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URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)

30. April 2015(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 52 Buchst. c und 55 – Bestimmung des Ortes einer Dienstleistung – Empfänger einer Dienstleistung, der in mehreren Mitgliedstaaten über eine Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer verfügt – Versand oder Beförderung nach Orten außerhalb des Mitgliedstaats, in dem die Dienstleistung tatsächlich bewirkt wurde“

In der Rechtssache C-97/14

betreffend ein Ersuchen um Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Gyulai Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Ungarn) mit Entscheidung vom 17. Februar 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 3. März 2014, in dem Verfahren

SMK kft

gegen

Nemzeti Adó- és Vámhivatal Dél-alföldi Regionális Adó Főigazgatósága,

Nemzeti Adó- és Vámhivatal

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader und des Richters E. Jarašiūnas (Berichterstatter),

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der ungarischen Regierung, vertreten durch G. Koós und Z. Fehér als Bevollmächtigte,

–        der griechischen Regierung, vertreten durch K. Paraskevopoulou und I. Kotsoni als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Bottka und L. Lozano Palacios als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 52 Buchst. c und 55 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der SMK kft, einer in Ungarn ansässigen Gesellschaft, und der Nemzeti Adó- és Vámhivatal Dél-alföldi Regionális Adó Főigazgatósága (Regionale Finanzdirektion für Dél-alföld der nationalen Steuer- und Zollverwaltung, im Folgenden: Főigazgatóság) sowie der Nemzeti Adó- és Vámhivatal (Nationale Steuer- und Zollverwaltung, im Folgenden: NAV) wegen der Entscheidung, von der SMK kft für die Jahre 2007 bis 2009 und für die Zeit von Januar bis März 2010 Mehrwertsteuer zu erheben.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Obwohl sich der Ausgangsrechtsstreit teilweise auf die Zeit von Januar bis März 2010 bezieht, die unter die Mehrwertsteuerrichtlinie in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 (ABl. L 44, S. 11) geänderten Fassung fällt, ergibt sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen, dass es dem vorlegenden Gericht nur um die Auslegung der Art. 52 Buchst. c und 55 der Mehrwertsteuerrichtlinie in der Fassung geht, die bis zum 1. Januar 2010 galt, d. h. bis zu den durch die Richtlinie 2008/8 eingeführten Änderungen.

4        In Art. 52 in Titel V („Ort des steuerbaren Umsatzes“) der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:

„Als Ort der folgenden Dienstleistungen gilt der Ort, an dem die Dienstleistung tatsächlich bewirkt wird:

c)      Begutachtungen beweglicher körperlicher Gegenstände und Arbeiten an solchen Gegenständen.“

5        Art. 55 dieser Richtlinie lautet:

„Bei Dienstleistungen in Form der Begutachtung oder Bearbeitung beweglicher körperlicher Gegenstände, die an Dienstleistungsempfänger erbracht werden, die eine Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer in einem anderen Mitgliedstaat als dem haben, in dessen Gebiet diese Dienstleistungen tatsächlich bewirkt werden, gilt abweichend von Artikel 52 Buchstabe c der Ort der Dienstleistung als im Gebiet des Mitgliedstaats gelegen, der dem Dienstleistungsempfänger die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer erteilt hat, unter der diesem die Dienstleistung erbracht wurde.

Die Ausnahmeregelung des Absatzes 1 gilt nur, wenn die Gegenstände nach Orten außerhalb des Mitgliedstaats, in dem die Dienstleistung tatsächlich ausgeführt wurde, versandt oder befördert werden.“

 Ungarisches Recht

6        In § 15 Abs. 4 des Gesetzes LXXIV von 1992 über die Mehrwertsteuer (az általános forgalmi adóról szóló 1992. évi LXXIV. törvény) in der im Jahr 2007 geltenden Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuergesetz) hieß es:

„Als Ort der Leistungserbringung gilt der Ort, an dem die [folgende] Dienstleistung tatsächlich bewirkt wird:

c)      die [Dienstleistung der] Montage, Reparatur, Wartung, Erneuerung und Umwandlung oder Fertigstellung von Gegenständen (mit Ausnahme von Immobilien).

