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Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA

vom 28. Mai 2020(1)

Rechtssache C-620/18

Ungarn

gegen

Europäisches Parlament,

Rat der Europäischen Union

„Nichtigkeitsklage – Richtlinie (EU) 2018/957 – Richtlinie 96/71/EG – Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen – Vorschriften über die Arbeitsbedingungen und den Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer – Falsche Rechtsgrundlage – Befugnismissbrauch – Beschränkungen, die diskriminierend, nicht erforderlich und nicht verhältnismäßig sind – Verstoß gegen den Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs – Entlohnung entsandter Arbeitnehmer – Langfristig entsandte Arbeitnehmer – Verstoß gegen die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht – Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der normativen Klarheit – Kollektive Maßnahmen der Arbeitnehmer – Straßenverkehr“






1.        Ungarn ersucht den Gerichtshof in erster Line, die Richtlinie (EU) 2018/957(2) zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG(3) über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen für nichtig zu erklären, hilfsweise, verschiedene Bestimmungen der Richtlinie 2018/957 für nichtig zu erklären.

I.      Rechtlicher Rahmen

A.      Richtlinie 96/71

2.        Die Richtlinie 96/71 wurde auf der Grundlage von Art. 57 Abs. 2 und Art. 66 EG-Vertrag (jetzt Art. 53 Abs. 1 und Art. 62 AEUV) erlassen.

3.        Nach ihrem Art. 3 Abs. 1 verfolgte die Richtlinie das Ziel, den in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten entsandten Arbeitnehmern bezüglich der in ihr geregelten Aspekte die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zu garantieren, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird, durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften oder durch für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge oder Schiedssprüche festgelegt sind.

4.        Zu den in der Richtlinie 96/71 geregelten Aspekten gehörten nach ihrem Art. 3 Abs. 1 Buchst. c die Mindestlohnsätze einschließlich der Überstundensätze.

B.      Richtlinie 2018/957

5.        Rechtsgrundlage der Richtlinie 2018/957 sind Art. 53 Abs. 1 und Art. 62 AEUV.

6.        Durch Art. 1 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie 2018/957 werden folgende Absätze in Art. 1 der Richtlinie 96/71 eingefügt:

„(1)      Mit dieser Richtlinie wird der Schutz entsandter Arbeitnehmer während ihrer Entsendung im Verhältnis zur Dienstleistungsfreiheit sichergestellt, indem zwingende Vorschriften in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und den Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer festgelegt werden, die eingehalten werden müssen.

(1a)      Diese Richtlinie berührt in keiner Weise die Ausübung der in den Mitgliedstaaten und auf Unionsebene anerkannten Grundrechte, einschließlich des Rechts oder der Freiheit zum Streik oder zur Durchführung anderer Maßnahmen, die im Rahmen der jeweiligen Systeme der Mitgliedstaaten im Bereich der Arbeitsbeziehungen nach ihren nationalen Rechtsvorschriften und/oder ihren nationalen Gepflogenheiten vorgesehen sind. Sie berührt auch nicht das Recht, im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften und/oder nationalen Gepflogenheiten Tarifverträge auszuhandeln, abzuschließen und durchzusetzen oder kollektive Maßnahmen zu ergreifen.“

7.        Durch Art. 1 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie 2018/957 wurde Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 96/71 geändert und erhielt folgende Fassung:

„(1)      Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht die in Artikel 1 Absatz 1 genannten Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern bezüglich der nachstehenden Aspekte auf der Grundlage der Gleichbehandlung die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird, festgelegt sind,

–        durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften und/oder

–        durch für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge oder Schiedssprüche oder durch Tarifverträge oder Schiedssprüche, die anderweitig nach Absatz 8 Anwendung finden:

a)      Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten;

b)      bezahlter Mindestjahresurlaub;

c)      Entlohnung, einschließlich der Überstundensätze; dies gilt nicht für die zusätzlichen betrieblichen Altersversorgungssysteme;

d)      Bedingungen für die Überlassung von Arbeitskräften, insbesondere durch Leiharbeitsunternehmen;

e)      Sicherheit, Gesundheitsschutz und Hygiene am Arbeitsplatz;

f)      Schutzmaßnahmen im Zusammenhang mit den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Schwangeren und Wöchnerinnen, Kindern und Jugendlichen;

g).      Gleichbehandlung von Männern und Frauen sowie andere Nichtdiskriminierungsbestimmungen.

h)      Bedingungen für die Unterkünfte von Arbeitnehmern, wenn sie vom Arbeitgeber für Arbeitnehmer, die von ihrem regelmäßigen Arbeitsplatz entfernt sind, zur Verfügung gestellt werden;

i)      Zulagen oder Kostenerstattungen zur Deckung von Reise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten für Arbeitnehmer, die aus beruflichen Gründen nicht zu Hause wohnen.

Buchstabe i gilt ausschließlich für die Reise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten, die entsandten Arbeitnehmern entstehen, wenn sie zu und von ihrem regelmäßigen Arbeitsplatz in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sie entsandt wurden, reisen müssen oder von ihrem Arbeitgeber vorübergehend von diesem regelmäßigen Arbeitsplatz an einen anderen Arbeitsplatz gesandt werden.

Für die Zwecke dieser Richtlinie bestimmt sich der Begriff ‚Entlohnung‘ nach den nationalen Rechtsvorschriften und/oder nationalen Gepflogenheiten des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt ist, und umfasst alle die Entlohnung ausmachenden Bestandteile, die gemäß nationalen Rechts- oder Verwaltungsvorschriften oder durch in diesem Mitgliedstaat für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge oder Schiedssprüche oder durch Tarifverträge oder Schiedssprüche, die nach Absatz 8 anderweitig Anwendung finden, zwingend verbindlich gemacht worden sind.

…“

8.        Durch Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2018/957 wird in Art. 3 der Richtlinie ein Abs. 1a eingefügt, der folgenden Wortlaut hat:

„(1a)      In Fällen, in denen die tatsächliche Entsendungsdauer mehr als 12 Monate beträgt, sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht die in Artikel 1 Absatz 1 genannten Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern auf der Grundlage der Gleichbehandlung zusätzlich zu den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gemäß Absatz 1 des vorliegenden Artikels sämtliche anwendbaren Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird, festgelegt sind

–      durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften und/oder

–      durch für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge oder Schiedssprüche, oder durch Tarifverträge oder Schiedssprüche, die anderweitig nach Absatz 8 anderweitig Anwendung finden.

Unterabsatz 1 des vorliegenden Absatzes findet keine Anwendung auf folgende Aspekte:

a)      Verfahren, Formalitäten und Bedingungen für den Abschluss und die Beendigung des Arbeitsvertrags, einschließlich Wettbewerbsverboten;

b)      zusätzliche betriebliche Altersversorgungssysteme.

Legt der Dienstleistungserbringer eine mit einer Begründung versehene Mitteilung vor, so verlängert der Mitgliedstaat, in dem die Dienstleistung erbracht wird, den in Unterabsatz 1 genannten Zeitraum auf 18 Monate.

Ersetzt ein in Artikel 1 Absatz 1 genanntes Unternehmen einen entsandten Arbeitnehmer durch einen anderen entsandten Arbeitnehmer, der die gleiche Tätigkeit am gleichen Ort ausführt, so gilt als Entsendungsdauer für die Zwecke dieses Absatzes die Gesamtdauer der Entsendezeiten der betreffenden einzelnen entsandten Arbeitnehmer.

Der in Unterabsatz 4 dieses Absatzes genannte Begriff ‚gleiche Tätigkeit am gleichen Ort‘ wird unter anderem unter Berücksichtigung der Art der zu erbringenden Dienstleistung oder der durchzuführenden Arbeit und der Anschrift(en) des Arbeitsplatzes bestimmt.“

9.        Nach Art. 1 Nr. 2 Buchst. c der Richtlinie 2018/957 hat Art. 3 Abs. 7 der Richtlinie 96/71 nunmehr folgenden Wortlaut:

„(7)      Die Absätze 1 bis 6 stehen der Anwendung von für die Arbeitnehmer günstigeren Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen nicht entgegen.

Die Entsendungszulagen gelten als Bestandteil der Entlohnung, sofern sie nicht als Erstattung von infolge der Entsendung tatsächlich entstandenen Kosten wie z. B. Reise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten gezahlt werden. Der Arbeitgeber erstattet dem entsandten Arbeitnehmer unbeschadet des Absatzes 1 Unterabsatz 1 Buchstabe h diese Kosten im Einklang mit den auf das Arbeitsverhältnis des entsandten Arbeitnehmers anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften und/oder nationalen Gepflogenheiten.

Legen die für das Arbeitsverhältnis geltenden Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen nicht fest, ob und wenn ja welche Bestandteile einer Entsendungszulage als Erstattung von infolge der Entsendung tatsächlich entstandenen Kosten gezahlt werden oder welche Teil der Entlohnung sind, so ist davon auszugehen, dass die gesamte Zulage als Erstattung von infolge der Entsendung entstandenen Kosten gezahlt wird.“

10.      Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2018/957 lautet:

„Diese Richtlinie gilt für den Straßenverkehrssektor ab dem Geltungsbeginn eines Gesetzgebungsakts zur Änderung der Richtlinie 2006/22/EG bezüglich der Durchsetzungsanforderungen und zur Festlegung spezifischer Regeln im Zusammenhang mit der Richtlinie 96/71/EG und der Richtlinie 2014/67/EU [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems (IMI-Verordnung) (ABl. 2014, L 159, S. 11)] für die Entsendung von Kraftfahrern im Straßenverkehrssektor.“

II.    Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien

11.      Die ungarische Regierung beantragt, die Richtlinie 2018/957 insgesamt für nichtig zu erklären. Hilfsweise beschränkt sie ihre Anträge auf Nichtigerklärung auf

–      die Bestimmungen des Art. 1 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie 2018/957, mit denen Art. 3 Abs. 1 Buchst. c und Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 96/71 neu gefasst werden;

–      die Bestimmungen des Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2018/957, mit denen Abs. 1a in Art. 3 der Richtlinie 96/71 eingefügt wird;

–      Art. 1 Nr. 2 Buchst. c der Richtlinie 2018/957;

–      Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2018/957.

12.      Die ungarische Regierung beantragt ferner, dem Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union die Kosten aufzuerlegen.

13.      Das Europäische Parlament und der Rat beantragen, die Klage abzuweisen und Ungarn die Kosten aufzuerlegen.

14.      Deutschland, Frankreich, die Niederlande und die Kommission sind als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission und des Rates zugelassen worden. Sie alle haben schriftliche Erklärungen eingereicht, mit Ausnahme der Niederlande, die sich auf eine Unterstützung der Argumente des Rates und des Europäischen Parlaments beschränkt haben.

15.      Die ungarische Regierung hat gemäß Art. 16 Abs. 3 der Satzung des Gerichtshofs beantragt, dass die Große Kammer über die Rechtssache entscheidet.

16.      An der mündlichen Verhandlung vom 3. März 2020 haben der Rat, das Parlament, die Kommission sowie die ungarische, die deutsche, die französische und die niederländische Regierung teilgenommen.

III. Einleitende Erwägungen

17.      Die Entsendung von Arbeitnehmern(4) im Rahmen länderübergreifender Dienstleistungen zwischen Mitgliedstaaten ist innerhalb der Europäischen Union immer eine sensible Frage gewesen. Trotz ihrer relativ geringen wirtschaftlichen Bedeutung(5) hat ihre rechtliche Regelung Anlass zu Meinungsverschiedenheiten gegeben, denn bei ihrer Regelung treffen zwei gegensätzliche Sachlogiken aufeinander:

–      Einerseits die Logik des freien Dienstleistungsverkehrs im Binnenmarkt. Danach müssen Beschränkungen, die ein Unternehmen eines Mitgliedstaats mit niedrigen Arbeitskosten daran hindern, seine Arbeitnehmer zur Erbringung von Dienstleistungen in einen anderen Mitgliedstaat mit höheren Arbeitskosten zu entsenden, beseitigt werden. Die Herkunftsstaaten dieser Unternehmen betonen die Notwendigkeit, den freien Dienstleistungsverkehr zu erleichtern. Sie vertreten deshalb den Standpunkt, dass vorübergehend entsandte Arbeitnehmer dem Recht des Herkunftsstaats unterliegen und möglichst wenige Vorschriften des Bestimmungsstaats auf sie angewandt werden sollten.

–      Andererseits die Logik des Schutzes der Arbeitsbedingungen und der sozialen Bedingungen der vorübergehend entsandten Arbeitnehmer. Die Bestimmungsstaaten sind bestrebt, dass für diese Arbeitnehmer die gleichen arbeitsrechtlichen Vorschriften gelten wie für alle anderen in ihrem Hoheitsgebiet tätigen Arbeitnehmer (und dass sie in diesem Staat für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn erhalten). Auf diese Weise könnten die Unternehmen, die sie entsendeten, gegenüber Unternehmen, die in ihrem Hoheitsgebiet niedergelassen seien, keinen unlauteren Wettbewerb betreiben, es würde das sogenannte Sozialdumping vermieden und gleichzeitig ein besserer Schutz der entsandten Arbeitnehmer gewährleistet.

18.      Die Schwierigkeiten bei der Regelung der länderübergreifenden Entsendung von Arbeitnehmern gehen im Grunde darauf zurück, dass die Union keine Zuständigkeiten für die Harmonisierung der Arbeitsbedingungen besitzt. Diese Zuständigkeit liegt bei den Mitgliedstaaten, was erhebliche Unterschiede zwischen ihren jeweiligen Arbeits- und Entgeltbedingungen zur Folge hat(6).

19.      Neben den arbeitsrechtlichen Vorschriften der beteiligten Mitgliedstaaten und den unionsrechtlichen Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr unterliegt die länderübergreifende Entsendung von Arbeitnehmern den Regeln des internationalen Privatrechts der Union (über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht), den Vorschriften der Union und der betroffenen Mitgliedstaaten über die soziale Sicherheit und den Vorschriften steuerrechtlicher Natur. Diese vielfache Bindung erhöht die Schwierigkeiten bezüglich ihrer Regelung.

A.      Rechtsprechung des Gerichtshofs zu im Rahmen von länderübergreifenden Dienstleistungen entsandten Arbeitnehmern

20.      Bevor die Rechtsvorschriften auf diesem Gebiet harmonisiert wurden, musste der Gerichtshof entscheiden, welches Recht auf entsandte Arbeitnehmer anzuwenden war(7). Die Erbringung von Dienstleistungen durch Unternehmen aus anderen Staaten, die solche Arbeitnehmer beschäftigen wollen, würde erschwert, wenn ihnen der Empfängerstaat seine arbeitsrechtlichen Vorschriften ohne Weiteres auferlegen könnte.

21.      Der Gerichtshof hat auf nationale Maßnahmen in diesem Bereich die Vorgehensweise angewandt, die er üblicherweise im Bereich des freien Dienstleistungsverkehrs anwendet. Zuerst stellt er fest, ob die nationale Vorschrift die länderübergreifende Erbringung von Dienstleistungen, in deren Rahmen Arbeitskräfte entsandt werden, erschwert. Ist dies der Fall, nimmt er eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor, um abzuwägen, ob sie durch ein zwingendes Erfordernis, also einen schutzwürdigen Grund des Allgemeininteresses, gerechtfertigt ist.

22.      Nach ständiger Rechtsprechung verlangt Art. 56 AEUV nicht nur die Beseitigung jeder Diskriminierung des in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistenden aufgrund seiner Staatsangehörigkeit, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen – selbst wenn sie unterschiedslos für inländische Dienstleistende wie für solche aus anderen Mitgliedstaaten gelten –, sofern sie geeignet sind, die Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen(8).

23.      Der Gerichtshof hat nationale Maßnahmen, durch die Arbeitgeber verpflichtet wurden, im Aufnahmestaat für die entsandten Arbeitnehmer den Arbeitgeberanteil an den Beiträgen zur Sozialversicherung zu entrichten(9) oder Beiträge für „Treuemarken“ und „Schlechtwettermarken“ zu zahlen, wenn sie in ihrem Herkunftsstaat vergleichbare Arbeitgeberbeiträge abführten, als einschränkende Maßnahmen angesehen(10).

24.      Er hat auch entschieden, dass eine nationale Regelung, die im Rahmen einer Arbeitnehmerentsendung die Verpflichtung vorsieht, im Aufnahmemitgliedstaat bestimmte Arbeits- und Sozialunterlagen zu erstellen und zu führen, für in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Unternehmen zusätzliche administrative und wirtschaftliche Kosten und Belastungen verursachen kann und somit eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellt(11).

25.      Die nationalen beschränkenden Maßnahmen können jedoch gerechtfertigt sein, wenn sie auf zwingenden Gründen des Allgemeininteresses beruhen und a) dieses Interesse nicht schon durch Vorschriften geschützt wird, denen der Dienstleistende in dem Mitgliedstaat unterliegt, in dem er ansässig ist, und b) wenn sie geeignet sind, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels zu gewährleisten, ohne über das hinauszugehen, was zu dessen Erreichung erforderlich ist (d. h., wenn sie verhältnismäßig sind)(12).

26.      Zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, die der Gerichtshof anerkannt hat, um die Anwendbarkeit arbeitsrechtlicher Maßnahmen des Bestimmungsstaats auf entsandte Arbeitnehmer zu bejahen, gehören a) der Schutz der Arbeitnehmer(13), b) der „soziale Schutz der Arbeitnehmer“(14), c) der „soziale Schutz der Arbeitnehmer des Baugewerbes“(15), d) die Verhinderung eines unlauteren Wettbewerbs durch Unternehmen, die ihren entsandten Arbeitnehmern einen Lohn zahlen, der unterhalb des Mindestlohns liegt, soweit dieses Ziel auch dem Schutz der Arbeitnehmer durch Bekämpfung von Sozialdumping dient,(16) und e) die Betrugsbekämpfung.

27.      Der Gerichtshof hat im Urteil Seco und Desquenne & Giral festgestellt(17), dass die Mitgliedstaaten mangels Harmonisierung z. B. Arbeitgeber, die zur Erbringung von Dienstleistungen entsandte Arbeitnehmer beschäftigen, dazu verpflichten können, diesen Arbeitnehmern das im Aufnahmemitgliedstaat bestehende Mindestentgelt zu zahlen, auch wenn die Arbeitnehmer nur vorübergehend im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats tätig sind und unabhängig davon, in welchem Land der Arbeitgeber ansässig ist. Die Mitgliedstaaten können solche arbeitsrechtlichen Vorschriften auch durchsetzen(18).

