SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
DÁMASO RUIZ-JARABO COLOMER
vom 4. Mai 2004(1)
Rechtssache C-284/03Belgischer StaatgegenTemco Europe SA
(Vorabentscheidungsersuchen der Cour d'Appel Brüssel)
„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Steuerbefreiungen – Vermietung und Verpachtung von Grundstücken – Begriff der Vermietung von Grundstücken – Jederzeit kündbare Übertragung des Nutzungsrechts an einem Gebäude ohne Zuteilung einer bestimmten Fläche, die von einer
Gesellschaft an drei Unternehmen, die zu derselben Unternehmensgruppe gehören wie sie, gegen Zahlung eines Betrages erfolgte,
der sich nach den genutzten Quadratmetern, dem Geschäftsvolumen und der Zahl der Mitarbeiter jedes dieser drei Unternehmen
richtet“
I – Einleitung
1.
Die Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie
(2)
befreit in Artikel 13 Teil B Buchstabe b die „Vermietung und Verpachtung von Grundstücken“ von der Steuer; dieser Ausdruck
wurde von den Gemeinschaftsgerichten autonom und einheitlich nach dem Recht der Union festgelegt
(3)
und inhaltlich weiter gefasst als in einigen nationalen Rechtsordnungen
(4)
. Der Gerichtshof versteht ihn als eine Vereinbarung, durch die der Eigentümer eines Gebäudes einer anderen Person für einen
vereinbarten Zeitraum gegen Zahlung eines Mietzinses das Recht gewährt, dieses Gebäude zu nutzen und Dritte von der Nutzung
auszuschließen
(5)
.
2.
Mit der hier vorgelegten Frage soll ermittelt werden, ob unter diesen Ausdruck auch die drei jederzeit kündbaren Verträge
eingeordnet werden können, durch die eine Gesellschaft einzelnen Unternehmen seiner Unternehmensgruppe gegen Zahlung eines
in erster Linie nach der genutzten Fläche bestimmten Betrages für unbestimmte Zeit den Gebrauch und die Nutzung eines in ihrem
Eigentum stehenden Gebäudes übertragen hat, wobei jedoch keinem der Unternehmen ein Exklusivrecht über einen bestimmten Teil
des Gebäudes gewährt wird.
3.
Die Cour d'Appel Brüssel wirft jedoch insbesondere zwei Fragen auf, die die beiden Seiten ein und derselben Münze darstellen.
Sie möchte erstens wissen, ob die fraglichen Vereinbarungen als Vermietungen von Grundstücken im Sinne der entsprechenden
Steuerbefreiung angesehen werden können. Sie fragt zweitens, ob der angeführte Begriff des Gemeinschaftsrechts den in der
vorstehenden Nummer dargestellten Gebrauch des Grundbesitzes von Temco zu außerhalb ihrer Geschäftstätigkeit liegenden Zwecken
umfasst.
4.
In seinen schriftlichen Erklärungen widerspricht der belgische Staat dieser Ansicht, da diese auf der Zugrundelegung einer
Vorschrift des innerstaatlichen Rechts (Artikel 44 § 3 Nr. 2 Absatz 1 des Code de la Taxe sur la Valeur Ajoutée [Mehrwertsteuer-Gesetzbuch]
(6)
) beruhe, die im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei, da sich die Parteien nicht darauf berufen hätten und sie vom Tribunal
de Première Instance nicht berücksichtigt worden sei. Diese in der mündlichen Verhandlung bei der Beantwortung meiner Fragen
wiederholte Ansicht, der sich die anderen erschienenen Beteiligten angeschlossen haben, lässt sich leicht mit dem Hinweis
zurückweisen, dass es im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens Sache des Gerichtshofes ist, das Gemeinschaftsrecht auszulegen
oder seine Gültigkeit zu beurteilen, nicht jedoch, die Wahl der Rechtsvorschrift oder die Auslegung des nationalen Rechts
durch das vorlegende Rechtsprechungssorgan zu kontrollieren, dem als „Herrn“ des Verfahrens die Feststellung obliegt, inwiefern
eine Bestimmung für die Entscheidung des Rechtsstreit von Bedeutung ist. Kurz gesagt obliegt die Beurteilung der Sachdienlichkeit
der Frage dem Richter, der sie vorlegt
(7)
, und das Gemeinschaftsgericht kann diese nicht überprüfen, es sei denn, das Ersuchen weist keinen Zusammenhang mit der Realität
oder mit dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens auf
(8)
, betrifft nicht das Recht der Union
(9)
oder beruht auf einem offensichtlich falschen Verständnis seines Regelungsinhalts
(10)
; im vorliegenden Fall sind solche Umstände nicht gegeben.
II – Rechtlicher Rahmen
A –
Gemeinschaftsrecht: Sechste Richtlinie
5.
Artikel 2 definiert den steuerbaren Umsatz als „Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger
als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt“.
6.
Nach Artikel 4 Absatz 1 gilt als Steuerpflichtiger,
„wer eine der in Absatz 2 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten selbständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig
zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis“.
In Absatz 2 wird insbesondere „die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung
von Einnahmen“ als wirtschaftliche Tätigkeit eingestuft.
7.
Artikel 6 Absatz 1 definiert den steuerbaren Umsatz „Dienstleistung“ mit einer Auffangformulierung („jede Leistung, die keine
Lieferung eines Gegenstands … ist“); in Absatz 2 Buchstabe a wird ihr die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands
für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen, für den Bedarf seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke,
wenn dieser Gegenstand zum vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt hat, gleichgestellt.
8.
Artikel 13 lautet:
„Steuerbefreiungen im Inland
…
B –
Sonstige Steuerbefreiungen Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung
einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen
und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:
…
b)die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken mit Ausnahme:
1.der Gewährung von Unterkunft im Hotelgewerbe entsprechend den gesetzlichen Begriffsbestimmungen der Mitgliedstaaten oder in
Sektoren mit ähnlicher Zielsetzung, einschließlich der Vermietung in Ferienlagern oder auf als Campingplätze erschlossenen
Grundstücken,
2.der Vermietung von Plätzen für das Abstellen von Fahrzeugen,
3.der Vermietung von auf Dauer eingebauten Vorrichtungen und Maschinen;
4.der Vermietung von Schließfächern.
