinbar sind(36).

109. Daher bedeutet der Umstand, dass die Bundesrepublik Deutschland einen bestimmten Spielraum bei der Ausübung der ihr durch Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie eingeräumten Möglichkeit behält, nicht zwangsläufig, dass es Einzelnen verwehrt wäre, sich vor den nationalen Gerichten unmittelbar auf die Bestimmungen dieses Artikels zu berufen.

110. Vielmehr verleiht, sobald ein Mitgliedstaat die von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie eingeräumte Befugnis ausgeübt hat, dieser Artikel meiner Ansicht nach allen „Personen“ die Möglichkeit, als ein Steuerpflichtiger behandelt zu werden, und grenzt daher die nach dieser Bestimmung Berechtigten unmissverständlich sowie unbedingt und hinreichend genau ein.

111. Die Tatsache, dass diese Bestimmung gegebenenfalls einen Vorbehalt zu Rechtfertigungsgründen enthalten kann, die auf der Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -umgehung beruhen, stellt diese Feststellung nicht in Frage, da solche Rechtfertigungsgründe, die im Übrigen einer gerichtlichen Kontrolle nicht entzogen sind(37), von der Sechsten Richtlinie auch unterstützt werden und sogar als inhärente Grenzen der Reichweite der den Einzelnen durch diese Richtlinie verliehenen Rechte angesehen werden können(38).

112. Dagegen muss die inhaltliche Voraussetzung von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie, nach der die Verbindungen in finanzieller, wirtschaftlicher und organisatorischer Hinsicht zwischen mehreren Personen „eng“ sein müssen, damit sie einen Steuerpflichtigen bilden können, unzweifelhaft auf nationaler Ebene präzisiert werden. Wenn man sich darauf beschränkt, auf enge Verbindungen in finanzieller Hinsicht abzustellen, können diese somit von einem variablen Prozentsatz des Anteils am Kapital und/oder den Stimmrechten einer Gesellschaft oder besonderen vertraglichen Beziehungen zwischen den Wirtschaftsteilnehmern wie dem Bestehen von Franchiseverträgen abhängen(39). Diese Kriterien sind jedoch nicht ausschließlich. In jedem Fall müssen daher die Mitgliedstaaten, die von der in Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, die dort aufgestellte inhaltliche Voraussetzung konkret präzisieren, ohne dass es – anders als im Fall einer Mehrwertsteuerbefreiung, die in objektiver Weise auf der Grundlage der Auslegung von Bestimmungen der Sechsten Richtlinie festgestellt werden kann – möglich ist, aus dem Wortlaut dieses Artikels unmittelbar die genaue Tragweite der dort genannten „engen“ Verbindungen abzuleiten.

113. Meines Erachtens kommt Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie deshalb keine unmittelbare Wirkung zu.

114. Sollte der Gerichtshof dem beipflichten, müsste das vorlegende Gericht im Anschluss an die etwaige Feststellung der Unvereinbarkeit von § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG mit Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie prüfen, inwieweit das nationale Recht im Einklang mit dem Unionsrecht ausgelegt werden kann(40).

115. Insoweit ist anzumerken, dass die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen darauf hingewiesen hat, dass ein deutsches Finanzgericht mit der Feststellung, dass „kapitalistisch strukturierte“ Personengesellschaften, wie die Kommanditgesellschaften in den Ausgangsverfahren, in den persönlichen Anwendungsbereich von § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG fallen könnten, den Versuch einer solchen mit dem Unionsrecht vereinbaren Auslegung unternommen habe(41).

116. Zumindest für Personen, die an einer Mehrwertsteuergruppe beteiligt sein können, deutet ein solches Rechtsprechungsbeispiel darauf hin, dass eine unionsrechtskonforme Auslegung durchaus möglich ist, ohne zu einer Auslegung contra legem zu führen.

