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SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 3. März 2016(1)

Rechtssache C-229/15

Minister Finansów

gegen

Jan Mateusiak

(Vorabentscheidungsersuchen des Naczelny Sąd Administracyjny [Oberster Verwaltungsgerichtshof, Polen])

„Steuerrecht – Mehrwertsteuer – Art. 18 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG – Besteuerung des Besitzes von Gegenständen bei Aufgabe der wirtschaftlichen Tätigkeit – Einfluss des Ablaufs des Zeitraums für die Berichtigung des Vorsteuerabzugs gemäß Art. 187 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG“





I –    Einleitung

1.        Im vorliegenden polnischen Vorabentscheidungsersuchen geht es um einen sehr speziellen Steuertatbestand der Mehrwertsteuer. Gibt ein Steuerpflichtiger seine wirtschaftliche Tätigkeit auf, so können die Mitgliedstaaten das zu diesem Zeitpunkt noch erhaltene Unternehmensvermögen besteuern. Voraussetzung ist, dass der Steuerpflichtige die betreffenden Gegenstände des Unternehmensvermögens zuvor aufgrund des Vorsteuerabzugs frei von mehrwertsteuerlicher Belastung angeschafft hat. Mit dieser Besteuerung soll vermieden werden, dass ein Steuerpflichtiger im Ergebnis Gegenstände privat mehrwertsteuerfrei nutzen kann.

2.        Im Ausgangsrechtsstreit plant ein Steuerpflichtiger, seine wirtschaftliche Tätigkeit einzustellen. Zu seinem Unternehmensvermögen gehört ein Gebäudeteil, den er bereits vor geraumer Zeit unter Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs hergestellt hat. Der Steuerpflichtige hat nun die Frage aufgeworfen, ob eine Besteuerung dieses Gebäudeteils deshalb ausgeschlossen ist, weil seine Herstellung schon so lange zurückliegt. So sei nämlich der Zeitraum für die Möglichkeit der nachträglichen Berichtigung des Vorsteuerabzugs für die Anschaffung des Gebäudeteils bereits abgelaufen. Wenn eine solche Korrektur des Vorsteuerabzugs aber nicht mehr möglich sei, bestehe auch kein Grund mehr, diese Korrektur mittelbar durch die Besteuerung des Gebäudeteils bei Aufgabe der Tätigkeit vorzunehmen.

3.        Die vorliegende Rechtssache dreht sich somit um die unterschiedlichen Techniken nachträglicher Korrekturen des Vorsteuerabzugs. Das Mehrwertsteuerrecht der Union bietet hier verschiedene Regelungssysteme an, die sich teilweise zu überschneiden scheinen. Der Gerichtshof wird sich deshalb der Abgrenzung dieser Regelungssysteme zu widmen haben.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht

4.        Die Erhebung der Mehrwertsteuer in der Union regelt die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem(2) (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie)(3).

5.        Gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie unterliegen der Mehrwertsteuer „die Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt“.

6.        Art. 18 der Mehrwertsteuerrichtlinie ergänzt:

„Die Mitgliedstaaten können der Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt folgende Vorgänge gleichstellen:

[…]

c)      mit Ausnahme der in Artikel 19 genannten Fälle der Besitz von Gegenständen durch einen Steuerpflichtigen oder seine Rechtsnachfolger bei Aufgabe seiner der Steuer unterliegenden Tätigkeit, wenn diese Gegenstände bei ihrer Anschaffung […] zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben.“

7.        Der in Bezug genommene Art. 19 der Mehrwertsteuerrichtlinie enthält eine Regelung für „die Übertragung eines Gesamt- oder Teilvermögens, die entgeltlich oder unentgeltlich oder durch Einbringung in eine Gesellschaft erfolgt“.