28.      Der Erlass der Richtlinie 96/71 führte zu einem Rückgang der Streitigkeiten, in denen der Gerichtshof die Vereinbarkeit nationaler Maßnahmen zur Beschränkung der Arbeitnehmerentsendung an Art. 56 AEUV prüfte, schaffte sie aber nicht aus der Welt.

29.      Da die Richtlinie keine Bestimmungen zur Durchsetzung ihrer materiellen Vorschriften enthielt, zog der Gerichtshof bei der Prüfung von auf nationaler Ebene erfolgten Beschränkungen in diesem Bereich weiterhin Art. 56 AEUV heran. Diese Situation änderte sich mit dem Inkrafttreten der Richtlinie 2014/67.

30.      Konkret wurden die verwaltungsrechtlichen Nebenbestimmungen, die die Überwachung der Einhaltung der für entsandte Arbeitnehmer geltenden Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen erlauben sollen, weiterhin anhand des Art. 56 AEUV geprüft(19):

–      Nach dem Urteil Čepelnik steht Art. 56 AEUV dem entgegen, dass die zuständigen Behörden des Aufnahmestaats einem in diesem Mitgliedstaat ansässigen Auftraggeber auferlegen können, die Zahlungen an seinen in einem anderen (Herkunfts-)Mitgliedstaat ansässigen Vertragspartner zu stoppen und sogar eine Sicherheitsleistung in Höhe des noch ausstehenden Werklohns zu zahlen, um die Zahlung einer Geldbuße zu sichern, die gegen den Vertragspartner im Fall der Feststellung eines Verstoßes gegen das Arbeitsrecht des ersteren Mitgliedstaats verhängt werden könnte(20).

–      Auf der gleichen Linie liegt das Urteil Maksimovic u. a.(21).

–      Der Gerichtshof hat zur Entsendung von drittstaatsangehörigen Arbeitnehmern durch ein in einem Mitgliedstaat der Union ansässiges Dienstleistungsunternehmen entschieden, dass es eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinne von Art. 56 AEUV darstellt, die Erbringung von Dienstleistungen im Inland durch ein in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenes Unternehmen von der Erteilung einer behördlichen Erlaubnis abhängig zu machen(22). Das Gleiche gilt, wenn ihm die Verpflichtung auferlegt wird, Arbeitserlaubnisse einzuholen, wenn es seine Belegschaft, die aus legal in diesem anderen Mitgliedstaat wohnenden und arbeitenden Staatsangehörigen eines Drittstaats besteht, entsenden möchte(23).

B.      Harmonisierung von Rechtsvorschriften durch Richtlinien

1.      Die Richtlinie 96/71 und ihre vor 2018 erfolgten Änderungen

31.      In Anbetracht der Zweifel, welche nationalen arbeitsrechtlichen Vorschriften Unternehmen, die Arbeitnehmer entsenden, einhalten müssen, forderten die Mitgliedstaaten den Unionsgesetzgeber auf, diese Bestimmungen zu harmonisieren.

32.      Die Richtlinie 96/71 regelt drei Arten von Entsendungen: a) die unmittelbare Erbringung von Dienstleistungen durch ein Unternehmen im Rahmen eines Dienstleistungsvertrags(24), b) die Entsendung vor dem Hintergrund einer Niederlassung oder eines der Unternehmensgruppe angehörenden Unternehmens („Entsendung innerhalb der Gruppe“) und c) die Entsendung durch Überlassung eines Arbeitnehmers durch ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiges Leiharbeitsunternehmen.

33.      Durch die Richtlinie 96/71 sollte der länderübergreifende Dienstleistungsverkehr durch einen fairen Wettbewerb sowie Maßnahmen zur Wahrung der Rechte der Arbeitnehmer gefördert werden.

34.      Ihr Ziel bestand mithin in der Regelung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die im Rahmen eines vor einem länderübergreifenden Hintergrund durchgeführten Arbeitsverhältnisses anwendbar sind. Dieses Ziel diente der Koordinierung der Gesetze der Mitgliedstaaten, „um einen Kern zwingender Bestimmungen über ein Mindestmaß an Schutz festzulegen, das im Gastland von Arbeitgebern zu gewährleisten ist, die Arbeitnehmer für eine zeitlich begrenzte Arbeitsleistung in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entsenden, in dem eine Dienstleistung zu erbringen ist“(25).

35.      Diese Ziele kommen in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 96/71 zum Ausdruck:

–      Einerseits soll sie zwischen inländischen Unternehmen und Unternehmen, die länderübergreifende Dienstleistungen erbringen, einen lauteren Wettbewerb sicherstellen: Letztgenannte müssen ihren Arbeitnehmern für eine begrenzte Liste von Aspekten die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zuerkennen, die im Aufnahmemitgliedstaat festgelegt worden sind.

–      Andererseits soll sichergestellt werden, dass bei den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für die genannten Aspekte die Regeln über den Mindestschutz des Aufnahmemitgliedstaats angewandt werden, während die Arbeitnehmer vorübergehend in seinem Hoheitsgebiet tätig sind(26).

36.      Die Umsetzung der Richtlinie 96/71 war wegen der mangelnden Klarheit und der Ungenauigkeit einiger ihrer Begriffe und Anwendungsvoraussetzungen von Anfang an schwierig(27).

37.      Der Gerichtshof hat versucht, einige der relevantesten Begriffe in diesem Bereich klarzustellen:

–      Was die „Mindestlohnsätze“ betrifft, ist die Definition der Bestandteile, die diesen Begriff bilden, im Recht des betreffenden Mitgliedstaats festzulegen, unter der einzigen Voraussetzung, dass diese Festlegung (wie sie sich aus den einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften oder Tarifverträgen oder ihrer Auslegung durch die innerstaatlichen Gerichte ergibt) nicht zu einer Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten führen darf.

–      Der Gerichtshof musste einzelfallbezogen klarstellen, welche Bestandteile die Mindestlohnsätze bilden (oder nicht), insbesondere in den Urteilen Kommission/Deutschland, Isbir und Sähköalojen ammattiliitto(28).

38.      Von besonderer Bedeutung war das Urteil Laval un Partneri, denn a) einerseits wurde in ihm ausgeführt, dass die Mitgliedstaaten den entsandten Arbeitnehmern das in ihren nationalen Rechtsvorschriften geregelte Mindestschutzniveau zugestehen müssen, und b) andererseits festgestellt, dass vorbehaltlich dessen, dass die in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen aus freien Stücken im Aufnahmemitgliedstaat – insbesondere im Rahmen einer gegenüber ihrem eigenen entsandten Personal eingegangenen Verpflichtung – einem womöglich günstigeren Tarifvertrag beitreten können, das Schutzniveau, das den entsandten Arbeitnehmern im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats garantiert werden muss, grundsätzlich auf das beschränkt ist, was Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a bis g der Richtlinie 96/71 vorsieht(29).

39.      Zudem stellte der Gerichtshof in diesem Urteil fest, dass Art. 3 der Richtlinie 96/71 (in Verbindung mit Art. 56 AEUV) dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass eine gewerkschaftliche Organisation versuchen kann, durch eine kollektive Maßnahme in Form einer Baustellenblockade einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleister dazu zu zwingen, mit ihr über die den entsandten Arbeitnehmern zu zahlenden Lohnsätze zu verhandeln und einem Tarifvertrag beizutreten, der Klauseln enthält, die für bestimmte dieser Aspekte günstigere Bedingungen als die vorsehen, die sich aus den einschlägigen Rechtsvorschriften ergeben, während andere Klauseln sich auf in Art. 3 dieser Richtlinie nicht angesprochene Aspekte beziehen(30).

40.      Dem Urteil Laval un Partneri ging das Urteil International Transport Workers’ Federation und Finnish Seamen’s Union(31) voraus, ihm folgten die Urteile Rüffert und Kommission/Luxemburg(32), nach denen bestimmte Arbeitnehmerschutzmaßnahmen, die den freien Dienstleistungsverkehr bzw. die Niederlassungsfreiheit beschränken, nicht gerechtfertigt sind.

41.      Diese Rechtsprechung wurde von den Gewerkschaften als den Interessen der entsandten Arbeitnehmer zuwiderlaufend aufgefasst(33) und kritisiert, weil sie die Richtlinie 96/71 zur Höchstschwelle für die Rechte, die der Aufnahmemitgliedstaat den entsandten Arbeitnehmern zuerkennen und den sie entsendenden Unternehmen auferlegen kann, zu machen schien(34). Daher überrascht es nicht, dass die Forderung nach einer Überarbeitung der Richtlinie 96/71 laut wurde(35).

42.      Hinzu kommen die Auswirkungen der Erweiterungen der Union in den Jahren 2004 und 2007, also der Beitritt neuer Mitgliedstaaten mit einem beachtlichen Exportpotenzial an entsandten Arbeitnehmern. Die Wirtschaftskrise im Jahr 2008 wirkte sich ebenfalls auf die Anwendung der Richtlinie 96/71 aus, da sie länderübergreifende Entsendungen begünstigte und zur Entwicklung betrügerischer Praktiken beitrug (fiktive Unternehmen bzw. Briefkastengesellschaften, Scheinselbständige)(36), um den „Mindestschutz“, die sie den entsandten Arbeitnehmern bot, zu umgehen.

43.      Ein erster Fortschritt im Überarbeitungsprozess war der Erlass der Richtlinie 2014/67 zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71 im Wege der Regelung neuer und verstärkter Instrumente zur Bekämpfung und Sanktionierung von Missbrauch, Umgehung und Betrug in Fällen länderübergreifender Arbeitnehmerentsendungen(37).

44.      Die Richtlinie 2014/67 enthält auch Bestimmungen zur Verbesserung der Verwaltungszusammenarbeit zwischen den auf dem Gebiet der Entsendung zuständigen nationalen Behörden. Sie regelt die Kontrollmaßnahmen, die die Mitgliedstaaten bei der Überwachung der Einhaltung der Arbeitsbedingungen der entsandten Arbeitnehmer anwenden müssen. Zudem sieht sie die Einführung von geeigneten und wirksamen Kontrollen und Überwachungsmechanismen sowie Prüfungen durch die Behörden zur Überwachung der Einhaltung der Richtlinie 96/71 vor.

2.      Richtlinie 2018/957

45.      Die Mitgliedstaaten hatten bis zum 18. Juni 2016 Zeit, um die Richtlinie 2014/67 in nationales Recht umzusetzen(38). Noch vor Ablauf dieser Frist reichte die Kommission am 8. März 2016 einen Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 96/17 ein(39).

46.      Bei der Behandlung dieses Vorschlags trat der Streit zwischen den Mitgliedstaaten, die entsandte Arbeitnehmer exportieren, und denen, die sie empfangen, offen zutage:

–      Deutschland, Österreich, Belgien, Frankreich, Luxemburg, die Niederlande und Schweden sicherten in einem gemeinsamen Schreiben ihre Unterstützung für die Modernisierung der Richtlinie 96/71 zu und bekannten sich zu dem Grundsatz des „gleichen Entgelts für gleiche Arbeit am gleichen Ort“. Sie regten die Änderung der für entsandte Arbeitnehmer geltenden Bestimmungen zu arbeitsbezogenen und sozialen Bedingungen, insbesondere zur Entlohnung, zur Prüfung der Einführung einer Entsendungshöchstdauer, vor allem im Hinblick auf eine Abstimmung der einschlägigen Bestimmungen mit der EU-Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit sowie die Klärung der für den Straßenverkehrssektor geltenden Bedingungen an.

–      Bulgarien, die Tschechische Republik, die Slowakei, Estland, Ungarn, Lettland, Litauen, Polen und Rumänien hingegen brachten in einem anderen gemeinsamen Schreiben zum Ausdruck, dass es für eine Überarbeitung der Richtlinie 96/71 zu früh sei und dass diese bis zum Ablauf der Frist für die Umsetzung der Durchsetzungsrichtlinie aufgeschoben werden sollte; zudem müssten die Auswirkungen sorgfältig evaluiert werden. Die genannten Mitgliedstaaten hatten Bedenken, dass durch den Grundsatz des „gleichen Entgelts für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ möglicherweise Hindernisse auf dem Binnenmarkt entstehen könnten, da Entlohnungsunterschiede ein legitimer Wettbewerbsfaktor für Dienstleistungserbringer seien. Darüber hinaus vertraten sie die Meinung, dass entsandte Arbeitnehmer für die Zwecke der sozialen Sicherheit weiterhin den Rechtsvorschriften des entsendenden Mitgliedstaats unterliegen sollten; demnach sollte die Verbindung zwischen der Arbeitnehmerentsendung und der Koordinierung der sozialen Sicherheit nicht geändert werden.

47.      Innerhalb der in Art. 6 des Protokolls Nr. 2 vorgesehenen Frist übersandten 14 nationale Parlamente der Kommission begründete Stellungnahmen, in denen sie erklärten, dass der Vorschlag vom 8. März 2016 nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar sei. Dadurch setzten sie das Verfahren nach Art. 7 Abs. 2 des Protokolls Nr. 2 des Vertrags über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit in Gang.

48.      Rechtsgrundlage des Vorschlags der Kommission waren die Vorschriften über den Binnenmarkt, konkret Art. 53 Abs. 1 und Art. 62 AEUV. Nach einer Prüfung seines Inhalts kam die Kommission zu dem Ergebnis, dass die Überarbeitung der Richtlinie 96/71 in Einklang mit dem in Art. 5 Abs. 3 EUV verankerten Subsidiaritätsprinzip stehe und weder zurückgezogen noch geändert werden müsse(40).

49.      Nach komplexen Verhandlungen im Rat und im Europäischen Parlament(41) wurde die Änderung der Richtlinie 96/71 am 28. Juni 2018 mit dem Erlass der Richtlinie 2018/957 angenommen, deren Art. 3 eine Frist für ihre Umsetzung bis zum 30. Juli 2020 vorsieht und deren Geltung für den Straßenverkehrssektor vom Erlass eines spezifischen Rechtsetzungsakts abhängt.

50.      Die Richtlinie wurde gegen die Stimmen Polens und Ungarns und bei Enthaltung Kroatiens, Litauens, Lettlands und des Vereinigten Königreichs angenommen.

51.      Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die Änderung der Richtlinie 97/71 durch den Erlass der Richtlinie 2018/957 von einem Vorschlag zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004(42) und der Einrichtung einer Europäischen Arbeitsbehörde(43) begleitet wurde, deren Ziel es ist, die Mitgliedstaaten und die Kommission bei der wirksamen Anwendung und Durchsetzung des Unionsrechts im Bereich der Arbeitskräftemobilität (einschließlich der Richtlinie 96/71) und der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in der Union zu unterstützen.

IV.    Erster Klagegrund: Wahl einer falschen Rechtsgrundlage für die Richtlinie 2018/957

A.      Vorbringen

52.      Die ungarische Regierung hat geltend gemacht, Art. 53 Abs. 1 und Art. 62 AEUV, die die Rechtsangleichung auf dem Gebiet des freien Dienstleistungsverkehrs vorsähen, seien keine geeignete Rechtsgrundlage für die Richtlinie 2018/957. Da diese Richtlinie ihrem Gegenstand und Inhalt nach ausschließlich oder zumindest in erster Linie auf den Schutz der Arbeitnehmer abziele, hätte der Unionsgesetzgeber sie auf der Grundlage von Art. 153 AEUV – oder zumindest auf der Grundlage dieser sozialpolitischen Vorschrift als vorrangiger Rechtsgrundlage – erlassen müssen.

53.      Die Richtlinie 2018/957 beseitige nicht die Beschränkungen für den freien Dienstleistungsverkehr, sondern führe zu Hindernissen für Unternehmen, die zur Erbringung länderübergreifender Dienstleistungen Arbeitnehmer entsendeten, denn sie führe Maßnahmen zum Schutz entsandter Arbeitnehmer ein. Ihr Hauptzweck bestehe in der Gleichbehandlung der Arbeitnehmer und insbesondere der Ausdehnung der Entgeltgleichheit (gleiches Entgelt für gleiche Arbeit am gleichen Ort).

54.      Würden Arbeitnehmer im Rahmen einer länderübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen über einen Zeitraum von über zwölf Monaten (oder ausnahmsweise 18 Monaten) entsandt, sehe die Richtlinie vor, dass für sie die gleichen Arbeitsbedingungen wie für Arbeitnehmer des Aufnahmelandes gälten. Für kürzere Zeiträume verstärkt die Richtlinie nach Auffassung der ungarischen Regierung den harten Kern der zwingenden Vorschriften, die diesen Arbeitnehmern während ihrer Entsendung in den Aufnahmestaat einen Mindestschutz garantierten.

55.      Die ungarische Regierung ist der Ansicht, die Richtlinie 2018/957 dürfe nicht die gleiche Rechtsgrundlage wie die Richtlinie 96/71 haben: Die Richtlinie aus dem Jahr 2018 sei inhaltlich auf den Schutz der entsandten Arbeitnehmer beschränkt und enthalte keine Bestimmungen, die auf die Liberalisierung der Erbringung von Dienstleistungen gerichtet seien.

56.      Sie führt auch die Rechtsprechung zum Vorrang der spezielleren Rechtsgrundlage an. Als die Richtlinie 96/71 erlassen worden sei, habe man die allgemeine Grundlage für die Angleichung von Rechtsvorschriften auf dem Gebiet des freien Dienstleistungsverkehrs herangezogen, weil es keine andere, spezifischere gegeben habe. Beim Erlass der Richtlinie 2018/957 habe es diese spezifischere Grundlage bereits gegeben (Art. 153 AEUV), und der Unionsgesetzgeber hätte diese anwenden müssen.

57.      Die Kommission, der Rat, das Europäische Parlament und die Regierungen der beteiligten Mitgliedstaaten sind der Auffassung, dass die Rechtsgrundlage für die Richtlinie 2018/957 (Art. 53 Abs. 1 und Art. 62 AEUV) zutreffend sei.

B.      Würdigung

58.      Die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Wahl der Rechtsgrundlage ist im Urteil Tschechische Republik/Parlament und Rat(44) wie folgt zusammengefast worden.

