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SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 21. Dezember 2011(1)

Rechtssache C-498/10

X

(Vorabentscheidungsersuchen des Hoge Raad der Nederlanden)

„Freier Dienstleistungsverkehr – Verpflichtung des inländischen Dienstleistungsempfängers, vom Entgelt eine Quellensteuer einzubehalten, wenn der Dienstleistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist – Diskriminierung – Beschränkung – Rechtfertigungsgründe – Wirksame Erhebung und Eintreibung der Steuer – Richtlinie 76/308“





I –    Einleitung

1.        Die vorliegende Rechtssache wirft erneut die Frage auf, ob die Besteuerung gebietsfremder Dienstleister im Wege der Quellenbesteuerung, bei der der gebietsansässige Dienstleistungsempfänger die Steuer vom Entgelt abzuziehen und an die Steuerverwaltung abzuführen hat, mit dem freien Dienstleistungsverkehr vereinbar ist.

2.        Die Frage stellt sich vor dem Hintergrund von Freundschaftsspielen, die zwei britische Fußballvereine mit einem niederländischen Fußballverein auf dessen Einladung in den Niederlanden ausgetragen haben. Der niederländische Fußballverein hatte es versäumt, vom Entgelt, das er den britischen Vereinen für die Teilnahme an den Spielen gezahlt hatte, Quellensteuer einzubehalten, wozu er nach niederländischem Recht verpflichtet gewesen wäre. Die Steuerverwaltung verlangt nun von ihm, die Steuer nachzuzahlen. Der niederländische Verein ist jedoch der Meinung, die Quellenbesteuerung verstoße gegen den freien Dienstleistungsverkehr. Die Pflicht zur Einbehaltung von Quellensteuer gelte nämlich nur, wenn der eingeladene Fußballverein im Ausland ansässig sei. Ein inländischer Fußballverein hätte seine Steuerangelegenheiten dagegen selbst regeln müssen.

3.        Das Ersuchen um Vorabentscheidung, das der Hoge Raad der Nederlanden in diesem Zusammenhang an den Gerichtshof gerichtet hat, bietet dem Gerichtshof Gelegenheit, seine bisherige Rechtsprechung zur Quellenbesteuerung, wie sie sich insbesondere aus den Urteilen FKP Scorpio Konzertproduktionen(2) und Truck Center(3) ergibt, zu präzisieren. Dabei hat er auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass anders als in jenen Rechtssachen im hiesigen Fall unionsrechtliche Vollstreckungshilfeinstrumente für eine grenzüberschreitende Steuerbeitreibung zur Verfügung standen.

II – Rechtlicher Rahmen

4.        Der unionsrechtliche Rahmen dieser Rechtssache wird durch die Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr sowie die Vollstreckungshilfe-Richtlinie 76/308(4) in der Fassung der Richtlinie 2001/44(5) (im Folgenden: Richtlinie 76/308) definiert. Da es im Ausgangsrechtsstreit um die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Steuernacherhebungsbescheiden für die Steuerjahre 2002 und 2004 geht, ist bei der Beantwortung des Vorabentscheidungsersuchens noch auf die Vorschriften der Verträge in der Fassung des Vertrags von Amsterdam Bezug zu nehmen, insbesondere ist Art. 49 EG und nicht Art. 56 AEUV heranzuziehen. Daneben sind Vorschriften des niederländischen Lohnsteuergesetzes sowie eines Doppelbesteuerungsabkommens relevant.

A –    Innerstaatliches Recht

5.        Nach Art. 1 der Wet op de loonbelasting (Lohnsteuergesetz) 1964 (im Folgenden: Wet LB 1964) wird u. a. von „ausländischen Gesellschaften“ eine als Lohnsteuer bezeichnete direkte Steuer erhoben. Eine „ausländische Gesellschaft“ in diesem Sinne ist nach Art. 5b Abs. 1 der Wet LB 1964 in der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung eine Gruppe von hauptsächlich nicht in den Niederlanden wohnenden natürlichen Personen oder niedergelassenen juristischen Personen, wobei die Mitglieder der Gruppe einzeln oder gemeinsam aufgrund einer Vereinbarung für einen kurzen Zeitraum als Beruf eine Sportart in den Niederlanden ausüben.

6.        Nach Art. 8a Abs. 1 Buchst. a der Wet LB 1964 ist die Person, mit der der Auftritt oder die Sportausübung vereinbart wurde, sofern sie auch die Gage zahlt, verpflichtet, die Lohnsteuer einzubehalten. Diese beträgt nach Art. 35h Abs. 1 der Wet LB 1964 20 %.

7.        Wird die Sportausübung dagegen mit einer „inländischen Gesellschaft“ vereinbart, besteht für denjenigen, der die Gage zahlt, keine Pflicht zur Einbehaltung von Lohnsteuer an der Quelle. Eine solche Gesellschaft unterliegt nämlich für die erhaltene Gage, die einen Teil ihres Gewinns darstellt, der Körperschaftsteuer. Für die betroffenen Jahre 2002 und 2004 betrug der Körperschaftsteuersatz 34,5 %, wobei bis zu einem steuerpflichtigen Betrag von 22 689 Euro ein Prozentsatz von 29 % galt.

B –    Das Doppelbesteuerungsabkommen Niederlande-Vereinigtes Königreich

8.        Art. 17 Abs. 1 des zwischen dem Königreich der Niederlande und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland geschlossenen Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerhinterziehung im Bereich der Einkommen- und Vermögensteuer vom 7. November 1980 (im Folgenden: DBA) bestimmt zusammengefasst, dass Einkommen von Künstlern und Sportlern aufgrund deren persönlicher Tätigkeiten in den Niederlanden dort besteuert werden können. Nach Art. 17 Abs. 2 gilt das auch, wenn diese Einkommen nicht dem Künstler oder Sportler selbst, sondern einer anderen (juristischen) Person zustehen.

9.        Art. 22 des DBA sieht die Möglichkeit vor, die in den Niederlanden für die Gage einbehaltene Steuer auf die im Vereinigten Königreich für die Gage festgesetzte und zu zahlende Steuer anzurechnen.

III – Sachverhalt und Vorlagefragen

10.      X ist ein in den Niederlanden ansässiger Berufsfußballverein. Im Juli 2002 bzw. März 2004 vereinbarte X mit zwei im Vereinigten Königreich ansässigen Berufsfußballvereinen (im Folgenden: die britischen Vereine), ein Freundschaftsspiel auszutragen. Im Zusammenhang mit diesen Spielen, die im August 2002 bzw. August 2004 in den Niederlanden stattfanden, zahlte X an die britischen Vereine 133 000 bzw. 50 000 Euro. Die britischen Vereine gaben diese Gagen nicht an ihre Spieler weiter.