…“

7        § 15/A Abs. 12 bis 14 des Mehrwertsteuergesetzes lautete:

„(12) Ist der Empfänger der in § 15 Abs. 4 Buchst. c und d aufgeführten Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Ortes der tatsächlichen Bewirkung der Dienstleistung als Steuerpflichtiger registriert, gilt als Leistungsort das Gebiet des Mitgliedstaats, in dem der Dienstleistungsempfänger als Steuerpflichtiger registriert ist.

(13)      Abs. 12 findet keine Anwendung, wenn die Gegenstände nicht an einen Ort außerhalb des Mitgliedstaats, in dem die Dienstleistung tatsächlich bewirkt wurde, befördert werden.

(14)      Wird der Leistungsort durch das Gebiet des Mitgliedstaats bestimmt, in dem die Person oder die Organisation, die die Dienstleistung im Sinne dieses Paragrafen im eigenen Namen empfängt, als Steuerpflichtiger registriert ist, und ist diese Person oder Organisation gleichzeitig in einem anderen Mitgliedstaat als Steuerpflichtiger registriert, gilt als Leistungsort der Mitgliedstaat, in dem ihr die Finanzbehörde die Steuer-Identifikationsnummer zugeteilt hat, die sie beim Empfang der Dienstleistung im Sinne dieses Paragrafen verwendet hat. Der Steuerpflichtige ist verpflichtet, die Dienstleistung unter der Steuer-Identifikationsnummer des Mitgliedstaats entgegenzunehmen, in dem er die Tätigkeit ausübt, die seine Steuerpflicht begründet und für die die Dienstleistung im Sinne dieses Artikels an ihn bewirkt wurde.“

8        In § 42 Abs. 1 des seit dem 1. Januar 2008 geltenden Gesetzes CXXVII von 2007 über die Mehrwertsteuer (im Folgenden: neues Mehrwertsteuergesetz) heißt es:

„Im Fall der Erbringung folgender Dienstleistungen gilt als Leistungsort der Ort, an dem die Dienstleistung tatsächlich bewirkt wird:

d)      Arbeiten an Gegenständen (mit Ausnahme von Immobilien).“

9        § 45 Abs. 1 und 2 des neuen Mehrwertsteuergesetzes sieht vor:

„(1)      Bei Dienstleistungen im Sinne von § 42 Abs. 1 Buchst. c und d, die an Dienstleistungsempfänger bewirkt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft als dem, in dessen Gebiet die Dienstleistungen tatsächlich bewirkt werden, als Steuerpflichtige registriert sind, gilt abweichend von § 42 der Ort der Dienstleistung als im Gebiet des Mitgliedstaats der Gemeinschaft gelegen, in dem der Dienstleistungsempfänger insoweit als Steuerpflichtiger registriert ist.

(2)      Abs. 1 gilt nur, wenn die Gegenstände, an denen die Dienstleistungen nach § 42 Abs. 1 Buchst. c und d bewirkt werden, nach Orten außerhalb des Mitgliedstaats der Gemeinschaft, in dem die Dienstleistungen tatsächlich bewirkt wurden, versandt oder befördert werden.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

10      Gemäß der Vorlageentscheidung ist die zur Unternehmensgruppe SMK gehörende SMK kft ein in Ungarn mehrwertsteuerpflichtiges Unternehmen mit ungarischer Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer. Zu dieser Unternehmensgruppe gehört auch die SMK UK Ltd mit Sitz im Vereinigten Königreich, die bis zum 30. Juli 2007 sowohl im Vereinigten Königreich als auch in Ungarn als Steuerpflichtiger registriert war und über eine britische und eine ungarische Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer verfügte. Die SMK Europe NV (im Folgenden: SMK Europe), eine in Belgien niedergelassene und in Ungarn als mehrwertsteuerpflichtig eingetragene Gesellschaft, gehört ebenfalls zu dieser Gruppe und ist für den Vertrieb der Produkte dieser Gruppe in Europa zuständig.