–      „[D]ie Wahl der Rechtsgrundlage eines Unionsrechtsakts [muss] auf objektiven und gerichtlich nachprüfbaren Umstände beruhen, zu denen das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts gehören. Ergibt die Prüfung des betreffenden Rechtsakts, dass er zwei Zielsetzungen hat oder zwei Komponenten umfasst, und lässt sich eine von ihnen als die hauptsächliche oder überwiegende ausmachen, während die andere nur nebensächliche Bedeutung hat, so ist der Rechtsakt nur auf eine Rechtsgrundlage zu stützen, und zwar auf die, die die hauptsächliche oder überwiegende Zielsetzung oder Komponente erfordert.“(45)

–      „Zudem [kann] zur Bestimmung der richtigen Rechtsgrundlage der rechtliche Zusammenhang, in den sich eine neue Regelung einfügt, berücksichtigt werden, insbesondere soweit dieser Zusammenhang Aufschluss über das Ziel dieser Regelung zu geben vermag.“(46)

–      „[B]ei einer Regelung, die eine bestehende Regelung ändert, [sind] für die Bestimmung der Rechtsgrundlage dieser Regelung auch die bestehende Regelung, die durch sie geändert wird, und vor allem deren Ziel sowie deren Inhalt zu berücksichtigen …“(47)

–      Nach ständiger Rechtsprechung kann darüber hinaus „der Unionsgesetzgeber … im Hinblick auf seine Aufgabe, über den Schutz der im Vertrag anerkannten allgemeinen Interessen zu wachen, nicht daran gehindert sein, diesen Rechtsakt den Umständen oder neuen Erkenntnissen anzupassen.“(48)

59.      Ich werde daher anhand dieser Rechtsprechung prüfen, ob die Änderung der Richtlinie 96/71 von dem Ermessensspielraum gedeckt ist, der den Organen der Union zusteht. Dazu bedarf es i) der Bestimmung der hauptsächlichen Zielsetzung der Richtlinie 2018/957, ii) der Prüfung ihres Inhalts(49) und iii) der Untersuchung des Zusammenhangs, in dem sie erlassen wurde.

1.      Ziel der Richtlinie 2018/957

60.      Um die hauptsächliche Zielsetzung dieser Richtlinie bestimmen zu können, ist es unumgänglich, ihre Begründung und die in ihr enthaltenen Bestimmungen insgesamt zu berücksichtigen(50).

61.      Die Erwägungsgründe der Richtlinie 2018/957 zeigen, dass sie auf die Herstellung eines nicht immer einfachen Gleichgewichts zwischen zwei nicht unbedingt übereinstimmenden Interessen gerichtet ist(51):

–      einerseits die Gewährleistung für die Unternehmen der Mitgliedstaaten, länderübergreifende Dienstleistungen erbringen zu können(52) und dabei ohne ungerechtfertigte Einschränkungen Arbeitnehmer aus ihrem Niederlassungsstaat entsenden und somit ihren Wettbewerbsvorteil nutzen zu können, wenn sie niedrigere Lohnkosten haben;

–      andererseits der Schutz der Rechte der entsandten Arbeitnehmer(53), deren arbeitsrechtliche Stellung im Bestimmungsstaat mit der Stellung der Arbeitnehmer dieses Staates vergleichbar sein muss.

62.      Die Bezugnahmen auf dieses Gleichgewicht (zwischen den Interessen der Unternehmen, die Dienstleistungen erbringen, und dem sozialen Schutz der entsandten Arbeitnehmer) sind in der Begründung der Richtlinie 2018/957 konstant(54). Beispielsweise wird in ihrem zehnten Erwägungsgrund, nachdem zunächst festgestellt wird, dass „[e]in besserer Arbeitnehmerschutz … notwendig [ist], um den freien Dienstleistungsverkehr auf einer fairen Grundlage sowohl kurz- als auch langfristig sicherzustellen, insbesondere indem ein Missbrauch der durch die Verträge garantierten Rechte verhindert wird“, als Gegengewicht hinzugefügt, dass „die Vorschriften über den Arbeitnehmerschutz das Recht von Unternehmen, die Arbeitnehmer in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats entsenden, sich … auf die Dienstleistungsfreiheit zu berufen, nicht berühren [können]“.

63.      Ein angemessenes Gleichgewicht zwischen diesen beiden Interessen muss darüber hinaus einen fairen Wettbewerb zwischen den Unternehmen, die Arbeitnehmer entsenden, und denen, die im Bestimmungsstaat niedergelassen sind, sicherstellen.

64.      Tatsächlich bezieht sich ein guter Teil der Erwägungsgründe der Richtlinie 2018/957 speziell auf den Schutz der entsandten Arbeitnehmer. Diese Wiederholung erklärt sich daraus, dass man im Jahr 2018 die Richtlinie 96/71 gerade deshalb ändern wollte, weil man das mit ihr hergestellte Gleichgewicht ändern und die entsandten Arbeitnehmer besser schützen wollte. Der Unionsgesetzgeber hielt diese Änderung in Anbetracht der Entwicklung der Arbeitsmärkte in der Union nach den verschiedenen Erweiterungen und als Folge der Wirtschaftskrise im Jahr 2008 für unumgänglich.

2.      Inhalt der Richtlinie 2018/957

65.      Der Inhalt dieser Richtlinie steht im Einklang mit den in ihren Erwägungsgründen genannten Zielen. Die neue Fassung von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 96/71 legt mehr Gewicht auf den Schutz der Rechte der entsandten Arbeitnehmer, die vorhergehende hingegen auf die Unternehmen, die sie beschäftigen.

66.      Ich wiederhole, dass die Änderungen, die durch die Richtlinie 2018/957 in die Richtlinie 96/71 eingefügt wurden, auf der Linie mit einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen entsandter Arbeitnehmer liegen, indem sie denen der Arbeitnehmer im Aufnahmestaat angenähert werden. Danach gilt:

–      Der Entsendezeitraum beträgt höchstens ein Jahr (oder ausnahmsweise 18 Monate). Nach Ablauf dieser Zeit wird der entsandte Arbeitnehmer zum trabajador de larga duración (Langzeitarbeitnehmer)(55), für den grundsätzlich dieselben Arbeitsbedingungen gelten wie für Arbeitnehmer des Aufnahmestaats.

–      Bezüglich der Arbeitnehmer, die für weniger als ein Jahr (oder ausnahmsweise 18 Monate) entsandt werden, werden die Aspekte erweitert, auf die sich die Pflicht zur Gleichbehandlung mit den nationalen Arbeitnehmern erstreckt(56). Speziell wird der Ausdruck „Mindestlohnsätze“ durch „Entlohnung“ ersetzt.

–      Die Arbeitsbedingungen von Arbeitnehmer zur Verfügung stellenden Unternehmen oder Leiharbeitsunternehmen entsandter Arbeitnehmer werden verbessert. Nunmehr müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen (vorher war dies fakultativ), dass diese Unternehmen ihnen die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die nach Art. 5 der Richtlinie 2008/104/EG(57) für Leiharbeitnehmer gelten, die von im Aufnahmemitgliedstaat niedergelassenen Leiharbeitsunternehmen zur Verfügung gestellt werden.

67.      Neben diesen Änderungen enthält die Richtlinie 2018/975 weitere Änderungen im Zusammenhang mit der Überwachung, der Kontrolle und der Durchsetzung der Richtlinie 96/71, die auf den Erlass der Richtlinie 2014/67 zurückgehen.

68.      Insgesamt betrachtet richtet sich der Inhalt der Richtlinie 2018/957 damit auf die Erhöhung des Schutzes der entsandten Arbeitnehmer, aber immer vor dem Hintergrund einer länderübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen durch ein Unternehmen.

3.      Kontext, in dem die Richtlinie 2018/957 erlassen wird

69.      Ich habe bereits ausgeführt, dass die Ausarbeitung der Richtlinie 96/71 kompliziert war. Mit ihr sollten die länderübergreifende Erbringung von Dienstleistungen gefördert und erleichtert, entsandte Arbeitnehmer geschützt und ein fairer Wettbewerb zwischen den Unternehmen des Herkunftsstaats und denen der Bestimmungsmitgliedstaaten sichergestellt werden.

70.      Der 1996 erreichte status quo änderte sich durch die Erweiterungen der Union in den Jahren 2004 und 2007 im oben beschriebenen Sinne(58). Durch diesen Umstand erhöhten sich die länderübergreifenden Entsendungen von Arbeitnehmern, und 2008 kam die Wirtschaftskrise hinzu.

71.      Vor diesem Hintergrund und auch durch die fehlende Klarheit einiger ihrer Begriffe motiviert hielten es die politischen Organe der Union für unumgänglich, die Richtlinie 96/71 zu ändern. Dies geschah in zwei Abschnitten: a) mit der Richtlinie 2014/67, durch die ohne Änderung der Richtlinie 96/71 in Anbetracht des Auftretens zahlreicher Betrugsfälle im Zusammenhang mit der länderübergreifenden Entsendung von Arbeitnehmern Mechanismen zur Verbesserung ihrer Anwendung eingeführt wurden, und b) dem Erlass der Richtlinie 2018/957, durch die die oben dargestellten Änderungen vorgenommen wurden.

72.      Die bereits erwähnten Schwierigkeiten, auf die die Kommission, der Rat und das Europäische Parlament beim Vorantreiben dieser Änderungen stießen, machten einen schweren Konflikt zwischen den Interessen der Herkunftsstaaten der Unternehmen und der Aufnahmestaaten deutlich. Die vorliegende Nichtigkeitsklage sowie die von Polen (C-626/18) gegen die Richtlinie 2018/957 erhobene Nichtigkeitsklage lassen erkennen, wie tief die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Mitgliedstaaten sind.

4.      Meine Ansicht zur Rechtsgrundlage

73.      Nachdem Ziel, Inhalt und Kontext der Richtlinie 2018/957 geprüft worden sind, muss geklärt werden, ob die zu ihrem Erlass herangezogene Rechtsgrundlage (Art. 53 Abs. 1 und Art. 62 AEUV) richtig ist, wie das Europäische Parlament, der Rat, die Kommission sowie die deutsche, die französische und die niederländische Regierung geltend machen, oder ob diese Richtlinie, wie Ungarn meint, vielmehr auf Art. 153 AEUV als Rechtsgrundlage zu stützen gewesen wäre.

74.      Ich stimme mit Ungarn darin überein, dass die Ziele und der Inhalt der Richtlinie 2018/957 vornehmlich auf den Schutz der Rechte der entsandten Arbeitnehmer gerichtet sind. Dieser Umstand erlaubt aber nicht die Schlussfolgerung, dass ihre Wurzeln unausweichlich in Art. 153 AEUV zu suchen sind.

75.      Zunächst möchte ich daran erinnern, dass durch die Richtlinie 2018/957 eine bedeutende, aber begrenzte Änderung der Richtlinie 96/71 vorgenommen wurde. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs hat ein Rechtsakt, der einen bestehenden Rechtsakt ändert, normalerweise die gleiche Rechtsgrundlage(59), was mir folgerichtig erscheint. Für die Richtlinie 2018/957 können Art. 53 Abs. 1 und Art. 62 AEUV daher die geeignete Rechtsgrundlage darstellen, genauso wie sie es zuvor für die Richtlinie 96/71 waren, die durch diese Richtlinie geändert wurde.

76.      Die Richtlinie 2018/957 passt die gesetzgeberische Lösung der Richtlinie 96/71 an das Phänomen der (zunehmenden) länderübergreifenden Entsendung von Arbeitnehmern an, um den freien Dienstleistungsverkehr für Unternehmen, die von dieser Art der Mobilisierung des Faktors Arbeit Gebrauch machen, zu erleichtern.

77.      Diese Anpassung wurde, wie gesagt, aufgrund der Entwicklung der Arbeitsmärkte der Union erforderlich und ist auf einen stärkeren Schutz der Arbeitsbedingungen entsandter Arbeitnehmer ausgerichtet. Es ist möglich, dass in bestimmten Fällen die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen bei der Erbringung von Dienstleistungen in anderen Mitgliedstaaten unter Nutzung dieses Weges entsprechend verringert wird, doch ist dies die vom europäischen Gesetzgeber gewollte (legitime) Entscheidung.

78.      Im Rahmen der Untersuchung der auf diesem Gebiet ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs habe ich bereits erwähnt, dass der Unionsgesetzgeber beim Erlass einer Harmonisierungsvorschrift im Hinblick auf seine Aufgabe, über den Schutz der im Vertrag anerkannten allgemeinen Interessen zu wachen, nicht daran gehindert sein kann, diesen Rechtsakt den Umständen oder neuen Erkenntnissen anzupassen(60).

79.      Genau dies ist beim Erlass der Richtlinie 2018/957 geschehen. Der Unionsgesetzgeber hat die Richtlinie 96/71 geändert, um das in ihr zum Ausdruck kommende Interessengleichgewicht an die neue Situation anzupassen, die durch die länderübergreifende Bewegung von Arbeitnehmern entstanden ist. Die einander gegenüberstehenden Interessen sind nach wie vor die gleichen, aber ihr Schwerpunkt und das zwischen ihnen bestehende Gleichgewicht haben sich in Richtung eines größeren Schutzes der Arbeitsrechte dieser Arbeitnehmer verschoben. Diese Neugewichtung rechtfertigt keine Änderung der Rechtsgrundlage gegenüber der Richtlinie 96/71.

80.      Ungarn führt die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Wahl der spezielleren Rechtsgrundlage beim Zusammentreffen mehrerer Rechtsgrundlagen, auf die ein Unionsrechtsakt gestützt werden kann, an(61). Art. 153 AEUV sei gegenüber Art. 53 Abs. 1 und Art. 62 AEUV im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie 2018/957 spezieller, denn er sei auf den Schutz der Arbeitnehmerrechte und nicht auf die Beseitigung von Hindernissen für den freien Dienstleistungsverkehr ausgerichtet.

81.      Dieses Vorbringen ist zurückzuweisen. Art. 153 Abs. 2 AEUV enthält zwei verschiedene Rechtsgrundlagen:

–      Sein Buchst. a sieht den Erlass von Maßnahmen zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich des Sozialrechts unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung vor.

–      Sein Buchst. b regelt die Möglichkeit, in bestimmten Bereichen des Sozialrechts unter Berücksichtigung der in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehenden Bedingungen „Mindestvorschriften [zu] erlassen, die schrittweise anzuwenden sind“.

82.      Keine dieser beiden Rechtsgrundlagen eignet sich als Grundlage für die Richtlinie 2018/957. Bezüglich der Arbeitnehmer, die im Rahmen einer länderübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen entsandt werden, ist zu klären – und die Richtlinie tut dies – welches Arbeitsrecht für sie während ihrer Entsendung in den Aufnahmestaat gilt. Die in Art. 153 Abs. 2 Buchst. a AEUV vorgesehene Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten ist insoweit unzureichend, vor allem, wenn man berücksichtigt, dass die Interessen des Herkunftsmitgliedstaats und des Bestimmungsmitgliedstaats unter Umständen nicht übereinstimmen, wie der vorliegende Rechtsstreit zeigt.

83.      Zur Klarstellung, welches Recht die Arbeitsbeziehungen (in bestimmten Aspekten) während der Entsendung in den Aufnahmestaat regelt, ist es erforderlich, die europäischen Regelungen für eine Mindestharmonisierung, auf die sich Art. 153 Abs. 2 Buchst. b bezieht, auszuarbeiten. Da eine umfassende Harmonisierung sämtlicher Arbeitsbedingungen in der Union nicht möglich ist, wird es weiterhin Unterschiede zwischen dem Arbeitsrecht des Herkunftsstaats und dem des Aufnahmestaats geben.

84.      Von dieser Prämisse ausgehend beschränkt sich die Richtlinie 2018/957 auf die Festlegung der Bestimmungen des Aufnahmestaats, die für einen entsandten Arbeitnehmer während der Dauer der länderübergreifenden Erbringung der Dienstleistung durch sein Unternehmen gelten. So verstanden ähnelt sie einer Kollisionsnorm, anhand deren das anwendbare Recht festgestellt wird, um den freien Dienstleistungsverkehr zu erleichtern und gleichzeitig den entsandten Arbeitnehmern einen angemesseneren sozialen Schutz zu gewährleisten. Die Rechtsgrundlagen des Art. 153 Abs. 2 AEUV regeln weder solche Fälle noch sind sie dafür gedacht.

85.      Folglich ist Art. 153 AEUV, soweit es hier von Bedeutung ist, keine speziellere Rechtsgrundlage als Art. 53 Abs. 1 und Art. 62 AEUV. Die beiden letztgenannten Artikel waren die Rechtsgrundlage für den Erlass der Richtlinie 96/71 und müssen für deren Änderung, die durch die Richtlinie 2018/957 erfolgte, dieselbe Funktion erfüllen. Soweit Letztere eine Nachjustierung des Gleichgewichts der Interessen, zu dem der Unionsgesetzgeber im Jahr 1996 gelangt ist, bewirkt, hat sie die gleiche Rechtsgrundlage wie die Richtlinie 96/71, wenn auch unter Berücksichtigung der Änderungen, die seither in den länderübergreifenden Bewegungen der Arbeitnehmer eingetreten sind.

V.      Zweiter Klagegrund: Verstoß gegen Art. 153 Abs. 5 AEUV

A.      Vorbringen

86.      Die ungarische Regierung trägt vor, die Richtlinie 2018/957 verstoße gegen Art. 153 Abs. 5 AEUV, der die Regelung des Arbeitsentgelts aus den Rechtsetzungsbefugnissen der Union ausschließe.

87.      Mit der Vorgabe, dass die Entlohnung den Normen entsprechen müsse, die in dem Aufnahmemitgliedstaat gälten, habe der Unionsgesetzgeber in der Sache eine Richtlinie zum Arbeitsentgelt erlassen. Er habe deswegen die in der Richtlinie 2018/957 angeführten Rechtsgrundlagen gewählt, weil er die Frage der Entlohnung, die eines der zentralen Elemente dieser Richtlinie sei, mangels Zuständigkeit der Union nur auf diese Weise habe regeln können. Damit hat er nach Ansicht der ungarischen Regierung seine Befugnisse missbraucht.

88.      Die Kommission, der Rat, das Europäische Parlament und die Regierungen der beteiligten Mitgliedstaaten halten den zweiten Klagegrund für unbegründet.

B.      Würdigung

89.      Meine Ausführungen zum ersten Klagegrund machen eine Stellungnahme zum zweiten unnötig. Ich werde daher nur hilfsweise auf ihn eingehen.

90.      Der Gerichtshof hat entschieden, dass Art. 153 Abs. 5 AEUV (Art. 137 Abs. 5 EG), da er eine Ausnahmebestimmung zu den Abs. 1 bis 4 dieses Artikels darstelle, eng auszulegen sei, damit die Tragweite dieser Absätze nicht ungebührlich beeinträchtigt werde oder die mit Art. 151 AEUV verfolgten Ziele in Frage gestellt würden.

