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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA

vom 13. Dezember 2016(1)

Rechtssache C-571/15

Wallenborn Transports SA

gegen

Hauptzollamt Gießen

(Vorabentscheidungsersuchen des Hessischen Finanzgerichts [Deutschland])

„Steuerwesen – Mehrwertsteuer – Grenzüberschreitender Warenverkehr – Ort des steuerbaren Umsatzes – Beförderung von Waren über einen Freihafen in einem Mitgliedstaat – Regelung dieses Mitgliedstaats, nach der die Freihäfen nicht zum Staatsgebiet gehören – Entstehen von Zollschuld und Mehrwertsteueranspruch bei Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung“





1.        Das Hessische Finanzgericht stellt eine Frage, die theoretisches Interesse und praktische Tragweite verbindet. Es geht mit wenigen Worten darum, zu erfahren, welche Rechtsfolgen für die Einfuhrumsatzsteuer der Umstand mit sich bringt, dass das deutsche Recht bestimmte Freizonen als „Ausland“ einstuft. Konkret fragt das vorlegende Gericht, ob die Verbringung einer Ware in eine dieser Freizonen ihre Einfuhr in das Gebiet der Union und damit den Steuertatbestand der Einfuhrumsatzsteuer generell ausschließt.

2.        Der Streit entsteht, weil ein Steuerpflichtiger die Einfuhrumsatzsteuer anficht, die die deutsche Verwaltung von ihm gleichzeitig mit den Zöllen erhoben hat, die gemäß Art. 203 Abs. 1 des Zollkodex der Gemeinschaften(2) geschuldet werden, also weil eine Ware, für die das zollrechtliche (Versand-)Verfahren nicht ordnungsgemäß beendet wurde, der zollamtlichen Überwachung entzogen wurde. Da sich der die Zollschuld begründende Sachverhalt in einer Freizone (Hamburger Hafen) ereignete, die nach nationalem Recht mehrwertsteuerrechtlich kein „Inland“ ist, fragt das vorlegende Gericht, ob die Ware eingeführt worden und damit der Steuertatbestand der Einfuhrumsatzsteuer eingetreten ist.

I –    Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht

1.      Richtlinie 2006/112/EG(3)

3.        Nach Art. 2 Abs. 1 unterliegen „[d]er Mehrwertsteuer … folgende Umsätze: … d) die Einfuhr von Gegenständen“.

4.        Art. 5 bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:

(1)       ‚Gemeinschaft‘ und ‚Gebiet der Gemeinschaft‘ das Gebiet aller Mitgliedstaaten im Sinne der Nummer 2;

(2)       ‚Mitgliedstaat‘ und ‚Gebiet eines Mitgliedstaats‘ das Gebiet jedes Mitgliedstaats der Gemeinschaft, auf den der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft gemäß dessen Artikel 299 Anwendung findet, mit Ausnahme der in Artikel 6 dieser Richtlinie genannten Gebiete;

(3)       ‚Drittgebiete‘ die in Artikel 6 genannten Gebiete;

(4)       ‚Drittland‘ jeder Staat oder jedes Gebiet, auf den/das der Vertrag keine Anwendung findet.“

5.        Art. 6 sieht vor:

„(1)       Diese Richtlinie gilt nicht für folgende Gebiete, die Teil des Zollgebiets der Gemeinschaft sind:

a)       Berg Athos;

b)       Kanarische Inseln;

c)       französische überseeische Departements;

d)       Ålandinseln;

e)       Kanalinseln.

(2)       Diese Richtlinie gilt nicht für folgende Gebiete, die nicht Teil des Zollgebiets der Gemeinschaft sind:

a)       Insel Helgoland;

b)       Gebiet von Büsingen;

c)       Ceuta;

d)       Melilla;

e)       Livigno;

f)       Campione d’Italia;

g)       den zum italienischen Gebiet gehörenden Teil des Luganer Sees.“

6.        Art. 30 lautet:

„Als ‚Einfuhr eines Gegenstands‘ gilt die Verbringung eines Gegenstands, der sich nicht im freien Verkehr im Sinne des Artikels 24 des Vertrags befindet, in die Gemeinschaft.

Neben dem in Absatz 1 genannten Umsatz gilt als Einfuhr eines Gegenstands auch die Verbringung eines im freien Verkehr befindlichen Gegenstands mit Herkunft aus einem Drittgebiet, das Teil des Zollgebiets der Gemeinschaft ist, in die Gemeinschaft.“

7.        Gemäß Art. 60 der Mehrwertsteuerrichtlinie erfolgt „[d]ie Einfuhr von Gegenständen … in dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet sich der Gegenstand zu dem Zeitpunkt befindet, in dem er in die Gemeinschaft verbracht wird“.

8.        Art. 61 bestimmt:

„Abweichend von Artikel 60 erfolgt bei einem Gegenstand, der sich nicht im freien Verkehr befindet und der vom Zeitpunkt seiner Verbringung in die Gemeinschaft einem Verfahren oder einer sonstigen Regelung im Sinne des Artikels 156, der Regelung der vorübergehenden Verwendung bei vollständiger Befreiung von Einfuhrabgaben oder dem externen Versandverfahren unterliegt, die Einfuhr in dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet der Gegenstand nicht mehr diesem Verfahren oder der sonstigen Regelung unterliegt.

Unterliegt ein Gegenstand, der sich im freien Verkehr befindet, vom Zeitpunkt seiner Verbringung in die Gemeinschaft einem Verfahren oder einer sonstigen Regelung im Sinne der Artikel 276 und 277, erfolgt die Einfuhr in dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet der Gegenstand nicht mehr diesem Verfahren oder der sonstigen Regelung unterliegt.“

9.        Nach Art. 70 der Mehrwertsteuerrichtlinie treten „Steuertatbestand und Steueranspruch … zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Einfuhr des Gegenstands erfolgt“.

10.      Art. 71 sieht vor:

„(1)       Unterliegen Gegenstände vom Zeitpunkt ihrer Verbringung in die Gemeinschaft einem Verfahren oder einer sonstigen Regelung im Sinne der Artikel 156, 276 und 277, der Regelung der vorübergehenden Verwendung bei vollständiger Befreiung von Einfuhrabgaben oder dem externen Versandverfahren, treten Steuertatbestand und Steueranspruch erst zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Gegenstände diesem Verfahren oder dieser sonstigen Regelung nicht mehr unterliegen.

Unterliegen die eingeführten Gegenstände Zöllen, landwirtschaftlichen Abschöpfungen oder im Rahmen einer gemeinsamen Politik eingeführten Abgaben gleicher Wirkung, treten Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem Tatbestand und Anspruch für diese Abgaben entstehen.

(2)       In den Fällen, in denen die eingeführten Gegenstände keiner der Abgaben im Sinne des Absatzes 1 Unterabsatz 2 unterliegen, wenden die Mitgliedstaaten in Bezug auf Steuertatbestand und Steueranspruch die für Zölle geltenden Vorschriften an.“

11.      Gemäß Art. 156 Abs. 1 der Richtlinie können „[d]ie Mitgliedstaaten … folgende Umsätze von der Steuer befreien: … b) die Lieferungen von Gegenständen, die in einer Freizone oder einem Freilager gelagert werden sollen; …“.