Die Mitgliedstaaten können weitere Ausnahmen vom Geltungsbereich dieser Befreiung vorsehen;[ 11 –Wortlaut und Bedeutung dieses Satzes sind in der spanischen Fassung der Sechsten Richtlinie völlig anders: „Los Estados
miembros podrán ampliar el ámbito de aplicación de esta exención a otros supuestos“. Andere Sprachfassungen entsprechen der
deutschen Fassung: „Les États membres ont la faculté de prévoir des exclusions supplémentaires au champ d’application de cette
exonération“ (französisch); „Member States may apply further exclusions to the scope of this exemption“ (englisch); „Gli Stati
membri possono stabilire ulteriori esclusioni al campo di applicazione di tale esenzione“(italienisch).
]
…
C –
Optionen Die Mitgliedstaaten können ihren Steuerpflichtigen das Recht einräumen, für eine Besteuerung zu optieren:
a) bei der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken;
…
Die Mitgliedstaaten können den Umfang des Optionsrechts einschränken; sie bestimmen die Modalitäten seiner Ausübung.“
D –
Belgisches Recht: Code de la Taxe sur la Valeur Ajoutée
9.
Artikel 44 § 3 Nr. 2 sieht eine Steuerbefreiung für die Vermietung und die Nutzung von Grundstücken unter den Bedingungen
des Artikels 19 § 1 vor, d. h., wenn diese gegen Entgelt und für außerhalb der Geschäftstätigkeit des Steuerpflichtigen liegende
Zwecke erfolgen.
III – Sachverhalt und Ausgangsverfahren
10.
Die Temco Europe SA (im Folgenden: Temco), ein im Bereich der Gebäudereinigung und -unterhaltung tätiges, als solches mehrwertsteuerpflichtiges
belgisches Unternehmen, ist Eigentümerin eines in Brüssel gelegenen Gebäudes, das sie von 1993 bis 1994 umbauen ließ und in
dem sie keinen Geschäftssitz hat.
11.
Am 1. Februar 1994 schloss sie mit den fraglichen drei Unternehmen, die zu ihrer Unternehmensgruppe gehörten und von derselben
zentralen Leitung abhängig waren, drei Vereinbarungen, die als Übertragungen bezeichnet wurden und mit denen diesen Unternehmen
unter folgenden Voraussetzungen der Gebrauch und die Nutzung des Gebäudes überlassen werden sollten:
–Die betreffenden Unternehmen üben in dem Gebäude gemäß der von der Leitung von Temco festgelegten Zweckbestimmung ihre Tätigkeiten
aus, ohne dass sie ein Einzelrecht an einem bestimmten Teil hätten.
–Die Dauer ist an den Lauf des Geschäftsbetriebs gebunden; der Verwaltungsrat der Eigentümerin kann jedoch jederzeit und ohne
Vorankündigung die Räumung der Räumlichkeiten verlangen.
–Die Kosten sind von den drei Unternehmen zu tragen; die Kosten für Wasser und Strom werden nach dem Verbrauch berechnet, die
Gemeinschafts- und Reparaturkosten nach der belegten Fläche.
–Die jährlich zahlbare Miete beläuft sich auf 3 500 BEF (jetzt den entsprechenden Betrag in Euro) pro m² Bürofläche und auf
1 000 BEF pro m² im Bereich der Lagerräume. Der sich daraus ergebende Betrag erhöht sich um 0,4 % des Umsatzes der Mieter
und um 5 000 BEF jährlich pro Mitarbeiter.
–Eine Hausordnung, die Regeln für den Zugang und die Reinigung des Gebäudes enthält, gewährt den Beauftragten der abtretenden
Gesellschaft ein unbeschränktes Zugangsrecht.
–Die Parteien haben die Anwendung des Artikels 1709 des belgischen Zivilgesetzbuchs, in dem die Vermietung definiert ist, ausgeschlossen.
12.
Die Eigentümerin zog die Mehrwertsteuer, die ihr für die Umbauarbeiten in Rechnung gestellt wurde, von der Steuer ab; die
belgische Steuerverwaltung war jedoch der Ansicht, dass die beschriebenen Vereinbarungen echte steuerbefreite Vermietungen
darstellten, so dass ein Vorsteuerabzug nicht zulässig sei. Sie erließ daher am 16. April 1997 eine Beitreibungsmaßnahme,
die, bestätigt und für vollstreckbar erklärt, der Temco zugestellt wurde; Temco verweigerte die Zahlung.
13.
Das Tribunal de Première Instance Brüssel hob den Zahlungsbefehl mit Urteil vom 29. September 2000 auf und untersagte die
Fortsetzung der Vollstreckung der Betreibungsmaßnahme; der belgische Staat legte gegen diese Entscheidung Berufung ein.
IV – Vorlagefrage
14.
Die Cour d'Appel hat das Verfahren ausgesetzt und sich vor seiner Entscheidung mit folgender Frage an den Gerichtshof gewandt:
Kann Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie dahin ausgelegt werden, dass Umsätze, die nach belgischem Recht
einem nicht typisierten Vertrag entsprechen, durch den eine Gesellschaft gleichzeitig mehreren mit ihr verbundenen Gesellschaften
gegen eine Vergütung, die zu einem wesentlichen Teil nach der belegten Fläche festgesetzt wird, ein widerrufliches Nutzungsrecht
für ein und dasselbe Gebäude überträgt, wobei die Widerruflichkeit durch eine für die Empfänger und den Übertragenden gemeinsame
Leitung neutralisiert wird, eine Vermietung von Grundstücken im Sinne des Gemeinschaftsrechts darstellen? Mit anderen Worten,
umfasst der gemeinschaftsrechtliche autonome Begriff der „Vermietung von Grundstücken“ in Artikel 13 Teil B Buchstabe b der
Sechsten Richtlinie die ─ der Definition in Artikel 44 § 3 Nr. 2 Absatz 1 des belgischen Code de la TVA entsprechende ─ entgeltliche
Verwendung eines Grundstücks für außerhalb der Geschäftstätigkeit des Steuerpflichtigen liegende Zwecke, nämlich die widerrufliche
Bereitstellung auf unbestimmte Zeit und gegen Zahlung eines monatlichen Entgelts, auch wenn dieses schwankt und zum Teil von
den Geschäftsergebnissen des Vertragspartners abhängt, der ein nicht ausschließliches Nutzungsrecht hat, wobei die Widerruflichkeit
durch eine für die Vertragsparteien gemeinsame Leitung neutralisiert wird?
V – Das Verfahren vor dem Gerichtshof
15.
Die belgische Regierung, Temco und die Kommission haben innerhalb der Frist des Artikels 20 der EG-Satzung Erklärungen abgegeben.
16.
In der mündlichen Verhandlung, die am 1. April 2004 stattgefunden hat, haben sich diese Beteiligten mündlich geäußert.
VI – Würdigung der Vorlagefragen
17.
