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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

JÁN MAZÁK

vom 13. März 20081(1)

Rechtssache C-11/07

Hans Eckelkamp u. a.

gegen

Belgischer Staat

(Vorabentscheidungsersuchen des Hof van beroep te Gent [Belgien])

„Freier Kapitalverkehr – Art. 56 EG und 58 EG – Beschränkungen – Erbschaftsteuer – Abzugsfähigkeit bestimmter durch eine Hypothek gesicherter Schulden – Ablehnung mit der Begründung, dass der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes im Mitgliedstaat der Besteuerung nicht gebietsansässig war“





I –    Einleitung

1.        Mit der Frage, die zur Vorabentscheidung durch Urteil des Hof van beroep te Gent (Belgien) vom 9. Januar 2007 vorgelegt worden ist, möchte dieser in Erfahrung bringen, ob das belgische Erbschaftsteuerrecht mit den Art. 56 EG und 58 EG über den freien Kapitalverkehr und mit den Art. 12 EG, 17 EG und 18 EG über die Freiheit der Unionsbürger, einen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat zu nehmen, vereinbar ist. Insbesondere möchte das vorlegende Gericht wissen, ob diese Bestimmungen des Vertrags einer nationalen Regelung entgegenstehen nach der – bei der Bestimmung der Bemessungsgrundlage für die Erbschaftsteuer, die für ein in Belgien belegenes Grundstück geschuldet wird – bestimmte Belastungen wie Schulden, die durch eine hypothekarische Vollmacht zugunsten des Gläubigers gesichert werden, wenn der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes in diesem Mitgliedstaat wohnhaft war, zu berücksichtigen sind, nicht aber, wenn er in einem anderen Mitgliedstaat wohnhaft war.

2.        Die Streitfragen, die sich im vorliegenden Fall stellen, ähneln sehr stark den Streitfragen in der Rechtssache C-43/07(2) – in der ich meine Schlussanträge ebenfalls heute vortrage –, die ebenfalls eine nationale Regelung betrifft, nach der für die Zwecke der Festsetzung der Steuer beim Erwerb eines Grundstücks durch Erbschaft bestimmte Belastungen nicht abzugsfähig sind, wenn der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes in einem anderen Mitgliedstaat wohnhaft war.

3.        Bei der Beantwortung der im vorliegenden Verfahren vorgelegten Fragen wird der Gerichtshof Gelegenheit haben, auf die vorhandene Rechtsprechung über Erbschaftsteuern im Zusammenhang mit dem freien Kapitalverkehr, insbesondere in den Urteilen Barbier(3) und van Hilten-van der Heijden(4), aufzubauen und diese weiterzuentwickeln.

II – Das anwendbare Recht

A –    Gemeinschaftsrecht

4.        Art. 56 Abs. 1 EG (früher Art. 73b Abs. 1 EG-Vertrag) bestimmt:

„Im Rahmen der Bestimmungen dieses Kapitels sind alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten.“

5.        Art. 58 EG (früher Art. 73d EG-Vertrag) sieht vor:

„(1)      Artikel 56 [EG] berührt nicht das Recht der Mitgliedstaaten,

a)      die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln …

(3)      „Die in [Abs. 1] genannten Maßnahmen und Verfahren dürfen weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs im Sinne des Artikels 56 [EG] darstellen.“

6.        Anhang I der Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Art. 67 des Vertrags (Artikel aufgehoben durch den Vertrag von Amsterdam)(5) mit der Überschrift „Nomenklatur für den Kapitalverkehr gemäß Artikel 1 der Richtlinie“ verweist auf 13 verschiedene Kategorien von Kapitalbewegungen. Unter XI („Kapitalverkehr mit persönlichem Charakter“) ist aufgeführt:

„…

D – Erbschaften und Vermächtnisse

…“

B –    Nationales Recht

7.        In Bezug auf Steuern vom Nachlass liegt die Zuständigkeit für die Festsetzung des Steuersatzes, der Bemessungsgrundlage, von Steuerbefreiungen und Steuerermäßigungen bei den einzelnen Regionen des Königreichs Belgien.

8.        Art. 1 des Flämischen Wetboek Successierechten (Erbschaftsteuergesetzbuch, im Folgenden: WS) unterscheidet in Bezug auf die Erbschaftsteuer danach, ob die Person, deren Nachlass übertragen wird, zum Zeitpunkt ihres Todes in Belgien oder im Ausland ansässig war. Dieser Artikel bestimmt:

„Es werden eingeführt:

1.      eine Erbschaftsteuer von dem Wert – nach Abzug der Schulden – all dessen, was aus dem Nachlass eines Einwohners des Königreichs bezogen wird;

2.      eine Steuer auf den Vermögensübergang von Todes wegen vom Wert der in Belgien belegenen Grundstücke, die aus dem Nachlass einer Person, die nicht Einwohner des Königreichs ist, erlangt werden.

Als Einwohner des Königreichs gilt, wer zum Zeitpunkt seines Todes seinen Wohnsitz oder den Sitz seines Vermögens im Königreich Belgien hatte.“

9.        Nach Art. 15 WS wird Erbschaftsteuer nach Abzug der Verbindlichkeiten von allen dem Erblasser gehörenden Vermögensgegenständen geschuldet, unabhängig davon, wo diese sich befinden.

10.      Art. 18 WS, der für Gebietsfremde gilt, lautet:

„Die Steuer für den Vermögensübergang von Todes wegen wird ohne Abzug von Belastungen von allen in Belgien belegenen Grundstücken erhoben, die dem Erblasser ... gehörten.“

11.      Nach Art. 29 WS kann eine Schuld nur dann als Nachlassverbindlichkeit übernommen werden, wenn sie am Todestag noch besteht, was durch jedes Beweismittel nachgewiesen werden kann, das in Bezug auf eine Handlung zwischen Gläubiger und Schuldner rechtlich zulässig ist.

12.      Nach Art. 40 WS beträgt die Frist für die Einreichung einer Erbschaftsteuererklärung fünf Monate ab dem Todeszeitpunkt, wenn der Tod im Königreich Belgien eingetreten ist, und sechs Monate ab dem Todeszeitpunkt, wenn der Tod in einem anderen Land in Europa eingetreten ist.

