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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NIILO JÄÄSKINEN

vom 11. Februar 20101(1)

Rechtssache C-492/08

Europäische Kommission

gegen

Französische Republik

„Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem – Ermäßigter Mehrwertsteuersatz – Kategorien von Dienstleistungen im Sinne von Anhang III Nr. 15, auf die ein ermäßigter Steuersatz angewandt werden kann – Von Rechtsanwälten und diesen gleichgestellten Personen erbrachte Dienstleistungen, für die diese im Rahmen der Prozesskostenhilfe vom französischen Staat entschädigt werden“





I –    Einleitung

1.        Die Französische Republik wendet seit 1. April 1991 gemäß Art. 279 des Code général des impôts (Allgemeines Steuergesetzbuch) auf von Rechtsanwälten, Rechtsanwälten beim Conseil d’État (Frankreich) und bei der Cour de cassation (Frankreich) und „avoués“ (im Folgenden: Rechtsanwälte) erbrachte Dienstleistungen, für die diese im Rahmen der Prozesskostenhilfe ganz oder teilweise vom Staat entschädigt werden, einen auf 5,5 % ermäßigten Mehrwertsteuersatz an.

2.        Mit ihrer Klage beantragt die Kommission, festzustellen, dass die Französische Republik dadurch, dass sie einen solchen ermäßigten Steuersatz anwendet, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 96 und Art. 98 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuersystemrichtlinie) verstoßen hat.

3.        Zu ihrer Verteidigung bringt die Französische Republik vor, die von den Rechtsanwälten im Rahmen der Prozesskostenhilfe erbrachten Dienstleistungen fielen unter die „Erbringung von Dienstleistungen durch von den Mitgliedstaaten anerkannte gemeinnützige Einrichtungen für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit“ im Sinne von Anhang III Nr. 15 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie, so dass auf diese Dienstleistungen ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz angewandt werden könne.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Recht der Europäischen Union(2)

4.        Mit der Mehrwertsteuersystemrichtlinie sind die Bestimmungen der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie), die mehrfach erheblich geändert worden ist, aus Gründen der Klarheit und Wirtschaftlichkeit neu gefasst worden.

5.        Mit der am 1. Januar 2007 in Kraft getretenen Mehrwertsteuersystemrichtlinie sind die Bestimmungen der Sechsten Richtlinie mit Wirkung zum 1. Januar 2007 aufgehoben und ersetzt worden. Die Kontinuität zwischen den beiden Rechtsakten wird deutlich in Art. 411 Abs. 2 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie, insbesondere soweit diese Bestimmung auf die Entsprechungstabelle in Anhang XII verweist.

6.        Die Art. 96 ff. der Mehrwertsteuersystemrichtlinie entsprechen im Wesentlichen Art. 12 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie.

7.        Art. 96 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten wenden einen Mehrwertsteuer-Normalsatz an, den jeder Mitgliedstaat als Prozentsatz der Bemessungsgrundlage festsetzt und der für die Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen gleich ist.“

8.        Nach Art. 97 Abs. 1 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie muss der Normalsatz vom 1. Januar 2006 bis zum 31. Dezember 2010 mindestens 15 % betragen.

9.        In Art. 98 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie ist bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten können einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden.

(2)      Die ermäßigten Steuersätze sind nur auf die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen der in Anhang III genannten Kategorien anwendbar. ...“

10.      In dem mit „Verzeichnis der Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, auf die ermäßigte MWSt.-Sätze gemäß Art. 98 angewandt werden können“ überschriebenen Anhang III der Mehrwertsteuersystemrichtlinie ist unter Nr. 15 aufgeführt: „Lieferung von Gegenständen und Erbringung von Dienstleistungen durch von den Mitgliedstaaten anerkannte gemeinnützige Einrichtungen für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit, soweit sie nicht gemäß den Artikeln 132, 135 und 136 von der Steuer befreit sind“(3).

B –    Nationales Recht

11.      In Art. 279 des Code général des impôts in der durch Art. 32 Abs. 4 der Loi de finances pour 1991 (Steuergesetz für das Jahr 1991, Gesetz Nr. 90-1168 vom 29. Dezember 1990) geänderten Fassung ist mit Wirkung zum 1. April 1991 bestimmt(4):

„Die Mehrwertsteuer wird zu einem ermäßigten Satz von 5,50 % erhoben für:

f.      Dienstleistungen, für die die Rechtsanwälte, die Rechtsanwälte beim Conseil d’État und bei der Cour de cassation und die ‚avoués‘ im Rahmen der Prozesskostenhilfe ganz oder teilweise vom Staat entschädigt werden; …“(5)

III – Vorverfahren

12.      Da die Kommission der Meinung war, dass die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes gemäß Art. 279 Buchst. f des Code général des impôts auf die von Rechtsanwälten im Sinne der vorstehenden Nr. 1 im Rahmen der Prozesskostenhilfe erbrachten Dienstleistungen nicht mit den Bestimmungen von Art. 12 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Mehrwertsteuersystemrichtlinie in Verbindung mit deren Anhang H vereinbar sei, beschloss sie, ein Verfahren gemäß Art. 226 EG einzuleiten, und richtete am 10. April 2006 ein Mahnschreiben an die Französische Republik.

13.      Das Vorbringen der französischen Behörden in ihrer Antwort vom 12. Juni 2006 überzeugte die Kommission nicht; sie richtete an die französischen Behörden mit Schreiben vom 15. Dezember 2006 eine mit Gründen versehene Stellungnahme, in der sie diese aufforderte, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um der Stellungnahme binnen zwei Monaten nach ihrem Eingang nachzukommen.

14.      Mit Schreiben vom 13. Februar 2007 wies die Französische Republik den erhobenen Vorwurf zurück. Aufgrund der Feststellung, dass der Mitgliedstaat die ihm zur Last gelegte Vertragsverletzung nicht behoben habe, erhob die Kommission die vorliegende Vertragsverletzungsklage, gestützt auf Art. 96 und Art. 98 Abs. 2 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie, die Art. 12 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie seit dem 1. Januar 2007 ersetzen.

IV – Verfahren vor dem Gerichtshof

15.      Mit ihrer Klage beantragt die Kommission, festzustellen, dass die Französische Republik dadurch, dass sie auf von Rechtsanwälten erbrachte Dienstleistungen, für die diese vom Staat im Rahmen der Prozesskostenhilfe ganz oder teilweise entschädigt werden, einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anwendet, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 96 und Art. 98 Abs. 2 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie verstoßen hat. Sie macht geltend, diese Dienstleistungserbringer könnten nicht als „durch von den Mitgliedstaaten anerkannte gemeinnützige Einrichtungen für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit“ im Sinne dieser Richtlinie angesehen werden. Die Kommission beantragt ferner, der Französischen Republik die Kosten aufzuerlegen.

16.      Die Beklagte legt die betreffenden Bestimmungen anders aus und beantragt, die Klage abzuweisen und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

V –    Prüfung der Vertragsverletzung

17.      Es erscheint mir notwendig, zunächst auf den Grundrechtscharakter der Prozesskostenhilfe und auf deren Regelung in Frankreich einzugehen. Ich werde dann, bevor ich mich den fraglichen Bestimmungen zuwende, die wirtschaftlichen Aspekte des vorliegenden Falles beleuchten und die einschlägigen Auslegungsgrundsätze darlegen. Vorab ist aber noch eine Klarstellung hinsichtlich des zeitlichen Anwendungsbereichs dieser Bestimmungen geboten.

A –    Zeitlich anwendbare Vorschriften

18.      Zunächst ist – wie die Kommission, ohne dass die von ihr geäußerte Auffassung auf Widerspruch seitens der Französischen Republik gestoßen wäre, zu Recht geltend macht – klarzustellen, dass die Bestimmungen der Mehrwertsteuersystemrichtlinie anzuwenden sind, und nicht die Bestimmungen der Sechsten Richtlinie, da die Frist, die den französischen Behörden gesetzt worden ist, um der mit Gründen versehenen Stellungnahme nachzukommen, nach der mit Wirkung zum 1. Januar 2007 erfolgten Aufhebung der Sechsten Richtlinie abgelaufen ist.

B –    Prozesskostenhilfe als Bestandteil des Grundrechts auf Zugang zu den Gerichten

19.      Das Recht auf wirksamen Zugang zu den Gerichten, insbesondere dank der Behebung möglicher finanzieller Hindernisse für diesen Zugang, ist als Grundrecht anerkannt worden sowohl durch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten(6) (im Folgenden: EMRK) als auch durch den von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommenen Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte(7). Die Möglichkeit, unentgeltlich den Beistand eines von Amts wegen bestellten Rechtsanwalts zu erhalten, wird in diesen Übereinkommen ausdrücklich nur für angeklagte Personen gewährleistet, also im Rahmen von Strafprozessen.

20.      Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat dieses Recht aber auf Zivilverfahren ausgedehnt(8). In einem Urteil vom 9. Oktober 1979(9) hat er festgestellt, dass die Vertragsstaaten nach Art. 6 Abs. 1 EMRK nur dann verpflichtet sind, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn diese unerlässlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten, entweder, weil nach dem Gesetz die Vertretung durch einen Rechtsanwalt vorgeschrieben ist, oder wegen der Schwierigkeit des Verfahrens oder der Rechtssache.(10) Der Gerichtshof hat diese Bestimmung dahin ausgelegt, dass in ihr der Grundsatz niedergelegt ist, dass die Prozesskostenhilfe ein Mittel darstellt, das nützlich, aber nicht stets erforderlich ist, um die Wirksamkeit des Rechts auf Zugang zu den Gerichten zu gewährleisten und ein Verfahren zu einem „fairen Verfahren“ im Sinne dieser Bestimmung zu machen. Es handelt sich bei diesem Recht also nicht um ein absolutes Recht. Gewährt werden muss Prozesskostenhilfe nur, wenn die Garantie des wirksamen Zugangs zu den Gerichten beim Fehlen einer solchen Unterstützung nicht wirksam wäre.