12.      Nach Art. 202 der Richtlinie wird „[d]ie Mehrwertsteuer … von der Person geschuldet, die veranlasst, dass die Gegenstände nicht mehr einem Verfahren oder einer sonstigen Regelung im Sinne der Artikel 156, 157, 158, 160 und 161 unterliegen“.

2.      Zollkodex

13.      In Art. 4 heißt es:

„Im Sinne dieses Zollkodex ist oder sind

7. Gemeinschaftswaren:

– Waren, die unter den in Artikel 23 genannten Voraussetzungen vollständig im Zollgebiet der Gemeinschaft gewonnen oder hergestellt worden sind, ohne dass ihnen aus nicht zum Zollgebiet der Gemeinschaft gehörenden Ländern oder Gebieten eingeführte Waren hinzugefügt wurden;

– aus nicht zum Zollgebiet der Gemeinschaft gehörenden Ländern oder Gebieten eingeführte Waren, die in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführt worden sind;

– Waren, die im Zollgebiet der Gemeinschaft entweder ausschließlich unter Verwendung von nach dem zweiten Gedankenstrich bezeichneten Waren oder unter Verwendung von nach den ersten beiden Gedankenstrichen bezeichneten Waren gewonnen oder hergestellt worden sind;

8. Nichtgemeinschaftswaren: andere als die unter Nummer 7 genannten Waren.

Unbeschadet der Artikel 163 und 164 verlieren Gemeinschaftswaren ihren zollrechtlichen Status mit dem tatsächlichen Verbringen aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft;

10. Einfuhrabgaben:

– Zölle und Abgaben mit gleicher Wirkung bei der Einfuhr von Waren;

– Abschöpfungen und sonstige bei der Einfuhr erhobene Abgaben, die im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik oder aufgrund der für bestimmte landwirtschaftliche Verarbeitungserzeugnisse geltenden Sonderregelungen vorgesehen sind;

15. zollrechtliche Bestimmung einer Ware:

a) Überführung in ein Zollverfahren;

b) Verbringung in eine Freizone oder ein Freilager;

16. Zollverfahren:

b) Versandverfahren;

…“

14.      Art. 37 bestimmt:

„(1)       Waren, die in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht werden, unterliegen vom Zeitpunkt des Verbringens an der zollamtlichen Überwachung. Sie können nach dem geltenden Recht Zollkontrollen unterzogen werden.

(2)       Sie bleiben so lange unter zollamtlicher Überwachung, wie es für die Ermittlung ihres zollrechtlichen Status erforderlich ist, und, im Fall von Nichtgemeinschaftswaren unbeschadet des Artikels 82 Absatz 1, bis sie ihren zollrechtlichen Status wechseln, in eine Freizone oder ein Freilager verbracht, wiederausgeführt oder nach Artikel 182 vernichtet oder zerstört werden.“

15.      Art. 92 sieht vor:

„(1)       Das gemeinsame Versandverfahren ist beendet[,] und die Pflichten des Hauptverpflichteten sind erfüllt, wenn die in das Versandverfahren überführten Waren gemäß den hierfür geltenden Bestimmungen unter Vorlage der erforderlichen Papiere der Bestimmungsstelle gestellt werden.

(2)       Die Zollbehörden erledigen das externe Versandverfahren, wenn für sie auf der Grundlage eines Vergleichs der der Abgangszollstelle zur Verfügung stehenden Angaben mit den der Bestimmungszollstelle zur Verfügung stehenden Angaben ersichtlich ist, dass das Verfahren ordnungsgemäß beendet ist.“

16.      Art. 96 bestimmt:

„(1)       Der Hauptverpflichtete ist der Inhaber des externen gemeinschaftlichen Versandverfahrens. Er hat

a)       die Waren innerhalb der vorgeschriebenen Frist unter Beachtung der von den Zollbehörden zur Nämlichkeitssicherung getroffenen Maßnahmen unverändert der Bestimmungszollstelle zu gestellen;

b)       die Vorschriften über das gemeinschaftliche Versandverfahren einzuhalten.

(2)       Unbeschadet der Pflichten des Hauptverpflichteten nach Absatz 1 ist ein Warenführer oder Warenempfänger, der die Waren annimmt und weiß, dass sie dem gemeinschaftlichen Versandverfahren unterliegen, auch verpflichtet, sie innerhalb der vorgeschriebenen Frist unter Beachtung der von den Zollbehörden zur Nämlichkeitssicherung getroffenen Maßnahmen unverändert der Bestimmungszollstelle zu gestellen.“

17.      Art. 166 schreibt vor:

„Freizonen und Freilager sind Teile des Zollgebiets der Gemeinschaft oder in diesem Zollgebiet gelegene Räumlichkeiten, die vom übrigen Zollgebiet getrennt sind und in denen

a)       Nichtgemeinschaftswaren für die Erhebung der Einfuhrabgaben und Anwendung der handelspolitischen Maßnahmen bei der Einfuhr als nicht im Zollgebiet der Gemeinschaft befindlich angesehen werden, sofern sie nicht in den zollrechtlich freien Verkehr oder ein anderes Verfahren übergeführt oder unter anderen als den im Zollrecht vorgesehenen Voraussetzungen verwendet oder verbraucht werden;

b)       für bestimmte Gemeinschaftswaren aufgrund des Verbringens in die Freizone oder das Freilager die Maßnahmen anwendbar werden, die grundsätzlich an die Ausfuhr der betreffenden Waren anknüpfen, sofern dies in einer besonderen Gemeinschaftsregelung vorgesehen ist.“

18.      Art. 167 lautet:

„(1)       Die Mitgliedstaaten können bestimmte Teile des Zollgebiets der Gemeinschaft zu Freizonen erklären oder die Einrichtung von Freilagern bewilligen.

(2)       Die Mitgliedstaaten bestimmen die geographische Abgrenzung jeder Freizone. Räumlichkeiten, die als Freilager dienen sollen, müssen von den Mitgliedstaaten zugelassen werden.

(3)       Freizonen sind einzuzäunen: [D]ie Ein- und Ausgänge der Freizonen oder Freilager werden von den Mitgliedstaaten festgelegt.

…“

19.      In Art. 170 heißt es:

„(1)       Unbeschadet des Artikels 168 Absatz 4 sind Waren beim Verbringen in eine Freizone oder ein Freilager weder den Zollbehörden zu gestellen noch ist eine Zollanmeldung abzugeben.

(2)       Folgende Waren sind den Zollbehörden zu gestellen und unterliegen den für sie geltenden Zollförmlichkeiten, wenn

a)       sie sich in einem Zollverfahren befinden, das durch ihr Verbringen in die Freizone oder das Freilager beendet wird; die Gestellung ist jedoch nicht erforderlich, wenn eine Befreiung von der Gestellungspflicht im Rahmen des betreffenden Zollverfahrens zugelassen worden ist;

…“

20.      Art. 202 besagt:

„(1)       Eine Einfuhrzollschuld entsteht,

a)       wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht wird oder

b)       wenn eine solche Ware, die sich in einer Freizone oder einem Freilager befindet, vorschriftswidrig in einen anderen Teil des Zollgebiets der Gemeinschaft verbracht wird.