13.      Art. 41 WS bestimmt:

„Die Frist für die Einreichung der Erbschaftsteuererklärung kann durch den Generaldirektor der ... Registratie en Domeinen [Register- und Domänenverwaltung] verlängert werden.

Eine innerhalb der durch das Gesetz bestimmten oder vom Generaldirektor verlängerten Frist eingereichte Erklärung kann geändert werden, solange diese Frist noch nicht abgelaufen ist, sofern die Betroffenen nicht ausdrücklich in einer in gesetzlicher Form eingereichten Erklärung auf diese Befugnis verzichtet haben.“

14.      Art. 48 Abs. 1 WS enthält Tabellen mit den Sätzen der Erbschaftsteuer und der Steuer auf den Vermögensübergang von Todes wegen (im Folgenden: Vermögensübergangsteuer). Art. 48 Abs. 2 Unterabs. 4 lautet:

„Verbindlichkeiten und Bestattungskosten werden vorrangig auf bewegliche Vermögen und die in Art. 60bis aufgeführten Vermögensgegenstände angerechnet, sofern die Erklärenden nachweisen, dass es sich um Verbindlichkeiten handelt, die speziell eingegangen worden sind, um Grundstücke zu erwerben oder zu behalten.“

15.      In Bezug auf Steuern vom Nachlass besteht zwischen Belgien und Deutschland kein Doppelbesteuerungsabkommen.

III – Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

16.      Hans, Natalie, Monica, Saskia, Thomas, Jessica und Joris Eckelkamp, die Kläger des Ausgangsverfahrens (insgesamt als „Erben“ bezeichnet), sind Erben von Frau Reintges Hildegard Eckelkamp (Frau Eckelkamp), die am 30. Dezember 2003 in Düsseldorf verstorben ist.

17.      Am 13. November 2002 unterzeichnete Frau Eckelkamp ein Schriftstück, das das Anerkenntnis einer Schuld gegenüber Hans Eckelkamp enthielt. Mit notarieller Urkunde vom 5. Juni 2003 hatte Frau Eckelkamp eine Vollmacht erteilt, ein Grundstück, das in Knokke-Heist (Belgien) belegen war, zur Sicherung der Rückzahlung dieser Schuld in Höhe von 220 000 Euro zuzüglich 11 000 Euro Zinsen mit einer Hypothek zu belasten.

18.      Am 29. Juni 2004 gaben die Erben eine Steuererklärung über den Nachlass von Frau Eckelkamp (Erbschaftsteuererklärung oder Steuererklärung) ab, in der unter den Aktiva dieses Grundstück mit einem Wert von 200 000 Euro angegeben wurde. Unter Verbindlichkeiten war in der Erklärung „nihil“ (nichts) angegeben.

19.      Auf der Grundlage dieser Steuererklärung – und somit ohne Berücksichtigung der Verbindlichkeit von Frau Eckelkamp gegenüber Hans Eckelkamp – wurde die zu entrichtende Steuer auf den Vermögensübergang von Todes wegen (im Folgenden: Vermögensübergangsteuer) mit Bescheid vom 14. Juli 2004 auf 110 000,04 Euro festgesetzt.

20.      Aus den Akten geht hervor, dass vor Abgabe der Steuererklärung ein Austausch von E-Mails zwischen den belgischen Steuerbehörden und den Erben stattfand, in dessen Rahmen die Steuerbehörden angaben, dass die Vermögensübergangsteuer (die anwendbar ist, wenn der Erblasser ein Gebietsfremder war) vom Wert des Grundstücks in Belgien ohne Abzug von Verbindlichkeiten zahlbar sei und dass daher die in Rede stehende Verbindlichkeit in der Steuererklärung nicht aufzuführen sei.

21.      Nachdem die Erben die Erbschaftsteuern entrichtet hatten, reichten sie am 7. Oktober 2004 eine Steuerklage ein, mit der sie u. a. die Aufhebung des Bescheids vom 14. Juli 2004 beantragten. Die Klage wurde mit Urteil der Rechtbank van eerste aanleg te Brugge (erstinstanzliches Gericht Brügge) vom 30. Mai 2005 abgewiesen. Die Rechtbank führte in ihrem Urteil aus, dass die in Art. 40 WS geregelte Frist für die Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung in jedem Fall am 1. Juli 2004 abgelaufen sei, während die Steuerklage erst am 7. Oktober 2004 erhoben worden sei, was bedeute, dass die Erbschaftsteuererklärung endgültig gewesen sei und eine darin nicht aufgeführte Verbindlichkeit nicht habe berücksichtigt werden können. Die Rechtbank nahm auch den Standpunkt ein, dass die Kläger die betreffende Verbindlichkeit in der Steuererklärung als Verbindlichkeit hätten aufführen müssen, in Bezug auf die die in den Art. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 18 WS enthaltene Regelung nicht anwendbar sei, da sie gegen Gemeinschaftsrecht verstoße.

22.      Die Erben legten daraufhin gegen das Urteil der Rechtbank Rechtsmittel beim Hof van beroep ein. Zur Begründung ihres Rechtsmittels machen sie im Wesentlichen geltend, dass das Gemeinschaftsrecht unmittelbare Wirkung entfalte und dass Verwaltungsbehörden verpflichtet seien, gemeinschaftsrechtswidrige Entscheidungen zu überprüfen. Art. 41 WS könne nicht dazu führen, dass das Gemeinschaftsrecht nicht seine volle Wirksamkeit entfalte. Gestützt auf das Urteil Barbier(6) machen sie ferner geltend, dass die in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 18 WS vorgenommene Unterscheidung zwischen Gebietsansässigen und Gebietsfremden in Belgien gegen die Bestimmungen des Vertrags über den freien Kapitalverkehr verstoße. Auch beeinträchtigten diese Bestimmungen des WS die Freiheit, in einem anderen Mitgliedstaat seinen Wohnsitz zu nehmen, und liefen damit Art. 12 EG in Verbindung mit den Art. 17 EG und 18 EG zuwider. Der Belgische Staat als Rechtsmittelgegner des Ausgangsverfahrens bestreitet eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs und macht geltend, dass die Situationen Gebietsansässiger und Gebietsfremder nicht vergleichbar seien.

23.      Im Vorlagebeschluss führt der Hof van beroep aus, er sei davon überzeugt, dass Frau Eckelkamp am Tag ihres Todes tatsächlich eine Verbindlichkeit in Höhe von 220 000 Euro gehabt habe.