117. Zu der von mir bereits dargelegten Voraussetzung der Eingliederung der Mitgliedsgesellschaft in den Organträger der Mehrwertsteuergruppe, von der die Anwendung von § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG abhängt, geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass diese Voraussetzung im Wesentlichen durch die Rechtsprechung im deutschen Recht dahin ausgelegt wurde, dass sie ein Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen den Mitgliedern der Mehrwertsteuergruppe erfordert.

118. Abgesehen von der vorstehend erörterten Frage der Rechtspersönlichkeit erlauben es die Angaben des vorlegenden Gerichts, wie ebenfalls bereits ausgeführt, nicht, die Gründe zu bestimmen, aus denen die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Wirtschaftsteilnehmer die in § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG in seiner Auslegung durch den Bundesfinanzhof vorgesehene Voraussetzung nicht erfüllen sollen.

119. Es obliegt jedenfalls dem vorlegenden Gericht, in den Ausgangsverfahren zu prüfen, inwieweit die in § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG vorgesehene Voraussetzung der Eingliederung dahin ausgelegt werden kann, dass sie es Unternehmen, die im Sinne von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, erlaubt, vom Status einer Mehrwertsteuergruppe zu profitieren, ohne dass zwischen ihnen zwangsläufig ein Unterordnungsverhältnis oder hierarchische Beziehungen bestehen.

120. Daher schlage ich vor, auf die dritte Vorlagefrage in dem Sinne zu antworten, dass sich ein Steuerpflichtiger nicht unmittelbar auf Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie berufen kann und dass es dem vorlegenden Gericht obliegt, seine nationalen Rechtsvorschriften so weit wie möglich im Einklang mit der Sechsten Richtlinie auszulegen.

III – Ergebnis

121. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Bundesfinanzhof zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1.      Die von einer Holdinggesellschaft, die direkt oder indirekt in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaften eingreift, getragenen, mit Kapitaltransaktionen in Verbindung stehenden Kosten hängen direkt und unmittelbar mit der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit dieser Holdinggesellschaft zusammen. Somit ist die auf diese Kosten entrichtete Vorsteuer nicht zwischen den wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten aufzuteilen. Wenn die Holdinggesellschaft Umsätze tätigt, die der Mehrwertsteuer unterliegen, und Umsätze, die davon befreit sind, ist das Vorsteuerabzugsrecht nach der in Art. 17 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage vorgesehenen Pro-rata-Methode zu berechnen.

2.      Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388 hindert einen Mitgliedstaat daran, in Ausübung der ihm durch diese Bestimmung eingeräumten Befugnis die Bildung einer Mehrwertsteuergruppe davon abhängig zu machen, dass alle Mitglieder dieser Gruppe über Rechtspersönlichkeit verfügen, es sei denn, dass diese Voraussetzung durch die Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -umgehung unter Beachtung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität gerechtfertigt ist; dies zu prüfen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.

Nationale Rechtsvorschriften, nach denen die engen Verbindungen in finanzieller, wirtschaftlicher und organisatorischer Hinsicht im Sinne von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388 nur bei einem Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen den Mitgliedern der Mehrwertsteuergruppe vorliegen können, können mit diesem Artikel vereinbar sein, sofern sie zur Verfolgung der Ziele der Verhinderung missbräuchlicher Praktiken und der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -umgehung unter Beachtung des Unionsrechts, insbesondere des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität, erforderlich sind und in angemessenem Verhältnis dazu stehen; dies zu prüfen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.

3.      Ein Steuerpflichtiger kann sich nicht unmittelbar auf Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388 berufen. Es obliegt dem vorlegenden Gericht, seine nationalen Rechtsvorschriften so weit wie möglich im Einklang mit der genannten Bestimmung der Sechsten Richtlinie auszulegen.


1 – Originalsprache: Französisch.


2 – (ABl. L 145, S. 1). Da sich die Ausgangsrechtsstreitigkeiten auf Sachverhalte vor dem 1. Januar 2007 beziehen, an dem die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1) in Kraft trat, ist diese nicht anwendbar.


