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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PAOLO MENGOZZI

vom 13. Mai 20091(1)

Rechtssache C-242/08

Swiss Re Germany Holding GmbH

gegen

Finanzamt München für Körperschaften

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesfinanzhofs, Deutschland)

„Mehrwertsteuer – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Bestimmung des Leistungsorts – Befreiungen – Begriff ‚Versicherungs- und Rückversicherungsumsätze‘ – Entgeltliche Übertragung einer Reihe von Rückversicherungsverträgen an einen in einem Drittstaat ansässigen Erwerber“





1.        In der vorliegenden Rechtssache, die auf einer Reihe von Vorlagefragen des Bundesfinanzhofs, des höchsten deutschen Finanzgerichts, beruht, hat der Gerichtshof verschiedene Aspekte des auf Versicherungsgeschäfte anwendbaren Mehrwertsteuersystems genauer zu bestimmen. Insbesondere wird zu klären sein, ob auch die Übertragung von Versicherungsverträgen von einem Versicherer auf einen anderen für steuerliche Zwecke als „Versicherungsumsatz“ anzusehen ist.

I –    Rechtlicher Rahmen

2.        Die Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie(2) unterscheidet die steuerbaren Umsätze allgemein in zwei große Gruppen: Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen. Art. 5 definiert die Lieferung von Gegenständen wie folgt:

„(1)  Als Lieferung eines Gegenstands gilt die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.

(2)       Als Gegenstand gelten Elektrizität, Gas, Wärme, Kälte und ähnliche Sachen.

…“

3.        Art. 6 bestimmt: „Als Dienstleistung gilt jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstands im Sinne des Artikels 5 ist.“ Insbesondere kann eine solche bestehen „in der Abtretung eines unkörperlichen Gegenstands, gleichgültig, ob in einer Urkunde verbrieft oder nicht“.

4.        Für die vorliegende Rechtssache sind die Art. 9 und 13 der Sechsten Richtlinie von Bedeutung, die spezifische Regelungen zu Versicherungs- und Rückversicherungsumsätzen enthalten.

5.        Art. 9 sieht vor, dass für die Zwecke der Mehrwertsteuer als Ort einer Dienstleistung allgemein der Ort gilt, an dem der Dienstleistende seinen Sitz hat. Derselbe Artikel enthält jedoch einige Ausnahmen von diesem allgemeinen Grundsatz; insbesondere gilt nach Abs. 2 Buchst. e

„als Ort der folgenden Dienstleistungen, die an außerhalb der Gemeinschaft ansässige Empfänger oder an innerhalb der Gemeinschaft, jedoch außerhalb des Landes des Dienstleistenden ansässige Steuerpflichtige erbracht werden, der Ort, an dem der Empfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, für welche die Dienstleistung erbracht worden ist, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort:

–        Bank-, Finanz- und Versicherungsumsätze, einschließlich Rückversicherungsumsätze, ausgenommen die Vermietung von Schließfächern,

…“.

6.        Art. 13 der Sechsten Richtlinie legt eine Reihe von Befreiungen von der Mehrwertsteuer fest. Insbesondere sieht Teil B des Artikels Folgendes vor:

„Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:

a)       die Versicherungs- und Rückversicherungsumsätze einschließlich der dazugehörigen Dienstleistungen, die von Versicherungsmaklern und -vertretern erbracht werden;

c)       die Lieferungen von Gegenständen, die ausschließlich für eine auf Grund dieses Artikels oder des Artikels 28 Absatz 3 Buchstabe b) von der Steuer befreite Tätigkeit bestimmt waren, wenn für diese Gegenstände kein Vorsteuerabzug vorgenommen werden konnte, sowie die Lieferungen von Gegenständen, deren Anschaffung oder Zuordnung nach Artikel 17 Absatz 6 vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen war;

d)       die folgenden Umsätze:

2.       die Vermittlung und die Übernahme von Verbindlichkeiten, Bürgschaften und anderen Sicherheiten und Garantien sowie die Verwaltung von Kreditsicherheiten durch die Kreditgeber,

3.       die Umsätze – einschließlich der Vermittlung – im Einlagengeschäft und Kontokorrentverkehr, im Zahlungs- und Überweisungsverkehr, im Geschäft mit Forderungen, Schecks und anderen Handelspapieren, mit Ausnahme der Einbeziehung von Forderungen,

…“

II – Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

7.        Die Swiss Re Germany Holding GmbH (im Folgenden: Swiss Re) mit Sitz in Deutschland ist im Rückversicherungsgeschäft tätig. Im Laufe des Jahres 2002 übertrug sie(3) auf die in der Schweiz ansässige Gesellschaft S, die derselben Konzerngruppe wie Swiss Re angehört, 195 Rückversicherungsverträge. Bei den Vertragspartnern dieser Verträge handelte es sich um in anderen Staaten als Deutschland – in Mitgliedstaaten wie in Drittstaaten – ansässige Versicherungsgesellschaften.

8.        Die Übertragung der Verträge erfolgte gegen Zahlung eines Geldbetrags durch die Gesellschaft S. Bei der Berechnung dieses Betrags wurde für 18 der 195 Verträge ein negativer Wert angesetzt. Für die Bestimmung des Endpreises der Übertragung wurde also der Wert dieser 18 Verträge von dem Gesamtwert der anderen 177 Verträge abgezogen.

9.        Für die Wirksamkeit der Übertragung der Rückversicherungsverträge war die Zustimmung der Vertragspartner erforderlich, die diese Verträge mit Swiss Re geschlossen hatten (also gewissermaßen der Versicherungsgesellschaften „ersten Grades“). Die Gesellschaft S trat in die Rechte und Pflichten von Swiss Re aus den übertragenen Verträgen ein.

10.      Die deutschen Steuerbehörden, genauer gesagt das Finanzamt München für Körperschaften (im Folgenden: Finanzamt), sahen die Übertragung der Verträge als eine in Deutschland erfolgte Lieferung von Gegenständen an und verlangten dementsprechend die Zahlung von Mehrwertsteuer auf den Wert des Umsatzes. Diese Entscheidung focht Swiss Re, die die Mehrwertsteuer für nicht geschuldet hielt, vor den nationalen Gerichten an.