11      Die SMK kft erbrachte ab März 2002 als Auftragnehmerin für die SMK UK Ltd Dienstleistungen in Ungarn. Die letztgenannte Gesellschaft kaufte die für die Montage der fertiggestellten Gegenstände, nämlich Fernbedienungen für elektronische Geräte, erforderlichen Materialien und Teile. Die Maschinen, die Ausrüstung und die Werkzeuge waren Eigentum der SMK UK Ltd. Die SMK kft verfügte weder über eigenes Material noch über Bestände an fertiggestellten Gegenständen, sondern baute diese Fernbedienungen lediglich zusammen.

12      Nach der Montage verblieben die fertiggestellten Gegenstände bei der SMK kft, während der Empfänger der Dienstleistungen, die SMK UK Ltd, die Gegenstände an SMK Europe verkaufte, die sie wiederum an in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat niedergelassene Abnehmer weiterverkaufte. Die SMK kft war von der SMK UK Ltd beauftragt, die Waren an diese Abnehmer zu liefern. Die Rechnungen für diese Verkäufe stellten Beförderungsdokumente dar und wurden von der SMK UK Ltd im Namen des Käufers der fertiggestellten Gegenstände, SMK Europe, ausgefertigt. Die Gegenstände wurden unmittelbar an die innerhalb der Europäischen Union oder in einem Drittland ansässigen Endabnehmer versandt, denen SMK Europe die genannten Waren weiterverkauft hatte. In allen Fällen verließen die fertiggestellten Gegenstände das ungarische Hoheitsgebiet und gelangten niemals ins Vereinigte Königreich.

13      Als Gegenleistung für die erbrachten Dienstleistungen stellte die SMK kft der SMK UK Ltd den Herstellungspreis für die fertiggestellten Gegenstände ohne Mehrwertsteuer mit dem Hinweis „außerhalb des territorialen Anwendungsbereichs der Mehrwertsteuer“ in Rechnung. Auf den Rechnungen gab sie die britische Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer der SMK UK Ltd an.

14      Der Prüfungsdienst für Großsteuerzahler der lokalen Steuerbehörde Békés der nationalen Steuer- und Zollverwaltung (im Folgenden: Finanzbehörde erster Ebene) überprüfte die von der SMK kft für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 2007 eingereichten Mehrwertsteuererklärungen.

15      Nach Abschluss dieser Überprüfung stellte die Finanzbehörde erster Ebene fest, dass der Ort der fraglichen Dienstleistungen der Ort der tatsächlichen Bewirkung dieser Dienstleistungen, d. h. Ungarn, sei. Im Einzelnen meinte sie, die SMK kft habe nicht nachgewiesen, dass die fertiggestellten Gegenstände an einen Ort außerhalb Ungarns befördert worden seien, so dass das Vereinigte Königreich nicht als Ort der Leistungserbringung angesehen werden könne. Demnach ergebe sich eine Steuerschuld in Höhe von 27 712 000 ungarischen Forint (HUF), die sie von der SMK kft zu zahlen verlangte.

16      Die SMK kft legte gegen die Entscheidung der Finanzbehörde erster Ebene bei der Főigazgatóság Einspruch ein und machte geltend, die Voraussetzungen nach § 15/A Abs. 12 und 13 des Mehrwertsteuergesetzes seien erfüllt, so dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dienstleistungen als außerhalb des territorialen Anwendungsbereichs dieses Gesetzes durchgeführtes Rechtsgeschäft ohne Mehrwertsteuer in Rechnung gestellt werden könnten. Es sei nicht vorgeschrieben, dass die fertiggestellten Gegenstände in den Mitgliedstaat des Empfängers der Dienstleistungen befördert werden müssten.