24.      Unter diesen Umständen hat der Hof van beroep te Gent das Verfahren ausgesetzt und den Gerichtshof um Vorabentscheidung über folgende Frage ersucht:

Stehen Art. 12 EG in Verbindung mit den Art. 17 EG und 18 EG und Art. 56 EG in Verbindung mit Art. 57 EG einer nationalen Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, wonach im Fall des erbrechtlichen Erwerbs eines Grundstücks, das in einem Mitgliedstaat (Belegenheitsstaat) belegen ist, dieser eine Steuer auf den Wert dieses Grundstücks erhebt, wobei er einen Abzug in Höhe des Werts der auf diesem Grundstück ruhenden Lasten (wie z. B. durch eine hypothekarische Vollmacht bezüglich dieses Grundstücks gesicherte Verbindlichkeiten) zwar zulässt, wenn der Erblasser bei seinem Tod im Belegenheitsstaat wohnte, nicht aber, wenn der Erblasser bei seinem Tod in einem anderen Mitgliedstaat (dem Wohnstaat) wohnte?

IV – Rechtliche Prüfung

A –    Hauptvorbringen der Verfahrensbeteiligten

25.      Im vorliegenden Verfahren haben die Erben, die belgische Regierung und die Kommission Erklärungen abgegeben; alle waren auch in der mündlichen Verhandlung am 13. Dezember 2007 vertreten.

26.      Die Erben machen erstens geltend, dass die belgische Regelung der Besteuerung des Erwerbs eines Grundstücks von Todes wegen diskriminierend sei und gegen Art. 56 EG in Verbindung mit Art. 58 EG verstoße, da sie – bei der Berechnung der Bemessungsgrundlage – die Berücksichtigung bestimmter Verbindlichkeiten erlaube, wenn der Erblasser zum Zeitpunkt des Todes in Belgien ansässig gewesen sei, jedoch nicht, wenn der Erblasser anderswo ansässig gewesen sei. Die Situationen eines Gebietsansässigen und eines Gebietsfremden seien in diesem Zusammenhang vergleichbar. Nach der belgischen Regelung würden in dieser Hinsicht grundsätzlich sowohl Gebietsansässige als auch Gebietsfremde im Hinblick auf die Erhebung von Erbschaftsteuern als Steuerpflichtige angesehen. Unter Berufung auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs(7) vertreten die Erben die Ansicht, dass infolgedessen Gebietsansässige und Gebietsfremde auch im Hinblick auf die Abzugsfähigkeit von Belastungen oder Verbindlichkeiten gleichbehandelt werden müssten.

27.      Zweitens rügen die Erben – hauptsächlich unter Berufung auf das Urteil Barbier(8) –, dass die in Rede stehende Regelung eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstelle, da die Bestimmungen, die den Abzug von Verbindlichkeiten im Zusammenhang mit Grundstücken verhinderten, eine Wertminderung des Nachlasses bewirkten, wenn der Erblasser gebietsfremd gewesen sei, während eine solche Wertminderung nicht eintrete, wenn der Erblasser in Belgien ansässig gewesen sei. Daher könne eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Person von der Investition in ein in Belgien belegenes Grundstück abgehalten werden, da sie wisse, dass ihre Erben höhere Erbschaftsteuern zu entrichten hätten als dann, wenn sie nicht in Belgien investiert hätte oder wenn sie in anderer Weise investiert hätte.

28.      Drittens machen die Erben auf der Grundlage ähnlicher Argumente geltend, dass die in Rede stehende belgische Regelung gegen die Rechte der Unionsbürger in den Art. 12 EG und 18 EG verstoße, in einem anderen Mitgliedstaat ihren Wohnsitz zu nehmen und nicht diskriminiert zu werden.

29.      In Erwiderung auf das Vorbringen der belgischen Regierung, dass das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen für unzulässig zu erklären sei, haben die Erben in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, dass die in Rede stehende Verbindlichkeit – auch nach belgischem Recht – in hinreichend engem Zusammenhang mit dem betroffenen Grundstück stehe. Es gebe in dieser Hinsicht keinen erheblichen Unterschied zwischen einer Hypothek und der hier in Rede stehenden hypothekarischen Vollmacht. Sie haben ferner darauf hingewiesen, dass die Verbindlichkeit von 220 000 Euro nicht in die Steuererklärung aufgenommen worden sei, weil dies nach belgischem Recht untersagt sei, wenn der Erblasser ein Gebietsfremder gewesen sei, und außerdem, weil die zuständige nationale Behörde ihnen geraten habe, dies nicht zu tun (dies sei eine Informationsquelle, auf die sie sich nach dem Grundsatz des Vertrauensschutzes hätten verlassen können)(9).

30.      Nach Ansicht der belgischen Regierung ist dagegen das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen für unzulässig zu erklären, da die vorgelegte Frage hypothetisch und für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens unerheblich sei. Die betroffene Verbindlichkeit sei in der Erbschaftsteuererklärung, die nach Ablauf der im WS gesetzten Frist für deren Einreichung endgültig geworden sei, nicht aufgeführt gewesen. Die zentrale Frage sei daher in Wirklichkeit der Ablauf der Frist für die Einreichung oder Berichtigung der Erbschaftsteuererklärung, und der Hof van beroep habe nicht dargetan, wie er unter diesen Umständen eine Vorabentscheidung über die Vorlagefrage berücksichtigen könne. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs stehe das Gemeinschaftsrecht in der Regel der Anwendung von Verfahrensregelungen des nationalen Rechts, wie Fristen, nicht entgegen(10).

31.      Zur materiellen Rechtslage führt die belgische Regierung aus, dass die unterschiedliche Behandlung in Bezug auf Verbindlichkeiten je nachdem, ob sie zum Nachlass eines Gebietsansässigen oder eines Gebietsfremden gehörten, keinen Verstoß gegen die in der vorliegenden Rechtssache angeführten Bestimmungen des Vertrags darstelle. Im Zusammenhang mit direkten Steuern, insbesondere mit der Besteuerung des Erwerbs im Wege der Erbschaft, seien die Situationen von Gebietsansässigen und Gebietsfremden in der Regel nicht vergleichbar.