11.      Da X hinsichtlich dieser Gagen Lohnsteuer weder einbehalten noch abgeführt hatte, erhielt er von der niederländischen Steuerverwaltung Nacherhebungsbescheide über 26 050 bzw. 9 450 Euro (20 % der Gagen, nach Abzug bestimmter Kosten). Dagegen klagte X in erster Instanz mit Erfolg. In zweiter Instanz unterlag der Verein jedoch weitgehend und erhob daher Kassationsbeschwerden zum Hoge Raad der Nederlanden, mit denen er im Wesentlichen geltend macht, die fragliche niederländische Quellensteuer sei mit dem freien Dienstleistungsverkehr unvereinbar.

12.      Der Hoge Raad ersucht den Gerichtshof in diesem Zusammenhang um Vorabentscheidung über folgende Fragen:

1.      Ist Art. 56 AEUV so auszulegen, dass eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs vorliegt, wenn der Empfänger einer Dienstleistung, die von einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleister erbracht wird, aufgrund der Gesetzgebung des Mitgliedstaats, in dem der Dienstleistungsempfänger ansässig ist und in dem die Dienstleistung erbracht wird, verpflichtet ist, Steuern auf das für diese Dienstleistung geschuldete Entgelt einzubehalten, während diese Einbehaltungspflicht nicht besteht, wenn ein Dienstleister betroffen ist, der in demselben Mitgliedstaat wie der Empfänger der Dienstleistung ansässig ist?

2a.      Wenn die Antwort auf die vorhergehende Frage dahin lautet, dass eine Vorschrift, die eine Besteuerung eines Dienstleistungsempfängers vorsieht, zu einer Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs führt, kann dann eine solche Beschränkung durch die Notwendigkeit gerechtfertigt sein, die Erhebung und Beitreibung einer Steuer von ausländischen Gesellschaften zu gewährleisten, die sich nur kurz in den Niederlanden aufhalten und schwierig zu kontrollieren sind, was die Umsetzung der den Niederlanden zugewiesenen Steuerzuständigkeit problematisch macht?

2b.      Ist in diesem Fall von Belang, dass die Vorschrift in einem späteren Stadium für Sachverhalte wie den vorliegenden in dem Sinne geändert wurde, dass einseitig auf die Steuererhebung verzichtet wird, weil sie nicht einfach und effizient durchführbar gewesen sei?

3.      Geht die Vorschrift unter Berücksichtigung der Möglichkeiten, die insbesondere die Richtlinie 76/308/EWG für die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Steuern bietet, weiter, als es erforderlich ist?

4.      Ist es für die Beantwortung der vorhergehenden Fragen von Belang, ob die Steuer, die in dem Mitgliedstaat, in dem der Dienstleistungsempfänger niedergelassen ist, für das Entgelt geschuldet wird, mit der Steuer verrechnet werden kann, die in diesem anderen Mitgliedstaat für das Entgelt geschuldet wird?

13.      Am Verfahren vor dem Gerichtshof haben sich X, die niederländische, die belgische, die deutsche, die französische, die italienische und die schwedische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Europäische Kommission beteiligt, wobei die belgische, die französische und die italienische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs nur schriftliche Erklärungen eingereicht haben.

IV – Würdigung

A –    Zur ersten Vorlagefrage

14.      Mit seiner ersten Frage möchte der Hoge Raad der Nederlanden wissen, ob es eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellt, wenn der im Inland ansässige Empfänger einer ebendort erbrachten Dienstleistung vom vereinbarten Entgelt eine Quellensteuer einbehalten muss, sofern der Dienstleister in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, während ihn keine solche Pflicht träfe, wenn der Dienstleister im Inland ansässig wäre.

15.      Die britischen Vereine haben durch ihre entgeltliche Teilnahme an den Freundschaftsspielen in den Niederlanden X gegenüber Dienstleistungen im Sinne der Art. 49 ff. EG erbracht.(6) Da die Dienstleistungsfreiheit nicht nur zugunsten des Erbringers, sondern auch des Empfängers der Dienstleistungen gilt(7), kann sich X auf diese Vorschriften berufen.

16.      Gemäß der Wet LB 1964 musste X wegen der Auslandsansässigkeit der britischen Vereine Lohnsteuer an der Quelle einbehalten und abführen. Da er dies nicht getan hat, wird die Steuer nun im Wege der Nacherhebung bei ihm eingefordert. Hätte X die Freundschaftsspiele mit inländischen Vereinen durchgeführt, hätte ihn keine solche Pflicht und Haftung getroffen. Die grenzüberschreitende Inanspruchnahme von Dienstleistungen ist folglich mit zusätzlichen Pflichten und Haftungsrisiken gegenüber der Steuerverwaltung verbunden.

1.      Zum anwendbaren Test: Diskriminierung oder Beschränkung?

17.      Nach ständiger Rechtsprechung stellen nationale Regelungen, die die Erbringung von Dienstleistungen zwischen den Mitgliedstaaten gegenüber der Erbringung von Dienstleistungen innerhalb nur eines Mitgliedstaats erschweren, eine grundsätzlich verbotene Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar.(8) Insoweit genügt es, dass die fragliche Regelung geeignet ist, die Ausübung dieser Freiheit weniger attraktiv zu machen.(9)

18.      Was konkret die Quellenbesteuerung von grenzüberschreitend erbrachten Dienstleistungen anbelangt, hat der Gerichtshof im Urteil FKP Scorpio Konzertproduktionen festgestellt, dass die Verpflichtung eines Dienstleistungsempfängers, von der Vergütung eines in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleisters die Steuer einzubehalten, sowie die eventuelle Haftung des Dienstleistungsempfängers für die Steuer Unternehmen davon abhalten können, in anderen Mitgliedstaaten ansässige Dienstleister in Anspruch zu nehmen.(10) Eine solche Verpflichtung und eventuelle Haftung stellten eine grundsätzlich verbotene Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar.(11) Erst in einem weiteren Prüfungsschritt gelangte der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass diese Beschränkung durch die Notwendigkeit gerechtfertigt sei, die Effizienz der Beitreibung der Einkommensteuer zu gewährleisten.(12)

19.      Der Hoge Raad der Nederlanden hat angesichts des zwei Jahre später zur Niederlassungsfreiheit ergangenen Urteils Truck Center(13) jedoch Zweifel, ob der Gerichtshof auch heute noch eine solche Beurteilung vornehmen würde oder ob er nicht inzwischen eine andere Richtung eingeschlagen hat. Nach diesem Urteil liege nämlich keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit vor, wenn die unterschiedliche Behandlung von in- und ausländischen Gesellschaften in der Anwendung unterschiedlicher Besteuerungstechniken bestehe, je nachdem, ob diese Gesellschaften ihren Sitz im Quellenstaat oder in einem anderen Mitgliedstaat haben.