8.        In ihrem Art. 168 gewährt die Mehrwertsteuerrichtlinie dem Steuerpflichtigen ein Recht auf Vorsteuerabzug:

„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a)      die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden;

[…]“

9.        In den Art. 184 bis 192 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist die „Berichtigung des Vorsteuerabzugs“ geregelt. Art. 185 Abs. 1 bestimmt hierzu:

„(1)      Die Berichtigung erfolgt insbesondere dann, wenn sich die Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der Mehrwertsteuererklärung geändert haben […]“

10.      Art. 187 der Mehrwertsteuerrichtlinie ergänzt:

„(1)      Bei Investitionsgütern erfolgt die Berichtigung während eines Zeitraums von fünf Jahren einschließlich des Jahres, in dem diese Güter erworben oder hergestellt wurden.

[…]

Bei Grundstücken, die als Investitionsgut erworben wurden, kann der Zeitraum für die Berichtigung bis auf 20 Jahre verlängert werden.

(2)      Die jährliche Berichtigung betrifft nur ein Fünftel beziehungsweise im Falle der Verlängerung des Berichtigungszeitraums den entsprechenden Bruchteil der Mehrwertsteuer, mit der diese Investitionsgüter belastet waren.

Die in Unterabsatz 1 genannte Berichtigung erfolgt entsprechend den Änderungen des Rechts auf Vorsteuerabzug, die in den folgenden Jahren gegenüber dem Recht für das Jahr eingetreten sind, in dem die Güter erworben, hergestellt oder gegebenenfalls erstmalig verwendet wurden.“

B –    Nationales Recht

11.      Das polnische Gesetz vom 11. März 2004 über die Steuer auf Gegenstände und Dienstleistungen (konsolidierte Fassung Dz. U. 2011, Nr. 177, Pos. 1054, mit Änderungen) regelt die Erhebung der Mehrwertsteuer in der Republik Polen. Art. 14 des Gesetzes bestimmt:

„1.      Der Besteuerung mit der Steuer unterliegen Gegenstände aus eigener Herstellung […], wenn

      […]

      2)      ein in Art. 15 genannter Steuerpflichtiger, der eine natürliche Person ist […], die Ausübung steuerbarer Handlungen einstellt.

[…]

4.      Die Abs. 1 und 3 werden auf Gegenstände angewandt, für die das Recht auf Vorsteuerabzug bestanden hat.

5.      In den in Abs. 1 und 3 genannten Fällen sind die Steuerpflichtigen verpflichtet, zum Tag […] der Einstellung der Ausübung steuerbarer Handlungen eine körperliche Bestandsaufnahme der Gegenstände […] durchzuführen. Die Steuerpflichtigen sind verpflichtet, die Information über die durchgeführte körperliche Bestandsaufnahme […] der Steuererklärung beizufügen […].

[…]“

12.      Für die Berichtigung des Vorsteuerabzugs sieht das polnische Gesetz in Art. 91 Abs. 2 bei Immobilien einen Zeitraum von zehn Jahren vor.

III – Ausgangsrechtsstreit

13.      Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits ist eine Auslegungsfrage zum Mehrwertsteuerrecht, die Herr Mateusiak im Jahr 2013 der polnischen Steuerverwaltung gestellt hat.

14.      Herr Mateusiak hatte in den Jahren 1997 bis 1999 ein Wohn- und Geschäftsgebäude errichtet. Dieses diente ihm von Beginn an zum Teil zu privaten Zwecken, zum Teil für seine Tätigkeit als Notar. Nur für die Leistungen, die Herr Mateusiak zur Herstellung des geschäftlich genutzten Teils des Gebäudes bezogen hatte, nahm er ein Recht auf Vorsteuerabzug in Anspruch.

15.      Von der polnischen Steuerverwaltung will Herr Mateusiak nun wissen, ob er im Fall der Aufgabe seiner Tätigkeit als Notar den geschäftlich genutzten Teil des Gebäudes der Mehrwertsteuer unterwerfen müsse. Er vertritt hierzu die Auffassung, dass eine solche Besteuerung nach Ablauf des Berichtigungszeitraums für die Korrektur des Vorsteuerabzugs im Hinblick auf das Gebäude nicht mehr erfolgen dürfe. Die polnische Steuerverwaltung konnte sich dem nicht anschließen. Daraufhin erhob Herr Mateusiak Klage.