32.      Nur der Mitgliedstaat, in dem der Erblasser ansässig gewesen sei, sei in der Lage, dessen wirtschaftliche Situation insgesamt zu bewerten und sämtliche Aktiva und Passiva bei der Berechnung der Erbschaftsteuern zu berücksichtigen. Eine Verbindlichkeit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art werde grundsätzlich vom Mitgliedstaat des Wohnsitzes des Erblassers stets berücksichtigt. Es gebe jedoch keinen rechtlichen Rahmen auf Gemeinschaftsebene für die Koordinierung der Befugnisse der Mitgliedstaaten im Bereich der Erbschaftsteuern. Der Abzug einer Verbindlichkeit wie der hier in Rede stehenden in dem Mitgliedstaat, in dem das Grundstück belegen sei, könne tatsächlich zu einem doppelten Abzug führen, den die Mitgliedstaaten verhindern dürften. Im vorliegenden Fall würden alle Verbindlichkeiten, die Teil des Vermögens der Erblasserin seien, in Deutschland, dem Mitgliedstaat, in dem sie gewohnt habe, berücksichtigt.

33.      Nach den Ausführungen der belgischen Regierung ist der vorliegende Fall von der Rechtssache Barbier(11) zu unterscheiden, da im letztgenannten Fall die Verbindlichkeit, die die Erben hätten abziehen wollen, einen inhärenten Bestandteil der unbeweglichen Sache dargestellt habe, die in dem Mitgliedstaat, in dem sie belegen gewesen sei, der Steuerpflicht unterlegen habe. Im vorliegenden Fall gebe es dagegen keinen Anhaltspunkt dafür, dass die in Rede stehende Verbindlichkeit – die nur durch eine hypothekarische Vollmacht und nicht durch eine Hypothek gesichert sei – in hinreichend engem Zusammenhang mit der unbeweglichen Sache im Sinne des Urteils Barbier stehe. Diese hypothekarische Vollmacht stehe nämlich im Zusammenhang mit allen gegenwärtigen und künftigen Vermögensgegenständen der betroffenen Person.

34.      Für den Fall, dass der Mitgliedstaat, in dem das Grundstück belegen sei, den Abzug von Verbindlichkeiten zuzulassen habe, die diesem Grundstück zuzurechnen seien, macht die belgische Regierung geltend, dass dies nur dann gelten solle, wenn die Verbindlichkeit eng mit dem Grundstück zusammenhänge und wenn sie nicht im Mitgliedstaat des Wohnsitzes des Erblassers abzugsfähig sei.

35.      Aus ähnlichen Gründen ist die belgische Regierung der Ansicht, dass die in Frage stehende belgische Regelung nicht gegen die Art. 12 EG, 17 EG und 18 EG verstoße.

36.      Die Kommission führt aus, dass die Unterscheidung, die in Bezug auf die Berechnung von Erbschaftsteuern zwischen in Belgien Gebietsansässigen und Gebietsfremden getroffen werde – mit der Folge, dass die Vererbung eines Grundstücks durch einen Gebietsfremden einer Vermögensübergangsteuer ohne Abzug von Verbindlichkeiten unterliege – eine verbotene Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstelle. Eine solche Bestimmung könne nur dann als mit dem freien Kapitalverkehr vereinbar angesehen werden, wenn sie entweder Situationen betreffe, die nicht objektiv miteinander vergleichbar seien, oder wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sei(12).

37.      Die Situationen eines Gebietsansässigen und eines Gebietsfremden seien für die vorliegenden Zwecke völlig miteinander vergleichbar. Die Stellung des Erblassers als Gebietsansässiger oder Gebietsfremder habe nämlich keinen Einfluss auf den Wert des in Belgien belegenen Grundstücks und der damit verbundenen Verbindlichkeiten oder des Nachlasses. Wie in der mündlichen Verhandlung klargestellt worden ist, vertritt die Kommission die Ansicht, dass die Verbindlichkeit im vorliegenden Fall durch die hypothekarische Vollmacht unmittelbar mit dem Wert des Grundstücks zusammenhänge.

38.      Ferner sei kein übergeordneter Grund im Zusammenhang mit dem Allgemeininteresse geltend gemacht worden, der die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könne. Was insbesondere die für die nationalen Behörden angeblich bestehende Schwierigkeit angehe, das Bestehen von Verbindlichkeiten nachzuprüfen, wenn der Erblasser in einem anderen Mitgliedstaat ansässig gewesen sei, obliege es in jedem Fall den Erben, eine solche Verbindlichkeit hinreichend nachzuweisen. Außerdem könne ein Mitgliedstaat nicht zur Rechtfertigung einer Beschränkung des freien Kapitalverkehrs einen Steuerkredit oder eine Vergünstigung anführen, die ein anderer Mitgliedstaat – wenn er dies wünsche – vorsehen könne.

39.      Schließlich hält es die Kommission nicht für erforderlich, die Vorlagefrage in Bezug auf die Art. 12 EG, 17 EG oder 18 EG zu beantworten.

B –    Würdigung

1.      Zulässigkeit der Vorlagefrage

40.      In Bezug auf die von der belgischen Regierung geltend gemachte Unzulässigkeit sei daran erinnert, dass es nach ständiger Rechtsprechung allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, ist, im Hinblick auf die Besonderheiten der bei ihm anhängigen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen(13).

41.      Wenn die von den nationalen Gerichten vorgelegten Fragen die Auslegung einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts betreffen, ist der Gerichtshof somit grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden, es sei denn, er soll offensichtlich in Wirklichkeit dazu veranlasst werden, über einen konstruierten Rechtsstreit zu entscheiden oder Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen abzugeben, die begehrte Auslegung des Gemeinschaftsrechts steht in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Rechtsstreits oder der Gerichtshof verfügt nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind(14).

42.      Im vorliegenden Fall steht fest, dass die in Rede stehende Verbindlichkeit von den Erben nicht innerhalb der nach dem WS eröffneten Frist für die Einreichung oder Berichtigung der Erbschaftsteuererklärung, die mit Ablauf dieser Frist endgültig geworden ist, angegeben worden ist.