20.      In der Rechtssache Truck Center ging es um eine nationale Regelung, nach der Darlehenszinsen, die eine gebietsansässige Gesellschaft an eine gebietsfremde Empfängergesellschaft zahlt, einer Quellensteuer unterliegen, während solche Zinsen bei gebietsansässigen Empfängergesellschaften (lediglich) im Rahmen der Körperschaftsteuer besteuert werden.

21.      Der Gerichtshof prüfte in jener Rechtssache im Wesentlichen, ob in dieser Anwendung unterschiedlicher Besteuerungstechniken eine Diskriminierung aufgrund des Gesellschaftssitzes liege. Er hob zwar auch hervor, dass außerdem als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit alle Maßnahmen anzusehen sind, die die Ausübung dieser Freiheit verbieten, behindern oder weniger attraktiv machen.(14) Dies vertiefte der Gerichtshof aber nicht weiter. Vielmehr legte er ausführlich dar, warum die Sachverhalte objektiv nicht miteinander vergleichbar seien.(15) Bevor er zu dem abschließenden Ergebnis gelangte, dass keine „Beschränkung“ der Niederlassungsfreiheit vorliege, stellte er noch fest, dass die unterschiedliche steuerrechtliche Behandlung den gebietsansässigen Empfängergesellschaften nicht unbedingt einen Vorteil verschaffe.(16)

22.      Die Urteile FKP Scorpio Konzertproduktionen und Truck Center beruhen somit auf unterschiedlichen Prüfungsansätzen. Das erste folgt einem Beschränkungstest, bei dem schon das Vorliegen einer Benachteiligung des grenzüberschreitenden Sachverhalts gegenüber einem Inlandssachverhalt zur Annahme einer grundsätzlich verbotenen Beschränkung der Grundfreiheit führt. Das zweite folgt dagegen im Wesentlichen einem Diskriminierungstest, bei dem erst die Vergleichbarkeit der Situationen zu der Annahme führt, dass eine grundsätzlich verbotene Diskriminierung vorliegt.

23.      Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass das Urteil Truck Center eine Abkehr vom Urteil FKP Scorpio Konzertproduktionen oder allgemein eine Wende in der Rechtsprechung darstellt. Vielmehr sind in der Rechtsprechung seit längerer Zeit beide Prüfungsansätze zu finden, ohne dass genau geklärt zu sein scheint, wie sie sich zueinander verhalten.(17) Historisch gesehen ist jedenfalls der Beschränkungstest der jüngere Prüfungsansatz. Insbesondere hat der Gerichtshof auch nach dem Urteil Truck Center nationale Steuerregelungen schon dann als grundsätzlich verbotene Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs angesehen, wenn der grenzüberschreitende Sachverhalt gegenüber Inlandssachverhalten nachteilig behandelt wird.(18)

24.      Betrachtet man nun ihr Ergebnis, so gelangen beide Urteile ungeachtet des unterschiedlichen Prüfungsansatzes zur unionsrechtlichen Zulässigkeit der jeweils nur für grenzüberschreitende Sachverhalte geltenden Quellenbesteuerung. Hervorzuheben ist insoweit, dass der Gerichtshof in beiden Urteilen das Bedürfnis des Staates nach effizienter Steuererfassung und -beitreibung anerkannt hat. Im ersten Urteil tat er dies jedoch erst auf der Ebene der Rechtfertigung, nachdem er das Vorliegen einer grundsätzlich verbotenen Beschränkung bereits bejaht hatte.(19) Im zweiten prüfte er diesen Aspekt dagegen schon im Rahmen der Vergleichbarkeit und behandelte ihn somit als Voraussetzung für das Vorliegen einer Diskriminierung/Beschränkung.(20)

25.      Die vorliegende Konstellation zeigt deutlich mehr Parallelen zur Rechtssache FKP Scorpio Konzertproduktionen als zur Rechtssache Truck Center auf. Wie bei Scorpio geht es hier nämlich um die unterschiedliche Behandlung von Gebietsansässigen, je nachdem, ob sie die Dienstleistung eines gebietsansässigen oder eines gebietsfremden Dienstleisters in Anspruch nehmen. In einer solchen Situation ist danach zu fragen, ob in der unterschiedlichen Behandlung eine Benachteiligung des Gebietsansässigen liegt, der die Dienstleistung über die Grenze hinweg in Anspruch nimmt. Ist das der Fall, so liegt eine grundsätzlich verbotene Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit vor.

26.      Dagegen konzentrierte sich das Urteil Truck Center auf die Frage, ob die Situation von Gebietsansässigen und Gebietsfremden, die im Inland Zinsen beziehen, vergleichbar ist. Ausgehend von der Feststellung, dass sich Gebietsansässige und Gebietsfremde in der Regel nicht in einer vergleichbaren Situation befinden(21), gelangte der Gerichtshof zum Ergebnis, dass deren Situation hinsichtlich der Quellenbesteuerung objektiv tatsächlich nicht vergleichbar war.

27.      Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die früher im EG-Vertrag und jetzt im AEU-Vertrag enthaltenen Grundtatbestände betreffend die Niederlassungsfreiheit, den freien Dienstleistungs- und den freien Kapitalverkehr(22) in erster Linie von Beschränkung und nicht von Diskriminierung sprechen.(23)

28.      Vor diesem Hintergrund halte ich es für vorzugswürdig, im vorliegenden Fall dem Beschränkungstest zu folgen. Allerdings darf dieser Test nicht mit dem allgemeineren Beschränkungstest verwechselt werden, den der Gerichtshof außerhalb des Steuerrechts anwendet und bei dem er eine Beschränkung auch ohne Vorliegen einer Ungleichbehandlung annimmt, sofern die nationale Regelung geeignet ist, die Ausübung einer Grundfreiheit weniger attraktiv zu machen.(24) Ein derart weiter Ansatz ist im Bereich des Steuerrechts grundsätzlich abzulehnen, da damit letztlich alle staatlichen Abgaben, gleich welcher Art, auf dem Prüfstand des Unionsrechts stünden.(25) Das Unionsrecht garantiert einem Unionsbürger aber nicht, dass die Verlagerung seiner Tätigkeiten in einen anderen Mitgliedstaat als demjenigen, in dem er bis dahin gewohnt hat, hinsichtlich der Besteuerung neutral ist. Aufgrund der Unterschiede im Steuerrecht der Mitgliedstaaten kann eine solche Verlagerung für den Bürger je nach Einzelfall steuerliche Vor- oder Nachteile haben.(26)

29.      Der hier verwendete steuerrechtliche Beschränkungstest unterscheidet sich von einem auch faktische Diskriminierungen umfassenden Diskriminierungstest im Wesentlichen im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast: Die steuerrechtliche Schlechterstellung grenzüberschreitender Sachverhalte ist grundsätzlich rechtfertigungsbedürftig.