91.      Der Grund für den Erlass der Ausnahmeregelung für „Arbeitsentgelt“ (dieser Begriff wird in Art. 153 Abs. 5 AEUV verwendet) liegt darin, dass die Festsetzung des Lohns der Vertragsautonomie der Sozialpartner auf nationaler Ebene unterliegt und in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten in diesem Bereich fällt. Beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts ist das Arbeitsentgelt von der Harmonisierung ausgenommen (nach Maßgabe der Art. 151 ff. AEUV über die Sozialpolitik der Union)(62).

92.      Diese Ausnahme betrifft Maßnahmen, die eine unmittelbare Einmischung der Union in die Festlegung des Arbeitsentgelts bedeuten würden. Dies wäre der Fall, wenn man die Lohnbestandteile oder das Lohnniveau in den Mitgliedstaaten ganz oder zum Teil vereinheitlichen wollte.

93.      Die Ausnahme kann jedoch nicht auf alle Fragen, die mit dem Arbeitsentgelt in irgendeinem Zusammenhang stehen, ausgedehnt werden. Durch diese Auslegung würden andere in Art. 153 Abs. 1 AEUV aufgeführte Bereiche ihrer Substanz beraubt(63).

94.      Die Richtlinie 2018/957 koordiniert lediglich die Anwendung und die Feststellung, welche arbeitsrechtliche Regelung (die des Aufnahmestaats oder die des Herkunftsstaats) für die entsandten Arbeitnehmer gilt. Keinesfalls legt sie die Höhe der zu zahlenden Löhne fest, für die, wie gesagt, der Aufnahmestaat bzw. der Herkunftsstaat in seinem jeweiligen Hoheitsgebiet zuständig sind.

95.      Die in Art. 153 Abs. 5 AEUV geregelte Ausnahme kann gegen den Erlass der angefochtenen Richtlinie weder eingewandt werden, noch kann sie ihn verhindern. Dies bestätigt der 17. Erwägungsgrund der Richtlinie 2018/957(64), nach dem die Mitgliedstaaten für das Arbeitsentgelt ausschließlich zuständig sind.

96.      Auf derselben Linie sieht der neue Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 96/71 ausdrücklich vor, dass „sich der Begriff ‚Entlohnung‘ nach den nationalen Rechtsvorschriften und/oder nationalen Gepflogenheiten des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt ist“, bestimmt.

97.      Durch die Richtlinie 2018/957 wird die frühere Fassung der Richtlinie 96/71, die von „Mindestlohnsätzen“ sprach, nuanciert und präzisiert. Der Gerichtshof hatte bereits festgestellt, dass Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 96/71

„–      zum Zweck dieser Richtlinie für die Bestimmung der Mindestlohnsätze im Sinne ihres Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 ausdrücklich auf die Rechtsvorschriften oder Praktiken des Mitgliedstaats [verweist], in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt wird.

–      In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die Richtlinie 96/71 selbst keinen Anhaltspunkt für eine inhaltliche Definition des Mindestlohns liefert. Aus welchen Bestandteilen er sich für die Anwendung dieser Richtlinie zusammensetzt, ist daher im Recht des betreffenden Mitgliedstaats festzulegen, wobei diese Definition, wie sie sich aus den einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften oder Tarifverträgen oder ihrer Auslegung durch die innerstaatlichen Gerichte ergibt, allerdings nicht zu einer Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten führen darf.“ (65)

98.      Diese Feststellungen können auf die Reform der Richtlinie 96/71 übertragen werden. Daher kann verneint werden, dass die Richtlinie 2018/957 in materieller Hinsicht das Arbeitsentgelt der entsandten Arbeitnehmer harmonisiert. Folglich verstößt sie nicht gegen Art. 153 Abs. 5 AEUV.

99.      Die ungarische Regierung meint, der Unionsgesetzgeber habe bei der Auswahl der Rechtsgrundlagen für die Richtlinie 2018/957 seine Befugnisse missbraucht. Ich teile diese Ansicht aufgrund der vorstehenden Ausführungen nicht. Im Übrigen macht sie diesen Umstand nicht als speziellen Nichtigkeitsgrund geltend, wenn sie vorbringt, der Unionsgesetzgeber habe gegen Art. 153 Abs. 5 AEUV verstoßen, ohne darzulegen, ob sein Handeln dem besonderen Gesetzgebungsverfahren des Art. 153 Abs. 2 Unterabs. 3 AEUV zuwiderläuft(66).

100. Der zweite Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

VI.    Dritter Klagegrund: Verstoß gegen Art. 56 AEUV

101. Die ungarische Regierung ist der Auffassung, dass die Richtlinie 2018/957 gegen den freien Dienstleistungsverkehr nach Art. 56 AEUV verstoße. Sie führe für Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat, die im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen Arbeitnehmer in einen anderen Mitgliedstaat entsendeten, Verpflichtungen und Beschränkungen ein, die diskriminierend und im Hinblick auf das verfolgte Ziel nicht erforderlich und nicht verhältnismäßig seien. Außerdem verstießen die den Verkehr betreffenden Bestimmungen gegen Art. 58 Abs. 1 AEUV.

102. Die Rügen der ungarischen Regierung konzentrieren sich auf drei Aspekte der Richtlinie 2018/957, nämlich:

–      Art. 1 Nr. 2 Buchst. a, der den Begriff „Mindestlohnhöhe“ in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c der Richtlinie 97/71 durch den Begriff „Entlohnung“ ersetzt,

–      Art. 1 Nr. 2 Buchst. b, der in Art.3 der Richtlinie 96/71 einen Abs. 1a einfügt, der die Anwendung fast aller Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die im Aufnahmestaat gelten, auf Arbeitnehmer, die für mehr als zwölf Monate entsandt sind, vorsieht, und

–      Art. 3 Abs. 3, der sich auf den Straßenverkehrssektor bezieht.

103. Die Kommission, der Rat, das Europäische Parlament und die Regierungen der beteiligten Mitgliedstaaten sind der Ansicht, dieser dritte Klagegrund sei unbegründet.

A.      Vorüberlegung: Art. 56 AEUV und Harmonisierungsrichtlinien auf dem Gebiet der Arbeitnehmerentsendung

104. Bevor ich mich der Prüfung dieses Klagegrundes zuwende, werde ich eine Vorüberlegung zur Anwendung von Art. 56 AEUV auf die Richtlinie 2018/957 anstellen.

105. Wie das Europäische Parlament ausführt, wird Art. 56 AEUV auf eine Harmonisierungsbestimmung der Union anders angewandt als im Rahmen einer Überprüfung nationaler Maßnahmen, mit denen diese Grundfreiheit beschränkt wird.

106. Richtig ist, dass das Verbot von Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs nicht nur für nationale Maßnahmen, sondern auch für Maßnahmen der Unionsorgane gilt(67). Es darf allerdings nicht vergessen werden, dass der Unionsgesetzgeber Harmonisierungsvorschriften gerade deshalb erlässt, weil er den freien Dienstleistungsverkehr erleichtern und gleichzeitig den Schutz grundlegender sozialer Interessen, die von ihnen betroffen sein könnten, gewährleisten will(68).

107. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu nationalen Vorschriften, die die Bewegungen von im Rahmen länderübergreifender Dienstleistungen entsandten Arbeitnehmern beschränken, lässt sich nicht ohne Weiteres auf die Unionsvorschriften, mit denen dieses Phänomen harmonisiert werden soll – wie dies bei der Richtlinie 2018/957 der Fall ist – übertragen.

108. Ich habe bereits ausgeführt, dass der Unionsgesetzgeber mit der Richtlinie 96/71 drei schwer miteinander vereinbare Ziele in Einklang gebracht hat: die Förderung und Erleichterung länderübergreifender Dienstleistungen, den Schutz der entsandten Arbeitnehmer und die Sicherstellung eines fairen Wettbewerbs zwischen ausländischen und einheimischen Wettbewerbern. Um sie an die eingetretenen Änderungen anzupassen, musste der Unionsgesetzgeber dieses Gleichgewicht durch die Richtlinie 2018/957, die den Schwerpunkt auf eines dieser Ziele legt (die Verbesserung des Schutzes der entsandten Arbeitnehmer), neu austarieren.

109. Die Kontrolle, die der Gerichtshof über die Gültigkeit einer Harmonisierungsrichtlinie im Rahmen einer Nichtigkeitsklage ausüben kann, umfasst die Prüfung, ob sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet, verleiht ihm aber nicht die Befugnis, die ihrem Inhalt zugrunde liegenden politischen Entscheidungen zu ersetzen. Als allgemeiner unionsrechtlicher Grundsatz verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, „dass die von einer Unionsbestimmung eingesetzten Mittel zur Erreichung der mit der betreffenden Regelung zulässigerweise verfolgten Ziele geeignet sind und nicht über das dazu Erforderliche hinausgehen“(69).

110. Ich erinnere daran, dass der Gerichtshof für die richterliche Kontrolle des Vorliegens dieser Voraussetzungen folgende Kriterien aufgestellt hat:

–      Er „… hat … dem Unionsgesetzgeber im Rahmen der Ausübung der ihm übertragenen Zuständigkeiten ein weites Ermessen in Bereichen zugebilligt, in denen seine Tätigkeit sowohl politische als auch wirtschaftliche oder soziale Entscheidungen verlangt und in denen er komplexe Prüfungen und Beurteilungen vornehmen muss. Es geht somit nicht darum, ob eine in diesem Bereich erlassene Maßnahme die einzig mögliche oder die bestmögliche war; sie ist vielmehr nur dann rechtswidrig, wenn sie gemessen an dem Ziel, das die zuständigen Organe zu verfolgen beabsichtigen, offensichtlich ungeeignet ist“(70).

–      „Außerdem bezieht sich das weite Ermessen des Unionsgesetzgebers, das eine begrenzte gerichtliche Kontrolle seiner Ausübung impliziert, nicht ausschließlich auf die Art und die Tragweite der zu erlassenden Bestimmungen, sondern in bestimmtem Umfang auch auf die Feststellung der Grunddaten.“ (71)

–      „[D]er Unionsgesetzgeber [ist] verpflichtet, seine Entscheidung auf objektive Kriterien zu stützen und zu untersuchen, ob die mit der gewählten Maßnahme verfolgten Ziele nachteilige, oder gar erhebliche, wirtschaftliche Folgen für bestimmte Wirtschaftsteilnehmer rechtfertigen können.“(72)

–       „Im Übrigen ist auch für eine begrenzte gerichtliche Kontrolle erforderlich, dass die Unionsorgane, die den in Rede stehenden Rechtsakt erlassen haben, in der Lage sind, vor dem Gerichtshof zu belegen, dass sie beim Erlass des Rechtsakts ihr Ermessen tatsächlich ausgeübt haben, was voraussetzt, dass alle erheblichen Faktoren und Umstände der Situation, die mit diesem Rechtsakt geregelt werden sollten, berücksichtigt worden sind. Daraus folgt, dass die Unionsorgane zumindest in der Lage sein müssen, die Grunddaten, die zur Begründung der angefochtenen Maßnahmen dieses Rechtsakts zu berücksichtigen waren und von denen die Ausübung ihres Ermessens abhing, beizubringen und klar und eindeutig darzulegen.“ (73)

111. Im Licht dieser Kriterien verfügte der Unionsgesetzgeber in einer so komplexen Materie wie der Regelung der länderübergreifenden Entsendung von Arbeitnehmern über ein weites Ermessen. Zu klären ist, ob er von dieser Befugnis offensichtlich unangemessen Gebrauch gemacht hat, als er das Interessengleichgewicht, zu dem er in der Richtlinie 96/71 gelangt war, durch die Richtlinie 2018/957 geändert hat.

B.      Erster Teil des dritten Klagegrundes: ausreichender Schutz der entsandten Arbeitnehmer durch die Bestimmungen des Herkunftsstaats des die Dienstleistungen erbringenden Unternehmens

1.      Vorbringen

112. Die ungarische Regierung rügt, die Richtlinie 2018/957 verstoße gegen Art. 56 AEUV, denn indem sie vorsehe, dass die Arbeitsbedingungen des Aufnahmestaats auf die entsandten Arbeitnehmer anwendbar seien, lasse sie die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung außer Acht. Der Schutz der Rechte dieser Arbeitnehmer sei durch das Recht des Herkunftsstaats ausreichend gewährleistet. Sie dem Recht des Aufnahmestaats zu unterwerfen, sei mit dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung nicht vereinbar und stelle ein Hindernis für den freien Dienstleistungsverkehr dar(74). Die Richtlinie 2006/123/EG(75) umfasse auch die Verpflichtung, die in einem anderen Mitgliedstaat nach Maßgabe des Unionsrechts geltenden Arbeitsbedingungen anzuerkennen.

113. Insbesondere lasse die Gleichstellung von entsandten Arbeitnehmern mit einheimischen Arbeitnehmern des Aufnahmestaats im Hinblick auf die Entlohnung sowie die fast vollständige Gleichstellung langfristig entsandter Arbeitnehmer mit letztgenannten Zweifel aufkommen, ob der Mindestlohn des Aufnahmestaats ausreiche, den entsandten Arbeitnehmern einen angemessenen Lebensunterhalt zu garantieren, und beeinträchtige den Wettbewerbsvorteil bestimmter „neuer Mitgliedstaaten“ mit niedrigeren Lohnkosten. Außerdem habe die Kommission in ihrer Folgenabschätzung keine Daten vorgelegt, die die Notwendigkeit der durch die Richtlinie 2018/957 eingeführten Änderungen rechtfertigten.

114. Schließlich weist die ungarische Regierung auf die Ungleichheit der Anwendung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen des Aufnahmestaats, die die Richtlinie 2018/957 vorschreibe, und des für die entsandten Arbeitnehmer geltenden, in der Verordnung (EG) Nr. 883/2004(76) geregelten Systems der sozialen Sicherheit hin. Letztere sehe vor, dass ein entsandter Arbeitnehmer den Vorschriften der sozialen Sicherheit seines Herkunftsstaats unterliege und diese auf ihn anzuwenden seien, weil sie am besten geeignet seien, den Schutz seiner Rechte zu gewährleisten.

115. Die Kommission, der Rat, das Europäische Parlament und die Regierungen der beteiligten Mitgliedstaaten sind der Auffassung, dass dieser Teil des dritten Klagegrundes unbegründet sei.

2.      Würdigung

116. Meines Erachtens sprechen mehrere Gründe gegen die Argumente der ungarischen Regierung.

117. Erstens kann die Anwendung der Vorschriften des Herkunftsstaats auf die entsandten Arbeitnehmer nicht auf die Richtlinie 2006/123 gestützt werden. Diese Richtlinie berührt weder das Arbeitsrecht(77) noch die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die soziale Sicherheit(78). Vielmehr sieht ihr Art. 3 Abs. 1 Buchst. a vor, dass die Richtlinie 96/71 bei einem Widerspruch, der „spezifische Aspekte der Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit in bestimmten Bereichen oder bestimmten Berufen“ betrifft, Vorrang vor der Richtlinie 2006/123 hat(79).

118. Zweitens berücksichtigte die frühere Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Vereinbarkeit nationaler Maßnahmen zur Beschränkung der Entsendung von Arbeitnehmern mit Art. 56 AEUV die Bedingungen für den Schutz dieser Arbeitnehmer im Herkunftsstaat ihres Unternehmens(80). Diese Rechtsprechung wurde in der nach dem Erlass der Richtlinie 96/71 ergangenen Rechtsprechung in Bezug auf Beschränkungen, die nicht in ihren Anwendungsbereich fielen, aufrechterhalten(81). Jedoch hat der Gerichtshof bei der Anwendung von Art. 3 der Richtlinie 96/71 auf die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer die Vorschriften des Herkunftsstaats nicht berücksichtigt, da dies der Richtlinie ihre praktische Wirksamkeit nehmen würde(82).

119. Drittens enthielt die von der Kommission ausgearbeitete Folgenabschätzung(83) Daten und Angaben, die ausreichten, um den Entwurf für eine Regelung, der zum Erlass der Richtlinie 2018/957 führte, zu stützen. Es trifft zu, wie die Kommission selbst einräumt, dass die Daten zu den länderübergreifenden Arbeitnehmerbewegungen nicht ganz genau waren, da sie auf Informationen gestützt waren, die die nationalen Sozialleistungsträger auf der Grundlage der Ausstellung der Formulare mitgeteilt hatten. Die Lohnunterschiede zwischen den jeweiligen Ländern hat die Kommission anhand approximativer Daten ermittelt.

120. Allerdings hat der Gerichtshof dem Unionsgesetzgeber im Rahmen der Feststellung der Grunddaten, die für den Erlass eines Rechtsetzungsakts erforderlich sind, ein weites Ermessen zugebilligt. Die gerichtliche Kontrolle über dieses Ermessen muss begrenzt sein(84). Die Folgenabschätzung der Kommission enthielt hinreichende Daten, um die Annahme der Richtlinie 2018/957 zu rechtfertigen. Im Gesetzgebungsverfahren wurden diese Daten nicht in Frage gestellt und dienten der Kommission als Grundlage für die Prüfung mehrerer Alternativen und der begründeten Auswahl derjenigen, die den Arbeitnehmerschutz verstärkte.

121. Viertens halte ich es nicht für angebracht, das System der sozialen Sicherheit für entsandte Arbeitnehmer (Verordnung Nr. 883/2004) auf deren Arbeitsbedingungen zu übertragen.

122. Die Logik der Unionsvorschriften zur Koordinierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit ist, wie der Rat argumentiert, auf eine Beziehung zwischen der Person, die Inhaberin von Rechten und Pflichten ist, und dem fürsorgenden Staat zugeschnitten. Deshalb stellt Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 den Grundsatz auf, dass der Einzelne dem Recht eines einzigen Mitgliedstaats unterstellt ist, bei dem es sich nach dem Grundsatz der lex loci laboris normalerweise um das Recht des tatsächlichen Arbeitsorts handelt.

123. Von diesem Grundsatz gibt es jedoch Ausnahmen, unter denen die Aufrechterhaltung der ausschließlichen Bindung des Arbeitnehmers an das System der sozialen Sicherheit des Herkunftsstaats (also des Staates, in dem das als Arbeitgeber fungierende Unternehmen normalerweise tätig ist) hervorzuheben ist, wenn das Unternehmen diesen Arbeitnehmer für einen begrenzten Zeitraum von bis zu 24 Monaten in einen anderen Mitgliedstaat entsendet, sofern die Voraussetzungen des Art. 12 der Verordnung Nr. 883/2004 erfüllt sind(85).