3 – Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 26. März 2014 wurden diese Rechtssachen zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren sowie zu gemeinsamem Urteil verbunden.


4 – Vgl. in diesem Sinne Urteil Securenta (C-437/06, EU:C:2008:166, Rn. 33).


5 – Ebd. (Rn. 34 bis 36).


6 – Ebd. (Rn. 37 und 38).


7 – Vgl. u. a. Urteile Cibo Participations (C-16/00, EU:C:2001:495, Rn. 19) und Portugal Telecom (C-496/11, EU:C:2012:557, Rn. 32).


8 – Vgl. u. a. Urteile Polysar Investments Netherlands (C-60/90, EU:C:1991:268, Rn. 14), Floridienne und Berginvest (C-142/99, EU:C:2000:623, Rn. 18), Cibo Participations (C-16/00, EU:C:2001:495, Rn. 20), SKF (C-29/08, EU:C:2009:665, Rn. 30) und Portugal Telecom (C-496/11, EU:C:2012:557, Rn. 33) (Hervorhebung nur hier).


9 – Urteile Cibo Participations (C-16/00, EU:C:2001:495, Rn. 22) und Portugal Telecom (C-496/11, EU:C:2012:557, Rn. 34).


10 – Urteil Cibo Participations (C-16/00, EU:C:2001:495, Rn. 33). Vgl. auch insbesondere Urteil SKF (C-29/08, EU:C:2009:665, Rn. 58).


11 – Vgl. in diesem Sinne Urteil Securenta (C-437/06, EU:C:2008:166, Rn. 33) und meine Schlussanträge in der Rechtssache Vereniging Noordelijke Land- en Tuinbouw Organisatie (C-515/07, EU:C:2008:769, Nr. 79). Vgl. auch Urteil Portugal Telecom (C-496/11, EU:C:2012:557, Rn. 40).


12 – Die Modalitäten, nach denen die Berechnung dieses Pro-rata-Satzes vorzunehmen ist, fallen in den Geltungsbereich der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten; vgl. dazu Urteil Le Crédit Lyonnais (C-388/11, EU:C:2013:541, Rn. 30 und 31).


13 – Vgl. Urteil Kretztechnik (C-465/03, EU:C:2005:320, Rn. 36).


14 – Diese Vorschrift wurde in der Folge mit ähnlichem Wortlaut in Art. 11 der Richtlinie 2006/112/EG übernommen.


15 – Vorschlag für die Sechste Richtlinie zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (KOM[73] 950 vom 20. Juni 1973).


16 – Vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile Kommission/Irland (C-85/11, EU:C:2013:217, Rn. 47) und Kommission/Schweden (C-480/10, EU:C:2013:263, Rn. 37).


17 – Vgl. in diesem Sinne Urteile Ampliscientifica und Amplifin (C-162/07, EU:C:2008:301, Rn. 19) und Skandia America (USA), filial Sverige (C-7/13, EU:C:2014:2225, Rn. 29).


18 – Vgl. in diesem Sinne auch die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Option der MwSt-Gruppe gemäß Artikel 11 der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (KOM [2009] 325 endgültig, 2. Juli 2009, S. 11). Hinzuzufügen ist, dass die Umsätze zwischen einem Mitglied der Gruppe und einem Dritten der Gruppe selbst zuzurechnen sind; vgl. Urteil Skandia America (USA), filial Sverige (C-7/13, EU:C:2014:2225, Rn. 29).


19 – Vgl. zur Rechtsprechung in Bezug auf die Unzulässigkeit von Vorabentscheidungsersuchen ohne Zusammenhang mit der Realität der Rechtsstreitigkeiten oder hypothetischer Art u. a. Urteil Unió de Pagesos de Catalunya (C-197/10, EU:C:2011:590, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).


20 – Zweite Richtlinie 67/228/EWG des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Struktur und Anwendungsmodalitäten des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems (ABl. 1967, Nr. 71, S. 1303).