In der umfangreichen und verworrenen Frage des belgischen Gerichts verbergen sich zwei sich zwar ergänzende, jedoch unterschiedliche
Fragen. Mit der ersten soll geklärt werden, ob Vereinbarungen wie die des Ausgangsverfahrens als „Vermietungen von Grundstücken“
in dem Sinne, den dieser Ausdruck nach der Auslegung des Gerichtshofs in Artikel 3 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie
hat, angesehen werden können.
18.
Die zweite Frage ist zweifellos verworren formuliert. Bei einem oberflächlichen Blick auf den letzten Teil der umfangreichen
Frage könnte man einen Pleonasmus in Form einer Wiederholung desselben Problems in unterschiedlicher Verpackung zu erkennen
glauben. Die Bezugnahme auf Artikel 44 § 3 Nummer 2 und im Wege der Verweisung auf Artikel 19 § 1 des Code de la Taxe sur
la Valeur Ajoutée zeigt jedoch, dass tatsächlich geklärt werden soll, ob die streitigen Vereinbarungen, wenn sie nicht als
Vermietungen einzustufen sind, als entgeltliche Verwendung des Gebäudes für außerhalb der Geschäftstätigkeit von Temco liegende
Zwecke angesehen werden können. Sollte diese Möglichkeit zu prüfen sein, ist festzustellen, ob die Mitgliedstaaten den Anwendungsbereich
der in der fraglichen Bestimmung der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Steuerbefreiung erweitern können, indem sie diese auf
andere Rechtsfiguren als die Vermietung von Grundstücken ausdehnen.
A –
Erste Frage
19.
Zu Beginn dieser Schlussanträge habe ich wiedergegeben, wie der Gerichtshof die Wendung am Anfang des Artikels 13 Teil B Buchstabe
b versteht. Tatsächlich kann er dem nur wenig hinzufügen, ohne Gefahr zu laufen, die Grenzen seiner Zuständigkeit in Vorabentscheidungsverfahren
zu überschreiten und durch Äußerungen zur Anwendung im konkreten Fall unter Verletzung des Zuständigkeitsbereichs des vorlegenden
Gerichts über seine Aufgabe der verbindlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts hinauszugehen
(12)
. Gerade in diesem „nur wenig“ liegt jedoch der Schlüssel zu der von der Cour d'Appel Brüssel erbetenen Antwort.
20.
Nach der Gemeinschaftsrechtsprechung ist von der Mehrwertsteuer folgender Vorgang befreit: (1) Der Eigentümer eines Grundstücks
überlässt einer anderen Person (2) unter Ausschluss weiterer Personen (3) den Gebrauch und die Nutzung des Grundstücks (4) für
einen vereinbarten Zeitraum (5) gegen Zahlung eines Mietzinses. Für die Beurteilung, ob eine bestimmte Vereinbarung dieser
Definition entspricht, sind alle Merkmale des Vorgangs sowie die Umstände zu berücksichtigen, unter denen er erfolgt
(13)
; maßgebend ist dabei sein objektiver Inhalt
(14)
, unabhängig von der Bezeichnung, die die Parteien dem Vorgang gegeben haben
(15)
.
21.
Die Merkmale 1 und 3 sind bei den von Temco geschlossenen Vereinbarungen erfüllt; die Diskussion konzentriert sich daher im
Vorabendscheidungsverfahren auf die Voraussetzungen der Ausschließlichkeit der Überlassung, ihrer Dauer und der Art des vereinbarten
Preises.
1. Der Besitz des Mieters
22.
Die Vermietung eines Grundstücks zeichnet sich durch die Übertragung der Befugnisse des Eigentümers, das Rechts zur Veräußerung
ausgenommen, und damit des Rechts aus, alle anderen Personen – einschließlich des Eigentümers – von der Nutzung des Gebäudes
auszuschließen. Ausschließlicher Besitz ist jedoch nicht das Gleiche wie alleiniger Besitz, da es den durch einen oder mehrere
Verträge vermittelten gemeinschaftlichen Besitz gibt
(16)
. Der entscheidende Punkt ist das Monopol der Mieter, die gegenüber allen anderen das Besitzrecht an der gemieteten Sache
innehaben und den Gebrauch untersagen können.
23.
Es ist daher nicht relevant, ob die übertragenen Rechte von einer oder von mehreren Personen ausgeübt werden und ob im letzteren
Falle die Übertragung durch eine oder mehrere Vereinbarungen erfolgte. Für den vom Gerichtshof geschaffenen Begriff ist es
ferner ohne Bedeutung, ob jedem Nutzer ein Teil des Gebäudes zugewiesen wurde oder ob eine ungeteilte Zuteilung nach ideellen
Anteilen vorgenommen wurde
(17)
.
24.
Die Steuerbefreiung des Artikels 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie bezieht sich auf Rechtsgeschäfte, die eine
wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Artikel 4 dieser Richtlinie darstellen, wegen ihrer Art jedoch nicht zu einer signifikanten
Wertschöpfung führen, so dass sich eine Steuerbefreiung aus finanziellen Gründen empfiehlt
(18)
; aus denselben Erwägungen erklärt sich die Ausnahmen von der Befreiung bei einer aktiveren Nutzung der Grundstücke
(19)
.
25.
Der Schlüssel liegt jedoch in der Art des Umsatzes, in seiner wirtschaftlichen Wirklichkeit, unabhängig von der rechtlichen
Bezeichnung durch die Parteien, da andernfalls die Gefahr bestünde, dass die Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht respektiert
und gegen deren Neutralität verstoßen wird, indem eine Ungleichbehandlung sachlich gleicher Umsätze zugelassen wird. Auf dieser
Grundlage hat der Gerichtshof im Urteil „Goed Wonen“ festgestellt, dass Artikel 13 Teil B Buchstabe b und Teil C Buchstabe
a der Sechsten Richtlinie einer nationalen Rechtsvorschrift nicht entgegensteht, die für die Zwecke der Mehrwertsteuerbefreiung
die Schaffung eines dinglichen Nutzungsrechts für einen vereinbarten Zeitraum und gegen Vergütung, das seinem Inhaber das
Recht zur Nutzung eines Grundstück gibt, der Vermietung gleichstellt.
26.
Demnach ist es Sache des nationalen Richters, den Inhalt und die Einzelheiten der Durchführung
(20)
der streitigen Vereinbarungen zu prüfen, um festzustellen, ob diese den Übertragungsempfängern gegenüber allen anderen und
insbesondere gegenüber der Eigentümerin ein Nutzungsrecht gewähren.
2. Die Dauer der Vermietung
27.
