Available languages

Taxonomy tags

Info

References in this case

References to this case

Share

Highlight in text

Go

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NIILO JÄÄSKINEN

vom 15. April 20101(1)

Rechtssache C-581/08

EMI Group Ltd

gegen

The Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs

(Vorabentscheidungsersuchen des VAT and Duties Tribunal, London [Vereinigtes Königreich])

„Sechste Richtlinie – Art. 5 Abs. 6 – Geschenke von geringem Wert – Begriff des Warenmusters – Tonträger – Unentgeltliche Abgabe zu Werbezwecken“





I –    Einführung

1.        In seinem erstmals 1925 erschienenen „Essai sur le don“ will der berühmte französische Anthropologe Marcel Mauss nachweisen, dass in archaischen Gesellschaften Austausche und Verträge in Form von Geschenken stattfinden. Theoretisch erfolgen sie freiwillig, tatsächlich jedoch sind Gabe und Gegengabe obligatorisch.(2)

2.        Da sich die Natur des Menschen nicht gewandelt hat, verwundert es nicht, dass der Unionsgesetzgeber, der die Mehrwertsteuer definiert als allgemeine Verbrauchsteuer auf alle Umsätze, die eine Lieferung von Gegenständen oder eine Dienstleistung gegen Entgelt zum Gegenstand haben(3), bei unentgeltlichen Umsätzen nicht auf die vordergründige Unentgeltlichkeit abstellt.(4) Wie wir noch sehen werden, unterliegen unentgeltliche Umsätze in den meisten Fällen aufgrund der Bestimmungen über Lieferungen an sich selbst der Mehrwertsteuer.(5) Bei Geschenken im Rahmen von Repräsentationsaufwendungen wird dasselbe Ergebnis durch Ausschluss dieser Gegenstände vom Vorsteuerabzugsrecht erreicht.(6)

3.        Entnahmen für Warenmuster oder Geschenke von geringem Wert sind jedoch von der Mehrwertsteuer befreit.(7) Angesichts der vorteilhaften steuerlichen Behandlung solcher Übertragungen ist es für die Steuerpflichtigen von großem wirtschaftlichem Interesse, genau zu wissen, was diesen Begriffen unterfällt. Deren scheinbare Einfachheit erweist sich in dem komplexen Kontext der Verteilung von Gegenständen, die wie im vorliegenden Fall urheberrechtlich geschützte Werke verkörpern, als Illusion.

4.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen des VAT and Duties Tribunal, London, betrifft die Auslegung von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie, wonach Entnahmen für Warenmuster oder Geschenke von geringem Wert von der Mehrwertsteuer ausgenommen sind.(8) Während sich der Gerichtshof bereits mehrfach mit Art. 5 Abs. 6 Satz 1 befasst hat(9), handelt es sich vorliegend um den ersten Fall, in dem er um eine Auslegung von Satz 2 dieser Bestimmung ersucht wird.

II – Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht(10)

5.        Art. 5 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie bestimmt:

„Einer Lieferung gegen Entgelt gleichgestellt wird die Entnahme eines Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen aus seinem Unternehmen für seinen privaten Bedarf, für den Bedarf seines Personals oder als unentgeltliche Zuwendung oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke, wenn dieser Gegenstand oder seine Bestandteile zu einem vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt haben. Jedoch fallen Entnahmen für Geschenke von geringem Wert und für Warenmuster zu Zwecken des Unternehmens nicht darunter.“

 Nationales Recht

6.        Die einschlägigen nationalen Bestimmungen finden sich in Section 5(1) des Value Added Tax Act 1994 (Mehrwertsteuergesetz von 1994) sowie in Paragraf 5(1), (2), (2ZA) und (3) des Anhangs 4 dieses Gesetzes; die Vorschriften sind während des maßgebenden Zeitraums (April 1987 bis heute) mehrfach geändert worden.

7.        Zusammengefasst sehen sie in ihrer aktuellen Fassung vor, dass die Übertragung oder Entnahme von Gegenständen des Betriebsvermögens durch einen Steuerpflichtigen unabhängig davon, ob dies entgeltlich geschieht, als Lieferung behandelt wird. Eine Ausnahme gilt für Werbegeschenke und die Überlassung von Warenmustern. Bei Werbegeschenken darf ihr Wert pro Person und Jahr einen dem Schenker entstehenden Kostenbetrag von 50 GBP nicht übersteigen. Bei Warenmustern ist im Fall der Übergabe einer Anzahl identischer Warenmuster an ein und dieselbe Person nur das erste Warenmuster befreit. Bis Juli 1993 fand diese Befreiung nur auf gewerbliche Warenmuster in einer im allgemeinen Verkauf gewöhnlich nicht erhältlichen Form Anwendung.

III – Sachverhalt und Vorlagefragen

8.        Die EMI Group Limited (im Folgenden: EMI), ein mit Herstellung und Verkauf von Tonträgern befasstes Unternehmen, verteilt Gratiskopien von Musikaufnahmen auf Vinylplatten, Musikkassetten und Compact Discs (CDs) an verschiedene Personen zur Bewerbung neu erschienener Musik. Nach Angaben von EMI ist diese Verteilung für ihre Unternehmenszwecke erforderlich, da sie es ihr ermögliche, die kommerzielle Qualität der Musik und ihre Eignung für den Markt zu beurteilen.

9.        Im Zuge dieser Werbestrategie werden CDs an Einzelpersonen abgegeben, die in der Lage sind, das Verbraucherverhalten zu beeinflussen (etwa Personen in der Presse, in Rundfunkanstalten, Fernsehsendern, Werbeagenturen, Verkaufsstellen und Kinos), sowie an Musikwerbeleute, sogenannte „Plugger“, die CDs an ihre eigenen Kontakte verteilen. EMI beauftragt sowohl interne als auch externe Plugger, die über besonderes Fachwissen verfügen oder bei der Bewerbung von Aufnahmen besonders erfolgreich waren.

10.      Zu diesem Zweck gibt EMI Tonträger in verschiedener Form ab: mit „Wasserzeichen“ versehene bespielbare Compact Discs (CDRs)(11), die den Namen des Empfängers tragen und es erlauben, etwa angefertigte Kopien auf den Empfänger zurückzuführen; CDRs ohne Wasserzeichen, die in einer weißen Kartonhülle abgegeben werden; „Sampler CDs“ in einer Kartonhülle, die künstlerisch gestaltet ist wie das fertige Album; „fertige Ware“, d. h. CDs in ihrer verkaufsfertigen Form. Auf Letzteren ist ein Aufkleber mit dem Text „Kopie für Werbezwecke – Nicht für den Weiterverkauf“ angebracht; auf den anderen findet sich der Hinweis, dass Virgin Records Limited, eine ein Label betreibende Tochtergesellschaft von EMI, Eigentümerin bleibt. Zu beachten ist, dass „fertige Ware“ an Künstler, deren Manager, an Herausgeber, Agenten und sonstige Medienkontakte weitergegeben wird, die nach Ansicht von EMI über das fertige Produkt verfügen sollten.

11.      Der Vorlageentscheidung zufolge werden rund 90 % der zu Werbezwecken verbreiteten CDs an namentlich bezeichnete Personen versandt. Aus den Gerichtsakten ergibt sich, dass Aufnahmen auch individuell an mehrere in ein und derselben Einrichtung tätige Personen übersandt werden. Für eine CD-Single werden ungefähr 2 500 Gratiskopien verteilt, für ein Album sind es zwischen 3 000 und 3 750. Ein einzelner Plugger erhält unter Umständen bis zu 600 kostenlose Aufnahmen zur Weitergabe. Um diese Zahlen in ein Verhältnis zu setzen, sei hinzugefügt, dass nach Angaben von EMI von einem erfolgreichen CD-Album unter Umständen Millionen von Exemplaren verkauft werden.

12.      Von April 1987 bis Anfang 2003 führte EMI für die auf die vorstehend bezeichnete Weise abgegebenen Aufnahmen Mehrwertsteuer ab. Da sie jedoch zu der Auffassung gelangte, dass die nationalen Rechtsvorschriften mit Art. 5 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie nicht vereinbar seien und daher keine Mehrwertsteuer zu entrichten gewesen sei, beantragte sie bei den Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs die Erstattung der für diese Aufnahmen abgeführten Mehrwertsteuer. Da die Commissioners eine ablehnende Entscheidung erließen, rief EMI das vorlegende Gericht an.

13.      Ab Juli 2003 wies EMI für die unentgeltliche Abgabe von CDs keine Mehrwertsteuer mehr aus. Die Commissioners übermittelten ihr eine Steuerveranlagung für den Zeitraum von Juli 2003 bis Dezember 2004, die EMI beim vorlegenden Gericht anfocht.

14.      Unter diesen Umständen hat das vorlegende Gericht den Gerichtshof um Vorabentscheidung folgender Fragen ersucht:

a)       Wie ist Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falles auszulegen?

b)       Was sind insbesondere die wesentlichen Merkmale eines „Warenmusters“ im Sinne von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie?

c)       Darf ein Mitgliedstaat den Begriff „Warenmuster“ nach Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie dahin auslegen, dass er beschränkt ist auf

i)       ein gewerbliches Warenmuster in einer im allgemeinen Verkauf gewöhnlich nicht erhältlichen Form, das an einen tatsächlichen oder potenziellen Kunden des Unternehmens abgegeben wird (bis 1993),

ii)       nur ein oder nur das erste einer Reihe von Warenmustern, das von derselben Person an denselben Empfänger abgegeben wird, wenn diese Warenmuster identisch sind oder sich nicht wesentlich voneinander unterscheiden (ab 1993)?

d)       Darf ein Mitgliedstaat den Begriff „Geschenke von geringem Wert“ nach Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie einschränkend dahin auslegen, dass davon

i)       Warengeschenke als Teil einer Reihe oder einer Folge von Geschenken, die derselben Person von Zeit zu Zeit gemacht werden (bis Oktober 2003),

ii)       Werbegeschenke, die derselben Person innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten gemacht werden, wenn die Gesamtkosten 50 GBP übersteigen (ab Oktober 2003),

ausgeschlossen sind?

e)       Bei Bejahung der Frage c Ziff. ii oder (eines Teils) der Frage d: Wenn ein Steuerpflichtiger ähnliche oder identische Tonträger schenkweise an zwei oder mehrere verschiedene Personen übergibt wegen ihrer persönlichen Einflussmöglichkeiten auf das Ausmaß, in dem der betreffende Künstler Beachtung findet, darf dann der Mitgliedstaat diese Gegenstände allein deshalb so behandeln, als wären sie ein und derselben Person übergeben worden, weil diese Personen von derselben Person beschäftigt werden?

f)       Würde es für die Beantwortung der Fragen a bis e einen Unterschied machen, wenn der Empfänger eine voll steuerpflichtige Person wäre oder von einer solchen Person beschäftigt würde, die in der Lage wäre (oder gewesen wäre), für die Lieferung der in dem Warenmuster bestehenden Gegenstände zu bezahlende Vorsteuer in Abzug zu bringen?