124. Diese Ausnahme kann nicht auf die Arbeitsbedingungen der entsandten Arbeitnehmer erstreckt werden, weil es sich um Rechtsbeziehungen zwischen einer schwächeren Partei (dem Beschäftigten) und einer stärkeren Partei (dem Arbeitgeber) handelt. Um die Erstere besser zu schützen, muss die Anwendung der arbeitsrechtlichen Vorschriften des Herkunftsstaats mit weiteren des Aufnahmestaats kombiniert werden.

125. Die Richtlinie 96/71 ist von diesem Gedanken geleitet, denn sie garantiert den entsandten Arbeitnehmern die Anwendung des Wesenskerns der Arbeitsbedingungen des Aufnahmestaats (erweitert durch die Richtlinie 2018/957), und erlaubt gleichzeitig, dass sich andere Aspekte der Arbeitsbeziehungen weiterhin nach dem Recht ihres Herkunftsstaats richten. Insoweit erfüllt sie die Rom-I-Verordnung(86), auf die ich weiter unten eingehen werde.

126. Zusammenfassend kann die Lösung, die die Verordnung Nr. 883/2004 für die soziale Sicherheit entsandter Arbeitnehmer vorsieht (Bindung an die Bestimmungen des Herkunftsstaats), nicht auf deren Arbeitsbedingungen übertragen werden, für die teilweise das Recht des Aufnahmestaats gemeinsam mit dem ihres Herkunftsstaats gilt(87).

127. Schließlich ist der Gerichtshof nicht befugt, das Ermessen des Unionsgesetzgebers durch sein eigenes zu ersetzen. Seine Aufgabe ist es lediglich, wie ich bereits ausgeführt habe, zu prüfen, ob der Unionsgesetzgeber das weite Ermessen, über das er hinsichtlich der komplexen Beurteilungen und Prüfungen verfügt, die er vornehmen musste, klar überschritten hat.

128. Im vorliegenden Fall vermag ich nicht zu erkennen, dass sich der Unionsgesetzgeber für – gemessen an dem verfolgten Ziel – „offensichtlich ungeeignete“ Maßnahmen entschieden hat(88). In gleichem Maße hat er das weite Ermessen, über das er bei der Änderung der früheren Regelung in einer so komplexen Materie wie der länderübergreifenden Arbeitnehmerentsendung verfügte, nicht überschritten.

C.      Zweiter Teil des dritten Klagegrundes: Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot

1.      Vorbringen

129. Die ungarische Regierung macht geltend, die Richtlinie 2018/957 verstoße gegen das Diskriminierungsverbot, das es verbiete, dass unterschiedliche Vorschriften auf vergleichbare Situationen angewandt würden oder dass die gleiche Vorschrift auf unterschiedliche Situationen angewandt werde(89).

130. Erstens würden durch die Ersetzung der Pflicht, entsandten Arbeitnehmern den Mindestlohn zu zahlen, um sicherzustellen, dass sie die gleiche Vergütung erhielten wie Einheimische, Dienstleistungserbringer, die ihre Arbeitnehmer entsendeten, gegenüber den ortsansässigen Unternehmen diskriminiert. Die Diskriminierung bestehe darin, dass die Unternehmen des Aufnahmestaats lediglich verpflichtet seien, ihren Beschäftigten den im nationalen Recht vorgesehenen Mindestlohn zu zahlen, während Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten, die Arbeitnehmer entsendeten, ihnen eine Vergütung zahlen müssten, die sich nach den nationalen Gepflogenheiten richte und nach Auffassung der ungarischen Regierung notwendigerweise über dem Mindestlohnsatz liege.

131. Zweitens sei die Anwendung der gleichen Vorschriften auf langfristig entsandte Arbeitnehmer und einheimische Arbeitnehmer gemäß Art. 3 Abs. 1a der Richtlinie 96/71 nicht mit dem Diskriminierungsverbot vereinbar, weil sich die beiden Kategorien nicht in vergleichbaren Situationen befänden.

132. Die Verpflichtung der Unternehmen, die Arbeitnehmer entsendeten, ihnen die Reise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten zu zahlen (neuer Art. 3 Abs. 7 der Richtlinie 96/71), verstoße ebenfalls gegen das Diskriminierungsverbot.

133. Die Kommission, der Rat, das Europäische Parlament und die Regierungen der beteiligten Mitgliedstaaten sind der Ansicht, dass dieser Teil des dritten Klagegrundes unbegründet sei.

2.      Würdigung

134. Die Richtlinie 96/71 in der durch die Richtlinie 2018/957 geänderten Fassung behandelt die Situation der entsandten Arbeitnehmer und die der einheimischen Arbeitnehmer des Aufnahmestaats nicht pauschal gleich.

135. Daher zählt ihr Art. 3 Abs. 1 abschließend die Bereiche auf, hinsichtlich deren für die entsandten Arbeitnehmer das Recht des Aufnahmestaats gilt, um ihre Gleichbehandlung mit den einheimischen Arbeitnehmern zu garantieren(90). Für die übrigen Bereiche schreibt die Richtlinie keine Gleichbehandlung zwischen ihnen vor.

136. Die Ersetzung des Begriffs „Mindestlohnsätze“ durch „Entlohnung“, auf die ich weiter unten noch eingehen werde, führt nicht zu der von Ungarn behaupteten Diskriminierung zulasten von Unternehmen, die Arbeitnehmer entsenden.

137. Tatsächlich „bestimmt sich der Begriff ‚Entlohnung‘“ gemäß Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 „nach den nationalen Rechtsvorschriften und/oder nationalen Gepflogenheiten des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt ist, und umfasst alle die Entlohnung ausmachenden Bestandteile, die gemäß nationalen Rechts- oder Verwaltungsvorschriften oder durch in diesem Mitgliedstaat für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge oder Schiedssprüche oder durch Tarifverträge oder Schiedssprüche, die nach Absatz 8 anderweitig Anwendung finden, zwingend(91) verbindlich gemacht worden sind“.

138. Daher müssen Unternehmen, die Arbeitnehmer entsenden, ihnen nur eine Entlohnung zahlen, die den Mindestlohn sowie die sonstigen im Aufnahmestaat obligatorischen Entgeltbestandteile umfasst. Die so festgelegten Entgeltbestandteile gelten, weil sie nach dem Recht des Aufnahmestaats obligatorisch sind, auch für die einheimischen Arbeitnehmer und müssen von den dort ansässigen Unternehmen unterschiedslos gezahlt werden. Die Richtlinie konkretisiert natürlich nicht, welche Entgeltbestandteile obligatorisch sind, da diese Frage dem Recht des Aufnahmestaats vorbehalten ist.

139. Aus der Folgenabschätzung der Kommission ergibt sich, dass die Richtlinie 2018/957 einer vollständigen Gleichstellung entsandter und einheimischer Arbeitnehmer im Hinblick auf die Entlohnung eine Absage erteilt hat(92).

140. Bezüglich der angeblichen Diskriminierung durch Anwendung der gleichen Vorschriften auf langfristig entsandte Arbeitnehmer und einheimische Arbeitnehmer beschränke ich mich auf den Hinweis, dass Art. 3 Abs. 1a der Richtlinie 96/71 nicht vorsieht, beide Kategorien von Arbeitnehmern gleich zu behandeln. Diese Bestimmung nähert die Regelung, die für entsandte Arbeitnehmer gilt, an die für einheimische Arbeitnehmer geltende an, aber sie stellt sie nicht gleich, gerade weil sie sich in unterschiedlichen Situationen befinden.

141. Auch kann ich in der Pflicht der Unternehmen, die Arbeitnehmer entsenden, ihnen die Reise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten zu zahlen, keine Diskriminierung erkennen. Es handelt sich um Kosten, die durch die Entsendung selbst entstehen, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nach Maßgabe der für das Arbeitsverhältnis geltenden nationalen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten, bei denen es sich um die des Herkunftsstaats handelt, zahlen muss. Die entsprechende Bestimmung der Richtlinie regelt, nach welchem nationalen Recht die Entsendekosten zu zahlen sind, und stellt den Mitgliedstaaten frei, sie in ihrem nationalen Recht zu regeln(93). Ich vermag nicht zu erkennen, zu welcher Art von Diskriminierung diese Regelung führen soll.

D.      Dritter Teil des dritten Klagegrundes: Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

1.      Vorbringen

142. Die ungarische Regierung macht geltend, die Richtlinie 2018/957 erschwere und behindere länderübergreifende Dienstleistungen, in deren Rahmen Arbeitskräfte im Binnenmarkt entsandt würden, weil sie auf die Erhöhung des Schutzes der entsandten Arbeitnehmer beschränkt sei. Sie sei daher zur Erreichung der mit ihr verfolgten Ziele nicht geeignet und verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

143. Die Kommission, der Rat, das Europäische Parlament und die Regierungen der beteiligten Mitgliedstaaten sind der Ansicht, dass dieser Teil des dritten Klagegrundes unbegründet sei.

2.      Würdigung

144. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass die Handlungen der Unionsorgane zur Erreichung der mit der betreffenden Regelung verfolgten legitimen Ziele geeignet sind und nicht über die Grenzen dessen hinausgehen, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist(94).

145. Die Unionsorgane verfügen, wenn sie technische Entscheidungen zu treffen haben und Beurteilungen und komplexe Bewertungen durchführen müssen, über ein weites Ermessen. Der Gerichtshof beschränkt sich darauf, zu überprüfen, ob der Unionsgesetzgeber dieses weite Ermessen offensichtlich überschritten hat, indem er sich für gemessen an dem verfolgten Ziel offensichtlich ungeeignete Maßnahmen entschieden hat(95).

146. Ich stimme mit dem Rat und dem Parlament darin überein, dass der Unionsgesetzgeber beim Erlass der Richtlinie 2018/957 die Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit beachtet hat.

147. Zur Vermeidung von Wiederholungen werde ich die Argumente der ungarischen Regierung bezüglich der Unverhältnismäßigkeit der Bestimmungen über langfristig entsandte Arbeitnehmer im vierten Teil des dritten Klagegrundes prüfen.

148. Was die Entlohnung der entsandten Arbeitnehmer anbelangt, war die durch die Richtlinie 2018/957 vorgenommene Ersetzung des Begriffs „Mindestlohnsätze“ durch den Begriff „Entlohnung“ nach der von der Kommission veröffentlichten Folgenabschätzung aufgrund der Schwierigkeiten gerechtfertigt, die bei der Verwendung des erstgenannten Begriffs im Zuge der Anwendung der Richtlinie 96/71 aufgetreten waren.

149. Um dieser Situation abzuhelfen, prüfte die Kommission die möglichen Lösungen und ihre wirtschaftlichen Folgen. Sie entschied sich für die Lösung, die ihr am geeignetsten erschien, nämlich eine begrenzte Reform der Richtlinie 96/71, die mit dem Erlass der Richtlinie 2018/957 verwirklicht wurde. Die Veröffentlichung einer Mitteilung zu Auslegungsfragen oder die unveränderte Beibehaltung der Richtlinie 96/71 hingegen schloss sie aus(96).

150. Meines Erachtens widerspricht diese Lösung nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und enthält keine mit Art. 56 AEUV unvereinbare Beschränkung. Dafür sprechen mehrere Argumente.

151. Erstens hatte der Begriff „Mindestlohnsätze“ zu praktischen Schwierigkeiten geführt(97), wie die Rechtsprechung des Gerichtshofs und insbesondere sein Urteil Sähköalojen ammattiliitto(98) zeigen. In diesem wurde von einer weiten Auslegung ausgegangen, die Folgendes umfasst:

–      die Möglichkeit einer Berechnung des Mindeststundenlohns und/oder Mindestakkordlohns auf der Grundlage der Einteilung der Arbeitnehmer in Lohngruppen, wie sie nach den maßgeblichen Tarifverträgen des Aufnahmemitgliedstaats vorgesehen ist, sofern diese Berechnung und diese Einteilung nach zwingenden und transparenten Vorschriften vorgenommen werden, was zu prüfen Aufgabe des nationalen Gerichts ist;

–      ein Tagegeld unter den gleichen Bedingungen, wie sie für seine Einbeziehung in den Mindestlohn gelten, der Arbeitnehmern bei ihrer Entsendung innerhalb des Aufnahmestaats gezahlt wird;

–      eine Entschädigung für die tägliche Pendelzeit, die den Arbeitnehmern unter der Voraussetzung gezahlt wird, dass ihre tägliche Pendelzeit mehr als eine Stunde beträgt;

–      die Vergütung, die für die Dauer des bezahlten Mindestjahresurlaubs zu gewähren ist.

152. Der Unionsgesetzgeber hat diesen Auslegungsschwierigkeiten sowie dem vom Gerichtshof befürworteten weiten Verständnis dadurch Rechnung getragen, dass er die Richtlinie 2018/957 erlassen und den Begriff der Entlohnung in Art. 3 Abs. 1 und 7 der Richtlinie 96/71 eingefügt hat.

153. Diese Änderung ermöglicht darüber hinaus die Begrenzung der Praxis der Unternehmen, die dazu neigten, den von ihnen entsandten Arbeitnehmern unabhängig von ihrer Kategorie, ihren Aufgaben, ihrer beruflichen Qualifizierung und der Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit den Mindestlohn zu zahlen, was zu einem Unterschied in der Vergütung gegenüber einheimischen Arbeitnehmern, die sich in einer vergleichbaren Lage befanden, führte(99).

154. In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission das wiederholt, was sie bereits in ihrer Folgenabschätzung festgestellt hatte: Die Gleichsetzung der „Mindestlohnsätze“ der Richtlinie 96/71 mit dem im Aufnahmestaat gesetzlich geregelten Mindestlohn hatte in der Praxis, insbesondere in Sektoren wie dem Baugewerbe, zu einem Lohngefälle zwischen den einheimischen und den entsandten Arbeitnehmern geführt.

155. Zweitens richtet sich die Festlegung des Mindestlohnsatzes in Anwendung von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 96/71 nach den Rechtsvorschriften oder Praktiken des Aufnahmemitgliedstaats(100). Die Art und Weise der Berechnung des Mindestlohns und die dafür herangezogenen Kriterien fallen ebenfalls in die Zuständigkeit des Aufnahmemitgliedstaats(101). Das nationale Recht bzw. die nationalen Praktiken zur Berechnung des Mindestlohnsatzes sind in den Mitgliedstaaten der Union sehr heterogen (und nicht immer transparent), was die Entsendung von Arbeitnehmern unter fairen und mit den einheimischen Arbeitnehmern vergleichbaren Arbeitsbedingungen erschwert(102).

156. In ihrer Folgenabschätzung führte die Kommission aus, dass der Begriff der Entlohnung es erlaube, durch Schaffung fairerer Wettbewerbsbedingungen zwischen ortsansässigen Unternehmen und solchen, die Arbeitnehmer entsendeten, um Dienstleistungen zu erbringen, insbesondere in arbeitsintensiven Sektoren, dieses Ungleichgewicht zu korrigieren und den Schutz der entsandten Arbeitnehmer zu verbessern(103).

157. Daraus folgt, dass der Unionsgesetzgeber sich an die Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gehalten hat, ohne sein weites Ermessen in einer technischen und komplexen Materie wie dieser offensichtlich zu überschreiten, als er sich für eine Maßnahme (die Einführung des Begriffs „Entlohnung“) entschied, die zur Erreichung der verfolgten Ziele geeignet war. Diese Maßnahme ermöglicht als solche einen verbesserten Schutz der entsandten Arbeitnehmer und die Gewährleistung ausgeglichener Wettbewerbsbedingungen zwischen ortsansässigen Unternehmen und Unternehmen, die ihre Arbeitnehmer entsenden.

E.      Vierter Teil des dritten Klagegrundes: Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit durch die Regelung für langfristig entsandte Arbeitnehmer

1.      Vorbringen

158. Die ungarische Regierung macht geltend, die Sonderregelung für langfristig entsandte Arbeitnehmer (der neue Art. 3 Abs. 1a der Richtlinie 96/71) sei mit Art. 56 AEUV unvereinbar.

159. Diese Regelung schränke die Tätigkeit von Unternehmen, die im Rahmen der Erbringung länderübergreifender Dienstleistungen Arbeitnehmer entsendeten, in unverhältnismäßiger und ungerechtfertigter Weise ein, wenn sie das auf langfristig entsandte Arbeitnehmer anzuwendende Recht ändere und sämtliche Arbeitsbedingungen des Aufnahmemitgliedstaats auf sie anwende. Auch würden dadurch die Grenzen zwischen der Dienstleistungsfreiheit und der Arbeitnehmerfreizügigkeit verwässert.

160. Die Organe der Union und die Regierungen der beteiligten Mitgliedstaaten sind der Ansicht, die neue Regelung für langfristig entsandte Arbeitnehmer sei gerechtfertigt, wahre den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und verstoße nicht gegen Art. 56 AEUV.

2.      Würdigung

161. Die neue Kategorie langfristig entsandter Arbeitnehmer unterscheidet sich von der der „gewöhnlichen“ entsandten Arbeitnehmer. Das Unterscheidungskriterium ist die tatsächliche Dauer der Entsendung: Überschreitet sie zwölf Monate (ausnahmsweise 18), wird der gewöhnliche entsandte Arbeitnehmer zu einem langfristig entsandten Arbeitnehmer.

162. Nach Ablauf dieser Frist gilt für den (nunmehr langfristig) entsandten Arbeitnehmer eine andere Regelung: Neben den in Art. 3 Abs. 1 genannten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen finden auf ihn die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen des Mitgliedstaats, in dem die Arbeit verrichtet wird, Anwendung.

163. Wie aus ihrem neunten Erwägungsgrund(104) hervorgeht, führt die Richtlinie 2018/957 jedoch nicht zu einer vollständigen Gleichstellung der langfristig entsandten Arbeitnehmer mit den einheimischen Arbeitnehmern (Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats oder Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben).

164. Die langfristig entsandten Arbeitnehmer behalten, wie sich aus dem zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 2018/957 ergibt, eine mit dem freien Dienstleistungsverkehr verbundene (bzw. von ihm gedeckte) Rechtsstellung(105).