21.      Ich habe den Eindruck, dass die Prozesskostenhilfe immer mehr als ein für die Gewährleistung der Wirksamkeit des Grundrechts auf Zugang zu den Gerichten und somit zum Recht überhaupt notwendiges soziales Element angesehen wird.

22.      Diese Entwicklung wird insbesondere an der Charta der Grundrechte der Europäischen Union(11) deutlich, deren Art. 47, der mit „Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht“ überschrieben ist, das Recht auf Prozesskostenhilfe vorsieht und regelt, und zwar vor jeder Art von Gericht. Nach dem letzten Absatz dieses Artikels „[wird] Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, ... Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten“. Es ist unverkennbar, dass dieser Text ganz im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte abgefasst worden ist.

23.      Auch die Richtlinie 2002/08/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen(12) nimmt ausdrücklich auf die EMRK und die Charta der Grundrechte der Europäischen Union Bezug.

24.      Mithin ist vorab festzustellen, dass das Ziel, Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, den Zugang zu den Gerichten und zum Recht überhaupt zu erleichtern, mit den Grundwerten des in der Union geltenden Rechtsschutzsystems in Einklang steht.

C –    Regelung der Prozesskostenhilfe in Frankreich

25.      Nach dem Gesetz Nr. 91-647 vom 10. Juli 1991 „relative à l’aide juridique“ (über die Prozesskostenhilfe)(13) können natürliche oder juristische Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen(14), Hilfe erhalten, um vor den Gerichten ihre Rechte geltend machen zu können.

26.      Der Prozesskostenhilfeempfänger ist sowohl von der Zahlung eines Vorschusses oder der Hinterlegung eines entsprechenden Betrags als auch von der Zahlung sämtlicher Kosten befreit, die durch das Verfahren entstehen, für das diese Hilfe bewilligt worden ist, und zwar in vollem Umfang oder zu einem Teil.

27.      Wird die Prozesskostenhilfe in vollem Umfang gewährt, übernimmt der Staat sämtliche Kosten des betreffenden Rechtssuchenden (Honorare der Rechtsanwälte und „avoués“, Gebühren der Gerichtsvollzieher, Vergütung der Notare, Kosten von Sachverständigengutachten usw.(15)). Die Vergütung der Rechtsanwälte – es handelt sich um eine Pauschale – richtet sich nach Sätzen, die auf einem aus einer Zahl von Werteinheiten gebildeten Basiskoeffizienten beruhen(16), der für die einzelnen Gerichtsverfahrensarten(17) festgelegt ist.

28.      Wird die Prozesskostenhilfe nicht in vollem Umfang gewährt, trägt der Staat die Vergütung der Organe der Rechtspflege nur zu einem Teil. Der vom Staat zu tragende Anteil wird nach einem Prozentsatz der in vollem Umfang gewährten Prozesskostenhilfe festgesetzt, der umgekehrt proportional zu den Mitteln des Empfängers der Hilfe ist(18). Der Rechtsanwalt kann also eine mehr oder weniger hohe weitere Vergütung beanspruchen. Die Höhe dieser weiteren Vergütung wird zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten frei ausgehandelt, aber unter Berücksichtigung von gesetzlich festgelegten, insbesondere finanziellen Gesichtspunkten Rechnung tragenden Kriterien(19). Diese Vereinbarung muss vor jedem Tätigwerden geschlossen werden, und zwar in schriftlicher Form; sie ist dem Präsidenten der Anwaltskammer zur Prüfung vorzulegen, andernfalls ist sie nichtig.

29.      In Frankreich gibt es keine öffentlichen Rechtshilfebüros, die die von den Rechtsanwälten erbrachten Dienstleistungen ergänzen, wie z. B. in Finnland(20) oder in einigen deutschen Bundesländern.

D –    Wirtschaftliche Aspekte der Rechtssache

30.      Bei der Mehrwertsteuer handelt es sich um eine allgemeine Verbrauchsteuer, die alle Gegenstände und Dienstleistungen betrifft, die in den Mitgliedstaaten der Union verbraucht oder genutzt werden. Bei den von den Rechtsanwälten oder den „avoués“ erbrachten Dienstleistungen ist der Mandant als Endverbraucher Nutzer der Dienstleistung und somit nach dem System der Mehrwertsteuer mit dieser Steuer belastetet. Im Rahmen der Prozesskostenhilfe wird diese wirtschaftliche Belastung entweder ganz oder zu einem Teil vom Staat getragen.

31.      Wird die Prozesskostenhilfe in vollem Umfang gewährt, hat die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für den Prozesskostenhilfeempfänger keine spürbaren Auswirkungen. Da seine Rechtsanwaltskosten in vollem Umfang übernommen werden, nimmt der Betroffene die zu Lasten der Staatskasse erfolgte Begünstigung, die die Ermäßigung des Mehrwertsteuersatzes darstellt, in keiner Weise wahr(21). In diesem Fall begrenzt die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes die unmittelbar für die Finanzierung der Prozesskostenhilfe verwendeten Haushaltsmittel, aber zugleich zahlt der Staat weniger Steuern an sich selbst.

32.      Hingegen muss derjenige, dem die Prozesskostenhilfe nur zu einem Teil gewährt wird, seinem Rechtsanwalt eine vereinbarte weitere Vergütung zahlen. Durch die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes kommt der Betreffende zwar in den Genuss einer steuerlichen Begünstigung, die die unmittelbare Unterstützung ergänzt, die er in Form der Prozesskostenhilfe erhält. Allerdings wird dieses für den Bürger günstige Ergebnis nur erreicht, wenn die weitere Vergütung auf den niedrigsten, für den Rechtsanwalt gerade noch hinnehmbaren Betrag (ohne Mehrwertsteuer) festgelegt wird. Wenn das Honorar hingegen auf den höchsten, von dem Mandanten gerade noch hinnehmbaren Betrag (mit Mehrwertsteuer) festgelegt wird, kommt die steuerliche Begünstigung dem Rechtsanwalt zugute. Zwischen diesen beiden Extremen wird der Unterschiedsbetrag zwischen dem ermäßigten und dem normalen Mehrwertsteuersatz zwischen den Parteien aufgeteilt. Eine Ermäßigung des Mehrwertsteuersatzes kommt also nicht stets dem Endverbraucher zugute(22).

33.      Rechtsvergleichend ist festzustellen, dass die Französische Republik nicht der einzige Mitgliedstaat der Europäischen Union ist, der sich dafür entschieden hat, für die von Rechtsanwälten im Rahmen der Prozesskostenhilfe erbrachten Dienstleistungen eine Sonderregelung anzuwenden. Aus einem von der Kommission erarbeiteten Dokument(23) geht nämlich hervor, dass auf diese Dienstleistungen nicht nur in Frankreich, sondern auch in Portugal ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz angewandt wird. In dem Dokument ist angegeben, dass in Portugal für „Dienstleistungen im Rahmen der gerichtlichen Hilfe oder der Bestimmung eines Anwalts von Amts wegen [,] Dienstleistungen betreffend das Recht der Personen und der Familie [und] Dienstleistungen betreffend das Arbeitsrecht“ ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz in Höhe von 5 % – statt 5,5 % in Frankreich – angewandt wird, während für die übrigen Dienstleistungen der Rechtsanwälte in Portugal ein Mehrwertsteuersatz von 20 % angewandt wird – gegenüber 19,6 % in Frankreich.

34.      An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, ob die Anwendung des normalen Mehrwertsteuersatzes den Zugang zu den Gerichten erschweren würde, wie die Französische Republik geltend macht.

35.      Die Kommission ist nicht dieser Auffassung; sie führt in ihrer Klageschrift aus, wenn der Staat das dem Rechtsuchenden in Rechnung gestellte Honorar in vollem Umfang übernehme, sei dieser von der Anwendung des normalen Mehrwertsteuersatzes nicht betroffen, worauf ich gerade hingewiesen habe. Zu negativen Auswirkungen komme es nur, wenn die Prozesskostenhilfe nur teilweise gewährt werde. Zudem könne die Französische Republik, wenn sie auf die von Rechtsanwälten im Rahmen der Prozesskostenhilfe erbrachten Dienstleistungen den normalen Mehrwertsteuersatz anwendete, höhere Steuereinnahmen erzielen, die insbesondere dafür verwendet werden könnten, die für die Gewährung der Prozesskostenhilfe verfügbaren Mittel aufzustocken. Die französische Regierung könnte so die von den Rechtsanwälten den Prozesskostenhilfeempfängern in Rechnung gestellten Beträge – einschließlich der Mehrwertsteuer – in voller Höhe übernehmen. Der Zugang zu den von den Rechtsanwälten erbrachten Dienstleistungen werde durch die Höhe der den Empfängern gewährten Prozesskostenhilfe und nicht durch den angewandten Mehrwertsteuersatz bestimmt.

36.      Die Kommission macht also geltend, dass die Anwendung des normalen Mehrwertsteuersatzes keine Auswirkungen auf die finanzielle Lage der Prozesskostenhilfeempfänger habe, wenn die Prozesskostenhilfe in vollem Umfang vom Staat getragen werde, und dass die französischen Behörden die Regelung, die Anwendung finde, wenn die Prozesskostenhilfe teilweise gewährt werde, ändern könnten, wenn ihnen daran gelegen sei, die betreffenden Rechtsuchenden finanziell zu unterstützen. Diese von der Kommission vorgenommene Analyse der wirtschaftlichen Auswirkungen der Bestimmungen von Art. 279 Buchst. f des Code général des impôts ist meines Erachtens zutreffend.