IV – Vorbemerkungen

15.      Das vorlegende Gericht stellt eine Reihe von Fragen, die sich zu drei Fragenkomplexen zusammenfassen lassen: i) Was ist unter der Wendung „Entnahmen für Warenmuster“ zu verstehen (Frage b und c)? ii) Was ist unter der Wendung „Entnahmen für Geschenke von geringem Wert“ zu verstehen (Frage d)? iii) Kommt es bei der Auslegung von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie auf den Status des Empfängers der Geschenke bzw. Warenmuster an (Frage e und f)? Bei a) handelt es sich um eine allgemeine Frage; die Antwort auf sie wird sowohl in diesen Abschnitt als auch in die Prüfung der Fragen b, c und d einfließen.

16.      Bei aller Detailliertheit der vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen besteht die Aufgabe des Gerichtshofs in diesem Vorabentscheidungsverfahren lediglich in der Auslegung von Art. 5 Abs. 6 Satz 2, nicht jedoch in dessen Anwendung auf den recht ungewöhnlichen Sachverhalt im Fall der EMI.

A –    Besonderheiten des Falls

17.      CDs sind eine Verkörperung des eigentlichen Produkts eines Tonträgerunternehmens – der Aufnahme – zum Zweck seiner Vermarktung. In einigen Fällen gibt es mehrere verschiedene Tonträgerformate zur Vermarktung ein und derselben Aufnahme, etwa MiniDiscs, Musikkassetten oder Vinylplatten. Darüber hinaus können Aufnahmen elektronisch über das Internet verbreitet werden. Moderne Vertriebsformen wie etwa das Onlinestreaming einmal beiseitegelassen, ermöglicht der Besitz einer Aufnahme auf einem der vorerwähnten Tonträger deren mehrmalige, ja praktisch unbegrenzt häufige Nutzung.

18.      Zu beachten ist ferner, dass einem Tonträgerunternehmen nicht nur Lizenzrechte und übertragene Urheberrechte für das Musikstück oder den Liedtext zustehen, die es gegebenenfalls von den ursprünglichen Rechteinhabern erworben hat, sondern dass es auch den Schutz der Rechte des geistigen Eigentums an den Aufnahmen aufgrund der sich aus seinem Urheberrecht ergebenden Nebenrechte als Tonträgerhersteller genießt. Die Einnahmen, die mit einer Aufnahme erzielt werden, stammen daher nicht nur aus dem Verkauf von CDs, sondern auch aus anderen Quellen wie Lizenzentgelten, die z. B. von Rundfunkanstalten über einschlägige Einzugsgesellschaften entrichtet werden.

19.      Diese Besonderheiten des Geschäftsbetriebs eines Tonträgerunternehmens mögen die Eigenheiten der von EMI verfolgten Verkaufsförderungsstrategie erklären: einerseits die unentgeltliche Verteilung von Exemplaren der CDs in scheinbar großzügigem Stil, andererseits die Praxis, die CDs – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nur an namentlich bezeichnete Personen abzugeben.

20.      Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die Auslegung von Art. 5 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie, die der Gerichtshof in diesem Vorabentscheidungsverfahren vornimmt, in der gesamten EU für Steuerpflichtige unterschiedlichster Art Geltung haben wird. Wir müssen diesen weiteren Rahmen im Auge behalten, uns gleichzeitig aber der Besonderheiten von EMI und anderer Unternehmen bewusst sein, die mit Rechten des geistigen Eigentums zu tun haben.

21.      Außerdem geht es im vorliegenden Fall lediglich um die unentgeltliche Abgabe von Gegenständen, da zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens die Gratiskopien der Musikaufnahmen vorwiegend in Form von CDs verteilt wurden. Heutzutage werden Musikstücke häufig jedoch auch über das Internet verbreitet, so dass sich demnächst die Frage stellen könnte, ob eine Abgabe auf diesem Weg nicht eine Dienstleistung darstellt und welche Folgen sich daraus ergeben.(12) Eine solche Prüfung ist hier indessen nicht erforderlich.

22.      Bei der Untersuchung des vorliegenden Falls ist auch zu beachten, dass die Auslegung der Sechsten Richtlinie zu einem praktikablen Ergebnis führen muss, das dem Wesen der Mehrwertsteuer als mittelbarer Steuer Rechnung trägt, die in erster Linie von den Steuerpflichtigen selbst im Zuge des alltäglichen Geschäftsablaufs eingezogen wird. Im Idealfall sollte sich einem Steuerpflichtigen die mehrwertsteuerliche Behandlung eines Umsatzes, der im Rahmen seiner üblichen, legitimen geschäftlichen Tätigkeit bewirkt wird, auf den ersten Blick erschließen, ohne dass er sich im Einzelnen erkundigen muss und ohne dass zusätzliche Verwaltungslasten entstehen wie etwa ein Buchführungsaufwand, der über die üblichen dem Steuerpflichtigen obliegenden Rechnungsausstellungs- und Aufzeichnungspflichten hinausgeht.(13)

B –    Verhältnis zwischen Warenmustern und Geschenken

23.      Ein Warenmuster muss nicht unbedingt ein Geschenk im zivilrechtlichen Sinne sein, auch wenn es sich in den meisten Fällen um ein solches handeln wird, da der Steuerpflichtige in der Regel beabsichtigen dürfte, das Volleigentum an dem Warenmuster unentgeltlich an den Empfänger zu übertragen.(14) Mitunter – so auch im vorliegenden Fall – kann ein Steuerpflichtiger jedoch Eigentümer der als Warenmuster überlassenen Gegenstände bleiben und auf diese Weise rechtlich sicherstellen, dass die für Nutzung und Weitergabe geltenden Auflagen und Beschränkungen für den Empfänger bindend sind. Geschenke dagegen implizieren, dass der Empfänger das Volleigentum an den Gegenständen erwirbt, und in vielen Rechtssystemen hat der Schenker nur begrenzte oder gar keine Möglichkeiten, die Befugnis des Empfängers zur Verfügung über den Schenkungsgegenstand durch Auflagen zu beschränken.

24.      Im Einzelfall kommt es meines Erachtens allerdings im Rahmen der Mehrwertsteuer nicht auf einen im Zivilrecht gegebenenfalls bestehenden Unterschied zwischen Warenmustern und Geschenken an, da der Begriff „Lieferung eines Gegenstands“ sich nicht auf die Eigentumsübertragung im zivilrechtlichen Sinne bezieht, sondern jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands umfasst, die den Empfänger ermächtigt, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre er sein Eigentümer.(15)

25.      Außerdem überschneiden sich die Begriffe insofern, als Warenmuster in der Regel schenkweise abgegeben werden, d. h., ohne dass sich der steuerpflichtige Schenker das Eigentum daran vorbehält. Andererseits können Geschenke im Sinne von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie zumeist nicht als Warenmuster bezeichnet werden, da sie nicht zu diesem Zweck gemacht werden und nicht die für ein Warenmuster kennzeichnenden Eigenschaften aufweisen. So gibt es gelegentlich Warenmuster, die keine Geschenke sind, Geschenke, die (in den meisten Fällen) keine Warenmuster sind, und Warenmuster, die (in vielen Fällen) zugleich auch Geschenke sind.

26.      Auch wenn also die Tatsache, dass nicht alle Warenmuster Geschenke sind, theoretisch die These widerlegt, dass alle Warenmuster von geringem Wert automatisch auch Geschenke von geringem Wert sind, so ist dies doch meiner Meinung nach für die Anwendung von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie ohne Bedeutung. Diese Bestimmung erfasst alle Warenmuster unabhängig von ihrem Wert und unabhängig davon, ob sie dem Empfänger formell geschenkt werden, sowie alle Geschenke von geringem Wert unabhängig davon, ob sie zugleich auch als Warenmuster angesehen werden können.

C –    Zweck von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie

27.      Der Gerichtshof hat den Zweck von Art. 5 Abs. 6 Satz 1 der Sechsten Richtlinie in zahlreichen Fällen untersucht und dabei wiederholt entschieden, dass diese Bestimmung die Gleichbehandlung der verschiedenen Endverbraucher der betreffenden Gegenstände sicherstellen wolle, indem gewährleistet werde, dass der Endverbrauch der Gegenstände besteuert werde, wenn ein Vorsteuerabzug stattgefunden habe.(16) 

28.      Dem steht Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie eigenständig gegenüber, wie sich aus dem Wortlaut dieser Vorschrift ergibt.(17) Ausweislich der Materialien liegt Satz 2 die Überlegung zugrunde, dass Entnahmen für Warenmuster und für Geschenke von geringem Wert entgegen der allgemeinen Regelung nicht als steuerbare Lieferungen zu betrachten sind.(18)

29.      Angesichts dessen kann die Zielsetzung, dass ein Steuerpflichtiger bei Gegenständen, für die Vorsteuer abgezogen wird, nicht der Zahlung der Mehrwertsteuer entgeht, nicht identisch mit der Zielsetzung von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie sein, denn andernfalls wäre die Ausnahmeregelung hinsichtlich „Entnahmen für Geschenke von geringem Wert und für Warenmuster“ sinnlos.

30.      Meines Erachtens soll mit Satz 2 der kommerziellen Realität Rechnung getragen werden, dass Warenmuster und Geschenke von geringem Wert als Werbung für ein Unternehmen und seine Erzeugnisse erforderlich sein können. Es kann keinen anderen Grund für das Bestreben des Gesetzgebers geben, diesen Sachverhalt von der Grundregel der Mehrwertsteuer auszunehmen, wonach der Verbrauch von Gegenständen durch die Endverbraucher der Mehrwertsteuer unterliegt. Was Warenmuster angeht, so dienen diese in erster Linie nicht der Befriedigung der Bedürfnisse von Endverbrauchern, sondern einer Umsatzsteigerung des betreffenden Steuerpflichtigen.(19) Bei „Entnahmen für Geschenke von geringem Wert“ für Zwecke des Unternehmens hat der Gesetzgeber bewusst hingenommen, dass diese ohne Entrichtung von Mehrwertsteuer in den Endverbrauch gelangen.