165. Entgegen der Ansicht der ungarischen Regierung stellt der neue Art. 3 Abs. 1a der Richtlinie 2018/957 langfristig entsandte Arbeitnehmer aus den folgenden Gründen nicht in vollem Umfang einheimischen Arbeitnehmern gleich:

–      In dieser Vorschrift heißt es: „Unterabsatz 1 des vorliegenden Absatzes findet keine Anwendung auf folgende Aspekte: a) Verfahren, Formalitäten und Bedingungen für den Abschluss und die Beendigung des Arbeitsvertrags, einschließlich Wettbewerbsverboten; b) zusätzliche betriebliche Altersversorgungssysteme.“

–      Nach Art. 3 Abs. 1a gelten für langfristig entsandte Arbeitnehmer „sämtliche anwendbaren Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen …, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird, festgelegt sind“, „unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht“. Dies bedeutet, wie das Europäische Parlament in seinen Erklärungen ausführt, dass für diese Kategorie entsandter Arbeitnehmer das dem Rechtsverhältnis zugrunde liegende internationale Privatrecht nicht geändert wird(106).

–      Die Gleichstellung langfristig entsandter Arbeitnehmer mit einheimischen Arbeitnehmern erfolgt in Bezug auf „sämtliche anwendbaren Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen …, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird, festgelegt sind“. Als solche sind die „Arbeitsbedingungen und [der] Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer“ zu verstehen, die gemäß ihrem neuen Art. 1 Abs. 1 in der Richtlinie 96/71 geregelt sind. In Bereichen wie der sozialen Sicherheit oder dem Steuerrecht bleiben die Unterschiede somit bestehen.

166. Meines Erachtens ist die Regelung dieser neuen Kategorie der langfristig entsandten Arbeitnehmer gerechtfertigt und bringt verhältnismäßige Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit mit sich, die mit Art. 56 AEUV vereinbar sind.

167. Die Einführung einer Frist von zwölf Monaten (ausnahmsweise 18 Monate) beseitigt die Unsicherheit, zu der die ursprüngliche Fassung der Richtlinie 96/71 geführt hatte, nach deren Art. 2 Abs. 1 als entsandter Arbeitnehmer galt, wer seine Arbeit „während eines begrenzten Zeitraums“ in einem anderen Staat als seinem Herkunftsstaat verrichtete. Meines Erachtens wird diese Unsicherheit mit der neuen Regelung beseitigt, indem klargestellt wird, dass Arbeitnehmer, die für mehr als zwölf (bzw. 18) Monate entsandt werden, als langfristig entsandte Arbeitnehmer gelten.

168. Auch der Status eines langfristig entsandten Arbeitnehmers scheint mir angemessen zu sein, da er sich an die Situation der Arbeitnehmer anpasst, die sich für einen langen Zeitraum im Aufnahmestaat aufhalten und somit stärker am Arbeitsmarkt dieses Staates teilhaben. Es ist logisch (und verhältnismäßig), dass vor diesem Hintergrund eine größere Anzahl von arbeitsrechtlichen Bestimmungen des Bestimmungsmitgliedstaats auf sie angewandt werden, während gleichzeitig ihre Verbindung mit dem Herkunftsstaat des Unternehmens, für das sie arbeiten, bestehen bleibt.

169. Diese Änderung wird im neuen Art. 3 Abs. 1a Unterabs. 3 von folgender Klarstellung begleitet: „Ersetzt ein in Artikel 1 Absatz 1 genanntes Unternehmen einen entsandten Arbeitnehmer durch einen anderen entsandten Arbeitnehmer, der die gleiche Tätigkeit am gleichen Ort ausführt, so gilt als Entsendungsdauer für die Zwecke dieses Absatzes die Gesamtdauer der Entsendezeiten der betreffenden einzelnen entsandten Arbeitnehmer.“ Ungeachtet dessen, dass diese Regelung in der Praxis zu gewissen Schwierigkeiten führen kann, halte ich sie im Allgemeinen für geeignet, zu verhindern, dass die Richtlinie umgangen und missbraucht wird, indem entsandte Arbeitnehmer auf demselben Arbeitsplatz durch andere ersetzt werden.

F.      Fünfter Teil des dritten Klagegrundes: Verstoß gegen Art. 58 Abs. 1 AEUV

1.      Vorbringen

170. Die ungarische Regierung trägt vor, der durch die Richtlinie 2018/957 eingeführte Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 96/71 verstoße gegen Art. 58 Abs. 1 AEUV, da er die Anwendung der Vorschriften über die Arbeitnehmerentsendung dieser Richtlinie auf den Straßenverkehrssektor erstrecke.

171. Die Kommission, der Rat, das Europäische Parlament und die Regierungen der beteiligten Mitgliedstaaten sind der Ansicht, dass der dritte Klagegrund ins Leere gehe bzw. unbegründet sei.

2.      Würdigung

172. Der freie Dienstleistungsverkehr auf dem Gebiet des Verkehrs wird nicht durch Art. 56 AEUV, der den freien Dienstleistungsverkehr im Allgemeinen betrifft, sondern durch die Sondervorschrift des Art. 58 Abs. 1 AEUV geregelt. Danach gelten „[f]ür den freien Dienstleistungsverkehr auf dem Gebiet des Verkehrs … die Bestimmungen des Titels über den Verkehr“(107), also die Art. 90 bis 100 AEUV.

173. Obwohl ihre Rechtsgrundlage ausschließlich die Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr (Art. 53 Abs. 1 und Art. 62 AEUV) und nicht die über die gemeinsame Verkehrspolitik (Art. 91 AEUV) sind, lässt sich vertreten, dass die Richtlinie auf Dienstleistungen auf dem Gebiet des Verkehrs anzuwenden ist(108).

174. Die Richtlinie 96/71 schließt „Schiffsbesatzungen von Unternehmen der Handelsmarine“ von ihrem Anwendungsbereich aus(109), was darauf schließen lässt, dass der Gesetzgeber will, dass sie auf andere Dienstleistungen auf dem Gebiet des Verkehrs anwendbar ist. Bestätigt wird dies dadurch, dass auf die „mobilen [Arbeitnehmer] im Transportgewerbe“(110) und auf die Anwendung der Richtlinie 96/71 auf die Kabotage in anderen Unionsrechtsakten Bezug genommen wird(111).

175. Nach ihrem Art. 3 Abs. 3 gilt die Richtlinie 2018/957 „für den Straßenverkehrssektor ab dem Geltungsbeginn eines Gesetzgebungsakts zur Änderung der Richtlinie 2006/22/EG bezüglich der Durchsetzungsanforderungen und zur Festlegung spezifischer Regeln im Zusammenhang mit der Richtlinie 96/71/EG und der Richtlinie 2014/67/EU für die Entsendung von Kraftfahrern im Straßenverkehrssektor“.

176. Der 15. Erwägungsgrund(112) der Richtlinie 2018/957 bestätigt, dass die Änderungen, die sie an der Richtlinie 96/71 vornimmt, im Straßenverkehrssektor nur in der Zukunft und nicht unbedingt Anwendung finden, sondern erst, wenn ein Gesetzgebungsakt ergeht, mit dem die Richtlinie 2006/22 geändert wird und der im Zusammenhang mit den Richtlinien 96/71 und 2014/67 spezifische Regeln enthält.

177. Wenn das der Fall ist, enthält der neue Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2018/957 in Wirklichkeit keine materielle Regelung bezüglich der entsandten Arbeitnehmer im Straßenverkehrssektor, noch ändert er in irgendeiner Weise die Regeln zur Anwendung der Richtlinie 96/71 auf diesen Sektor(113).

178. Diese Bestimmungen werden in dem neuen Gesetzgebungsakt enthalten sein, den die Kommission bereits vorgeschlagen hat(114). Nichts steht dem entgegen, dass dieser Rechtsakt auch Art. 91 AEUV als Rechtsgrundlage hat.

179. Zusammenfassend vermag ich keinen Verstoß gegen Art. 58 Abs. 1 AEUV durch Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2018/957 zu erkennen.

180. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich vor, den dritten Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.

VII. Vierter Klagegrund: Verstoß gegen Art. 56 AEUV wegen des Ausschlusses kollektiver Arbeitnehmermaßnahmen vom Anwendungsbereich der Richtlinie 96/71

A.      Vorbringen

181. Die ungarische Regierung macht geltend, dass der durch die Richtlinie 2018/957 in die Richtlinie 96/71 eingefügte Art. 1 Abs. 1a gegen Art. 56 AEUV verstoße, da er die Ausübung des Streikrechts und anderer Maßnahmen, die im Rahmen der jeweiligen Systeme der Mitgliedstaaten im Bereich der Arbeitsbeziehungen vorgesehen seien, sowie das Recht, Tarifverträge auszuhandeln, abzuschließen und durchzusetzen sowie kollektive Maßnahmen zu ergreifen, von ihrem Anwendungsbereich ausschließe.

182. Dieser Ausschluss widerspreche dem Urteil Laval un Partneri und erlaube die Ausübung des Streikrechts und Kollektivverhandlungen nach Maßgabe der nationalen Rechtsordnungen und außerhalb des Unionsrechts. Damit erleichtere er die Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit von Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten, die Arbeitnehmer entsendeten.

183. Die Kommission, der Rat, das Europäische Parlament und die Regierungen der beteiligten Mitgliedstaaten sind der Ansicht, dass dieser vierte Klagegrund unbegründet sei.

B.      Würdigung

184. Durch den neuen Art. 1 Abs. 1a wird der Anwendungsbereich der Richtlinie 96/71 klargestellt. Während diese Richtlinie allgemein „zwingende Vorschriften in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und den Schutz der Gesundheit und Sicherheit der [entsandten] Arbeitnehmer“ festlegt, schließt Abs. 1a u. a. die „Freiheit zum Streik oder zur Durchführung anderer Maßnahmen, die im Rahmen der jeweiligen Systeme der Mitgliedstaaten im Bereich der Arbeitsbeziehungen nach ihren nationalen Rechtsvorschriften und/oder ihren nationalen Gepflogenheiten vorgesehen sind“, von ihrem Anwendungsbereich aus. „Sie berührt auch nicht das Recht, im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften und/oder nationalen Gepflogenheiten Tarifverträge auszuhandeln, abzuschließen und durchzusetzen oder kollektive Maßnahmen zu ergreifen.“

185. Durch die Richtlinie 2018/957 wird in Bezug auf kollektive Maßnahmen nichts Neues in die Richtlinie 96/71 eingeführt. Im 22. Erwägungsgrund dieser Richtlinie wird ausdrücklich festgestellt, dass sie „nicht das Recht der Mitgliedstaaten über kollektive Maßnahmen zur Verteidigung beruflicher Interessen“ berührt.

186. Die Auslegung dieser Vorschrift durch die ungarische Regierung geht meines Erachtens auf einen Verständnisfehler zurück. Die Nichtanwendbarkeit der Richtlinie 96/71 auf das Recht der Arbeitnehmer, kollektive Maßnahmen zu ergreifen, bedeutet nicht, dass seine Ausübung nicht den sonstigen nationalen und unionsrechtlichen Vorschriften unterliegt. Art. 1 Abs. 1a wird mit den Worten eingeleitet, dass „[d]iese Richtlinie … in keiner Weise die Ausübung der in den Mitgliedstaaten und auf Unionsebene anerkannten Grundrechte [berührt], einschließlich …“.

187. Folglich steht diese Bestimmung in Fällen der Arbeitnehmerentsendung der Anwendung von Art. 28 der Charta oder der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Ausübung der kollektiven Arbeitnehmerrechte und ihrer Auswirkung auf die Dienstleistungsfreiheit nicht entgegen.

188. Ich kann daher nicht feststellen, dass durch den neuen Art. 1 Abs. 1a der Richtlinie 96/71 der freie Dienstleistungsverkehr eingeschränkt wird, und schlage vor, diesen Klagegrund zurückzuweisen.

VIII. Fünfter Klagegrund: Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit als Folge der Unvereinbarkeit der Richtlinie 2018/957 mit der Verordnung Nr. 593/2008 (Rom I)

A.      Vorbringen

189. Der fünfte Klagegrund umfasst in Wirklichkeit zwei verschiedene Teile, zwischen denen keine besondere Verbindung besteht.

–      Auf der einen Seite vertritt die ungarische Regierung die Ansicht, die Richtlinie 2018/957 verstoße gegen die Verordnung Nr. 593/2008 sowie gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Normenklarheit, da mit ihr die Anwendung dieser Verordnung geändert werde, ohne dass ihr Text geändert werde, wodurch eine erhebliche Rechtsunsicherheit im Hinblick auf die richtige Anwendung der Verordnung entstehe.

–      Auf der anderen Seite macht sie geltend, dass wegen der Unbestimmtheit des Begriffs der „Entlohnung“ die Grundsätze der Normenklarheit und damit der Rechtssicherheit verletzt seien.

190. Die Kommission, der Rat, das Europäische Parlament und die Regierungen der beteiligten Mitgliedstaaten sind der Ansicht, dass der fünfte Klagegrund unbegründet sei.

B.      Würdigung des ersten Teils des fünften Klagegrundes: Verhältnis zwischen der Richtlinie 2018/957 und der Verordnung Nr. 593/2008 (Rom I)

191. Art. 8 Abs. 1 der Rom-I-Verordnung legt allgemein die auf Individualarbeitsverträge anzuwendende Kollisionsnorm fest, bei der es sich um das von den Parteien (unter den in diesem Artikel geregelten Voraussetzungen) gewählte Recht handelt. Soweit eine solche Rechtswahl nicht getroffen worden ist, „unterliegt der Arbeitsvertrag dem Recht des Staates, in dem oder andernfalls von dem aus der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet. Der Staat, in dem die Arbeit gewöhnlich verrichtet wird, wechselt nicht, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit vorübergehend in einem anderen Staat verrichtet“ (Abs. 2).

192. Art. 23 der Rom-I-Verordnung sieht eine Ausnahme von der Anwendbarkeit ihrer Kollisionsnormen vor: Er gestattet es, dass, soweit unionsrechtliche Bestimmungen Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse in besonderen Bereichen enthalten, diese Normen vorrangig sind(115).

193. Mithin treten die allgemeinen Vorschriften der Rom-I-Verordnung über die Rechtswahl hinter die besonderen Vorschriften zurück, die insoweit in speziellen unionsrechtlichen Bestimmungen enthalten sind(116).

194. Entgegen dem Vorbringen der ungarischen Regierung bin ich der Ansicht, dass Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 96/71 (für normale entsandte Arbeitnehmer) und der neue Art. 3 Abs. 1a (für langfristig entsandte Arbeitnehmer) spezielle Kollisionsnormen sind(117), die in Verbindung mit den Vorschriften der Rom-I-Verordnung angewandt werden müssen(118).

195. Nach diesen beiden Bestimmungen der Richtlinie 96/71 in Verbindung mit dem nach den üblichen Kollisionsnormen anzuwendenden Recht sind folgende Bestimmungen des Rechts des Aufnahmestaats anzuwenden:

–      in Bezug auf gewöhnliche entsandte Arbeitnehmer die Bestimmungen über die Bedingungen (Arbeitsbedingungen und Bedingungen für den Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer), die in der abschließenden Liste des Art. 3 Abs. 1 aufgeführt sind;

–      für langfristig entsandte Arbeitnehmer gelten neben den soeben angeführten die übrigen im Aufnahmestaat geltenden Bedingungen unter den weiter oben dargestellten Voraussetzungen (Art. 3 Abs. 1a).

196. Der Rat führt in seinen Erklärungen aus, dass der Entstehungsprozess der Rom-I-Verordnung den Nachweis dafür erbringe, dass ihr Art. 23 die in der Richtlinie 96/71 vorgesehene Ausnahme abdecke, weil der Vorschlag der Kommission ein Verzeichnis mit besonderen Rechtsvorschriften, die in anderen unionsrechtlichen Bestimmungen geregelt seien, zu denen u. a. die Bestimmungen der Richtlinie 96/71 gehörten, enthalten habe(119).

197. Der elfte Erwägungsgrund der Richtlinie 96/71 bestätigt diese Feststellung, denn in ihm heißt es, dass das Übereinkommen (das durch die Rom-I-Verordnung ersetzt wurde) „nicht die Anwendung der Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse auf besonderen Gebieten, die in Rechtsakten der Organe der Europäischen Gemeinschaften oder in dem in Ausführung dieser Akte harmonisierten innerstaatlichen Recht enthalten sind oder enthalten sein werden[, berührt]“.

198. Die gleiche Schlussfolgerung lässt sich aus dem 40. Erwägungsgrund der Rom-I-Verordnung ziehen, nach dem „[d]iese Verordnung … jedoch die Möglichkeit der Aufnahme von Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse in Vorschriften des Gemeinschaftsrechts über besondere Gegenstände nicht ausschließen [sollte]“.

199. Entgegen dem Vorbringen Ungarns verlangt der Grundsatz der Rechtssicherheit nicht, dass die Änderung der Richtlinie 96/71 durch die Richtlinie 2018/957 mit einer Änderung der Rom-I-Verordnung einhergeht.

200. Art. 23 dieser Verordnung gestattet es, dass für die Verträge der entsandten Arbeitnehmer die besonderen Bestimmungen der Richtlinie 96/71 neben den allgemeinen Bestimmungen des Art. 8 der Verordnung selbst bestehen. Im Verhältnis zwischen beiden Arten von Vorschriften besteht hinreichende Klarheit, Vorhersehbarkeit und Bestimmtheit, so dass der Grundsatz der Rechtssicherheit gewahrt wird(120).

201. Diese Feststellung wird nicht, wie Ungarn vorbringt, dadurch widerlegt, dass der neue Art. 3 Abs. 1a Unterabs. 3 der Richtlinie 96/71 eine Vorschrift zur Betrugsbekämpfung in Fällen der Entsendung zum Zwecke der Ersetzung, auf die ich oben schon eingegangen bin(121), enthält. In diesem Fall kann der Vertrag aller an der Ersetzung beteiligten Arbeitnehmer dem Recht eines anderen Staates unterliegen, und durch diese Bestimmung wird lediglich eine Bedingung hinzugefügt, um zu verhindern, dass das Verhältnis zwischen der Richtlinie 96/71 und der Rom-I-Verordnung ausgehebelt wird.

C.      Würdigung des zweiten Teils des fünften Klagegrundes: Unbestimmtheit des durch die Richtlinie 2018/957 eingeführten Begriffs der „Entlohnung“

202. Die ungarische Regierung meint, die Unbestimmtheit und die Unklarheit des Begriffs der „Entlohnung“, durch den der frühere Begriff der „Mindestlohnsätze“ ersetzt worden sei, sei mit der Normenklarheit, die sich aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit ergebe, unvereinbar.

203. Dieser Teil des fünften Klagegrundes lehnt sich an den zweiten Klagegrund an, dessen Zurückweisung ich bereits vorgeschlagen habe.