37.      Im Übrigen kommt der steuerlichen Neutralität und dem Fehlen von durch die Bestimmung verursachten Wettbewerbsverzerrungen, auf die sich die Französische Regierung beruft, für die Auslegung der in Anhang III Nr. 15 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie verwendeten Ausdrücke keine entscheidende Bedeutung zu. Insoweit ist festzustellen, dass der Gesichtspunkt der steuerlichen Neutralität einer Maßnahme nach dem System der Mehrwertsteuersystemrichtlinie und der Rechtsprechung des Gerichtshofs(24) eher als Argument herangezogen wird, um den Anwendungsbereich von Ausnahmen von der Regel einer Besteuerung zum normalen Steuersatz (Ausnahmen, Befreiungen) einzuschränken, denn als Argument dafür, diesen zu erweitern. Mitunter stützt der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liegende Grundsatz der steuerlichen Neutralität eine weniger strenge Auslegung der entsprechenden Begriffe(25). Im vorliegenden Fall scheint mir diese Überlegung aber nicht wesentlich zu sein, da das mit Art. 96 und Art. 98 Abs. 2 und Anhang III der Mehrwertsteuersystemrichtlinie verfolgte Ziel nicht so sehr darin besteht, Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern, als vielmehr darin, durch die Angleichung der Mehrwertsteuersätze und die Beschränkung der Umsätze, auf die ermäßigte Steuersätze angewandt werden können, eine schrittweise Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zu fördern.

E –    Allgemeine Erwägungen zur Auslegung von Anhang III Nr. 15 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie

1.               Zur Übertragung der zu den Mehrwertsteuerbefreiungen ergangenen Rechtsprechung

38.      Nach meinem Wissen liegt speziell zu der vorliegenden Frage noch keine Rechtsprechung vor. Der Gerichtshof hatte sich bislang soweit ersichtlich weder mit der Auslegung der in Anhang III Nr. 15 enthaltenen Begriffe zu befassen noch mit der Auslegung der diesen entsprechenden, vorher in Anhang H Kategorie 14 der Sechsten Richtlinie enthaltenen.

39.      Die Französische Republik vertritt allerdings die Auffassung, die Auslegung, wie sie der Gerichtshof dem entsprechenden Ausdruck „als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen“ im Sinne von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie, nunmehr Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Mehrwertsteuersystemrichtlinie, gegeben habe, sei zu übertragen. Zur Stützung dieser Auffassung bringt sie vor, dass Art. 98 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie auf Art. 132 verweise, und folgert daraus, die im Zusammenhang mit ermäßigten Mehrwertsteuersätzen und im Zusammenhang mit Befreiungen von der Mehrwertsteuer verwendeten Ausdrücke seien einheitlich auszulegen.

40.      In der Tat dürften die im Rahmen der zu den Mehrwertsteuerbefreiungen ergangenen Rechtsprechung aufgestellten Auslegungsgrundsätze passen und bei der Auslegung von Anhang III, der die ermäßigten Mehrwertsteuersätze betrifft, fruchtbar gemacht werden können(26). Meines Erachtens sind für dieselben Begriffe aus Gründen der Kohärenz dieselben Kriterien anzuwenden, zumal im vorliegenden Fall der betreffende Steuersatz (5,5 %) im Verhältnis zum normalen Steuersatz (19,6 %) so niedrig ist, dass die Auswirkungen dieser Mehrwertsteuerermäßigung denen einer Befreiung nahekommen.

2.               Zu den anzuwendenden Auslegungsmethoden

41.      Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs geht eindeutig hervor, dass die Bestimmungen über die Mehrwertsteuerbefreiungen im Licht und im Einklang mit den damit verfolgten Zielen auszulegen sind.(27) So hat der Gerichtshof festgestellt, dass Ziel einer Befreiung zugunsten bestimmter Dienstleistungen, die als dem Gemeinwohl dienend angesehen werden, die steuerliche Entlastung der Verbraucher ist.(28)

42.      Demselben teleologischen Ansatz ist bei den Bestimmungen über die ermäßigten Mehrwertsteuersätze zu folgen. Es ergibt sich aus dem Verzeichnis der Gegenstände und Dienstleistungen, auf die ermäßigte Mehrwertsteuersätze angewandt werden können, wie es in Anhang H der Sechsten Richtlinie und nunmehr im Anhang III der Mehrwertsteuersystemrichtlinie enthalten ist, dass der Gesetzgeber offenbar den Mitgliedstaaten die Möglichkeit geben wollte, bestimmte Kategorien von Tätigkeiten, die einem sozialen und/oder öffentlichen Zweck dienen, zu einem ermäßigten Satz zu besteuern.(29)

43.      Allerdings liegt Anhang III der Mehrwertsteuersystemrichtlinie wie vorher Anhang H der Sechsten Richtlinie von Beginn an kein logischer Ansatz zugrunde. Die verschiedenen in diesem Verzeichnis aufgeführten Kategorien bilden kein in sich stimmiges Ganzes(30). Sie sind offenbar das Ergebnis des Aufgreifens einer Reihe von ermäßigten Sätzen, die vorher in den Mitgliedstaaten galten. Die Zusammenstellung – ohne innere Logik – ergibt keinen richtigen Sinn und verschließt sich einer systematischen Auslegung. Mithin sind von einer Analyse der vorbereitenden Arbeiten kaum verwertbare Ergebnisse zu erwarten.(31)

3.               Zur mehr oder weniger weiten Auslegung der betreffenden Begriffe

44.      Die Kommission ist der Auffassung, die in Anhang III Nr. 15 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie enthaltenen Begriffe seien „strikt“, ja „eng“ auszulegen, da es sich um Ausnahmen vom Grundsatz der Anwendung des normalen Mehrwertsteuersatzes handele. Sie beruft sich insoweit auf das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-83/99, das den ermäßigten Mehrwertsteuersatz gemäß Anhang H Kategorie 5 der Sechsten Richtlinie betrifft.(32)

45.      An den Anwendungsbereich einer Vorschrift, die eine Ausnahme von einem allgemeinen Grundsatz – im vorliegenden Fall vom Grundsatz der Besteuerung – vorsieht, sind sicherlich strenge Maßstäbe anzulegen.(33) Das bedeutet aber nicht, dass eine enge Auslegung vorzunehmen wäre. So hat der Gerichtshof zu zulässigen Steuerbefreiungen für bestimmte dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten festgestellt, dass der Begriff „‚von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen‘ ... nicht besonders eng auszulegen ist“(34).

46.      Denn die Mehrwertsteuersystemrichtlinie darf nicht so eng ausgelegt werden, dass sie Lösungen ausschließt, die von bestimmten Mitgliedstaaten getroffen werden, um eine Tätigkeit zu regeln, die unter eine in diesem Rechtsakt ausdrücklich vorgesehene Sonderregelung fällt. Es sind die Unterschiede zu berücksichtigen, die zwischen den innerstaatlichen Praktiken in Bezug auf Dienstleistungen mit sozialem Charakter bestehen, und die praktische Wirksamkeit der betreffenden Ausnahmen darf nicht beeinträchtigt werden. Das ist meines Erachtens die Überlegung, die dem Urteil Kingscrest zugrunde liegt.(35) Sie lässt sich auch dem Urteil Horizon(36) und zwei Urteilen aus jüngster Zeit(37) entnehmen.

47.      Das in Anhang III der Mehrwertsteuersystemrichtlinie enthaltene Verzeichnis der Lieferungen und Dienstleistungen, auf die ermäßigte Steuersätze angewandt werden können, ist bewusst als abschließend und nicht als lediglich beispielhaft konzipiert worden. Diese Aufstellung ist nach Art. 98 grundsätzlich erschöpfend. Aber obwohl auch im Bereich der Steuerbefreiungen das Verzeichnis abschließend ist, sah sich der Gerichtshof dadurch in diesem Bereich nicht an einer weiten Auslegung gehindert.

48.      Meines Erachtens muss sich die Auslegung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie in erster Linie nach den steuerlichen und wirtschaftlichen Zielen der allgemeinen Regelung dieser Verbrauchssteuer richten, die im Übrigen zur Grundlage der Eigenmittel der Europäischen Union gehört. So gesehen lässt sich feststellen, dass der Umfang der wirtschaftlichen Tätigkeiten, denen eine Ausnahme zugute kommt, nicht durch eine großzügige Auslegung ausgeweitet werden darf.

4.               Zur Auslegung der verwendeten Begriffe

a)               Zu den zwischen den Sprachfassungen bestehenden Unterschieden

49.      Ein Vergleich zwischen den verschiedenen Sprachfassungen der Mehrwertsteuersystemrichtlinie ergibt, dass die in Anhang III Nr. 15 verwendeten Begriffe nicht genau mit den in der französischen Sprachfassung verwendeten Begriffen übereinstimmen.

50.      Der in der französischen Sprachfassung vorkommende Begriff „organismes“ findet nicht in allen Sprachfassungen eine genaue Entsprechung. Auf die Unterschiedlichkeit der für den Begriff der „Einrichtung“ verwendeten Ausdrücke und die daraus resultierenden Schwierigkeiten bei der Auslegung ist an anderer Stelle bereits mehrfach hingewiesen worden.(38) Meines Erachtens dürfte dieser Begriff im vorliegenden Fall keine Schwierigkeiten bereiten, da – wie ich noch ausführen werde – anerkannt ist, dass im Bereich der Mehrwertsteuer auch eine allein handelnde natürliche Person als Einrichtung angesehen werden kann. Dies kann auch für Rechtsanwälte gelten.