11.      Das vorlegende Gericht geht auf der Grundlage des deutschen Rechts davon aus, dass es sich bei dem betreffenden Geschäft um eine in Deutschland erbrachte Dienstleistung handle, die mehrwertsteuerpflichtig sei. Das Gericht hat jedoch Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit dieser nationalen Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht und hat daher dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Sind Art. 9 Abs. 2 Buchst. e fünfter Gedankenstrich und Art. 13 Teil B Buchst. a, Buchst. d Nrn. 2 und 3 der Sechsten Richtlinie dahin gehend auszulegen, dass die gegen einen vom Erwerber zu entrichtenden Kaufpreis erfolgende Übernahme eines Lebensrückversicherungsvertrags, auf dessen Grundlage der Erwerber des Vertrags die durch den bisherigen Versicherer ausgeübte steuerfreie Rückversicherungstätigkeit mit Zustimmung des Versicherungsnehmers übernimmt und nunmehr anstelle des bisherigen Versicherers steuerfreie Rückversicherungsleistungen gegenüber dem Versicherungsnehmer erbringt,

a)      als Versicherungs- oder Bankumsatz im Sinne von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e fünfter Gedankenstrich der Sechsten Richtlinie oder

b)      als Rückversicherungsumsatz nach Art. 13 Teil B Buchst. a der Sechsten Richtlinie oder

c)      als Umsatz, der im Wesentlichen aus der steuerfreien Übernahme einer Verbindlichkeit einerseits und aus einem steuerfreien Umsatz im Geschäft mit Forderungen andererseits besteht, nach Art. 13 Teil B Buchst. d Nrn. 2 und 3 der Sechsten Richtlinie

anzusehen ist?

2.      Ändert sich die Antwort auf die Frage 1, wenn nicht der Erwerber, sondern der bisherige Versicherer ein Entgelt für die Übertragung entrichtet?

3.      Falls die Frage 1 Buchst. a, b und c zu verneinen ist: Ist Art. 13 Teil B Buchst. c der Sechsten Richtlinie dahin gehend auszulegen, dass

–        die entgeltliche Übertragung von Lebensrückversicherungsverträgen eine Lieferung ist und

–        dass bei Anwendung von Art. 13 Teil B Buchst. c der Sechsten Richtlinie nicht danach zu differenzieren ist, ob sich der Ort der von der Steuer befreiten Tätigkeiten im Mitgliedstaat der Lieferung oder in einem anderen Mitgliedstaat befindet?

III – Rechtliche Würdigung

A –    Zum Wesen des betreffenden Umsatzes (Beantwortung der dritten Vorlagefrage)

12.      Die Antwort an das vorlegende Gericht setzt als ersten logischen Schritt die Bestimmung des Wesens des betreffenden Umsatzes im Sinne der Sechsten Richtlinie voraus, insbesondere, ob es sich um eine Lieferung von Gegenständen oder um eine Dienstleistung handelt.

13.      Da die dritte Vorlagefrage zu einer etwaigen Befreiung des Umsatzes gemäß Art. 13 Teil B Buchst. c der Sechsten Richtlinie von der Voraussetzung ausgeht, dass der genannte Umsatz als Lieferung von Gegenständen angesehen werden kann, wäre diese Frage bei dessen Einordnung als Dienstleistung bereits zu verneinen.

14.      Wie oben ausgeführt, gingen die deutschen Steuerbehörden davon aus, dass die Übertragung der Verträge eine Lieferung von Gegenständen sei. Im Gegensatz dazu ist das vorlegende Gericht der Auffassung, dass es sich auf der Grundlage des nationalen Rechts um eine Dienstleistung handle. Auch alle Verfahrensbeteiligten, die vorliegend Erklärungen abgegeben haben, sind mit Ausnahme des Finanzamts übereinstimmend der Auffassung, dass eine Dienstleistung vorliege, da nach Art. 5 der Richtlinie als Lieferung von Gegenständen nur die Lieferung von körperlichen Gegenständen gelte und Dienstleistungen nach Art. 6 alle Leistungen seien, die keine Lieferung von Gegenständen seien. Die deutsche Regierung weist insbesondere auf die unkörperliche Natur des Gegenstands der Übertragung hin, der aus einer Reihe von Verträgen bestehe, die jeder für sich eine Gesamtheit von Rechten und Pflichten umfasse, also von Gegenständen, die definitionsgemäß unkörperlich seien. Die griechische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission äußern sich gleichermaßen, ohne dass sie es für besonders erforderlich hielten, die Frage, die ihrer Auffassung nach keinen Anlass zu Auslegungszweifeln gibt, zu vertiefen.

15.      Interessant ist übrigens, dass Swiss Re selbst in ihren schriftlichen Erklärungen davon ausgeht, dass im konkreten Fall die Befreiung nach Art. 13 Teil B Buchst. c der Richtlinie keine Anwendung finden könne, da sie nur für körperliche bewegliche Gegenstände gelte und die übertragenen Verträge nicht solche darstellten. Und dies, obwohl Swiss Re zumindest in zweiter Linie ein Interesse daran haben könnte, die Übertragung der Verträge als Lieferung von Gegenständen zu qualifizieren, um von der vom vorlegenden Gericht in der dritten Vorlagefrage aufgezeigten Befreiungsmöglichkeit zu profitieren.

16.      Das Finanzamt stützt seine Auffassung, dass die Übertragung der in Frage stehenden Verträge eine Lieferung von Gegenständen sei, hauptsächlich auf die Erklärung für das Protokoll über die Sitzung des Rates, in der die Richtlinie genehmigt wurde(4), wonach der Rat und die Kommission erklären, dass das Überlassen eines Kundenstamms in Zusammenhang mit einer von der Steuer befreiten Tätigkeit unter den Befreiungstatbestand des Art. 13 Teil B Buchst. c falle.

17.      Ich bin jedoch der Ansicht, dass der Auffassung des Finanzamts nicht gefolgt werden kann und dass die Übertragung der Verträge von Swiss Re auf die Gesellschaft S im Rahmen der Sechsten Richtlinie als Dienstleistung angesehen werden muss.

18.      Zunächst ist nämlich zu bemerken, wie von allen anderen Verfahrensbeteiligten zutreffend vorgetragen wurde, dass die Sechste Richtlinie als Lieferung von Gegenständen nur solche Lieferungen ansieht, die körperliche Gegenstände oder Gegenstände betreffen, die aufgrund ihrer Natur normalerweise Gegenstand von Kaufverträgen sind, wie wenn sie körperliche Gegenstände wären (Gas, Elektrizität usw.). Demgegenüber bezieht Art. 6 ausdrücklich die „Abtretung eines unkörperlichen Gegenstands, gleichgültig, ob in einer Urkunde verbrieft oder nicht“, in den Bereich der Dienstleistungen ein. Demzufolge ist die Übertragung eines Vertrags, d. h. einer Gesamtheit von sich aus einem Rechtsgeschäft ergebenden Rechten und Pflichten, wohl eher in diese zweite Gruppe einzuordnen.