IV – Verfahren vor dem Gerichtshof

16.      Der nunmehr mit dem Rechtsstreit befasste Naczelny Sąd Administracyjny (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Polen) hält das Unionsrecht für streitentscheidend und hat dem Gerichtshof am 19. Mai 2015 gemäß Art. 267 AEUV die folgende Frage vorgelegt:

Ist Art. 18 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass Sachanlagen des Steuerpflichtigen – wenn der Steuerpflichtige die Vorsteuer für ihre Anschaffung abgezogen hat – nach Ablauf des in Art. 187 der Richtlinie geregelten Berichtigungszeitraums bei einer Aufgabe der Tätigkeit durch ihn nicht der Besteuerung unterliegen und im Liquidationsverzeichnis nicht zu erfassen sind, wenn der gesetzlich festgelegte Zeitraum für die Berichtigung der Vorsteuer für ihre Anschaffung, der sich nach ihrer veranschlagten Nutzungsdauer im Unternehmen des Steuerpflichtigen bestimmt, abgelaufen ist, oder dahin gehend, dass die Sachanlagen bei einer Aufgabe der wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen ungeachtet des Berichtigungszeitraums der Besteuerung unterliegen?

17.      Zu dieser Frage haben vor dem Gerichtshof im September 2015 Herr Mateusiak, die Hellenische Republik, die Republik Polen und die Europäische Kommission schriftlich Stellung genommen.

V –    Rechtliche Würdigung

18.      Das vorlegende Gericht will mit seiner Frage zusammengefasst wissen, ob Art. 18 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie auch auf Gegenstände anzuwenden ist, die Investitionsgüter im Sinne des Art. 187 darstellen und bei denen der Zeitraum nach Abs. 1 jener Vorschrift bereits abgelaufen ist, so dass eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs nicht mehr möglich ist.

19.      Nach meiner Überzeugung ist diese Frage zu bejahen. Der Ablauf des Berichtigungszeitraums für einen Gegenstand nach Art. 187 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie hat keinen Einfluss auf seine Besteuerung gemäß Art. 18 Buchst. c.

20.      Der Wortlaut des Art. 18 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie enthält weder eine zeitliche Einschränkung für die Besteuerung noch nimmt er auf Art. 187 Bezug. Dies wiegt umso schwerer, als Art. 168a Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie für die Besteuerung der privaten Verwendung eines Grundstücks gemäß Art. 26 ausdrücklich auf die Regelungen der Art. 184 bis 192 verweist.

21.      Wie ich im Folgenden ausführen werde, besteht im Übrigen auch kein Grund, Art. 187 im Rahmen des Art. 18 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie entsprechend anzuwenden.

1.      Gemeinsamkeiten der Regelungssysteme

22.      Zwar bestehen gewisse Gemeinsamkeiten zwischen den Regelungen zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs, zu denen Art. 187 der Mehrwertsteuerrichtlinie gehört, und den Bestimmungen zur Besteuerung der privaten Nutzung von Gegenständen, denen Art. 18 Buchst. c zuzuordnen ist.

23.      Beide Regelungssysteme sollen nämlich verhindern, dass ein Steuerpflichtiger Gegenstände aufgrund eines bereits gewährten Vorsteuerabzugs ohne mehrwertsteuerliche Belastung nutzen kann, obwohl die spätere Art der Nutzung gar nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt. Nach der Rechtsprechung soll ein Steuerpflichtiger so keinen ungerechtfertigten Vorteil gegenüber einem Endverbraucher erlangen, und der Zusammenhang zwischen Vorsteuerabzug und Erhebung der Mehrwertsteuer soll mit Hilfe beider Regelungssysteme gewahrt werden(4).