Im Sinne dieses Artikels ist vorschriftswidriges Verbringen jedes Verbringen unter Nichtbeachtung der Artikel 38 bis 41 und 177 zweiter Gedankenstrich.

(2)       Die Zollschuld entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Ware vorschriftswidrig in dieses Zollgebiet verbracht wird.

…“

21.      Art. 203 lautet:

„(1)       Eine Einfuhrzollschuld entsteht,

– wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird.

(2)       Die Zollschuld entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird.

(3)       Zollschuldner sind:

– die Person, welche die Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen hat;

– die Personen, die an dieser Entziehung beteiligt waren, obwohl sie wussten oder billigerweise hätten wissen müssen, dass sie die Ware der zollamtlichen Überwachung entziehen;

– die Personen, welche die betreffende Ware erworben oder im Besitz gehabt haben, obwohl sie im Zeitpunkt des Erwerbs oder Erhalts der Ware wussten oder billigerweise hätten wissen müssen, dass diese der zollamtlichen Überwachung entzogen worden war;

– gegebenenfalls die Person, welche die Verpflichtungen einzuhalten hatte, die sich aus der vorübergehenden Verwahrung einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware oder aus der Inanspruchnahme des betreffenden Zollverfahrens ergeben.“

22.      Art 204 hat folgenden Wortlaut:

„(1)       Eine Einfuhrzollschuld entsteht, wenn in anderen als den in Artikel 203 genannten Fällen

a)       eine der Pflichten nicht erfüllt wird, die sich bei einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus deren vorübergehender Verwahrung oder aus der Inanspruchnahme des Zollverfahrens, in das sie übergeführt worden ist, ergeben, oder

b)       eine der Voraussetzungen für die Überführung einer Ware in das betreffende Verfahren oder für die Gewährung eines ermäßigten Einfuhrabgabensatzes oder einer Einfuhrabgabenfreiheit aufgrund der Verwendung der Ware zu besonderen Zwecken nicht erfüllt wird,

es sei denn, dass sich diese Verfehlungen nachweislich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben.

(2)       Die Zollschuld entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Pflicht, deren Nichterfüllung die Zollschuld entstehen lässt, nicht mehr erfüllt wird, oder dem Zeitpunkt, in dem die Ware in das betreffende Zollverfahren übergeführt worden ist, wenn sich nachträglich herausstellt, dass eine der Voraussetzungen für die Überführung dieser Ware in das Verfahren oder für die Gewährung eines ermäßigten Einfuhrabgabensatzes oder einer Einfuhrabgabenfreiheit aufgrund der Verwendung der Ware zu besonderen Zwecken nicht wirklich erfüllt war.

(3)       Zollschuldner ist die Person, welche die Pflichten zu erfüllen hat, die sich bei einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus deren vorübergehender Verwahrung oder aus der Inanspruchnahme des betreffenden Zollverfahrens ergeben, oder welche die Voraussetzungen für die Überführung der Ware in dieses Zollverfahren zu erfüllen hat.“

B –    Nationales Recht

1.      Umsatzsteuergesetz(4)

23.      § 1 lautet:

„(1)       Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden Umsätze:

4.       die Einfuhr von Gegenständen im Inland (Einfuhrumsatzsteuer);

(2)       Inland im Sinne dieses Gesetzes ist das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme … der Freizonen des Kontrolltyps I nach § 1 Abs. 1 Satz 1 des Zollverwaltungsgesetzes (Freihäfen) … Ausland im Sinne dieses Gesetzes ist das Gebiet, das danach nicht Inland ist. …

(3)       Folgende Umsätze, die in den Freihäfen … bewirkt werden, sind wie Umsätze im Inland zu behandeln:

1.       die Lieferungen und die innergemeinschaftlichen Erwerbe von Gegenständen, die zum Gebrauch oder Verbrauch in den bezeichneten Gebieten bestimmt sind …

4.       die Lieferungen von Gegenständen, die sich im Zeitpunkt der Lieferung

b)       einfuhrumsatzsteuerrechtlich im freien Verkehr befinden;

…“

24.      Gemäß § 13 Abs. 2 gilt „[f]ür die Einfuhrumsatzsteuer … § 21 Abs. 2“.

25.      § 21 besagt:

„…

(2)       Für die Einfuhrumsatzsteuer gelten die Vorschriften für Zölle sinngemäß; …

(2a)       Abfertigungsplätze im Ausland, auf denen dazu befugte deutsche Zollbedienstete Amtshandlungen nach Absatz 2 vornehmen, gehören insoweit zum Inland.

…“

II – Sachverhalt

26.      Am 11. Juni 2009 wurden Textilien, die am Tag davor auf dem Flughafen Frankfurt am Main in das Zollgebiet der Union eingeführt und gestellt worden waren, zum externen gemeinschaftlichen Versandverfahren angemeldet und überlassen. Das Versandverfahren war bis zum 17. Juni 2009 zu beenden.

27.      Warenempfänger war eine im Freihafen (Freizone) Hamburg ansässige Firma. Mit der Beförderung der ordnungsgemäß verschlossenen Waren wurde die Firma Wallenborn Transports (im Folgenden: Wallenborn) beauftragt.

28.      Die Waren kamen aber nie bei der Bestimmungszollstelle an. Im Rahmen eines Suchverfahrens konnte festgestellt werden, dass sie am 11. Juni 2009 bei dem Warenempfänger im Freihafen Hamburg unter Entfernung des Verschlusses entladen und am 16. Juni 2009 mit einem Schiff nach Finnland befördert und von dort später nach Russland wiederausgeführt wurden.

29.      Am 2. September 2010 erließ das Hauptzollamt Gießen einen Einfuhrabgabenbescheid und einen Einfuhrumsatzsteuerbescheid an den Hauptverpflichteten als zugelassener Versender sowie an Wallenborn als Warenführer.

30.      Zur Zahlung wurde aber lediglich Wallenborn aufgefordert, da die Zollverwaltung der Ansicht war, dass der Hauptverpflichtete die ordnungsgemäße Übergabe der Sendung und des Versandscheins nachgewiesen habe, während es Wallenborn versäumt habe, das Versandverfahren zu beenden. Der Warenempfänger hatte gegenüber der Verwaltung angegeben, dass er bei der Annahme der Sendung davon ausgegangen sei, dass die Waren zollamtlich abgefertigt gewesen seien. Das Versandbegleitdokument sei nicht mit übergeben worden.

31.      Wallenborn focht den Umsatzsteuerbescheid im Verwaltungsweg erfolglos an und erhob sodann Klage beim Hessischen Finanzgericht. Sie trug vor, die Zollschuld sei durch das Entladen des Lkw unter Entfernung des Verschlusses im Freihafen entstanden. Als Freizone gehöre der Freihafen aber nicht zum Inland. Ein steuerbarer Umsatz liege daher nicht vor.