19.      Zu dem vom Rat und von der Kommission im Zeitpunkt der Annahme der Sechsten Richtlinie geäußerten Standpunkt, wonach das Überlassen eines Kundenstamms, das auf die Aufnahme einer von der Mehrwertsteuer befreiten Tätigkeit abziele, selbst in den Genuss einer Befreiung kommen könne, stelle ich zunächst fest, dass nach einer gefestigten Rechtsprechung der Inhalt der Vorarbeiten nicht zur Auslegung einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts herangezogen werden kann, wenn sich dazu kein Anhaltspunkt im Wortlaut der auszulegenden Vorschrift findet(5).

20.      Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass die Übertragung von Verträgen, die Gegenstand der vorliegenden Rechtssache ist, jedenfalls keinen Sachverhalt darstellt, der dem in der Erklärung des Rates und der Kommission genannten genau entspricht. Diese Erklärung bezieht sich nämlich offenbar auf einen wirklichen „Verkauf“ aller den Kundenstamm betreffenden Daten, bei dem gegebenenfalls auch eine Übertragung der Verträge erfolgt. In der vorliegenden Rechtssache ist jedoch nur dieses zweite Element gegeben und nicht die „Übernahme des Kundenstamms“ in seiner Gesamtheit.

21.      Da die hier vorliegende Übertragung von Verträgen nach der Sechsten Richtlinie demnach als Dienstleistung und nicht als Lieferung von Gegenständen anzusehen ist, kann die dritte Vorlagefrage, die sich auf die Möglichkeit einer steuerlichen Befreiung des Umsatzes auf Grundlage von Art. 13 Teil B Buchst. c bezieht, bereits verneint werden, da sie von der Voraussetzung ausgeht, dass die in Rede stehende Leistung eine Lieferung von Gegenständen sei.

22.      Im Übrigen, auch wenn man von der Qualifizierung als Lieferung von Gegenständen ausgehen würde, müsste eine Befreiung der vorliegenden Übertragung von Verträgen nach Art. 13 Teil B Buchst. c der Sechsten Richtlinie mit Hinblick auf den Zweck der Norm ausgeschlossen werden, der darin besteht, von der Mehrwertsteuer Lieferungen von Gegenständen zu befreien, die zuvor unter Zahlung der Mehrwertsteuer erworben wurden und die nur dazu verwendet wurden(6), eine von der Steuer befreite Tätigkeit auszuführen(7). In der vorliegenden Rechtssache sind aber die übertragenen Verträge keine zuvor unter Zahlung der Mehrwertsteuer erworbenen und für eine von der Steuer befreite Tätigkeit (d. h. die Versicherungstätigkeit) verwendeten Gegenstände, vielmehr sind sie das Ergebnis der Tätigkeit von Swiss Re.

23.      Ich schlage daher vor, auf die dritte Vorlagefrage zu antworten, dass eine Übertragung von Rückversicherungsverträgen, wie sie Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist, eine Dienstleistung im Sinne der Sechsten Richtlinie ist und daher nicht nach Art. 13 Teil B Buchst. c dieser Richtlinie von der Steuer befreit sein kann.

B –    Allgemeine Bemerkungen zum Mehrwertsteuersystem betreffend Versicherungsumsätze

24.      Die Sechste Richtlinie widmet der Versicherungstätigkeit (einschließlich der der Rückversicherung, die dieser gleichgestellt ist) einige spezielle Vorschriften. Erstens bestimmt, wie bereits erwähnt, Art. 9 Abs. 2 Buchst. e, dass für die Zwecke der Mehrwertsteuer als Ort der Erbringung dieser Leistungen der Ort gilt, an dem deren Empfänger seinen Sitz hat.

25.      Zweitens sind die „Versicherungs- und Rückversicherungsumsätze“ nach Art. 13 von der Mehrwertsteuer befreite Tätigkeiten. Diese Steuerbefreiung, die in Art. 135 der Richtlinie 2006/112/EG bestätigt worden ist, findet keine ausdrückliche oder offensichtliche Rechtfertigung im Kontext dieser Richtlinie; man kann daher annehmen, dass bei dieser Wahl des Gesetzgebers sowohl soziale und politische Faktoren als auch Erwägungen im Zusammenhang mit der Schwierigkeit, den Mehrwert eines Versicherungsumsatzes zu bestimmen, eine Rolle gespielt haben(8). Andererseits ist nicht zu vergessen, dass Art. 33 der Sechsten Richtlinie die Mitgliedstaaten generell ermächtigt, „Abgaben auf Versicherungsverträge … beizubehalten oder einzuführen“. Diese Ermächtigung ist in Art. 401 der Richtlinie 2006/112 bestätigt worden.

26.      Würde im vorliegenden Fall die Übertragung der Versicherungsverträge als ein Versicherungsumsatz angesehen, hätte dies ersichtlich zur Folge, dass die deutschen Steuerbehörden nicht die Zahlung der Mehrwertsteuer verlangen könnten. Genauer gesagt, die Leistung müsste nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. e fünfter Gedankenstrich als in der Schweiz erbracht gelten. Es würde sich nämlich um eine Leistung handeln, bei der der Dienstleistende die in Deutschland ansässige Swiss Re wäre und Empfänger die in der Schweiz ansässige S; da der Sitzstaat des Empfängers nicht mit dem des Dienstleistenden identisch ist, wäre die Schweiz der Ort der Dienstleistung. Hinzu kommt, dass der Umsatz in jedem Fall nach Art. 13 von der Steuer befreit wäre(9).

27.      Folglich ist als Erstes die grundlegende Frage zu stellen, ob, allgemein gesprochen, eine Übertragung von Versicherungsverträgen für die Zwecke der Mehrwertsteuer als Versicherungsumsatz angesehen werden kann.

C –    Beurteilung des in Rede stehenden Umsatzes: erste Vorlagefrage

28.      Mit der ersten Vorlagefrage bittet das vorlegende Gericht zunächst um Klarstellung, ob die Übertragung von Verträgen, um die es im Ausgangsverfahren geht, ein Versicherungsumsatz ist mit der Folge, dass sie gemäß Art. 9 als außerhalb der Gemeinschaft erfolgt anzusehen ist (erster Teil der Frage) und/oder nach Art. 13 von der Mehrwertsteuer befreit ist (zweiter Teil der Frage). Mit dem dritten Teil der Frage schließlich wird der Gerichtshof gebeten, sich zu einer möglichen Befreiung des betreffenden Umsatzes nach den in Art. 13 Teil B Buchst. d Nrn. 2 und 3 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befreiungstatbeständen zu äußern.

29.      Ich werde zunächst auf die ersten beiden Teile der Fragen eingehen, die zusammen geprüft werden können, da sie beide voraussetzen, dass die Übertragung der Verträge als Versicherungsumsatz qualifiziert werden kann.