Die Dauer ist ein zentraler Faktor bei dieser Art von Verträgen; der Gerichtshof hat daher in den Urteilen Kommission/Irland
(Randnr. 58) und Kommission/Vereinigtes Königreich (Randnr. 68) für die Fälle, in denen sie in der Parteivereinbarung nicht
berücksichtigt wurde, wie z. B. bei einer Straßenbenutzung gegen Mautzahlung, eine Einordnung als Vermietung abgelehnt. Aus
gleichartigen Gründen weist er im Urteil Stockholm Lindöpark darauf hin, dass die Dauer der entgeltlichen Nutzung eines Golfplatzes
durch Dritte einer der Parameter sei, den das nationale Gericht bei der Feststellung zu prüfen habe, ob das Geschäft mehrwertsteuerbefreit
sei (Randnrn. 27 und 28); im Urteil Blasi (Randnrn. 23 bis 26) wird hinzugefügt, dass der Zeitraum der Überlassung ein Grundelement
für die Unterscheidung zwischen der Vermietung von Wohnungen und der nach Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie
steuerbefreiten Gewährung von Unterkunft darstellt.
28.
Auch wenn die Dauerhaftigkeit des Besitzes eine gewisse Bedeutung hat, so ist sie doch nur einer der Bestandteile der Grundeigentumsvermietung
und daher nicht unabhängig von jeder anderen Überlegung und insbesondere von der tatsächlichen Dauer des Verhältnisses zum
alleinigen „Beweis“ für die Einordnung einer Vereinbarung als Vermietung zu erheben. Im Urteil Blasi hat das Gericht festgestellt,
dass die Prüfung, ob der in der Vereinbarung angegebene Zeitraum der wirklichen Absicht der Parteien entspricht, Sache des
nationalen Richters ist; sei dies nicht der Fall, sei nämlich die tatsächliche Zeit des Besitzes des Grundstücks zu ermitteln.
29.
„Vereinbarter Zeitraum“ ist jedoch nicht das Gleiche wie „bestimmter Zeitraum“; die Überlassung der Nutzung eines Gebäudes
auf unbestimmte Zeit ist daher nicht allein wegen der unbestimmten Dauer keine Vermietung im Sinne der Sechsten Richtlinie
(21)
. Dieser Umstand kann von Bedeutung sein, wenn die Dauer so kurz ist, dass nach dem Urteil Blasi von einer Unterkunftsgewährung
auszugehen ist; er ist jedoch bedeutungslos, sobald sich die Dauer über diesen Mindestzeitraum hinaus verlängert. Dabei spielt
es keine Rolle, ob die Beendigung des Verhältnisses vom Willen einer der Parteien, vom Einverständnis beider oder von einem
außerhalb ihres Willens liegenden Umstand abhängt, da jedenfalls die vertragliche Einigung mit der Absicht erfolgt, die Sache
für einen, wenn auch unbestimmten, Zeitraum zu übergeben.
30.
Die Übertragungen im vorliegenden Fall sind daher nicht allein deswegen keine Vermietungen, weil ihre Beendigung vom Willen
des Eigentümers abhängt. Es ist unerlässlich, die tatsächlichen Umstände eines jeden Falles zu berücksichtigen und, wie in
der Rechtssache Blasi, den Verlauf des Rechtsverhältnisses zu würdigen; auch dies ist Aufgabe des nationalen Richters
(22)
. Daher verstößt die Entscheidung, jederzeit kündbare Mietverträge aus dem Bereich der Steuerbefreiungen auszuschließen, wie
der belgische Staat in seinen schriftlichen Erklärungen bemerkt hat, gegen den Neutralitätsgrundsatz, da im Wesentlichen gleiche
Umsätze unterschiedlich behandelt würden. Er weist zu Recht darauf hin, dass dieser Begriff des Gemeinschaftsrechts sich vornehmlich
an der Natur der Dienstleistungen und nicht an der Art ihrer Beendigung zu orientieren habe; nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes
sind daher alle Übertragungen des Besitzes an einem Grundstück durch den Eigentümer gegen Zahlung eines Mietzinses als Vermietungen
anzusehen
(23)
.
31.
Die vorstehenden Ausführungen bestätigen, dass es im Fall des Ausgangsverfahrens unerheblich ist, dass die Gesellschaft, der
das Gebäudes gehört, und die Übertragungsempfänger derselben Unternehmensgruppe angehören und einer gemeinsamen Leitung unterstehen;
selbst wenn die jederzeitige Kündbarkeit dadurch abgemildert werden kann, verstärkt dies nämlich nicht den „Vermietungscharakter“
der Verträge: wenn die Unbestimmtheit und die Unsicherheit hinsichtlich der Dauer der Vermietung für ihre Beurteilung als
solche im Sinne der Sechsten Richtlinie unbedeutend sind, ist auch die Verminderung dieser Ungewissheit ohne Belang.
3. Der Mietzins
32.
Temco stellt besonders auf dieses Merkmal ab, um die 1994 unterzeichneten Vereinbarungen nicht als Vermietungen gelten zu
lassen, und betont, dass die Miete sich nicht nur nach der Nutzungsdauer bestimme, sondern auch nach dem Geschäftsvolumen
und der Zahl der Mitarbeiter der Mieter. Diese Behauptung ist auf Anhieb nicht ganz richtig, da Hauptbestandteil des Preises
die genutzte Fläche ist. Außerdem hat die Dauer nach den Angaben in den Verfahrensunterlagen keine Auswirkungen auf die Bestimmung
des Mietzinses.
33.
Der Preis ist als Sachleistung oder in einem gesetzlichen Zahlungsmittel anzugeben; in beiden Fällen sind die Hauptparameter
normalerweise die Größe des überlassenen Grundstücks, seine Lage, der Erhaltungszustand, die Zweckbestimmung und die Dauer.
Es kann einige weitere Parameter geben, wie im vorliegenden Fall, und andere denkbare, sofern diese nicht gegen die Rechtsordnung
oder die guten Sitten verstoßen. Es können auch einige dieser Kriterien, z. B. das zeitliche, fehlen, der Vertrag bleibt jedoch
trotzdem eine Vermietung. So ist es nicht ungewöhnlich, dass der Mietzins monatlich zahlbar ist, während die Mietzeit in Jahren
angegeben wird. Es besteht nämlich keine Wechselwirkung zwischen den Variablen zur Bestimmung des Preises und der Rechtsnatur
des Geschäfts.
34.