31.      Die in Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie genannten Entnahmen müssen für Zwecke des Unternehmens erfolgen. Meiner Meinung nach besteht daher keine Gefahr, dass der Endverbrauch unbesteuert bleibt, weil Steuerpflichtige dazu übergehen, Gegenstände in Form von Warenmustern oder Geschenken unentgeltlich Personen zuzuwenden, die in keiner besonderen geschäftlichen Beziehung zu den Steuerpflichtigen stehen. Es kann davon ausgegangen werden, dass solche unentgeltlichen Umsätze für Zwecke des Unternehmens nur dann stattfinden, wenn gewichtige Werbe- oder Vermarktungsgründe dafür sprechen.

32.      Im Rahmen von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie sehe ich daher keine große Gefahr von Steuerhinterziehungen – im Gegensatz zum Regelungsbereich von Satz 1, bei dem es um das offenkundige Problem einer Vermengung von für Zwecke des Unternehmens angeschafften Gegenständen geht, die dann für den privaten Bedarf entnommen werden. Satz 1 regelt Sachverhalte, in denen sich sowohl für natürliche Personen, die selbst steuerpflichtig sind, als auch für natürliche Personen, die sich eine solche Vermengung zunutze machen können, erhebliche wirtschaftliche Vorteile ergeben.

D –    Systematik

33.      Was die Systematik anlangt, sind EMI und das Vereinigte Königreich offenbar verschiedener Meinung hinsichtlich der Funktion von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie innerhalb der Mehrwertsteuerregelung.

34.      Nach Auffassung von EMI bestätigt Satz 2 den Grundsatz, dass Voraussetzung für den Mehrwertsteueranspruch eine Gegenleistung ist(20), während das Vereinigte Königreich Satz 2 als Ausnahme von dem in Satz 1 verankerten Grundsatz ansieht, dass die Mehrwertsteuer steuerlich neutral anzuwenden ist. Damit will das Vereinigte Königreich – wie sich aus seinem Verweis auf die Schlussanträge von Generalanwalt Fennelly in der Rechtssache Kuwait Petroleum, Nr. 27, erkennen lässt – sagen, dass immer dann, wenn es zu einem Vorsteuerabzug gekommen ist, auch Mehrwertsteuer fällig werden muss. Da Satz 2 diesem Prinzip nicht folge, sei er als Ausnahme von diesem Grundsatz zu betrachten.

35.      In gewisser Weise haben beide Recht. Das Problem besteht darin, dass die beiden Parteien zwei verschiedene Grundsätze zum Ausgangspunkt nehmen: EMI geht vom „Grundsatz“ der Gegenleistung aus, das Vereinigte Königreich hingegen vom „Grundsatz“ der Besteuerung des Endverbrauchs.

36.      Meines Erachtens fügt sich die vom Vereinigten Königreich vertretene Auslegung von Satz 2 besser in die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 5 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie.

37.      Wie aus der oben, Nrn. 27 bis 32, dargestellten Zielsetzung von Art. 5 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie ersichtlich, soll mit der Besteuerung unentgeltlicher Zuwendungen von Gegenständen die Neutralität des Mehrwertsteuersystems gewährleistet werden, so dass Gegenstände, für die Vorsteuer in Abzug gebracht worden ist, der Mehrwertsteuer unterliegen. Insofern ist der Ausschluss von „Entnahmen für Geschenke von geringem Wert und für Warenmuster“ als Ausnahme von diesem Grundsatz anzusehen, da ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, obwohl die entsprechende Mehrwertsteuer entfällt.

38.      So hat sich der Gerichtshof im Urteil Kuwait Petroleum denn auch den Ausführungen von Generalanwalt Fennelly in jener Rechtssache angeschlossen und aus den Materialien der Sechsten Richtlinie hergeleitet, Art. 5 Abs. 6 Satz 2 liege der Gedanke zugrunde, dass Geschenke von geringem Wert und Warenmuster entgegen der allgemeinen Regelung nicht als steuerbare Lieferungen zu betrachten seien.(21)

39.      Satz 2 ist daher als Ausnahme von der in Art. 5 Abs. 6 Satz 1 der Sechsten Richtlinie normierten allgemeinen Regelung anzusehen, die eine Ausprägung des fundamentalen Grundsatzes des Mehrwertsteuersystems ist, wonach auf Lieferungen, die zu einem Endverbrauch führen, selbst dann Mehrwertsteuer anzuwenden ist, wenn die Lieferung unentgeltlich erfolgt ist.(22)

40.      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind Ausnahmen eng auszulegen.(23) Dies bedeutet jedoch nicht, dass die zur Erläuterung der Befreiungen verwendeten Begriffe so eng auszulegen sind, dass sie den Befreiungen ihre intendierte Wirkung nehmen.(24)

V –    Bedeutung der Wendung „Entnahmen für Warenmuster“

41.      Mit den Fragen a, b und c möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, was unter der Wendung „Entnahmen für Warenmuster“ im Sinne von Art. 5 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie zu verstehen ist und ob diese Bestimmung der Richtlinie den in den innerstaatlichen Vorschriften vorgesehenen Beschränkungen entgegensteht. Darf die Wendung „Entnahmen für Warenmuster“ beschränkt werden auf i) ein gewerbliches Warenmuster in einer für einen tatsächlichen oder potenziellen Kunden gewöhnlich nicht erhältlichen Form oder auf ii) das erste einer Reihe von Warenmustern, das an denselben Empfänger abgegeben wird?

42.      Die Kommission trägt zutreffend vor, dass die Wendung einheitlich auszulegen sei. Hierfür spricht auch die in den Erwägungsgründen der Sechsten Richtlinie formulierte allgemeine Zielsetzung, dass es erforderlich ist, eine koordinierte Anwendung der Bestimmungen der Richtlinie zu gewährleisten.(25) Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs folgt aus den Erfordernissen sowohl der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des Gleichheitssatzes ferner, dass die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinns und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten EU eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen.(26)

43.      Die deutsche Regierung schlägt vor, die in der Verordnung (EWG) Nr. 918/83 des Rates vom 28. März 1983 über das gemeinschaftliche System der Zollbefreiungen(27) (im Folgenden: Zollbefreiungsverordnung) verwendete Definition des Begriffs des Warenmusters zugrunde zu legen. Nach dieser Verordnung sind Warenmuster oder -proben Gegenstände von geringem Wert, die lediglich dazu bestimmt sind, Aufträge für Waren entsprechender Art im Hinblick auf deren Einfuhr in das Zollgebiet der Gemeinschaft zu beschaffen.(28) Als „Warenmuster oder -proben“ in diesem Sinne gelten die für eine Warengruppe repräsentativen Waren, die durch die Art ihrer Aufmachung und die für eine jeweilige Warenart oder -qualität angebotene Menge zu anderen Zwecken als zur Absatzförderung ungeeignet sind.(29)

44.      Ich halte die Übertragung des Ansatzes der Zollbefreiungsverordnung, die auf eine einheitliche zollrechtliche Behandlung von die EU-Zollgrenze überschreitenden Warenmustern abzielt, auf den Kontext der Mehrwertsteuer für nicht besonders hilfreich, denn im Bereich der Mehrwertsteuer gilt es, legitimen kommerziellen Gepflogenheiten Rechnung zu tragen, gleichzeitig aber der Gefahr zu begegnen, dass angeblich als Warenmuster überlassene Gegenstände unzulässigerweise einem Endverbrauch zugeführt werden.

45.      Die Zollbefreiungsverordnung dient einem bestimmten Zweck, nämlich der Befreiung von Eigangs- bzw. Ausfuhrabgaben.(30) Bei einem solchen speziellen Regelungsbereich kommt es eher auf die körperlichen Merkmale der Waren an, wohingegen bei Sachverhalten wie dem vorliegenden die Rolle des Empfängers im Mittelpunkt der Untersuchung steht.

46.      Bei Prüfung der Frage, ob eine „Entnahme für Warenmuster“ im Sinne der Sechsten Richtlinie vorliegt, sind alle relevanten Umstände zu berücksichtigen. Dabei halte ich es für wichtig, auf die verschiedenen Arten von Empfängern, denen die Gegenstände als Warenmuster überlassen werden, sowie auf die körperlichen Merkmale der fraglichen Gegenstände einzugehen.

A –    Empfänger von Warenmustern

47.      Bei der Beurteilung des Verhältnisses zwischen einem Warenmuster und dem Endprodukt, der zulässigen Mengen der Abgabe von Warenmustern, des Wertes eines einzelnen Warenmusters sowie der Gefahr, dass Warenmuster in erheblichem Umfang in den Endverbrauch gelangen, ist jeweils auf den Empfänger abzustellen. Dies führt mich zu der Schlussfolgerung, dass die Wendung „Entnahmen für Warenmuster“ im Hinblick auf die verschiedenen Empfänger zu prüfen ist.

48.      Aus meiner Sicht gibt es drei verschiedene Gruppen von Warenmusterempfängern. Um Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie korrekt auszulegen, müssen alle drei Gruppen einbezogen werden. Andernfalls wären bestimmte Entnahmen als Entnahmen für ein Warenmuster einzustufen, andere hingegen nicht, und zwar je nachdem, an wen die Abgabe erfolgt, obwohl die Entnahmen in beiden Fällen genau die gleiche kommerzielle Funktion erfüllen. Eine legislative Beschränkung der Anzahl der Warenmuster, die an ein und denselben Empfänger abgegeben werden können, kann je nachdem, ob es sich bei dem Empfänger um ein Unternehmen oder um einen Verbraucher handelt, zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.

49.      Als erste Empfängergruppe sind Endverbraucher zu nennen, die die Warenmuster unmittelbar von dem fraglichen Unternehmen erhalten. Ein typisches Beispiel wären z. B. Kostproben von Lebensmitteln, die an Kunden eines örtlichen Supermarkts abgegeben werden.

50.      Bei der zweiten Empfängergruppe handelt es sich um Unternehmen, die selbst Warenmuster zu eigenen industriellen oder kommerziellen Zwecken erhalten. Hierzu gehören Warenmuster zu Zwecken der Qualitätssicherung. Unternehmen können auch Warenmuster überlassen werden, damit sie diese an Endverbraucher verteilen oder damit sie die Warenmuster ausstellen, so dass der Endverbraucher den betreffenden Artikel testen kann.(31)

51.      In die dritte Empfängergruppe fallen Personen, die als Vermittler zwischen Unternehmen und Publikum tätig werden, etwa Personen, die aufgrund ihrer besonderen Stellung in der Lage sind, den Bekanntheitsgrad des Produkts auf dem Markt zu steigern oder Verbraucherentscheidungen zu beeinflussen. Dieser Personenkreis umfasst nicht nur Discjockeys in Rundfunkanstalten wie im vorliegenden Fall, sondern auch andere Empfängerkreise wie Hochschullehrer oder Buchrezensenten, die Bücher zur Begutachtung erhalten.