III – Vorlagefrage

32.      Vor diesem Hintergrund hat das Hessische Finanzgericht dem Gerichtshof am 6. November 2015 folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Frage:

Ist die mehrwertsteuerrechtliche Vorschrift eines Mitgliedstaats, wonach Freizonen des Kontrolltyps I (Freihäfen) nicht zum Inland gehören, eine sonstige Regelung im Sinne des Art. 156, wie sie in Art. 61 Unterabs. 1 und in Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie genannt ist?

Falls diese Frage bejaht wird:

2. Frage:

Treten Steuertatbestand und Steueranspruch für Gegenstände, die Zöllen unterliegen, gemäß Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie auch dann zu dem Zeitpunkt ein, zu dem Tatbestand und Anspruch für die Zölle entstehen, wenn Tatbestand und Anspruch für die Zölle inmitten einer Freizone des Kontrolltyps I entstehen und das Mehrwertsteuerrecht des Mitgliedstaats, zu dessen Staatsgebiet die Freizone gehört, bestimmt, dass Freizonen des Kontrolltyps I (Freihäfen) nicht zum Inland gehören?

Falls die Frage zu 2. verneint wird:

3. Frage:

Treten Steuertatbestand und Steueranspruch für eine im externen Versandverfahren ohne Beendigung dieses Verfahrens in eine Freizone des Kontrolltyps I beförderte Ware, die in der Freizone der zollamtlichen Überwachung entzogen wird, so dass für sie eine Zollschuld nach Art. 203 Abs. 1 des Zollkodex entsteht, zum gleichen Zeitpunkt nach einem anderen Entstehungstatbestand, nämlich gemäß Art. 204 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex, ein, weil es vor der Handlung, durch die die Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wurde, unterlassen worden ist, die Ware bei einer der für die Freizone zuständigen, im Inland gelegenen Zollstellen zu gestellen und das Versandverfahren dort zu beenden?

IV – Verfahren vor dem Gerichtshof und Vorbringen der Beteiligten

33.      Wallenborn, die griechische Regierung und die Kommission haben sich beteiligt und schriftliche Erklärungen eingereicht. Keine von ihnen hat die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

34.      Wallenborn vertritt die Ansicht, dass die beiden ersten Fragen zu bejahen seien, und schlägt hilfsweise vor, die dritte zu verneinen.

35.      Art. 204 des Zollkodex sei nur anwendbar, wenn angesichts einer besonderen Sachlage die Voraussetzungen des Art. 203 des Zollkodex nicht vorlägen. Da unter den Umständen des Ausgangsverfahrens die Entfernung des Zollverschlusses, das Entladen und das Unterlassen der Gestellung der Waren eine besondere Sachlage darstellten, komme Art. 204 des Zollkodex nicht ins Spiel.

36.      Die griechische Regierung schlägt vor, die erste Frage zu verneinen. Gemäß Art. 166 des Zollkodex würden Nichtgemeinschaftswaren, die sich in Freizonen befänden, für die Erhebung der Einfuhrabgaben und die Anwendung der handelspolitischen Maßnahmen als nicht im Zollgebiet der Union befindlich angesehen. Diese Zonen könnten daher nicht als „Drittgebiet“ betrachtet werden und unterlägen damit wie das restliche Zollgebiet des entsprechenden Mitgliedstaats sämtlichen (nationalen und unionsrechtlichen) Zollvorschriften. Gemäß den Art. 5 und 6 der Mehrwertsteuerrichtlinie seien Freizonen keine vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommenen Bereiche.

37.      Hilfsweise führt die griechische Regierung zur zweiten und zur dritten Frage aus, die Art. 61 und 71 der Mehrwertsteuerrichtlinie verwiesen auf die Bestimmungen des Zollkodex über das Entstehen der Zollschuld. Daraus folgert sie, dass im vorliegenden Fall die Zollschuld und damit die Umsatzsteuerschuld in dem Moment entstanden seien, in dem die Verpflichtungen im Rahmen des Versandverfahrens, in dem sich die Waren befunden hätten, nicht beachtet worden seien.

38.      Dieses Entstehen der Zollschuld sei im Licht des Art. 204 des Zollkodex zu prüfen, was bedeute, dass unter Berücksichtigung der praktischen Unerheblichkeit der Unregelmäßigkeit weder eine Zollschuld noch eine Mehrwertsteuerschuld entstanden seien, sofern die in Art. 859 der Durchführungsverordnung geregelten Voraussetzungen vorgelegen hätten.

39.      Die Kommission führt einleitend aus, die Tatbestandsmerkmale der Einfuhrumsatzsteuer seien angesichts der Unterschiede zwischen beiden Abgaben im Hinblick auf ihren Zweck und ihre Konzeption unabhängig vom Bestehen der Zollschuld zu prüfen. Im vorliegenden Fall bestehe eine Zollschuld gemäß Art. 203 des Zollkodex, da die Waren durch das Entfernen des Verschlusses der zollamtlichen Überwachung entzogen worden seien.

40.      Zur ersten Frage führt die Kommission aus, Art. 61 und Art. 71 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie verwiesen nicht auf die Anwendungsvoraussetzungen des Art. 156 dieser Richtlinie, sondern nur auf die dort genannten sonstigen Regelungen und Zollverfahren. Da Art. 156 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie ausdrücklich die Freizonen und Freilager nenne, gehörten den Art. 61 und 71 der Mehrwertsteuerrichtlinie zufolge zu den „sonstigen Regelungen im Sinne des Artikels 156“ die Regelungen, die sich auf jene Zonen und Lager bezögen.

41.      Zur zweiten Frage führt sie aus, gemäß Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie träten Entstehungstatbestand und Steueranspruch der Einfuhrumsatzsteuer nur ein, wenn die Gegenstände einem Zollverfahren oder einer der in Art. 156 der Mehrwertsteuerrichtlinie genannten sonstigen Regelungen nicht mehr unterlägen. Im vorliegenden Fall habe die Entziehung der Waren aus der zollamtlichen Überwachung wegen der Entfernung des Verschlusses zur Folge, dass gemäß Art. 203 des Zollkodex eine Zollschuld entstehe und die Waren dem Versandverfahren nicht mehr unterlägen. Dadurch würden die Voraussetzungen einer Einfuhr gemäß den Art. 70 und 71 Abs. 1 Unterabs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie erfüllt. Da jedoch die Entziehung außerhalb des deutschen Zollgebiets stattgefunden habe, sei eine Einfuhr im Sinne des Art. 61 der Richtlinie nicht erfolgt.

42.      Zur dritten Frage führt die Kommission aus, Art. 204 des Zollkodex sei nur anwendbar, wenn Art. 203 des Zollkodex es nicht sei, wenn also die Waren nicht der zollamtlichen Überwachung entzogen worden seien. Sie hebt den Grundsatz des Entstehens einer einzigen Zollschuld hervor, so dass späteres Handeln oder Unterlassen bezüglich einer Ware, für die sie entstanden sei, grundsätzlich keine andere gleichartige Schuld begründen könne.