51.      Problematisch ist meines Erachtens eher der Begriff „à caractère social“. Denn in Bezug auf diese erste Gruppe von Tatbestandsmerkmalen von Anhang III Nr. 15 ist im Hinblick auf die verschiedenen Sprachfassungen dieses Rechtsakts Folgendes festzustellen:

–        In der deutschen Sprachfassung verweist der Ausdruck „gemeinnützig“ auf den Gedanken des Gemeinwohls;

–        in der dänischen Sprachfassung entspricht der Ausdruck „velgørende“ unmittelbar dem englischen Ausdruck „charitable“; dieser ist in der aktuellen englischen Sprachfassung allerdings durch den Begriff „wellbeing“ ersetzt worden, da der ursprünglich in der englischen Sprachfassung von Anhang H der Sechsten Richtlinie verwendete Ausdruck „charitable“ in der Rechtssache Kingscrest für zu eng befunden worden war.(39)

52.      Was die zweite Gruppe von Tatbestandsmerkmalen von Anhang III Nr. 15 angeht, ist festzustellen, dass die französische Sprachfassung die Vorstellung einer einzelnen Handlung („œuvre“, Werk) beinhaltet, die Fassungen in englischer, dänischer, italienischer, finnischer und schwedischer Sprache eher an eine Tätigkeit im Allgemeinen denken lassen, während sich die deutsche und die polnische Sprachfassung auf einen Bereich oder ein Feld beziehen, also auf noch neutralere Begriffe.

53.      Aus diesen Unterschieden zwischen den Sprachfassungen ergibt sich eine äußere Mehrdeutigkeit, die die innere Mehrdeutigkeit der in der französischen Sprachfassung von Anhang III Nr. 15 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie verwendeten Ausdrücke noch verstärkt(40).

54.      Weichen die verschiedenen Sprachfassungen ein und desselben Rechtsakts voneinander ab, darf nach ständiger Rechtsprechung, damit die einheitliche Anwendung des Rechts der Union gewährleistet ist, keine dieser Sprachfassung isoliert betrachtet werden und keine darf den anderen vorgezogen werden; vielmehr ist die fragliche Bestimmung in jeder Sprachfassung anhand der allgemeinen Systematik und des Zwecks der Regelung, zu der sie gehört, auszulegen.(41)

55.      Zudem setzt die Harmonisierung, die mit der Mehrwertsteuersystemrichtlinie vor allem erreicht werden soll, zwingend voraus, dass gleiche Sachverhalte gleich eingeordnet werden und derselben Regelung unterliegen. Es ist klar, dass es sich bei den Tatbestandsmerkmalen, die nach diesem Rechtsakt erfüllt sein müssen, damit ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz angewandt werden kann, um autonome Begriffe handelt(42) und dass sie somit eine eigenständige Definition auf der Ebene der Union erhalten müssen, und nicht unter dem Blickwinkel einer gegebenenfalls nach innerstaatlichem Recht bestehenden Qualifizierung betrachtet werden dürfen.

b)               Zur „gewöhnlichen Bedeutung der Begriffe“

56.      Nach Auffassung der Kommission sind die Bestimmungen des Art. 98 Abs. 2 und des Anhangs III der Mehrwertsteuersystemrichtlinie nach der gewöhnlichen Bedeutung der betreffenden Begriffe auszulegen.

57.      Diese Auffassung findet in der Tat eine Stütze in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu anderen Mehrwertsteuerermäßigungen, und zwar denjenigen gemäß Anhang H Kategorien 5 und 8 der Sechsten Richtlinie.(43)

58.      Man könnte sich deshalb durchaus fragen, ob Rechtsanwälte, wenn sie für Prozesskostenhilfeempfänger tätig werden, nach der gewöhnlichen Bedeutung der in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie verwendeten Ausdrücke als eine der in Anhang III Nr. 15 genannten Einrichtungen angesehen werden können.

59.      Allerdings erscheint es mir wegen der zwischen den verschiedenen Sprachfassungen bestehenden Unterschiede wenig sinnvoll, diesen Ansatz weiter zu verfolgen. Möglicherweise in der französischen Terminologie festzustellende Nuancen können angesichts der in den anderen Amtssprachen gewählten Lösungen nicht ohne Weiteres Geltung beanspruchen.

60.      Aus dieser Rechtsprechung ist in erster Linie der Schluss zu ziehen, dass von zwei möglichen Auslegungen der in Anhang III Nr. 15 verwendeten Ausdrücke im Zweifel die weiteste zu verwerfen und derjenigen der Vorzug zu geben ist, die der gewöhnlichen Bedeutung dieser Ausdrücke am Nächsten kommt.

F –    Reichweite der Bestimmungen von Anhang III Nr. 15 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie

1.               Zum kumulativen Charakter der Tatbestandsmerkmale der Vorschrift

61.      Nach Anhang III Nr. 15 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein, damit auf eine Dienstleistung – oder die Lieferung eines Gegenstands – gemäß dieser Bestimmung ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz angewandt werden kann: Zum einen müssen die betreffenden Dienstleistungserbringer eine bestimmte Eigenschaft haben, nämlich „von den Mitgliedstaaten anerkannte gemeinnützige Einrichtungen“ sein; zum anderen muss es sich bei den erbrachten Dienstleistungen um eine bestimmte Art von Dienstleistungen handeln, nämlich um solche „für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit“(44).

62.      Die beiden Parteien des Verfahrens sind sich offenbar darin einig, dass diese Tatbestandsmerkmale kumulativen Charakter haben. Dagegen vertreten sie unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der Reichweite der zur Definition der Tatbestandsmerkmale verwendeten Begriffe.

63.      Die Kommission meint, zum einen könnten im Rahmen der Prozesskostenhilfe tätige Rechtsanwälte nicht als Einrichtungen im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden, und zum anderen seien die von ihnen in diesem Zusammenhang erbrachten Dienstleistungen nicht solchen für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit gleichzustellen.

64.      Die Französische Republik hingegen macht geltend, Art. 279 Buchst. f des Code général des impôts stehe in Einklang mit den Art. 96 und 98 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie, da die Dienstleistungen, für die die Rechtsanwälte im Rahmen der Prozesskostenhilfe ganz oder teilweise vom Staat entschädigt würden, die beiden Tatbestandsmerkmale des Anhangs III Nr. 15 dieser Richtlinie erfüllten.

65.      Ich halte es für sinnvoll, die beiden Tatbestandsmerkmale bei meiner Stellungnahme zu diesen Punkten in umgekehrter Reihenfolge zu prüfen.

2.               Zum Tatbestandsmerkmal der Dienstleistungen „für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit“

a)               Vorbringen der Parteien

66.      Die Kommission vertritt die Auffassung, die im Rahmen der Prozesskostenhilfe tätigen Rechtsanwälte erbrächten keine Dienstleistungen „für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit“ im Sinne der streitigen Vorschrift. Die erbrachten Dienstleistungen bestünden in der Leistung von rechtlichem Beistand und entsprächen mithin genau denjenigen, die für Mandanten erbracht würden, denen keine staatliche finanzielle Hilfe zugutekomme. Dem Vorbringen der Französischen Republik, der Rechtsanwalt, der einem Prozesskostenhilfeempfänger Beistand leiste, erfülle nicht mehr eine Aufgabe der Beratung und der Vertretung, sondern eine solche der sozialen Hilfe, tritt die Kommission entgegen: Der Betroffene erwarte die Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen und nicht soziale Unterstützung. Dass die dem Rechtsanwalt im Rahmen der Prozesskostenhilfe gezahlte Vergütung gemeinhin als unzureichend angesehen werde, ändere nichts an der Natur der von ihm erbrachten Dienstleistungen; der Rechtsanwalt habe alle mit seiner beruflichen Tätigkeit verbundenen Vermögensnachteile hinzunehmen. Außerdem unterlägen die Rechtsanwälte auch außerhalb der Prozesskostenhilfe verschiedenen Zwängen berufsrechtlicher Natur. Und schließlich könnten bei der Mehrwertsteuer, einer allgemeinen Verbrauchssteuer, nicht je nach den Einkünften der jeweiligen Empfänger der Waren oder Dienstleistungen verschiedene Steuersätze angewandt werden.

67.      Die Französische Republik macht geltend, ihrem Inhalt und ihrer Art nach gleiche Tätigkeiten seien je nach der Höhe der Einkünfte ihrer Empfänger als Dienstleistungen für wohltätige Zwecke anzusehen oder nicht. Dies werde an folgendem Beispiel deutlich: Die Zubereitung von Mahlzeiten könne eine Dienstleistung für wohltätige Zwecke darstellen, wenn sie für mittellose Personen erfolge, während dieselbe Tätigkeit keine solche Dienstleistung für wohltätige Zwecke darstelle, wenn sie für Kunden erfolge, die nicht mittellos seien. So sei bei einem Rechtsanwalt wie in dem Beispiel aus der Gastronomie zwischen seiner Tätigkeit für einen Prozesskostenhilfeempfänger und der von ihm im Rahmen seiner herkömmlichen Aufgabe ausgeübten Tätigkeit für zahlungskräftige Mandanten zu unterscheiden. Zwar seien die erbrachten Dienstleistungen in beiden Fällen identisch; der soziale Zweck und die geringen Einkünfte des Empfängers verliehen den im Rahmen der Prozesskostenhilfe erbrachten Dienstleistungen des Rechtsanwalts aber zusammen genommen den Charakter einer Dienstleistung für wohltätige Zwecke.