1.      Zur Möglichkeit, die Übertragung der Verträge unter den Begriff „Versicherungsumsatz“ zu fassen

a)      Die Standpunkte der Verfahrensbeteiligten

30.      Bezüglich der zentralen Frage der vorliegenden Rechtssache, d. h. der Möglichkeit, die Übertragung einer Gesamtheit von Rückversicherungsverträgen als „Versicherungsumsatz“ anzusehen, sind die Auffassungen der Verfahrensbeteiligten klar geteilt.

31.      Auf der einen Seite schlagen Swiss Re und die Kommission vor, die Frage zu bejahen. Insbesondere aufgrund des Umstands, dass die Zustimmung der zedierten Vertragspartner – d. h. der Versicherungsgesellschaften, die die Rückversicherungsverträge mit Swiss Re geschlossen hatten – zu der Übertragung, die für sie einen Wechsel des Vertragspartners (zuvor Swiss Re, nunmehr die Gesellschaft S) bedeutete, erforderlich war, könne das Bestehen einer Rechtsbeziehung zwischen (Rück-)Versicherer und (Rück-)Versicherungsnehmer bejaht werden, das nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs für das Vorliegen einer Versicherungstätigkeit im Sinne der Sechsten Richtlinie erforderlich sei.

32.      Im Gegensatz dazu verneinen die deutsche Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die griechische Regierung die Möglichkeit, die Übertragung der Verträge als Versicherungsumsatz anzusehen und sie damit von der Zahlung der Mehrwertsteuer zu befreien. Dies insbesondere deshalb, weil die Versicherungstätigkeit nach der Rechtsprechung ausschließlich im Leistungsaustausch von Zahlung der Versicherungsprämie und Risikoabdeckung bestehe; die Übertragung eines Versicherungsvertrags falle nicht darunter und könne daher nicht von der Mehrwertsteuer freigestellt sein. Das Finanzamt vertritt im Wesentlichen die gleiche Auffassung.

33.      Alle Verfahrensbeteiligten beziehen sich unabhängig davon, welche Lösung sie vorschlagen, nicht nur auf dieselben Rechtsvorschriften, sondern auch auf dieselbe Rechtsprechung. Die Auffassungen unterscheiden sich demnach darin, wie der vorliegende Sachverhalt und die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu würdigen sind.

b)      Würdigung

34.      Die Sechste Richtlinie enthält keine Definition der Versicherungsumsätze; in der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist dieser Begriff jedoch in einigen wichtigen Urteilen, insbesondere zu Art. 13 der Richtlinie, ausgelegt worden.

35.      Zunächst ist klar und in ständiger Rechtsprechung bestätigt, dass der Begriff „Versicherungsumsatz“ ein gemeinschaftsrechtlicher Begriff ist(10). Diese vom Gerichtshof in Bezug auf Art. 13 getroffene Aussage muss meiner Ansicht nach zweifellos auch für alle sonstigen Verwendungen dieses Begriffs innerhalb der Sechsten Richtlinie gelten, und damit auch für die Verwendung in Art. 9. Wie bereits erwähnt(11), sehe ich keinen Grund dafür, dass sich die in Art. 9 erwähnten Versicherungsumsätze von den in Art. 13 genannten unterschieden. Außerdem hat der Gerichtshof, wenn auch nicht unter Bezugnahme auf die Versicherungsumsätze, die Notwendigkeit einer gemeinschaftsweit einheitlichen Auslegung der in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Sechsten Richtlinie enthaltenen Rechtsbegriffe bekräftigt(12).

36.      In Bezug auf Art. 13 der Sechsten Richtlinie steht in der Rechtsprechung ebenso fest, dass diese Vorschrift eng auszulegen ist, da sie Ausnahmen von der allgemeinen Regel enthält, dass alle Lieferungen von Gegenständen und alle Dienstleistungen der Mehrwertsteuer unterliegen(13). Dieser Grundsatz erscheint seinem Wesen nach nur schwer auf Art. 9 der Richtlinie übertragbar, der keine Ausnahmen zum Mehrwertsteuersystem vorsieht, sondern lediglich eine Vorschrift ist, die darauf abzielt, den Bereich der Steuerhoheit der Mitgliedstaaten abzugrenzen(14). Ich bin dennoch der Ansicht, wie in diesen Schlussanträgen noch gezeigt wird, dass es möglich ist, einen gemeinschaftsrechtlichen Begriff des „Versicherungsumsatzes“ zu definieren, ohne dass es notwendig ist, auf das Kriterium der engen Auslegung zurückzugreifen. Infolgedessen geht die Möglichkeit, den genannten Begriff in Bezug sowohl auf Art. 9 als auch auf Art. 13 der Richtlinie einheitlich auszulegen, nicht verloren.

37.      Der Gerichtshof hat bestätigt, dass „es … das Wesen eines Versicherungsumsatzes [ist], dass der Versicherer sich verpflichtet, dem Versicherten gegen vorherige Zahlung einer Prämie beim Eintritt des Versicherungsfalls die bei Vertragsschluss vereinbarte Leistung zu erbringen“(15). Was den Versicherungsumsatz kennzeichnet, ist also der Leistungsaustausch von Prämie einerseits und Risikoschutz andererseits.

38.      Es muss jedoch deutlich gemacht werden, dass, auch wenn ein Versicherungsumsatz auch dann vorliegen kann, wenn die Person, die ihn bewirkt, nicht förmlich ein Versicherer ist(16), das Bestehen einer direkten Rechtsbeziehung zwischen der Person, die den Umsatz bewirkt, und den Versicherungsnehmern unerlässlich ist, wie der Gerichtshof im Urteil Skandia klargestellt hat(17).

39.      Es scheint mir offensichtlich, dass im vorliegenden Fall die in der Rechtsprechung aufgezeigten Voraussetzungen nicht vorliegen. Der hier zu beurteilende Umsatz stellt nämlich lediglich einen Austausch von einem Bestand an Verträgen, die insgesamt als mögliche Gewinnquelle betrachtet werden, auf der einen und einem Preis auf der anderen Seite dar. Es besteht kein Zweifel darüber, dass nach erfolgter Übertragung der Verträge eine rechtliche Beziehung zwischen der Gesellschaft S, die die Verträge erworben hat, und den Versicherungsgesellschaften, die ursprünglich die Rückversicherungsverträge mit Swiss Re geschlossen hatten (und die, daran sei erinnert, auch ihre Zustimmung zur Übertragung äußern mussten), entstanden ist. Diese Rechtsbeziehung, die ihrem Wesen nach gewiss einen Versicherungsumsatz darstellt, ist jedoch in einem Stadium anzusiedeln, das dem hier in Rede stehenden Umsatz nachfolgt; die Übertragung, die Gegenstand unserer Prüfung ist, betraf ausschließlich Swiss Re und die Gesellschaft S und räumte den zedierten Vertragspartnern lediglich eine Art „Vetorecht“ in Bezug auf die Wirksamkeit der Übertragung ein.