43.      Im Übrigen seien Einfuhrumsatzsteuer und Zölle getrennt zu prüfen, so dass weder Art. 203 noch Art. 204 des Zollkodex automatisch zum Entstehen einer Mehrwertsteuerschuld führten.

V –    Würdigung

A –    Erste Frage

44.      Meines Erachtens sollte die Prüfung der ersten Frage mit der Wiedergabe der Worte des vorlegenden Gerichts eingeleitet werden: „Ist die mehrwertsteuerrechtliche Vorschrift eines Mitgliedstaats, wonach Freizonen des Kontrolltyps I (Freihäfen) nicht zum Inland gehören, eine sonstige Regelung im Sinne des Artikels 156, wie sie in Art. 61 Unterabs. 1 und in Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 1 der [Mehrwertsteuerrichtlinie] genannt ist?“

45.      Das Hessische Finanzgericht fragt nicht direkt danach, ob die Lagerung einer Ware in einer Freizone impliziert, dass sie sich in einem „Verfahren oder einer sonstigen Regelung“ im Sinne von Art. 156 der Mehrwertsteuerrichtlinie befindet, worauf die Art. 61 und 71 dieser Richtlinie Bezug nehmen. Sein Zweifel betrifft nicht die Freizonen, wie sie in Art. 166 des Zollkodex definiert sind, sondern diejenigen, die das deutsche Recht mehrwertsteuerrechtlich als „Ausland“ einstuft (§ 1 Abs. 2 UStG). Es geht also nicht um Freizonen als Zollgebiet, sondern um Freizonen als Zonen, in denen die Einfuhr von Gegenständen nicht der Einfuhrumsatzsteuer unterliegt.

46.      Im vorliegenden Fall erscheint mir die Unterscheidung, auf deren Grundlage das vorlegende Gericht operiert, künstlich. Nach Art. 61 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist die Einfuhr eines Gegenstands als dort erfolgt anzusehen, wo er, soweit es hier von Belang ist, nicht mehr einem Verfahren oder einer sonstigen Regelung im Sinne des Art. 156 der Richtlinie unterliegt. Gemäß Art. 71 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie wiederum treten Mehrwertsteuertatbestand und -anspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Waren diesen Verfahren oder sonstigen Regelungen nicht mehr unterliegen.

47.      Zu den Verfahren und sonstigen Regelungen nach Art. 156 der Mehrwertsteuerrichtlinie gehören: „(1) … b) die Lieferungen von Gegenständen, die in einer Freizone oder einem Freilager gelagert werden sollen“. Dies bedeutet, dass nach Art. 61 der Mehrwertsteuerrichtlinie diese Art von Gegenständen nicht als eingeführt gelten, solange sie nicht die Freizone verlassen, und dass erst zu diesem Zeitpunkt der Mehrwertsteuertatbestand und der Mehrwertsteueranspruch eintreten (Art. 71 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie).

48.      Daher sind sowohl nach Unionsrecht als auch nach deutschem Recht Freizonen gleichzeitig „Unionsausland“ und „Ausland“ mit der Folge, dass „[d]ie Lieferungen von Gegenständen, die [in ihnen] gelagert werden sollen“, keine Einfuhr darstellen und infolgedessen kein Mehrwertsteueranspruch entsteht(5).

49.      Gewiss betrifft Art. 156 der Mehrwertsteuerrichtlinie „[d]ie Lieferungen von Gegenständen, die in einer Freizone oder einem Freilager gelagert werden sollen“, als Umsätze, die die Mitgliedstaaten von der Mehrwertsteuer befreien können. Das vorlegende Gericht zieht hieraus den Schluss, dass die Bestimmung jedenfalls voraussetze, dass eine Einfuhr erfolgt sei, denn eine Befreiung sei bei einem Steuertatbestand nur möglich, wenn er grundsätzlich der Steuer unterliege, von der befreit werde. Daraus ergebe sich ein gewisser Widerspruch zu § 1 Abs. 2 UStG, der dadurch, dass er die Freizone als „Ausland“ einstufe, die Möglichkeit einer Einfuhr schon von vornherein ausschließe. Daher fragt sich das Hessische Finanzgericht, ob die deutschen Freizonen den Freizonen der Art. 61 und 71 der Mehrwertsteuerrichtlinie gleichgestellt werden können.

50.      Ich bin der Meinung, dass das der Fall ist. Die Verweisung auf Art. 156 in den Art. 61 und 71 der Mehrwertsteuerrichtlinie betrifft keine Bestimmung, die die Befreiung von der Steuer regelt, sondern eine Vorschrift, in der eine Reihe von „Verfahren oder sonstigen Regelungen“ aufgeführt ist. Obwohl es sich um Verfahren oder sonstige Regelungen handelt, die nach Art. 156 der Richtlinie im Hinblick auf die mögliche Befreiung von der Steuer relevant sind, werden sie in den Art. 61 und 71 für einen ganz andersartigen Zweck (der ihrem Regelungszweck entspricht) herangezogen, nämlich der Festlegung des Ortes und des Zeitpunkts, an bzw. zu dem die Einfuhr als erfolgt gilt und der Mehrwertsteueranspruch entsteht.

51.      Für die Zwecke der Art. 61 und 71 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist von Art. 156 der Richtlinie daher nur seine Bezugnahme auf „[d]ie Lieferungen von Gegenständen, die in einer Freizone oder einem Freilager gelagert werden sollen“, von Interesse. Diese Art von Lieferungen mit einer besonderen Bestimmung stellt für diese beiden Vorschriften ein Tatbestandsmerkmal dar, dessen Wegfall den Mehrwertsteuertatbestand und den Mehrwertsteueranspruch entfallen lässt.

52.      Daher meine ich, dass die erste Frage zu bejahen ist. Die Freizonen, auf die das UStG zielt, können nur die sein, die in Art. 156 der Mehrwertsteuerrichtlinie genannt sind und auf die Art. 61 Unterabs. 1 sowie Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie verweisen. Mehrwertsteuerrechtlich sind die Freizonen für das deutsche wie das Unionsrecht „Außenzone“, wobei dieser Ausdruck in dem Sinne auszulegen ist, dass unter bestimmten Voraussetzungen die in ihnen gelagerten Gegenstände nur als in das Unionsgebiet eingeführt gelten, wenn sie diese verlassen haben und in das Gebiet eines Mitgliedstaats eingeführt wurden.

53.      Zusammenfassend und nach Umformulierung der Frage bin ich der Ansicht, dass die in Art. 61 Unterabs. 1 und Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie enthaltene Bezugnahme auf „[ein] Verfahren oder [eine sonstige] Regelung im Sinne“ des Art. 156 dieser Richtlinie die Freizonen als Zonen umfasst, in denen die Einfuhr von Waren in das Gebiet der Union möglich ist.

B –    Zweite Frage

54.      Die Bejahung der ersten Frage führt zur Prüfung der zweiten, mit der das vorlegende Gericht im Kern erfahren will, ob, nachdem der Anspruch auf Zölle inmitten einer Freizone entstanden ist, für die Waren, die diese Zone nicht verlassen haben, auch Einfuhrumsatzsteuer fällig wird.