Zusammengefasst bezieht sich Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie auf einen Vertrag, durch den der Eigentümer
eines Grundstücks einem anderen zeitlich befristet das Recht zum Gebrauch und zur Nutzung dieses Grundstücks unter Ausschluss
aller weiteren Personen – einschließlich des Eigentümers – gegen Zahlung eines Entgelts überträgt. Die Beurteilung, ob ein
bestimmtes Rechtsgeschäft diese Voraussetzungen erfüllt, ist Sache des nationalen Richters, der dabei alle Merkmale dieses
Rechtsgeschäfts sowie die materiellen Umstände seiner Durchführung zu berücksichtigen hat; dabei sind ohne Bedeutung:
1.die rechtliche Einordnung der Vereinbarung durch die Parteien;
2.die Zahl derer, an die das Recht übertragen wird, das Vorliegen eines oder mehrerer Verträge über das Grundstück, sowie im
vorliegenden Fall die Zuweisung einer bestimmten Fläche oder die Zuteilung von ideellen Quoten oder Anteilen;
3.der Grad der Unbestimmtheit der Vertragsdauer und ihres Endes, da diese nicht ausdrücklich vereinbart sein muss und von der
Entscheidung einer oder beider Parteien oder von einem außerhalb des Willens der Parteien liegenden Umstand abhängig gemacht
werden kann;
4.die Zugehörigkeit der Parteien auf beiden Seiten des Rechtsverhältnisses zur selben Unternehmensgruppe und ihre Abhängigkeit
von einer gemeinsamen Leitung;
5.die Art, in der sich der Mietzins bestimmt, und die Parameter seiner Bestimmung, insbesondere die Nichteinhaltung der Dauer
der Übertragung.
4. Anmerkung zu einer möglicherweise bestehenden Betrugsabsicht und zum Grundsatz der engen Auslegung von Ausnahmen
35.
Das vorlegende Gericht muss, wie es im Eingangssatz des Artikels 13 Teil B heißt, zur Verhütung von „Steuerhinterziehungen,
Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen“
(24)
bei der Wahrnehmung dieser Aufgabe prüfen, ob der Steuerpflichtige aus unehrlichen Interessen gehandelt hat oder ob das
Ergebnis, dass der Staatskasse eine bestimmte Steuerschuld vorenthalten wurde, ohne Betrugsabsicht
(25)
entstanden ist. Bei der Sachverhaltswürdigung zur Überprüfung, ob die erforderlichen Voraussetzungen für die Steuerbefreiung
eines Geschäfts vorliegen, muss sich die Rechtsprechung des Gerichts von diesem Auslegungskriterium leiten lassen.
36.
Die nationalen Richter sind gegenüber juristischen Manövern zum Umgehung der Anwendung einer Bestimmung verpflichtet, äußerste
Strenge walten zu lassen und der das gemeinsame Mehrwertsteuersystem bestimmenden Neutralitätsregel Geltung zu verschaffen.
37.
Nach diesem Ansatz können Verträge als „Vermietungen von Grundstücken“ eingeordnet werden, die auf den ersten Blick anders
zu bezeichnen wären, ohne gegen die vom Gerichtshof für Steuerbefreiungen wiederholt betonte enge Auslegung zu verstoßen
(26)
. Dieser Ansatz untersagt die Gewährung der steuerlichen Begünstigung in Fällen, die sich von den in der Bestimmung angeführten
unterscheiden, nicht aber in denen, die trotz ihres äußeren Anscheins den steuerbefreiten Tätigkeiten sehr ähnlich sind und
daher von derselben Steuerbefreiung erfasst werden müssen. Wie Generalanwalt Jacobs in den Schlussanträgen in der Rechtssache
Seeling eingeräumt hat, bedeutet das Erfordernis einer strikten Auslegung daher nicht, dass die zur Erläuterung der Befreiungen
verwendeten Begriffe so eng auszulegen sind, dass sie den Befreiungen ihre intendierte Wirkung nehmen (Nr. 32).
B –
Zweite Frage
38.
Die Cour d'Appel Brüssel wirft ferner die Frage auf, ob die Vereinbarungen des Ausgangsverfahrens eine entgeltliche Verwendung
des Gebäudes durch Temco für außerhalb ihrer Geschäftstätigkeit liegende Zwecke im Sinne von Artikel 44 § 3 Nr. 2 in Verbindung
mit Artikel 19 § 1 des Code de la Taxe sur la Valeur Ajoutée darstellen können. Diese Frage ist jedoch vom belgischen Gericht
bei seiner Entscheidung unter Berücksichtigung der tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte des Rechtsstreits selbst zu
beantworten. Die Einordnung eines Rechtsgeschäfts zur Feststellung, ob eine Regelung des innerstaatlichen Rechts darauf anwendbar
ist, ist nicht Sache des Gerichtshofes.
39.
Die von dem vorlegenden Gericht aufgeworfene Frage besitzt jedoch eine weiter reichende Dimension: Läuft eine nationale Vorschrift,
die den Umfang der Steuerbefreiungen erweitert, der Sechsten Richtlinie zuwider? Mit anderen Worten, lässt die Richtlinie
es zu, dass die Mitgliedstaaten neben der Vermietung die außerhalb der eigentlichen Geschäftstätigkeit des Steuerpflichtigen
liegende wirtschaftliche Nutzung von Grundstücken von der Steuer befreien?
40.
Meiner Meinung nach ist dies zu verneinen.
41.
Der Vorstellung des Gemeinschaftsgesetzgebers entspricht es, der Mehrwertsteuer alle in den Mitgliedstaaten vorgenommenen
Lieferungen von Gegenständen und erbrachten Dienstleistungen zu unterwerfen, um dann den Personen, die eine der in Artikel
4 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie angeführten wirtschaftlichen Tätigkeiten, darunter die Nutzung von körperlichen oder nicht
körperlichen Gegenständen, ausüben, eine Vergünstigung zu gewähren.
42.
Ein Steuerpflichtiger hat in Bezug auf den Teil seines Vermögens, den er für andere Zwecke verwendet als diejenigen, nach
denen sich seine Besteuerung bestimmt, zwei Möglichkeiten: Er kann ihn aus der gemeinschaftlichen Mehrwertsteuerregelung heraushalten,
oder er kann ihn in sein Unternehmen integrieren, den dafür gezahlten Steueranteil abziehen und die Steuern für die private
Nutzung gemäß Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie entrichten
(27)
. Diese Vorschrift soll die Nichtbesteuerung von Grundstücken verhindern, die einem Unternehmen zugeordnet werden, aber zur
persönlichen Nutzung bestimmt sind, sofern bei deren Erwerb die Steuer abgezogen wurde
(28)
, und so die Gleichbehandlung zwischen Steuerpflichtigem und Endverbraucher sicherstellen
(29)
.
43.