43.      Die belgische Regierung hat auch – zu Recht – darauf hingewiesen, dass das Gemeinschaftsrecht die Anwendung solcher nach nationalem Recht gesetzter Fristen in der Regel nicht verbiete. In dieser Hinsicht ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass grundsätzlich die Festsetzung angemessener Fristen in Bezug auf Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren und die Regel, dass eine Verwaltungsentscheidung nach Ablauf einer solchen Frist bestandskräftig wird, mit den Anforderungen der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts vereinbar sind, da solche Verfahrensbestimmungen eine Anwendung des Grundprinzips der Rechtssicherheit darstellen(15).

44.      Aus den Akten und aus dem Vorbringen der Erben wird jedoch deutlich, dass es in der vorliegenden Rechtssache um mehr als den bloßen Umstand geht, dass die Fristen für die Einreichung der Erbschaftsteuererklärung – gegen die meines Erachtens als solche keine Einwände erhoben werden können – von den Erben nicht eingehalten worden sind. Insbesondere dürfte die Nichteinbeziehung der in Rede stehenden Verbindlichkeit im Zusammenhang damit stehen, dass das belgische Erbrecht die Einbeziehung solcher Verbindlichkeiten nicht vorsieht und, mehr noch, mit dem Umstand, dass den Erben von den belgischen Steuerbehörden eine entsprechende Auskunft erteilt worden ist.

45.      Letztlich geht es daher im vorliegenden Rechtsstreit um die materiellen Bestimmungen des WS und nicht um seine Verfahrensbestimmungen, die wiederum, je nachdem, wie die Vorabentscheidungsfrage beantwortet ist, auf einer falschen Anwendung des Gemeinschaftsrechts beruhen(16).

46.      Vor diesem Hintergrund steht keineswegs fest, dass das vorlegende Gericht bei der Entscheidung über das Rechtsmittel der Erben – allein deshalb, weil die Erbschaftsteuererklärung ohne Erwähnung der in Rede stehenden Verbindlichkeit endgültig geworden ist – eine Vorabentscheidung über die vorgelegte Frage nicht berücksichtigen dürfen sollte.

47.      Daher ist es nicht offensichtlich im Sinne der erwähnten Rechtsprechung, dass die im vorliegenden Verfahren vorgelegte Frage – wie die belgische Regierung behauptet – hypothetisch oder für das im Ausgangsverfahren zu erlassende Urteil unerheblich wäre.

48.      Meines Erachtens ist die zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage daher zulässig.

2.      Materielle Rechtslage

49.      Die Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob das Gemeinschaftsrecht, insbesondere die Bestimmungen des Vertrags über die Freiheit der Unionsbürger, ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat zu nehmen, und über den freien Kapitalverkehr einer nationalen Erbschaftsteuerregelung wie der im Ausgangsverfahren betroffenen entgegenstehen, wonach – für die Bestimmung der Bemessungsgrundlage für die Steuer, die beim Erwerb eines im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats belegenen Grundstücks von Todes wegen geschuldet wird – bestimmte Belastungen berücksichtigt werden müssen, wie Verbindlichkeiten, die durch das Recht des Gläubigers gesichert sind, eine Hypothek an dem Grundstück zu bestellen, wenn die Person, die das Grundstück vererbt hat, zum Zeitpunkt ihres Todes in diesem Mitgliedstaat gebietsansässig war (Erbschaftsteuer), nicht aber, wenn die Person in einem anderen Mitgliedstaat ansässig war(17) (Vermögensübergangsteuer).

50.      Wie die am vorliegenden Verfahren Beteiligten vorschlagen, und im Einklang mit der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs über die Besteuerung des Erwerbs von Todes wegen, werde ich damit beginnen, diese Frage in Bezug auf den freien Kapitalverkehr zu prüfen(18).

51.      Vorab sei bemerkt, dass, wie die Kommission richtig ausgeführt hat, die für die Umstände des vorliegenden Falls wichtigste Bestimmung Art. 58 EG in Verbindung mit Art. 56 EG und nicht Art. 57 EG ist, wie in der Vorlagefrage ausgeführt wird.

52.      Als Nächstes sei daran erinnert, dass nach gefestigter Rechtsprechung die direkten Steuern zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, diese ihre Befugnisse jedoch unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben müssen(19).

53.      Was im Einzelnen die sachliche Anwendbarkeit der Bestimmungen des Vertrags über den freien Kapitalverkehr auf einen Fall wie den vorliegenden – der zwischen den Beteiligten des vorliegenden Verfahrens in der Tat unstreitig ist –, betrifft, so ist nach ständiger Rechtsprechung eine Erbschaft Kapitalverkehr im Sinne von Art. 56 EG (früher Art. 73b EG-Vertrag); ausgenommen sind die Fälle, die mit keinem ihrer wesentlichen Elemente über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen(20).

54.      Hierzu genügt die Anmerkung, dass der Sachverhalt in der beim Hof van beroep te Gent anhängigen Rechtssache eindeutig nicht rein inländisch ist, da es um die Besteuerung des Erwerbs eines Grundstücks im Wege der Erbschaft von einer Person geht, die zum Zeitpunkt ihres Todes in einem anderen Mitgliedstaat als in Belgien ansässig war, d. h. in einem anderen als dem Mitgliedstaat, in dem das Grundstück belegen ist.

55.      Die Erbschaft, um die es im Ausgangsverfahren geht, wird daher von den Bestimmungen des Vertrags über den freien Kapitalverkehr erfasst.

56.      Deshalb ist zu prüfen, ob eine nationale Regelung wie die hier streitige auf eine verbotene Beschränkung des freien Kapitalverkehrs hinausläuft.

57.      In diesem Zusammenhang sei bemerkt, dass der Gerichtshof im Urteil Barbier – bei dem es auch um die Besteuerung eines Grundstücks ging, das von einem Gebietsfremden vererbt worden war – entschieden hat, dass zu den nach Art. 56 EG als Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs verbotenen Maßnahmen solche Maßnahmen gehören, die eine Wertminderung des Nachlasses von jemandem bewirken können, der in einem anderen Mitgliedstaat als dem ansässig ist, in dem sich die betreffenden Vermögensgegenstände befinden und der deren Erwerb von Todes wegen besteuert(21).