24.      Die Bestimmungen zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs in den Art. 184 ff. der Mehrwertsteuerrichtlinie setzen dafür unmittelbar am Vorsteuerabzug an. Der Vorsteuerabzug wird gemäß Art. 167 in Verbindung mit Art. 63 der Mehrwertsteuerrichtlinie regelmäßig schon zum Zeitpunkt des Erwerbs eines Gegenstands gewährt, auf der Grundlage seiner beabsichtigten Nutzung. Welche Nutzungen ein Recht auf Vorsteuerabzug eröffnen, regeln die Art. 168 und 169 der Mehrwertsteuerrichtlinie. Regelmäßig ist Voraussetzung, dass der Steuerpflichtige den erworbenen Gegenstand zur Ausführung besteuerter Umsätze verwendet. Die Berichtigungsvorschriften sollen nun nach der Rechtsprechung die Genauigkeit des Vorsteuerabzugs erhöhen, indem nach dem Zeitpunkt des Erwerbs eines Gegenstands überwacht wird, inwieweit ihn der Steuerpflichtige auch tatsächlich für Zwecke nutzt, die zum Vorsteuerabzug berechtigen(5). Bei Investitionsgütern beträgt der Zeitraum für diese Überwachung gemäß Art. 187 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie zwischen fünf und 20 Jahren.

25.      Die Regelungen zur Besteuerung der privaten Nutzung von Gegenständen setzen hingegen nicht beim Recht auf Vorsteuerabzug an, sondern unterwerfen – ohne den einmal gewährten Vorsteuerabzug anzutasten – die private Nutzung der Mehrwertsteuer. Dabei erfasst Art. 26 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie die private Nutzung eines Gegenstands, der sich weiterhin im Unternehmensvermögen befindet(6), während die Steuertatbestände der Art. 16 und 18 Buchst. c den Übergang eines Gegenstands vom Unternehmens- in das Privatvermögen eines Steuerpflichtigen betreffen. Im laufenden Betrieb werden solche Übergänge gemäß Art. 16 der Mehrwertsteuerrichtlinie als Entnahmen zwingend besteuert. Art. 18 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie gibt darüber hinaus den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, den Übergang eines Gegenstands vom Unternehmens- in das Privatvermögen zu besteuern, der sich aus der Aufgabe der wirtschaftlichen Tätigkeit ergibt(7).

2.      Unterschiede der Regelungssysteme

26.      Beide Regelungssysteme – die Berichtigung des Vorsteuerabzugs und die Besteuerung privater Nutzung – verfolgen ihre vergleichbaren Ziele aber auf unterschiedliche Weise. Denn obwohl der Gerichtshof beiden Systemen eine gleiche wirtschaftliche Wirkung zugeschrieben hat(8), sind sowohl ihre Voraussetzungen als auch ihre Rechtsfolgen nicht identisch.

27.      Zum einen habe ich bereits an anderer Stelle näher ausgeführt, dass die Regelungen zur Besteuerung der privaten Nutzung im Verhältnis zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs die spezielleren Vorschriften darstellen(9).

28.      Zum anderen ist die Berichtigung des Vorsteuerabzugs eine rückwärtsgewandte Korrekturvorschrift, während die Besteuerung der privaten Nutzung auch Wertentwicklungen im Unternehmensvermögen zwischen dem Erwerb eines Gegenstands und dem Beginn der privaten Nutzung erfasst. Denn gemäß Art. 74 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist Bemessungsgrundlage für die Steuer bei der Entnahme (Art. 16) und bei der Aufgabe der Tätigkeit (Art. 18 Buchst. c) der Wert des Gegenstands zum Zeitpunkt der Entnahme(10) bzw. der Aufgabe der Tätigkeit(11).

29.      Dies erklärt sich mit einem Zweck der Besteuerung in diesen Fällen, der noch über das Ziel der Berichtigung des Vorsteuerabzugs hinausreicht. Nach der Rechtsprechung soll die Besteuerung nach Art. 16 der Mehrwertsteuerrichtlinie nämlich sicherstellen, dass ein Steuerpflichtiger, der u. a. für seinen privaten Bedarf einen Gegenstand entnimmt, und ein Endverbraucher, der einen Gegenstand gleicher Art erwirbt, gleich behandelt werden(12). Ähnlich formuliert der Gerichtshof im Hinblick auf Art. 18 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie: Die Besteuerung soll verhindern, dass Gegenstände nach der Aufgabe der steuerbaren Tätigkeit einem unversteuerten Endverbrauch zugeführt werden(13). Somit soll ein Steuerpflichtiger, der für seinen privaten Endverbrauch einen Gegenstand aus seinem Unternehmen erhält, in gleicher Weise mit Mehrwertsteuer belastet werden, als wenn er einen solchen Gegenstand von einem anderen Steuerpflichtigen bezöge. Die Lieferung von einem Dritten und die Lieferung an sich selbst werden somit gleichgestellt.