68.      Die Französische Republik schlägt ein Bündel von vier Indizien vor, um zu bestimmen, ob eine Einrichtung Dienstleistungen für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit erbringe, nämlich: 1. Verfolgung eines sozialen Zwecks zugunsten sozial Schwacher; 2. Verwirklichung der nationalen Solidarität durch eine Umverteilungsfinanzierung; 3. Fehlen der Absicht, mit den erbrachten Dienstleistungen Gewinn zu erzielen; 4. besondere Zwänge, denen der Dienstleistungserbringer unterliegt. Die von den Rechtsanwälten geleistete Prozesskostenhilfe erfülle alle diese Merkmale. Die Französische Republik stellt klar, dass sie – entgegen dem Verständnis der Kommission – nicht geltend mache, dass eines dieser Indizien für sich genommen für den Nachweis genüge, dass die Rechtsanwälte Dienstleistungen für wohltätige Zwecke erbrächten.

b)               Prüfung

69.      Das Wort „sozial“ ist ein unbestimmter Begriff. Er enthält zumindest zwei Bedeutungsmomente, auf die es im vorliegenden Fall ankommt. Einer dieser beiden Aspekte betrifft den Bereich der zwischenmenschlichen Interaktionen, Beziehungen und Einrichtungen, die auf der Verletzlichkeit des Individuums und dessen Bedürfnis nach Hilfe und Schutz beruhen, die durch verschiedene Gemeinschaften der Gesellschaften gegen die Wechselfälle des Lebens gewährt werden. Diese Dimension des Sozialen spiegelt sich in den Einrichtungen wider, die gemeinhin als typischerweise dem Bereich des sozialen Phänomens zugeordnet werden wie wirtschaftliche Unterstützung Bedürftiger, Kinder- und Jugendhilfe, Pflegeeinrichtungen speziell für Kranke, Behinderte oder Personen, die von psychotropen Stoffen abhängig sind. Der andere Aspekt des Sozialen betrifft die Solidarität oder den kollektiven Altruismus, der erforderlich ist, damit die Bedürfnisse aller gerecht befriedigt werden können.

70.      Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Mehrwertsteuer selbst wird deutlich, wie komplex die Wechselwirkungen zwischen diesen beiden Aspekten oder Dimensionen des Sozialen sind. So hat der Gerichtshof etwa festgestellt, dass eine private Organisation, die Kinder- und Jugendheime betreibt, trotz ihrer Gewinnerzielungsabsicht als Einrichtung mit „sozialem Charakter“ angesehen werden könne; die besonderen Umstände dieses Falles machten eine solche Entscheidung möglich.(45) Ferner hat der Gerichtshof im Urteil Kügler(46) festgestellt, dass „Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung, die körperlich oder wirtschaftlich hilfsbedürftigen Personen ... von einem ambulanten Pflegedienst erbracht werden, grundsätzlich mit der sozialen Hilfe verbunden sind“.

71.      Im vorliegenden Fall ersetzt die vom Rechtsanwalt im Rahmen der Prozesskostenhilfe erfüllte Aufgabe meines Erachtens nicht seine gewöhnliche Aufgabe der Beratung und Vertretung, sondern ergänzt sie. Durch die Mitwirkung bei der Prozesskostenhilfe erhält die herkömmliche Aufgabe des Rechtsanwalts gewissermaßen eine soziale Färbung.

72.      Das Merkmal, auf das die Kommission in erster Linie abstellt, nämlich die Art der Dienstleistung, die im Rahmen der Prozesskostenhilfe und im Rahmen der herkömmlichen Tätigkeiten der Rechtsanwälte gewiss gleich ist, genügt meines Erachtens für sich genommen nicht, um einer Tätigkeit sozialen Charakter zu verleihen oder ihr diese Eigenschaft abzusprechen. Ich verweise insoweit auf die oben angeführten Feststellungen des Gerichtshofs im Urteil Kügler.(47)

73.      Die Gefahr, dass – wie die Kommission geltend macht – am Ende auf sämtliche Dienstleistungen, mit denen Bedürftige unterstützt werden, ein ermäßigter Steuersatz angewandt wird, besteht meines Erachtens nicht. Sie bestünde, wenn nur auf die Empfänger der Dienstleistung abgestellt würde. Die Französische Republik schlägt aber einen Ausgleich durch andere Merkmale vor, und zwar durch das von ihr dargelegte Bündel von vier Indizien.

74.      Was die von der Französische Republik angeführte geringe Höhe der Vergütung der Rechtsanwälte angeht, ist allerdings zu bedenken, dass die Honorare eines Rechtsanwalts von seinen persönlichen Vorstellungen von der aus seiner Sicht gerade noch hinnehmbaren Höhe der Vergütung abhängen. Offenbar gibt es in Frankreich aber eine Gruppe von Rechtsanwälten, die die Höhe der Einnahmen aus der Prozesskostenhilfe für ausreichend erachtet, da entsprechende Aufträge offensichtlich in den Händen dieser Kategorie von Rechtsanwälten konzentriert sind(48).

75.      Meines Erachtens kommt es entscheidend auf den Zusammenhang an, in dem die Dienstleistungen eines Rechtsanwalts erbracht werden. Es gibt – und zwar in verschiedenen Mitgliedstaaten – zahlreiche Beispiele dafür, dass Rechtsdienstleistungen, einschließlich der Aufgaben der Beratung und der Vertretung vor den Gerichten, unter Umständen erbracht werden können, die ihnen einen sozialen Charakter verleihen. Das gilt zum Beispiel für die Hilfe, die geleistet wird von den öffentlichen Rechtshilfebüros, von den verschiedenen privaten Organisationen und auch von Rechtsanwälten, die pro bono für Bedürftige, Opfer von Straftaten und Asylbewerber tätig sind.

76.      Die fragliche französische Regelung wird auf nationaler Ebene üblicherweise mit dem durch die Situation der Empfänger der Prozesskostenhilfe bedingten sozialen Charakter gerechtfertigt.(49)

77.      Meines Erachtens kann die Prozesskostenhilfe in der Tat ohne große Schwierigkeiten als Dienstleistung „für wohltätige Zwecke“ angesehen werden; denn da sie auf der sozialen Solidarität beruht, kann sie als Maßnahme der Sozialpolitik eingestuft werden(50).

78.      Hingegen sind im Hinblick auf die erste Gruppe von Tatbestandsmerkmalen des Anhangs III Nr. 15 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie ernste Zweifel berechtigt.

3.               Zum Tatbestandsmerkmal „von den Mitgliedstaaten anerkannte gemeinnützige Einrichtungen“

a)               Vorbringen der Parteien

79.      Die Kommission vertritt die Auffassung, die Dienstleistungserbringer müssten eine bestimmte Eigenschaft aufweisen, sich also durch ein festes Merkmal auszeichnen. Nach der Mehrwertsteuersystemrichtlinie sei eine gewisse Beständigkeit der Beziehung zwischen dem Mitgliedstaat und dem Steuerpflichtigen, auf dessen Dienstleistungen der ermäßigte Steuersatz angewandt wird, erforderlich. In Frankreich setze die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf bestimmte Dienstleistungen der Rechtsanwälte nicht voraus, dass der Erbringer dieser Dienstleistungen eine feste Eigenschaft habe, sondern lediglich dass diese Dienstleistungen – gelegentlich – im Rahmen der Prozesskostenhilfe erbracht würden. Es wäre gefährlich, der von der Französischen Republik vorgeschlagenen Auslegung zu folgen, da dies darauf hinausliefe, die in Nr. 15 vorgesehene Ausnahme, wenn nur die betreffenden Dienstleistungen ganz oder teilweise vom Staat vergütet würden, auf jeden beliebigen Steuerpflichtigen anzuwenden, und nicht ausschließlich auf Dienstleistungserbringer, die einen privilegierten Status innehätten, der ihnen vom Staat wegen ihres sozialen Charakters eingeräumt worden sei.

80.      Die französischen Behörden weisen die Argumente der Kommission Punkt für Punkt zurück. Was die Dauerhaftigkeit der Bindung zwischen dem Staat und den Rechtsanwälten angeht, macht die Französische Republik geltend, dass dieses Merkmal, wenn es überhaupt maßgeblich sein sollte, dadurch erfüllt sei, dass die betreffenden Dienstleistungen Gegenstand von Art. 279 Buchst. f des Code général des impôts seien. Ferner seien zwar nicht alle Rechtsanwälte regelmäßig im Rahmen der Prozesskostenhilfe tätig, doch könne jeder von ihnen jederzeit vom vorsitzenden Richter oder dem Präsidenten der Rechtsanwaltskammer bestellt werden und müsse dieser Bestellung Folge leisten.

81.      Zudem habe der Gerichtshof wegen des Fehlens einer Definition in der Sechsten Richtlinie festgestellt, das es grundsätzlich Sache des innerstaatlichen Rechts jedes Mitgliedstaats sei, die Regeln aufzustellen, nach denen die Anerkennung eines sozialen Charakters gewährt werden könne, wobei die Rechtsprechung den nationalen Behörden für die Bestimmung der Einrichtungen mit sozialem Charakter folgende Hinweise gegeben habe(51): 1. Bestehen spezifischer Vorschriften; 2. mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundenes Gemeinwohlinteresse; 3. die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kämen(52), sowie 4. der Umstand, dass die Kosten der fraglichen Leistungen unter Umständen zum großen Teil von Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen würden. Die Bestimmungen des Art. 279 Buchst. f des Code général d’impôts erfüllten alle diese Merkmale.

b)               Prüfung

82.      Im Hinblick auf die Bestimmungen von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie, die „Befreiungen bestimmter dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten“ vorsehen, die den in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Mehrwertsteuersystemrichtlinie genannten entsprechen, hat sich der Gerichtshof bereits zur Auslegung des Begriffs „von den Mitgliedstaaten anerkannte gemeinnützigen Einrichtungen“ geäußert. Die in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie und ihren Anhängen(53) an verschiedenen Stellen vorkommenden Begriffe „Einrichtungen“ und „sozialen Charakters“ sind aber einheitlich auszulegen und nicht je nach Kontext unterschiedlich.