58.      In der vorliegenden Rechtssache ist nicht bestritten, dass – wie die Erben und die Kommission vorgetragen haben – die Wirkung der Regelung, nach der Verbindlichkeiten von der Art der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden im Zusammenhang mit einem Grundstück, das von einem Gebietsfremden vererbt worden ist, nicht abzugsfähig sind, darin besteht, den Wert des Nachlasses zu mindern, soweit sie dazu führt, dass der Nachlass in Belgien einer höheren Steuer unterliegt, als sie zu entrichten wäre, wenn das Grundstück durch eine zum Zeitpunkt ihres Todes im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats ansässige Person vererbt worden wäre.

59.      Daraus folgt, dass die in Rede stehende nationale Regelung der Steuern vom Nachlass grundsätzlich geeignet ist, den freien Kapitalverkehr insoweit zu beschränken, als sie die Abzugsfähigkeit bestimmter Verbindlichkeiten von der Voraussetzung abhängig macht, dass das betreffende Grundstück von einer in diesem Mitgliedstaat ansässigen Person vererbt worden ist.

60.      Somit ist zu prüfen, ob diese Beschränkung im Hinblick auf die Bestimmungen des Vertrags gerechtfertigt werden kann.

61.      Die belgische Regierung beruft sich im Wesentlichen auf zwei Hauptargumente, um darzutun, dass diese Regelung mit den Bestimmungen des Vertrags über den freien Kapitalverkehr vereinbar sei und dass die Unterscheidung, auf der sie beruhe, gerechtfertigt sei. Erstens macht sie, gestützt auf das Urteil Schumacker(22), geltend, dass die in Frage stehende unterschiedliche Behandlung einen objektiven Unterschied zwischen den Situationen eines Gebietsansässigen und eines Gebietsfremden widerspiegele. Zweitens, und in engem Zusammenhang mit diesem Argument, weist sie darauf hin, dass es nach den Regeln über die Aufteilung der Steuerhoheit Sache des Mitgliedstaats des Wohnsitzes des Erblassers sei – der allein in der Lage sei, dessen wirtschaftliche Stellung insgesamt zu beurteilen –, sämtliche Aktiva und Passiva im Zusammenhang mit dem Nachlass, einschließlich von Verbindlichkeiten der in Rede stehenden Art, zu berücksichtigen.

62.      In dieser Hinsicht trifft es zu, dass, wie die belgische Regierung ausgeführt hat, der Gerichtshof im Urteil Schumacker und in ähnlichen Fällen angenommen hat, dass in Bezug auf direkte Steuern die Situationen von Gebietsansässigen und Gebietsfremden in der Regel nicht vergleichbar sind, so dass es im Steuerrecht möglich ist, dass der Wohnsitz des Steuerzahlers einen Faktor darstellt, der nationale Bestimmungen rechtfertigt, die eine unterschiedliche Behandlung von gebietsansässigen und gebietsfremden Steuerzahlern vorsehen(23), wobei die Rolle des Wohnsitzkriteriums als Anknüpfungspunkt für die Zuweisung der Besteuerungsbefugnisse anerkannt wird.

63.      In der gleichen Weise bestimmt Art. 58 Abs. 1 Buchst. a EG ausdrücklich: „Artikel 56 [EG] berührt nicht das Recht der Mitgliedstaaten, ... die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln ...“

64.      Der Gerichtshof hat jedoch wiederholt darauf hingewiesen, dass diese Bestimmung als Ausnahme vom Grundprinzip des freien Kapitalverkehrs eng auszulegen ist und dass nicht jede Steuerregelung, die zwischen Steuerpflichtigen nach ihrem Wohnort oder nach dem Mitgliedstaat ihrer Kapitalanlage unterscheidet, ohne Weiteres mit dem Vertrag vereinbar ist(24).

65.      Auch ist die in Art. 58 Abs. 1 Buchst. a EG vorgesehene Ausnahme ihrerseits eingeschränkt durch Art. 58 Abs. 3 EG, wonach die in Art. 58 Abs. 1 EG genannten Maßnahmen „weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs im Sinne des Art. 56 [EG] darstellen [dürfen]“.

66.      Daher muss unterschieden werden zwischen einer nach Art. 58 Abs. 1 Buchst. a EG erlaubten Ungleichbehandlung und einer nach Art. 58 Abs. 3 EG verbotenen willkürlichen Diskriminierung. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann eine nationale Regelung nur dann als mit den Vertragsbestimmungen über den freien Kapitalverkehr vereinbar angesehen werden, wenn die unterschiedliche Behandlung entweder Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist(25).

67.      Was die Ermittlung von Situationen angeht, die in Bezug auf eine bestimmte nationale steuerliche Maßnahme objektiv miteinander vergleichbar sind(26), ergibt sich aus der Rechtsprechung insbesondere, dass dann, wenn sich ein Mitgliedstaat dafür entschieden hat, eine bestimmte Form von Steuern von Gebietsfremden wie auch von Gebietsansässigen zu erheben, daraus folgt, dass Gebietsansässige und Gebietsfremde auch in Bezug auf Abzüge im Zusammenhang mit dieser Steuer als vergleichbar betrachtet werden müssen(27). Im gleichen Kontext hat der Gerichtshof es auch für erheblich gehalten, zu bestimmen, ob Kosten, Belastungen oder Verpflichtungen, deren Abzugsfähigkeit oder Berücksichtigung im Hinblick auf eine Steuer in Rede steht, „unmittelbar“ mit den Einkünften, dem Vermögen oder dem steuerpflichtigen Ereignis zusammenhängen, auf die bzw. das Steuer erhoben wird(28).

68.      Vor diesem Hintergrund sei in der vorliegenden Rechtssache erstens angemerkt, dass, was die Erhebung der Erbschaftsteuer in Bezug auf in Belgien belegene Grundstücke angeht, sowohl der Nachlass eines Gebietsansässigen als auch der Nachlass eines Gebietsfremden nach dem WS der Steuer unterliegt. Obwohl der Form nach im Fall eines Gebietsansässigen „Erbschaftsteuer“ und im Fall eines Gebietsfremden „Vermögensübergangsteuer“ erhoben wird, bleibt es meines Erachtens dabei, dass Gebietsansässige und Gebietsfremde nach dem belgischen Recht der Steuern vom Nachlass im Hinblick auf die Verpflichtung zur Entrichtung der Erbschaftsteuer auf ein in Belgien belegenes Grundstück grundsätzlich als vergleichbar angesehen werden.