55.      Da im vorliegenden Fall die Waren der zollamtlichen Überwachung entzogen wurden, ist nach Auffassung des Hessischen Finanzgerichts gemäß Art. 203 Abs. 1 des Zollkodex eine Zollschuld entstanden. Da diese Entziehung aber inmitten einer Freizone erfolgt sei, könne nicht von einer Einfuhr der Ware gesprochen werden, so dass die Festsetzung der Einfuhrumsatzsteuer nicht statthaft sei.

56.      Wie ich bereits ausgeführt habe, können Freizonen sowohl mehrwertsteuerrechtlich als auch zollrechtlich „Außenzone“ der Union sein, sofern sie die in Art. 166 des Zollkodex vorgesehenen Voraussetzungen erfüllen (soweit hier von Belang: dass die Ware nicht in ein Zollverfahren übergeführt worden ist).

57.      Die Gegenstände, die in die Hamburger Freizone gelangten, befanden sich im externen Versandverfahren, so dass, auch wenn sie sich in der Freizone befanden, „die Voraussetzungen der Fiktion, dass Nichtgemeinschaftswaren in einer Freizone für die Erhebung der Einfuhrabgaben als nicht im Zollgebiet der Gemeinschaft befindlich angesehen werden … nicht vorlagen“, wie das vorlegende Gericht ausführt(6).

58.      Mit ihrer Einfuhr in das Zollgebiet der Union konnten die streitgegenständlichen Waren daher eine Zollschuld begründen. Genauer gesagt: nach Art. 203 Abs. 1 des Zollkodex, weil sie der zollamtlichen Überwachung entzogen wurden, was an der unzulässigen Entfernung ihres Verschlusses und der daraus folgenden Beendigung des Versandverfahrens sichtbar wurde(7). 

59.      Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass im vorliegenden Fall die Zollschuld gemäß Art. 203 Abs. 1 des Zollkodex einschlägig war; umstritten ist lediglich, ob darüber hinaus die Einfuhrumsatzsteuer erhoben werden kann. Über alles, was mit der Festsetzung der ersten Abgabenschuld (der Zollschuld) zu tun hat, besteht mithin kein Streit(8). 

60.      Die Beendigung des Versandverfahrens, dem die Waren unterlagen, hätte gemäß den Art. 61 und 71 der Mehrwertsteuerrichtlinie bedeutet, dass sie dort, wo sie ihm nicht mehr unterlagen, als eingeführt betrachtet werden müssten und folglich die Mehrwertsteuer fällig geworden wäre. Was geschieht jedoch, wenn es sich bei dem Gebiet des Mitgliedstaats, in dem die Ware aus dem Versandverfahren ausschied, um eine Freizone handelt, auf die sich die Art. 61 und 71 der Mehrwertsteuerrichtlinie als Ort beziehen, der verlassen werden muss, damit die Gegenstände, die sich an ihm befinden, als eingeführte Gegenstände eingestuft werden können?

61.      Ist unter diesen Umständen ? nach Entstehen einer Zollschuld, die, wie ich bereits angemerkt habe, von niemandem angezweifelt wird ? eine zweite steuerliche Folge eingetreten, nämlich das Entstehen des Mehrwertsteuertatbestands? Das könnte grundsätzlich der Fall sein, wenn a) das Ausscheiden aus dem Versandverfahren für sich ausreichen würde, um die Waren als eingeführt bezeichnen zu können, oder b) nach Entstehen der Zollschuld gemäß Art. 203 des Zollkodex ihr Eintritt automatisch das Entstehen der Mehrwertsteuerschuld zur Folge hätte, auch wenn die Ware nicht als eingeführt betrachtet werden kann (da ihre Eigenschaft als in einer Freizone gelagerte Gegenstände fortbesteht).

62.      Die erste Option kann meiner Ansicht nach ausgeschlossen werden, denn die Art. 61 und 71 der Mehrwertsteuerrichtlinie beziehen sich alternativ und nicht ausschließlich auf die verschiedenen Verfahren und sonstigen Regelungen, bei denen das Ausscheiden einer Einfuhr der jeweils in ihnen geregelten Gegenstände gleichkommt, wenn sie ihnen nicht mehr unterliegen. Die Aufeinanderfolge dieser Verfahren und sonstigen Regelungen ist im Übrigen möglich: Art. 170 Abs. 2 Buchst. a des Zollkodex nennt beispielsweise das Verbringen von Waren in eine Freizone, die „sich in einem Zollverfahren befinden, das durch ihr Verbringen in die Freizone oder das Freilager beendet wird“.

63.      Man könnte jedoch die Ansicht vertreten, dass eine solche Aufeinanderfolge nur zulässig ist, wenn der Übergang von einem Verfahren auf ein anderes durch die ordnungsgemäße Beendigung des ersten erfolgt. Im vorliegenden Fall würde die regelwidrige Beendigung des Versandverfahrens daran hindern, dass die Ware mehrwertsteuerrechtlich die Eigenschaft eines in einer Freizone gelagerten Gegenstands erwirbt, und sie müsste daher als eingeführte Ware betrachtet werden. Folgte man diesem Standpunkt, würde man jedoch die Rechtsnatur der Mehrwertsteuer in Frage stellen, die von einer Steuer, die den Verbrauch belastet, zu einem Mittel zur Ahndung von Fehlverhalten würde(9).

64.      Dasselbe Kriterium (das auf die Rechtsnatur und die Zielsetzung der Mehrwertsteuer abstellt) schließt meiner Ansicht nach auch die zweite der oben aufgezeigten Optionen aus, die auf der Grundlage einer wörtlichen Auslegung von Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie den Tatbestand der Mehrwertsteuer automatisch mit dem Tatbestand bei Zollabgaben verknüpft(10). 

65.      In den Schlussanträgen in den verbundenen Rechtssachen Eurogate Distribution und DHL Hub Leipzig(11) hatte ich bereits Gelegenheit, daran zu erinnern, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs „die Einfuhrmehrwertsteuer und die Zölle hinsichtlich ihrer Hauptmerkmale insofern vergleichbar [sind], als sie durch die Einfuhr in die Union und die sich anschließende Überführung in den Wirtschaftskreislauf der Mitgliedstaaten entstehen“. Diese Parallelität wird „dadurch bestätigt, dass Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie die Mitgliedstaaten ermächtigt, den Steuertatbestand und die Entstehung des Steueranspruchs der Einfuhrmehrwertsteuer mit dem Tatbestand und der Entstehung des Anspruchs bei Zöllen zu verknüpfen“(12).