40.      Die Übertragung der Verträge von Swiss Re auf die Gesellschaft S ist daher für sich genommen kein Versicherungsumsatz.

41.      Es ist auch ausgeschlossen, den Umsatz entsprechend dem Urteil Abbey National(18) als ein „ausgelagertes“ Element einer von der Steuer befreiten Versicherungstätigkeit anzusehen. Bekannterweise hat der Gerichtshof in diesem Urteil in Bezug auf die „Verwaltung von Sondervermögen durch Kapitalanlagegesellschaften“, die nach Art. 13 Teil B Buchst. d der Sechsten Richtlinie von der Steuer befreit ist, bestätigt, dass auch Dienstleistungen der administrativen und buchhalterischen Verwaltung der Vermögen durch einen außenstehenden Verwalter unter die Steuerbefreiung fallen, wenn sie „ein im Großen und Ganzen eigenständiges Ganzes bilden und für die Verwaltung von Sondervermögen durch Kapitalanlagegesellschaften spezifisch und wesentlich sind“(19). Meiner Ansicht nach ist diese Rechtsprechung zumindest aus zwei Gründen nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar.

42.      Erstens bezieht sich das Urteil Abbey National spezifisch auf Finanzdienstleistungen, die sich ihrem Wesen nach grundlegend von Versicherungsdienstleistungen unterscheiden. Insbesondere sei an den vom Gerichtshof im Urteil Skandia(20) herausgearbeiteten Begriff der Versicherungstätigkeit erinnert. Es ist daher nicht ersichtlich, dass beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts die Auslagerung von Elementen einer Versicherungstätigkeit von der Befreiung von der Mehrwertsteuer umfasst sein kann.

43.      Es trifft zu, dass ein kürzlich von der Kommission vorgelegter Vorschlag für eine Richtlinie zur Modernisierung des Mehrwertsteuersystems hinsichtlich Versicherungs- und Finanzdienstleistungen(21) vorsieht, den im Urteil Abbey National aufgestellten Grundsatz auch auf die Versicherungstätigkeit auszudehnen(22). Auch wenn man jedoch abstrakt die Möglichkeit bejahen würde, das Urteil Abbey National auf den vorliegenden Fall zu übertragen, wäre dies jedoch aufgrund der Feststellung ausgeschlossen, dass im konkreten Fall keine Auslagerung eines bestimmten Teils der Versicherungstätigkeit stattgefunden hat, sondern die Übertragung einer Reihe von Versicherungsverhältnissen im Ganzen (von Swiss Re auf die Gesellschaft S). Der Umstand, dass Swiss Re und die Gesellschaft S derselben Konzerngruppe angehören, so dass der Grund für die Übertragung letztlich den Gründen, auf denen die Auslagerung beruht(23), entsprechen könnte, ist für unsere Prüfung irrelevant.

44.      Eine weitere Bestätigung dieser Auslegung der Vorschrift kann in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu einer anderen in Art. 13 Teil B der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Steuerbefreiung gefunden werden. Ich beziehe mich auf die in Buchst. b der Vorschrift vorgesehene Befreiung zugunsten der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken. Im Urteil Lubbock Fine ist zwar die Befreiung von der Steuer für eine „vertragliche Auflösung [eines Mietvertrags] gegen Abfindung“ anerkannt worden(24), doch hat es der Gerichtshof im darauffolgenden Urteil Cantor ausgeschlossen, dass die Übernahme des Mietvertrags durch einen Nachmieter vom Vormieter unter die Steuerbefreiung fällt(25).

45.      Allgemein scheint sich daher aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs sowohl zu den Versicherungsumsätzen als auch zur Vermietung und Verpachtung von Grundstücken der Grundsatz zu ergeben, dass sich die in diesen Bereichen anerkannten Befreiungen von der Mehrwertsteuer über das „primäre“ Geschäft (d. h. den ursprünglich zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer sowie zwischen dem Eigentümer und dem Mieter geschlossenen Vertrag) hinaus nur auf solche „sekundäre“ Umsätze erstrecken können, die „interne“ Angelegenheiten der ursprünglichen Verträge darstellen, unter Ausschluss der Situationen, in denen, wie im vorliegenden Fall, der zu beurteilende Umsatz außerhalb des ursprünglichen Vertragsrahmens angesiedelt ist.

46.      Es trifft zu, dass aufgrund von Überlegungen, die von der allgemeinen ratio der Vorschriften, die eine Befreiung von der Mehrwertsteuer vorsehen, inspiriert sind, es für zweckmäßig gehalten werden könnte, die Befreiung auch im vorliegenden Fall zu gewähren, um das Vorhandensein einer versteckten Mehrwertsteuer in dem vom Verbraucher gezahlten Endpreis zu verhindern.

47.      Dazu ist jedoch vor allem zu bemerken, dass es unmöglich ist, jegliche Form von versteckter Mehrwertsteuer völlig zu verhindern(26). Außerdem bin ich der Auffassung, dass die Übertragung der Verträge von Swiss Re auf die Gesellschaft S nicht als Eingangsumsatz in Bezug auf die von der Gesellschaft S an die Kunden erbrachte Versicherungsdienstleistung angesehen werden kann. Mit anderen Worten, es lässt sich nicht vertreten, dass der für den Erwerb der Verträge gezahlte Betrag direkt in den Preis einfließt, der sodann (durch die Gesellschaft S) den Versicherungsnehmern auferlegt wird, die darüber hinaus zum Zeitpunkt der Übertragung der Verträge bereits (vertragliche) Parteien eines Rechtsverhältnisses waren, dessen Bedingungen – also auch der Preis der Versicherungsdienstleistung – bereits zuvor festgelegt waren, nämlich zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrags mit Swiss Re.

48.      Ich bin daher der Ansicht, dass der erste und der zweite Teil der ersten Vorlagefrage dahin zu beantworten sind, dass eine Übertragung von Rückversicherungsverträgen, wie sie Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist, keinen Versicherungsumsatz darstellt, weder im Sinne von Art. 9 noch im Sinne von Art. 13 der Sechsten Richtlinie.