69.      Zweitens werden die anwendbaren Erbschaftsteuern zwar formal vom Wert des Grundstücks erhoben, das Teil des Nachlasses eines Gebietsfremden darstellt, doch darf nicht übersehen werden, dass die Erbschaft bei den Erben besteuert wird. Daher betrifft die Sache nicht ausschließlich die persönliche Lage des Erblassers, und die Verpflichtung des Mitgliedstaats seines Wohnsitzes, gemäß dem Wohnsitzprinzip, auf das sich die belgische Regierung beruft, alle seine persönlichen Umstände und Verpflichtungen zu berücksichtigen, da es die Erben sind, die nach dem WS die Steuerpflichtigen sind und die zur Entrichtung der Steuer entsprechend ihrem Anteil an der Erbschaft verpflichtet sind.

70.      Insbesondere kann man sich in einer Situation, in der die Erben selbst in Belgien ansässig sind und für sie offensichtlich die gleiche Regel der Nichtabzugsfähigkeit gelten würde, wie sie bei Erwerb eines Grundstücks durch Erbschaft von einem Gebietsfremden gilt, sehr wohl fragen, ob der Wohnsitzstaat wirklich besser in der Lage wäre, Verpflichtungen wie die hier streitigen zu berücksichtigen. Zudem liegt, wie die Kommission ausgeführt hat, die Beweislast für das Bestehen der betreffenden Verbindlichkeit in jedem Fall bei den Erben, unabhängig davon, ob die Person, zu deren Nachlass die Verbindlichkeit gehört, gebietsansässig war oder nicht.

71.      Schließlich ist die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verbindlichkeit – nach den Erklärungen der Verfahrensbeteiligten und des vorlegenden Gerichts – durch eine hypothekarische Vollmacht gesichert, die es ermöglicht, das ererbte Grundstück mit einer entsprechenden Hypothek zu belasten.

72.      Obwohl, wie die belgische Regierung hervorgehoben hat, die Verbindung zwischen dem Grundstück und der in Rede stehenden Verbindlichkeit im vorliegenden Fall sich offensichtlich technisch beispielsweise von der Übertragungsverpflichtung und dem Nachlass, um die es im Urteil Barbier(29) ging, unterscheidet, sehe ich weder diesen Unterschied in diesem Zusammenhang als erheblich an, noch betrachte ich ihn als dafür ausreichend, den Gerichtshof in die Lage zu versetzen, den vorliegenden Fall von jenem Fall zu unterscheiden. Es bleibt dabei, dass ein Zusammenhang besteht, da die auf diese Weise gesicherten Verbindlichkeiten in jedem Fall das betreffende Grundstück, das der Steuer unterliegt, belasten können(30).

73.      Im Licht der vorstehenden Erwägungen ist nicht dargetan, dass der bloße Umstand, dass der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes in dem Mitgliedstaat, in dem ein Grundstück, das Teil seines Vermögens ist, belegen ist, gebietsfremd war, eine objektive Rechtfertigung dafür darstellen könnte, dass einem Erben in einer Situation wie der, mit der das vorlegende Gericht befasst ist, der Abzug einer solchen Schuld verweigert wird, wenn ein Erbe in der gleichen Situation, der jedoch einen Gebietsansässigen beerbt, das Recht hätte, selbst eine Steuervergünstigung zu beanspruchen.

74.      Was schließlich das Vorbringen der belgischen Regierung angeht, dass die Berücksichtigung der in Rede stehenden Verbindlichkeit im vorliegenden Fall zu einem doppelten Abzug führen könnte, so verliert nach ständiger Rechtsprechung ein Gemeinschaftsangehöriger das Recht, sich auf die Bestimmungen des Vertrags zu berufen, nicht deshalb, weil er steuerliche Vorteile nutzt, die ihm nach den in einem anderen Mitgliedstaat als seinem Wohnstaat geltenden Vorschriften legal offenstehen(31).

75.      Da keine überwiegenden Gründe des Allgemeininteresses vorgetragen worden sind, die die in Rede stehende Regelung rechtfertigen könnten, ist der Schluss zu ziehen, dass die herbeigeführte unterschiedliche steuerliche Behandlung eine willkürliche Diskriminierung im Sinne von Art. 58 Abs. 3 EG und der erwähnten Rechtsprechung(32) darstellt und daher mit den Bestimmungen des Vertrags über den freien Kapitalverkehr unvereinbar ist.

76.      Aus den vorstehenden Erwägungen geht klar hervor, dass es nicht nötig ist, die Vorlagefrage in Bezug auf die Bestimmungen des Vertrags über die Freiheit der Unionsbürger, ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat zu nehmen, zu prüfen(33).

77.      Meines Erachtens muss die Antwort auf die Vorlagefrage daher lauten, dass die Bestimmungen des Vertrags über den freien Kapitalverkehr eine nationale Regelung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art ausschließen, wonach – bei der Bestimmung der Bemessungsgrundlage der Steuer, die auf den Erwerb eines im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats belegenen Grundstücks von Todes wegen geschuldet wird – bestimmte Belastungen wie Verbindlichkeiten, die durch das einem Gläubiger verliehene Recht gesichert sind, eine Hypothek an dem vererbten Grundstück zu bestellen, zu berücksichtigen, wenn die Person, von der das Grundstück vererbt wurde, zum Zeitpunkt ihres Todes in diesem Mitgliedstaat ansässig war, nicht aber, wenn diese Person in einem anderen Mitgliedstaat ansässig war.

V –    Ergebnis

78.      Aus den dargelegten Gründen schlage ich vor, auf die vom Hof van beroep te Gent vorgelegte Frage wie folgt zu antworten:

Die Bestimmungen des Vertrags über den freien Kapitalverkehr schließen eine nationale Regelung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art aus, wonach – bei der Bestimmung der Bemessungsgrundlage der Steuer, die auf den Erwerb eines im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats belegenen Grundstücks von Todes wegen geschuldet wird – bestimmte Belastungen wie Verbindlichkeiten, die durch das einem Gläubiger verliehene Recht gesichert sind, eine Hypothek an dem vererbten Grundstück zu bestellen, zu berücksichtigen, wenn die Person, von der das Grundstück vererbt wurde, zum Zeitpunkt ihres Todes in diesem Mitgliedstaat ansässig war, nicht aber, wenn diese Person in einem anderen Mitgliedstaat ansässig war.


1 – Originalsprache: Englisch.