52.      Solche Empfänger können natürliche Personen sein, die in einem Arbeitsverhältnis stehen oder freiberuflich tätig sind, aber auch Unternehmen.

53.      Mir scheint, dass die Empfänger im vorliegenden Fall überwiegend der dritten Gruppe zuzurechnen sind. Presseleute erhalten CDs als Warenmuster, damit sie sich öffentlich zu dem Produkt äußern können. Das Gleiche gilt für in Rundfunkanstalten tätige Discjockeys. Im Bereich der Fernsehsender, Werbeagenturen, Verkaufsstellen und Kinos ist die Verteilung von CDs selbstverständlich eher auf ein breiteres Publikum, das auf diesem Weg informiert wird, als auf potenzielle Käufer der Produkte ausgerichtet.

54.      Externe Plugger sind meines Erachtens nicht anders einzustufen als andere zwischengeschaltete Personen, da auch ihre Aufgabe darin besteht, sich ein sachkundiges Urteil über die Produkte zu bilden und dieses zu veröffentlichen, und sie damit einen Beitrag zur Bewerbung des Produkts auf dem Markt leisten.(32)

B –    Merkmale eines Warenmusters

i)      Warenmuster sind Beispielsexemplare eines Produkts, die dessen Bewerbung dienen

55.      EMI und die Kommission sind sich einig, dass Warenmuster zur Bewerbung des Produkts abgegeben werden. Meines Erachtens steht außer Frage, dass für „Entnahmen für Warenmuster“ ein Werbe- oder Vermarktungsziel charakteristisch ist, vor allem angesichts der Voraussetzung, dass die Entnahme für Zwecke des Unternehmens erfolgen muss. Diesem übergeordneten Ziel dienen allerdings auch Werbegeschenke unabhängig davon, ob sie von geringem Wert sind, sowie Geschenke zu Repräsentationszwecken. Die Wendung „Entnahmen für Warenmuster“ kann daher nicht allein unter Bezugnahme auf dieses vom betreffenden Steuerpflichtigen verfolgte allgemeine Ziel ausgelegt werden.

56.      Anscheinend herrscht auch weitgehend Einigkeit darüber, dass die wesentliche Funktion eines Warenmusters in seiner Eigenschaft als Beispielsexemplar für Produkte besteht, die mehrwertsteuerlich als Gegenstände eingestuft werden. Ich halte diese Auffassung für zutreffend. Eigentlicher Zweck eines Warenmusters ist, als Beispielsexemplar eines Produkts zu dienen, für das der Steuerpflichtige in seiner Eigenschaft als Hersteller, Vertreiber, Händler, Vertreter oder sonstiger Vermittler oder Helfer wirbt. Daraus ergibt sich, dass ein Warenmuster – im Gegensatz zu einem Geschenk – von dem betreffenden Steuerpflichtigen hergestellt, vertrieben oder vermarktet werden oder einen sonstigen kommerziell relevanten Bezug zum zukünftigen Absatz des Produkts aufweisen muss.(33)

57.      Allerdings können nicht alle Entnahmen, die in einer kostenlosen Weitergabe bestehen und die zur Bewerbung von Produkten mit einem Bezug zum Unternehmen des Steuerpflichtigen erfolgen, als „Entnahmen für Warenmuster“ behandelt werden.

58.      Werden z. B. Restbestände von Auslaufprodukten kostenlos an Kunden abgegeben, kann dies nicht als „Entnahme für Warenmuster“ gelten, selbst wenn dadurch möglicherweise Goodwill geschaffen wird oder der Name und das Unternehmen des Steuerpflichtigen beworben bzw. bekannt gemacht werden.(34) Eine solche Entnahme dient nämlich nicht dazu, ein Beispielsexemplar der Produkte zur Verfügung zu stellen, deren Absatz gefördert werden soll.

59.      Ein weiteres Beispiel für einen Sachverhalt, bei dem keine „Entnahme für Warenmuster“ vorliegt, ist der Fall eines Händlers, der zu Werbezwecken auslobt, jedem hundertsten Kunden ein bestimmtes in seinem Geschäft zum Verkauf angebotenes Erzeugnis zu schenken. Eine solche Vermarktungsmaßnahme erfüllt nicht die Voraussetzung eines Bezugs zwischen der Abgabe von Warenmustern und der Förderung des zukünftigen Absatzes eben der Erzeugnisse, für die das Warenmuster als Beispielsexemplar dient.(35)

ii)    Warenmuster sind repräsentativ für die Eigenschaften des Endprodukts

60.      Insbesondere im Fall der CDs, bei denen es sich um „fertige Ware“ handelt, stellt sich die Frage, ob ein Warenmuster stets eine für den Endverbraucher gewöhnlich nicht erhältliche Form aufweisen muss oder ob die Überlassung „fertiger Ware“ unter den Begriff „Entnahmen für Warenmuster“ subsumiert werden kann. Insofern besteht das Risiko, dass bei der Überlassung eines Produkts in fertiger Form der Empfang von Warenmustern an die Stelle des Verbrauchs tritt und damit der Grundsatz der steuerlichen Neutralität gefährdet werden könnte.

61.      Um als Beispielsexemplar dienen zu können, muss ein Warenmuster alle wesentlichen Eigenschaften des Stoffs oder des Gegenstands aufweisen, auf den es sich bezieht. In den schriftlichen Erklärungen und in der mündlichen Verhandlung wurden mehrere Beispiele zur Veranschaulichung dieser Aussage angeführt.(36) In vielen Fällen wird die Verteilung von Warenmustern, die alle wesentlichen Eigenschaften des Endprodukts aufweisen, unproblematisch sein, da die Abgabe kleinerer Mengen des fertigen Produkts als Warenmuster möglich ist. Auch eine modifizierte oder vereinfachte Ausführung des Endprodukts kann ein Warenmuster sein, wenn in ihr noch alle wesentlichen Eigenschaften des Produkts vorhanden sind.

62.      Vor allem bei den zur dritten Gruppe gehörenden Empfängern dürfte häufig die Überlassung des gesamten Produkts in seiner endgültigen Form erforderlich sein, um eine umfassende Beurteilung des Erzeugnisses und die genaue Darstellung des Eindrucks zu ermöglichen, den der Vermittler gewonnen hat. Dies gilt für künstlerische und literarische Erzeugnisse wie Bücher und CDs, aber auch für zahlreiche andere Produkte wie Computerspiele, Designerartikel im Mode- und Inneneinrichtungsbereich oder sogar für Lebensmittelerzeugnisse.

63.      Meines Erachtens kann ein Gegenstand, der die Nachfrage eines Verbrauchers nach dem betreffenden Produkt vollkommen befriedigt, in der Regel nicht als Warenmuster angesehen werden. Ein Verbraucher, der z. B. ein Buch, eine CD oder ein Kleidungsstück als Warenmuster erhält, braucht gewöhnlich nicht noch ein weiteres Exemplar genau dieses Artikels zu kaufen.

64.      Mitunter erfüllt ein als Warenmuster abgegebenes Produkt jedoch dadurch einen Werbezweck, dass es bei den Käufern eine neue Gewohnheit entstehen lässt. Darüber hinaus können Einzelexemplare etwa von Büchern, Zeitschriften oder CDs Warenmuster sein, wenn die Abgabe mit dem Ziel erfolgt, für eine Serie, Sammlung, Mitgliedschaft in einem Buchklub oder ein Abonnement der Zeitschrift zu werben.

65.      Zu beachten ist dabei, dass die Empfänger der zweiten und der dritten Gruppe die Warenmuster nicht zum privaten Verbrauch, sondern zu beruflichen Zwecken erhalten.

66.      Allerdings ist nicht auszuschließen, dass ein Warenmuster insofern einem Endverbrauch zugeführt wird, als es an die Stelle von Produkten tritt, die der Verbraucher andernfalls hätte kaufen müssen, um seinen konkreten Bedarf zu decken. Beispielsfälle: Kugelschreiber, die einem Warenhaus zur Qualitätsprüfung überlassen wurden, erweisen sich als so gut, dass der „Prüfer“ einen dieser Kugelschreiber sowohl für berufliche als auch für private Zwecke zu nutzen beginnt; der Ehemann einer Literaturkritikerin liest einen neuen Roman, den seine Ehefrau zu Begutachtungszwecken erhalten, den sie aber nur überflogen hat. Es liegt auf der Hand, dass der Ehemann als Verbraucher des Romans angesehen werden kann, die Kritikerin hingegen nicht. In Bezug auf die Kritikerin ändert sich dieses Ergebnis selbst dann nicht, wenn sie das Buch gelesen hätte, da diese Handlung, wenn sie im Rahmen der Berufsausübung vorgenommen wird, keinen Verbrauchsakt darstellt.(37)

67.      Meines Erachtens gehören solche Fälle unbeabsichtigten Endverbrauchs zu dem „Kollateralschaden“, der im Rahmen kommerziell gerechtfertigter „Entnahmen für Warenmuster“ unvermeidlich ist. Es handelt sich um Situationen, die ein Steuerpflichtiger mit den ihm bei der Überlassung von Warenmustern zur Verfügung stehenden Mitteln nicht vollständig vorhersehen oder verhindern kann.

68.      Um als Warenmuster zu dienen, müssen die betreffenden Gegenstände in entsprechend den üblichen kommerziellen Gepflogenheiten geeigneter Form und Menge abgegeben werden. Dies setzt voraus, dass Warenmuster nicht in einer Form überlassen werden, die einen Ersatz für zum Endverbrauch bestimmte Produkte darstellen könnte, es sei denn, dass sich aufgrund der Eigenart des durch das Warenmuster geförderten Produkts etwas anderes ergibt. Bei Warenmustern von Produkten, die in ihrer endgültigen Form beurteilt werden müssen, können häufig besondere Verpackungen, Aufkleber, Stempelaufdrucke oder andere ähnliche Maßnahmen erforderlich sein, um zu verdeutlichen, dass es sich um Warenmuster handelt, die nicht für den üblichen Handel gedacht sind.

iii) Warenmuster werden in angemessenen Mengen abgegeben

69.      Die Warenmuster müssen in einer Menge abgegeben werden, die ausreicht, ihren Zweck als Beispielsexemplar zu erfüllen, aber nicht darüber hinaus geht. Damit ist nicht unbedingt gesagt, dass nur ein Warenmuster pro Empfänger abgegeben werden darf, da verschiedene Empfänger, die Warenmuster zu unterschiedlichen Zwecken verwenden, die Warenmuster in unterschiedlichen Mengen benötigen.