3.      Parallele Anwendung der Regelungssysteme

30.      Vor dem Hintergrund dieser Unterschiede sind beide Regelungssysteme deshalb – wie der Gerichtshof bereits angedeutet hat(14) – parallel und unabhängig voneinander anzuwenden.

31.      Allerdings besteht – wie schon Generalanwältin Stix-Hackl zu Recht hervorgehoben hat(15) – ein gewisser Koordinierungsbedarf zwischen beiden Systemen, um den Grundsatz der steuerlichen Neutralität zu wahren. Nach diesem Grundsatz sind u. a. Doppelbesteuerungen zu vermeiden(16).

32.      Daraus folgt etwa, dass eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs bei Arbeiten an einem Gegenstand nur insoweit in Frage kommt, wie diese Arbeiten nicht im Rahmen der Besteuerung der Entnahme eines Gegenstands bereits steuerlich erfasst werden(17). Andernfalls würde der Steuerpflichtige doppelt mit Mehrwertsteuer belastet. Gleiches gilt auch in umgekehrter Richtung: Eine Besteuerung der Entnahme eines Gegenstands darf nur insoweit erfolgen, als seine Anschaffung und seine Erhaltung auch zum Vorsteuerabzug berechtigt haben(18).

33.      Im vorliegenden Fall erfordert der Grundsatz der steuerlichen Neutralität jedoch nicht, eine Besteuerung gemäß Art. 18 Buchst. c nur im zeitlichen Rahmen des Berichtigungszeitraums des Art. 187 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie zu erlauben. Denn eine Doppelbesteuerung ist nicht zu erkennen.

34.      Die Besteuerung nach Art. 18 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie kann nach dem Wortlaut der Bestimmung nur erfolgen, wenn die Anschaffung eines Gegenstands zum Vorsteuerabzug berechtigt hat. Er ist damit frei von jeder steuerlichen Belastung Teil des Unternehmensvermögens. Soweit der Gegenstand aber bei Aufgabe der Tätigkeit noch einen Restwert besitzt, ist er noch nicht im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit verbraucht worden und somit seine anschließende private Nutzung – erstmalig – zu besteuern, sofern keine Steuerbefreiung eingreift(19).

35.      Dabei handelt es sich im Übrigen prinzipiell um die gleiche steuerliche Behandlung, die zweifelsohne gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie erfolgt wäre, wenn Herr Mateusiak das Gebäude zum selben Zeitpunkt verkauft hätte. Folglich gewährleistet eine Besteuerung nach Art. 18 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie, die unabhängig ist vom Ablauf des Berichtigungszeitraums gemäß Art. 187 Abs. 1, auch die Neutralität des Mehrwertsteuersystems insoweit, als sie keinen Einfluss auf die wirtschaftlichen Entscheidungen des Steuerpflichtigen nimmt.

VI – Entscheidungsvorschlag

36.      Deshalb schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Frage des Naczelny Sąd Administracyjny (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Polen) wie folgt zu antworten:

Art. 18 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG ist auch auf Gegenstände anzuwenden, bei denen gemäß Art. 187 Abs. 1 dieser Richtlinie der Zeitraum für die Berichtigung des Vorsteuerabzugs zum Zeitpunkt der Aufgabe der wirtschaftlichen Tätigkeit bereits abgelaufen ist.


1 – Originalsprache: Deutsch.


2 – ABl. L 347, S. 1.


3 – Zuvor war bis zum 31. Dezember 2006 die Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) anzuwenden. Die Mehrwertsteuerrichtlinie stellt im Wesentlichen nur eine Neufassung der Sechsten Richtlinie dar (vgl. den dritten Erwägungsgrund der Mehrwertsteuerrichtlinie). Deshalb ist die Rechtsprechung, die zu den entsprechenden Bestimmungen der Sechsten Richtlinie ergangen ist, im vorliegenden Fall ebenfalls zu beachten.