204. Es erscheint etwas widersinnig, dass die ungarische Regierung gerade diesen Einwand (Rechtsunsicherheit) nicht gegenüber dem früheren Begriff der Richtlinie 96/71(122), dessen Auslegung zu gewissen Schwierigkeiten geführt hat, erhebt, sondern gegenüber der Vorschrift, mit der diesen Auslegungsschwierigkeiten abgeholfen werden soll.

205. Ebenso widersinnig ist der Vorwurf, eine abgeleitete Rechtsnorm gefährde die Rechtssicherheit, wenn der Begriff, gegen den sich der Vorwurf richtet, an sich in Art. 153 Abs. 5 AEUV enthalten ist.

206. Der Begriff der Entlohnung im neuen Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 96/71 knüpft an das an, was die nationalen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt ist, bestimmen. Inhaltlich umfasst er sämtliche Bestandteile, die gemäß nationalen Rechts- oder Verwaltungsvorschriften oder durch in diesem Mitgliedstaat für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge oder Schiedssprüche oder durch Tarifverträge oder Schiedssprüche, die nach Abs. 8 anderweitig Anwendung finden, verbindlich sind.

207. Im 17. Erwägungsgrund der Richtlinie 2018/957 wird darauf hingewiesen, dass es in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt, Entlohnungsvorschriften festzulegen. Ihnen oder den Sozialpartnern obliegt auch die Festlegung der Löhne. Dies wird durch Art. 153 Abs. 5 AEUV bestätigt, der das Arbeitsentgelt von der Harmonisierungskompetenz der Unionsorgane im Bereich der Sozialpolitik ausnimmt.

208. Daher sind die Unterschiede zwischen den Rechtsvorschriften, die auf das Arbeitsentgelt der entsandten Arbeitnehmer anwendbar sind, so lange unvermeidbar, wie die Union nicht die Harmonisierungskompetenz über sie besitzt. Das Gleiche galt, wie ich bereits ausgeführt habe, für den in der ursprünglichen Fassung der Richtlinie 96/71 verwendeten Begriff der „Mindestlohnsätze“, der Klarstellungen durch den Gerichtshof erforderlich machte.

209. Der Begriff „Entlohnung“ bedarf zwar wie die Mehrzahl der Begriffe, die in diesem Bereich verwendet werden, einer Auslegung, die ihn konkret eingrenzt. Diese Eigenschaft, die vielen anderen ähnlichen Begriffen gemein ist, reicht aber für die von der ungarischen Regierung vertretene Ansicht, der durch die Richtlinie 2018/957 eingeführte Begriff sei derart unbestimmt, dass er gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoße, nicht aus.

210. Ich weise ferner darauf hin, dass der neue Art. 3 Abs. 1 und 3 Unterabs. 4 und 5 der Richtlinie 96/71 die Mitgliedstaaten zur Transparenz verpflichtet, und sie auf einer Website einschlägige, korrekte und aktuelle Informationen u. a. über die „die Entlohnung ausmachenden Bestandteile gemäß Unterabsatz 3 des vorliegenden Absatzes und alle Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gemäß Absatz 1a des vorliegenden Artikels“ veröffentlichen müssen, um den Problemen zu begegnen, die sich entsandten Arbeitnehmern und deren Arbeitgebern stellen können.

IX.    Ergebnis

211. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, wie folgt zu entscheiden:

1.      Die Klage Ungarns wird abgewiesen.

2.      Ungarn trägt seine eigenen Kosten sowie die Kosten des Europäischen Parlaments und des Rates der Europäischen Union.

3.      Die Europäische Kommission sowie die französische, die deutsche und die niederländische Regierung tragen ihre eigenen Kosten.


1      Originalsprache: Spanisch.


2      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2018 zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (ABl. 2018, L 173, S. 16, im Folgenden: Richtlinie 2018/957).


3      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (ABl. 1997, L 18, S. 1, im Folgenden: Richtlinie 96/71).


4      Laut Art. 2 der Richtlinie 96/71, „gilt als entsandter Arbeitnehmer jeder Arbeitnehmer, der während eines begrenzten Zeitraums seine Arbeitsleistung im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als demjenigen erbringt, in dessen Hoheitsgebiet er normalerweise arbeitet“.


      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs „liegt eine Entsendung von Arbeitnehmern durch ihre Überlassung im Sinne des Art. 1 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 96/71 vor, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind. Erstens muss es sich bei der Überlassung von Arbeitskräften um eine gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung handeln, bei der der Arbeitnehmer im Dienst des die Dienstleistung erbringenden Unternehmens bleibt, ohne dass ein Arbeitsvertrag mit dem verwendenden Unternehmen geschlossen wird. Zweitens muss das wesentliche Merkmal dieser Überlassung darin bestehen, dass der Wechsel des Arbeitnehmers in den Aufnahmemitgliedstaat der eigentliche Gegenstand der Dienstleistung des erbringenden Unternehmens ist. Drittens muss der Arbeitnehmer im Rahmen einer solchen Überlassung seine Aufgaben unter der Aufsicht und Leitung des verwendenden Unternehmens wahrnehmen“ (Urteile vom 14. November 2018, Danieli & C. Officine Meccaniche u. a., C-18/17, EU:C:2018:904, Rn. 27, und vom 18. Juni 2015, Martin Meat, C-586/13, EU:C:2015:405, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).


5      Nach den letzten verfügbaren Statistiken kam es 2017 zu 2,8 Millionen grenzüberschreitenden Entsendungen von Arbeitnehmern mit einer durchschnittlichen Dauer von weniger als vier Monaten pro Entsendung, was insgesamt weniger als 0,2 % der Gesamtbeschäftigung in der Union darstellt. Siehe De Wispelaere, F., und Pacolet, J., Posting of workers Report on A1 Portable Documents issued in 2017, HIVA-KU Leuven, Oktober 2018, S. 9, https://www.etk.fi/wp-content/uploads/Komissio-tilastoraportti-Posting-of-workers-2017.pdf. Die Statistiken zeigen aber, dass sich die Anzahl der entsandten Arbeitnehmer zwischen 2010 und 2017 um 83 % erhöhte. Diese Arbeitnehmer sind nach Wirtschaftssektoren folgendermaßen aufgeteilt: Bau (46,5 %), andere Dienstleistungen (26,7 %), Industrie (25,9 %) und Landwirtschaft (0,9 %).


6      Die allgemeine Tendenz geht dahin, dass die Staaten mit niedrigeren Arbeitskosten entsandte Arbeitnehmer exportieren, während Staaten mit besseren Arbeitsbedingungen sie empfangen. Siehe die Angaben bei  Bradley, H., Tugran, T., Markowska, A., und  Fries-Tersch, E., 2018 Annual Report on intra-EU Labor Mobility, 2019, https://op.europa.eu/en/publication-detail/-/publication/2c170ce2-4c55-11e9-a8ed-01aa75ed71a1/language-en/format-PDF. Aus diesem Bericht ergibt sich, dass Polen, Ungarn oder Litauen exportierende und Deutschland, Frankreich und die Niederlande empfangende Staaten sind.


7      Siehe u. a. Urteile vom 17. Dezember 1981, Webb (279/80, EU:C:1981:314), vom 3. Februar 1982, Seco und Desquenne & Giral (62/81 und 63/81, EU:C:1982:34, im Folgenden: Urteil Seco und Desquenne & Giral), und vom 27. März 1990, Rush Portuguesa (C-113/89, EU:C:1990:142).


8      Urteile vom 28. März 1996, Guiot (C-272/94, EU:C:1996:147, im Folgenden: Urteil Guiot, Rn. 10), vom 23. November 1999, Arblade u. a. (C-369/96 und C-376/96, EU:C:1999:575, im Folgenden: Urteil Arblade u. a., Rn. 33), und vom 15. März 2001, Mazzoleni und ISA (C-165/98, EU:C:2001:162, im Folgenden: Urteil Mazzoleni und ISA, Rn. 22). Aus jüngerer Zeit siehe Urteile vom 12. September 2019, Maksimovic u. a. (C-64/18, C-140/18, C-146/18 und C-148/18, EU:C:2019:723, im Folgenden: Urteil Maksimovic u. a., Rn. 30 und 31), und vom 13. November 2018, Čepelnik (C-33/17, EU:C:2018:896, im Folgenden: Urteil Čepelnik, Rn. 37 und 38).


9      Urteil Seco und Desquenne & Giral.


10      Urteil Guiot.


11      Urteile Arblade u. a., Rn. 58 und 59, und Maksimovic u. a., Rn. 31.


12      Urteile Arblade u. a., Rn. 34 und 35, vom 24. Januar 2002, Portugaia Construções (C-164/99, EU:C:2002:40, im Folgenden: Urteil Portugaia Construções, Rn. 19), und vom 21. September 2006, Kommission/Österreich (C-168/04, EU:C:2006:595, Rn. 37).


13      Urteil Arblade u. a., Rn. 80. Siehe ferner auch Urteile Mazzoleni und ISA, Rn. 27, vom 25. Oktober 2001, Finalarte u. a. (C-49/98, C-50/98, C-52/98 bis C-54/98 und C-68/98 bis C-71/98, EU:C:2001:564, Rn. 33), Portugaia Construções, Rn. 20, und vom 12. Oktober 2004, Wolff & Müller (C-60/03, EU:C:2004:610, im Folgenden: Urteil Wolff & Müller, Rn. 35).


14      Siehe Urteil Seco und Desquenne & Giral, Rn. 10.


15      Siehe Urteile Guiot, Rn. 15, und Arblade u. a., Rn. 51.


16      Urteil Wolff & Müller, Rn. 35, 36 und 41.


17      Rn. 14.


18      Urteil vom 3. Dezember 2014, De Clercq u. a. (C-315/13, EU:C:2014:2408, im Folgenden: Urteil De Clerq u. a., Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung).


19      Urteile Maksimovic u. a., Rn. 26, und De Clercq u. a., Rn. 47.


20      Rn. 50.


21      Rn. 50.


22      Urteil vom 14. November 2018, Danieli & C. Officine Meccaniche u. a. (C-18/17, EU:C:2018:904, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).


23      Urteil vom 21. Oktober 2004, Kommission/Luxemburg (C-445/03, EU:C:2004:655, Rn. 24).


24      Dies ist der häufigste Fall: Ein in einem Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen entsendet im Rahmen einer länderübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen Arbeitnehmer in seinem Namen und unter seiner Leitung in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats. Zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem Dienstleistungsempfänger wird ein Vertrag geschlossen, sofern für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht. Siehe die Urteile vom 3. April 2008, Rüffert (C-346/06, EU:C:2008:189, im Folgenden: Urteil Rüffert, Rn. 19), und vom 19. Dezember 2019, Dobersberger (C-16/18, EU:C:2019:1110, im Folgenden: Urteil Dobersberger, Rn. 29).


25      13. Erwägungsgrund. Hervorhebung nur hier.


26      Urteile vom 12. Februar 2015, Sähköalojen ammattiliitto (C-396/13, EU:C:2015:86, im Folgenden: Urteil Sähköalojen ammattiliitto, Rn. 28), und vom 8. Dezember 2007, Laval un Partneri (C-341/05, EU:C:2007:809, im Folgenden: Urteil Laval un Partneri, Rn. 74 und 76).


27      Ich nehme insoweit Bezug auf Eckhard Voss, Michele Faioli, Jean-Philippe Lhernould, Feliciano Iudicone, Fondazione Giacomo, Posting of Workers Directive – current situation and challenges, European Parliament, 2016, http://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2016/579001/IPOL_STU(2016)579001_EN.pdf, und Fotonopoulou Basurko, O., „Reflexiones en torno a la noción de habitualidad vs. temporalidad en las normas de derecho internacional privado del trabajo europeas“, in Fotonopoulou Basurko, O. (Hrsg.), El desplazamiento de trabajadores en el marco de la Unión europea: presente y futuro, Atelier, Barcelona, 2018, S. 258 bis 262.


28      Urteile vom 14. April 2005, Kommission/Deutschland (C-341/02, EU:C:2005:220, Rn. 25 bis 43), vom 7. November 2013, Isbir (C-522/12, EU:C:2013:711, im Folgenden: Urteil Isbir, Rn. 39 bis 45), und Sähköalojen ammattiliitto, Rn. 38 bis 70.


29      Urteil Laval un Partneri, insbesondere Rn. 80 und 81.


30      Ebd., Rn. 111.


31      Urteil vom 11. Dezember 2007 (C-438/05, EU:C:2007:772).


32      Urteil vom 19. Juni 2008 (C-319/06, EU:C:2008:350).


33      Das Urteil vom 17. November 2015, RegioPost (C-115/14, EU:C:2015:760, Rn. 66), brachte in gewisser Weise einen Richtungswechsel mit sich, denn in ihm wurde ausgeführt, dass „es Art. 26 der Richtlinie 2004/18 in Verbindung mit der Richtlinie 96/71 dem Aufnahmemitgliedstaat [erlaubt], im Rahmen der Vergabe eines öffentlichen Auftrags eine zwingende Bestimmung über das nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c der Richtlinie 96/71 erforderliche Mindestmaß an Schutz wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vorschrift vorzusehen, nach der Unternehmen mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten verpflichtet sind, ihren zur Ausführung dieses öffentlichen Auftrags in das Gebiet des Aufnahmemitgliedstaats entsandten Arbeitnehmern einen Mindestlohn zu zahlen. Eine solche Bestimmung gehört nämlich zu dem Schutzniveau, das diesen Arbeitnehmern garantiert werden muss“.


34      Kilpatrick, C., „Laval’s regulatory conundrum: collective standard-setting and the Court’s new approach to posted workers“, European Law Review, Nr. 6, 2009, S. 848, Rocca, M., Posting of Workers and Collective Labour Law: There and Back Again. Between Internal Markets and Fundamental Rights, Intersentia, Antwerpen, 2015, S. 181 bis 204.


35      Vgl. hierzu die Untersuchung von Van Nuffel, P., und Afanasjeva, S., „The Posting Workers Directive revised: enhancing the protection of workers in the cross-border provision of services“, European Papers, 2018, Nr. 3, S. 1411 bis 1413.


36      Perdisini, M., und Pallini, M., Exploring the fraudulent contracting of work in the European Union, 2016, Eurofound, S. 9 bis 18.


37      Die Richtlinie ging auf die Probleme im Zusammenhang mit den sogenannten „Briefkastengesellschaften“ ein und stärkte die Fähigkeit der Mitgliedstaaten zur Überwachung der Arbeitsbedingungen und Sicherstellung der Beachtung der anzuwendenden Vorschriften. Sie zählt u. a. die Kriterien zum Nachweis einer tatsächlichen Beziehung zwischen dem Arbeitgeber und dem Mitgliedstaat der Niederlassung auf, die auch bei der Feststellung, ob eine Person unter die Definition des entsandten Arbeitnehmers fällt, anwendbar sind.


38      Siehe Marchal Escalona, N., „El desplazamiento de trabajadores en el marco de una prestación transnacional de servicios: hacia un marco normativo europeo más seguro, justo y especializado“, Revista de Derecho Comunitario Europeo, 2019, Nr. 1, S. 91 bis 95.


39      COM(2016) 128 final vom 18. März 2016, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 96/71.


40      COM(2016) 505 final vom 20. Juli 2016, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und die nationalen Parlamente zu dem Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern – Prüfung des Subsidiaritätsprinzips gemäß dem Protokoll Nr. 2.


41      Vgl. hierzu die Untersuchung von Van Nuffel, P., und Afanasjeva, S., „The Posting Workers Directive revised: enhancing the protection of workers in the cross-border provision of services“, European Papers, 2018, Nr. 3, S. 1414 bis 1416.


42      COM(2016) 815 final vom 13. Dezember 2016, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004.


43      Verordnung (EU) 2019/1149 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Errichtung einer Europäischen Arbeitsbehörde und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 883/2004, (EU) Nr. 492/2011 und (EU) 2016/589 sowie zur Aufhebung des Beschlusses (EU) 2016/344 (ABl. 2019, L 186, S. 21).


44      Urteil vom 3. Dezember 2019 (C-482/17, EU:C:2019:1035, im Folgenden: Urteil Tschechische Republik/Parlament und Rat).


45      Ebd., Rn. 31.


46      Ebd., Rn. 32.


47      Ebd., Rn. 42.


48      Ebd., Rn. 38.


49      Urteil vom 21. Juni 2018, Polen/Parlament und Rat (C-5/16, EU:C:2018:483, Rn. 49).


50      Urteil vom 27. Januar 2000, DIR International Film u. a./Kommission (C-164/98 P, EU:C:2000:48, Rn. 26).


51      So der erste Erwägungsgrund: „…gleiche Bedingungen für Unternehmen und die Achtung der Arbeitnehmerrechte gewährleisten“. Auf diese Dualität nimmt auch der vierte Erwägungsgrund Bezug: Nach der Richtlinie 2018/957 muss geprüft werden, ob die Richtlinie 96/71 „immer noch für das richtige Gleichgewicht zwischen der Notwendigkeit der Förderung der Dienstleistungsfreiheit und der Gewährleistung gleicher Wettbewerbsbedingungen einerseits und zum anderen der Notwendigkeit des Schutzes der Rechte entsandter Arbeitnehmer sorgt“.


52      Im zweiten Erwägungsgrund heißt es: „[d]ie Dienstleistungsfreiheit umfasst das Recht von Unternehmen, Dienstleistungen im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats zu erbringen und ihre Arbeitnehmer zu diesem Zweck vorübergehend in das Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats entsenden zu können“.


53      Der dritte Erwägungsgrund bestätigt das Ziel der sozialen Gerechtigkeit und des sozialen Schutzes, durch das entsandte Arbeitnehmer geschützt werden sollen. Die Erwägungsgründe 5 und 9 gehen ebenfalls auf den Schutz entsandter Arbeitnehmer ein.


54      Im 24. Erwägungsgrund wird dies wiederholt: „Mit dieser Richtlinie wird ein ausgeglichener Rahmen für die Dienstleistungsfreiheit und den Schutz entsandter Arbeitnehmer eingerichtet, der diskriminierungsfrei, transparent und verhältnismäßig ist und gleichzeitig die Vielfalt der nationalen Arbeitsbeziehungen achtet. Diese Richtlinie steht der Anwendung von für entsandte Arbeitnehmer günstigeren Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen nicht entgegen“.