70.      Bei Empfängern der zweiten Gruppe könnte z. B. eine beschränkende Auslegung der Wendung „Entnahmen für Warenmuster“ dahin, dass jeweils nur ein Exemplar an ein und denselben Empfänger oder ein Warenmuster nur in einer anderen als der Form des Endprodukts abgegeben werden darf, den kommerziellen Realitäten widersprechen. In vielen Fällen dürften Empfänger dieser Kategorie mehrere Warenmuster benötigen. Beispielsfälle: Ein Einzelhandelsgeschäft benötigt gegebenenfalls Tausende von Waschmittelbeuteln zur Weitergabe an seine Kunden; in Industrie und Handel können für die Qualitätsprüfung eines neuen Erzeugnisses Dutzende von Warenmustern erforderlich sein. Empfänger der dritten Gruppe werden in der Regel jedoch nicht mehr als ein Exemplar des Werks benötigen.

C –    Abschließende Bemerkungen zur Wendung „Entnahmen für Warenmuster“

71.      Demnach kann Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie nicht dahin ausgelegt werden, dass es den Mitgliedstaaten gestattet ist, für „Entnahmen für Warenmuster“ a priori Beschränkungen in Bezug auf Menge oder Qualität vorzusehen.

72.      Im Übrigen gelten die allgemeinen Regeln und Grundsätze zu Rechtsmissbrauch, Steuerkontrolle und Steuerhinterziehung auch für die Abgabe von Warenmustern. Angesichts der Menge oder Qualität der abgegebenen Gegenstände oder angesichts anderer Fallumstände mag sich herausstellen, dass die Überlassung der fraglichen Gegenstände nicht als „Entnahme für Warenmuster“ eines vernünftigen, redlich handelnden Steuerpflichtigen zu Zwecken des Unternehmens im Rahmen legitimer kommerzieller Gepflogenheiten bezeichnet werden kann.(38)

73.      Mir ist zwar bewusst, dass die Würdigung des Sachverhalts Sache des nationalen Gerichts ist, dennoch mögen einige Bemerkungen zu den vier verschiedenen Arten der im vorliegenden Fall zur Verteilung gelangenden CDs hilfreich sein.

74.      Meines Erachtens zielen alle vier Arten der an Vermittler abgegebenen CDs auf eine Werbung für das Produkt ab und sind als Beispielsexemplare des Produkts zu bezeichnen. Bezüglich der ersten drei Formen der CDs (die mit Wasserzeichen und dem Namen des Empfängers versehenen CDRs, die CDRs ohne Wasserzeichen in weißer Kartonhülle und die Sampler-CDs) scheint mir die Eigenschaft als Warenmuster deshalb zu bejahen zu sein, weil sie in einer Form abgegeben werden, die sich von der des Endprodukts unterscheidet, einem Warenmuster jedoch angemessen ist. Bei der „fertigen Ware“ besteht das einzige Unterscheidungsmerkmal zum Endprodukt in dem Aufkleber mit dem Hinweis, dass die CDs nicht für den normalen Handel bestimmt sind. Obwohl sich dieser Aufkleber natürlich mühelos entfernen lässt, ist diese Tatsache für sich allein noch nicht geeignet, der CD den Charakter eines Warenmusters zu nehmen, sofern die anderen relevanten Umstände für eine solche Einstufung sprechen.

75.      Meiner Ansicht nach besteht das eigentliche Problem in der großen Menge der CDs, die an externe Plugger zur Weiterverteilung an EMI unbekannte Personen abgegeben werden. Die Beantwortung der Frage, ob eine derartige Werbestrategie unter die Wendung „Entnahmen für Warenmuster“ fällt, bedarf einer konkreten Tatsachenwürdigung dahin, ob die Personen, die diese CDs von den Pluggern erhalten, die Funktion von Vermittlern erfüllen oder ob sie als normale Verbraucher anzusehen sind.

VI – Entnahmen für Geschenke von geringem Wert

76.      Mit Frage d möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob in Bezug auf die Wendung „Entnahmen für Geschenke von geringem Wert“ im Sinne von Art. 5 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie quantitative Beschränkungen für die Anzahl oder den Wert der Geschenke gelten können, die von Zeit zu Zeit oder innerhalb eines Jahreszeitraums gemacht werden dürfen.

77.      Bezüglich „Entnahmen für Geschenke von geringem Wert“ sind alle Verfahrensbeteiligten der Auffassung, dass den Mitgliedstaaten bei der Auslegung des Begriffs „von geringem Wert“ ein gewisser Ermessensspielraum zusteht. EMI weist insbesondere darauf hin, dass der Begriff im Licht der in dem betreffenden Mitgliedstaat herrschenden konkreten wirtschaftlichen Verhältnisse auszulegen sei. Daher sei den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung dieses Begriffs notwendigerweise ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen.

78.      Zunächst einmal ist, da sich in Art. 5 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie kein ausdrücklicher Verweis auf das Recht der Mitgliedstaaten findet, der Wendung „Entnahmen für Geschenke von geringem Wert“ aus den oben zu „Entnahmen für Warenmuster“ dargelegten Gründen eine unionsrechtliche Bedeutung zuzumessen.(39)

79.      Es gibt keinen rechtlichen Grund, weshalb der Begriff „Geschenke“ nicht eine unionsrechtliche Bedeutung haben könnte. Daraus folgt, dass auch die Frage, ob mehrere Zuwendungen von Gegenständen als „Geschenk von geringem Wert“ beurteilt werden können, einheitlich zu beantworten ist. Bei der Beurteilung, was unter „geringem Wert“ zu verstehen ist, mag hingegen ein gewisser Spielraum erforderlich sein, da dabei eine vergleichende Betrachtung erforderlich ist, die nicht losgelöst von den wirtschaftlichen Verhältnissen der Mitgliedstaaten vorgenommen werden kann.

A –    Geschenke

80.      Was ist ein Geschenk? Dieser Begriff ist in der Anthropologie und Soziologie von vorrangiger Bedeutung und in allen entwickelten Zivilrechtssystemen rechtlich fest verankert.(40) Im Kontext der Sechsten Richtlinie und insbesondere deren Art. 5 Abs. 6 hat sich Generalanwalt van Gerven in der Rechtssache Empire Stores(41) beiläufig damit befasst. Nach seiner Auffassung erfasst Art. 5 Abs. 6 Satz 2 „Geschenke im Sinne von Werbegeschenken …, die dazu bestimmt sind, den Goodwill oder die Bekanntheit des Namens allgemein zu fördern, ohne dass dem … eine unmittelbare Gegenleistung gegenübersteht“(42). Der Gerichtshof ist diesem Gedanken jedoch nicht weiter nachgegangen, da er für jenen Fall nicht erheblich war.

81.      Wie seine Ausführungen erkennen lassen, geht der Generalanwalt davon aus, dass unter „Geschenken von geringem Wert“ vor allem Geschenke zu verstehen sind, die zu Vermarktungs-, Werbe- und ähnlichen Verkaufsförderungszwecken gemacht werden.

82.      Meines Erachtens ergibt die mehrwertsteuerliche Vorzugsbehandlung von „Entnahmen für Geschenke von geringem Wert“ nur dann einen Sinn, wenn sie sich in erster Linie auf Geschenke bezieht, die zu den genannten Zwecken zugewendet werden.

83.      Wie ich bereits in Bezug auf die Wendung „Entnahmen für Warenmuster“ dargelegt habe, können Geschenke, die zu Zwecken des Unternehmens gemacht werden, verschiedene Form annehmen: Werbegeschenke, sofern sie von geringem Wert sind; Geschenke an das Personal; Geschenke in Form von Aufwendungen zur Repräsentation des Unternehmens. Nur Geschenke der ersten Art unterliegen der Regelung von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie. Geschenke an das Personal werden in den meisten Fällen gemäß Art. 5 Abs. 6 Satz 1 der Mehrwertsteuer unterliegen, während Geschenke zu Repräsentationszwecken in Art. 17 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie geregelt sind.

84.      Bei Werbegeschenken des Unternehmens dürfte es sich in der Regel um Massenartikel handeln, die nicht individuell für namentlich bezeichnete Empfänger ausgewählt werden. Sie werden spontan verteilt, ohne dass dem Steuerpflichtigen bzw. seinem Vertreter unbedingt immer die Identität des Empfängers bekannt ist. Beispiele für solche Geschenke sind etwa Kugelschreiber, T-Shirts, Notizblöcke, Schals und Krawatten, auf denen das Logo des Unternehmens angebracht ist.

85.      Steuerpflichtige können für Zwecke des Unternehmens aber auch individuell ausgesuchte Geschenke wie Blumen, Pralinen, Flaschen Wein oder kleine Kunstgewerbeartikel wie Vasen oder Ziergegenstände zuwenden. Entscheidend ist bei solchen Geschenken, dass sie von „geringem Wert“ sind, da andernfalls die Möglichkeit besteht, dass sie i) als Repräsentationsaufwendungen im Sinne von Art. 17 Abs. 6 der Richtlinie und daher als nicht abzugsfähig oder ii) entsprechend dem Urteil Kuwait Petroleum als unentgeltliche Zuwendungen im Sinne von Art. 5 Abs. 6 Satz 1 der Sechsten Richtlinie gelten.(43)

86.      Der Unterschied zwischen einer „unentgeltlichen Zuwendung von Gegenständen“ im Sinne von Art. 5 Abs. 6 Satz 1 der Sechsten Richtlinie und „Geschenken von geringem Wert“ im Sinne von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie besteht im Wert der Gegenstände und in dem mit der Abgabe verfolgten Zweck.(44)

B –    „Geringer Wert“

87.      Wenn der Begriff „geringer Wert“ als rein quantitatives Kriterium verstanden wird, benötigen die Mitgliedstaaten meines Erachtens insoweit auch zwangsläufig einen gewissen Ermessensspielraum. Wird „geringer Wert“ hingegen eher als qualitativer Begriff ausgelegt, der nicht ausschließlich auf eine wirtschaftliche Größe reduziert werden kann, ist ein solcher Ermessensspielraum möglicherweise überflüssig.