4 – Vgl. Urteil Wollny (C-72/05, EU:C:2006:573, Rn. 35 und 36); vgl. auch den Vorschlag der sechsten Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (KOM[73] 950 endg.), S. 7 zu Art. 5 Abs. 3, der beide Regelungssysteme in gewisser Weise für austauschbar hält.


5 – Vgl. in diesem Sinne Urteile Centralan Property (C-63/04, EU:C:2005:773, Rn. 57), TETS Haskovo (C-234/11, EU:C:2012:644, Rn. 31), Pactor Vastgoed (C-622/11, EU:C:2013:649, Rn. 34) und FIRIN (C-107/13, EU:C:2014:151, Rn. 50); siehe zudem meine Schlussanträge in der Rechtssache TETS Haskovo (C-234/11, EU:C:2012:352, Nrn. 27 und 28).


6 – Eine Ausnahme gilt neuerdings für die geänderte private Verwendung eines von Beginn an gemischt genutzten Grundstücks gemäß Art. 168a Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie, der durch Art. 1 Nr. 12 der Richtlinie 2009/162/EU des Rates vom 22. Dezember 2009 zur Änderung verschiedener Bestimmungen der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 10, S. 14) eingeführt wurde.


7 – Da die Republik Polen von der Option des Art. 18 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie Gebrauch gemacht hat, muss im vorliegenden Fall die Frage nicht erörtert werden, ob Art. 16 trotz jener gesonderten Bestimmung auch Entnahmen bei Aufgabe der Tätigkeit erfasst; vgl. hierzu das Urteil Fischer und Brandenstein (C-322/99 und C-323/99, EU:C:2001:280, Rn. 87) und die Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs in den verbundenen Rechtssachen Fischer und Brandenstein (C-322/99 und C-323/99, EU:C:2000:700, Nr. 83).


8 – Urteil Uudenkaupungin kaupunki (C-184/04, EU:C:2006:214, Rn. 30).


9 – Siehe meine Schlussanträge in der Rechtssache van Laarhoven (C-594/10, EU:C:2011:820, Nr. 25).


10 – Urteil Fischer und Brandenstein (C-322/99 und C-323/99, EU:C:2001:280, Rn. 80).


11 – Urteil Marinov (C-142/12, EU:C:2013:292, Rn. 33).


12 – Siehe u. a. Urteile de Jong (C-20/91, EU:C:1992:192, Rn. 15), Fischer und Brandenstein (C-322/99 und C-323/99, EU:C:2001:280, Rn. 56) sowie BCR Leasing (C-438/13, EU:C:2014:2093, Rn. 23).


13 – Urteil Marinov (C-142/12, EU:C:2013:292, Rn. 27).


14 – Vgl. Urteil Uudenkaupungin kaupunki (C-184/04, EU:C:2006:214, Rn. 29); vgl. ebenso bereits die Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs in der Rechtssache Charles und Charles-Tijmens (C-434/03, EU:C:2005:48, Nr. 54).


15 – Schlussanträge der Generalanwältin Stix-Hackl in der Rechtssache Uudenkaupungin kaupunki (C-184/04, EU:C:2005:557, Nr. 26).


16 – Vgl. Urteile Fischer und Brandenstein (C-322/99 und C-323/99, EU:C:2001:280, Rn. 76) sowie NLB Leasing (C-209/14, EU:C:2015:440, Rn. 40).


17 – Vgl. Urteil Fischer und Brandenstein (C-322/99 und C-323/99, EU:C:2001:280, Rn. 95).


18 – Vgl. Urteil Fischer und Brandenstein (C-322/99 und C-323/99, EU:C:2001:280, Rn. 74 bis 76); vgl. auch im Hinblick auf die Bemessungsgrundlage des jetzigen Art. 74 der Mehrwertsteuerrichtlinie das Urteil Property Development Company (C-16/14, EU:C:2015:265, Rn. 42).


19 – Zu denken ist im vorliegenden Fall an Art. 135 Abs. 1 Buchst. j der Mehrwertsteuerrichtlinie.