2.      Anwendung des Beschränkungstests auf den vorliegenden Fall

30.      Im vorliegenden Fall steht außer Frage, dass die Pflicht zum Steuerabzug und die damit verbundenen Haftungsrisiken die Inanspruchnahme grenzüberschreitend erbrachter Dienstleistungen für den gebietsansässigen Empfänger weniger attraktiv machen kann als die Inanspruchnahme von Dienstleistungen gebietsansässiger Dienstleister, die ihre Steuerangelegenheiten selbst erledigen müssen.

31.      Die niederländische Regierung ist jedoch der Meinung, dass eine etwaige administrative Belastung des Empfängers für sich allein nicht schon zur Annahme einer Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs führen dürfe. Vielmehr sei eine Gesamtbetrachtung der grenzüberschreitenden Dienstleistung als solche vorzunehmen. Da im vorliegenden Fall der etwaigen Belastung des Empfängers eine erhebliche administrative Erleichterung für den Dienstleister gegenüberstehe und zudem der Steuersatz niedriger als bei reinen Inlandssachverhalten sei, liege keine Beschränkung vor.

32.      Ein solcher Ansatz verkürzt die Tragweite der Dienstleistungsfreiheit jedoch in unzulässiger Weise. Er verkennt nämlich, dass der Dienstleistungsempfänger und der Dienstleister zwei unterschiedliche Rechtssubjekte mit jeweils eigenen Interessen sind. Jeder muss daher für sich die Dienstleistungsfreiheit in Anspruch nehmen können, wenn seine Rechte beeinträchtigt sind. Das wäre jedoch nicht gewährleistet, wenn eine Beschränkung allein deshalb zu verneinen wäre, weil die den einen Vertragspartner (hier: X) belastende Maßnahme dem anderen (hier: die britischen Vereine) zum Vorteil gereicht. Vielmehr ist in einer Situation wie der vorliegenden auf der Prüfungsebene, ob eine Beschränkung vorliegt, in Anlehnung an die Rechtsprechung, nach der eine steuerliche Benachteiligung, die gegen eine Grundfreiheit verstößt, nicht wegen des etwaigen Bestehens anderer Vorteile als mit dem Unionsrecht vereinbar angesehen werden kann(27), eine Berücksichtigung etwaiger Vorteile für den Dienstleister abzulehnen. Ihnen kann erst in einem späteren Prüfungsstadium, nämlich bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit, Bedeutung beigemessen werden.

33.      Im vorliegenden Fall ist daher das Vorliegen einer grundsätzlich verbotenen Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung zur Dienstleistungsfreiheit und insbesondere dem Urteil FKP Scorpio Konzertproduktionen zu bejahen.

3.      Vorliegen einer weiteren Beschränkung wegen höherer Besteuerung?

34.      Eine weitere Beschränkung könnte vorliegen, wenn die inländische Steuerlast für gebietsfremde Dienstleister im Ergebnis höher sein sollte als für gebietsansässige Dienstleister, wenn also die Quellensteuer zu einer höheren Besteuerung als die von inländischen Dienstleistern zu zahlende Steuer führen sollte.(28) Der Hoge Raad hat in seiner Vorlageentscheidung zwar die jeweiligen Steuersätze genannt, die Möglichkeit einer unterschiedlich hohen Besteuerung jedoch weder in seine Fragen einbezogen noch an anderer Stelle problematisiert. Da aber verschiedene am Verfahren vor dem Gerichtshof Beteiligte auf diesen Punkt näher eingegangen sind, verdient er einige kurze Bemerkungen.

35.      Zunächst ist festzustellen, dass der Quellensteuersatz in den betreffenden Steuerjahren 20 % der Gage betrug. In den an X gerichteten Nacherhebungsbescheiden wurde dieser Steuersatz auf die von ihm gezahlten Gagen erst „nach Abzug bestimmter Kosten“ angewandt. In der mündlichen Verhandlung hat die niederländische Regierung erklärt, dass die etwaigen Löhne, die ein Verein aus einer solchen Gage an seine Spieler auszahlt, keine abziehbaren Kosten in diesem Sinne sind.

36.      Auch wenn die Definition der „ausländischen Gesellschaft“ in den einschlägigen niederländischen Steuervorschriften wesentlich offener zu sein scheint und insbesondere nicht nur den ausländischen Verein, sondern auch sämtliche am Spiel beteiligten ausländischen Spieler umfassen kann, so werden in der Vorlageentscheidung allein die britischen Vereine als die Dienstleister genannt, mit denen die Spiele vereinbart und an die die Gagen bezahlt wurden. Da diese Gagen zudem nicht an die Spieler weitergegeben wurden, spricht einiges dafür, dass - jedenfalls im vorliegenden Fall - lediglich die britischen Vereine selbst als Dienstleister anzusehen sind und in dieser Eigenschaft der „Lohnsteuer“ unterlagen.

37.      Vorbehaltlich der näheren Prüfung durch das vorlegende Gericht erscheint es daher konsequent, die Höhe der hier in Rede stehenden Quellenbesteuerung an der Höhe der Körperschaftsteuer zu messen, die eine „inländische Gesellschaft“ hätte zahlen müssen, statt an der Einkommensteuer, die auf im Inland ansässige Spieler Anwendung gefunden hätte. Der maßgebliche Körperschaftsteuersatz lag nach den Angaben des vorlegenden Gerichts bis zu einem steuerpflichtigen Betrag von 22 689 Euro bei 29 %, im Übrigen bei 34 %.

38.      Rein nominal liegt der Quellensteuersatz somit deutlich unter dem Körperschaftsteuersatz. Der bloße Vergleich der Nominalsätze lässt jedoch noch nicht den Schluss zu, dass die Pauschalbesteuerung ausländischer Dienstleister im Ergebnis tatsächlich niedriger als die Körperschaftsteuer ist, die eine „inländische Gesellschaft“ hätte zahlen müssen. So sind die am Verfahren vor dem Gerichtshof Beteiligten zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen gelangt. Letztlich muss das vorlegende Gericht dies klären. Dabei hat es insbesondere zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß vor Anwendung des jeweiligen Steuersatzes Betriebsausgaben in Abzug gebracht werden können.(29)

4.      Beantwortung der ersten Vorlagefrage

39.      Unabhängig davon, zu welchem Ergebnis das vorlegende Gericht hinsichtlich der Höhe der Steuerlast gelangt, ist auf die erste Vorlagefrage jedenfalls zu antworten, dass es eine grundsätzlich verbotene Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellt, wenn der im Inland ansässige Empfänger einer ebendort erbrachten Dienstleistung vom vereinbarten Entgelt eine Quellensteuer einbehalten muss, sofern der Dienstleister in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, während ihn keine solche Pflicht träfe, wenn der Dienstleister im Inland ansässig wäre.