83.      Aus den zu den Mehrwertsteuerbefreiungen ergangenen Urteilen geht hervor, dass der Begriff „anerkannte gemeinnützige Einrichtung“ weit genug ist, um auch private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht zu erfassen, ja sogar eine natürliche Person allein, die in einem wirtschaftlichen Zusammenhang tätig ist, insbesondere im Hinblick auf das verfolgte Ziel, die Kosten für bestimmte im sozialen Sektor erbrachte Leistungen, die dem Gemeinwohl dienen, zu senken und dadurch diese Leistungen dem Einzelnen, der sie in Anspruch nehmen könnte, zugänglicher zu machen(54).

84.      Dieser weite Ansatz, den der Gerichtshof bei den Mehrwertsteuerbefreiungen gewählt hat, gilt erst recht für Mehrwertsteuerermäßigungen. Danach können die Rechtsanwälte unter die Kategorie der in den Anwendungsbereich des Anhangs III Nr. 15 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie fallenden Einrichtungen gefasst werden. Der Begriff „Einrichtung“ lässt zwar an eine abgegrenzte Einheit denken, die eine bestimmte Funktion erfüllt.(55) Aber es ist unstreitig, dass sich dieser autonome Begriff des Unionsrechts auf eine oder mehrere natürliche Personen beziehen kann, die ein Unternehmen betreiben, und nicht lediglich auf juristische Personen. Im vorliegenden Fall sind die der Mehrwertsteuerregelung unterworfenen Steuerpflichtigen jeweils die einzelnen Rechtsanwälte, die im Rahmen der Prozesskostenhilfe tätig sind. Es kommt deshalb nicht darauf an, welcher Einrichtung – Rechtsanwaltskammer oder Vorstand der Rechtsanwaltskammer – diese Rechtsanwälte angehören; insbesondere ist es ohne Belang, dass die Bestellung und die Vergütung für die Ausübung dieser Tätigkeit zentralisiert erfolgen.

85.      Mithin fallen die im Rahmen der Prozesskostenhilfe tätigen Rechtsanwälte ohne jeden Zweifel unter den Begriff „Einrichtung“. Im Übrigen ist dieser Punkt nicht Hauptgegenstand des Streits, da sich beide Parteien insoweit auf die extensive Rechtsprechung des Gerichtshofs berufen. Die Kommission räumt dies ein, indem sie darauf hinweist, dass es lediglich um den „sozialen Charakter“ der die Dienstleistung erbringenden Einrichtung gehe.

86.      Hinsichtlich dieses letzten Merkmals gehen die Meinungen der Parteien weit auseinander. Denn wie vorher die Sechste Richtlinie legt auch die Mehrwertsteuersystemrichtlinie die Voraussetzungen und Modalitäten einer Anerkennung des sozialen Charakters der Einrichtungen im Sinne von Anhang III Nr. 15 nicht fest. In der französischen Sprachfassung wird durch diesen Ausdruck von Anhang III der Mehrwertsteuersystemrichtlinie die entsprechende Bestimmung der Sechsten Richtlinie unverändert aufgegriffen. Hingegen hat sich in der englischen Sprachfassung – worauf ich bereits hingewiesen habe – die Formulierung im Verhältnis zum früheren Text geändert.(56)

87.      Das Erfordernis der Beständigkeit, wie es von der Kommission aufgestellt wird, ergibt sich meines Erachtens ausdrücklich weder aus dem Wortlaut der Mehrwertsteuersystemrichtlinie noch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs. Aber ist Beständigkeit vielleicht implizit erforderlich?

88.      Meines Erachtens ist eine gewisse Stabilität in den sozialen Tätigkeiten erforderlich, wenn nicht sogar Dauerhaftigkeit. Beständigkeit ist aber insoweit relativ, als das zeitliche Kriterium nicht absolut ist. Meines Erachtens muss die Tätigkeit des Erbringers der Dienstleistungen zu einem überwiegenden Teil, wenn nicht sogar nahezu ausschließlich, sozialen Charakter haben. Ein bloßer sozialer Aspekt genügt nicht. Die von der Französischen Republik vertretene „funktionelle“ Auslegung ist weder mit dem Wortlaut der Mehrwertsteuersystemrichtlinie noch mit deren Zielen vereinbar. Dieser Ansatz führt zu dem seltsamen Ergebnis, dass eine Einrichtung zwei Gesichter haben kann, nämlich dass sie, wenn sie Tätigkeiten sozialer Art ausübt, als Einrichtung mit sozialem Charakter angesehen werden kann, sonst aber als Einrichtung ohne einen solchen Charakter. Eine solche Auslegung scheint zu einer Verschmelzung der beiden Tatbestandsmerkmale zu führen, wenn sich der soziale Charakter allein aus Dienstleistungen für wohltätige Zwecke ergeben soll. Dann hätte es genügt, in Anhang III zu bestimmen, dass ein ermäßigter Steuersatz angewandt werden kann, wenn die Erbringer der Dienstleistungen eine soziale Tätigkeit ausüben.

89.      Aber das ist nicht der Ansatz, dem der Gesetzgeber gefolgt ist. Eine Doppelnatur kann nicht zugelassen werden, da diese Möglichkeit nach der Mehrwertsteuersystemrichtlinie nicht gegeben ist – im Gegensatz zu der darin für Einrichtungen des öffentlichen Rechts ausdrücklich vorgesehenen Möglichkeit des Wechsels. Meines Erachtens ist entscheidend der Bereich, in dem die Tätigkeit erfolgt, und nicht die Zielrichtung der Einrichtung. Es ist auf die Wirtschaftsteilnehmer abzustellen und auf das was sie tun, nicht auf die Ziele, die sie verfolgen.

90.      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs verfügen die nationalen Behörden in Bezug auf die Anerkennung einer Einrichtung als Einrichtung mit sozialem Charakter über ein Ermessen, das sie entsprechend dem Unionsrecht ausüben müssen.(57) Nach dieser Rechtsprechung richtet sich das Verfahren der Zuerkennung eines sozialen Charakters aber nicht allein nach innerstaatlichen Regeln. Zwar ist es Sache der Behörden der Mitgliedstaaten, diese Eigenschaft zuzuerkennen, aber unter der Kontrolle der nationalen Gerichte, die ihrerseits die Anforderungen des Unionsrechts und die vom Gerichtshof in seinen Urteilen aufgestellten, nicht abschließenden Kriterien zu berücksichtigen haben.(58)

91.      Bei den von einem Rechtsanwalt im Rahmen der Prozesskostenhilfe ausgeübten Tätigkeiten im Sinne des französischen Code général des impôts kann meines Erachtens nicht von einem „sozialen Charakter“ der betreffenden Einrichtung gesprochen werden, da sich dieser Begriff nach meinem Verständnis auf etwas bezieht, das eine gewisse Beständigkeit und ein gewisses Überwiegen im Hinblick auf die Natur der Tätigkeiten der Einrichtung aufweisen muss. Um die praktische Wirksamkeit der Mehrwertsteuersystemrichtlinie zu bewahren und den abschließenden Charakter von Anhang III beizubehalten, ist es erforderlich, die Bestimmungen von Nr. 15 dahin auszulegen, dass nicht nur die betreffende Tätigkeit, sondern auch die betreffende Einrichtung einen hinreichend ausgeprägten, wenn nicht sogar überwiegenden sozialen Charakter haben muss. Im Sinn der gewöhnlichen Bedeutung der verwendeten Begriffe ist dieses letzte Merkmal bei den Rechtsanwälten aber nicht erfüllt, da bei der Bestimmung, ob eine Einrichtung die nach der betreffenden Bestimmung erforderlichen Voraussetzungen erfüllt, meines Erachtens sämtliche Tätigkeiten der Einrichtung zu berücksichtigen sind.(59) Mangels eines nachgewiesenen doppelten „sozialen Charakters“ erfüllen die betreffenden Dienstleistungen nicht alle Voraussetzungen, an die nach der Richtlinie die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes geknüpft ist.

92.      Folglich bin ich der Auffassung, dass die Vertragsverletzungsklage insoweit begründet ist, als die von den Rechtsanwälten und den diesen gleichgestellten Personen erbrachten Dienstleistungen im Sinne von Art. 279 Buchs. f des Code général des impôts nicht unter die in Nr. 15 dieses Anhangs – der einzigen Bestimmung, auf die sich die Französische Republik zu ihrer Verteidigung beruft – genannte Kategorie fallen, nämlich die „Lieferung von Gegenständen und Erbringung von Dienstleistungen durch von den Mitgliedstaaten anerkannte gemeinnützige Einrichtungen für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit“, und auf sie deshalb kein ermäßigter Mehrwertsteuersatz angewandt werden kann(60).

VI – Kosten

93.      Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

94.      Die Kommission beantragt, der Französischen Republik die Kosten aufzuerlegen. Dem ist zu entsprechen, wenn der Vertragsverletzungsklage, wie ich vorschlage, stattgegeben wird.