21 – Urteil Kommission/Irland (C-85/11, EU:C:2013:217, Rn. 38 bis 41). Vgl. auch Urteile Kommission/Niederlande (C-65/11, EU:C:2013:265, Rn. 35 bis 39), Kommission/Finnland (C-74/11, EU:C:2013:266, Rn. 30 bis 34), Kommission/Vereinigtes Königreich (C-86/11, EU:C:2013:267, Rn. 33 bis 37) und Kommission/Dänemark (C-95/11, EU:C:2013:268, Rn. 34 bis 38).


22 – Urteil Ampliscientifica und Amplifin (C-162/07, EU:C:2008:301, Rn. 19).


23 – Vgl. u. a. Urteile Kommission/Irland (C-85/11, EU:C:2013:217, Rn. 36) und Kommission/Schweden (C-480/10, EU:C:2013:263, Rn. 35).


24 – Urteile Kommission/Schweden (C-480/10, EU:C:2013:263, Rn. 38) und Kommission/Finnland (C-74/11, EU:C:2013:266, Rn. 66).


25 – Urteile Kommission/Schweden (C-480/10, EU:C:2013:263, Rn. 39 und 40) und Kommission/Finnland (C-74/11, EU:C:2013:266, Rn. 67 und 68).


26 – Zur fundamentalen Bedeutung dieses Grundsatzes vgl. u. a. Urteile Schmeink & Cofreth und Strobel (C-454/98, EU:C:2000:469, Rn. 59) sowie Ampliscientifica und Amplifin (C-162/07, EU:C:2008:301, Rn. 25). Zu den Grenzen, die der Grundsatz der steuerlichen Neutralität den Mitgliedstaaten in Bezug auf Maßnahmen zur Verfolgung der Ziele der Bekämpfung der Steuerumgehung und -hinterziehung setzt, vgl. u. a. Urteil Profaktor Kulesza, Frankowski, Jóźwiak, Orłowski (C-188/09, EU:C:2010:454, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).


27 – Richtlinie 2006/69/EG des Rates vom 24. Juli 2006 hinsichtlich bestimmter Maßnahmen zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung oder -umgehung, zur Vereinfachung der Erhebung der Mehrwertsteuer sowie zur Aufhebung bestimmter Entscheidungen über die Genehmigung von Ausnahmeregelungen (ABl. L 221, S. 9).


28 – Vgl. u. a. Urteile Gemeente Leusden und Holin Groep (C-487/01 und C-7/02, EU:C:2004:263, Rn. 76), Halifax u. a. (C-255/02, EU:C:2006:121, Rn. 71), Kittel und Recolta Recycling (C-439/04 und C-440/04, EU:C:2006:446), Ampliscientifica und Amplifin (C-162/07, EU:C:2008:301, Rn. 29) sowie R. (C-285/09, EU:C:2010:742, Rn. 36).


29 – Vgl. insbesondere Urteil Halifax u. a. (C-255/02, EU:C:2006:121), das sich auf Steuerumgehung und missbräuchliche Praxis bezog, und Urteil Kittel und Recolta Recycling (C-439/04 und C-440/04, EU:C:2006:446), das sich auf Steuerhinterziehung bezog.


30 – Vgl. in diesem Sinne Mitteilung der Kommission (a. a. O., S. 11) und Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen in der Rechtssache Kommission/Irland (C-85/11, EU:C:2012:753, Nr. 45).


31 – Der Gerichtshof hat bereits in Fällen, in denen es um den Anwendungsbereich von Mehrwertsteuerbefreiungen ging, festgestellt, dass die Sechste Richtlinie Unterscheidungen entgegensteht, die sich ausschließlich auf die Rechtsform beziehen, in der die Steuerpflichtigen ihre Tätigkeiten ausüben; vgl. in diesem Sinne Urteile Gregg (C-216/97, EU:C:1999:390, Rn. 20), Kügler (C-141/00, EU:C:2002:473, Rn. 30), Linneweber und Akritidis (C-453/02 und C-462/02, EU:C:2005:92, Rn. 25) sowie Canterbury Hockey Club und Canterbury Ladies Hockey Club (C-253/07, EU:C:2008:571, Rn. 30 und 31).