66.      Allerdings wies ich in diesen Schlussanträgen(13) darauf hin, dass „[v]ergleichbar … nicht identisch [heißt], weshalb sich der Gerichtshof dafür ausspricht, das Entstehen der Zollschuld und der Mehrwertsteuerschuld unabhängig voneinander zu prüfen. Dies kann auch nicht anders sein, berücksichtigt man, dass sie unterschiedlicher Natur sind und der Unterschied noch verstärkt wird, wenn die Zollschuld in Wirklichkeit nicht infolge der Einfuhr von Waren in das Zollgebiet im ordnungsgemäßen Verfahren entsteht, sondern aufgrund der Nichterfüllung bestimmter Voraussetzungen oder Verpflichtungen.“

67.      Entscheidend für den Eintritt des Tatbestands der Einfuhrumsatzsteuer ist, dass die Gegenstände, auf die sie erhoben wird, in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangen und damit einem Verbrauch zugeführt werden können. Der Gerichtshof hat dies im Urteil vom 2. Juni 2016, Eurogate Distribution und DHL Hub Leipzig, bestätigt: „[N]eben der Zollschuld [kann] eine Mehrwertsteuerpflicht bestehen, wenn aufgrund des Fehlverhaltens, das zur Entstehung der Zollschuld führte, angenommen werden kann, dass die fraglichen Waren in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt sind und damit einem Verbrauch, d. h. dem mit Mehrwertsteuer belasteten Vorgang, zugeführt werden konnten.“(14)

68.      In den zitierten Schlussanträgen in der Rechtssache Eurogate Distribution und DHL Hub Leipzig(15) habe ich zwar die Ansicht vertreten, vernünftigerweise könne angenommen werden, dass „[d]ies … bei Art. 202 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex (eine einfuhrabgabenpflichtige Ware wird vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbracht) oder bei Art. 203 Abs. 1 des Zollkodex (die Ware wird der zollamtlichen Überwachung entzogen) der Fall [wäre]“(16), d. h., was die zweite Hypothese betrifft, im hier vorliegenden Fall.

69.      Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderlegbar, sondern sie ist widerlegbar (praesumptio iuris tantum) und kann daher anhand des Sachverhalts, den ein Gericht für erwiesen hält, widerlegt werden. Genauer gesagt: Wenn die Überführung in den Wirtschaftskreislauf der Union angenommen werden kann, wenn die Waren sich nicht in einer Freizone befinden, kann sie durch den Nachweis widerlegt werden, dass sie diese, nachdem sie in ihr gelagert waren, ohne eine andere Behandlung erfahren zu haben, in Richtung eines anderen Mitgliedstaats verlassen haben, um danach wiederausgeführt zu werden.

70.      Dies scheint vorliegend der Fall gewesen zu sein. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts wurde der Verschluss der Gegenstände bei ihrer Entladung in der Hamburger Freizone am 11. Juni 2009 entfernt. Am 15. Juni 2009 wurden sie in einen Container verstaut und auf ein Schiff verladen, das den Hamburger Freihafen am folgenden Tag verließ(17). Nach den Angaben des Hessischen Finanzgerichts hat währenddessen „aber keine Überführung in den Wirtschaftskreislauf des Mitgliedstaats [vorgelegen], zu dessen Staatsgebiet die Freizone gehört. Denn die Ware verblieb nach ihrer Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung zunächst in der Freizone und wurde dort weder in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt noch verbraucht oder verwendet, was gemäß § 1 Abs. 3 UStG unter Umständen wie Umsätze im Inland zu behandeln gewesen wäre“(18). 

71.      Theoretisch ist die Lagerung der Ware in einer Freizone im Hinblick auf die in Art. 61 Unterabs. 1 und Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie enthaltene Verweisung auf deren Art. 156 zwar irrelevant, doch könnten die Gegenstände in Anbetracht der besonderen Umstände des Sachverhalts im Unionsgebiet nicht benutzt oder verbraucht worden sein.

72.      Abstrakt betrachtet würde die Irrelevanz von Art. 156 der Mehrwertsteuerrichtlinie für die Zwecke der Art. 61 und 71 dieser Richtlinie bedeuten, dass die genannten Gegenstände nach Beendigung des Versandverfahrens als „eingeführt“ gälten. Unter demselben Blickwinkel wäre Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie anwendbar(19). Ich bin jedoch der Ansicht, dass dies nur der Fall sein kann, wenn die Einfuhr den Zugang der Gegenstände zum Wirtschaftskreislauf der Union mit sich bringt, was normalerweise die Regel sein sollte. Kann hingegen im Rahmen einer eindeutigen richterlichen Würdigung unbestreitbar festgestellt werden, dass der Zugang zu diesem Wirtschaftskreislauf nicht möglich war, ist eine solche „Einfuhr“ ein Rechtsakt, der keine Verpflichtung zur Entrichtung der Mehrwertsteuer begründet.

73.      Meiner Ansicht nach sind daher die Art. 61 und 71 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass die Entstehung einer Zollschuld gemäß Art. 203 Abs. 1 des Zollkodex wegen der Entziehung von in einer Freizone gelagerten Waren aus der zollamtlichen Überwachung dazu führt, dass der Steuertatbestand und der Steueranspruch der Einfuhrumsatzsteuer eintreten, wenn vernünftigerweise angenommen werden kann, dass die Güter in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangen konnten, was festzustellen Sache des nationalen Gerichts ist.

C –    Dritte Frage

74.      Wie die Kommission bemerkt(20), geht die dritte Frage des vorlegenden Gerichts von der Prämisse aus, dass es möglich ist, die Art. 203 und 204 des Zollkodex gleichzeitig anzuwenden.

75.      Das Hessische Finanzgericht fragt, ob, nachdem gemäß Art. 203 des Zollkodex eine Zollschuld entstanden ist, weil die Ware in einer Freizone der zollamtlichen Überwachung entzogen wurde, (auch) eine Mehrwertsteuerschuld entstehen kann, wenn gemäß Art. 204 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex gegen die Verpflichtung verstoßen wurde, das Versandverfahren bei der im Inland gelegenen Zollstelle abzuschließen.

76.      Die Antwort dürfte sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ergeben: „Artikel 204 des Zollkodex findet nach seinem Wortlaut nur in den Fällen Anwendung, die nicht unter Artikel 203 dieses Kodex fallen.“(21)

77.      Wenn daher nach Ansicht des vorlegenden Gerichts der im Ausgangsverfahren geprüfte Sachverhalt den in Art. 203 des Zollkodex geregelten Tatbestand erfüllt, kommt eine gleichzeitige Anwendung von Art. 204 des Zollkodex, um auf diese Weise eine Rechtsfolge (den Mehrwertsteuertatbestand) herbeizuführen, die sich unter den Umständen des Falls aus der erstgenannten Bestimmung nicht ergibt, nicht in Betracht.

78.      Ich kann daher nur vorschlagen, zu antworten, dass, wenn gemäß Art. 203 des Zollkodex eine Zollschuld entstanden und aufgrund der Umstände dieser Rechtssache das Entstehen einer Mehrwertsteuerschuld ausgeschlossen ist, eine Anwendung von Art. 204 des Zollkodex allein zu dem Zweck, den Eintritt dies Steuertatbestands dieser Steuer zu rechtfertigen, nicht in Betracht kommt.