VII – Ergebnis

95.      Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, wie folgt zu entscheiden:

1.      Die Französische Republik hat dadurch, dass sie auf von Rechtsanwälten, Rechtsanwälten beim Conseil d’État und bei der Cour de cassation und ‚avoués‘ erbrachte Dienstleistungen, für die diese im Rahmen der Prozesskostenhilfe vom Staat ganz oder teilweise entschädigt werden, einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anwendet, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 96 und Art. 98 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem verstoßen.

2.      Die Französische Republik trägt die Kosten.


1 – Originalsprache: Französisch.


2 – Da die mit Gründen versehene Stellungnahme, die die Kommission an die Französische Republik gerichtet hat, vom 15. Dezember 2006 datiert, werden die Bestimmungen des EG-Vertrags nach der Nummerierung vor dem Inkrafttreten des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union angeführt.


3 – Auch der durch die Richtlinie 92/77/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG (Annäherung der MWSt.-Sätze, ABl. L 316, S. 1) eingeführte Anhang H der Sechsten Richtlinie enthielt ein „Verzeichnis der Gegenstände und Dienstleistungen, auf die ermäßigte MWSt.-Sätze angewandt werden können“, und in diesem Verzeichnis waren unter der Kategorie 14 „Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen durch von den Mitgliedstaaten anerkannte gemeinnützige Einrichtungen für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit, soweit sie nicht nach Artikel 13 steuerbefreit sind“ aufgeführt.


4 – Diese Bestimmung, die vor dem Inkrafttreten der Sechsten Richtlinie noch nicht anwendbar war, fällt also nicht in den Anwendungsbereich der in dieser Richtlinie vorgesehenen Übergangsbestimmungen, insbesondere nicht der Bestimmungen von Art. 28 Abs. 2 dieser Richtlinie, auf die sich die Kommission in ihrer Klageschrift bezieht.


5 –      Art. 279 des Code général des impôts ist zuletzt durch Art. 22 des Gesetzes Nr. 2009-888 vom 22. Juli 2009 geändert worden; diese Änderungen betrafen aber nicht die Bestimmungen von Buchst. f.


6 – Art. 6 Abs. 3 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten.


7 – Art. 14 Abs. 3 Buchst. d (a. E.) des am 19. Dezember 1966 zur Unterzeichnung aufgelegten Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte.


8 – In seinem Urteil vom 21. Februar 1975, Golder/Vereinigtes Königreich (Serie A, Nr. 18, §§ 35 ff.) hat dieser Gerichtshof nämlich festgestellt: „Art. 6 Abs. 1 [EMRK] gewährt jedem das Recht darauf, dass ein Gericht über alle Streitigkeiten in Bezug auf seine zivilrechtlichen Rechte und Pflichten entscheidet. Er legt somit das ‚Recht auf ein Gericht‘ nieder, von dem das Recht auf den Zugang zu den Gerichten, nämlich das Recht, in Zivilsachen die Gerichte anzurufen, nur einen Gesichtspunkt darstellt.“


9 – Airey/Irland (Serie A, Nr. 32, § 26).


10 – Der Gerichtshof hat darauf hingewiesen, dass in diesem Fall das Fehlen der Prozesskostenhilfe den Bürger der Möglichkeit berauben könne, seine Rechte wirksam vor Gericht geltend zu machen, und zu einer Waffenungleichheit führen könne, die unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes des fairen Verfahrens untragbar sei. Vgl. u. a. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 15. Februar 2005, Steel und Morris/Vereinigtes Königreich (Reports of Judgements and Decisions 2005-II, Nr. 72).


11 – Die am 7. Dezember 2000 in Nizza proklamierte Charta (ABl. C 364, S. 1) ist in geänderter Fassung mit Unterzeichnung des Vertrags von Lissabon rechtlich verbindlich gemacht worden (ABl. 2007, C 303, S. 1).


12 – ABl. L 26, S. 41.


13 – In Art. 1 dieses Gesetzes ist zum einen bestimmt, dass mit dem Gesetz der Zugang zu den Gerichten und zum Recht gewährleistet werden soll, und zum anderen, dass die Rechtshilfe die Prozesskostenhilfe, die Hilfe beim Zugang zum Recht und die Hilfe bei der Bestellung eines Rechtsanwalts während der Untersuchungshaft und bei einer „médiation pénale“ (Mediation im Strafverfahren) und bei einer „composition pénale“ (Beendigung des Strafverfahrens durch einen Vergleich) umfasst.


14 – Für bestimmte, in den Art. 4 und 6, Art. 9-1 und 9-2 dieses Gesetzes genannte Kategorien von Personen wird die Hilfe unabhängig von deren Mitteln gewährt. Das gilt insbesondere für Minderjährige und die Opfer schwerer Verbrechen.


15 – Auf die Dienstleistungen dieser anderen Kategorien von Organen der Rechtspflege wird anders als bei denjenigen der Rechtsanwälte und der diesen gleichgestellten Personen kein ermäßigter Mehrwertsteuersatz gemäß Art. 279 des Code général des impôts angewandt.


16 – Vgl. Art. 27 Abs. 2 ff. des Gesetzes vom 10. Juli 1991 und Art. 90 ff. des Dekrets Nr. 91-1266 vom 19. Dezember 1991 zur Anwendung dieses Gesetzes. Der Beitrag des Staates zur Vergütung der Rechtsanwälte, die einem Empfänger von in vollem Umfang gewährter Prozesskostenhilfe Beistand leisten, ergibt sich aus dem Produkt des Betrags der im Steuergesetz festgelegten Werteinheit und des durch das Dekret festgelegten Koeffizienten.


17 – Es sind betroffen die Verwaltungs-, Zivil-, Straf- und Sozialgerichte des ersten und zweiten Rechtszugs sowie der Conseil d’État und die Cour de cassation.


18 – Die Sätze sind wie folgt gestaffelt: 85 %, 70 %, 55 %, 40 %, 25 % und 15 %.


19 – Nach Art. 35 Abs. 2 des Gesetzes vom 10. Juli 1991 bestimmen die Parteien „unter Berücksichtigung der Schwierigkeit der Angelegenheit, dem Arbeitsaufwand und den Kosten, wie sie durch die Art der Angelegenheit bedingt sind, den Betrag und die Modalitäten der Zahlung dieser weiteren Vergütung, zu Bedingungen, die mit den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Empfängers zu vereinbaren sind“. In Abs. 4 heißt es weiter: „Legt die Kammer, der der Rechtsanwalt angehört, eine Methode zur Bestimmung der Honorare fest, mit der den oben genannten Kriterien Rechnung getragen wird, wird der Betrag der weiteren Vergütung nach dieser Berechnungsmethode ermittelt.“


20 – Vgl. Urteil vom 29. Oktober 2009, Kommission/Finnland (C-246/08, Slg. 2009, I-0000, Randnrn. 5 ff.), und Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer in dieser Rechtssache (Nrn. 8 ff. und 28), die den Begriff der „wirtschaftlichen Tätigkeit“ im Sinne der Sechsten Richtlinie betraf.


21 – Da der Empfänger der in vollem Umfang gewährten Prozesskostenhilfe die Mehrwertsteuer nicht spürt und nicht sieht, handelt es sich um eine verschleierte steuerliche Begünstigung, wie R. du Luart in seinem für den französischen Sénat erstellten Bericht vom 9. Oktober 2007 festgestellt hat (Sénat [Frankreich], ordentliche Sitzungsperiode 2007/2008, Rapport d'information [Bericht] Nr. 23, auf der Website des Sénat zugänglich, S. 82).


22 – B. Terra, J. Kajus, „A Guide to the European VAT Directives“, Band 1: „Introduction to European VAT“, Amsterdam 2009, S. 298.


23 – Vgl. Dokument mit dem Titel: „Die Mehrwertsteuersätze in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft – Stand: 1. Juli 2009“, taxud.d.1(2009)307669 – DE, auf der Website der Kommission zugänglich, insbesondere S. 19 ff. Die Kommission weist darauf hin, dass das Dokument „auf Angaben der Mitgliedstaaten [beruht], die zum Teil noch nicht aktualisiert wurden“ und dass deshalb „[e]ine etwaige Haftung der Kommission für Richtigkeit oder Vollständigkeit oder die Billigung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten ... daraus nicht abgeleitet werden [kann].“


24 – A. Rosas, „Value Added Tax and Distortion of Competition“, in: H. Kanninen, N. Korjus und A. Rosas (Hrsg.), EU Competition Law in Context: Essays in Honour of Virpi Tiili, Oxford Portland 2009, S. 275 ff., insbesondere S. 277 bis 282 und 289.


25 – Urteil vom 7. September 1999, Gregg (C-216/97, Slg. 1999, I-4947, Randnr. 19), zur Auslegung der Sechsten Richtlinie.


26 – Allerdings ist zu beachten, dass die Mitgliedstaaten die Steuerbefreiungen gewähren müssen, die ermäßigten Steuersätze hingegen anwenden können.


27 – Vgl. u. a. Urteile vom 6. November 2003, Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie (C-45/01, Slg. 2003, I-12911, Randnr. 42), vom 26. Mai 2005, Kingscrest Associates und Montecello (C-498/03, Slg. 2005, I-4427, Randnr. 29), und vom 3. April 2008, Zweckverband zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung Torgau-Westelbien (C-442/05, Slg. 2008, I-1817, Randnr. 30).


28 – Vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache Horizon College (C-434/05, Urteil vom 14. Juni 2007, Slg. 2007, I-4793, Nrn. 23 und 30 ff.).


29 – Vgl. auch Schlussanträge von Generalanwalt Mazák in der Rechtssache Zweckverband zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung Torgau-Westelbien (Nr. 47) zu den Bestimmungen von Anhang H der Sechsten Richtlinie.