17      In ihrer Entscheidung vom 10. Dezember 2012 bestätigte die Főigazgatóság als Finanzbehörde zweiter Ebene die auf erster Ebene ergangene Entscheidung. Sie stellte fest, dass die SMK UK Ltd die fertiggestellten Gegenstände vor ihrer Beförderung an SMK Europe verkauft hatte, während sie sich noch im ungarischen Hoheitsgebiet befanden. Unter diesen Umständen sei die Beförderung dieser Waren aufgrund ihres Verkaufs und nicht aufgrund der erbrachten Dienstleistungen erfolgt.

18      Die Finanzbehörde erster Ebene prüfte auch die Mehrwertsteuer- und die Körperschaftsteuererklärungen für die Jahre 2008 und 2009 sowie für die Zeit von Januar bis März 2010. In diesem Zeitraum hatte die SMK kft ebenfalls für Rechnung der SMK UK Ltd Dienstleistungen erbracht und dafür keine Mehrwertsteuer in Rechnung gestellt.

19      Bei einer Überprüfung dieser Prüfung stellte der Leiter der Főigazgatóság zulasten der SMK kft eine Steuerschuld in Höhe von 107 616 000 HUF fest und setzte gegen sie eine Steuerstrafe in Höhe von 21 523 000 HUF sowie 38 208 000 HUF als Verzugszinsen fest. Außerdem entschied er, dass nach § 42 Abs. 1 Buchst. b bis d und § 45 des neuen Mehrwertsteuergesetzes als Ort der Erbringung der Dienstleistungen, die diese Gesellschaft in dem genannten Zeitraum ausgeführt habe, Ungarn anzusehen sei.

20      Die SMK kft legte gegen die von der Finanzbehörde erster Ebene erlassene Entscheidung Einspruch bei der NAV ein, die diese Entscheidung mit Entscheidung vom 8. Januar 2013 bestätigte und feststellte, dass Ungarn als Ort der Erbringung der ausgeführten Dienstleistungen anzusehen sei.

21      Die SMK kft erhob gegen die Entscheidung der Főigazgatóság vom 10. Dezember 2012 und gegen die Entscheidung der NAV vom 8. Januar 2013 Verwaltungsklage beim vorlegenden Gericht. Erstens machte sie hinsichtlich der Entscheidung der Főigazgatóság u. a. geltend, dass Art. 55 der Mehrwertsteuerrichtlinie für die Bestimmung des Ortes der Erbringung von Dienstleistungen in Form der Bearbeitung von Gegenständen nicht verlange, dass diese Gegenstände in den Mitgliedstaat des Dienstleistungsempfängers geliefert würden. Es genüge, wenn sie nach Orten außerhalb des Mitgliedstaats befördert oder versandt würden, in dem sie fertiggestellt worden seien.

22      Nachdem sie ihre Dienstleistungen erbracht habe, hätten die fertiggestellten Gegenstände, die an in einem anderen Staat als Ungarn ansässige Käufer veräußert worden seien, aufgrund dieser Tatsache das ungarische Hoheitsgebiet verlassen. Die Tatsache, dass der Dienstleistungsempfänger, d. h. die SMK UK Ltd, ebenfalls im ungarischen Mehrwertsteuerregister von 2007 verzeichnet gewesen sei, bedeute nicht, dass er Dienstleistungen unter einer ungarischen Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer erhalten habe, denn seine Haupttätigkeit stehe in Zusammenhang mit einem in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betrieb. § 15/A Abs. 14 des Mehrwertsteuergesetzes verstoße gegen die Mehrwertsteuerrichtlinie.

23      Die Főigazgatóság macht geltend, dass die SMK kft die Dienstleistung zwingend unter Verwendung der ungarischen Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer der SMK UK Ltd hätte erbringen müssen, denn dieses Unternehmen habe die von der SMK kft aufgrund des Auftrags montierten Gegenstände in Ungarn geliefert. Deshalb sei der Ort der Dienstleistungen als im Gebiet dieses Mitgliedstaats liegend anzusehen, und darum seien diese Dienstleistungen nicht vom territorialen Anwendungsbereich des Mehrwertsteuergesetzes ausgeschlossen. Die Ausfuhr der fertiggestellten Gegenstände ändere nichts an der Tatsache, dass die von der SMK kft erbrachte Dienstleistung mehrwertsteuerpflichtig sei.