B –    Zur zweiten Vorlagefrage

40.       Zweitens möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine solche Beschränkung durch die Notwendigkeit gerechtfertigt sein kann, die Steuererhebung und -beitreibung im Fall ausländischer Dienstleister zu gewährleisten, die sich nur kurz in den Niederlanden aufhalten und schwierig zu kontrollieren sind. Aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich, dass der niederländische Gesetzgeber die Quellenbesteuerung auch zu diesem Zweck eingeführt habe.

41.       Im Urteil FKP Scorpio Konzertproduktionen hat der Gerichtshof die effiziente Steuerbeitreibung als zwingenden Grund des Allgemeininteresses anerkannt, der eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen kann. Die Quellenbesteuerung und die ihrer Durchsetzung dienende Haftungsregelung stellten ein legitimes und geeignetes Mittel dar, um die steuerliche Erfassung der Einkünfte einer außerhalb des Besteuerungsstaats ansässigen Person sicherzustellen und um zu verhindern, dass die betreffenden Einkünfte sowohl im Wohnsitzstaat als auch im Staat der Leistungserbringung unversteuert blieben. Sie seien zudem ein verhältnismäßiges Mittel zur Beitreibung steuerlicher Forderungen des Besteuerungsstaats.(30) Auch im Urteil Truck Center hat der Gerichtshof das Bedürfnis des die Quellensteuer erhebenden Staates nach effizienter Steuerbeitreibung anerkannt.(31)

42.      Der Umstand, dass anders als im vorliegenden Fall in jenen Rechtssachen die Vollstreckungshilfe-Richtlinie 76/308 noch nicht auf den Bereich der direkten Steuern anwendbar war(32), ändert nichts an der grundsätzlichen Legitimität dieses Rechtfertigungsgrundes, sondern ist im Rahmen der dritten Vorlagefrage zur Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen.

43.      Daher ist festzustellen, dass der hier in Rede stehenden Quellenbesteuerung ein anerkannter zwingender Grund des Allgemeininteresses zugrunde liegt und sie grundsätzlich geeignet ist, das mit ihr verfolgte Ziel zu erreichen.

44.      Das vorlegende Gericht fragt in diesem Zusammenhang noch danach, ob insoweit von Belang ist, dass inzwischen bei Sachverhalten wie dem vorliegenden auf die Steuererhebung verzichtet wird, weil sie nicht einfach und effizient durchführbar gewesen sei. „Ausländische Gesellschaften“, mit deren Sitzland ein Doppelbesteuerungsabkommen bestehe, seien nämlich seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2007 von der Quellenbesteuerung ausgenommen.

45.      Die Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, in Fällen, in denen ein Doppelbesteuerungsabkommen mit dem Sitzstaat des Dienstleisters besteht, ganz von der Besteuerung des im Inland erzielten Einkommens abzusehen, stellt die Geeignetheit der Quellenbesteuerung zur effizienten Steuererhebung jedoch nicht als solche in Frage. Sie lässt vor allem nicht den Schluss zu, dass die Quellenbesteuerung für die Steuerverwaltung keine Vorzüge gegenüber der direkten Steuererhebung beim gebietsfremden Dienstleister habe. Vielmehr handelt es sich um eine Abwägung, bei der dem betreffenden Mitgliedstaat ein gewisser Beurteilungsspielraum zusteht und die wesentlich vielschichtiger sein mag, als es den Anschein hat. So lag nach dem Vorbringen der niederländischen Regierung der Grund für diese Änderung in dem Bemühen, die Attraktivität der Niederlande für Spitzensportler zu erhöhen.

46.      Auf die zweite Vorlagefrage ist daher zu antworten, dass die Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs, die die hier in Rede stehende Quellenbesteuerung bewirkt, durch die Notwendigkeit gerechtfertigt sein kann, die Steuererhebung und -beitreibung im Fall ausländischer Dienstleister zu gewährleisten, die sich nur kurz in den Niederlanden aufhalten und schwierig zu kontrollieren sind. Dass in diesem Mitgliedstaat inzwischen bei Sachverhalten wie dem vorliegenden auf die Steuererhebung verzichtet wird, ist insoweit ohne Belang.

C –    Zur dritten Vorlagefrage

47.      Das vorlegende Gericht möchte drittens wissen, ob die fragliche Quellenbesteuerung insbesondere unter Berücksichtigung der Vollstreckungshilfemöglichkeiten nach der Richtlinie 76/308 weiter geht als erforderlich.

48.      Eine beschränkende Maßnahme kann nach ständiger Rechtsprechung nämlich nur dann gerechtfertigt sein, wenn sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt, also geeignet ist, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das dazu Erforderliche hinausgeht.(33)

49.      Die Richtlinie 76/308 legt gemeinsame Vorschriften über die gegenseitige Unterstützung fest, um die Beitreibung bestimmter hoheitlicher Forderungen zu gewährleisten.(34) Die Unterstützungsmaßnahmen reichen von der Erteilung von Auskünften, die für die Beitreibung nützlich sind(35), über die Zustellung von Schriftstücken(36) bis zur Vollstreckung der ausländischen Titel, die vom Vollstreckungsstaat unmittelbar anzuerkennen und grundsätzlich wie eigene zu behandeln sind.(37)

50.      Durch die Richtlinie sollten die Hindernisse für die Errichtung des Gemeinsamen Marktes und die Beeinträchtigungen seines Funktionierens beseitigt werden, die sich aus dem auf das jeweilige Hoheitsgebiet begrenzten Anwendungsbereich der nationalen Bestimmungen auf dem Gebiet der Beitreibung ergeben.(38) Vor Erlass der Richtlinie konnte nämlich eine Forderung, für die von den Behörden eines Mitgliedstaats ein Titel ausgestellt worden ist, in einem anderen Mitgliedstaat nicht beigetrieben werden.(39)

51.      Um angesichts der Entwicklung des Steuerbetrugs die finanziellen Interessen der Mitgliedstaaten und die Neutralität des Binnenmarkts besser zu schützen, wurde der Anwendungsbereich der Richtlinie, die zunächst im Wesentlichen für bestimmte Abgaben und Zölle galt, auf bestimmte Steuern, darunter die Einkommensteuer, ausgedehnt.(40)

52.      Auch wenn die Richtlinie damit die grenzüberschreitende Beitreibung von Steuerforderungen ermöglichte, darf sie jedoch weder in ihren Ambitionen noch in ihrer Schlagkraft überschätzt werden.