30 – Generalanwältin Sharpston weist in ihren Schussanträgen in der Rechtssache Horizon College [Nr. 64] darauf hin, dass die in den Anhängen der Sechsten Richtlinie erstellten Listen nicht systematischer Natur sind und dass deshalb Raum für Spekulationen über den Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers ist.


31 – Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Juni 2000, Epson Europe (C-375/98, Slg. 2000, S. I-4243, Randnr. 26 a. E.).


32 – Urteil vom 18. Januar 2001, Kommission/Spanien (C-83/99, Slg. 2001, I-445, Randnrn. 19 f.), in dem der Gerichtshof festgestellt hat, dass eine Bestimmung über die „Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks“ nicht auf die Maut für die Benutzung von Straßenanlagen anwendbar ist.


33 – Vgl. u. a. Urteil vom 15. Juni 1989, Stichting Uitvoering Financiële Acties (348/87, Slg. 1989, 1737, Randnr. 13).


34 – Urteil Kingscrest Associates und Montecello (Randnrn. 29 bis 32) zu der Auslegung von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie. Vgl. auch Urteile Gregg (Randnr. 17), vom 3. April 2003, Hoffmann (C-144/00, Slg. 2003, I-2921, Randnrn. 24 ff.), und Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie (Randnr. 48).


35 – Ebd.


36 – Nach dem Urteil Horizon College (Randnr. 16) „bedeutet diese Regel einer engen Auslegung nicht, dass die zur Umschreibung der in Art. 13 genannten Befreiungen verwendeten Begriffe so auszulegen sind, dass sie den Befreiungen ihre Wirkung nehmen“.


37  – Urteile vom 19. November 2009, Don Bosco Onroerend Goed (C-461/08, Slg. 2009, I-0000, Randnr. 25), und vom 28. Januar 2010, Eulitz (C-473/08, Slg. 2010, I-0000, Randnr. 27).


38 – Vgl. u. a. Schlussanträge von Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Compañía Española de Comercialización de Aceite (C-505/07, Urteil vom 1. Oktober 2009, Slg. 2009, I-0000, Nr. 45).


39 – Urteil Kingscrest Associates und Montecello (Randnrn. 21 ff.) und Schlussanträge des Generalsanwalts Ruiz-Jarabo Colomer in dieser Rechtssache (Nrn. 23 ff.).


40 – Vgl. die Mehrdeutigkeit der Anhänge D und H der Sechsten Richtlinie, die Generalanwalt Mazák in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Zweckverband zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung Torgau-Westelbien (Nr. 38) festgestellt hat.


41 – Vgl. u. a. Schlussanträge von Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Compañía Española de Comercialización de Aceite und die dort in Fn. 29 angeführte Rechtsprechung sowie jüngst Urteile vom 22. Oktober 2009, Zurita García und Choque Cabrera (C-261/08 und C-348/08, Slg. 2009, I-0000, Randnrn. 54 ff. und die dort angeführte Rechtsprechung), sowie Eulitz, Randnr. 22.


42 – Vgl. Rechtsprechung im Bereich der Mehrwertsteuerbefreiungen, insbesondere Urteil Kingscrest Associates und Montecello sowie die beiden in Randnr. 25 des Urteils Eulitz angeführten Urteile.


43 – Vgl. Urteile Kommission/Spanien (Randnrn. 18 ff.) und vom 23. Oktober 2003, Kommission/Deutschland (C-109/02, Slg. 2003, I-12691, Randnr. 23). In der ersten von diesen beiden Rechtssachen schlägt Generalanwalt Alber vor, eine enge Auslegung vorzunehmen und auf die Elemente abzustellen, die in dem fraglichen Begriff – dem des Transports – „überwiegen“.


44 – Vgl. zu den insbesondere hinsichtlich dieses zweiten Tatbestandsmerkmals zwischen den verschiedenen Sprachfassungen bestehenden Unterschieden oben, Nrn. 49 ff.


45 – Urteil Kingscrest Associates und Montecello (Randnrn. 29 bis 32).


46 – Urteil vom 10. September 2002, Ambulanter Pflegedienst Kügler (C-141/00, Slg. 2002, I-6833, Randnr. 44).


47 – Ebd.


48 – Vgl. Sénat (Frankreich), Rapport d’information vom 9. Oktober 2007 (oben in Fn. 21 angeführt), S. 64 f.: „Es ist sogar eine möglicherweise übermäßige Konzentration im Gange, da 9,4 % der Rechtsanwälte (4 492 Rechtsanwälte) 64 % der Prozesskostenhilfeaufträge erledigen ... Bei der öffentliche Hand könnte auch der Verdacht aufkommen, dass die Prozesskostenhilfe zur finanziellen Rentabilität bestimmter Kanzleien beiträgt. Nicht selten ist nämlich zu hören, dass bestimmte Kanzleien ‚ausschließlich von der Prozesskostenhilfe leben‘.“


49 – In einem Bericht für den französischen Senat vom 30. Juni 1999 weist D. Badré darauf hin, dass auf die von den Rechtsanwälten im Rahmen der Prozesskostenhilfe erbrachten Dienstleistungen ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz angewandt werde, da es sich dabei nach einer offiziellen Stellungnahme der Assemblée nationale um „Dienstleistungen mit einem ausgeprägten sozialen Charakter“ handele, wenn man berücksichtige, dass die Bewilligung der Prozesskostenhilfe von Voraussetzungen abhänge, die insbesondere mit den Einkünften des Empfängers zu tun hätten (Sénat, gewöhnliche Sitzungsperiode 1998/1999, Rapport d’information Nr. 74, auf der Website des Sénat zugänglich).


50 – So stellt das Mitglied des französischen Senats R. du Luart fest, dass die Prozesskostenhilfe „auf eine sowohl in der Wohltätigkeit als auch in der Pflicht zur Solidarität gegenüber den Bedürftigen begründete Praxis zurückgeht“ (Sénat, Rapport d’information vom 9. Oktober 2007 [oben in Fn. 21 angeführt]). Zum Vergleich: Die schwedische Behörde, die für die Prozesskostenhilfe zuständig ist (Rättshjälpsmyndigheten), definiert diese als Regelung zum sozialen Schutz, mit der denjenigen geholfen werden soll, die auf andere Weise keine Rechtshilfe erhalten können (http://www.rattshjalp.se/templates/DV_infoPage____3526.aspx).


51 – Vgl. u. a. Urteile Kügler (Randnrn. 54 ff.) sowie Kingscrest Associates und Montecello (Randnrn. 53 ff.).


52 – Auf die Notwendigkeit, den Grundsatz der steuerlichen Neutralität zu beachten, hat der Gerichtshof mehrfach hingewiesen, u. a. im Urteil Zweckverband zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung Torgau-Westelbien (Randnr. 42) zu den ermäßigten Mehrwertsteuersätzen.


53 – Vgl. Schlussanträge von Generalanwalt Mazák in der Rechtssache Zweckverband zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung Torgau-Westelbien (Nr. 40).


54 – Urteile Gregg (Randnrn. 17 f.), Kingscrest Associates und Montecello (Randnrn. 30, 35 und 43) und vom 9. Februar 2006, Stichting Kinderopvang Enschede (C-415/04, Slg. 2006, I-1385, Randnr. 23).


55 – Vgl. Urteil Gregg (Randnrn. 17 f.) und die Schlussanträge von Generalanwalt Cosmas in dieser Rechtssache (Nr. 27), der von einem „autonomen Wirtschaftsteilnehmer“ spricht, der von den diesen bildenden Personen zu unterscheiden sei.


56 – Der Ausdruck „charitable“ ist durch die Wendung „as being devoted to social wellbeing“ ersetzt worden, die der vom Gerichtshof im Urteil Kingscrest Associates und Montecello geäußerten Auffassung besser zu entsprechen scheint.


57 – Vgl. u. a. Urteile Kügler (Randnrn. 54 bis 56), Stichting Kinderopvang Enschede (Randnr. 23) sowie Kingscrest Associates und Montecello (Randnrn. 52 und 53).


58 – Vgl. außer den oben in Fn. 56 angeführten Urteilen auch Urteil vom 11. Oktober 2001, Adam (C-267/99, Slg. 2001, I-7467, Randnrn. 35 ff.), sowie Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache CopyGene (C-262/08, noch anhängig, Nrn. 73 ff.).


59 – Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. März 2002, Kennemer Golf & Country Club (C-174/00, Slg. 2002, I-3293, Randnrn. 21 f.), in dem es heißt, „dass bei der Beurteilung der Frage, ob es sich um eine Einrichtung ‚ohne Gewinnstreben‘ handelt, sämtliche Tätigkeiten dieser Einrichtung zu berücksichtigen sind“.


60 – Dies ist übrigens bereits 2007 – worauf die Kommission hinweist – von dem Mitglied des französischen Senats R. du Luart im Hinblick auf die Vorschriften der Sechsten Richtlinie in aller Klarheit festgestellt worden: „[D]ie Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft können einen oder zwei ermäßigte Steuersätze in Höhe von 5 % oder mehr anwenden, und zwar auf eine beschränkte Liste von Gegenständen und Dienstleistungen. Die Dienstleistungen der Rechtsanwälte sind in dieser Liste aber nicht aufgeführt. … Die nun notwendige und dringliche Reform des Systems der Prozesskostenhilfe sollte auch zum Anlass genommen werden, Frankreich mit den Regeln in Einklang zu bringen, die für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft gelten“ (Sénat, Rapport d’information vom 9. Oktober 2007, S. 83).