24      Zweitens ist die SMK kft hinsichtlich der Entscheidung der NAV vom 8. Januar 2013 der Ansicht, dass die Verpflichtung zur Entrichtung der Mehrwertsteuer nur im Wege einer dieser Richtlinie widersprechenden Auslegung aus der Mehrwertsteuerrichtlinie abgeleitet werden könne. Die Entscheidung, wem die steuerliche Verpflichtung obliege, liege beim Dienstleistungsempfänger. Im Übrigen verstoße die Versagung der Steuerbefreiung für die fraglichen Dienstleistungen gegen die Grundsätze der Territorialität und der Neutralität der Mehrwertsteuer.

25      Die NAV macht geltend, dass bei der Anwendung der Ausnahmevorschrift von Art. 55 der Mehrwertsteuerrichtlinie zu prüfen sei, ob der Dienstleistungsempfänger über eine Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer in Ungarn verfüge oder verfügen müsse. Die fertiggestellten Gegenstände, die von der SMK kft zusammengebaut worden seien, seien nicht in den Mitgliedstaat ausgeführt worden, in dem sich der Geschäftssitz der SMK UK Ltd befinde, sondern verkauft worden, als sie sich in Ungarn befanden. Deshalb sei dieser Mitgliedstaat als Ort des von der SMK UK Ltd getätigten Verkaufs anzusehen.

26      Unter diesen Umständen hat der Gyulai Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Gericht für Sozial- und Verwaltungsstreitsachen Gyula) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Kann Art. 55 der Mehrwertsteuerrichtlinie in seiner bis zum 1. Januar 2010 geltenden Fassung dahin ausgelegt werden, dass er sich ausschließlich auf Steuerpflichtige bezieht, die Empfänger einer Dienstleistung sind und in dem Mitgliedstaat des Ortes, an dem die Dienstleistung tatsächlich bewirkt wird, über keine Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer verfügen oder hierzu nicht verpflichtet sind?

2.      Für den Fall der Bejahung der ersten Frage: Richtet sich die Bestimmung des Ortes der Dienstleistung ausschließlich nach Art. 52 der Mehrwertsteuerrichtlinie?

3.      Für den Fall der Verneinung der ersten Frage: Ist Art. 55 der Mehrwertsteuerrichtlinie in seiner bis zum 1. Januar 2010 geltenden Fassung dahin auszulegen, dass ausschließlich der steuerpflichtige Empfänger der auftragsgegenständlichen Dienstleistung, der in mehr als einem Mitgliedstaat über eine Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer verfügt oder verfügen müsste, entscheidet, unter welcher Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer er die Dienstleistung empfängt (auch wenn davon auszugehen ist, dass der steuerpflichtige Empfänger der Dienstleistung in dem Mitgliedstaat, in dem die Dienstleistung tatsächlich bewirkt wird, niedergelassen ist, aber auch in einem anderen Mitgliedstaat über eine Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer verfügt)?

4.      Sollte die dritte Frage dahin beantwortet werden, dass die Entscheidungsbefugnis des Empfängers der Dienstleistung uneingeschränkt ist: Ist Art. 55 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass

–      bis zum 31. Dezember 2009 davon ausgegangen werden kann, dass die Dienstleistung unter Verwendung der von ihrem Empfänger angegebenen Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer bewirkt wurde, wenn dieser auch in einem anderen Mitgliedstaat als Steuerpflichtiger registriert (niedergelassen) ist und die Gegenstände an Orte außerhalb des Mitgliedstaats, in dem die Dienstleistung tatsächlich bewirkt wurde, versandt oder befördert werden,

–      es sich auf die Bestimmung des Ortes der Dienstleistung auswirkt, dass es sich beim Empfänger der Dienstleistung um einen in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Steuerpflichtigen handelt, der die fertiggestellten Gegenstände liefert, indem er sie an Orte außerhalb des Mitgliedstaats, in dem die Dienstleistung bewirkt wurde, an einen Zwischenabnehmer versendet oder befördert, der sie wiederum in einem dritten Mitgliedstaat der Union weiterverkauft, ohne dass der Empfänger der erbrachten Dienstleistung die fertiggestellten Gegenstände zu seiner Niederlassung zurückbefördert?