2 – Arens-Sikken, beim Gerichtshof anhängig.


3 – Urteil vom 11. Dezember 2003 (C-364/01, Slg. 2003, I-15013).


4 – Urteil vom 3. Juni 2006 (C-513/03, Slg. 2006, I-1957).


5 – ABl. L 178, S. 5.


6 – Angeführt in Fn. 3.


7 – Insbesondere Urteile vom 28. Januar 1986, Kommission/Frankreich (270/83, Slg. 1986, 273), vom 21. September 1999, Saint-Gobain (C-307/97, Slg. 1999, I-6161), und Barbier, angeführt in Fn. 3.


8 – Angeführt in Fn. 3, Randnr. 62.


9 – In dieser Hinsicht wurde auf das Urteil vom 14. September 2006, Elmeka (C-181/04 bis C-183/04, Slg. 2006, I-8167), verwiesen.


10 – Unter Verweisung auf das Urteil vom 16. Dezember 1976, Comet (45/76, Slg. 1976, 2043, Randnr. 19).


11 – Angeführt in Fn. 3.


12 – Urteil vom 8. September 2005, Blanckaert (C-512/03, Slg. 2005, I-7685, Randnr. 42).


13 – Vgl. hierzu insbesondere Urteile vom 29. Januar 2008, Promusicae (C-275/06, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 36), vom 30. März 2000, Jämställdhetsombudsmannen (C-236/98, Slg. 2000, I-2189, Randnr. 30), und vom 10. Juli 1997, Palmisani (C-261/95, Slg. 1997, I-4025, Randnr. 18).


14 – Vgl. hierzu insbesondere Urteile Promusicae, angeführt in Fn. 13, Randnr. 37, und vom 14. Dezember 2006, Confederación Española de Empresarios de Estaciones de Servicio (C-217/05, Slg. 2006, I-11987, Randnr. 16 und die dort angeführte Rechtsprechung).


15 – Vgl. hierzu insbesondere Urteile Palmisani, angeführt in Fn. 13, Randnr. 28, vom 13. Januar 2004, Kühne & Heitz (C-453/00, Slg. 2004, I-837, Randnr. 24), und Comet, angeführt in Fn. 10, Randnr. 18.


16 – Außerdem kann das Ausgangsverfahren, wie die Erben vorgetragen haben, Probleme des Schutzes der berechtigten Erwartungen aufwerfen.


17 – Das heißt, wenn sie zum Zeitpunkt ihres Todes in einem anderen Mitgliedstaat als dem Mitgliedstaat ansässig war, in dem das betreffende Grundstück belegen ist.


18 – Vgl. hierzu u. a. Urteil Barbier, angeführt in Fn. 3, Randnrn. 57, 58 und 75. Die folgende Würdigung entspricht, soweit die beiden Rechtssachen der Struktur nach einander ähneln, meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Arens-Sikken, angeführt in Fn. 2, auf die ich Bezug nehme, wo es angebracht ist.


19 – Vgl. u. a Urteile vom 7. September 2004 , Manninen (C-319/02, Slg. 2004, I-7477, Randnr. 19), vom 14. September 2006, Centro di Musicologia Walter Stauffer (C-386/04, Slg. 2006, I-8203, Randnr. 15), und vom 29. März 2007, Rewe Zentralfinanz (C-347/04, Slg. 2007, I-2647, Randnr. 21).


20 – Vgl. hierzu u. a. Urteil vom 17. Januar 2008, Jäger (C-256/06, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 25), und van Hilten-van der Heijden, angeführt in Fn. 4, Randnr. 42.


21 – Vgl. hierzu Urteile Barbier, angeführt in Fn. 3, Randnr. 62, van Hilten-van der Heijden, angeführt in Fn. 4, Randnr. 44, und, in neuester Zeit, Jäger, angeführt in Fn. 20, Randnr. 30.


22 – Urteil vom 14. Februar 1995 (C-279/93, Slg. 1995, I-225).


23 – Vgl. hierzu Urteil Schumacker, angeführt in Fn. 22, Randnrn. 31 und 33.


24 – Vgl. z. B. Urteile vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer (C-446/03, Slg. 2005, I-10837, Randnr. 37), Manninen, angeführt in Fn. 19, Randnr. 28, und Jäger, angeführt in Fn. 20, Randnr. 40.


25 – Vgl. z. B. Urteile Manninen, angeführt in Fn. 19, Randnrn. 28 und 29, vom 6. Juni 2000, Verkooijen (C-35/98, Slg. 2000, I-4071, Randnr. 43), vom 5. Juli 2005, D. (C-376/03, Slg. 2005, I-5821, Randnr. 25), und Blanckaert, angeführt in Fn. 12, Randnr. 42.


26 – Vgl. hierzu eingehender meine Schlussanträge in der Rechtssache Arens-Sikken, angeführt in Fn. 2, Nrn. 73 bis 77.


27 – Vgl. hierzu Urteile Kommission/Frankreich, angeführt in Fn. 7, Randnr. 20, vom 14. Dezember 2006, Denkavit (C-170/05, Slg. 2006, I-11949, Randnr. 35); vgl. auch Schlussanträge von Generalanwalt Lenz vom 5. November 1996, Futura Participations und Singer (C-250/95, Slg. 1997, I-2471, Nrn. 38 und 39).


28 – Vgl. hierzu u. a. Urteile vom 12. Juni 2003, Gerritse (C-234/01, Slg. 2003, I-5933, Randnrn. 27 und 28), vom 19. Januar 2006, Bouanich (C-265/04, Slg. 2006, I-923, Randnr. 40), und Jäger, angeführt in Fn. 20, Randnr. 44.


29 – Angeführt in Fn. 3.


30 – Vgl. in dieser Hinsicht meine Schlussanträge in der Rechtssache Arens-Sikken, angeführt in Fn. 2, Nr. 79 und Fn. 35.


31 – Unter anderem Urteil Barbier, angeführt in Fn. 3, Randnr. 71. Vgl. hierzu eingehender auch meine Schlussanträge in der Rechtssache Arens-Sikken, angeführt in Fn. 2, Nrn. 66 und 86 bis 89.


32 – Vgl. oben, Nr. 67.


33 – Vgl. hierzu Urteil Barbier, angeführt in Fn. 3, Randnr. 75.