53.      Eine Quellenbesteuerung im Ausland ansässiger Dienstleister konnte sie schon deshalb nicht vollständig ersetzen, weil ein Unterstützungsersuchen erst ab einem Gesamtforderungsbetrag von 1500 Euro gestellt werden konnte.(41) Die Richtlinie erhob folglich gar nicht erst den Anspruch, an die Stelle einer solchen Erhebungstechnik zu treten.

54.      Zudem hat sich gezeigt, dass die Erfolgsquote der über die Richtlinie gewährten Vollstreckungshilfe mehr als zu wünschen übrig ließ. In ihrem Vorschlag für die spätere Richtlinie 2010/24(42) sowie ihrem Bericht vom 4. April 2009(43) für die Jahre 2005 bis 2008 stellt die Kommission nämlich fest, dass die tatsächlich beigetriebenen Beträge nur 5 % der Beträge entsprechen, für deren Beitreibung um Amtshilfe ersucht wurde.

55.      Auch wenn sich die Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht auf die Defizite bei der Kooperation ihrer Steuerverwaltungen berufen können, um daraus eine Rechtfertigung für Beschränkungen der Grundfreiheiten herzuleiten(44), zeigen diese Realität sowie die Konsequenzen, die der Unionsgesetzgeber daraus gezogen hat, indem er die Richtlinie 2010/24 erließ, dass die Richtlinie 76/308 kein der Quellenbesteuerung gleichwertiges Instrument der Steuererhebung und -beitreibung darstellte.

56.      Entgegen dem Vorbringen verschiedener Regierungen bedarf es der Quellenbesteuerung zwar nicht schon deshalb, um im Fall eines ausländischen Dienstleisters, der sich nur kurz und womöglich nur ein einziges Mal im Inland aufhält, vom Steuertatbestand überhaupt Kenntnis zu erlangen. Dazu würde es ausreichen, dem inländischen Dienstleistungsempfänger eine entsprechende Erklärungspflicht gegenüber den Steuerbehörden aufzuerlegen.

57.      Was jedoch die Erhebung und die Beitreibung der Steuer anbelangt, so ist, jedenfalls im Hinblick auf die Richtlinie 76/308, ein berechtigtes Interesse der Mitgliedstaaten anzuerkennen, diese im Wege der Quellenbesteuerung sicherzustellen.

58.      In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass ein Absehen von der Quellenbesteuerung nur durch eine direkte Steuererhebung beim ausländischen Dienstleister ausgeglichen werden könnte. Damit würde zwar die hier in Rede stehende Beschränkung entfallen. Wie jedoch verschiedene Regierungen geltend gemacht haben, könnte die direkte Erhebung eine erhebliche Belastung des ausländischen Dienstleisters bedeuten, der möglicherweise in einer ihm fremden Sprache eine Steuererklärung abgeben und sich in einem ihm fremden Steuersystem zurechtfinden müsste. Da der ausländische Dienstleister dadurch vom Erbringen der Dienstleistung im Inland abgeschreckt werden könnte, könnte es für den Dienstleistungsempfänger im Ergebnis sogar noch schwieriger werden, eine ausländische Dienstleistung in Anspruch zu nehmen.

59.      Ganz abgesehen von dem erheblichen zusätzlichen Verwaltungsaufwand, den die grenzüberschreitende Steuerbeitreibung bei der Vielzahl der nur punktuell erbrachten Dienstleistungen für die Steuerbehörden mit sich bringen würde, wäre die direkte Steuererhebung beim ausländischen Dienstleister daher nicht unbedingt ein milderes Mittel als die Quellenbesteuerung.(45)

60.      Auf die dritte Vorlagefrage sollte daher geantwortet werden, dass die hier in Rede stehende Quellenbesteuerung auch unter Berücksichtigung der Vollstreckungshilfemöglichkeiten nach der Richtlinie 76/308 nicht weiter geht als erforderlich, solange die Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit allein in der Quellenbesteuerung als solcher und nicht in einer höheren Steuerbelastung liegt.

D –    Zur vierten Vorlagefrage

61.      Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es für die Beantwortung der Fragen 1 bis 3 von Belang ist, ob der ausländische Dienstleister die im Inland geschuldete Steuer von der in seinem Heimatmitgliedstaat festgesetzten und zu zahlenden Steuer in Abzug bringen kann.

62.      Da die hier festgestellte Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darin besteht, dass der Dienstleistungsempfänger in der Ausübung dieser Freiheit durch die ihm auferlegte Pflicht, die Steuer an der Quelle einzubehalten und sie an die Steuerbehörden abzuführen, sowie die damit zusammenhängenden Haftungsrisiken beeinträchtigt wird, kann es für die Beantwortung der vorhergehenden Fragen im Grunde keine Rolle spielen, ob der Dienstleister die im Inland geschuldete Steuer in seinem Heimatland von seiner dortigen Steuerschuld in Abzug bringen kann.

63.      Nur wenn das vorlegende Gericht zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass die Quellenbesteuerung zu einer höheren Besteuerung führt als die für inländische Dienstleister geltende Körperschaftsteuer und deshalb eine zusätzliche Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit vorliegen sollte, kann der Anrechenbarkeit Bedeutung zukommen.

64.      Das vorlegende Gericht verweist in diesem Zusammenhang auf das Urteil Amurta(46), in dem der Gerichtshof nicht ausgeschlossen hat, dass ein Mitgliedstaat die Beachtung seiner Verpflichtungen aus dem Unionsrecht dadurch sicherzustellen vermag, dass er mit einem anderen Mitgliedstaat ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung schließt. Dieses Urteil betrifft zwar, wie verschiedene Beteiligte geltend gemacht haben, die Vermeidung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung, während es im vorliegenden Fall allenfalls zu einer juristischen Doppelbesteuerung kommen könnte, zu deren Beseitigung die Mitgliedstaaten nach dem bisherigen Stand des Unionsrechts nicht verpflichtet sind.(47) Gleichwohl erscheinen mir die Ausführungen des Gerichtshofs übertragbar, da es letztlich auch hier darum geht, ob die Zuvielerhebung in dem einen Mitgliedstaat durch die Anrechnung in dem anderen Mitgliedstaat ausgeglichen werden kann.