5.      Sollte die Entscheidungsbefugnis des Empfängers der Dienstleistung nicht uneingeschränkt sein: Wirkt sich auf die Anwendbarkeit von Art. 55 der Mehrwertsteuerrichtlinie in seiner bis zum 1. Januar 2010 geltenden Fassung Folgendes aus:

–      die Umstände, unter denen der Empfänger bestimmter Arbeiten an einem Gegenstand die entsprechenden Rohstoffe erwirbt und sie demjenigen zur Verfügung stellt, der diese Arbeiten ausführt,

–      aus welchem Mitgliedstaat und unter welcher Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer der steuerpflichtige Empfänger der Dienstleistung die im Rahmen dieser Arbeiten fertiggestellten Gegenstände liefert,

–      der Umstand, dass – wie im Ausgangsverfahren – die fertiggestellten Gegenstände Objekt mehrerer Lieferungen im Rahmen eines Reihengeschäfts sind, das noch innerhalb des Landes stattfindet, in dem die Arbeiten ausgeführt werden, und sie direkt aus diesem Land zum Endabnehmer befördert werden?

 Zu den Vorlagefragen

27      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen des Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof nach Art. 267 AEUV Aufgabe des Gerichtshofs ist, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Dementsprechend hat der Gerichtshof die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren (vgl. Urteil Douane Advies Bureau Rietveld, C-541/13, EU:C:2014:2270, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28      Hierzu ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass es im Ausgangsverfahren im Hinblick auf die Mehrwertsteuer um die Bestimmung des Ortes der Dienstleistungen geht, die von der Klägerin des Ausgangsverfahrens in Ungarn für die im Vereinigten Königreich niedergelassene SMK UK Ltd, der Eigentümerin der Gegenstände, auf die sich diese Dienstleistungen bezogen, erbracht wurden. Außerdem ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorgelegten Informationen, dass die in Rede stehenden Dienstleistungen darin bestanden, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens der SMK UK Ltd gehörende Fernbedienungen zusammenbaute. Im Anschluss an diese Montage verblieben die fertiggestellten Gegenstände in Ungarn. Die SMK UK Ltd verkaufte sie anschließend an SMK Europe, die sie an Abnehmer weiterverkaufte, die entweder in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittland ansässig waren. Die fertiggestellten Gegenstände wurden also erst nach ihrem Weiterverkauf von Ungarn ins Ausland versandt oder befördert.

29      Darüber hinaus trifft das vorlegende Gericht eine Unterscheidung zwischen dem Zeitraum, in dem der Dienstleistungsempfänger sowohl in Ungarn als auch im Vereinigten Königreich über eine Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer verfügte, und dem Zeitraum, in dem dies in Ungarn nicht mehr der Fall war.

30      Nach alledem ist davon auszugehen, dass mit den fünf Vorlagefragen, die zusammen zu behandeln sind, im Wesentlichen Aufschluss darüber begehrt wird, ob Art. 55 der Mehrwertsteuerrichtlinie in der bis zum 1. Januar 2010 geltenden Fassung dahin auszulegen ist, dass er unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens zur Anwendung kommt, unter denen der Dienstleistungsempfänger sowohl in dem Mitgliedstaat, in dem die Dienstleistungen tatsächlich bewirkt wurden, als auch in einem anderen Mitgliedstaat und anschließend nur noch im letztgenannten Mitgliedstaat über eine Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer verfügte, und unter denen die beweglichen körperlichen Gegenstände, an denen diese Dienstleistungen bewirkt wurden, nicht im Anschluss an diese Dienstleistungen, sondern nach dem späteren Verkauf dieser Gegenstände nach Orten außerhalb des Mitgliedstaats, in dem diese Dienstleistungen ausgeführt wurden, versandt oder befördert wurden.