VI – Ergebnis

79.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefragen wie folgt zu antworten:

1.      Art. 61 Unterabs. 1 und Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, geändert durch die Richtlinie 2007/75/EG, sind dahin auszulegen, dass

a)       die Bezugnahme auf das „Verfahren oder [eine sonstige] Regelung im Sinne“ des Art. 156 dieser Richtlinie die Freizonen als Zonen umfasst, in denen die Einfuhr von Waren in das Gebiet der Union möglich ist, und

b)       die Entstehung einer Zollschuld gemäß Art. 203 Abs. 1 des gemeinschaftlichen Zollkodex wegen der Entziehung von in einer Freizone gelagerten Waren aus der zollamtlichen Überwachung dazu führt, dass der Steuertatbestand und der Steueranspruch der Einfuhrumsatzsteuer eintreten, wenn vernünftigerweise angenommen werden kann, dass die Güter in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangen konnten, was festzustellen Sache des nationalen Gerichts ist.

2.       Ist gemäß Art. 203 des Zollkodex eine Zollschuld entstanden und aufgrund der Umstände des Falls das Entstehen eines Mehrwertsteueranspruchs ausgeschlossen, kommt es nicht in Betracht, Art. 204 des Zollkodex anzuwenden, um den Steuertatbestand dieser Steuer eintreten zu lassen.


1      Originalsprache: Spanisch.


2–      Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 (ABl. 1992, L 302, S. 1), geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 des Rates vom 20. November 2006 (ABl. 2006, L 363, S. 1) (im Folgenden: Zollkodex).


3–      Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1), geändert durch die Richtlinie 2007/75/EG (ABl. 2007, L 346, S. 13) (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).


4–      Gesetz vom 21. Februar 2005 (BGBl. I, S. 386) (im Folgenden: UStG).


5–      Ich betone, dass ich ausschließlich die Freizonen im Kontext der kombinierten Anwendung der Art. 61, 71 und 156 der Mehrwertsteuerrichtlinie behandele. Allgemein und auch im Hinblick auf die Mehrwertsteuer „befindet sich ein Zolllager im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie ‚im Inland‘, wenn es im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats belegen ist“ (Urteil vom 8. November 2012, Profitube, C-165/11, EU:C:2012:692, Rn. 59). Im Kontext dieses Verfahrens ist die mögliche Exterritorialität der Freizonen eine Eigenschaft, die nur bestimmten Rechtshandlungen zugutekommen kann, die in oder von ihnen ausgehend vorgenommen werden.


6–      Vorlagebeschluss, S. 15 der Originalfassung.


7–      Mit den Worten des Urteils vom 11. Juli 2002, Liberexim (C-371/99, EU:C:2002:433, Rn. 53), sind „der Zeitpunkt und der Ort, zu bzw. an dem die Waren dem externen gemeinschaftlichen Versandverfahren nicht mehr unterliegen, zwangsläufig der Zeitpunkt und der Ort der ersten Unregelmäßigkeit, die so qualifiziert werden kann, dass damit die Waren der zollamtlichen Überwachung entzogen worden sind“.


8–      Die Waren, die sich ursprünglich in einer Situation befanden, die ihre Einstufung als nicht eingeführte Waren ermöglichte (Versandverfahren), gingen ohne Unterbrechung in einen anderen Status über, der nach der Mehrwertsteuerrichtlinie ebenfalls diese Einstufung zulässt (Lagerung in einer Freizone). Der irreguläre Übergang zwischen beiden Situationen hat eine erste Auswirkung gehabt, nämlich die Entstehung der Steuerschuld.


9–      Diese repressive Konnotation kann im Übrigen nicht einmal der Zollschuld beigemessen werden, zu der die unregelmäßige Beendigung des Versandverfahrens geführt hat. Mit den Worten des Urteils vom 6. September 2012, Döhler Neuenkirchen (C-262/10, EU:C:2012:559, Rn. 43), „hat die Entstehung einer Zollschuld … keinen Sanktionscharakter, sondern ist als Folge davon anzusehen, dass die Voraussetzungen für die Gewährung des Vorteils, der sich aus der Anwendung des aktiven Veredelungsverkehrs nach dem Nichterhebungsverfahren ergibt, nicht erfüllt sind. Dieses Verfahren bedeutet nämlich die Gewährung eines bedingten Vorteils, der nicht gewährt werden kann, wenn die Voraussetzungen dafür nicht erfüllt sind, was zur Unanwendbarkeit der Aussetzung führt und infolgedessen die Erhebung von Zöllen rechtfertigt.“


10–      Diese Vorschrift besagt: „Unterliegen die eingeführten Gegenstände Zöllen, … treten Steuertatbestand und Steueranspruch [der Mehrwertsteuer] zu dem Zeitpunkt ein, zu dem Tatbestand und Anspruch für [die Zölle] entstehen.“


11–      C-226/14 und C-228/14, EU:C:2016:1, Nr. 90.


12–      Ich bezog mich damals auf das Urteil vom 11. Juli 2013, Harry Winston (C-273/12, EU:C:2013:466, Rn. 41), in dem die Urteile Witzemann (C-343/89, EU:C:1999:445, Rn. 18) und Dansk Transport og Logistik (C-230/08, EU:C:2010:231, Rn. 90 und 91) angeführt werden.


13–      Schlussanträge Eurogate Distribution und DHL Hub Leipzig (C-226/14 und C-228/14, EU:C:2016:1, Nr. 91).


14–      Rechtssache C-226/14 und C-228/14, EU:C:2016:405, Rn. 65). Das Urteil nimmt in dieser Randnummer ausdrücklich Bezug auf meine Schlussanträge Eurogate Distribution und DHL Hub Leipzig (C-226/14 und C-228/14, EU:C:2016:1), in denen ausgeführt wurde: „Bezieht sich die nach den Art. 202 bis 205 des Zollkodex entstandene Schuld auf bereits wieder ausgeführte Waren, lässt der Umstand, dass sie sich nicht mehr im Unionsgebiet befinden, die Verpflichtung zur Entrichtung der Zölle unberührt. Neben dieser Zollschuld kann eine Mehrwertsteuerpflicht bestehen, wenn aufgrund des jeweiligen Fehlverhaltens, das zur Entstehung der Zollschuld führte, angenommen werden kann, dass die Ware in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt ist und damit einem Verbrauch, d. h. dem mit Mehrwertsteuer belasteten Vorgang, zugeführt werden konnte.“


15–      C-226/14 und C-228/14, EU:C:2016:1, Nr. 97.


16–      C-226/14 und C-228/14, EU:C:2016:1, Rn. 98; Hervorhebung nur hier.


17–      Vorlagebeschluss, S. 4 der Originalfassung.


18–      Vorlagebeschluss, S. 17 der Originalfassung.


19–      Wonach gilt: „Unterliegen die eingeführten Gegenstände Zöllen, … treten Steuertatbestand und Steueranspruch [der Mehrwertsteuer] zu dem Zeitpunkt ein, zu dem Tatbestand und Anspruch für diese Abgaben entstehen.“


20–      Rn. 82 ihrer schriftlichen Erklärungen.


21–      So z. B. das Urteil vom 12. Februar 2004, Hamann International (C-337/01, EU:C:2004:90, Rn. 29).