2.      Zum dritten Teil der ersten Frage

49.      Mit dem dritten und letzten Teil der ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der betreffende Umsatz nach Art. 13 Teil B Buchst. d Nrn. 2 und 3 der Sechsten Richtlinie von der Steuer befreit sein kann. In diesem Fall würde die Übertragung der Verträge von Swiss Re auf die Gesellschaft S und die damit zusammenhängende Kaufpreiszahlung einen Umsatz darstellen, der aus einer „Übernahme von Verbindlichkeiten“ (im Sinne von Nr. 2) und einem „Ums[a]tz … im Geschäft mit Forderungen“ (im Sinne von Nr. 3) besteht. Genauer gesagt wären die „Verbindlichkeiten“ die von der Gesellschaft S übernommenen Pflichten gegenüber den Versicherungsnehmern, während das Recht der Gesellschaft S, von diesen die Versicherungsprämien zu erhalten, die „Forderungen“ darstellte.

50.      Wie vom vorlegenden Gericht dargelegt, kann der Umsatz nur dann von der Steuer befreit sein, wenn die Nrn. 2 und 3 des Art. 13 Teil B Buchst. d kumulativ angewendet werden können, denn für sich genommen sind beide Befreiungstatbestände nicht ausreichend.

51.      Hinsichtlich dieses spezifischen Punktes sind die Verfahrensbeteiligten, wie bezüglich der Antwort auf die ersten beiden Teilfragen, geteilter Meinung. Auf der einen Seite vertreten Swiss Re und die Kommission die Auffassung, dass der Umsatz für den Fall, dass er keinen Versicherungsumsatz darstellt, eventuell unter kumulativer Anwendung der beiden Befreiungstatbestände von der Steuer befreit sein könne. Umgekehrt berufen sich alle Regierungen, die sich am Verfahren beteiligt haben, und das Finanzamt auf den Ausnahmecharakter und die Verpflichtung zu einer engen Auslegung, die für die Befreiungen von der Mehrwertsteuer charakteristisch seien, um aus grundsätzlichen Erwägungen auszuschließen, dass zwei Befreiungstatbestände auf ein und denselben Umsatz angewandt werden können.

52.      Auch bezüglich dieses Aspekts erscheint mir der Standpunkt der Regierungen und des Finanzamts überzeugender als der von Swiss Re und der Kommission.

53.      Meiner Meinung nach muss die Möglichkeit, zwei Befreiungsgründe kumulativ anzuwenden, unter dem Gesichtspunkt der Verpflichtung zu einer engen Auslegung der Ausnahmeregelungen im Allgemeinen ausgeschlossen werden(27). Wenn es möglich wäre, einen einheitlichen Umsatz künstlich aufzuspalten, um dessen Elemente einzelnen Befreiungstatbeständen zuordnen zu können, könnte es nämlich zu einer Beeinträchtigung des reibungslosen Funktionierens des Mehrwertsteuersystems kommen. Wie bereits dargelegt, setzt sich ein Versicherungsgeschäft aus dem Austausch der Zahlung einer Prämie (durch den Versicherungsnehmer) und der Risikotragung (die vom Versicherer übernommen wird) zusammen. Es wäre eine offensichtliche Verzerrung, diese beiden Teile des Rechtsverhältnisses zu trennen und sie auf der Grundlage zweier verschiedener Vorschriften von der Steuer zu befreien.

54.      Es gibt ein weiteres Argument, das unabhängig von der Frage, ob es möglich ist, zwei Befreiungstatbestände kumulativ anzuwenden, die Anwendbarkeit der Nrn. 2 und 3 des Art. 13 Teil B Buchst. d der Richtlinie auf den vorliegenden Fall ausschließt. Alle in Buchst. d vorgesehenen Befreiungen betreffen Finanz- und Bankdienstleistungen, auch wenn einige Sprachfassungen, wie die deutsche und die italienische, allgemeinere Formulierungen verwenden, die auf den ersten Blick auch für andere Tätigkeiten zu gelten scheinen(28). Um von diesen Befreiungen erfasst zu sein, reicht es daher nicht aus, dass die betreffenden Umsätze pekuniären Charakter haben, wovon aber das vorlegende Gericht offenbar ausgeht(29); es muss sich um Finanz- und/oder Bankumsätze handeln, und eine Übertragung von Versicherungsverträgen kann darunter wohl nicht fallen(30).

55.      Ich bin daher der Auffassung, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Umsatz auch nicht nach Art. 13 Teil B Buchst. d Nrn. 2 und 3 der Sechsten Richtlinie von der Mehrwertsteuer befreit sein kann.

3.      Ergebnis zur ersten Vorlagefrage

56.      Demzufolge schlage ich im Anschluss an meine Würdigung der ersten Vorlagefrage dem Gerichtshof vor, diese dahin zu beantworten, dass eine Übertragung von Rückversicherungsverträgen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende kein Versicherungsumsatz im Sinne von Art. 9 oder im Sinne von Art. 13 der Sechsten Richtlinie ist und dass sie auch nicht nach Art. 13 Teil B Buchst. d Nrn. 2 und 3 dieser Richtlinie von der Mehrwertsteuer befreit sein kann.

D –    Zur zweiten Vorlagefrage

57.      Die zweite Vorlagefrage geht dahin, ob die Antwort auf die erste Frage unverändert bleibt, wenn nicht der Erwerber der Verträge, sondern derjenige, der sie abtritt, dafür ein Entgelt entrichtet. Die Frage stellt sich, weil im Ausgangsfall, wie oben erwähnt, für 18 der 195 übertragenen Verträge ein negativer Wert angesetzt worden war, der zur Bestimmung des Endpreises der Übertragung von dem Gesamtpreis der anderen 177 Verträge abgezogen wurde. Isoliert betrachtet wäre die Übertragung dieser 18 Verträge ein Umsatz, der aus Mehrwertsteuersicht „in umgekehrter Richtung“ erfolgte; Leistender wäre nämlich die Gesellschaft S, die die nachteiligen Verträge gegen ein Entgelt übernehmen und den Leistungsempfänger (also Swiss Re) damit von ihnen befreien würde.

58.      Alle Verfahrensbeteiligten, die im vorliegenden Verfahren Erklärungen abgegeben haben, haben sich dafür ausgesprochen, dass die Antwort unverändert bleibt: Das Vorhandensein der 18 Verträge mit einem Negativwert soll die Antwort auf die erste Frage nicht beeinflussen. Insbesondere unterstreichen Swiss Re, die Kommission und das Finanzamt den strikt einheitlichen Charakter des betreffenden Umsatzes, der daher in seiner Gesamtheit bewertet werden müsse, ohne die Verträge mit negativem Wert isoliert zu betrachten. Die deutsche Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs schließen ihrerseits die Möglichkeit, die Verträge mit positivem Wert und die mit negativem Wert gesondert zu betrachten, zwar nicht von vornherein aus, sie sind aber der Auffassung, dass dies jedenfalls nichts an der Antwort auf die erste Frage ändern könne, da weder die einen noch die anderen Verträge, auch wenn sie gesondert betrachtet würden, Versicherungsumsätze darstellten.