31      Die Mehrwertsteuerrichtlinie, die die Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) ersetzt hat, enthält einen Titel V, der den Ort des steuerbaren Umsatzes zum Gegenstand hat. Innerhalb dieses Titels betrifft Kapitel 3 den Ort der Dienstleistung, und die Abschnitte 1 und 2 dieses Kapitels enthalten die allgemeinen Regeln für die Bestimmung des Ortes der Besteuerung dieser Dienstleistung sowie besondere Bestimmungen für spezielle Dienstleistungen. Wie zuvor Art. 9 Abs. 2 und 3 der Sechsten Richtlinie 77/388 enthalten die Art. 44 bis 59 der Mehrwertsteuerrichtlinie Regeln, die den Ort der besonderen steuerlichen Anknüpfungspunkte bestimmen (vgl. Urteil Welmory, C-605/12, EU:C:2014:2298, Rn. 37 und 38).

32      Nach gefestigter Rechtsprechung des Gerichtshofs sollen mit den Regeln über die Bestimmung des Ortes, an den bei Dienstleistungen steuerlich anzuknüpfen ist, einerseits Kompetenzkonflikte, die zu einer Doppelbesteuerung führen könnten, und andererseits die Nichtbesteuerung von Einnahmen verhindert werden (Urteil Welmory, C-605/12, EU:C:2014:2298, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33      Eine Vorschrift wie Art. 55 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt daher den Ort der steuerlichen Anknüpfung einer Dienstleistung und begrenzt die Befugnisse der Mitgliedstaaten. Zu diesem Zweck soll mit dieser Vorschrift eine steuerlich sinnvolle Abgrenzung der jeweiligen Anwendungsbereiche der nationalen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer vorgenommen werden, indem in einheitlicher Art und Weise der Ort der steuerlichen Anknüpfung bei Dienstleistungen bestimmt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil Welmory, C-605/12, EU:C:2014:2298, Rn. 50 und 51).

34      Es sei daran erinnert, dass die allgemeine Regel der Bestimmung der steuerlichen Anknüpfung bei Dienstleistungen, die sich auf Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen beziehen, in Art. 52 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie festgelegt ist, wonach der Ort derartiger Dienstleistungen der Ort ist, an dem die Dienstleistungen tatsächlich bewirkt werden.

35      Art. 55 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt, dass bei den erwähnten Dienstleistungen, die an Dienstleistungsempfänger erbracht werden, die eine Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer in einem anderen Mitgliedstaat als dem haben, in dessen Gebiet diese Dienstleistungen tatsächlich bewirkt werden, abweichend von der genannten Regel der Ort der Dienstleistung als im Gebiet des Mitgliedstaats gelegen gilt, der dem Dienstleistungsempfänger die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer erteilt hat, unter der diesem die Dienstleistung erbracht wurde. Diese Ausnahmeregelung gilt nur, wenn die Gegenstände nach Orten außerhalb des Mitgliedstaats, in dem die Dienstleistung tatsächlich ausgeführt wurde, versandt oder befördert werden.

36      Nach dem Wortlaut von Art. 55 der Mehrwertsteuerrichtlinie kommt daher die nach dieser Vorschrift vorgesehene Ausnahmeregelung zur Anwendung, wenn zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sind. Erstens muss der Dienstleistungsempfänger in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dessen Gebiet diese Dienstleistungen tatsächlich bewirkt werden, „eine Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer … haben“, und zweitens müssen die Gegenstände nach Orten außerhalb des Mitgliedstaats, in dem die Dienstleistungen tatsächlich ausgeführt wurden, versandt oder befördert werden.

37      Da die Bestimmung des Ortes der Dienstleistung allein unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gesichtspunkte vorgenommen werden darf, die mit dem fraglichen steuerbaren Umsatz zusammenhängen, ist die zweite Voraussetzung, die nach Art. 55 der Mehrwertsteuerrichtlinie für die Anwendung der in dieser Vorschrift vorgesehenen Ausnahmeregelung gilt, allein nach diesen Gesichtspunkten und nicht nach etwaigen späteren Umsätzen zu beurteilen.