88.      Es ist verführerisch, den Begriff „geringer Wert“ als qualitatives Kriterium in dem Sinne auszulegen, dass dieses Merkmal gegeben ist, wenn das Geschenk für den Empfänger subjektiv keine größere Bedeutung hat.

89.      Unter „Geschenken von geringem Wert“ im Sinne von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie wären dann Massenwerbegeschenke zu verstehen, die vielfach mit Logo, Namen oder sonstigen einen Bezug zu dem steuerpflichtigen Schenker herstellenden Angaben versehen sind und an Klienten, potenzielle Kunden und Geschäftspartner verteilt werden, ohne auf die Identität des Empfängers zu achten. Aber selbst Geschenke, die diese Kriterien erfüllen, wie etwa mit einem Unternehmenssignet versehene Seidenkrawatten oder Fleecejacken, können wirtschaftlich durchaus von nicht geringem Wert sein.

90.      Aus diesem Grund und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Auslegung des Begriffs praktikabel sein muss, führt eine solche Auslegung nicht zu kohärenten Ergebnissen. Eine Bestimmung des Begriffs „geringer Wert“ im Sinne eines qualitativen Merkmals wäre mit dem Erfordernis einer einheitlichen Auslegung dieses Ausdrucks schwer zu vereinbaren. Daher ist eine Auslegung im Sinne eines quantitativen Begriffsmerkmals vorzuziehen.

C –    Festgelegter Höchstbetrag für „Entnahmen für Geschenke von geringem Wert“

91.      Bezüglich des Geldwerts, der als Obergrenze für einen „geringen Wert“ anzusehen ist, bestehen in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Lösungen. In einigen Ländern wie Spanien, Italien und Luxemburg scheint kein bestimmter Höchstbetrag zur Definition der Wendung „Geschenke von geringem Wert“ vorgegeben zu sein.(45) Andere Länder wie das Vereinigte Königreich und Frankreich halten es für angebracht, aus Gründen der Rechtssicherheit konkrete Beträge festzusetzen. In Finnland ist der Schwellenwert nicht in rechtlich bindenden Vorschriften niedergelegt, sondern in Verwaltungsrichtlinien, die die Steuerbehörden zur Gewährleistung einer einheitlichen Praxis in dieser Frage anwenden.(46)

92.      Meiner Meinung nach sind solche Entscheidungen den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen, die Obergrenzen entsprechend dem dort vorhandenen wirtschaftlichen Wohlstand, dem durchschnittlichen Preis- und dem durchschnittlichen Einkommensniveau festlegen können. Die Schwelle darf jedoch weder so niedrig sein, dass Art. 5 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie bedeutungslos oder unanwendbar wird, noch so hoch, dass nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht mehr von einem „geringen Wert“ die Rede sein kann.

93.      Dürfen die quantitativen Grenzen für „Entnahmen für Geschenke von geringem Wert“ von den Mitgliedstaaten absolut festgelegt werden, oder sollte Raum für eine flexible Anwendung im Einzelfall bestehen?

94.      Offenbar gibt es zumindest eine Entscheidung eines nationalen Gerichts dahin, dass nationale Schwellenwerte mangels eines Verweises auf innerstaatliche Vorschriften in Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie im Einzelfall anfechtbar sein müssen, selbst wenn es aus Gründen einer einheitlichen Steuerpraxis geboten sein kann, dass die Steuerbehörden bestimmte prima facie geltende quantitative Grenzbeträge anwenden.(47)

95.      Zugegebenermaßen ist – wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung hervorgehoben hat – das Postulat, dass eine absolut feststehende quantitative Voraussetzung für die Anwendung einer bestimmten Steuerregelung im Einzelfall anfechtbar sein soll, nur schwer zu begründen, da dies dem eigentlichen Wesen einer solchen Voraussetzung, nämlich Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen, zuwiderliefe. Gleichwohl betrifft der vorliegende Fall eine Unionsbestimmung, der entsprechend den üblichen Auslegungsgrundsätzen ein einheitlicher Bedeutungsgehalt beizumessen ist und die daher den Mitgliedstaaten keinen Beurteilungsspielraum lassen sollte. Angesichts dessen meine ich, dass die Durchführungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten in Ausnahmefällen bei der Anwendung feststehender quantitativer Grenzen eine gewisse Flexibilität erlauben sollten. So mag z. B. ein in mehreren Mitgliedstaaten vertretenes Unternehmen einen einheitlichen Satz von Werbegeschenken verwenden wollen, die alle gleich gestaltet sind und alle mit denselben Logos versehen sind. Unter Berücksichtigung der Regeln über den Binnenmarkt würde ich nicht zulassen wollen, dass ein Mitgliedstaat mit einer besonders niedrigen nationalen Obergrenze für das, was als „geringer Wert“ zu verstehen ist, die Befreiung von der Mehrwertsteuer versagen kann, wenn das Geschenk in den betreffenden anderen Mitgliedstaaten von geringem Wert wäre.

D –    Kumulative Geschenke und „Entnahmen für Geschenke von geringem Wert“

96.      Offenbar schwankt die Praxis der Mitgliedstaaten auch bezüglich der Frage, ob kumulative Geschenke zusammengerechnet werden können. In einigen Ländern wie Deutschland, die Niederlande und Frankreich werden alle Geschenke berücksichtigt, die innerhalb eines Jahres ein und derselben Person gemacht werden.(48)

97.      Nach Auffassung des Vereinigten Königreichs ist die in den nationalen Vorschriften vorgesehene Zusammenrechnung zur Bestimmung, ob die Obergrenze erreicht ist, erforderlich, um Missbräuche des Mehrwertsteuersystems zu verhindern und um sicherzustellen, dass die Steuerpflichtigen Art. 5 Abs. 6 Satz 1 der Sechsten Richtlinie nicht dadurch umgehen, dass sie eine Serie von Geschenken machen, die einzeln gesehen von geringem Wert sind, in ihrer Gesamtheit jedoch einen höheren Wert erreichen.

98.      Auch wenn die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen ein Ziel ist, das von der Sechsten Richtlinie anerkannt und gefördert wird(49), und auch wenn die Mitgliedstaaten ein legitimes Interesse am Erlass von Maßnahmen zur Verhinderung etwaiger Steuerhinterziehungen haben, so hat das Vereinigte Königreich doch keinen Beweis dafür erbracht, dass hier die reale Gefahr einer Steuerhinterziehung besteht.

99.      Ich selbst meine nicht, dass bei „Entnahmen für Geschenke von geringem Wert“ für Zwecke des Unternehmens ernsthaft eine solche Gefahr besteht – im Gegensatz zu der offenkundigen Gefahr von Steuerhinterziehungen in den von Art. 5 Abs. 6 Satz 1 der Sechsten Richtlinie erfassten Fällen.

100. Im Fall von mehreren Geschenken bei progressiven Erbschaftssteuern oder progressiven Grunderwerbsteuern müssen beispielsweise alle innerhalb eines vorgegebenen Zeitraums vorgenommenen Geschäfte berücksichtigt werden, da ein Anreiz besteht, die Steuerprogression durch Aufteilung eines umfangreichen Geschäfts in eine Serie von kleineren Geschäften zu umgehen. Im Bereich der Mehrwertsteuer lässt sich eine solche Zusammenrechnung jedoch nicht auf den Wortlaut von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie stützen. Außerdem würde die mehrwertsteuerliche Behandlung einer Entnahme von anderen vorausgegangenen oder nachfolgenden Entnahmen abhängen, da sich z. B. die mehrwertsteuerliche Behandlung eines Geschenks, dessen Wert unterhalb der festgesetzten Grenze liegt, nachträglich ändern würde, wenn der Empfänger ein weiteres Geschenk von demselben Steuerpflichtigen erhielte und der Gesamtwert der beiden Geschenke dadurch diesen Schwellenbetrag überstiege. Dies wäre mit dem Prinzip unvereinbar, dass jeder mehrwertsteuerbare Umsatz für sich zu betrachten ist und dass vorausgehende oder nachfolgende Ereignisse nichts an dessen Charakter ändern.(50)

101. Ich sehe keine Gefahr, dass Steuerpflichtige Geschenke in ungerechtfertigter Höhe vornehmen, wenn sie dabei tatsächlich für Zwecke des Unternehmens handeln. Allgemeine Regeln und Grundsätze über Steuerkontrolle, Rechtsmissbrauch und Steuerhinterziehung reichen aus, um Versuchen zu begegnen, die für die Steuerbefreiung von Geschenken geltende Voraussetzung des „geringen Werts“ zu umgehen.

102. Eine wortwörtliche Anwendung der Regelung, wonach zur Bestimmung des Erreichens der Obergrenze die Einzelwerte zu addieren sind, würde vom Steuerpflichtigen eine Buchführung über die Personen verlangen, denen er Geschenke macht. Meines Erachtens geht dies über die in der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Rechnungsausstellungs- und Aufzeichnungspflichten hinaus.(51) Im Übrigen wäre es für den Steuerpflichtigen zu belastend, wenn dieser sich merken müsste, wem er jeweils Kalender, Kugelschreiber mit Logos oder ähnliche Geschenke zugewendet hat. (52)

VII – Steuerstatus der Empfänger von Warenmustern und Geschenken von geringem Wert

103. Den Fragen e und f liegt der Umstand zugrunde, dass die einschlägigen innerstaatlichen Vorschriften des Vereinigten Königreichs die Mehrwertsteuerbefreiung auf den ersten als Warenmuster überlassenen Gegenstand beschränken und dass sie bei „Geschenken von geringem Wert“ zur Bestimmung, ob die Wertgrenze erreicht ist, eine Addition der Einzelwerte vorsehen. Aus den von mir vorgeschlagenen Antworten auf die Fragen b bis d folgt, dass solche Beschränkungen der Anwendung von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie durch die innerstaatlichen Vorschriften unzulässig sind.

104. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs bezieht sich der Begriff „Lieferung eines Gegenstands“ insoweit nicht auf die Eigentumsübertragung im zivilrechtlichen Sinne, sondern er umfasst jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands, die den Empfänger ermächtigt, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre er sein Eigentümer.(53) Warenmuster bzw. Geschenke von geringem Wert können daher sowohl Arbeitnehmern als auch ihren Arbeitgebern überlassen werden. Wer von ihnen als Empfänger zu betrachten ist, ist eine Tatsachenfrage, die anhand der relevanten Umstände zu beantworten ist, wobei für die Zwecke der Mehrwertsteuer das rechtlich entscheidende Kriterium die faktische Macht einer Person ist, über die Gegenstände wie ein Eigentümer zu verfügen.