59.      Der Standpunkt der deutschen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs scheint mir im Wesentlichen insoweit zutreffend, als sie hervorheben, dass nämlich, da die Übertragung der Verträge, bei der die Gesellschaft S ein Entgelt an Swiss Re zahlt, nicht als Versicherungsumsatz angesehen werden kann, es auch keinen Grund dafür gibt, die Übertragung als Versicherungsumsatz anzusehen, bei der die Gesellschaft S ein Entgelt dafür erhält, dass sie die Verträge übernimmt. Die Richtung des Umsatzes ist entgegengesetzt, aber es handelt sich immer noch um einen Umsatz, der nicht die Merkmale aufweist, die oben als kennzeichnend für einen Versicherungsumsatz im Sinne des Gemeinschaftsrechts aufgezeigt wurden.

60.      Ich bin jedoch der Ansicht, dass die Prüfung der Frage nicht an diesem Punkt stehen bleiben sollte, auch wenn das vom vorlegenden Gericht formulierte Problem bereits mit dem vorstehend Ausgeführten beantwortet werden kann.

61.      Es ist nämlich zu prüfen, ob unabhängig von der Möglichkeit, die Übertragung von Versicherungsverträgen als Versicherungsumsatz anzusehen, eine Übertragung von 195 Verträgen, wie die hier vorliegende, für die Zwecke der Mehrwertsteuer in eine Gesamtheit zweier verschiedener Übertragungen aufgespalten werden kann, von denen eine die Verträge mit positivem Wert zum Gegenstand hat und die andere die mit negativem Wert. Alternativ wäre es auch möglich, jeden einzelnen Vertrag als Gegenstand einer gesonderten Übertragung anzusehen; in diesem Fall hätte man 195 verschiedene Übertragungen.

62.      Dieser Aspekt mag irrelevant erscheinen, er verdient aber eine gewisse Aufmerksamkeit. Auch wenn man nämlich von vornherein ausschließt, dass die Übertragung der Verträge einen Versicherungsumsatz darstellt, könnte die Möglichkeit, ihre Komponente mit positivem Wert und die mit negativem Wert gesondert zu betrachten, nicht unerhebliche Auswirkungen auf die Zahlung der Mehrwertsteuer haben(31).

63.      Dennoch muss meiner Meinung nach diese Möglichkeit ausgeschlossen werden. In den Verhandlungen, die zur Vereinbarung zwischen Swiss Re und der Gesellschaft S geführt haben, sind die 195 Rückversicherungsverträge, die übertragen worden sind, in ihrer Gesamtheit betrachtet worden, und für ihre Übertragung hat die Gesellschaft S einen einheitlichen – sowohl die Verträge mit positivem als auch die mit negativem Wert umfassenden – Preis an Swiss Re bezahlt, offensichtlich in der Annahme, dass diese ihr einen einheitlichen Dienst geleistet habe. Daher ist der vom Gerichtshof im angeführten Urteil CPP bestätigte Grundsatz zu beachten, wonach „eine wirtschaftlich einheitliche Dienstleistung im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden darf“(32). Demzufolge ist es für die Zwecke der Mehrwertsteuer nicht möglich, die Übertragung der betroffenen Verträge, die einen positiven Wert haben, von derjenigen der Verträge mit einem negativen Wert zu trennen, da der betreffende Umsatz als ein einheitlicher Umsatz angesehen werden muss.

64.      Ich schlage daher vor, die zweite Vorlagefrage dahin zu beantworten, dass sich die Antwort auf die erste Frage nicht ändert, wenn ein Teil der übertragenen Verträge einen negativen Wert hat.

IV – Ergebnis

65.      Im Licht der dargestellten Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Bundesfinanzhof vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

Eine Übertragung von Rückversicherungsverträgen, wie sie Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist, stellt keinen Versicherungsumsatz dar, weder im Sinne von Art. 9 noch im Sinne von Art. 13 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage; sie kann auch nicht nach Art. 13 Teil B Buchst. d Nrn. 2 und 3 dieser Richtlinie von der Mehrwertsteuer befreit sein.

Die Antwort auf die erste Frage ändert sich nicht, wenn ein Teil der übertragenen Verträge einen negativen Wert hat.

Eine Übertragung von Rückversicherungsverträgen, wie sie Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist, ist eine Dienstleistung im Sinne der Sechsten Richtlinie und kann daher nicht nach Art. 13 Teil B Buchst. c dieser Richtlinie von der Steuer befreit sein.


1 – Originalsprache: Italienisch.


2 – Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1).


3 – Genauer gesagt, hat eine nicht näher bezeichnete, von Swiss Re kontrollierte Gesellschaft die Verträge übertragen. Diese kontrollierte Gesellschaft hatte auch die Rückversicherungsverträge geschlossen. Da aber ihre genaue Bezeichnung den Akten nicht entnommen werden kann, werde ich im Folgenden stets Swiss Re – die Klägerin des Ausgangsverfahrens – als diejenige angeben, die die fraglichen Verträge übertragen hat.


4 – Schriftstück R/716/77 (FIN 151).


5 – Vgl. z. B. Urteil vom 8. Juni 2000, Epson Europe (C-375/98, Slg. 2000, I-4243, Randnr. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).


6 – [Die Fußnote betrifft nur die italienische Sprachfassung der Sechsten Richtlinie].


7 – Der Zweck der Vorschrift ist offensichtlich der, eine Doppelbesteuerung zu vermeiden, da derjenige, der die Gegenstände für eine von der Steuer befreite Tätigkeit verwandt hat, nicht die für diese bezahlte Mehrwertsteuer zurückerlangen konnte und daher die Steuer endgültig wie ein Endverbraucher bezahlt hat. Der im Nachhinein erfolgende Weiterverkauf derselben Gegenstände, für die die Mehrwertsteuer bereits beglichen wurde, wird daher von der Steuer befreit, um zu verhindern, dass die Steuer nochmals gezahlt wird, dieses Mal vom neuen Erwerber. Vgl. Urteil vom 25. Juni 1997, Kommission/Italien (C-45/95, Slg. 1997, I-3605), und die Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer in dieser Rechtssache vom 10. Dezember 1996 (Nrn. 14 bis 20). Vgl. auch den Beschluss vom 6. Juli 2006, Salus und Villa Maria Beatrice Hospital (C-18/05 und C-155/05, Slg. 2006, I-6199, Randnrn. 29 bis 30).