38      Damit Art. 55 der Mehrwertsteuerrichtlinie zur Anwendung kommt, muss daher die Beförderung oder der Versand der Gegenstände im Rahmen des Umsatzes erfolgen, der die Arbeiten an diesen Gegenständen betrifft, bevor mit diesen Gegenständen gegebenenfalls ein anderer mehrwertsteuerpflichtiger Umsatz bewirkt wird.

39      Die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden fertiggestellten Gegenstände sind gemäß den Akten, die dem Gerichtshof vorgelegt worden sind, und wie in Rn. 28 des vorliegenden Urteils erwähnt, nach ihrer Montage in Ungarn verblieben und erst dann nach Orten außerhalb dieses Mitgliedstaats befördert worden, nachdem die Umsätze in Form des Verkaufs und des Weiterverkaufs dieser Gegenstände bewirkt worden waren.

40      Demzufolge lag im Rahmen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dienstleistungen keine Beförderung oder kein Versand der Gegenstände nach Orten außerhalb des Mitgliedstaats der tatsächlichen Ausführung dieser Dienstleistungen vor. Die die Beförderung oder den Versand der Gegenstände betreffende Voraussetzung in Art. 55 der Mehrwertsteuerrichtlinie war daher nicht erfüllt. Demzufolge ist der Ort der steuerlichen Anknüpfung dieser Dienstleistungen nach Art. 52 Buchst. c dieser Richtlinie zu bestimmen, wonach dieser Ort der Ort in dem Mitgliedstaat ist, in dem die Dienstleistung tatsächlich bewirkt wurde, hier also Ungarn.

41      Im Übrigen ist in Bezug auf die erste Voraussetzung für die Anwendung von Art. 55 der Mehrwertsteuerrichtlinie darauf hinzuweisen, dass der Umstand, dass der Empfänger der in Rede stehenden Dienstleistungen im Zeitraum ihrer Bewirkung sowohl in Ungarn als auch im Vereinigten Königreich und anschließend nur noch im letztgenannten Mitgliedstaat über eine Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer verfügte, für die Entscheidung des beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreits keine Bedeutung hat, weil die Gegenstände im Rahmen dieser Dienstleistungen nicht nach Orten außerhalb Ungarns befördert oder versandt wurden.

42      Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 55 der Mehrwertsteuerrichtlinie in der bis zum 1. Januar 2010 geltenden Fassung dahin auszulegen ist, dass er unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nicht zur Anwendung kommt, unter denen der Dienstleistungsempfänger sowohl in dem Mitgliedstaat, in dem die Dienstleistungen tatsächlich bewirkt wurden, als auch in einem anderen Mitgliedstaat und anschließend nur noch im letztgenannten Mitgliedstaat über eine Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer verfügte, und unter denen die beweglichen körperlichen Gegenstände, an denen diese Dienstleistungen bewirkt wurden, nicht im Anschluss an diese Dienstleistungen, sondern nach dem späteren Verkauf dieser Gegenstände nach Orten außerhalb des Mitgliedstaats, in dem diese Dienstleistungen tatsächlich ausgeführt wurden, versandt oder befördert wurden.

 Kosten

43      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 55 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der bis zum 1. Januar 2010 geltenden Fassung ist dahin auszulegen, dass er unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nicht zur Anwendung kommt, unter denen der Dienstleistungsempfänger sowohl in dem Mitgliedstaat, in dem die Dienstleistungen tatsächlich bewirkt wurden, als auch in einem anderen Mitgliedstaat und anschließend nur noch im letztgenannten Mitgliedstaat über eine Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer verfügte, und unter denen die beweglichen körperlichen Gegenstände, an denen diese Dienstleistungen bewirkt wurden, nicht im Anschluss an diese Dienstleistungen, sondern nach dem späteren Verkauf dieser Gegenstände nach Orten außerhalb des Mitgliedstaats, in dem diese Dienstleistungen tatsächlich ausgeführt wurden, versandt oder befördert wurden.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Ungarisch.