55      Diese Bezeichnung verwendet Marchal Escalona, N., „El desplazamiento de trabajadores en el marco de una prestación transnacional de servicios: hacia un marco normativo europeo más seguro, justo y especializado“, Revista de Derecho Comunitario Europeo, 2019, Nr. 1, S. 96 bis 98.


56      In Buchst. h werden „Bedingungen für die Unterkünfte von Arbeitnehmern, wenn sie vom Arbeitgeber für Arbeitnehmer, die von ihrem regelmäßigen Arbeitsplatz entfernt sind, zur Verfügung gestellt werden“ und in Buchst. i „Zulagen oder Kostenerstattungen zur Deckung von Reise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten für Arbeitnehmer, die aus beruflichen Gründen nicht zu Hause wohnen“ aufgenommen.


57      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit (ABl. 2008, L 327, S. 9).


58      Nrn. 41 bis 44 der vorliegenden Schlussanträge.


59      Urteil Tschechische Republik/Parlament und Rat, Rn. 42.


60      Ebd., Rn. 38 und 39.


61      Urteil vom 12. Februar 2015, Parlament/Rat (C-48/14, EU:C:2015:91, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).


62      Urteile vom 15. April 2008, Impact (C-268/06, EU:C:2008:223, Rn. 123 und 124), und vom 13. September 2007, Del Cerro Alonso (C-307/05, EU:C:2007:509, Rn. 39 und 40).


63      Urteile vom 19. Juni 2014, Specht u. a. (C-501/12 bis C-506/12, C-540/12 und C-541/12, EU:C:2014:2005, Rn. 33), vom 15. April 2008, Impact (C-268/06, EU:C:2008:223, Rn. 125), und vom 13. September 2007, Del Cerro Alonso (C-307/05, EU:C:2007:509, Rn. 41).


64      „Es fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, Entlohnungsvorschriften im Einklang mit ihren nationalen Rechtsvorschriften und/oder nationalen Gepflogenheiten festzulegen. Die Festlegung der Löhne und Gehälter fällt in die alleinige Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und der Sozialpartner. Es ist besonders darauf zu achten, dass die nationalen Systeme für die Festlegung der Löhne und Gehälter und die Freiheit der beteiligten Parteien nicht untergraben werden.“


65      Urteil Isbir, Rn. 36 und 37.


66      Ein Befugnismissbrauch liegt vor, wenn aufgrund objektiver, schlüssiger und übereinstimmender Indizien anzunehmen ist, dass ein Rechtsakt ausschließlich oder zumindest überwiegend zu anderen Zwecken als denen, zu denen die betreffende Befugnis eingeräumt wurde, oder mit dem Ziel erlassen wurde, ein Verfahren zu umgehen, das der AEUV speziell vorsieht, um die konkrete Sachlage zu bewältigen (Urteile vom 5. Mai 2015, Spanien/Parlament und Rat, C-146/13, EU:C:2015:298, Rn. 56, und vom 16. April 2013, Spanien und Italien/Rat, C-274/11 und C-295/11, EU:C:2013:240, Rn. 33).


67      Urteile vom 2. September 2015, Groupe Steria (C-386/14, EU:C:2015:524, Rn. 39), vom 26. Oktober 2010, Schmelz (C-97/09, EU:C:2010:632, Rn. 50), und vom 18. September 2003, Bosal (C-168/01, EU:C:2003:479, Rn. 25 und 26). Vgl. entsprechend, in Bezug auf den freien Warenverkehr, die Urteile vom 25. Juni 1997, Kieffer und Thill (C-114/96, EU:C:1997:316, Rn. 27), und vom 12. Juli 2012, Association Kokopelli (C-59/11, EU:C:2012:447, Rn. 80).


68      Urteil vom 13. Mai 1997, Deutschland/Parlament und Rat (C-233/94, EU:C:1997:231, Rn. 17): „Die Mitgliedstaaten können … unter bestimmten Umständen Maßnahmen erlassen oder beibehalten, die den freien Verkehr behindern. Gerade solche Hindernisse darf die Gemeinschaft nach Artikel 57 Absatz 2 des Vertrages durch die Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten beseitigen. Da es sich um Koordinierungsmaßnahmen handelt, trägt die Gemeinschaft dem von den verschiedenen Mitgliedstaaten verfolgten Allgemeininteresse Rechnung und legt zur Wahrung dieses Interesses ein Schutzniveau fest, das in der Gemeinschaft akzeptabel erscheint“.


69      Urteil Tschechische Republik/Parlament und Rat, Rn. 76.


70      Ebd., Rn. 77 und die dort angeführte Rechtsprechung.


71      Ebd., Rn. 78 und die dort angeführte Rechtsprechung.


72      Ebd., Rn. 79 und die dort angeführte Rechtsprechung. Laut Art. 5 des Protokolls (Nr. 2) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit im Anhang zum EUV und zum AEUV berücksichtigen die Entwürfe von Gesetzgebungsakten, dass die finanzielle Belastung der Wirtschaftsteilnehmer so gering wie möglich gehalten werden und in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel stehen muss.


73      Ebd., Rn. 81 und die dort angeführte Rechtsprechung.


74      Im Urteil vom 9. August 1994, Vander Elst (C-43/93, EU:C:1994:310, Rn. 16), heißt es, „… der freie Dienstleistungsverkehr [darf] als fundamentaler Grundsatz des EWG-Vertrags nur durch Regelungen, die durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind und die für alle im Hoheitsgebiet des Bestimmungsstaats tätigen Personen oder Unternehmen gelten, und nur insoweit beschränkt werden, als dem Allgemeininteresse nicht bereits durch die Rechtsvorschriften Rechnung getragen ist, denen der Dienstleistende in dem Staat unterliegt, in dem er ansässig ist …“.


75      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. 2006, L 376, S. 36).


76      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1) in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung Nr. 883/2004 (ABl. 2009, L 248, S. 43) und der Verordnung (EU) Nr. 465/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 (ABl. 2012, L 149, S. 4).


77      Nach ihrem Art. 1 Abs. 6 ist Arbeitsrecht „gesetzliche oder vertragliche Bestimmungen über Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, einschließlich des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit am Arbeitsplatz und über die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die von den Mitgliedstaaten gemäß nationalem Recht unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts angewandt werden“.


78      Urteil Čepelnik, Rn. 29 bis 36.


79      Der 86. Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/123 bestätigt ebenfalls, dass sich diese allgemeine Harmonisierungsvorschrift auf dem Gebiet der Vermarktung von Dienstleistungen im Binnenmarkt nicht auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen erstreckt, die aufgrund der Richtlinie 96/71 für im Rahmen der Erbringung einer Dienstleistung im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats entsandte Arbeitnehmer gelten.


80      Urteil Arblade u. a., Rn. 34.


81      Urteile De Clercq u. a., Rn. 45 bis 47, und vom 7. Oktober 2010, Santos Palhota u. a. (C-515/08, EU:C:2010:589, Rn. 25 bis 27 und 45).


82      Urteil Laval un Partneri, Rn. 80.


83      SWD(2016) 52 final vom 8. März 2016, Commission Staff Working Document. Impact Assessment accompanying the document Proposal for a Directive of the European Parliament and the Council amending Directive 96/71/EC concerning the posting of workers in the framework of the provision of services.


84      Urteil Tschechische Republik/Parlament und Rat, Rn. 77.


85      Die Ausnahme ist von dem Willen getragen, so weit nur möglich den freien Dienstleistungsverkehr zu fördern sowie unnötige und kostspielige administrative oder andersartige Komplikationen zu vermeiden, die im Interesse weder der Arbeitnehmer noch der Unternehmen oder der Sozialversicherungsträger lägen.


86      Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. 2008, L 177, S. 6).


87      Die einzige Ausnahme von dieser Regel ist in Art. 3 Abs. 7 der Richtlinie 96/71 vorgesehen, der bestimmt, dass das Arbeitsrecht eines Mitgliedstaats der Anwendung von für die Arbeitnehmer günstigeren Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen nicht entgegensteht. Das bedeutet, dass ein entsandter Arbeitnehmer weiterhin unter das Arbeitsrecht und die Arbeitsbedingungen des Herkunftslands fallen kann, wenn sie günstiger als die des Aufnahmestaats sind. Unter diesen Umständen muss der Aufnahmestaat die Gültigkeit der Anwendung des Rechts des Herkunftsstaats anerkennen und darf für die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung länderübergreifender Dienstleistungen keine zusätzlichen Hindernisse aufstellen.


88      Urteil Tschechische Republik/Parlament und Rat, Rn. 77.


89      Urteile vom 22. März 2007, Talotta (C-383/05, EU:C:2007:181, Rn. 18), und Laval un Partneri, Rn. 115.


90      Es handelt sich um einen Kern zwingender Bestimmungen über ein Mindestmaß an Schutz in Bezug auf Bereiche, hinsichtlich deren der Aufnahmestaat die Beachtung seines nationalen Rechts verlangen kann (Urteile Laval un Partneri, Rn. 59, und vom 19. Juni 2008, Kommission/Luxemburg, C-319/06, EU:C:2008:350, Rn. 26).


91      Hervorhebung nur hier.


92      Rn. 4.5.2 des Dokuments SWD(2016) 52 final vom 8. März 2016.


93      Siehe den 19. Erwägungsgrund der Richtlinie 2018/957


94      Urteile vom 8. Juni 2010, Vodafone u. a. (C-58/08, EU:C:2010:321, Rn. 51), vom 12. Juli 2012, Association Kokopelli (C-59/11, EU:C:2012:447, Rn. 38), und vom 16. Juni 2015, Gauweiler u. a. (C-62/14, EU:C:2015:400, Rn. 67).


95      Urteile Tschechische Republik/Parlament und Rat, Rn. 78, und vom 8. Juli 2010, Afton Chemical (C-343/09, EU:C:2010:419, Rn. 46).


96      Dokument SWD(2016) 52 final vom 8. März 2016, S. 23 ff.


97      Die französische Regierung hat in der mündlichen Verhandlung mit Nachdruck auf diese praktischen Schwierigkeiten hingewiesen und ausgeführt, dass in Frankreich zwischen dem Mindestlohn (SMIC) und den „Mindestlohnsätzen“ der Richtlinie 96/71 unterschieden werde. Letztere umfassten neben dem Mindestlohn Nachtarbeits- und Gefahrenzulagen, die auch den entsandten Arbeitnehmern gezahlt werden müssten.


98      Rn. 38 bis 70.


99      Dokument SWD(2016) 52 final vom 8. März 2016, S. 10 und 11.


100      „Aus welchen Bestandteilen er sich für die Anwendung dieser Richtlinie zusammensetzt, ist daher im Recht des betreffenden Mitgliedstaats festzulegen, wobei diese Definition, wie sie sich aus den einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften oder Tarifverträgen oder ihrer Auslegung durch die innerstaatlichen Gerichte ergibt, allerdings nicht zu einer Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten führen darf“ (Urteile Sähköalojen ammattiliitto, Rn. 34, und Isbir, Rn. 37).


101      Urteil Sähköalojen ammattiliitto, Rn. 39.


102      Vgl. Fondazione Giacomo Brodolini (FGB), Study on wage setting systems and minimum rates of pay applicable to posted workers in accordance with Directive 97/71/EC in a selected number of Member States and sectors, Final report, November 2015; Schiek, Oliver, Forde, Alberti, EU Social and Labour Rights and EU Internal Market Law, Study for the EMPL Committee, European Parliament, September 2015 (http://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2015/563457/IPOL_STU%282015%29563457_EN.pdf).


103      Dokument SWD(2016) 52 final vom 8. März 2016, S. 11 bis 14.


104      „Die Entsendung hat vorübergehenden Charakter. Entsandte Arbeitnehmer kehren nach Abschluss der Arbeiten, für die sie entsandt worden sind, in der Regel in den Mitgliedstaat, aus dem sie entsandt wurden, zurück. Allerdings sollten angesichts der langen Dauer mancher Entsendungen und in Anerkennung der Verbindung, die zwischen dem Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats und den für solch lange Zeiträume entsandten Arbeitnehmern besteht, bei Entsendezeiträumen von über 12 Monaten die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass die Unternehmen, die Arbeitnehmer in ihr Hoheitsgebiet entsenden, diesen Arbeitnehmern zusätzliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die für die Arbeitnehmer in dem Mitgliedstaat, in dem die Arbeit verrichtet wird, verbindlich gelten. Dieser Zeitraum sollte verlängert werden, sofern der Dienstleistungserbringer eine mit einer Begründung versehene Mitteilung vorlegt.“


105      „Ein besserer Arbeitnehmerschutz ist notwendig, um den freien Dienstleistungsverkehr auf einer fairen Grundlage sowohl kurz- als auch langfristig sicherzustellen, insbesondere indem ein Missbrauch der durch die Verträge garantierten Rechte verhindert wird. Jedoch können die Vorschriften über den Arbeitnehmerschutz das Recht von Unternehmen, die Arbeitnehmer in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats entsenden, sich auch in Fällen, in denen die Entsendung länger als zwölf Monate oder gegebenenfalls 18 Monate dauert, auf die Dienstleistungsfreiheit zu berufen, nicht berühren. Bestimmungen, die für entsandte Arbeitnehmer im Rahmen einer Entsendung von mehr als zwölf oder gegebenenfalls 18 Monaten gelten, müssen daher mit dieser Freiheit vereinbar sein. Gemäß der ständigen Rechtsprechung sind Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit nur zulässig, wenn sie aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sowie verhältnismäßig und erforderlich sind.“


106      Die Kommission sprach sich im Fall der langfristig entsandten Arbeitnehmer für eine Änderung der auf den Individualarbeitsvertrag anzuwendenden rechtlichen Regelung aus und empfahl, das Arbeitsrecht des Aufnahmestaats auf sie anzuwenden. Vgl. Art. 2a des Vorschlags der Kommission COM(2016) 128 final und die Folgenabschätzung SWD(2016) 52 final, S. 25.


107      Urteile Dobersberger, Rn. 24, und vom 22. Dezember 2010, Yellow Cab Verkehrsbetrieb (C-338/09, EU:C:2010:814, Rn. 29).


108      Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar vom 29. Juli 2019 in der Rechtssache Dobersberger (C-16/18, EU:C:2019:638, Nr. 36).


109      Siehe Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 96/71.


110      Siehe Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/67. Nach der gemeinsamen Erklärung im Anschluss an die Tagung des Rates „Arbeit und Soziales“ vom 24. September 1996 (Dokument 10048 add.1 vom 20. September 1996, Anhang C.1) sind mobile Arbeitnehmer im Schienen- und im Straßenverkehr, in der Luft- und in der Binnenschifffahrt vom Anwendungsbereich der Richtlinie 96/71 nur dann ausgeschlossen, wenn die Dienstleistung nicht länderübergreifend durch entsandte Arbeitnehmer erbracht werden kann.


111      Elfter Erwägungsgrund der Verordnung (EG) Nr. 1072/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über gemeinsame Regeln für den Zugang zum Markt des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs (ABl. 2009, L 300, S. 72) und 17. Erwägungsgrund der Verordnung (EG) Nr. 1073/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über gemeinsame Regeln für den Zugang zum grenzüberschreitenden Personenkraftverkehrsmarkt und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 (ABl. 2009, L 300, S. 88).


112      „Da die Arbeit im internationalen Straßenverkehr durch besonders hohe Mobilität gekennzeichnet ist, wirft die Umsetzung dieser Richtlinie in diesem Sektor besondere rechtliche Fragen und Schwierigkeiten auf, die im Rahmen des Mobilitätspakets durch besondere Regeln für den Straßenverkehr, die auch der verstärkten Bekämpfung von Betrug und Missbrauch dienen, anzugehen sind.“


113      Die Anwendung der Richtlinie 96/71 auf entsandte Arbeitnehmer im Straßenverkehrssektor wird im Rahmen der bei der Großen Kammer anhängigen Rechtssache C-815/18, Federatie Nederlandse Vakbeweging, geprüft.


114      COM(2017) 278 final vom 31. Mai 2017, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/22/EG bezüglich der Durchsetzungsanforderungen und zur Festlegung spezifischer Regeln im Zusammenhang mit der Richtlinie 96/71/EG und der Richtlinie 2014/67/EU für die Entsendung von Kraftfahrern im Straßenverkehrssektor.


115      Gemäß Art. 23 der Rom-I-Verordnung berührt „diese Verordnung nicht die Anwendung von Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, die in besonderen Bereichen Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse enthalten“.


116      Siehe die Untersuchung von Van Hoek, A., „Re-embedding the transnational employment relationship: a tale about the limitations of (EU) law?“, Common Market Law Review, 2018, Nr. 3, S. 455 bis 460.


117      Siehe Schlussanträge von Generalanwalt Wahl in der Rechtssache Sähköalojen ammattiliitto (C-396/13, EU:C:2014:2236, Nrn. 47 bis 53).


118      Die Richtlinie 96/71 verdrängt die Rom-I-Verordnung nicht, sondern verpflichtet zur Anwendung beider Regelungen. Nach Art. 3 Abs. 1 und Abs. 1a sorgen „[d]ie Mitgliedstaaten … dafür, dass unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht“ eine Reihe von Arbeitsbedingungen des Aufnahmelandes Anwendung finden. Dies bedeutet, dass sich das auf den Arbeitsvertrag anzuwendende Recht nach Art. 8 der Rom-I-Verordnung richtet, aber seine Folgen beschränkt werden, soweit nach Art. 3 Abs. 1 und Abs. 1a der Richtlinie 96/71 für den Arbeitsvertrag in jedem Fall bestimmte Arbeitsbedingungen gelten, die in den Vorschriften des Aufnahmestaats geregelt sind.


119      Siehe KOM(2005) 650 endg. vom 15. Dezember 2005, S. 24.


120      Nach ständiger Rechtsprechung müssen nach dem Grundsatz der Rechtssicherheit Rechtsvorschriften klar, bestimmt und in ihren Auswirkungen vorhersehbar sein, damit sich die Betroffenen bei unter das Unionsrecht fallenden Tatbeständen und Rechtsbeziehungen orientieren können (Urteil vom 5. Mai 2015, Spanien/Rat, C-147/13, EU:C:2015:299, Rn. 79).


121      „Ersetzt ein … Unternehmen einen entsandten Arbeitnehmer durch einen anderen entsandten Arbeitnehmer, der die gleiche Tätigkeit am gleichen Ort ausführt, so gilt als Entsendungsdauer für die Zwecke dieses Absatzes die Gesamtdauer der Entsendezeiten der betreffenden einzelnen entsandten Arbeitnehmer.“


122      Dies hat sie in der mündlichen Verhandlung erklärt.