8 – Vgl. insoweit die Schlussanträge des Generalanwalts Fennelly vom 11. Juni 1998 in der Rechtssache CPP (C-349/96, Urteil vom 25. Februar 1999, Slg. 1999, I-973, Nr. 26) und die des Generalanwalts Poiares Maduro vom 12. Januar 2005 in der Rechtssache Arthur Andersen (C-472/03, Urteil vom 3. März 2005, Slg. 2005, I-1719, Nr. 13).


9 – Es sind nämlich offenbar keine Gründe dafür ersichtlich, die in den beiden genannten Vorschriften beschriebenen Umsätze, die in Art. 9 als „Versicherungsumsätze, einschließlich Rückversicherungsumsätze“ und in Art. 13 als „Versicherungs- und Rückversicherungsumsätze“ bezeichnet werden, verschieden auszulegen. Ich bin daher der Auffassung, dass sich die beiden zitierten Passagen auf dieselbe Tätigkeit beziehen.


10 – Vgl. z. B. Urteile vom 5. Juni 1997, SDC (C-2/95, Slg. 1997, I-3017, Randnr. 21), und Arthur Andersen (in Fn. 8 angeführt, Randnr. 25).


11 – Vgl. oben, Fn. 9.


12 – Urteil vom 17. November 1993, Kommission/Frankreich (C-68/92, Slg. 1993, I-5881, Randnr. 14).


13 – Vgl. Urteil Arthur Andersen (in Fn. 8 angeführt, Randnr. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).


14 – Vgl. Urteil vom 6. Dezember 2007, Kommission/Deutschland (C-401/06, Slg. 2007, I-10609, Randnr. 29).


15 – Urteil CPP (in Fn. 8 angeführt, Randnr. 17).


16 – Urteil CPP (in Fn. 8 angeführt, Randnr. 22). Vgl. auch entsprechend Urteil SDC (in Fn. 10 angeführt, Randnr. 32).


17 – Urteil vom 8. März 2001, Skandia (C-240/99, Slg. 2001, I-1951, Randnrn. 39 und 40).


18 – Urteil vom 4. März 2006, Abbey National (C-169/04, Slg. 2006, I-4027).


19 – Urteil Abbey National (in Fn. 18 angeführt, Randnr. 72).


20 – Oben in Fn. 17 angeführt.


21 – Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem hinsichtlich der Behandlung von Versicherungs- und Finanzdienstleistungen, KOM (2007) 747 endg.


22 – Insbesondere sieht der Vorschlag für eine Richtlinie vor, an Art. 135 der Richtlinie 2006/112 einen Abs. 1a anzufügen, der wie folgt lautet: „(1a) Die in Absatz 1 Buchstaben a bis e vorgesehene Steuerbefreiung ist auf die Erbringung eines jeden Bestandteils einer Finanz- oder Versicherungsdienstleistung anzuwenden, der ein eigenständiges Ganzes bildet und die spezifischen und wesentlichen Eigenschaften der steuerbefreiten Dienstleistung aufweist.“


23 – Man kann z. B. an Skaleneffekte, an organisatorische Rationalisierungen und, natürlich, an steuerliche Erwägungen denken.


24 – Urteil vom 15. Dezember 1993, Lubbock Fine (C-63/92, Slg. 1993, I-6665, Randnrn. 9 und 10).


25 – Urteil vom 9. Oktober 2001, Cantor Fitzgerald International (C-108/99, Slg. 2001, I-7257, Randnrn. 21 bis 24).


26 – Das heißt natürlich nicht, das Problem schmälern zu wollen, das gerade im Finanz- und Versicherungssektor von besonderer Bedeutung ist. Der Wille, die versteckte Mehrwertsteuer zu reduzieren, ist einer der Gründe, die die Kommission als Grundlage für ihren in Fn. 21 erwähnten Vorschlag für eine Richtlinie angegeben hat. Vgl. auch die Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu diesem Vorschlag (ABl. 2008, C 224, S. 124, insbesondere Nr. 3).


27 – Siehe oben, Nr. 36.


28 – Vgl. dazu Urteil vom 19. April 2007, Velvet & Steel Immobilien (C-455/05, Slg. 2007, I-3225, Randnrn. 21 und 22).


29 – Wie der Gerichtshof im Urteil Velvet & Steel Immobilien (in Fn. 28 angeführt, Randnr. 18) ausgeführt hat, wird der Umstand, dass sich die Befreiungen nur auf Finanz- und Bankdienstleistungen beziehen, besonders in der englischen und der spanischen Fassung der Richtlinie deutlich. In diesem Urteil, das Abweichungen zwischen den verschiedenen Sprachfassungen aufweist, die zum Teil auf Unterschiede in den verschiedenen Sprachfassungen der Sechsten Richtlinie zurückzuführen sind, hat sich der Gerichtshof darauf beschränkt, festzustellen, dass der pekuniäre Charakter eines Umsatzes Voraussetzung für die Befreiung nach Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 2 ist, er hat jedoch nicht entschieden, dass der pekuniäre Charakter für die Anwendbarkeit dieser Befreiung auch ausreichend sei.


30 – Im Licht des Wortlauts und Kontexts der Vorschrift könnte man fragen, ob nicht in der Absicht des Gesetzgebers der Richtlinie die „Verbindlichkeiten“, von denen z. B. die italienische, französische und deutsche Sprachfassung spricht, die aber z. B. in der englischen Sprachfassung nicht erwähnt werden, nicht als „Garantieversprechen“ verstanden werden sollten. Zur systematischen Auslegung infolge der Unterschiede in den verschiedenen Sprachfassungen des Art. 13 der Sechsten Richtlinie vgl. Urteile vom 13. Juli 1989, Henriksen (173/88, Slg. 1989, 2763, Randnrn. 10 und 11), vom 26. Juni 2003, MKG (C-305/01, Slg. 2003, I-6729, Randnrn. 69 und 70), und Velvet & Steel Immobilien (in Fn. 28 angeführt, Randnr. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).


31 – Wendete man nämlich den allgemeinen Grundsatz an, wonach der Ort der Lieferung der ist, an dem der Leistende seinen Sitz hat (und nicht der spezifische Ort für Versicherungsumsätze, deren Leistungsort dagegen der ist, an dem der Erwerber seinen Sitz hat), wäre nach Art. 9 der Sechsten Richtlinie der Leistungsort der Übertragung der 177 Verträge mit positivem Wert in Deutschland und der der 18 Verträge mit negativem Wert in der Schweiz.


32 – Urteil CPP (in Fn. 8 angeführt, Randnr. 29).