32 – Hierzu ist anzumerken, dass das in Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie zur Charakterisierung der Beziehungen zwischen den betreffenden Einheiten verwendete Adverb „eng“ an die Stelle des zuvor in zumindest einigen Sprachfassungen von Nr. 2 Abs. 4 des Anhangs A der Zweiten Richtlinie, der zur Auslegung von Art. 4 dieser Richtlinie diente, verwendeten Wortes „organiquement“ trat. Die in Nr. 2 Abs. 4 des Anhangs A der Zweiten Richtlinie vorgenommenen Erläuterungen des Begriffs „Steuerpflichtiger“ im Sinne von Art. 4 der Zweiten Richtlinie orientieren sich weitgehend an der deutschen Regelung der Organschaft.


33 – Vgl. u. a. Urteile Becker (8/81, EU:C:1982:7, Rn. 25), Kügler (C-141/00, EU:C:2002:473, Rn. 51), Linneweber und Akritidis (C-453/02 und C-462/02, EU:C:2005:92, Rn. 33) und MDDP (C-319/12, EU:C:2013:778, Rn. 47).


34 – Vgl. Urteile Flughafen Köln/Bonn (C-226/07, EU:C:2008:429, Rn. 30), Cobelfret (C-138/07, EU:C:2009:82, Rn. 61) sowie Balkan and Sea Properties und Provadinvest (C-621/10 und C-129/11, EU:C:2012:248, Rn. 57).


35 – Vgl. u. a. Urteil Stockholm Lindöpark (C-150/99, EU:C:2001:34, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Urteil MDDP (C-319/12, EU:C:2013:778, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).


36 – Vgl. Urteil Linneweber und Akritidis (C-453/02 und C-462/02, EU:C:2005:92, Rn. 34 bis 37). Vgl. ferner Urteil JP Morgan Fleming Claverhouse Investment Trust und The Association of Investment Trust Companies (C-363/05, EU:C:2007:391, Rn. 61).


37 – Vgl. entsprechend, zur unmittelbaren Wirkung von Art. 4 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie, Urteil Comune di Carpaneto Piacentino u. a. (231/87 und 129/88, EU:C:1989:381, Rn. 32). Vgl. ferner, in anderem Zusammenhang, Urteil Gavieiro Gavieiro und Iglesias Torres (C-444/09 und C-456/09, EU:C:2010:819, Rn. 81).


38 – Vgl. in diesem Sinne Urteil Schoenimport „Italmoda“ Mariano Previti u. a. (C-131/13, C-163/13 und C-164/13, EU:C:2014:2455, Rn. 57 bis 59)


39 – In ihrer bereits angeführten Mitteilung (S. 9) schlägt die Kommission vor, das Vorliegen enger Verbindungen in finanzieller Hinsicht aus dem Halten von mindestens 50 % des Kapitals oder der Stimmrechte einer Gesellschaft oder aus dem Bestehen von Franchiseverträgen zu folgern. Es ist anzumerken, dass bestimmte Mitgliedstaaten das Vorliegen solcher finanzieller Verbindungen annehmen, sobald eine Gesellschaft mindestens 10 % des Kapitals einer anderen Gesellschaft hält.


40 – Vgl. u. a. Urteil Pfeiffer u. a. (C-397/01 bis C-403/01, EU:C:2004:584, Rn. 108 bis 114).


41 – Vgl. Rn. 34 der schriftlichen Erklärungen der Kommission, die auf das Urteil des Finanzgerichts München vom 13. März 2013 (Az. 3 K 235/10) Bezug nimmt.