Artikel 4 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe a ermöglicht somit die Feststellung, dass der Gebrauch und
die Nutzung von Grundstücken im Rahmen von Geschäften, die außerhalb der eigentlichen Geschäftstätigkeit des Leistungspflichtigen
liegen, eine entgeltliche und daher steuerpflichtige Dienstleistung darstellt, sofern er zum maßgebenden Zeitpunkt zum Steuerabzug
berechtigt hat
(30)
.
44.
Artikel 13 Teil B Buchstabe b befreit eine bestimmte Kategorie von Dienstleistungen von der Steuer
(31)
, sowohl, wenn diese im Rahmen der Geschäftstätigkeit des Steuerpflichtigen, als auch, wenn sie in einem anderen Bereich erbracht
werden, vorausgesetzt, sie unterliegen im letzteren Fall der Steuer und der Gegenstand der Vermietung hat zum maßgebenden
Zeitpunkt zum Mehrwertsteuerabzug berechtigt.
45.
Das gemeinsame System der Sechsten Richtlinie und die Grundsätze der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und der Neutralität,
von denen sich die Regel der engen Auslegung von Befreiungen ableitet, erlauben keine allgemeine Steuerbefreiung der wirtschaftlichen
Nutzung, unabhängig von deren rechtlicher Form, von Gegenständen, die der Geschäftstätigkeit des Steuerpflichtigen zugeordnet
sind, zu außerhalb dieser liegenden Zwecken, wenn diese zum Steuerabzug berechtigt haben
(32)
. Die Gemeinschaftsbestimmung enthält nichts, was Veranlassung zur Gleichstellung dieser Nutzung mit einer Vermietung gäbe
(33)
.
46.
Dieses Ergebnis widerspricht nicht Artikel 13 Teil B Buchstabe b Absatz 2 in der spanischen Sprachfassung, wonach die Mitgliedstaaten
den Anwendungsbereich dieser „Befreiung“ erweitern können, denn, wie der Gerichtshof unter Berücksichtigung der verschiedenen
Sprachversionen und des Zusammenhangs, in dem diese Bestimmung steht, festgestellt hat
(34)
, bestimmt diese genau das Gegenteil, nämlich, dass die Mitglieder der Gemeinschaft über die angegebenen Ausnahmen hinaus
weitere Rechtsfiguren von der steuerlichen Begünstigung ausnehmen können
(35)
.
47.
Auch das Urteil Amengual Far, in dem der Gerichtshof festgestellt hat, dass die Sechste Richtlinie es den Mitgliedstaaten
gestattet, die Vermietung von Grundstücken durch eine allgemeine Vorschrift der Mehrwertsteuer zu unterwerfen und nur die
Vermietung von zu Wohnzwecken bestimmten Grundstücken durch eine Ausnahmevorschrift zu befreien, stellt meinen Ansatz nicht
in Frage. Dieses Urteil berücksichtigt den weiten Ermessensspielraum, den die Gemeinschaftsbestimmung, wie der Inhalt von
Artikel 13 Teil B Buchstabe b und die in Teil C geregelte Option zeigen, den nationalen Gesetzgebern hinsichtlich der Steuerbefreiung
von Grundstücksvermietungen gewährt, es bezieht sich jedoch auf keine anderen Geschäftsvorgänge im Sinne des Artikels 6 Absatz
2 Buchstabe a.
VII – Ergebnis
48.
Aufgrund der vorstehenden Ausführungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die von der Cour d'Appel Brüssel zur Vorabentscheidung
vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:
1.Die Vermietung von Grundstücken, auf die sich Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai
1977, Sechste Richtlinie zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames
Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage bezieht, ist ein Rechtsgeschäft, durch das der Eigentümer
eines Grundstücks einem anderen zeitlich befristet das Recht zum Gebrauch und zur Nutzung dieses Grundstücks unter Ausschluss
aller weiteren Personen – einschließlich des Eigentümers – gegen Zahlung eines Entgelts überträgt. Die Beurteilung, ob ein
Rechtsgeschäft diese Voraussetzungen erfüllt, ist Sache des nationalen Richters, der dabei alle Merkmale des Rechtsgeschäfts
sowie die materiellen Umstände seiner Durchführung, insbesondere die Möglichkeit einer Steuerhinterziehung oder -umgehung,
zu berücksichtigen hat; dabei sind ohne Bedeutung:
a)die rechtliche Einordnung der Vereinbarung durch die Parteien;
b)die Zahl derer, an die das Recht übertragen wird, das Vorliegen eines oder mehrerer Verträge über das Grundstück, sowie im
vorliegenden Fall die Zuweisung einer bestimmten Fläche oder die Zuteilung von ideellen Quoten oder Anteilen;
c)der Grad der Unbestimmtheit der Vertragsdauer und ihres Endes, da diese nicht ausdrücklich vereinbart sein muss und von der
Entscheidung einer oder beider Parteien oder von einem außerhalb des Willens der Parteien liegenden Umstand abhängig gemacht
werden kann;
d)die Zugehörigkeit der Parteien auf beiden Seiten des Rechtsverhältnisses zur selben Unternehmensgruppe und ihre Abhängigkeit
von einer gemeinsamen Leitung;
e)die Art, in der sich der Mietzins bestimmt, und die Parameter seiner Bestimmung; insbesondere die Nichteinhaltung der Dauer
der Übertragung.
2.Die Artikel 6 Absatz 2 Absatz 1 Buchstabe a und 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie sind dahin auszulegen, dass
sie nationalen Vorschriften entgegenstehen, die eine allgemeine Mehrwertsteuerbefreiung der wirtschaftlichen Nutzung, unabhängig
von deren rechtlicher Form, von Grundstücken vorsehen, die der Geschäftstätigkeit des Steuerpflichtigen zugeordnet sind und
zum Steuerabzug berechtigt haben, zu außerhalb dieser Tätigkeit liegenden Zwecken.
1 –
Originalsprache: Spanisch.
2 –
Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977, Sechste Richtlinie zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten
über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage.
3 –
Vgl. Urteile des Gerichtshofes vom 12. September 2000 in den Rechtssachen
C-358/97 (Kommission/Irland, Slg. 2000, I-6301,
Randnr. 51) und
C-359/97 (Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 2000, I-6355, Randnr. 63), vom 4. Oktober 2001 in der Rechtssache
C-326/99 („Goed Wonen“, Slg. 2001, I-6831, Randnr. 47), vom 16. Januar 2003 in der Rechtssache
C-315/00 (Maierhofer, Slg.
2003, I-563, Randnr. 25), vom 8. Mai 2003 in der Rechtssache
C-269/00 (Seeling, Slg. 2003, I-4101, Randnr. 46) und vom 12.