65.      Ein solcher Ausgleich kann den unionsrechtlichen Anforderungen jedoch nur dann genügen, wenn die Anwendung des Abkommens es erlaubt, die Wirkungen der sich aus dem nationalen Recht ergebenden unterschiedlichen Behandlung vollständig zu neutralisieren.(48) Das setzt insbesondere voraus, dass der Ausgleich im Sitzstaat auch dann gewährt wird, wenn die ausländischen Einkünfte dort gar keiner Steuer oder nur einer niedrigeren Steuer unterliegen. Er muss folglich unabhängig von der Ausgestaltung der Besteuerung der Einkünfte durch den Sitzstaat gewährt werden. Ob das DBA gegebenenfalls diesen Anforderungen gerecht wird, hat das vorlegende Gericht zu prüfen.

66.      Die vierte Frage sollte daher dahin gehend beantwortet werden, dass es für die Beantwortung der Fragen 1 bis 3 ohne Belang ist, ob der ausländische Dienstleister die im Inland geschuldete Steuer von der in seinem Heimatmitgliedstaat geschuldeten Steuer in Abzug bringen kann, solange die Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit allein in der Quellenbesteuerung als solcher und nicht in einer höheren Steuerbelastung liegt.

V –    Ergebnis

67.      Ich schlage dem Gerichtshof somit vor, die Fragen des Hoge Raad der Nederlanden wie folgt zu beantworten:

1.         Es stellt eine grundsätzlich verbotene Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar, wenn der im Inland ansässige Empfänger einer ebendort erbrachten Dienstleistung vom vereinbarten Entgelt eine Quellensteuer einbehalten muss, sofern der Dienstleister in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, während ihn keine solche Pflicht träfe, wenn der Dienstleister im Inland ansässig wäre.

2.         Diese Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs kann durch die Notwendigkeit gerechtfertigt sein, die Steuererhebung und -beitreibung im Fall ausländischer Dienstleister zu gewährleisten, die sich nur kurz in den Niederlanden aufhalten und schwierig zu kontrollieren sind. Dass in diesem Mitgliedstaat inzwischen bei Sachverhalten wie dem vorliegenden auf die Steuererhebung verzichtet wird, ist insoweit ohne Belang.

3.         Auch unter Berücksichtigung der Vollstreckungshilfemöglichkeiten nach der Richtlinie 76/308 geht die hier in Rede stehende Quellenbesteuerung nicht weiter als erforderlich, solange die Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit allein in der Quellenbesteuerung als solcher und nicht in einer höheren Steuerbelastung liegt.

4.         Für die Beantwortung der Fragen 1 bis 3 ist es ohne Belang, ob der ausländische Dienstleister die im Inland geschuldete Steuer von der in seinem Heimatmitgliedstaat geschuldeten Steuer in Abzug bringen kann, solange die Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit allein in der Quellenbesteuerung als solcher und nicht in einer höheren Steuerbelastung liegt.


1 – Originalsprache: Deutsch.


2 – Urteil vom 3. Oktober 2006, FKP Scorpio Konzertproduktionen (C-290/04, Slg. 2006, I-9461).


3 – Urteil vom 22. Dezember 2008, Truck Center (C-282/07, Slg. 2008, I-10767).


4 – Richtlinie 76/308/EWG des Rates vom 15. März 1976 über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Abgaben, Zölle, Steuern und sonstige Maßnahmen (ABl. L 73, S. 18). Diese Richtlinie wurde durch die Richtlinie 2008/55/EG des Rates vom 26. Mai 2008 (ABl. L 150, S. 28) kodifiziert, die ihrerseits durch die Richtlinie 2010/24/EU des Rates vom 16. März 2010 über die Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern, Abgaben und sonstige Maßnahmen (ABl. L 84, S. 1) aufgehoben und ersetzt wurde.


5 – Richtlinie 2001/44/EG des Rates vom 15. Juni 2001 zur Änderung der Richtlinie 76/308/EWG (ABl. L 175, S. 17).


6 – Vgl. Urteile vom 15. Dezember 1995, Bosman (C-415/93, Slg. 1995, I-4921, Randnr. 73), und vom 16. März 2010, Olympique Lyonnais (C-325/08, Slg. 2010, I-2177, Randnrn. 27 f.).


7 – Urteile vom 17. Februar 2005, Viacom Outdoor (C-134/03, Slg. 2005, I-1167, Randnr. 35), FKP Scorpio Konzertproduktionen (zitiert in Fn. 2, Randnr. 32), vom 8. September 2009, Liga Portuguesa de Futebol Profissional und Bwin International (C-42/07, Slg. 2009, I-7633, Randnr. 51), und vom 4. Oktober 2011, Football Association Premier League u. a. (C-403/08 und C-429/08, Slg. 2011, I-9083, Randnr. 85).


8 – Urteile vom 28. April 1998, Kohll (C-158/96, Slg. 1998, I-1931, Randnr. 33), vom 11. September 2007, Schwarz und Gootjes-Schwarz (C-76/05, Slg. 2007, I-6849, Randnr. 67), und vom 20. Mai 2010, Zanotti (C-56/09, Slg. 2010, I-4517, Randnr. 42).


9 – Urteile vom 11. Juni 2009, X und Passenheim-van Schoot (C-155/08 und C-157/08, Slg. 2009, I-5093, Randnrn. 32 und 39 f.), vom 22. Dezember 2010, Tankreederei I (C-287/10, Slg. 2010, I-14233, Randnr. 15), und Football Association Premier League u. a. (zitiert in Fn. 7, Randnr. 85).


10 – Urteil FKP Scorpio Konzertproduktionen (zitiert in Fn. 2, Randnr. 33).


11 – Ebd., Randnr. 34.


12 – Ebd., Randnr. 35.


13 – Zitiert in Fn. 3.


14 – Ebd., Randnr. 33.


15 – Ebd., Randnrn. 41 bis 48.


16 – Ebd., Randnr. 49.


17 – Vgl. meine Schlussanträge vom 4. September 2008 in der Rechtssache UTECA (C-222/07, Urteil vom 5. März 2009, Slg. 2009, I-1407, Nr. 77 und die dort zitierte Rechtsprechung), sowie Kokott/Ost, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, EuZW 2011, S. 496, 497 ff.


18 – Urteile X und Passenheim-van Schoot (zitiert in Fn. 9, Randnrn. 32 und 39 f.), Zanotti (zitiert in Fn. 8, Randnr. 42 f.), und Tankreederei I (zitiert in Fn. 9, Randnrn. 15 ff.).


19 – Urteil FKP Scorpio Konzertproduktionen (zitiert in Fn. 2, Randnrn. 3 ff.).