105. In vielen Fällen wird sich nach diesem Maßstab ergeben, dass das Warenmuster bzw. das Geschenk dem Arbeitgeber überlassen worden ist. So liegt z. B. auf der Hand, dass die Arbeitnehmer nicht die Empfänger von Warenmustern sind, die ein Steuerpflichtiger zum Zweck der Prüfung oder der Weiterverteilung eines Produkts erhalten hat. Auf der anderen Seite wird das Ansichtsexemplar eines Buchs, das einem Kritiker an seine Privatadresse übersandt wird, diesem offensichtlich persönlich überlassen, selbst wenn er von einer Zeitung beauftragt worden ist. Ähnlich können Geschenke von geringem Wert einzelnen Arbeitnehmern (etwa im Fall individuell übersandter Kalender) oder dem Arbeitgeber (etwa im Fall von von einem Geschäftskunden an das Büro eines Kleinbetriebs übersandten Pralinen) gemacht werden.

106. Frage f zielt im Wesentlichen darauf ab, ob es für die Beantwortung einen Unterschied machen würde, wenn der Empfänger in der Lage wäre, für die Lieferung der Gegenstände zu zahlende Vorsteuer in Abzug zu bringen.

107. Die Kommission vertritt die Auffassung, dass die Auslegung von Art. 5 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie nicht vom Status des Empfängers oder von seiner Möglichkeit zum Vorsteuerabzug abhänge. Rein theoretisch könne ein Unternehmen, das Warenmuster oder Geschenke erhalte, in der Lage sein, Vorsteuer in Abzug zu bringen. Hierzu sei es aber nur dann berechtigt, wenn es diese Steuer getragen habe, d. h., wenn der Schenker dem Unternehmen Mehrwertsteuer für die Warenmuster oder Geschenke berechnet habe.

108. Ich schließe mich dem an. Im Übrigen ist der Sinn der Frage kaum erkennbar. Die von der Kommission erwähnte Annahme, also die Erhebung von Mehrwertsteuer auf Warenmuster bzw. auf Geschenke von geringem Wert, dürfte wohl weit von der kommerziellen Realität entfernt sein.

VIII – Ergebnis

109. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen folgendermaßen zu beantworten:

1.         Unter „Entnahmen für Warenmuster“ nach Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern — Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage sind zu verstehen

–        von einem Steuerpflichtigen durchgeführte Lieferungen,

–        die die Förderung des zukünftigen Absatzes eines Produkts (das mehrwertsteuerlich als Gegenstand eingestuft wird) bezwecken,

–        die an tatsächliche oder potenzielle Kunden oder an Personen erfolgen, die aufgrund ihrer besonderen Stellung in der Lage sind, die Beachtung des Produkts auf dem Markt zu beeinflussen,

–        die in einem oder mehreren Einzelstücken bestehen, die als Beispielsexemplar für das Produkt dienen, da in ihnen noch alle wesentlichen Qualitätsmerkmale und Eigenschaften des Produkts vorhanden sind, und die damit dem Empfänger, dessen Kunden bzw. anderen Personen, mit denen der Empfänger kommuniziert, die Beurteilung oder Prüfung des Wesens, der Eigenschaften und der Qualität des Produkts ermöglichen.

2.         Die Mitgliedstaaten können eine Obergrenze für den Geldwert eines „Geschenks von geringem Wert“ im Sinne von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie 77/388 unter Berücksichtigung des allgemeinen Preis- und Einkommensniveaus sowie der sonstigen wirtschaftlichen Verhältnisse in dem betreffenden Mitgliedstaat festlegen, vorausgesetzt, die Obergrenze ist weder so niedrig, dass Art. 5 Abs. 6 bedeutungslos oder unanwendbar wird, noch so hoch, dass nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht mehr von einem „geringen Wert“ die Rede sein kann, und vorausgesetzt, dass einzelne Ausnahmen von der Obergrenze in Fällen zugelassen werden, in denen dies objektiv gerechtfertigt ist. Unter Entnahmen für Geschenke von geringem Wert im Sinne der genannten Vorschrift sind die individuellen Lieferungen eines Steuerpflichtigen zu verstehen. Die Mitgliedstaaten dürfen bei der Bestimmung, ob die vorgenannten Obergrenzen erreicht sind, nicht mehrere Geschenke zusammenrechnen, die innerhalb eines definierten Zeitraums gemacht werden.

3.         Es ist Sache des nationalen Gerichts, unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen, wer als Empfänger eines entnommenen Gegenstands im Sinne von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie anzusehen ist. Für die mehrwertsteuerliche Behandlung einer Entnahme nach Art. 5 Abs. 6 Satz 2 dieser Richtlinie ist es unerheblich, ob der Empfänger des entnommenen Gegenstands zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.


1 – Originalsprache: Englisch.


2 – Mauss, M., Essai sur le don, Presses universitaires de France Paris, 2007 (Neudruck 2008), S. 65; Mauss, M., The Gift. The Form and Reason for Exchange in Archaic Societies, W. W. Norton, New York – London 1990 (Neudruck 2000), S. 3 (englische Übersetzung); Mauss, M., Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 2. Aufl., 1994. Richard Hyland zufolge scheinen die Schwierigkeiten zahlreicher Rechtssysteme bei der Behandlung des Austauschs von Geschenken die These von Mauss zu bestätigen, dass solche Austausche zu den Grundstrukturen menschlicher Gesellschaften gehören. Vgl. Hyland, R., Gifts – A Study in Comparative Law, Oxford University Press 2009, S. 114. In Kreisen der Ethnografen wird jedoch die von Mauss verwendete Methodik in vielerlei Hinsicht kritisiert (ebd., S. 14).


3 – Art. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).


4 – Der Unionsgesetzgeber scheint sich von dem alten Grundsatz donatio non praesumitur – die rechtliche Vermutung spricht gegen ein Geschenk – leiten zu lassen. Zu dieser Rechtsvermutung im kontinentaleuropäischen Rechtsraum und im Rechtsraum des Common Law vgl. Kangas, U., Lahja („Das Geschenk“), Lakimiesliiton Kustannus, Helsinki 1993, S. 56 bis 58.


5 – Gemäß Art. 5 Abs. 6 Satz 1 der Sechsten Richtlinie. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass im Anschluss an das Urteil vom 27. April 1999, Kuwait Petroleum (C-48/97, Slg. 1999, I-2323), unter Satz 1 auch zu Zwecken des Unternehmens erfolgende unentgeltliche Zuwendungen von Gegenständen fallen, wenn diese zu einem Vorsteuerabzug berechtigt haben.


6 – Nach Art. 17 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie sind Abzüge unzulässig für Ausgaben, die keinen streng geschäftlichen Charakter haben, wie Luxusausgaben, Ausgaben für Vergnügungen und Repräsentationsausgaben.


7 – Gemäß Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie.


8 – Art. 5 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie entspricht jetzt Art. 16 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie), die mit Wirkung vom 1. Januar 2007 an die Stelle der Sechsten Richtlinie getreten ist (vgl. die Entsprechungstabelle in Anhang XII der Mehrwertsteuerrichtlinie). Die Mehrwertsteuerrichtlinie bezweckt die Gewährleistung der Klarheit und Wirtschaftlichkeit der einschlägigen Bestimmungen im Einklang mit dem Grundsatz besserer Rechtssetzung (dritter Erwägungsgrund).


9 – Urteile vom 6. Mai 1992, de Jong (C-20/91, Slg. 1992, I-2847), Kuwait Petroleum, in Fn. 5 angeführt, vom 20. Januar 2005, Hotel Scandic Gåsabäck (C-412/03, Slg. 2005, I-743), vom 8. März 2001, Bakcsi (C-415/98, Slg. 2001, I-1831), und vom 17. Mai 2001, Fischer und Brandenstein (C-322/99 und C-323/99, Slg. 2001, I-4049).


10 – Da die Vorlageentscheidung im vorliegenden Fall vor Inkrafttreten des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (ABl. 2008, C 115, S. 47) ergangen ist, wurden durchweg die Bezeichnungen der Artikel des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (ABl. 2002, C 325, S. 33) beibehalten.


11 – Bei CDRs handelt es sich um eine Variante der herkömmlichen CD. Sie werden unter einem der EMI-Labels, nämlich dem Virgin Record Label, in eigenen Räumlichkeiten und auf eigenen Rechnern aufgenommen.


12 – Die entsprechende Bestimmung für Dienstleistungen findet sich in Art. 6 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie.


13 – Nach Angaben der OECD ergibt sich aus den von den Steuerbehörden erfassten Daten eindeutig, dass die Mehrwertsteuer in den meisten Ländern in absoluten Zahlen ausgedrückt unter allen Steuern die höchste Belastung darstellt (OECD Forum on Tax Administration: Taxpayer Services Sub Group Information Note, Programs to Reduce the Administrative Burden of Tax Regulations in Selected Countries, 22. Januar 2008, vgl. http://www.oecd.org/dataoecd/39/6/39947998.pdf). Seit 2007 konzentriert sich die Europäische Kommission auf die Verringerung der Verwaltungslasten in 13 vorrangigen Bereichen, darunter die Mehrwertsteuer, durch ihr „Aktionsprogramm zur Verringerung der Verwaltungslasten in der Europäischen Union“. Weitere Informationen, u. a. über die hinsichtlich dieser Vorschläge erzielten Fortschritte, finden sich im Abschnitt „Bessere Rechtssetzung“ auf der Website der GD Unternehmen und Industrie: http://ec.europa.eu/enterprise/policies/better-regulation/administrative-burdens/index_de.htm.


14 – Weitere Definitionen des Begriffs „Geschenk“ in verschiedenen Rechtssystemen finden sich bei Hyland, in Fn. 2 angeführt, S. 127 bis 217. Seiner Ansicht nach ist bei einer rechtsvergleichenden Betrachtung ein „Geschenk“ gekennzeichnet durch Unentgeltlichkeit, ein subjektives Element (Schenkungsabsicht), die Eigenschaft als Geschäft unter Lebenden sowie durch den Schenkungsgegenstand, wobei Letzterer der Faktor sei, durch den es sich von anderen unentgeltlichen Rechtsübertragungen unterscheide. Interessanterweise erfolgen Hyland zufolge (S. 132) Geschenke im Allgemeinen außerhalb des auf Selbstinteresse ausgerichteten Bereichs des Marktes, wenngleich er auch den Themenkreis der von Unternehmensverbänden gegebenen Spenden behandelt (S. 233 bis 237).