Juni 2003 in der Rechtssache
C-275/01 (Sinclair Collis, Slg. 2003, I-5965, Randnr. 22). Dieses Problem ergab sich durch die
elfte Begründungserwägung der Sechsten Richtlinie, wonach die gemeinsame Liste der Steuerbefreiungen dazu dienen soll, eine
gleichmäßige Erhebung der Steuer in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten. In den Schlussanträgen in der Rechtssache „Goed
Wonen“ ging Generalanwalt Jacobs von der offensichtlichen Unmöglichkeit aus, diese Rechtsfigur einheitlich zu bestimmen, und
hielt daher eine funktionale Definition auf der Grundlage des Wortlauts und der Struktur der Richtlinie für angebracht.
4 –
Urteile Kommission/Irland (Randnr. 54), Kommission/Vereinigtes Königreich (Randnr. 66), und „Goed Wonen“ (Randnr. 49).
5 –
Urteil vom 9. Oktober 2001 in der Rechtssache
C-409/98 (Mirror Group, Slg. 2001, I-7175, Randnr. 31). Vgl. auch Urteile Seeling
(Randnr. 49) und Sinclair Collis (Randnr. 25).
6 –
Das Gesetzbuch wurde mit dem Gesetz vom 3. Juli 1969 erlassen (
Moniteur belge vom 17. Juli 1969).
7 –
Im Urteil vom 14. Februar 1980 in der Rechtssache 53/79 (Damián, Slg. 1980, 273, Randnr. 5) wies der Gerichtshof darauf hin,
dass er nicht zuständig sei, über die Zweckmäßigkeit der aufgeworfenen Frage zu befinden. Im Rahmen der in Artikel 177 des
Vertrages (jetzt Artikel 234 EG) vorgesehenen Zuständigkeitsverteilung sei es Aufgabe des innerstaatlichen Gerichts, das allein
über eine unmittelbare Kenntnis des Sachverhalts und des Parteivorbringens verfüge und in dessen Verantwortungsbereich die
zu erlassende Entscheidung falle, in voller Sachkenntnis die Erheblichkeit der in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit aufgeworfenen
Rechtsfragen und die Notwendigkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils zu beurteilen.
8 –
Urteile vom 16. Juni 1981 in der Rechtssache 126/80 (Salonia, Slg. 1981, 1563, Randnr. 6) und vom 28. November 1991 in der
Rechtssache
C-186/90 (Durighello, Slg. 1991, I-5773, Randnr. 9).
9 –
Im Urteil vom 22. November 1978 in der Rechtssache 93/78 (Mattheus, Slg. 1978, 2203) hat sich der Gerichtshof für nicht befugt
erklärt, Rechtsakte auszulegen, die von der Gemeinschaft noch nicht erlassen worden seien.
10 –
Urteile vom 19. Dezember 1968 in der Rechtssache 13/68 (Salgoil, Slg. 1968, 681, Randnr. 1) und vom 26. September 1985 in
der Rechtssache 166/84 (Thomasdünger, Slg. 1985, 3001, Randnr. 11).
11 –
Wortlaut und Bedeutung dieses Satzes sind in der spanischen Fassung der Sechsten Richtlinie völlig anders: „Los Estados miembros
podrán ampliar el ámbito de aplicación de esta exención a otros supuestos“. Andere Sprachfassungen entsprechen der deutschen
Fassung: „Les États membres ont la faculté de prévoir des exclusions supplémentaires au champ d’application de cette exonération“
(französisch); „Member States may apply further exclusions to the scope of this exemption“ (englisch); „Gli Stati membri possono
stabilire ulteriori esclusioni al campo di applicazione di tale esenzione“(italienisch).
12 –
Vgl. meine Ausführungen zur Rollenverteilung zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Richtern im Vorabentscheidungsverfahren
in Nr. 35 der Schlussanträge vom 11. Dezember 2003 in der Rechtssache
C-30/02 (Recheio), in der noch kein Urteil ergangen
ist.
13 –
Vgl. Urteil vom 18. Januar 2001 in der Rechtssache
C-150/99 (Stockholm Lindöpark, Slg. 2001, I-493, Randnr. 26).
14 –
Urteil vom 9. Oktober 2001 in der Rechtssache
C-108/99 (Cantor Fitzgerald International, Slg. 2001, I-7257, Randnr. 33).
15 –
Urteil Maierhofer, Randnr. 39.
16 –
Wie Generalanwalt Alber in den Schlussanträgen in der Rechtssache Kommission/Irland festgestellt hat, können mehrere Personen
die rechtliche Stellung des Mieters innehaben (Randnr. 65).
17 –
Die Kommission weist in ihren schriftlichen Erklärungen darauf hin, dass die am 1. Februar 1994 geschlossenen Vereinbarungen
jedem Mieter eine genau bezeichnete, allein von diesem genutzte Fläche übertrügen; der belgische Staat fügt hinzu, dass der
wesentliche Punkt zur Bestimmung des Mietzinses, die jeweils genutzte Fläche sei. In Rechtsbeziehungen wie denen des Ausgangsverfahrens
ist es, abgesehen von der gemeinsamen Nutzung der Gemeinschaftsflächen, ferner faktisch unmöglich, dass keine spezifizierte
Zuweisung von Gebäudeflächen erfolgt ist. Auf jeden Fall bilden die drei Gesellschaften eine Einheit gegenüber Dritten, die
von der Nutzung des Grundstücks ausgeschlossen sind.
18 –
Unabhängig von dem Recht, für eine Besteuerung zu optieren, das die Mitgliedstaaten den Steuerpflichtigen nach Artikel 13
Teil C einräumen können. In den Schlussanträgen in der Rechtssache
C-396/98, in der das Urteil vom 8. Juni 2000 (Schlossstrasse,
Slg. 2000, I-4279) ergangen ist, habe ich darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten nach dieser Bestimmung frei sind, nach
Maßgabe des jeweiligen wirtschaftlichen Kontextes zu entscheiden, ob es angebracht ist, dieses Recht einzuräumen, und gegebenenfalls,
unter welchen Voraussetzungen oder Beschränkungen (Nr. 20).
19 –
In diesem Sinne Urteil „Goed Wonen“ (Randnrn. 52 und 53). Generalanwalt Jacobs hat in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache
C-346/95, in der das Urteil vom 12. Februar 1998 (Blasi, Slg. 1998, I-481) ergangen ist, einige interessante Überlegungen
zur Behandlung von Grundstücken in der Sechsten Richtlinie angestellt (Nrn. 15 und 16). Bereits vor fast dreißig Jahren hat
Scholsem, J. C., in
La T.V.A. européenne face au phénomène immobilier, Université de Liège, Faculté de Droit, 1975, S. 123 ff., die mit der Besteuerung von Vermietungen verbundenen Probleme dargestellt.