20 – Urteil Truck Center (zitiert in Fn. 3, Randnrn. 41 bis 48).


21 – Ebd., Randnr. 38 und die dort zitierte Rechtsprechung.


22 – Siehe die Art. 43 Abs. 1, 49 Abs. 1 und 56 Abs. 1 EG sowie die Art. 49 Abs. 1, 56 Abs. 1 und 63 Abs. 1 AEUV.


23 – Siehe auch meine Schlussanträge vom 4. September 2008 in der Rechtssache UTECA (zitiert in Fn. 17, Nr. 77).


24 – Urteile vom 5. Oktober 2004, CaixaBank France (C-442/02, Slg. 2004, I-8961, Randnr. 11), Liga Portuguesa de Futebol Profissional und Bwin International (zitiert in Fn. 7, Randnr. 51), und vom 17. März 2011, Peñarroja (C-372/09 und C-373/09, Slg. 2011, I-1785, Randnr. 50).


25 – Siehe meine Schlussanträge vom 28. Oktober 2004 in der Rechtssache Viacom Outdoor (C-134/03, Urteil vom 17. Februar 2005, Slg. 2005, I-1167, Nr. 62) und vom 2. Juli 2009 in der Rechtssache Presidente del Consiglio dei Ministri (C-169/08, Urteil vom 17. November 2009, Slg. 2009, I-10821, Nrn. 48 bis 53) sowie Kokott/Ost, zitiert in Fn. 17, S. 498.


26 – Urteile vom 12. Juli 2005, Schempp (C-403/03, Slg. 2005, I-6421, Randnr. 45), und vom 26. April 2007, Alevizos (C-392/05, Slg. 2007, I-3505, Randnr. 76).


27 – Urteile vom 21. September 1999, Saint-Gobain ZN (C-307/97, Slg. 1999, I-6161, Randnr. 53), vom 12. Dezember 2002, de Groot (C-385/00, Slg. 2002, I-11819, Randnr. 97), und vom 20. Oktober 2011, Kommission/Deutschland (C-284/09, Slg. 2011, I-9879, Randnr. 71).


28 – Urteil vom 12. Juni 2003, Gerritse (C-234/01, Slg. 2003, I-5933, Randnr. 55); vgl. auch Urteil Kommission/Deutschland (zitiert in Fn. 27, Randnr. 94) sowie meine Schlussanträge vom 18. September 2008 in der Rechtssache Truck Center (zitiert in Fn. 3, Nr. 66).


29 – Siehe zur unionsrechtlich gebotenen Berücksichtigung bestimmter Betriebsausgaben die Urteile Gerritse (zitiert in Fn. 28, Randnr. 55), FKP Scorpio Konzertproduktionen (zitiert in Fn. 2, Randnr. 49), und vom 15. Februar 2007, Centro Equestre da Lezíria Grande (C-345/04, Slg. 2007, I-1425, Randnr. 23).


30 – Urteil FKP Scorpio Konzertproduktionen (zitiert in Fn. 2, Randnrn. 35 bis 38).


31 – Urteil Truck Center (zitiert in Fn. 3, Randnrn. 47 f.).


32 – Im Urteil FKP Scorpio Konzertproduktionen (zitiert in Fn. 2, Randnr. 36) hat der Gerichtshof darauf ausdrücklich hingewiesen. Für die Rechtssache Truck Center siehe meine Schlussanträge vom 18. September 2008 in dieser Rechtssache (zitiert in Fn. 3, Nr. 41).


33 – Urteile vom 18. Dezember 2007, Jundt (C-281/06, Slg. 2007, I-12231, Randnr. 58), X und Passenheim-van Schoot (zitiert in Fn. 9, Randnr. 47), und vom 26. Oktober 2010, Schmelz (C-97/09, Slg. 2010, I-10465, Randnr. 58).


34 – Urteil vom 14. Januar 2010, Kyrian (C-233/08, Slg. 2010, I-177, Randnr. 34); vgl. auch Urteile vom 7. September 2006, N (C-470/04, Slg. 2006, I-7409, Randnr. 53), und vom 9. November 2006, Turpeinen (C-520/04, Slg. 2006, I-10685, Randnr. 37).


35 – Art. 4 der Richtlinie.


36 – Art. 5 der Richtlinie.


37 – Art. 6 bis 8 der Richtlinie.


38 – Erwägungsgründe 1 bis 3 der Richtlinie; vgl. auch Urteil Kyrian (zitiert in Fn. 34, Randnr. 3).


39 – Erwägungsgrund 1 der Richtlinie.


40 – Erwägungsgründe 1 bis 3 der Richtlinie 2001/44.


41 – Art. 25 Abs. 2 der Richtlinie 2002/94/EG der Kommission vom 9. Dezember 2002 zur Festlegung ausführlicher Durchführungsbestimmungen zu bestimmten Artikeln der Richtlinie 76/308/EWG (ABl. L 337, S. 41) bzw. Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 77/794/EWG der Kommission vom 4. November 1977 zur Festsetzung der erforderlichen Durchführungsbestimmungen zu bestimmten Artikeln der Richtlinie 76/308/EWG (ABl. L 333, S. 11).


42 – Vorschlag der Kommission vom 2. Februar 2009 für eine Richtlinie des Rates über die Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Abgaben, Zölle, Steuern und sonstige Maßnahmen (KOM[2009] 28 endg.), S. 2.


43 – Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Anwendung der Bestimmungen über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Abgaben, Zölle, Steuern und sonstige Maßnahmen im Zeitraum 2005–2008 (KOM[2009] 451 endg.), Punkt 2.4.


44 – Siehe meine Schlussanträge vom 30. März 2006 in der Rechtssache N (Urteil vom 7. September 2006, zitiert in Fn. 34, Nr. 114).


45 – Vgl. auch meine Schlussanträge vom 18. September 2008 in der Rechtssache Truck Center (zitiert in Fn. 3, Nrn. 45 f.).


46 – Urteil vom 8. November 2007, Amurta (C-379/05, Slg. 2007, I-9569, Randnr. 79).


47 – Urteile vom 14. November 2006, Kerckhaert und Morres (C-513/04, Slg. 2006, I-10967, Randnrn. 20 bis 24), vom 16. Juli 2009, Damseaux (C-128/08, Slg. 2009, I-6823, Randnrn. 25 ff.), und vom 3. Juni 2010, Kommission/Spanien (C-487/08, Slg. 2010, I-4843, Randnr. 56).


48 – Urteile vom 19. November 2009, Kommission/Italien (C-540/07, Slg. 2009, I-10983, Randnrn. 37 bis 39) und Kommission/Spanien (zitiert in Fn. 47, Randnrn. 59 bis 64).