15 – Vgl. zuletzt Urteile vom 29. März 2007, Aktiebolaget (C-111/05, Slg. 2007, I-2697, Randnr. 32), vom 21. Februar 2006, University of Huddersfield (C-223/03, Slg. 2006, I-1751, Randnr. 43), und vom 8. Februar 1990, Shipping & Forwarding Enterprise Safe (C-320/88, Slg. 1990, I-285, Randnrn. 7 f.).


16 – Ein Großteil der Rechtsprechung betrifft die Entnahme von Gegenständen für den privaten Bedarf, die ursprünglich zu Zwecken des Unternehmens erworben wurden: in Fn. 9 angeführte Urteile Hotel Scandic Gåsabäck, Randnr. 23, Bakcsi, Randnr. 45, Fischer und Brandenstein, Randnr. 56, sowie de Jong, Randnrn. 15 und 18. Zur Erreichung des Zwecks, die Besteuerung des Endverbrauchs zu gewährleisten, findet Satz 1 jedoch auch auf Entnahmen zu Zwecken des Unternehmens Anwendung, wenn Vorsteuer abgezogen wurde: Urteil Kuwait Petroleum, in Fn. 5 angeführt, Randnrn. 20 bis 22. Generalanwalt Fennelly verweist in seinen Schlussanträgen in jener Rechtssache auf die Entstehungsgeschichte von Art. 5 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie, aus der sich als Zweck der Bestimmung ergebe, sicherzustellen, dass der Steuerpflichtige – soweit auf Gegenstände bei deren Erwerb keine Mehrwertsteuer entrichtet worden sei – nicht der Zahlung der Mehrwertsteuer entgehe, wenn er diese Gegenstände anschließend aus anderen Gründen als für den privaten Bedarf unentgeltlich zuwende.


17 – Wie Generalanwalt Fennelly in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Kuwait Petroleum, Urteil in Fn. 5 angeführt, dargelegt hat, wird durch das Wort „jedoch“ der Gegensatz zwischen dem ersten und dem zweiten Satz von Art. 5 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie hervorgehoben. Auch wenn dieses Wort nicht in allen Sprachfassungen verwendet wird, ist dies eine hilfreiche Feststellung.


18
                                                                      
Urteil Kuwait Petroleum, in Fn. 5 angeführt, Randnr. 23; vgl. auch Schlussanträge von Generalanwalt Fennelly in jener Rechtssache, Nr. 26.


19 – Dies gilt unbeschadet der Tatsache, dass Warenmuster mitunter auch verbraucht werden können. Vgl. die weiteren Ausführungen hierzu unten, Nrn. 60 bis 70.


20 – In Anlehnung an das bekannte Prinzip, das der Betrag, auf den Mehrwertsteuer erhoben wird, nicht höher sein darf als der Betrag, den der Endverbraucher gezahlt hat (Urteil vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs, C-317/94, Slg. 1996, I-5339, Randnr. 19).


21 – Vgl. Urteil Kuwait Petroleum, in Fn. 5 angeführt, Randnr. 23, und Schlussanträge von Generalanwalt Fennelly in jener Rechtssache, Nr. 26.


22 – Art. 2 der Ersten Richtlinie 67/227/EWG des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer (ABl. L 71, S. 1301) enthält den Leitgedanken des Mehrwertsteuerrechts, dass der Endverbrauch eines Produkts besteuert wird.


23 – Urteile vom 15. Juni 1989, Stichting Uitvoering Financiële Acties (348/87, Slg. 1989, 1737, Randnr. 13), und vom 14. Juni 2007, Horizon College (C-434/05, Slg. 2007, I-4793, Randnr. 16).


24 – Urteil vom 18. November 2004, Temco Europe (C-284/03, Slg. 2004, I-11237, Randnr. 17), und Schlussanträge von Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer in jener Rechtssache, Nr. 37.


25 – 16. Erwägungsgrund der Sechsten Richtlinie.


26 – Vgl. zuletzt Urteil vom 6. März 2008, Nordania Finans und BG Factoring (C-98/07, Slg. 2008, I-1281, Randnr. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).


27 – ABl. L 105, S. 1.


28 – Art. 91 der Zollbefreiungsverordnung.


29 – Eine weitere, ähnliche Definition für Warenmuster findet sich in Art. III des Internationalen Abkommens zur Erleichterung der Einfuhr von Warenmustern und Werbematerial (http://images.io.gov.mo/bo/i/99/50/dlar-40539-56-eng.pdf).


30 – Art. 1 Abs. 1 der Zollbefreiungsverordnung.


31– Das Vereinigte Königreich behandelt diese Kategorie von Empfängern als in bestimmten Situationen steuerbefreit. Wie in der Sitzung deutlich geworden ist, nehmen H. M. Revenue & Customs (i) Warenmuster, die für Textzwecke zur Qualitätssicherung überlassen werden, und (ii) Warenmuster, die Einzelhändlern zur Weitergabe an Verbraucher überlassen werden, von der allgemeinen Regel aus, die die Zahl der Muster begrenzt, die einem einzelnen Einzelhändler überlassen werden können (vgl. http://www.hmrc.gov.uk/vat/managing/special-situations/samples.htm#2).


32 – Für die Anwendung von Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie ist es unerheblich, ob die Überlassung eines Warenmusters unter Werbegesichtspunkten kontraproduktiv ist, was z. B. der Fall sein kann, wenn der Warenmusterempfänger das Produkt negativ beurteilt.


33 – So kann die Warenprobe eines Erzeugnisses, das sich noch nicht in der Produktion befindet, von einem anderen Unternehmen als dem Steuerpflichtigen hergestellt werden, der das Erzeugnis vermarkten will und daher Muster zur Beurteilung der Produktqualität verteilt.


34– Nach Auffassung von EMI ist dies ein wesentliches Element des Begriffs des Warenmusters.


35 – Bei dem Beispielfall des Händlers, der jedem hundertsten Kunden ein Geschenk macht, handelt es sich natürlich nicht um Warenmuster, sondern um Geschenke, die als Werbung für ein Unternehmen erfolgen. Bei Geschenken geht es um mehr als nur die Förderung des zukünftigen Absatzes bestimmter Produkte, die schenkweise überlassen werden. Mit Geschenken soll allgemein Goodwill geschaffen werden, damit der zukünftige Absatz aller mit dem Unternehmen assoziierten Produkte gefördert wird.


36 – So muss z. B. ein als Warenmuster überlassenes Paket Waschpulver groß genug für einen Maschinenwaschgang sein. Ein Stück eines Croissants mag als Warenmuster für das Erzeugnis eines Bäckers nicht ausreichen; vielmehr muss man gegebenenfalls ein ganzes Croissant verzehren, um alle seine Qualitäten beurteilen zu können.


37 – Zur Vermeidung von Missverständnissen sei darauf hingewiesen, dass die Unterscheidung zwischen Verbrauch und Berufsausübung nicht besagt, dass Waren zu beruflichen Zwecken ohne Entrichtung der Vorsteuer erworben werden können. Soweit der Erwerb jedoch im Rahmen der Tätigkeit des Steuerpflichtigen stattfindet, ist diese Vorsteuer abziehbar.


38 – Wie der Gerichtshof bereits im Bereich der direkten Steuern festgestellt hat, kann ein Mitgliedstaat bei seinem Tätigwerden nicht von einer allgemeinen Vermutung einer Steuerhinterziehung ausgehen (vgl. Urteil vom 11. Oktober 2007, ELISA, C-451/05, Slg. 2007, I-8251, Randnr. 91 und die dort angeführte Rechtsprechung). Meines Erachtens gilt dies auch für den Bereich der Mehrwertsteuer.


39 – Vgl. oben, Nr. 10.


40 – Kangas (in Fn. 4 angeführt, S. VII und S. 31 bis 59) weist im Anschluss an den großen deutschen Rechtsgelehrten Friedrich Carl von Savigny darauf hin, dass es sich bei dem Begriff des Geschenks trotz seiner scheinbaren Einfachheit um ein kompliziertes Rechtsinstitut handelt.


41 – Urteil vom 2. Juni 1994 (C-33/93, Slg. 1994, I-2329).


42 – Nr. 19 der Schlussanträge in der Rechtssache Empire Stores.


43 – In den Fällen des Art. 17 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie ist die Vorsteuer nicht abziehbar, während in den Fällen des Art. 5 Abs. 6 Satz 1 der Sechsten Richtlinie der Vorsteuerabzug durch die Entrichtung von Mehrwertsteuer für eine Lieferung an sich selbst ausgeglichen wird.


44– Urteil Kuwait Petroleum, in Fn. 5 angeführt, Randnr. 23, sowie Schlussanträge von Generalanwalt Fennelly in jener Rechtssache, Nr. 26.


45 – Frage Nr. 617/89 an die Kommission von F. Herman im Europäischen Parlament, ABl. 1990, C 39, S. 24. Obwohl diese Anfrage aus dem Jahr 1990 stammt, halte ich es für sachdienlich, einige Angaben über die Verhältnisse in anderen Mitgliedstaaten zur Hand zu haben.


46 – Vgl. Kallio, M., u. a., Arvonlisäverotus 2009, Edita Helsinki 2009, S. 512.


47 – Urteil des finnischen Obersten Verwaltungsgerichts vom 3. Oktober 2006, KHO 2006:70.


48 – Frage an die Kommission, in Fn. 45 angeführt.


49 – Urteile vom 17. Juli 2008, Kommission/Italien (C-132/06, Slg. 2008, I-5457, Randnr. 46), und vom 10. Juli 2008, Sosnowska (C-25/07, Slg. 2008, I-5129, Randnr. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung); vgl. auch Art. 22 Abs. 8 und Art. 27 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie.


50 – Urteil vom 12. Januar 2006, Optigen u. a. (C-354/03, C-355/03 und C-484/03, Slg. 2006, I-483, Randnr. 47).


51 – Art. 22 der Sechsten Richtlinie.


52 – Andererseits kann davon ausgegangen werden, dass ein Steuerpflichtiger Aufzeichnungen über die Empfänger von Geschenken zu Zwecken der Unternehmensrepräsentation und anderen Geschenken von höherem Wert führt, um zu vermeiden, dass ein bestimmter Empfänger zweimal das gleiche Geschenk erhält.


53 – Vgl. oben, Nr. 24 und Fn. 15.