20 –
Die schriftlichen Erklärungen des belgischen Staates und von Temco enthalten eine ausführliche Untersuchung dieser Merkmale,
die von der Cour d'Appel Brüssel, der die Sachentscheidung im vorliegenden Rechtsstreit obliegt, zu prüfen sein werden.
21 –
In Nummer 84 der Schlussanträge in der Rechtssache „Goed Wonen“ hat Generalanwalt Jacobs das Rechtsgeschäft, auf das sich
Artikel 13 Teil B Buchstabe b bezieht, definiert als Vertrag, „durch d[en] eine Partei der anderen das Recht einräumt, ein
bestimmtes Grundstück während der vereinbarten
(bestimmten oder unbestimmten) Dauer gegen Zahlung eines von der Dauer abhängigen Entgelts wie ein eigenes zu besitzen und … dessen Früchte zu ziehen.“
(Hervorhebung durch den Verfasser).
22 –
Im Fall des Ausgangsverfahrens wurden die Verträge am 1. Februar 1994 geschlossen und sind anscheinend weiterhin gültig.
23 –
In Fußnote 27 der Schlussanträge in der Rechtssache
C-63/92, in der das Urteil vom 15. Dezember 1993 (Lubbock Fine, Slg. 1993,
I-6665) ergangen ist, hat Generalanwalt Darmon bemerkt, eine „convention d'occupation précaire“ (jederzeit kündbare Nutzungsvereinbarung)
sei ein Mietvertrag im Sinne des Gemeinschaftsrechts auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer.
24 –
De Mendizábal Allende, R., in „La infracción tributaria y el delito fiscal“, veröffentlicht in
Actualidad Administrativa, Nr. 1 aus 1996, S. 1, erklärt, dass nichts älter sei als der Betrug, und berichtet zum Beleg dessen, er habe während einer
Reise durch Ägypten bei der Ankunft in Sakkara in einer Mastaba in der Nähe der Stufenpyramide des Djoser eine lebhafte Darstellung
des Betrugs und der Bestechung betrachten können. Auf einer Altarverzierung wird dort eine Gruppe von vier Bauern oder Händlern
von ebenso vielen Beamten des Pharao ausgepeitscht. „Säumige Steuerzahler werden von den Steuerkontrolleuren bestraft. Über
ihren Köpfen mahnt ein auf einer Zierleiste angebrachter Hieroglyphenschriftzug mit gewisser Zurückhaltung: ‚Sie zahlen dem
Pharao nicht, was sie ihm schulden, und bestechen stattdessen seine Beamten, damit diese sie nicht bestrafen.‘“
25 –
Der Gerichtshof hat den objektiven Charakter des in der Sechsten Richtlinie verwendeten Begriffes der Steuerhinterziehung
bejaht (Urteil vom 12. Juli 1988 in den verbundenen Rechtssachen 138/86 und 139/86, Direct Cosmetics, Slg. 1988, 3937, Randnrn.
21 bis 23).
26 –
Vgl. Urteile vom 26. Juni 1990 in der Rechtssache
C-185/89 (Velker International Oil Company, Slg. 1990, I-2561, Randnr. 19),
vom 5. Juni 1997 in der Rechtssache
C-2/95 (SDC, Slg. 1997, I-3017, Randnr. 20), vom 12. September 2000 in der Rechtssache
C-359/97 (Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 2000, I-6355, Randnr. 64) und vom 8. März 2001 in der Rechtssache
C-240/99
(Skandia, Slg. 2001, I-1951, Randnr. 32). Aus neuester Zeit drei Urteile vom 20. November 2003 in den Rechtssachen
C-8/01
(Assunrandør-Societetet, Randnr. 36),
C-212/01 (Margarete Unterpertinger, Randnr. 34) und
C-307/01 (Peter d'Ambrumenil, Randnr.
52, Slg. 2003, I-0000).
27 –
In Nr. 29 der Schlussanträge in der Rechtssache Seeling hebt Generalanwalt Jacobs diese Alternative ausdrücklich hervor.
28 –
Urteil vom 27. Juni 1989 in der Rechtssache 50/88 (Kühne, Slg. 1989, 1925, Randnr. 8).
29 –
Urteil vom 16. Oktober 1997 in der Rechtssache
C-258/95 (Fillibeck, Slg. 1997, I5577, Randnr. 25).
30 –
Vgl. Randnr. 42 des Urteils Seeling und die dort angeführten Urteile.
31 –
Der Gerichtshof hat Vermietungen von Grundstücken als solche Dienstleistungen angesehen; vgl. z. B. die Urteile Mirror Group
(Randnrn. 24 ff.) und Cantor Fitzgerald International (Randnrn. 17 ff.).
32 –
Im Urteil Seeling wurde festgestellt, dass die Artikel 6 Absatz 2 Unterabsatz 1 Buchstabe a und 13 Teil B Buchstabe b der
Sechsten Richtlinie nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen, wonach die Verwendung eines Teils eines insgesamt dem Unternehmen
zugeordneten Betriebsgebäudes für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen als eine steuerfreie Dienstleistung behandelt
wird, da diese Verwendung nicht als Vermietung oder Verpachtung angesehen werden kann.
33 –
In den bereits mehrfach zitierten Schlussanträgen in der Rechtssache Seeling bemerkte Generalanwalt Jacobs, „[w]enn der [Gemeinschaftsg]esetzgeber
… beabsichtigt hätte, dass Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe a in Verbindung mit Artikel 13 Teil B Buchstabe b zu sehen wäre, wäre
zu erwarten gewesen, dass Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe a eine ausdrückliche Verweisung auf Artikel 13 Teil B Buchstabe b enthielte:
Schließlich [würde] eine steuerpflichtige Lieferung zu einer befreiten“.
34 –
Urteile vom 15. Dezember 1993 in der Rechtssache
C-63/92 (Lubbock Fine, Slg. 1993, I-6665, Randnr. 13) und vom 3. Februar
2000 in der Rechtssache
C-12/98 (Amengual Far, Slg. 2000, I-527, Randnr. 10).
35 –
Im Urteil vom 13. Juli 1989 in der Rechtssache 173/88 (Skatteministeriet/Henriksen, Slg. 1989, 2763, Randnr. 21) hat der Gerichtshof
ausgeführt, dass die Mitgliedstaaten nach dem letzten Absatz des Artikels 13 Teil B Buchstabe b durch die Einführung weiterer
Ausnahmen den Geltungsbereich der Befreiung beschränken können, dass sie von der Steuerpflicht jedoch keine von der Befreiung
ausgeschlossen Umsätze ausnehmen können.